Heiliges Rom Gardisten, Gebete, Gottesmänner. Der Vatikan ist eine
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Heiliges Rom Gardisten, Gebete, Gottesmänner. Der Vatikan ist eine
ESPRESSO-PAUSE In der Strassenbeiz Panta rhei, gleich vor den Toren des Vatikans, gönnt sich Verteidigungsminister Samuel Schmid eine Stärkung. Heiliges Rom Gardisten, Gebete, Gottesmänner. Der Vatikan ist eine Welt für sich – bewacht von jungen Unterwegs zu m Papst 36 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE Schweizern. Bundesrat Samuel Schmid hat die Gardisten besucht. Und den Papst getroffen. BESICHTIGUNG Gardekommandant Elmar Mäder (r.) zeigt Schmid einen Morion mit dunkelvioletten Federn für Offiziere. VON CHRISTINE ZWYGART (TEXT) UND KURT REICHENBACH (FOTOS) ie sind ledig, jung und katholisch. Und natürlich Schweizer. Ihr Leben steht in den nächsten Jahren ganz im Dienst des Heiligen Stuhls in Rom. 38 Gardisten schwören – die linke Hand an der Fahne, die rechte erhoben – «Achtung, Treue und Gehorsam». Im Notfall lassen sie ihr Leben für den Papst, im Normalfall bewachen sie den Vatikan. Bundesrat Samuel Schmid, 60, ist bei der Vereidigung der Gardisten dabei und zeigt sich beeindruckt: «Trotz tausend Versuchungen, die das Leben bietet, leisten die jungen Männer hier ihren S 38 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE Dienst.» 365 Tage pro Jahr. 24 Stunden pro Tag. «Diese Hingabe ist eine menschliche Qualität.» Die Gardisten haben sich herausgeputzt. Handschuhe, Halskrause, GalaUniform mit Metallhelm. Rote Federn für die Unteroffiziere und Hellebardiere, gelb-schwarze für die Trommler und Pfeifer, dunkelviolette für die Offiziere, weisse Straussenfedern für den Kommandanten und den Feldweibel. «Ich überbringe Ihnen als ehemaliger Soldat und als Magistrat die besten Grüsse aus der Heimat», sagt Samuel Schmid zu den jungen Männern. Als Geschenk übergibt er allen einen Gamellendeckel – damit der «Spatz» künftig noch besser schme- cke. Gardekommandant Elmar Mäder, 43, freuts: «Denn das Treffen um den Suppentopf fördert die Kameradschaft.» gelandet. Aber ich habe Respekt vor dem Einsatz der Gardisten. Bundesrat Schmid, als Protestant blieb Ihnen der Dienst in der Garde verwehrt. Hätte Ihnen das gefallen? Unser Name ist präsent im Vatikan – und somit weltweit. Das ist wertvoll für die «Marke Schweiz», unter anderem auch für den Tourismus. Die Garde arbeitet seit über 500 Jahren erfolgreich, und der Papst ist bisher deutlich zu dieser Dienstleistung gestanden. Wahrscheinlich würden diese auch andere Länder gerne übernehmen. Das ist ein harter Dienst, der eine hohe Disziplin erfordert – das Be- und Überwachen ist sehr wichtig, aber kann sehr langweilig sein. Ich selber war im Militär aus Überzeugung Füsilier, denn ich liebte die Bewegung und entdeckte unterwegs die Vielfalt der Natur. Überwachen war bei uns eine Teildisziplin, ich weiss, wie hart das ist. Bei der Schweizer Garde wäre ich mit meinen Vorlieben somit eher nicht Wie wichtig ist die Garde für die Schweiz? Wie unterstützt die offizielle Schweiz die Garde? Wir arbeiten in gewissen Bereichen zusammen. So erhält die Garde von uns «DIE SCHWEIZ IST präsent im Vatikan – und somit weltweit» Waffen und Munition. Gelegentlich gibts auch einen Informationsaustausch im Sicherheitsbereich. Zum Beispiel als in Dänemark die Karikatur-Geschichte hochflammte – damals gabs Hinweise auf Attentate im Vatikan. Sie treffen Minister, Präsidenten und Adlige. Ist es für Sie überhaupt noch speziell, einen Menschen wie den Heiligen Vater zu sprechen? Ja natürlich. Der Papst ist als Oberhaupt der grössten christlichen Kirche auch für mich als Protestant eine bedeutende Persönlichkeit. Samuel Schmid trifft Papst Benedikt XVI. an der Audienz für die neuen Gardisten. Zeit für