Materialien zu den Ausstellungstafeln Kunst und Strafrecht Prof. Dr
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Materialien zu den Ausstellungstafeln Kunst und Strafrecht Prof. Dr. Dr. Uwe Scheffler Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht, Kriminologie Kunst und Gewaltverherrlichung § 131 StGB Gewaltdarstellung (Auszug) (1) Wer Schriften (§ 11 Abs. 3)1, die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt, 1. verbreitet, 2. öffentlich ausstellt, anschlägt, vorführt oder sonst zugänglich macht, 3. einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überlässt oder zugänglich macht oder 4. herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält, anbietet, ankündigt, anpreist, einzuführen oder auszuführen unternimmt, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummern 1 bis 3 zu verwenden oder einem anderen eine solche Verwendung zu ermöglichen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. ______ 1 „Den Schriften stehen Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen in denjenigen Vorschriften gleich, die auf diesen Absatz verweisen.“ Abb.: http://www.amazon.de/dp/B00438Z7LW / Abb. aus Wilhelm Busch, Max und Moritz – Eine Bubengeschichte in sieben Streichen, Loewe Verlag 2002, S. 54 f. Das Cover des Albums „Butchered at Birth” von Cannibal Corpse als Motiv eines T-Shirts Wilhelm Busch: Max und Moritz – Eine Bubengeschichte in sieben Streichen (1865), Bilder aus „Letzter Streich“ „Butchered-at-Birth“-Fall Stand: Dezember 2013 Abb.: http://vincelocke.com/shop/butchered-at-birth-giclee-print/ Vince Locke (* 1966): Butchered at Birth (1991) „Cannibal Corpse“ ist eine US-amerikanische Death-Metal-Band. Die Gruppe wurde 1988 von Chris Barnes (Gesang), Jack Owen (Gitarre), Bob Rusay (Gitarre), Alex Webster (Bass) und Paul Mazurkiewicz (Schlagzeug) in Buffalo im US-Bundesstaat New York gegründet. In den 1990er Jahren übernahmen George „Corpsegrinder“ Fisher den Gesang sowie Pat O´Brien und Rob Barrett die Gitarren. Es gibt wohl kaum eine Band im Death Metal, die derart polarisiert. Was Death Metal ist, beschreibt Wikipedia so: „Death Metal ist ein Subgenre des Metal und gehört neben Black Metal und Thrash Metal zum Spektrum des Extreme Metal. Kennzeichnend sind martialische Melodien, die auf sehr tief gestimmten E-Gitarren und EBässen gespielt werden. Am Schlagzeug dominieren schnelle Rhythmusfiguren in Kombination mit einem häufigen Einsatz von Doublebass- und Blastbeat-Techniken. Der Gesang ist zumeist guttural gehalten und wird als ‚Growling‘ oder auch ‚Grunt‘ bezeichnet. Die Liedtexte vermitteln eine nihilistische Weltanschauung, oft kombiniert mit Resignation. Themen wie Tod, Krankheit, Krieg, Folter, Horror und gesellschaftliche Unzulänglichkeiten finden häufig Gebrauch. Gelegentlich werden auch philosophische Gebiete wie Misanthropie oder Satanismus besungen.“ Neben verschiedener Symbolik aus den Bereichen Esoterik und Okkultismus wird das Coverartwork oftmals von gemalten Zombies oder Totenköpfen geprägt; bei den Bandlogos und dem Schriftzug der Albumnamen herrschen verschnörkelte, oftmals rote Schriftarten vor, aus deren Buchstaben Blutspuren zu laufen scheinen. Abb.: http://allrocknews.com/contact-us/death-metal Luke Kegley (* 1990): Death Metal (2011) Von Anfang an setzte „Cannibal Corpse“, wie auch viele andere Death-Metal-Bands, auf Splatter- und Horrorthemen. Die Texte behandeln bis heute zumeist Themen, die auf entsprechenden Filmen und Comics, aber auch auf realen Ereignissen wie etwa Serienmorden beruhen. „Cannibal Corpse“ schildern in ihren Songs eine Vielzahl grausamer und brutaler Tötungsszenarien sowie groben Geschlechtsverkehr mit zuvor oder währenddessen gefolterten und qualvoll ums Leben gebrachten Opfern. Die Band treibt diese Elemente und auch die damit verbundene Provokation bis aufs Äußerste und hat sich allein dadurch einen Kultstatus geschaffen, der bis heute anhält. Auch das Coverartwork ihrer Alben, das fast ausschließlich von dem Zeichner Vince Locke stammt, wird von zumeist extremen, expliziten Gewalt- und Horrordarstellungen dominiert. Nur um die Cover, nicht um die Texte von „Cannibal Corpse“ soll es hier vertieft gehen. Zu den Texten sei dennoch angemerkt: Schon frühzeitig versuchten verschiedene US-Politiker, Musik und Konzerte der Band in den Vereinigten Staaten zu verbieten, die den „Charakter der Nation untergraben“ würden (Bob Dole, ehemaliger Präsidentschaftskandidat, im Mai 1995). In Australien und Neuseeland etwa waren „Cannibal Corpse“ lange Zeit komplett indiziert, selbst ihre Merchandising-Produkte waren davon betroffen. Für Deutschland wird in Szene-Magazinen sowie in Fan-Foren im Internet berichtet, „Cannibal Corpse“ sei über viele Jahre hinweg vor allem von Christa Jenal, einer streitbaren Gymnasiallehrerin für Englisch und Sozialkunde aus dem Saarland, befehdet worden. In der Tat erlangte Jenal ab den 1990er Jahren überregionale und internationale Aufmerksamkeit durch ihre Aktionen gegen Ge- 2 waltverherrlichung sowie Rechtsextremismus in der Musik. 1994 soll sie über das Szene-Magazin „Rock Hard" auf „Cannibal Corpse“ aufmerksam geworden sein. Sie habe sich die Tonträger der Band besorgt und sei besonders von der Bookletgestaltung und den Texten des schon 1991 (nur) wegen des Artworks nach dem (damaligen) Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (GjS) indizierten zweiten Albums der Band „Butchered at Birth" entsetzt gewesen. (Grund für diese lediglich eingeschränkte Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften [heute: Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien] dürfte gewesen sein, dass das „Growling“ von Chris Barnes, dem damaligen Sänger von „Cannibal Corpse“, beim bloßen Hören 1 praktisch unverständlich ist. Auf der Albumhülle oder im Booklet waren die Liedtexte nicht abgedruckt , auch im Internet gab es damals noch keine Texte nachzulesen.) Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien ist eine deutsche Bundesoberbehörde mit Sitz in Bonn, die dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nachgeordnet. Sie dient dem medialen Jugendschutz. Sie wurde in der Nachfolge der 1926 eingeführten Prüfstellen für Schund- und Schmutzschriften 2 am 19. Mai 1954 unter dem Namen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften auf Grundlage des am 9. Juni 1953 verabschiedeten Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (ab 1997: ... und Medieninhalte [GjSM] 3) gebildet. Seit dem 1. April 2003 steckt nunmehr das Jugendschutzgesetz ihren Tätigkeitsbereich ab, dessen inhaltlichen Abweichungen in vielen Punkten nur gering sind. Die Hauptaufgabe der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien liegt (auf Antrag bestimmter Jugendbehörden, namentlich der Jugendämter, oder auf Anregung insbesondere eines anerkannten Trägers der freien Jugendhilfe 4) in der Prüfung, ob eine Schrift, ein Film, ein Computerspiel oder ein anderes Medium jugendgefährdende Inhalte hat und deshalb in die Liste jugendgefährdender Medien aufzunehmen ist („Indizierung“). In den frühen Tätigkeitsjahren der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften waren die Mehrzahl der indizierten Schriften („... die geeignet sind, Kinder oder Jugendliche sittlich zu gefährden“ [§ 1 Abs. 1 Satz 1 GjS]) Comics, meistens wegen der bildlichen Darstellung von Gewalt. Als erstes Heft wurde am 9. Juli 1954 aus der Reihe „Der kleine Sheriff“, einer ursprünglich italienischen Western-Comicserie („Il piccolo sceriffo“), das Heft Nr. 12 „Verwegene Jagd", 1954 beim Mondial Verlag erschienen, indiziert 5 – 36 Seiten stark in Schwarzweiß mit einem farbigen Titelblatt, ganze 30 Pfennige teuer. Abb.: http://wildwester.wi.ohost.de/dwb/comics/mondial/mo-kleinesheriff-012.jpg 1 Allerdings sind schon die abgedruckten Titel der einzelnen Stücke des Albums recht aussagekräftig: Meat Hook Sodomy / Gutted / Living Dissection / Under the Rotten Flesh / Covered with Sores / Vomit the Soul / Butchered at Birth / Rancid Amputation / Inwards Decay. Abb.: http://www.discogs.com/viewimages?release=496396 2 Durch § 2 des Gesetzes zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften vom 18.12.1926 (RGBl. I, 505; außer Kraft getreten am 31.3.1935). 3 Gesetz vom 22.7.1997 (BGBl. I, 1869). 4 § 21 JuSchG Verfahren (Auszug) (1) Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien wird in der Regel auf Antrag tätig. (2) Antragsberechtigt sind das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die obersten Landesjugendbehörden, die zentrale Aufsichtsstelle der Länder für den Jugendmedienschutz, die Landesjugendämter, die Jugendämter ... (4) Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien wird von Amts wegen tätig, wenn eine in Absatz 2 nicht genannte Behörde oder ein anerkannter Träger der freien Jugendhilfe dies anregt und die oder der Vorsitzende der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien die Durchführung des Verfahrens im Interesse des Jugendschutzes für geboten hält. 5 BAnz. Nr. 132 vom 14.7.1954. 3 Stein des Anstoßes war der im Heft dargestellte „Mordversuch durch Erwürgen“ eines Verbrechers an seiner Geliebten, der sich über mehrere Seiten erstreckte, bevor der strahlende Held der Serie, der „kleine Sheriff“, sie rettete. Die Bundesprüfstelle befand, dass „die fortgesetzte Lektüre derartiger Darstellungen auf Kinder und Jugendliche verrohend wirken" müsse. Abb.: http://www.chip.de/bildergalerie/USK-BPjM-So-arbeitet-der-deutsche-Jugendschutz-wirklich-Galerie_43994493.html?show=10 Nach dem heute geltenden § 18 Abs. 1 Satz 1 JuSchG sind in die Liste jugendgefährdender Medien diejenigen Medien, „die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden“, aufzunehmen. Ausdrücklich werden in Satz 2 der Vorschrift „unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizende Medien sowie Medien, in denen ... Gewalthandlungen wie Mord- und Metzelszenen selbstzweckhaft und detailliert dargestellt werden oder ... Selbstjustiz als einzig bewährtes Mittel zur Durchsetzung der vermeintlichen Gerechtigkeit nahe gelegt wird“, genannt. Ist ein Trägermedium 6 in die Liste aufgenommen, darf es gemäß § 15 Abs. 1 JuSchG in keiner Weise mehr „einem 7 Kind oder einer jugendlichen Person ... zugänglich gemacht werden“ . Ein Verstoß hiergegen stellt eine Straftat dar und kann mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft werden (§ 27 JuSchG 8). Anders als sein Vorgänger unterscheidet das Jugendschutzgesetz seit 2003 mehrere Teilen der Liste; relevant ist hier 6 Trägermedien im Sinne des JuSchG sind „Medien mit Texten, Bildern oder Tönen auf gegenständlichen Trägern, die zur Weitergabe geeignet, zur unmittelbaren Wahrnehmung bestimmt oder in einem Vorführ- oder Spielgerät eingebaut sind“ (§ 1 Abs. 2 Satz 1 JuSchG). Den Gegenbegriff bilden die Telemedien (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 1 JuSchG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz1 TMG), die weitgehend dem Landesrecht unterliegen (§ 16 JuSchG). 