MODUL 6: Troia: Eine Stadt zwischen Realität und Fiktion. Der
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MODUL 6: Troia: Eine Stadt zwischen Realität und Fiktion. Der
ETHZ, D-GESS, Heureka IV: “Antike Metropolen. Die Bedeutung urbaner Zentren im griech.-röm. Kulturraum” Modul 6: Troia. Eine Stadt zwischen Realität und Fiktion, 18.5./25.5.2016 (A. Broger) MODUL 6: Troia: Eine Stadt zwischen Realität und Fiktion. Der Mythos vom Troianischen Krieg und seine Bedeutung für das antike Geschichtsbild. Inhalt 1. Der Mythos vom Troianischen Krieg 2. Literarische Quellen des Troia-Mythos 3. Antike Datierung des Troianischen Krieges 4. Bedeutung des Troia-Mythos für das antike Geschichtsbild 5. Roms Herrschaftsanspruch auf Hellas und Asien 6. Schliemanns und seiner Nachfolger Grabungen in Troia (Hisarlık) 7. Entstehung eines "archäologischen" Troia-Mythos 8. Sicht der Geschichtswissenschaft und philologische Quellenkritik 9. Sicht der Sprachwissenschaft 10. Fazit 11. Bibliographie 12. Lernziel 1 ETHZ, D-GESS, Heureka IV: “Antike Metropolen. Die Bedeutung urbaner Zentren im griech.-röm. Kulturraum” Modul 6: Troia. Eine Stadt zwischen Realität und Fiktion, 18.5./25.5.2016 (A. Broger) 1. Der Mythos vom Troianischen Krieg Paris, ein Sohn des Königs Priamos von Troia, entführt Helena, die Gattin des Königs Menelaos von Sparta. Dies wird der Anlass des Kriegszugs der Griechen gegen die Troer. Agamemnon, Menelaos' Bruder, der König von Mykene, führt das griechische Heer gegen Troia. Die Belagerung der Stadt dauert zehn Jahre, wobei sich verschiedene Helden beider Parteien auszeichnen. Schliesslich führt der listige Rat des Odysseus zur Eroberung der Stadt: Epeios baut ein grosses hölzernes Pferd, in dem sich die dreissig besten Kämpfer der Griechen einschliessen. Die übrigen Griechen verbrennen ihr Schiffslager und segeln zum Schein ab. Trotz der Warnung des Priesters Laokoon und der Hellseherin Kassandra ziehen die Troer das hölzerne Pferd als Siegesbeute in die Stadt. Während ganz Troia Freudenfeste feiert, kehrt die griechische Flotte in der Nacht von der Insel Tenedos zurück. Mit Unterstützung der im hölzernen Pferd in die Stadt gelangten Griechen dringt das Heer in Troia ein und richtet ein fürchterliches Blutbad an. Der greise König Priamos und alle seine noch lebenden Söhne fallen. Die Königin Hekabe und alle übrigen Troerinnen kommen samt ihren Kindern in Gefangenschaft. Aineias 2 ETHZ, D-GESS, Heureka IV: “Antike Metropolen. Die Bedeutung urbaner Zentren im griech.-röm. Kulturraum” Modul 6: Troia. Eine Stadt zwischen Realität und Fiktion, 18.5./25.5.2016 (A. Broger) flieht mit seinem Vater Anchises, seinem Sohn Askanios/Iulus und anderen Troern aus der brennenden Stadt. Nach langen Irrfahrten findet er in Italien eine neue Heimat und gründet in Latium die Stadt Lavinium.1 Troer: Achaier, Danaer, Argeier: Priamos Hektor Paris/Alexandros Aineias Chryses, ein Apollon-Priester Chryseis, Tochter des Chryses und Geliebte des Agamemnon Briseis, Geliebte des Achilleus Pandaros Glaukos Helenos, ein Seher Dolon, ein Späher Pulydamas Sarpedon Euphorbos Lykaon Antenor