ein vertieftes Gespräch bleibt nicht. Doch der Heilige Vater erhält ein spezielles Geschenk aus der Schweiz: ein Victorinox-Sackmesser. Modell Champ. Mit Holzsäge, Fisch-Entschupper, Draht- SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 39 FOTOS: OSSERVATORE ROMANO schneider. Damit ist er gewappnet für jede Lebenslage. Mit den Gardisten besucht Samuel Schmid am Tag der Vereidigung eine Messe. Er gesteht, kein fleissiger Kirchengänger zu sein: «Die Werte der Kirche sollten wir täglich leben – und sie nicht nur speziell hervorheben.» Der Magistrat ist im Berner Seeland in einem protestantischen Elternhaus aufgewachsen. «Wir waren nicht speziell religiös, aber überzeugte Mitglieder der Kirche.» An hohen HÄNDEDRUCK Papst Benedikt XVI. nimmt sich ein paar Minuten Zeit für Samuel Schmid. Dieser übergibt dem Heiligen Vater ein Sackmesser, Model Champ – eine Spezialanfertigung mit Papstwappen. «GOTT SCHULDET uns nichts. Aber er gibt Hoffnung auf Gnade» Feiertagen besucht er auch heute den Gottesdienst. Glauben Sie an Gott? Ja. Dabei ist mir weniger wichtig, was Gott genau ist. Es hat durchaus einen Sinn, dass niemand hinter den Vorhang schauen kann – man eben glauben muss und nicht wissen kann. Alles, was wir uns vorstellen, ist eine Art Hilfskonstruktion. Denn wir endlichen Menschen können etwas Unendliches nicht erfassen. Suchen Sie in schwierigen Momenten Halt im Gebet? Nicht nur in schwierigen Momenten. Das Verhältnis zu Gott kann ja nicht sein: Ich gebe, damit du gibst. Er schuldet uns nichts, aber er gibt Hoffnung auf Gnade und Liebe. Die Religion ist eine Art Handlauf, der auf einem schwierigen Pfad die Richtung weist, auch stützt und vor dem Stürcheln schützt. Doch das enthebt niemand der Selbstverantwortung. Früher war der Glaube stärker im Volk verankert. Heute bleiben Kirchen leer. Viele Leute sind gläubig wie ich, drücken jedoch selten die Kirchenbank. Das Bekenntnis dürfte durchaus deutlicher sein. Welche Bedeutung hat der Glaube für die Gesellschaft? Die Gesellschaft kann nur überleben, wenn sie gewisse Werte respektiert. Die Kirche geht keinen Modetrends nach – die bringen eh nichts. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Wesen; ob er will oder nicht. Hier zählen Werte wie Respekt, Nächstenliebe, auch Wertschätzung und Demut. Wir sind nicht der Nabel der Welt und sollten uns auch unseren Grenzen bewusst sein. Zu was führt die Überheblichkeit und Selbstüberschätzung gewisser Leute? Nach ein paar Jahren ist da nichts mehr übrig. Ist die Kirche mit ihrem Zölibat, dem Priesterverbot für Frauen und dem «Heilen» von Homosexuellen nicht hoffnungslos veraltet? Vieles ist sicher zu vertiefen, die Kirche muss sich mit ihren Wertvorstellungen auch der Gegenwart stellen. Sie hat sich Werten anzunehmen – dazu gehört für mich auch die Gleichheit der Menschen. Deshalb habe ich Mühe, solche Einschränkungen nachzuvollziehen. Doch es liegt nicht an mir, das weiter zu kommentieren. Und ich denke, dass sich die katholische Kirche – wie andere Kirchen auch – mit diesen Fragen intensiv auseinandersetzt. Pilgerreisen liegen im Trend. Wäre das auch etwas für Sie? Soldaten schicken mir gelegentlich Weihwasser aus dem französischen Lourdes. Aber selber habe ich noch nie eine Pilgerreise gemacht. Die Idee ist verbreitet, dass Gott eine Buchhaltung führt – und beim Tod gibts die Abrechnung. Wahrscheinlich ist das zu einfach. Einige Leute starten mit besseren Chancen ins Leben. Für mich steht vielmehr im Vordergrund, dass ich aus den Möglichkeiten, die mir gegeben wurden, das Beste mache. Ist Spiritualität für Sie wichtig? Ich gehe nicht so häufig zur Kirche, aber beten kann ich täglich. Ich suche die Ruhe in der Natur. Manchmal sitze ich abends noch in unserem Garten, sehe Mond und Sterne aufgehen. Das gibt mir die