7 § 15 JuSchG Jugendgefährdende Trägermedien (Auszug) (1) Trägermedien, deren Aufnahme in die Liste jugendgefährdender Medien nach § 24 Abs. 3 Satz 1 bekannt gemacht ist, dürfen nicht 1. einem Kind oder einer jugendlichen Person angeboten, überlassen oder sonst zugänglich gemacht werden, 2. an einem Ort, der Kindern oder Jugendlichen zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, ausgestellt, angeschlagen, vorgeführt oder sonst zugänglich gemacht werden, 3. im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen, in Kiosken oder anderen Verkaufsstellen, die Kunden nicht zu betreten pflegen, im Versandhandel oder in gewerblichen Leihbüchereien oder Lesezirkeln einer anderen Person angeboten oder überlassen werden, 4. im Wege gewerblicher Vermietung oder vergleichbarer gewerblicher Gewährung des Gebrauchs, ausgenommen in Ladengeschäften, die Kindern und Jugendlichen nicht zugänglich sind und von ihnen nicht eingesehen werden können, einer anderen Person angeboten oder überlassen werden, 5. im Wege des Versandhandels eingeführt werden, 6. öffentlich an einem Ort, der Kindern oder Jugendlichen zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, oder durch Verbreiten von Träger- oder Telemedien außerhalb des Geschäftsverkehrs mit dem einschlägigen Handel angeboten, angekündigt oder angepriesen werden, 7. hergestellt, bezogen, geliefert, vorrätig gehalten oder eingeführt werden, um sie oder aus ihnen gewonnene Stücke im Sinne der Nummern 1 bis 6 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen. (3) Den Beschränkungen des Absatzes 1 unterliegen auch, ohne dass es einer Aufnahme in die Liste und einer Bekanntmachung bedarf, Trägermedien, die mit einem Trägermedium, dessen Aufnahme in die Liste bekannt gemacht ist, ganz oder im Wesentlichen inhaltsgleich sind. 8 § 27 JuSchG Strafvorschriften (Auszug) (1) Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer 1. entgegen § 15 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 oder 6, jeweils auch in Verbindung mit Abs. 2, ein Trägermedium anbietet, überlässt, zugänglich macht, ausstellt, anschlägt, vorführt, einführt, ankündigt oder anpreist, 2. entgegen § 15 Abs. 1 Nr. 7, auch in Verbindung mit Abs. 2, ein Trägermedium herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält oder einführt ... (3) Wird die Tat in den Fällen 1. des Absatzes 1 Nr. 1 oder 2. des Absatzes 1 Nr. 3, 4 oder 5 fahrlässig begangen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu hundertachtzig Tagessätzen. (4) Absatz 1 Nr. 1 und 2 und Absatz 3 Nr. 1 sind nicht anzuwenden, wenn eine personensorgeberechtigte Person das Medium einem Kind oder einer jugendlichen Person anbietet, überlässt oder zugänglich macht. Dies gilt nicht, wenn die personensorgeberechtigte Person durch das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen ihre Erziehungspflicht gröblich verletzt. 4 9 Teil B , in den Trägermedien aufzunehmen sind, „die nach Einschätzung der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien einen in § 86, § 130, § 130a, § 131, § 184a, § 184b oder § 184c des Strafgesetzbuches bezeichneten Inhalt haben“ (§ 18 Abs. 2 Nr. 2 JuSchG) und demzufolge einem absolutem Verbreitungsverbot – also auch gegenüber Erwachsenen – unterliegen sollten. Eine solche Aufnahme in die Liste B muss gemäß § 24 Abs. 4 JuSchG der Staats10 anwaltschaft mitgeteilt werden , hat aber selbst noch keine rechtlichen Konsequenzen. Die Staatsanwaltschaft hat lediglich – wie auf jede Strafanzeige eines Bürgers auch – zu prüfen, ob gleichfalls ihrer Auffassung nach ein strafrechtlich relevanter Sachverhalt vorliegt. Es war, so heißt es, auf Jenals Initiative zurückzuführen 11, dass am 3. März 1994 die Verbreitung des Albums „Butchered at Birth“ auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart wegen Gewaltverherrlichung (Verstoß gegen § 131 12 13 Abs. 1 und § 184 Abs. 3 StGB [a.F.] ) vollständig – also auch gegenüber Erwachsenen – verboten wurde , und sämtliche Tonträ14 ger der bundesweiten Beschlagnahme (§ 74d Abs. 3 StGB, §§ 111b Abs. 1, 111m, 111n StPO) unterlagen. Das Amtsgericht Stuttgart führte dazu aus: Die auf diesen Tonträgern aufgezeichneten, die Musikstücke begleitenden, von Mitgliedern der Rockgruppe „Cannibal Corpse“ in englischer bzw. amerikanischer Sprache gesungenen Texte schildern eine Vielzahl brutaler und grausamer Tötungsszenen. Durch die dargestellten Gewalt- und Tötungshandlungen wird versucht, die Anziehungskraft des Hörers auf Musik und Text zu gewinnen. Die Textbeiträge leben ausschließlich von brutalen, grausamen und geschmacklosen Szenen. Die Darstellung exzessiver Gewalt und Grausamkeit wird zum Selbstzweck erhoben. Darüber hinaus enthalten einzelne Liedertexte in grober und aufreißerischer Wiedergabe des sexuellen Vorgangs den Geschlechtsverkehr zwischen männlichen und weiblichen Personen, insbesondere mit den währenddessen oder danach gefolterten, erschlagenen oder sonst grausam zu Tode gebrachten Opfern. Daher stellen die Tonträger „Butchered at Birth“ der Rockgruppe „Cannibal Corpse“ inhaltlich weder eine Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte dar (§ 131 Abs. 2 StGB). Noch stellen die Textinhalte auf das kritische Bewußtsein des Zuhörers ab. Sie liefern auch keinen Denkanstoß hinsichtlich der Problematik der Ursachen von grausamer Gewalt, sondern sie verharren in der schwelgerischen Aneinanderreihung von grausamen Folter- und Mordszenen an lebenden Menschen, die einschließlich der sexuellen Szenenfolgen beim Zuhörer sadomasochistische Gefühle und Begierde wecken sollen. Entsprechende Strafverfahren gegen den Inhaber eines Schallplattengeschäftes, der das Album mit dem indizieren Booklet an einen Jugendlichen verkauft hatte, und gegen den Geschäftsführer des Musiklabels wurden gegen Zahlung einer Geldbuße von jeweils 1.000 DM nach § 153a StPO eingestellt. 1995 wurden auch die LPs „Eaten Back to Life" aus dem Jahre 1990 15 und „Tomb of the Mutilated" von 1992 16 sowie die EP „Ham17 18 mer Smashed Face" von 1993 indiziert , so dass alle bis dahin erschienenen Alben von „Cannibal Corpse“ nicht mehr frei erhältlich waren. In diesen Indizierungsentscheidungen wurde moniert, dass „Kannibalismus (besonders abstoßende Form: Frauen werden bei lebendigem Leib zerstückelt oder das Fleisch an Ort und Stelle verzehrt), Verstümmlung, der Verzehr von eigenen Eingeweiden, Zersägen von Köpfen lebender Menschen, verspritze Gehirne und grausame Folterszenen“ sowie die „Beschreibung verschiedener Tö19 tungsvorgänge, des Kannibalismus und der Leichenfledderei“ Gegenstand der Liedtexte seien . Die weiterhin gegen die Band aktive Jenal soll, so wird berichtet, in der Folge Konzerte von „Cannibal Corpse“ besucht und dabei bemerkt haben, dass einzelne Lieder der indizierten Platten nach wie vor live gespielt wurden. Sie habe sich nun bei Veranstaltern 20 für ein direktes Verbot der Lieder mit besonders drastischen Texten – „Hammer Smashed Face" , „Entails Ripped From A Virigin’s Cunt" und „Meat Hook Sodomy" – eingesetzt. Dieses Verbot wurde anfänglich von der Band umgangen, indem einfach auf die Ansagen der Lieder verzichtet wurde (weil sie außer den Fans keiner erkennt), wie Bassist Alex Webster in einem Interview ausplauderte. Jenal soll daraufhin Strafanzeige gegen Webster gestellt haben. Nun sind allerdings Live-Aufführungen gewaltverherrlichender Texte durch § 131 StGB nicht unter Strafe gestellt: Der 9 Die Teile C und D sind nichtöffentlich und betreffen insbesondere Telemedien (§ 18 Abs. 2 Nrn. 3 und 4 JuSchG). 10 § 24 Abs. 4 JuSchG Wird ein Medium in Teil B ... der Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen, so hat die oder der Vorsitzende dies der zuständigen Strafverfolgungsbehörde mitzuteilen. ... 11 Das Verfahren wurde allerdings durch die Anzeige einer Frau aus Weinstadt in Baden-Württemberg eingeleitet, derem 14jährigen Sohn das Album in einem Stuttgarter Schallplattengeschäft trotz der Indizierung verkauft worden war. Jedoch enthält die Stuttgarter Akte einen Hinweis darauf, dass der Durchsuchungsanordnung und der Beschlagnahmeverfügung zugleich „ein Ersuchen der Staatsanwaltschaft Saarbrücken“ zugrunde lag. Die hatte ihr paralleles Verfahren wegen Verbreitung gewaltverherrlichender Schriften (11 Js 2762194) an die StA Stuttgart wegen dessen örtlicher Zuständigkeit (Hauptsitz der Vertriebsfirma Intercord Record war Stuttgart) abgegeben. 12 § 184 Abs. 3 StGB in der damaligen Fassung untersagte die Verbreitung von „pornographischen Schriften ..., die Gewalttätigkeiten ... zum Gegenstand haben“ (heute: § 184a Alt. 1 StGB). 13 AG Stuttgart, Beschluss vom 3.3.1994 – 21 Js 58315/93 (unveröffentlicht; auszugsweise wiedergegeben bei zensur.org [http://www.censuriana.de/01themenSS200003musik.htm]). 14 Der Beschlagnahmebeschluss des AG Stuttgart vom 3.3.1994 ist inzwischen längst verjährt (s. dazu unten). 15 Die Titel des Albums lauten: Shredded Humans / Edible Autopsy / Put Them to Death / Mangled / Scattered Remains, Splattered Brain / Born in a Casket / Rotting Head / The Undead Will Feast / Bloody Chunks / A Skull Full of Maggots / Buried in the Backyard. 16 Die Titel des Albums lauten: Hammer Smashed Face / I Cum Blood / Addicted To Vaginal Skin / Split Wide Open / Necropedophile / The Cryptic Stench / Entrails Ripped From A Virgin's Cunt / Post Mortal Ejaculation / Beyond The Cemetary. 17 Die Titel der EP lauten: Hammer Smashed Face / The Exorcist / Zero the Hero / Meat Hook Sodomy / Shredded Humans. 18 BAnz. Nr. 164 vom 31.8.1995 (Eaten Back to Life); BAnz. Nr. 225 vom 30.11.1995 (Tomb of the Mutilated und Hammer Smashed Face). 19 Siehe dazu Fromm, BPjM-Aktuell 3/2007, S. 10 f. 20 Textprobe: „Mit jedem Schwung meines Hammers schlage ich deinen verdammten Kopf ein, bis das Gehirn raustropft. Durch die Ritzen tropft das Blut.