Nestor, König von Pylos Agamemnon, König von Mykene Menelaos, König von Sparta Odysseus, König von Ithaka Achilleus, König von Phthia Patroklos, Achilleus' Freund Automedon, Achilleus' Wagenlenker Phoinix, Achilleus' Erzieher Aias Telamonios, König von Salamis Aias Teukros, König von Lokroi Machaon, ein Arzt Idomeneus, König von Kreta Meriones, Gefährte des Idomeneus Diomedes, König von Argos Protesilaos, König von Phylake Antilochos, Nestors Sohn 2. Literarische Quellen des Troia-Mythos2 Homer, Ilias und Odyssee: Homer ist der älteste griechische Dichter, von dem vollständige Werke erhalten sind (ca. 28000 hexametrische Verse): Die Epen Ilias und Odyssee, entstanden um 700 v. Chr., wenige Jahrzehnte, nachdem die Griechen die phönizische Alphabetschrift übernommen und an ihre Sprache adaptiert hatten. Stofflicher Hintergrund der Ilias bildet der Troia-Mythos. Die Ilias besteht aus 24 sog. Gesängen. Sie schildert die rund 50 entscheidenden Tage im 10. Jahr der Belagerung von Troia (Ilios). Beginn ist der Ausbruch der Pest im Lager der Griechen, Achilleus' Zorn und seine Weigerung zu kämpfen, Ende die Bestattung des Troianers Hektor. Homer nennt die Griechen Achaioi, Danaoi und Argeioi. Diese kämpfen gegen die Troer/Troianer; die Stadt der Troer heisst jedoch Ilios und ist in der Landschaft Troia gelegen. Homers Ilios liegt an den Dardanellen, dem antiken Hellespont, vor der Stadt erstreckt sich eine Ebene, durch welche die Flüsse Skamander und Simoeis fliessen; diese begrenzen das Schlachtfeld. Im Hintergrund befindet sich das Ida-Gebirge. Homer beschreibt Ilios als eine grosse, von einer "von den Göttern erbauten" Festungsmauer umgebene Stadt mit einer erhöht liegenden Burg. Das Lager der griechischen Achaier liegt am Meer und ist mit einer Mauer und einem Graben befestigt ist. Bei Homer ist Ilios eine glanzvolle Stadt, mit einem Palast, der mehr als 60 Räume umfasst, mit Tempeln, einer Agora (Versammlungsplatz) und einem Mauerring, der ein Heer von etwa 50'000 Mann aufnehmen konnte.3 1 Nach Hunger (1974) 410–414. Siehe QUELLENTEXTE, TAFELN UND TABELLEN I–VI. 3 Cf. Kolb (2010) 154. 2 3 ETHZ, D-GESS, Heureka IV: “Antike Metropolen. Die Bedeutung urbaner Zentren im griech.-röm. Kulturraum” Modul 6: Troia. Eine Stadt zwischen Realität und Fiktion, 18.5./25.5.2016 (A. Broger) 3. Antike Datierung des Troianischen Krieges4 Die homerischen Epen sagen nichts darüber, wann sich der Troianische Krieg ereignete. Doch im 5. Jh. v. beginnen die Griechen eine fortlaufende Geschichte zu konstruieren. Die wichtigsten antiken Daten zur Fixierung des Troianischen Krieges: ca. 1250: 1209/08: 1183/2: der Troianische Krieg bei Herodot der Troianische Krieg auf dem Marmor Parium antikes Standarddatum des Eratosthenes für das Ende des Troianischen Kriegs Herodot von Halikarnassos (ca. 484–420 v. Chr.): "etwa 800 Jahre höchstens bis auf mich" (Hist. 2, 112–120), d. h. ca. 1250 v. Chr. Marmor Parium (eine Marmorstele auf der Insel Paros): "Am siebtletzten Tag des Monats Thargelion, im 22. Jahr des Königs Menestheus von Athen wurde Troia eingenommen.", d. h. am 5. Juni 1209/08 