Möglichkeit, mich einzuordnen: Als ganz kleines Wesen in einem riesigen Universum. Ich glaube Kant sagte: «Zwei Dinge sind es, die mich immer wider in Staunen versetzen: die Unendlichkeit über mir und das ethische Gewissen in mir.» Der Umstand, dass man ein Gefühl hat, was gut und was weniger gut ist. Kolosseum, spanische Treppe, Fontana di Trevi – für Roms Sehenswürdigkeiten bleibt kaum Zeit. Samuel Schmid schafft SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 41 ABSTECHER Viel Zeit für touristische Attraktionen hat Schmid in Rom nicht. Doch den Petersplatz will er unbedingt sehen. noch schnell einen Abstecher auf den Petersplatz. Touristen, so weit das Auge reicht. Schweizer gehen auf den Bundesrat zu, nennen ihren Namen und sagen, woher sie kommen: «Grüessech, Müller, Langnau.» Schmid hat ein offenes Ohr für alle, drückt Hände, posiert für Erinnerungsfotos. Bei all dem ist und bleibt er ein Staatsmann. Mit Kittel und Krawatte inmitten der Menschen mit Turnschuhen und kurzen Hosen. «CHRIST ZU SEIN ist ein Bekenntnis – nichts Exklusives» verbinden. Mit den verschiedenen Religionen habe ich hingegen keine Mühe. Christ zu sein ist ein starkes Bekenntnis, aber nichts Exklusives. Man kann ja nicht sagen, alle anderen leben in einem Irrtum. Es gibt auch Verbindendes. «MEINE HEIMAT ist die Schweiz.» Samuel Schmid mit SI-Politchefin Christine Zwygart. Herr Bundesrat, der Glaube mischt auch in der Politik mit. Die EDU wollte das Vampir-Lied von DJ Bobo verbieten. Wie sehr fühlen Sie sich für solche Probleme zuständig? Weshalb soll der Bundesrat darüber beschliessen? Was ich von diesem Song bisher gesehen und gehört habe, fand ich nicht derart verletzend. DJ Bobo ist im Übrigen ein durchaus verantwortungsvoller junger Mann. Zudem gibts auch Theaterstücke, wo diabolische Figuren auftreten. Wann muss die Politik in Glaubensfragen eingreifen? Kirche und Politik sind zwei Institutionen, die sich austauschen, aber nicht mischen. Das ist gut so, denn letztlich üben wir Staatsgewalt aus. Und es wird gefährlich, wenn das mit Religion gemischt wird. Deshalb habe ich Mühe mit Staatsoberhäuptern, die beides miteinander 42 SCHWEIZER ILLUSTRIERTE PERSÖNLICH SAMUEL SCHMID Geboren in Rüti bei Büren BE, 8. Januar 1947 (Steinbock) IKARRIERE Jus-Studium an der Universität in Bern, danach Fürsprecher und Notar mit eigener Kanzlei. Gemeinderat in Rüti von 1972 bis 1974, dann bis 1982 Gemeindepräsident. Für die SVP sass Schmid anschliessend elf Jahre im Kantonsparlament. 1994 bis 1999 politisierte er im Nationalrat. Nach nur einem Jahr im Ständerat nahm er Anfang 2001 Einsitz im Bundesrat. IFAMILIE Verheiratet mit Vreni, 61. Drei Söhne: Thomas, 36; Matthias, 32; Christoph, 24. IE-MAIL samuel.schmid@gs-vbs.admin.ch Fremdes macht vielen Leuten Angst. Grosse Diskussionen gabs deshalb um den Bau von Minaretten. Wir haben über 350 000 Muslime in der Schweiz. Wer hier lebt, untersteht unserer Rechtsordnung und unserer Verfassung – und die gewährt die Religionsfreiheit. Der Bau eines Minaretts ist also primär eine Frage des Baurechts. Wie das Erstellen einer Kirche übrigens auch. Junge Männer aus der ganzen Welt wollen der Kirche dienen. Und Gardist im Vatikan werden. Doch dieses Privileg bleibt jungen Schweizern vorbehalten. Sie müssen sich für mindestens zwei Jahre Dienst verpflichten. Weitab von daheim. «Meine Heimat ist die Schweiz, das will ich gar nicht ändern», sagt hingegen Samuel Schmid. Und doch könnte er sich vorstellen, seine Zelte anderswo aufzuschlagen. Ihn faszinieren die Kirschblüten in Japan, die Einsamkeit der Wüsten Afrikas, der raue Atlantik in Frankreich. «Und schliesslich leben auch in der Fremde Menschen. Menschen, die dort daheim sind», sagt der Bundesrat. «Menschen die machen, dass ich mich anderswo nicht so fremd fühle.» p