“ 5 Tatbestand des Abs. 1 ist nicht erfüllt, weil Live-Singen bereits nicht unter „Schriften“ im Sinne von § 11 Abs. 3 StGB („Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen“) subsumiert werden kann 21. § 131 Abs. 2 StGB ist ebenfalls nicht verwirklicht: Er erfasst seinem Wortlaut nach keine gewaltverherrlichenden LiveDarbietungen außerhalb des Rundfunks und von Medien- oder Telediensten 22. Dass eine Ausweitung des Abs. 2 auf 23 Live-Aufführungen wegen Art. 103 Abs. 2 GG nicht möglich ist , mag zu bedenklichen Ungleichbehandlungen füh24 ren , ist aber – nullum crimen sine lege – hinzunehmen. Auch die damals in § 3 GjS (und heute in § 15 JuSchG) normierten strafbewehrten Verbreitungsverbote beziehen sich ausschließlich auf die indizierten Musikträger (LP, CD) und erfassen nicht die Darbietung in einem Konzert. Jenal hat sich außerdem, so heißt es, an verschiedene Konzertveranstalter gewandt und ein Auftrittsverbot für ein Konzert der 1995er Europatour von „Cannibal Corpse“ in Stuttgart sowie eine Freigabe erst ab 18 Jahren für die Auftrittsorte München und Essen erwirkt. Nach § 7 des seit 2003 geltenden Jugendschutzgesetzes kann angeordnet werden, dass Kindern und Jugendlichen die Anwesenheit bei einer öffentlichen Veranstaltung nicht gestattet werden darf, wenn von ihr eine Gefährdung für 25 deren körperliches, geistiges oder seelisches Wohl ausgeht . Bei Konzerten kann gemäß § 7 Satz 2 JuSchG auch eine Auflage im Sinne eines beschränkten Vorführverbots dergestalt rechtmäßig sein, dass Lieder von einer indizier26 ten CD nicht gespielt werden dürfen . Diese Anordnungen, regelmäßig im Zuständigkeitsbereich des Jugendamtes, richten sich an den Konzertveranstalter, nicht an die Band. Allerdings kann das Jugendamt als Ordnungsbehörde den einzelnen Bandmitgliedern per Ordnungsverfügung untersagen, bei einem Konzert bestimmte Lieder darzubieten bzw. Handlungen vorzunehmen, die werbend für das Lied wirken, und für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld androhen. Rechtsgrundlage hierfür sind die polizeiund ordnungsrechtlichen Generalklauseln der Länder 27, die die Ordnungsbehörden dazu ermächtigen, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um eine im einzelnen Fall bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung 28 abzuwenden . Jenal wurde mit dem Satz zitiert, sie werde „mit Sicherheit verhindern“ dass „Cannibal Corpse“ „mit dem Scheiß, den sie über die Jahre fabriziert haben“, eine Tournee „auf die Beine kriegen“ 29. In der Folgezeit verzichtete „Cannibal Corpse“ auf Verbotsumgehungen in jeglicher Form. Dennoch erreichte Jenal letztlich eher das Gegenteil ihres Ziels. In der Death-Metal-Szene wertete sie die Band auf, es kam zu Solidarisierungseffekten. Und dadurch, dass sie ihren langjährigen Konflikt mit der Band öffentlich, sogar in Fernsehauftritten führte, machte sie „Cannibal Corpse“ einem breiteren Publikum bekannt. Kurios: 1994 war „Cannibal Corpse“ in der US-amerikanischen Filmkomödie „Ace Ventura: Pet Detective“ mit Jim Carrey zu sehen. Laut ihrem Bassisten Alex Webster zeigte Jim Carrey Interesse an Death Metal, „als er einkaufen war und die ganzen Covers sah. 21 Eser/Hecker in Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 28. Aufl. 2010, § 11 Rn. 67. Fischer, Strafgesetzbuch, 60. Aufl. 2013, § 131 Rn. 14; Lenckner/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, § 131 Rn. 3. 23 Schäfer in Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Aufl. 2012, § 131 Rn. 44; Amang Alzakholi, § 131 StGB und seine Strafwürdigkeit unter Berücksichtigung des historischen Wandels der Öffentlichkeit nach Habermas, Grin-Verlag München 2008, S. 8. 24 Schäfer in Münchener Kommentar, StGB, § 131 Rn. 44; Lenckner/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, § 131 Rn. 3. 22 25 § 7 JuSchG Jugendgefährdende Veranstaltungen und Betriebe Geht von einer öffentlichen Veranstaltung oder einem Gewerbebetrieb eine Gefährdung für das körperliche, geistige oder seelische Wohl von Kindern oder Jugendlichen aus, so kann die zuständige Behörde anordnen, dass der Veranstalter oder Gewerbetreibende Kindern und Jugendlichen die Anwesenheit nicht gestatten darf. Die Anordnung kann Altersbegrenzungen, Zeitbegrenzungen oder andere Auflagen enthalten, wenn dadurch die Gefährdung ausgeschlossen oder wesentlich gemindert wird. § 28 JuSchG Bußgeldvorschriften (Auszug) (1) Ordnungswidrig handelt, wer als Veranstalter oder Gewerbetreibender vorsätzlich oder fahrlässig 9. einer vollziehbaren Anordnung nach § 7 Satz 1 zuwiderhandelt ... 26 VG Lüneburg, Urteil vom 12.2.2008 – 3 A 23/07 (bei juris); VG München, Urteil vom 27.5.2008 – M 16 K 07.4344 (bei juris); Liesching/Schuster, Jugendschutzrecht, 5. Aufl. 2011, § 7 JuSchG Rn. 13. 27 Siehe beispielhaft § 13 Abs. 1 OBG Bbg sowie § 14 Abs. 1 OBG NRW: „Die Ordnungsbehörden können die notwendigen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung (Gefahr) abzuwehren.“ 28 Das VG Gelsenkirchen, Urteil vom 29.2.2012 – 7 K 943/10 (bei juris) hat für einen vergleichbaren Fall – es ging um die deutsche Rockband „Rammstein“ und deren Lied „Ich tu Dir weh“ – ausgeführt: Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit i.S.d. § 14 Abs. 1 OBG NRW [Generalklausel] lag vor. Es stand zu besorgen, dass durch die Darbietung des indizierten Songs „Ich tu Dir weh" ... der gebotene Schutz der Jugend missachtet würde. ... Dass die Beklagte auf dieser Grundlage eine Handlungspflicht zu Gunsten des präventiven Jugendschutzes angenommen hat, ist nicht rechtsfehlerhaft. Das ihr durch § 14 Abs. 1 OBG eingeräumte Entschließungsermessen war auf Null reduziert. Denn es wäre wenig einleuchtend, (so: VG München, Urteil vom 27. Mai 2008 – M 16 K 07.4344 –, juris Rdnr. 48), und mit dem verfassungsrechtlich gebotenen Schutz der Jugend vor Gewalt in jedweder Form nicht zu vereinbaren, wenn Jugendliche mit den indizierten Tonträgern nicht in Kontakt geraten, ein entsprechendes Konzert jedoch ungehindert besuchen dürften. Dies gilt nach Auffassung der Kammer auch unter Berücksichtigung der dauerhaften Nutzungsmöglichkeiten von Tonträgern einerseits und einem einmaligen Konzerterlebnis andererseits. Der konzertmäßigen Livedarbietung eines jugendgefährdenden Textes kommt erhebliche Werbewirkung zu. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Liedtext in einer Konzerthalle nicht auf allen Plätzen akustisch im Einzelnen zu verstehen ist. Der Jugendschutz stellt nicht auf die Zahl betroffener Jugendlicher ab. Im Übrigen regt die originäre Aufführung eines Songs verstärkt zum Zuhören, zum späteren Kauf der CD und zum Mitsingen des Textes in der Gemeinschaft der Konzertbesucher an. [Das von der Beklagten in der Verfügung ausgesprochene Verbot], das bezeichnete Lied darzubieten ..., [war] verhältnismäßig. ... Mit dem ... ausgesprochenen Verbot war ... allein die Darbietung eines von mehreren Liedern ausgeschlossen, während das Konzert im Übrigen planmäßig und für alle im Publikum aufgeführt werden durfte. ... die Kunstfreiheit des Klägers und seiner Gruppe ... muss ... wegen des überragend wichtigen Jugendschutzes zurückstehen. 29 Zit. nach zensur.org (http://www.zensur.org/01themenSS200003musik.htm). 6 Und er hörte sich unsere Musik an und wollte uns für den Film haben.“ 30 „Cannibal Corpse“ spielte dort ihren später in Deutschland indizierten Song „Hammer Smashed Face“. Abb.: http://www.mrk.cz/diskuse.php?id=619101&page=295&action=pics Auch der Soundtrack zu dem Film aus dem gleichen Jahr, in Deutschland frei erhältlich, enthält den Titel „Hammer Smashed Face“. Abb.: http://www.discogs.com/viewimages?release=2334651 (Markierung von hier) Außerdem bekam „Ace Ventura – Ein tierischer Detektiv“ in Deutschland von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) eine – bis heute unveränderte – Altersfreigabe „ab zwölf Jahren“ 31. 30 vampster vom 8.11.1999 (http://vampster.com/artikel/show/657_CANNIBAL-CORPSE-Interview-mit-Alex-Webster,-November -1999_Interview_.html). 31 Siehe heute dazu § 14 JuSchG (bis 31.3.2003 ähnlich § 7 Abs. 2 und 3 JÖSchG, nach dem allerdings zur Freigabe ausschließlich die Obersten Landesbehörden zuständig waren, die sich aber der Ausschüsse der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft als gutachterliche Stelle bedienten und regelmäßig deren Voten als eigene Entscheidung übernahmen): § 14 JuSchG Kennzeichnung von Filmen und Film- und Spielprogrammen (Auszug) (1) Filme sowie Film- und Spielprogramme, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, dürfen nicht für ihre Altersstufe freigegeben werden. (2) Die oberste Landesbehörde oder eine Organisation der freiwilligen Selbstkontrolle im Rahmen des Verfahrens nach Absatz 6 kennzeichnet die Filme und die Film- und Spielprogramme mit 1. „Freigegeben ohne Altersbeschränkung", 2. „Freigegeben ab sechs Jahren", 3. „Freigegeben ab zwölf Jahren", 4. „Freigegeben ab sechzehn Jahren", 5. „Keine Jugendfreigabe". (6) Die obersten Landesbehörden können ein gemeinsames Verfahren für die Freigabe und Kennzeichnung der Filme sowie Film- und Spielprogramme auf der Grundlage der Ergebnisse der Prüfung durch von Verbänden der Wirtschaft getragene oder unterstützte Organisationen freiwilliger Selbstkontrolle vereinbaren. Im Rahmen dieser Vereinbarung kann bestimmt werden, dass die Freigaben und Kennzeichnungen durch eine Organisation der freiwilligen Selbstkontrolle Freigaben und Kennzeichnungen der obersten Landesbehörden aller Länder sind, soweit nicht eine oberste Landesbehörde für ihren Bereich eine abweichende Entscheidung trifft. 7 Abb.: http://iload.am/de/thread/103394--MULTI--Ace-Ventura-Ein-tierischer-Detektiv-1994-German-720p-BluRay-x264-DETAiLS/ Ace Ventura – Ein tierischer Detektiv / Ace Ventura – Jetzt wird‘s wild (Blu-ray, erschienen am 6. September 2013) Ende 2002 erschien in Deutschland eine Neuauflage des Albums „Butchered at Birth“, das 2003 wiederum indiziert wurde, diesmal insgesamt, nicht nur wegen des Covers 32. Nunmehr wurde das Album sogar in den neu geschaffenen Teil B der Liste jugendgefährdender Medien eingetragen, hatte also „nach Einschätzung“ der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien sogar einen strafrechtlich relevanten Inhalt. Auch die 2003 erschienene EP „Worm Infested“ wurde 2005 aufgrund der Texte indiziert33. Am 4. August 2007 spielten „Cannibal Corpse“ auf dem „Wacken Open Air“ in Schleswig-Holstein, einem der größten Heavy-MetalFestivals der Welt und (neben „Rock am Ring“ in der Eifel) dem größten jährlich stattfindenden 3-Tage-Open-Air-Festival Deutschlands (auf dem die Band auch schon 1999, 2002 und 2004 aufgetreten war). Abb.: http://www.alternative-zine.com/index/en/606 (Markierung von hier) Zu Beginn erklärte ihr aktueller Sänger, George „Corpsegrinder“ Fisher, „Cannibal Corpse“ könnten nun erstmals jeden Song von jedem ihrer Alben frei in Deutschland vortragen. Die Band spielte dann auch von den ersten drei Alben, die indiziert worden waren, „I Cum Blood“, „Covered with Sores“, „Born in a Casket“, „Vomit the Soul“ und „Hammer Smashed Face“. Abb.: http://www.wacken.com/woa2008/main-specials/woa-tagebuch-2007/bands01/cannibalcorpse/ Aus der Bildunterschrift auf der „Tagebuch“-Seite des Wacken Open Festivals: „Die angeblich härteste, brutalste und aggressivste Band des Planeten spielte als letzte Band auf der Black Stage. Nun, es wurden sowohl rasante Sauereien kredenzt als auch blutrünstige Lyrics gespuckt und gegrunzt.