v. Chr. Eratosthenes (Leiter der Bibliothek von Alexandria, ca. 275–194 v. Chr.): "408 Jahre zwischen Troias Fall und der ersten Olympiade". Die historisch sicheren Angaben beginnen für die griechischen Gelehrten mit der ersten Olympiade 776 v. Chr. M. Terentius Varro (116–17 v. Chr.) definiert drei Epochen, vom Anfang der Welt bis auf seine Zeit:5 1. ungewisse Epoche: ... –2376 v. Chr. (Grosse Flut) 2. mythische Epoche: 2376–776 v. Chr. (1600 Jahre Dauer) 3. historische Epoche: 776– Der Troianische Krieg bildet bei Varro eine Zäsur innerhalb des mythischen Zeitalters. Für den Troianischen Krieg übernahm er das Standarddatum 1193/2 bis 1183/2. Durch die Einführung der Symbolzahl 440 'errechnete' er die Gründung Roms auf das Jahr 753 v. Chr. Die Zahl 440 bezeichnet den Abstand zwischen Inkarnation und Reinkarnation, also die Spanne der Wiederentstehung, der sog. Palingenesia. Nach dieser Zeit könne "derselbe Körper und dieselbe Seele, die irgendwann einmal in einem Menschen verbunden gewesen waren, ... zurückkehren". Da Rom das wiedergeborene Troia war, musste der Abstand zwischen dem Troianischen Krieg und der Wiederentstehung Troias am Tiber, d. h. Roms, 440 Jahre betragen.6 4. Bedeutung des Troia-Mythos für das antike Geschichtsbild Von Homer an spielte der Krieg um Troia in der griechischen Geschichtsschreibung eine exemplarische Rolle für die militärischen Konflikte mit dem Osten.7 Die Geschichten vom Troianischen Krieg haben für die Antike eine politische Bedeutung, weil sie den ersten von vielen Konflikten zwischen Hellas und Asien8 erzählen. Sie begründen den Anspruch der Römer auf Hellas und Asien gegen die makedonischen und seleukidischen Könige. 4 Cf. Cancik (2004). Varro, De gente populi Romani fr. 4 (überliefert bei Augustin, De civitate dei 22,28). 6 Cf. Cancik (2001) 175f. 7 Cf. Wesselmann/Gyr (2001) 32f. 8 In der Ilias werden allerdings keine Kontinente 'Europa' oder 'Asien' genannt. Auch die Personennamen der Troer sind in der Ilias fast ausnahmslos griechisch. 5 4 ETHZ, D-GESS, Heureka IV: “Antike Metropolen. Die Bedeutung urbaner Zentren im griech.-röm. Kulturraum” Modul 6: Troia. Eine Stadt zwischen Realität und Fiktion, 18.5./25.5.2016 (A. Broger) Im antiken Geschichtsbild ist Troia das Paradigma für den Untergang einer Stadt, einer Dynastie, eines Volkes.9 In der Deutung Herodots ist der Troianische Krieg ein Muster für einen besonders sinnlosen Krieg: "Wenn nämlich die Griechen den Troianern geglaubt hätten, dass diese weder Helena noch ihre Schätze in Troia versteckt hielten, dass vielmehr Paris sie in Ägypten bei dem Pharao Proteus hatte zurücklassen müssen, dann hätte der Troianische Krieg überhaupt nicht stattgefunden."10 Im Mythos gelingt einigen Troianern nach der Zerstörung ihrer Stadt die Flucht nach Italien, es sind dies Antenor, ferner Aeneas mit seinem Vater Anchises und seinem Sohn Askanios/Iulus. Mit ihnen beginnen nach dem Untergang Troias die Gründungsmythen neuer Städte. Es gab in Rom etwa fünfzig aristokratische Geschlechter, die sich als familiae Troianae verstanden und die einst mit Aeneas aus Troia nach Latium geflohen seien. 