“ 32 33 BAnz. Nr. 243 vom 31.12.2003. BAnz. Nr. 20 vom 29.1.2005. 8 „Born in a Casket“ und „Hammer Smashed Face“ sind auf der 2008 erschienen Doppel-DVD „Live at Wacken 2007“ enthalten, die auch wieder als von der „FSK ab 12 freigegeben“ gekennzeichnet wurde und demzufolge frei erhältlich ist. Abb.: http://www.rossmannversand.de/produkt/243678/dvd-wacken-2007-live-at-wacken-open-air.aspx Wer geglaubt hatte, damit sei Ruhe um die Musik und die Texte von „Cannibal Corpse“ eingetreten, irrte. Die letzten beiden Alben von „Cannibal Corpse“ wurden wegen ihrer Texte von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien wieder auf den Index gesetzt: „Evisceration Plague“ von 2009 im April 2010 34 (die Lieder „A Cauldron of Hate“, „Beheading and Burning“, „Evidence in the Furnace“, „Evisceration Plaque“, „Unnatural und Skewered from Ear to Eye“ wurden als gewaltverherrlichend, „Priests of Sodom“ als 35 pornographisch bewertet) und „Torture“ vom März 2012 Ende Dezember 2012 (beide Alben wiederum sogar in Teil B der Liste jugendgefährdender Medien) ... Zurück zu den Cover: Vincent (Vince) Locke (* 1966 in Detroit), der praktisch das gesamte Coverartwork der Alben von „Cannibal Corpse“ geschaffen hat, ist ein amerikanischer Comiczeichner aus Michigan. Er begann 1986 „Deadworld“ zu illustrieren, ein Zombie-Horror-Comic, der alsbald ein Untergrund-Hit wurde. Schon damals, gerade 20-jährig, hatte er den Stil entwickelt, der später sein Artwork für „Cannibal Corpse“ bestimmen sollte. Abb.: http://www.comicrelated.com/gallery/deadworld.html / Motive: Vince Locke Deadworld 1/1986 Eye of the Zombie Deadworld 2/1986 Born to be Wii-ii-i-ild Auch soweit Locke gelegentlich Cover für andere Death-Metal-Bands entworfen hat, ähneln sie seinen Covern für „Cannibal Corpse”. 34 35 BAnz. Nr. 66 vom 30.4.2010. BAnz. Nr. 238 vom 31.12.2012. 9 Abb.: http://www.metal-archives.com/albums/Rademassaker/Satanic_Zombie_Hordes/45282 / Motiv: Vince Locke Abb.: http://www.metal-archives.com/albums/Ditchcreeper/Rotting_Repugnancy/251444 / Motiv: Vince Locke Abb.: http://www.metal-archives.com/albums/Coffins/In_Quarantine_with_Death/343742 / Motiv: Vince Locke Rademassaker: Satanic Zombie Hordes (2004) Ditchcreeper: Rotting Repugnancy (2009) Coffins: In Quarantine with Death (2012) Künstlerisch beeinflusst wurde Locke, wie er in einem Interview sagte36, nicht so sehr, wie man eigentlich vermuten sollte, von den Zeichnungen in „Tales from the Crypt“ oder „The Vault of Horror“, den klassischen Horror-Comics aus den frühen 1950er Jahren, der Zeit vor der Selbstzensur der amerikanischen Comic-Verleger durch den Comic Code („I didn’t see a lot of horror comics in the late ‘60s and ‘70s“). Abb.: http://cryptofwrestling.tumblr.com/post/12127938030/the-vault-of-horror-40-1955-last-issue / Motiv: Johny Craig Abb.: http://comicsbookstories.blogspot.de/2010/10/tales-from-crypt-apr-may1950-feb.html / Motiv: Jack Davis Die letzten Ausgaben von Tales from the Crypt und The Vault of Horror (Nr. 40 von Januar 1955 bzw. Nr. 46 von März 1955) Vielmehr prägte ihn Andrew Wyeth, neben Edward Hopper und Grant Wood einer der großen Realisten der American Scene („I loved his watercolors and how a lot of his paintings were very sketchy and loose and parts of it were real tight“). Abb.: MoMA, http://www.moma.org/collection/object.php?object_id=78455 Andrew Wyeth (* 1917; † 2009): Christina's World (1948). New York, Museum of Modern Art Locke erlangte seine Berühmtheit durch die Schaffung der extrem gewaltdarstellenden Aquarelle, die seit 1990 als Cover der Alben von „Cannibal Corpse“ verwendet werden. Chris Barnes, damals Sänger von „Cannibal Corpse“, hatte ihn angesprochen, ob er sich nicht einmal an einem Plattencover versuchen wollte, weil er Lockes Arbeiten in „Deadworld“ kannte und mochte. Das (xerokopierte) Cover für eine Demo-MusiCassette von 1989 hatte Barnes zuvor noch selbst entworfen; ihm war vermutlich klar, dass besonders das Debütalbum einer Band einen Blickfang haben muss, mehr als nur einen wilden Schriftzug. 36 About.com vom 25.9.2009 (http://heavymetal.about.com/od/interviews/a/vincentlockeinterview.htm). 10 Abb.: http://metalyrockengrandeza.blogspot.de/2013/08/cannibal-corpse.html / Motiv: Chris Barnes, Demo-Album Cannibal Corpse, 1989 Locke stimmte zu; weit über zwanzig Jahre sollte es bei dieser Zusammenarbeit zwischen Zeichner und Band bleiben. Die meiste Aufmerksamkeit, die größte Erregung rief schon das Cover von Locke für das 1991er Album „Butchered at Birth“, das zweite Studioalbum von „Cannibal Corpse“, hervor. „Geschlachtet bei der Geburt“ – diesen äußerst drastischen Albumnamen setzte Locke auf dem Cover explizit um: Zwei Zombies skelettieren eine Frau und ziehen ihr einen blutigen Fötus aus dem Leib. Locke hat 2009 in einem Interview der Website „About.com“ beschrieben, wie das von ihm gemalte Bild unter direkter Regie der Band entstanden ist 37: Mit Butchered at Birth haben sie mir eine komplette Beschreibung dessen gegeben, was sie wollten. Ich weiß noch, dass ich einen Entwurf gemacht habe, den sie zurückgewiesen haben, oder zumindest haben sie Anmerkungen gemacht und mir gesagt, sie wollten einiges Zeug geändert haben. Ich glaube, das Original war eine Frau mit einem aufgeschlitzten Rumpf und einem Fötus, der aus ihrem Brustkorb heraushing. Sie kamen zurück und wollten die Frau auf dem Tisch zusammen mit Zombie-Schlachtern – ich hab es also daher. Ich habe einen Entwurf davon gemacht und sie haben ihn sehr gemocht. Schon im Oktober 1991 wurden in Deutschland sowohl CD-Cover als auch Schallplatteninnenhülle 38 des Albums „Butchered at Birth“, das erst am 1. Juli 1991 erschienen war, wegen des Artworks, wie oben erwähnt, in der Liste jugendgefährdender Schriften indiziert 39: Beides durfte nach dem damals gültigen Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften nunmehr bei Strafandrohung in keiner Weise mehr einem Kind oder Jugendlichen zugänglich gemacht werden 40. 37 38 About.com vom 25.9.2009 (http://heavymetal.about.com/od/interviews/a/vincentlockeinterview.htm) – Übersetzung von hier. Die eigentliche Schallplatten(außen)hülle war einer britischen Version entsprechend neutral in Rot mit weißer Schrift. Abb.: http://bimg2.mlstatic.com/lp-cannibal-corpse-butchered-at-birth-importado-dying-fetus_MLB-F-2857659246_062012.jpg 39 BAnz. Nr. 204 vom 31.10.1991 (Entscheidungen Nr. 4213 [Schallplatteninnenhülle] und Nr. 4214 [CD-Cover]). 40 Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften (und Medieninhalte) (in Kraft bis zum 31.3.2003 – Auszug) § 1 GjS Aufnahme von Schriften in eine Liste (1) Schriften, die geeignet sind, Kinder oder Jugendliche sittlich zu gefährden, sind in eine Liste aufzunehmen. Dazu zählen vor allem unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizende sowie den Krieg verherrlichende Schriften. Die Aufnahme ist bekanntzumachen. (2) Eine Schrift darf nicht in die Liste aufgenommen werden 1. allein wegen eines politischen, sozialen, religiösen oder weltanschaulichen Inhalts; 2. wenn sie der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre dient; 3. wenn sie im öffentlichen Interesse liegt, es sei denn, dass die Art der Darstellung zu beanstanden ist. (3) Den Schriften stehen Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen gleich. ... § 3 GjS Verbreitungsverbote (1) Eine Schrift, deren Aufnahme in die Liste bekanntgemacht ist, darf nicht 1. einem Kind oder Jugendlichen angeboten, überlassen oder zugänglich gemacht werden ... § 21 GjS Straftaten (1) Wer eine Schrift, deren Aufnahme in die Liste bekanntgemacht ist ..., 1. entgegen § 3 Abs. 1 Nr. 1 einem Kind oder Jugendlichen anbietet, überlässt oder zugänglich macht, ... wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. ... Seit dem 1.4.2003 finden sich ähnliche Vorschriften im Jugendschutzgesetz, und zwar in §§ 18, 15, 27 JuSchG (siehe dazu schon oben). 11 Abb.: http://pt.wikipedia.org/wiki/Butchered_at_Birth / Motiv: Vince Locke, Butchered at Birth (1991) In den – nahezu wortlautgleichen – Begründungen der Indizierungsentscheidungen führte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften aus: Die Darstellung auf dem Cover zur CD ist so konzipiert, daß sie die Würde des Menschen verletzt. Die Würde des Menschen ist getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt degradiert wird, das beliebig mißhandelt, gefoltert, geschlagen und getötet werden kann. ... ... auf dem Cover zur CD [sind] menschenähnliche Gestalten abgebildet, die dabei sind, eine vor ihnen liegende Gebärende zu skelettieren. Hinter diesen Gestalten befinden sich mehrere Babys an einer Nabelschnur hängend, die grausamst entstellt sind. Durch eine solche Darstellung wird die Würde des Menschen extrem tangiert, da der Mensch hier zum Objekt degradiert wird, was beliebig abgeschlachtet werden kann. Diese Darstellungen können auf Kinder und Jugendliche schockierend wirken und werfen den Menschen auf eine unmenschliche Stufe seiner Entwicklung zurück. Einer Indizierung stünde auch nicht die Kunstfreiheit entgegen: Selbst wenn man dem Cover zur CD den Kunstvorbehalt des § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS41 zugute halten wollte, so ist hier bei der Abwägung dem Jugendschutz der Vorrang einzuräumen. Es handelt sich im wesentlichen um ein nach kommerziellen Gesichtspunkten ausgerichtetes Cover, das mit besonders ekelerregenden detailfreudigen Abbildungen eine umsatzsteigernde Wirkung erzielen will. Hierbei wird nicht verkannt, daß das Cover, unter Zugrundelegung eines breiten Kunstbegriffs, als ein Werk der Kunst einzustufen sein könnte. Die Kunstfreiheitsgarantie ist jedoch nicht schrankenlos gewährt, sondern durch das Grundgesetz selbst begrenzt. Es bedarf daher der Abwägung zwischen den widerstreitenden Verfassungsgütern der Kunstfreiheit, des Jugendschutzes und dem durch Artikel 1 Abs. 1 GG garantierten Schutz der Menschenwürde. Das Cover dient einzig und allein dazu, grausamste Brutalitäten darzustellen. Es ist dabei so konzipiert, daß die Achtung des Betrachters vor der körperlichen Integrität des Menschen und daß seine Vorstellungen von Menschlichkeit zutiefst verletzt werden. Auch in den USA wurde 1994 „Butchered at Birth“ nicht mit dem Originalcover vertrieben, sondern in einer „censored version“ mit dem Zusatz: „special uncensored offer inside“. Abb.: http://www.discogs.com/Cannibal-Corpse-Butchered-At-Birth/release/3442974 Für den deutschen Markt erschien 1994 ebenfalls eine entschärfte Version zwar mit der identischen Musik, aber mit neutralem Cover und ohne Innenhülle – 41 Seit 1.4.2003 § 18 Abs. 3 Nr. 2 JuSchG: „Ein Medium darf nicht in die Liste aufgenommen werden ... wenn es der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre dient ...“ 12 Abb.: http://www.musik-sammler.de/media/65735 Abb.: http://www.discogs.com/Cannibal-Corpse-Butchered-At-Birth/release/2538585 nur ein kurzes Intermezzo, wurde doch, wie oben näher ausgeführt, im gleichen Jahr das Album „Butchered at Birth“ (auch) wegen der Texte vom Amtsgericht Stuttgart beschlagnahmt 42; so dass die Alben unabhängig von Lockes Cover überhaupt nicht vertrieben werden durften. Die Rechtslage in Deutschland ist seitdem schwer durchschaubar: Die 1991 veröffentlichten Alben mit dem originalen Artwork von Locke sind noch heute indiziert, weil sie bislang nicht von der Bundesprüfstelle aus der Liste jugendgefährdender Schriften (heute: Medien) gestrichen wurden und die Aufnahme in diese Liste erst nach 25 Jahren – also 2016 – ihre Wirkung verliert (§ 18 Abs. 7 JuSchG) 43 – und selbst dann bleibt eine Folgeindizierung möglich. Dagegen dürfen sämtliche Fassungen inzwischen wieder an Erwachsene unter Beachtung der jugendschutzrechtlichen Beschränkungen in § 15 Abs. 1 JuSchG „unter dem Ladentisch“ verkauft werden, weil der weitergehende gerichtliche Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Stuttgart von 1994 zwar offenbar nie aufgehoben worden ist (vgl. § 111b Abs. 3 und § 111n Abs. 2, 3 StPO 44), jedoch gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB 45 nach drei Jahren, also seit 1997, verjährt ist. Das gilt auch für die um Bonus-Tracks ergänzte, mit dem alten (Front-)Cover von Locke versehene Neuauflage von „Butchered at Birth“ aus dem Jahre 2002. Abb.: http://www.discogs.com/Cannibal-Corpse-Butchered-At-Birth/release/3546459 Diese wurde von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien im Dezember 2003 wiederum indiziert 46, und zwar sogar in den gerade neugeschaffenen Teil B der Liste aufgenommen, was, wie schon erwähnt, bedeutet, dass die Bundesprüfstelle einschätzte, Artwork und/oder Texte würden einen nicht nur jugendgefährdenden, sondern sogar strafbaren Inhalt haben. Die daraus ersichtliche Auffassung der Bundesprüfstelle, das Album müsste deshalb einem absoluten Verbreitungsverbot, also auch gegenüber Erwachsenen, unterliegen und folglich beschlagnahmt werden, wurde offenbar von der Staatsanwaltschaft, der die Auf- 42 AG Stuttgart, Beschluss vom 3.3.1994 – 21 Js 58315/93 (unveröffentlicht; auszugsweise wiedergegeben bei zensur.org [http://www.censuriana.de/01themenSS200003musik.htm]). 43 § 18 Abs. 7 JuSchG Medien sind aus der Liste zu streichen, wenn die Voraussetzungen für eine Aufnahme nicht mehr vorliegen. Nach Ablauf von 25 Jahren verliert eine Aufnahme in die Liste ihre Wirkung. 44 Nach LG Duisburg, NStZ 1987, 367 dürfte ohnehin § 111n Abs. 2 StPO trotz seines Wortlautes keine Anwendung finden, weil bei Druckwerken dieser Art „die speziellen Belange der Presse im Bereich der Strafverfolgung“ nicht berührt seien. 45 § 78 Abs. 3 StGB Soweit die Verfolgung verjährt, beträgt die Verjährungsfrist 1. dreißig Jahre bei Taten, die mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht sind, 2. zwanzig Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als zehn Jahren bedroht sind, 3. zehn Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als fünf Jahren bis zu zehn Jahren bedroht sind, 4. fünf Jahre bei Taten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafen von mehr als einem Jahr bis zu fünf Jahren bedroht sind, 5. drei Jahre bei den übrigen Taten. 46 BAnz. Nr. 243 vom 31.12.2003. 13 nahme in Teil B der Liste jugendgefährdender Medien mitzuteilen ist 47, nicht geteilt. Denn sie stellte keinen Antrag auf neuerliche gerichtliche Beschlagnahme des Albums – somit gelten trotz der Eintragung in Teil B keine Besonderheiten. Allerdings ist die Neuauflage von „Butchered at Birth“ bis heute nicht in Teil A der Liste, in dem die „nur“ jugendgefährdenden Medien aufgeführt werden, umgeschrieben – im Hinblick auf den Stellenwert der Kunstfreiheit nicht unproblematisch: Es bleibt die Etikettierung, das Werk sei strafrechtlich relevant („Prangerwirkung“ 48): Die gesetzlich vorgesehene Veröffentlichung der getroffenen Einschätzung im Bundesanzeiger ist „zumindest geeignet ..., potentielle Vertreiber und interessierte mögliche Rezipienten des Mediums zu verunsichern“ 49. § 24 Abs. 4 Satz 2 JuSchG sieht eine „Rückstufung“ eines indizierten Mediums auf Teil A der Liste nur vor, wird „durch rechtskräftiges Urteil festgestellt, dass sein Inhalt den in Betracht kommenden Tatbestand des Strafgesetzbuches nicht verwirklicht“. Nicht geregelt ist der Fall, dass die Staatsanwaltschaft durch Beschluss nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO wegen fehlenden Tatverdachts aus Rechtsgründen das Verfahren einstellt oder das Gericht nach § 204 Abs. 1 StPO die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnt. Es ist auch möglich, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen erst gar nicht aufnimmt. Für diese Fälle wird eine analoge Anwendung des § 24 Abs. 4 Satz 2 JuSchG für möglich erachtet 50. Soweit diese Analogie allerdings auf „Fälle des Vorliegens einer staatsanwaltschaftlichen Bewertung der Nichtstrafbarkeit“ be51 schränkt wird, die gar „der Begründungspflicht eines (rechtskräftigen) Strafgerichtsurteils ... Rechnung trägt“ , greift dies zu kurz: Zur Abgabe einer solchen Bewertung gibt es für die Staatsanwaltschaft regelmäßig keine Veranlassung. Unter dem Blickwinkel der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG ist es aber nicht so ohne Weiteres hinnehmbar, die Indizierung eines Kunstwerkes, gegen welches einzuschreiten die Staatsanwaltschaft offensichtlich keine Veranlassung sieht, in Teil B der Liste mit dem Etikett „strafrechtlich relevanter Inhalt“ aufrechtzuerhalten. Das gilt trotz der unabhängigen Stellung der Bundesprüfstelle, die – übrigens kein Juristengremium, sondern gemäß § 19 Abs. 1 und 2 JuSchG52 „überwiegend mit Rechtslaien“ 53, mit Vertretern der „verschiedenen Gruppen unserer pluralistischen Gesellschaft“ 54 besetzt – besondere Sachkompetenz in Fragen des Jugendschutzes, aber nicht des Strafrechts erwarten lässt. Zumindest sollte deshalb in dieser Konstellation eine Analogie zu § 24 Abs. 4 Satz 3 JuSchG (wonach der Vorsitzende der Bundesprüfstelle eine erneute Entscheidung herbeizuführen hat, „wenn in Betracht kommt, dass das Medium aus der Liste zu streichen ist“) erwogen werden 55: Unter Würdigung dessen, dass aus staatsanwaltschaftlicher Sicht offenbar keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte einer Straftatenbegehung vorliegen, wäre zu überdenken, ob das Medium tatsächlich in Teil B (und nicht Teil A) der Liste gehört. Es war nicht das erste und blieb nicht das einzige Mal, dass eine Band mit einem solchen Covermotiv Irritationen auslöste: 1966 hatten sogar die „Beatles“ Probleme mit einer Art Vorläufer zum „Butchered at Birth“-Cover, nämlich ihrem „Butcher“-Cover, das heute wohl nicht mehr allzu sehr aufregen dürfte. Das Beatles-Album „Yesterday and Today“ von 1966 sollte ursprünglich das mittlerweile zu einem begehrten Sammlerstück avancierte „Butcher“-Cover erhalten 56. 47 § 24 Abs. 4 JuSchG Wird ein Medium in Teil B ... der Liste jugendgefährdender Medien aufgenommen, so hat die oder der Vorsitzende dies der zuständigen Strafverfolgungsbehörde mitzuteilen. ... 48 Erdemir, JMS-Report 3/2011, 66. VG Köln, JMS-Report 3/2011, 63 (65). 50 VG Köln, JMS-Report 3/2011, 63; Liesching/Schuster, § 24 JuSchG Rn. 22; Liesching in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 195. Erg.-Lfg. 2013, § 24 JuSchG Rn. 9; Erdemir, JMS-Report 3/2011, 66; anders Altenhain in Löffler, Presserecht, 5. Aufl. 2006, § 24 JuSchG Rn. 15. 51 Liesching/Schuster, § 24 JuSchG Rn. 22. 49 52 § 19 JuSchG Personelle Besetzung (Auszug) (1) Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien besteht aus einer oder einem von dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ernannten Vorsitzenden, je einer oder einem von jeder Landesregierung zu ernennenden Beisitzerin oder Beisitzer und weiteren von dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu ernennenden Beisitzerinnen oder Beisitzern. ... (2) Die von dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu ernennenden Beisitzerinnen und Beisitzer sind den Kreisen 1. der Kunst, 2. der Literatur, 3. des Buchhandels und der Verlegerschaft, 4. der Anbieter von Bildträgern und von Telemedien, 5. der Träger der freien Jugendhilfe, 6. der Träger der öffentlichen Jugendhilfe, 7. der Lehrerschaft und 8. der Kirchen, der jüdischen Kultusgemeinden und anderer Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, auf Vorschlag der genannten Gruppen zu entnehmen. 53 Liesching in Erbs/Kohlhaas, § 18 Rn. 31. So die Bundesprüfstelle jugendgefährdender Medien in ihrem Internetauftritt (http://www.bundespruefstelle.de/bpjm/ die-bundespruefstelle.html). 55 Erdemir, JMS-Report 3/2011, 66. 56 Siehe zum Folgenden Elisabeth Vock: The Beatles und das „Butcher"-Cover: Rohes Fleisch und Babypuppen, Suite101 vom 27.1.2012 (http://suite101.de/article/the-beatles-und-das-butcher-cover-rohes-fleisch-und-babypuppen-a130118). 54 14 Abb.: http://www.wordsintoapapercup.com/beatles/yesterday-and-today / Motiv: Robert Whitaker, The butcher photo session (1966) Der britische Fotograf Robert Whitaker (* 1939; † 2011), bekannt geworden vor allem mit seinen Bildern der Beatles, lichtete die Gruppe bei einem Fototermin im Frühjahr 1966 in New York in weißen Fleischhauer-Kitteln, mit rohem Fleisch und perforierten Puppenteilen auf dem Schoß ab. Abb.: http://fab4-thebeatles.blogspot.de/2013/05/marzec-sesja-rzeznicza.html Abb.: http://www.lastfm.de/music/The+Beatles/+images/5679835 Abb.: http://fab4-thebeatles.blogspot.de/2013/05/marzec-sesja-rzeznicza.html Robert Whitaker: The butcher photo session (1966) Keines der Bilder war eigentlich als Albumcover gedacht, die von den immer gleichen Foto-Sessions gelangweilte Band war allerdings begeistert. Besonders Paul McCartney soll darauf bestanden haben, eines der Bilder als „our comment on the war“ (in Vietnam) öffentlich zu machen. „Yesterday and Today“ sollte dann auch mit diesem Cover erscheinen, 750.000 Plattenhüllen waren bereits gedruckt, als erste Reaktionen von Radio-DJs, die Vorausexemplare erhalten hatten, bei „Capitol Records“, dem Musiklabel der Beatles, ein Umdenken auslösten. Man beschloss, ein anderes Cover zu verwenden und die bereits versendeten Exemplare wieder zurückzuholen. Der Präsident des Plattenlabels, Alan W. Livingstone, ließ schriftlich bitten, „if at all possible“, die Platten zu returnieren 57: Das originale Cover, wie es in England gemacht wurde, war als „Pop Art-Satire“ gedacht. Jedoch legte eine Stichprobenerhebung der öffentlichen Meinung in den Vereinigten Staaten nahe, dass das Coverdesign Gegenstand von Missverständnissen ist. Aus diesem Grund, und um jede mögliche Kontroverse oder unverdienten Schaden am Image oder am Ruf der Beatles zu vermeiden, hat Capitol entschieden, die LP zurückzuziehen und durch ein allgemein akzeptableres Design zu ersetzen Um Zeit und Kosten zu sparen, vernichtete „Capitol Records“ nicht, wie zunächst geplant, die zurückgeholten Cover, sondern überklebte sie mit einem neuen Motiv, dem sogenannten „Trunk“-Cover, das ebenfalls auf einem Foto von Robert Whitaker beruhte. 57 Das (englischsprachige) Schreiben vom 14.6.1966 ist als Faksimile wiedergegeben bei discogs (http://www.discogs.com/ viewimages?release=2739184). 15 Abb.: http://www.discogs.com/Beatles-Yesterday-And-Today/release/3410054 / Motiv: Robert Whitaker, The trunk photo session (1966) Viele Käufer des Albums versuchten, um das „Butcher“-Cover freizulegen, das neue Cover abzulösen, was (erst) dann, als entsprechende Tipps kursierten, auch weitgehend gelang. Noch heute ist das Cover begehrt. 2006 erzielte ein versiegeltes Exemplar der LP bei „Heritage Auctions“ in Dallas, Texas, einen Auktionspreis von rund 39.000 US-Dollar. 1993 hatte sodann die US-amerikanische Grunge-Band „Nirvana“ mit einem Cover mit (Plastik-)Föten Probleme. Es ging um die Rückseite des Covers des „Nirvana“-Albums „In Utero“, auf der diverse fötusartige Puppen sowie abgetrennte Plastikgliedmaße zwischen Lilien und Orchideen zu sehen sind. Abb.: Charles Peterson, http://de.juno.co.uk/products/in-utero/374949-01/ / Motiv: Kurt Cobain Es handelt sich dabei um ein rot gehaltenes Foto einer vom „Nirvana“-Frontmanns Kurt Cobain (* 1967; † 1994) gestalteten Assemblage, arrangiert auf einem Teppich in seinem Haus. Angefertigt hat es Charles Peterson (* 1964), ein Fotograf der Seattler Grunge-Szene. Einzelheiten lassen sich erst auf einem nicht verfremdeten Foto genauer erkennen. Abb.: Charles Peterson, http://www.feelnumb.com/2012/06/03/kurt-cobains-collage-used-for-the-back-cover-of-nirvana-in-utero/ / Motiv: Kurt Cobain Probleme gab es mit der Kaufhauskette Wal-Mart, einem den US-amerikanischen Markt in großen Teilen beherrschenden Einzelhandelskonzern. Wal-Mart hat seinen Firmensitz seit seiner Gründung 1962 in Betonville, Arkansas, also inmitten des Bible Belts der Südstaaten. Der Konzern versteht sich als „family store“ und lehnt es ab, in seinen Märkten Musikalben mit Liedtexten oder Covern sexuellen Inhalts sowie zu Themen wie Homosexualität, Abtreibung oder Satanismus zu vertreiben. 16 Als eines der ersten Alben war 1988 „Lovesexy“ von Prince wegen seines Covers von Wal-Mart verbannt worden. Abb.: http://rateyourmusic.com/board_message?message_id=4650942&find=4650942&x=m / Motiv: Jean-Baptiste Mondino Aufgrund der marktbeherrschenden Stellung des Konzerns (Wal-Mart ist der weltweit größte CD-Händler und in einigen ländlichen amerikanischen Regionen der einzige Ort, um Tonträger zu kaufen), sehen sich Plattenfirmen und Künstler oftmals gezwungen, dem Druck nachzugeben und ihre Alben anzupassen. So gab es für das 1996er Album „Mr. Happy Go Lucky“ des US-amerikanischen Rock- und Folksängers John (Cougar) Mellencamp ein alternatives Cover für Wal-Mart; eine Darstellung von Jesus und dem Teufel war dort entfernt worden. Abb.: http://www.zimbio.com/Wal-Mart/articles/7iv3GsuGwNs/Five+Wal+Mart+Music+Controversies Auch von „Nirvana“ forderte Wal-Mart eine veränderte Version des Albums. Die Band kam dem laut einer Sprecherin mit der Intention nach, „to make their music available to kids who don’t have the opportunity to go to mom-and-pop stores”. Und: „They feel 58 strongly enough to make some alterations” . So wurde auf „In Utero“ der Song „Rape Me“ sinnentleert in „Waif Me“ umbenannt, und der Song „All Apologies“ in einem Remix von anstößigen Textabschnitten befreit. Das rückseitige Foto Petersons von der Assemblage Cobains schließlich wurde retuschiert, so dass die Wal-Mart-Käufer nun u.a. anstatt Föten eine Schildkröte sehen. Abb.: http://prohibanesteblog.blogspot.de/2011/04/nirvana-modificada-por-wal-mart.html „Cannibal Corpse“ hatten zwar mit „Butchered at Birth“ die größten Querelen, doch bei praktisch keinem Cover ihrer regulären Studioalben sind Probleme wegen der von Locke gemalten Gewaltdarstellungen ausgeblieben – im Folgenden ein Überblick: 1995 wurden die Alben „Eaten Back to Life" von 1990 und „Tomb of the Mutilated" von 1992 nicht nur aufgrund der Texte indiziert, sondern auch wegen ihrer Cover von der Bundesprüfstelle als jugendgefährdend unter die Ladentische verbannt: 58 Entertainment weekly vom 8.4.1994 (http://www.ew.com/ew/article/0,,301746,00.html). 17 Das Cover von „Eaten Back to Life“, dem ersten Album der Band, zeigt im Mittelpunkt einen Zombie, der seine eigenen Innereien verspeist. Abb.: http://www.on-parole.com/shop/en/vinyl/1101-cannibal-corpse-eaten-back-to-life-lp.html / Motiv: Vince Locke, Eaten Back to Life (1990) Das Album wurde 1995 für den deutschen Verkauf in einer neutralen Version und ohne den Abdruck der Texte wiederveröffentlicht. Abb.: http://sleevage.com/cannibal-corpse-uncensored-covers Nun war zwar die Indizierung des Covers von „Eaten Back to Life“ als jugendgefährdend keinen grundsätzlichen materiellrechtlichen Problemen ausgesetzt. Der damals geltende § 1 Abs. 1 Satz 1 GjS nannte allgemein „Schriften, die geeignet sind, Kinder oder Jugendliche sittlich zu gefährden“. Satz 2 dieser Vorschrift präzisierte: „Dazu zählen vor allem unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizende sowie den Krieg verherrlichende Schriften.“ Nichts anderes gilt für den seit 2003 einschlägigen § 18 Abs. 1 JuSchG, der von Medien spricht, „die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu gefährden“, und erklärend „vor allem unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizende Medien“ nennt. Eine Beschlagnahme des Albums wegen Gewaltverherrlichung gemäß § 131 StGB (wie bei „Butchered at Birth“) wäre jedoch schon aus materiellrechtlichen Gründen nicht möglich gewesen. § 131 Abs. 1 sprach damals von Schriften, „die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt“. Das Cover von „Eaten Back to Life“ stellte jedoch keinen Menschen, sondern ein menschenähnliches Wesen, einen Zombie dar. Das Bundesverfassungsgericht hatte sich 1992 mit dem amerikanischen Horrorfilm „Tanz der Teufel“ von Sam Raimi zu befassen, in dem junge Leute zu Zombies wurden, die sich dann gegenseitig abschlachteten 59. Abb.: http://www.schnittberichte.com/schnittbericht.php?ID=1427 59 BVerfGE 87, 209. 18 Trotz der exzessiven Gewaltszenen verneinte das Bundesverfassungsgericht die Anwendbarkeit von § 131 StGB: Das Tatbestandsmerkmal „Mensch" ist schon deshalb hinreichend bestimmt, weil damit unmißverständlich an den biologischen Begriff des Menschen angeknüpft wird. Dagegen können darunter nicht ... der Phantasie entsprungene, menschenähnliche Wesen verstanden werden. Bereits der Wortsinn schließt eine solche Deutung aus. Wollte man den Begriff "Mensch" anders verstehen, verstieße das gegen das Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG (vgl. auch Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht, BT, 7. Aufl., 1991, Rdnr. 6; Lenckner, in: Schönke/Schröder, a.a.O., Rdnr. 9; Schroeder, JZ 1990, S. 858). Wenn der Gesetzgeber die filmische Darstellung von Gewalt gegen menschenähnliche Wesen (vor allem sogenannte Zombies) hätte unter Strafe stellen wollen, hätte er dies im Wortlaut der Vorschrift zum Ausdruck bringen müssen. Der Gesetzgeber hat dies Ende 2003 getan 60, indem er die Menschen um die „menschenähnliche Wesen“ ergänzte. Aber dennoch bliebe die Anwendbarkeit von § 131 StGB auf das Cover von „Eaten Back to Life“ auch heute noch fraglich: Die Gewalttätigkeiten müssen sich, so das Gesetz, „gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen“ richten. Fällt da aber auch der Zombie von „Eaten Back to Life“ darunter, der sich selbst verspeist? Wegen Totschlages gemäß § 212 StGB ist derjenige strafbar der „einen Menschen tötet“ – nach ganz herrschender Ansicht fallen Selbsttötungen bzw. entsprechende Versuche nicht darunter. Dementsprechend kann man in verschiedenen Kommentaren zu § 131 StGB auch ausdrücklich nachlesen, die Gewalttätigkeiten 61 müssten sich auf den Körper „eines anderen“ beziehen . Das dritte Album von „Cannibal Corpse“, „Tomb of the Mutilated“, zeigt auf dem Cover zwei Zombies, der männliche befriedigt den weiblichen, an einen Sarkophag gelehnten Zombie oral. Abb.: http://metal4everblackedition.blogger.ba/arhiva/2009/02/17/2062022 / Motiv: Vince Locke, Tomb of the Mutilated (1992) Offenbar war es die Band, die von Locke ein Cover in der Art der bisherigen mit einem weiblichen Zombie wollte. Der tat sich damit aber, wie er in einem Interview sagte, schwer und dachte sich deshalb dieses Motiv aus62: „I didn’t want my art to be perceived as glorifying hurting women. Not that I had trouble with the subject matter -- but I didn’t want anyone thinking that and I didn’t wanted to be labeled. So on the cover I tried to put the woman in power with her sitting up the way she was.“ Über die Indizierung als jugendgefährdend hinaus („unsittliche“ Schriften bzw. Medien gemäß § 1 Abs. 1 GjS bzw. § 18 Abs. 1 JuSchG) drohte diesem Album eine strafrechtliche Beschlagnahme, also ein Verbreitungsverbot auch gegenüber Erwachsenen, nicht: „Gewalttätigkeiten“ im Sinne von §§ 131 Abs. 1, 184a Alt. 1 StGB sind nicht abgebildet; auch § 184a Alt. 2 StGB („pornographische Schriften .., die ... sexuelle Handlungen von Menschen mit Tieren zum Gegenstand haben“), scheidet aus, schon weil Zombies nicht deshalb, weil sie nicht dem Menschenbegriff unterfallen, unter „Tiere“ subsumiert werden können. Für den deutschen Markt wurde 1995 eine alternative Fassung gewählt, die ein weniger drastisches Cover zeigt. Wiederum wurden die Texte nicht abgedruckt. Das neue Cover, schon 1992 alternativ in den USA und Großbritannien verwendet, zeigt einen Zombie mit einem Messer, der vor einer zugedeckten Frau steht. Auch diese Fassung wurde von Locke gezeichnet. 60 Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften (SexÄndG) vom 27.12.2003, BGBl. I, 3007. 61 Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch, 27. Aufl. 2011, § 131 Rn. 4; Rackow in Beck'scher Online-Kommentar StGB, 23. Erg.-Lfg. 2013, § 131 Rn. 8. 62 About.com vom 25.9.2009 (http://heavymetal.about.com/od/interviews/a/vincentlockeinterview.htm). 19 Abb.: http://www.archambault.ca/tomb-of-the-mutilated(censored-ACH001626270-en-pr / Motiv: Vince Locke, Tomb of the Mutilated (1992) Freilich: Nicht zuletzt diese Indizierungen verhalfen hierzulande „Cannibal Corpse“ – unabsichtlich – zum Durchbruch. Die deutsche Death-Metal-Szene beschäftigte sich ab nun bei jedem neuen Album beinahe mehr mit der Covergestaltung als mit der Musik der Band. Das vierte Album, „The Bleeding“ von 1994, entging der Indizierung, weil die Cover ohnehin durch die Plattenfirma „entschärft" und die Texte von vornherein nicht im Beiheft abgedruckt worden waren. Das neutrale Cover zeigt nun einen vergrößerten Bildausschnitt des ursprünglichen Covers. Im Innencover befindet sich das geplante Original-Artwork; ein Mann, der aus einer Masse an organisch verbundenen Zombies herausragt. Abb.: http://www.discogs.com/Cannibal-Corpse-The-Bleeding/release/3555904 / Motiv: Vince Locke, The Bleeding (1994) Abb.: http://www.discogs.com/viewimages?release=758918 / Motiv: Vince Locke, The Bleeding (1994) (Markierung von hier) Soweit ersichtlich, erschien lediglich in Polen 1995 beim dortigen Label „Audio Max“ eine MusiCassette mit dem ursprünglich vorgesehenen (Front-)Motiv. Abb.: http://www.discogs.com/Cannibal-Corpse-The-Bleeding/release/1221115 / Motiv: Vince Locke, The Bleeding (1994) 2006 wurde „The Bleeding“ digital überarbeitet und um einen Bonustrack ergänzt neu veröffentlicht; ein anderes Cover mit einem verfremdeten Ausschnitt des von Locke entworfenen Artworks blieb jedoch in Deutschland genauso unbeanstandet wie eine VinylFassung von 2009 mit dem ursprünglich vorgesehenen Cover. 20 Abb.: http://www.discogs.com/viewimages?release=1191163 / Motiv: Vince Locke, The Bleeding (1994) Abb.: http://www.lastfm.pl/music/Cannibal+Corpse/The+Bleeding/+images / Motiv: Vince Locke, The Bleeding (1994) „Vile“ war 1996 das fünfte Studioalbum von „Cannibal Corpse“. Es brachte endgültig den Durchbruch der Band in diversen Ländern und beförderte „Cannibal Corpse“ als erste Death-Metal-Band überhaupt in die „Billboard-Charts“, die offizielle US-amerikanische Album-Hitparade – wenn auch nur bis Platz 151. In Deutschland wurde „Vile“ von vornherein aus Furcht vor einer neuerlichen Indizierung nur mit einem entschärften Cover verkauft, wieder nur einen Ausschnitt aus dem originalen Cover wiedergebend, das einen verstümmelten Leichnam zeigt, aus dessen Bauch Maden hervorquellen. Abb.: http://www.musicstack.com/records-cds/cannibal+corpse (Ausschnitt) / Motiv: Vince Locke, Vile (1996) Abb.: http://www.amazon.de/Vile-Cannibal-Corpse/dp/B000001C8Y/ref=pd_sim_m_6/278-1350527-2134822 / Motiv: Vince Locke, Vile (1996) In der Folge wurden die nächsten Alben mit zwei völlig unterschiedlichen Covern veröffentlicht, um einer Indizierung in Deutschland zu entgehen. Ein Sprecher von „Metal Blade Records Europe", dem Label von „Cannibal Corpse“, sagte dazu: „Im europäischen Ausland gab es mit dem Layout nie Probleme, nur in Deutschland.“ Jedenfalls: Ein Album mit dem internationalen Cover (zusätzlich) zu erwerben, weckte den Ehrgeiz so mancher Fans in Deutschland. So ging mehr Taschengeld für „Cannibal Corpse“ drauf, und ein trickreich ergattertes Album mit dem Originalcover wurde auf dem Schulhof von allen Kumpels ganz genau inspiziert. Es wurde dann jedenfalls für das sechste Studioalbum, „Gallery Of Suicide“ von 1998, wiederum ein zweites Titelbild erstellt. Während die Originalfassung eine von Verstümmelten umgebene Frau abbildet, die sich mit einem Messer den eigenen Bauch aufschlitzt, zeigt die zweite Fassung ein Gebäude, von dem allerdings bei genauerem Hinsehen am linken Rand ein Mensch in den Tod springt. Dieses Motiv wirkt heute, nachdem man solche realen Fotoaufnahmen noch von den brennenden Türmen des World Trade Centers in New York vom 11. September 2001 im Gedächtnis hat, viel verstörender als die Originalfassung. Abb.: http://red-liste.com/category.php?cat=albums&page=117 / Motiv: Vince Locke, Gallery of Suicide (1998) Abb.: http://www.nuclearblast.de/de/produkte/tontraeger/cd/cd/cannibal-corpse-gallery-of-suicide.html / Motiv: Vince Locke, Gallery of Suicide (1998) (Markierung von hier) Auch für „Bloodthirst“, das siebente Album von 1999, existieren zwei Cover: die Originalfassung, in der ein geflügeltes Wesen einen Menschen zerfleischt, und die Version für die deutschen Käufer, die eine ähnlich phantastische Gestalt auf einem Knochenberg zeigt. Für manche Fans von „Cannibal Corpse“ gilt dies als das akzeptabelste der ganzen alternativen Cover. 21 Abb.: http://en.wikipedia.org/wiki/File:Bloodthirst_cover.jpg / Motiv: Vince Locke, BloodThirst (1999) Abb.: http://www.nuclearblast.de/de/produkte/tontraeger/cd/cd/cannibal-corpse-bloodthirst.html / Motiv: Vince Locke, BloodThirst (1999) Wiederum wurde für die achte CD „Gore Obsessed“ von 2002 extra für den deutschen Verkauf ein eigenes Cover angefertigt. Es zeigt in der allgemeinen Fassung eine Ansammlung von Zombies, die einen Menschen in Stücke reißen, in der entschärften jedoch nur drei Zombies, von denen einer mit einem spitzen Gegenstand gegen einen Menschen ausholt. Abb.: http://www.spirit-of-metal.com/album-groupe-Cannibal_Corpse-nom_album-Gore_Obsessed-l-en.html / Motiv: Vince Locke, Gore Obsessed (2002) Abb.: http://www.nuclearblast.de/de/produkte/tontraeger/cd/cd/cannibal-corpse-gore-obsessed.html / Motiv: Vince Locke, Gore Obsessed (2002) Beim neunten Album „The Wretched Spawn“ (2004) das gleiche Procedere: Das Original zeigt mehrere Zombies mit viel Blut, einem weiblichen Untoten wachsen Monster aus Mund, Bauch und Vagina. In der alternativen Fassung für den deutschen Markt ist ein Totenkopf zu sehen – nach Meinung eines Rezensenten „im Vergleich zum Original in etwa so anstößig ... wie 'ne Seifenwerbung in der Glotze“ 63. Abb.: http://www.nuclearblast.de/de/produkte/tontraeger/vinyl/lp/cannibal-corpse-the-wretched-spawn-purple-vinyl.html / Motiv: Vince Locke, The Wretched Spawn (2004) Abb.: http://black-legion-shop.de/catalog/cannibal-corpse-the-wretched-spawn-cd-p-1762.html?osCsid=06a0cd473eb4213b285831af2d6ce3d3 / Motiv: Vince Locke, The Wretched Spawn (2004) Auch der deutschen Ausgabe liegt allerdings in einer limitierten Edition ein Comic von Locke zu dem Song „Unleashing the Bloodthirsty“ vom Album „Bloodthirst“ bei, dessen Frontseite in der typischen Manier der blutrünstigen Cover Lockes gezeichnet ist. 63 Norman Sickinger, metal.de vom 8.2.2004 (http://www.metal.de/death-metal/review/cannibal-corpse/3870-the-wretched-spawn/). 22 Abb.: http://www.discogs.com/viewimages?release=2753987 / Motiv: Vince Locke, Unleashing the Bloodthirsty (2004) „Kill“ ist der Name des zehnten Studioalbums, das im März 2006 erschien. Es war das erste „Cannibal Corpse“-Album mit weltweit einheitlichem Coverartwork seit langem. Abb.: http://www.discogs.com/Cannibal-Corpse-Kill/release/4585641 Die Band entschied sich gegen den von Locke präsentierten Entwurf: „Normalerweise waren wir immer sehr zufrieden mit der Arbeit von Vince, doch dieses mal waren wir etwas enttäuscht“, sagte Pat O'Brien, einer der Gitarristen von „Cannibal Corpse“ in einem Interview64. Abb.: http://vincelocke.com/shop/kill-giclee-print/ Vince Locke: Kill (2006) Es ist gut vorstellbar, dass der Band das Motiv von Lockes Entwurf zu unblutig war (Locke selbst: „It’s a really creepy image without being gory“), oder auch, dass ihr der auffällig abweichende Zeichenstil (Locke: „I was influenced by Ivan Albright ... He did the paintings for [the movie] The Portrait Of Dorian Gray“) missfiel. 64 Metalnews.de vom 2.5.2006 (http://www.metalnews.de/interviews/Pat+O%27Brien+von+Cannibal+Corpse.193.html). 23 Abb.: The Art Institute of Chicago, http://www.artic.edu/aic/collections/artwork/93798 Ivan Albright (* 1897; † 1983): Picture of Dorian Gray (1943/44). Chicago, The Art Institute Aber warum dann ein völlig anderes Cover, nur aus den wenigen Buchstaben des Albumtitels bestehend? Paul Mazurkiewicz, der Schlagzeuger von „Cannibal Corpse“, sagte dazu 65: „... wir dachten, dass diesmal einfach die Musik an erster Stelle stehen sollte und es ist die Musik, woran die Leute wirklich interessiert sein sollten. Wenn jemand die CDs nur kauft wegen den Plattencovern, das ist einfach nicht der richtige Grund, warum man diese Musik hört. Es hilft uns natürlich auch dabei, sicher zu gehen, dass die CD überall in allen Märkten zu haben ist. Wir werden keine Probleme mit Zensur haben. Wir dachten, das ist erstmal das Wichtigste, die Platte an so viele Menschen heran zu bringen wie nur möglich. Und die Musik sollte wirklich für sich selbst sprechen.” Das von Locke schon entworfene Cover, das er selbst bemerkenswerterweise als sein bestes ansieht, wurde jedoch als Innencover verwendet. Abb.: http://moole.ru/blog/metallolom/news/334509-cannibal-corpse-kill-2006.html / Motiv: Vince Locke, Kill (2006) Auch bei Merchandising-Produkten zu „Kill“ ersetzt oftmals Lockes Motiv das offizielle Cover. Abb.: http://rockwear.se/en/music-t-shirt-1/cannibal-corpse/ 65 neckbreaker.de vom 20.4.2006 (http://www.neckbreaker.de/interviews/95-interview-mit-paul-mazurkiewicz-cannibal-corpse). 24 2009 erschien „Evisceration Plague“ wieder mit einem Cover von Locke im üblichen Stil, allerdings relativ moderat; die Fans waren teilweise enttäuscht. Genau wie bei „Kill" brauchte deshalb für dieses Album zum Vertrieb in Deutschland kein gesondertes, entschärftes Cover angefertigt zu werden. Abb.: http://www.covershut.com/cover-tags/Cannibal-Corpse-Evisceration-Plague.html / Motiv: Vince Locke, Evisceration Plague (2009) Im Booklet – auch der für den Vertrieb in Deutschland bestimmten Alben – geht es freilich wieder hart zur Sache: Gedärme quellen aus aufgeschnittenen Bäuchen. Abb.: http://www.discogs.com/viewimages?release=2597904 / Motiv: Vince Locke, Evisceration Plague (2009) Das Album wurde Ende April 2010 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien auf den Index (sogar in Teil B der Liste jugendgefährdender Medien) gesetzt66, allerdings nicht wegen des Booklets, sondern, wie oben schon näher ausgeführt, wegen einiger Liedtexte. „Torture“, das zwölfte und bislang letzte Studioalbum von „Cannibal Corpse“, wurde im März 2012 veröffentlicht. Auch dieses Album wurde alsbald von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien in Teil B der Liste indiziert67 – aber ebenfalls nicht wegen des Artworks: Die deutsche Version des Albums hat diesmal wieder ein anderes Cover als die Ausgaben in anderen Ländern erhalten. „... wir als Band wollten diesmal ... wieder ein deutlich expliziteres Cover ... ein brutaleres Artwork“, sagte in einem Interview Alex Webster, der Bassist von „Cannibal Corpse“ 68. Das international verwendete Originalcover stammt wie immer von Locke und zeigt mehrere Leichen, an denen Ratten fressen und deren Körper teils eröffnet sind – allerdings vollständig nur auf der Innenseite sichtbar. Abb.: http://www.darklands.com.br/produto.php?cod_produto=1742084 / Motiv: Vince Locke, Torture (2012) 66 BAnz. Nr. 66 vom 30.4.2010. BAnz. Nr. 238 vom 31.12.2012. 68 Metalnews.de vom 19.2.2012 (http://www.metalnews.de/interviews/Alex+Webster+von+Cannibal+Corpse.1153.html). 67 25 Das Außencover lässt durch ein Loch nur einen Blick auf ein Detail zu. Abb.: http://www.blabbermouth.net/news.aspx?mode=Article&newsitemID=171540&utm_source=dlvr.it&utm_medium=twitter / Motiv: Vince Locke, Torture (2012) Dazu sagte in einem Interview Paul Mazurkiewicz 69: „Wir wollten mit dem Cover etwas mehr an die alten Sachen anknüpfen. Das Ding heißt ‚Torture‘ und es ist ein passendes Artwork dazu geworden, denke ich. Wir lieben die Farben, das ganze Old-Schoolige. Keine Ahnung, ob wir ‚Butchered At Birth‘ jemals werden toppen können, aber ich denke es ist um einiges brutaler als die beiden Vorgänger. Die Fans werden bestimmt froh sein es zu sehen. In Deutschland ist es echt unglaublich. ‚Evisceration Plague‘ wurde indiziert, ich bin mir sicher, dass auch das neue Album auf den Index kommt. In den Staaten ist es aber das gleiche Problem. Wir können die Cover nicht so veröffentlichen, wie wir wollen. Es wird hier eine Art Über-Cover geben, was über das Original gestülpt sein wird.“ Die deutsche Version der CD zeigt hingegen nur einen blutigen Totenschädel. Abb.: http://www.laut.de/Cannibal-Corpse/Caged-...-Contorted / Motiv: Vince Locke, Torture (2012) Man darf gespannt sein, wie es weitergeht. „Cannibal Corpse“ will weitermachen. „Definitiv kein Ende in Sicht – die nächsten 20 Jahre nicht“, sagte ihr Bassist Webster 2009, wenn vielleicht auch nicht ganz ernst gemeint 70. Von Album zu Album stellt sich infolge des immer weiter steigenden Stellenwertes des Internets drängender die Frage nach der Sinnhaftigkeit der deutschen Strategie, vor allem aus Gründen des Jugendschutzes die Verbreitung dieser originalen Cover über den Handel unterbinden zu wollen. Denn nicht nur, dass die indizierten CDs ohne größeren Aufwand über das Internet aus dem Ausland bestellt werden können – schon „Amazon.com“ bietet beispielsweise das letzte Album (mit dem Original-Artwork) in zahlreichen Versionen an –, Abb.: http://www.amazon.com/s/ref=nb_sb_noss_1?url=search-alias%3Daps&field-keywords=cannibal+corpse+torture&rh=i%3Aaps%2Ck%3Acannibal+corpse+torture (Screenshot, Ausschnitt) das Coverartwork ist noch problemloser (und kostenlos) auf ungezählten Internetseiten zu betrachten und kann von dort heruntergeladen werden. Ein kurzer Klick bei „Google“ genügt. 69 metal.de vom 15.3.2012 (http://www.metal.de/death-metal/interview/cannibal-corpse/49459-interview-mit-drummer-paul-mazurkiewicz -zum-neuen-album-torture/). 70 Metalnews.de vom 31.3.2009 (http://www.metalnews.de/interviews/Alex+Webster+von+Cannibal+Corpse.573.html). 26 Abb.: Google-Suche „Cannibal Corpse Torture“ (Screenshot, Ausschnitt) Das gilt besonders für das Covermotiv von „Butchered at Birth“. Abb.: Google-Suche „Cannibal Corpse Butchered at Birth” (Screenshot, Ausschnitt) Vor allem aber: Indiziert wird ein Motiv auch in Deutschland nur als Cover, als Bestandteil eines Albums von „Cannibal Corpse“. Als Merchandising-Artikel – etwa als T-Shirt oder Aufnäher – ist das inkriminierte Motiv völlig legal beispielsweise schon bei „Amazon.de“ zu erwerben – Fotos: http://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_ss_i_0_16?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85Z%C3%95%C3%91&url=search-alias%3Daps&field-keywords=cannibal%20corpse%20torture&sprefix= cannibal+corpse+%2Caps%2C429&rh=i%3Aaps%2Ck%3Acannibal%20corpse%20torture sogar bedruckt mit dem selbst nach Meinung des Bandmitgliedes Paul Mazurkiewicz kaum zu „toppenden“ Artwork des immer noch indizierten Albums „Butchered at Birth“. Abb.: http://www.amazon.de/s/ref=nb_sb_noss_1?__mk_de_DE=%C3%85M%C3%85Z%C3%95%C3%91&url=search-alias%3Daps&field-keywords=cannibal%20corpse%20butchered Verboten wäre das Verkaufen und öffentliche Tragen in Deutschland erst dann, wenn diese Merchandising-Artikel als Werbematerial für das indizierte Album, als dessen Anpreisung im Sinne von § 15 Abs. 1 Nr. 6 JuSchG aufgefasst werden könnten 71, was ohne weitere Begleitumstände jedoch nicht angenommen werden kann. 71 § 15 Abs. 1 Nr. 6 JuSchG (1) Trägermedien, deren Aufnahme in die Liste jugendgefährdender Medien nach § 24 Abs. 3 Satz 1 bekannt gemacht ist, dürfen nicht ... 27 Aber muss man aus all dem nicht den Schluss ziehen, dass der massive Eingriff in die Kunstfreiheit, der in der Indizierung oder gar einem Verbot eines Musikalbums liegt, bei solchen Rahmenbedingungen von vornherein zumindest unangemessen, wenn nicht gar (weitgehend) ungeeignet ist, sofern es darum geht, namentlich Jugendlichen den Anblick solcher Cover zu verwehren? Und erfordert es der Jugendschutz überhaupt, alles zu unternehmen, um Jugendliche von solchen Zeichnungen fernzuhalten? Ist es nicht vielmehr weltfremd zu glauben, dass sich im Zeitalter von im Internet zu findenden Horror- und Splatter-Filmen auch brutalster Art sowie von hochrealistischen Killerspielen (Ego-Shootern) ein Jugendlicher von getuschten Zombiebildern schwer beeindrucken und schockieren, geschweige denn „gefährden“ lässt? Übrigens ist das Schlachten von Kindern durch eine Kannibalin seit inzwischen über 200 Jahren von unzähligen Eltern und Erziehern zum Thema selbst gegenüber Kleinkindern gemacht worden – im Rahmen des Kinder- und Hausmärchens „Hänsel und Gretel“ der Brüder Grimm („... den will ich erst fett machen, und wann er fett ist, dann will ich ihn essen ...“ / „... morgen will ich es schlachten und sieden ...“). Und es kommt noch dazu: Die Indizierung eines bestimmten Mediums dürfte bei vielen Jugendlichen das Interesse an dem nunmehr Verbotenen deutlich erhöhen. Sie „adelt“ erst die indizierte Band, bedeutet für den Jugendlichen schnell so etwas wie ein „Gütesiegel“. (Das Problem dürfte dem Gesetzgeber durchaus bewusst gewesen sein: Nach § 24 Abs. 3 Satz 2 JuSchG ist von der Bekanntmachung einer Indizierung abzusehen, „wenn anzunehmen ist, dass die Bekanntmachung der Wahrung des Jugendschutzes schaden würde“. Nach § 15 Abs. 4 und 5 JuSchG darf die Liste der jugendgefährdenden Medien „nicht zum Zweck der geschäftlichen Werbung abgedruckt oder veröffentlicht“ werden, und bei geschäftlicher Werbung darf „nicht darauf hingewiesen werden, dass ein Verfahren zur Aufnahme des Trägermediums oder eines inhaltsgleichen Telemediums in die Liste anhängig ist oder gewesen ist“.) Ruft die Indizierung aber erst das Interesse der durch sie zu Schützenden hervor, wäre dies nur sinnvoll hinnehmbar, wenn gleichzeitig die Zugangswege zu dem Medium dadurch in erheblicher Weise verbaut würden. Wie sehr gerade „Butchered at Birth“, das Album mit dem am entschiedensten verfolgten Artwork, trotz oder gar wegen der Indizierungen und der Beschlagnahme „Kult“ geworden ist, zeigt sich an der Präsenz des Covermotivs in der „ Szene“: Die Death-Metal-Band „Cannabis Corpse“ aus Richmond, Virginia, parodiert „Cannibal Corpse“ mit den Namen und Songtiteln ihrer Alben, jedoch mit eigenständiger Musik. Gleich ihre erste EP von 2006 nannten sie „Blunted at Birth“. Der Richmonder ComicIllustrator James (Jim) „Bart“ Callahan entwarf der Band ein vor allem für T-Shirts-Drucke verwendete Zeichnung – zwar nicht gewalttriefend, aber doch an das Cover Lockes für „Butchered at Birth“ angelehnt. Abb.: Barf Comics, http://www.flickr.com/photos/barfcomics/with/1259578865/ James Callahan: Couch Suffer 2010 kündigte das italienische Label „Grind Block Records“ an, das Debutalbum „Butchered At Birthday“ der japanischen DeathMetal-Band „Butcher ABC“ von 1994 erstmals als LP auf Vinyl zu veröffentlichen – mit einem Cover des US-amerikanischen Illustrators und Graphikers Mark Riddick (* 1976), einer auch nicht viel weniger als das Original gewaltlastigen Abwandlung von Lockes Cover von „Butchered at Birth“. Abb.: Mark Riddick, http://riddickart.com/news/2010/12 / Motiv: Mark Riddick, Butcher ABC (2010) „Metal Storm“, ein Webzine der Metal-Szene, veröffentlichte 2010 ein „unbored album cover“ mit dem Titel „Butchered at Birthday Party“ – eine fototechnische Bearbeitung des Artworks von Locke. 6. öffentlich an einem Ort, der Kindern oder Jugendlichen zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, ... angeboten, angekündigt oder angepriesen werden ... 28 Abb.: asmo 111, http://www.metalstorm.net/pub/fun_comments.php?fun_id=276 Und schließlich finden sich viele weitere Interpretationen auf Fotoportalen im Internet. Abb.: Ernestogod, http://www.newgrounds.com/art/view/ernestogod/butchered-at-birth-madness Abb.: pornosatan 69, http://pornosatan69.deviantart.com/art/Butchered-At-Birth-3869415 Abb.: whiskyfuneral, http://www.fotolog.com/whiskyfuneral/16549358 Abb.: CHRISBARNESISTEHMAN, http://s299.photobucket.com/user/CHRISBARNESISTEHMAN/media/CANNIBALCORPSEISMALLCORE.jpg.html Abb.: pantera_negra94, http://www.fotolog.com/pantera_negra94/59686829 Abb.: eternalnocturnal, http://eternalnocturnal.deviantart.com/art/cannibal-corpse-fanart-9509657 Abb.: http://www.donmai.us/posts/767320 Wäre das Album auch dann so „Kult“ geworden, dass offenbar selbst Jugendliche und junge Erwachsene, die bei der Erstveröffentlichung von „Butchered at Birth“ 1991 überhaupt noch nicht geboren waren, sich mit dem Cover bedruckte Kleidungsstücke kaufen und mit Pinsel, Schere und Adobe Photoshop an dem Motiv basteln, hätten sich die Saarländer Lehrerin Jenal, die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, das Amtsgericht Stuttgart und andere nicht so heftig echauffiert? Kurzum: Wäre „Cannibal Corpse“ nicht vielleicht eine schon längst vergessene, folgenlose Episode, hätte man die Band schlicht ignoriert? 29