5. Roms Herrschaftsanspruch auf Hellas und Asien "... In der Herleitung des römischen Volkes vom Troianer Aineias (lat. Aeneas) steht Troia stellvertretend für Asien und die damit verbundene Idee eines Europa und Asien umfassenden Weltreichs – Identifkationsmodell für den römischen Staat."11 Siehe QUELLENTEXTE, TAFELN UND TABELLEN VII–XIV. 6. Schliemanns und seiner Nachfolger Grabungen in Troia (Hisarlık) Zeittafel • 3000–2600: Troia I (frühe Bronzezeit) • 1020–330/10: Troia VIII (Eisenzeit) • 2600–2400: Troia II • 330/10 v.–395 n. Chr.: Troia IX = Ilion/Ilium • 2400–2200: Troia III • 330–320: • 2200–1700: Troia IV/V • 20–395 n. Chr.: Troia der röm. Kaiserzeit • 1700–1300: Troia VI (späte Bronzezeit) • 395–13. Jh.: Hellenistisches Troia Troia X = byzant. Ilion • 1300–1190: Troia VIIa • 1190–1100: Troia VIIb 1 • 1100–1020: Troia VIIb 2 (Ende der Bronzezeit) Heinrich Schliemann (1822–1890) gilt als der Begründer der prähistorischen Archäologie im östlichen Mittelmeerraum. Schliemann brachte die ostmediterranen prähistorischen Kulturen anhand von Keramikfunden in eine relative zeitliche Ordnung. Schliemann war ein sehr reicher deutscher Kaufmann. Er wollte sich – wie er in seinen eigenen Aufzeichnungen festhält – einen Kindheitstraum erfüllen und Homers Ilios/Troia finden. Er kannte zwar die Homerischen Epen und die antiken Quellen zur Troas gut, hatte aber keine philologische und althis9 Cf. Cancik (2004) 55. Cancik (2004) 72; Herodot 2,120,4. 11 Wesselmann/Gyr (2001) 32f. 10 5 ETHZ, D-GESS, Heureka IV: “Antike Metropolen. Die Bedeutung urbaner Zentren im griech.-röm. Kulturraum” Modul 6: Troia. Eine Stadt zwischen Realität und Fiktion, 18.5./25.5.2016 (A. Broger) torische Bildung noch archäologische Erfahrung. "Fest von der Glaubwürdigkeit der Sagenüberlieferung überzeugt und unberührt von den methodischen Fortschritten der klassischen Altertumswissenschaft, war er der Meinung, dass dann, wenn die Stelle der homerischen Stadt gefunden sei, damit auch der Nachweis erbracht sein würde, dass der Troianische Krieg ein tatsächliches Geschehen in alter Zeit gewesen sei."12 Frank Calvert (1828–1908), englischer und später amerikanischer Konsul in der Troas, der den neuesten Forschungsstand und die Troas gut kannte, wies Schliemann darauf hin, Troia sei im Bereich von Hisarlık zu suchen. Schliemann erwarb fast die Hälfte des Hügels und veranstaltete Grabungen. Da er überzeugt war, dass die homerische Stadt auf Fels gegründet worden sei, trug er die Reste aller von ihm für jünger gehaltenen Schichten ab, bis er auf die älteste Schicht von Troia I stiess. Bei diesen Grabungen hob Schliemann 20 Schatzfunde, die alle ins 3. Jahrtausend gehören, die meisten in die Periode Troia II.13 Trotz seinen unzureichenden archäologischen Kenntnissen und der mangelnden Erfahrung in der Feldforschung leistete Schliemann einen entscheidenden Beitrag zur Erforschung der Vorgeschichte Kleinasiens. Auch gelang es ihm, kompetente Mitarbeiter für seine Troia-Ausgrabung zu gewinnen wie z. B. im Jahr 1882 den ausgebildeten Architekten Wilhelm Dörpfeld (1853–1940), der an den Grabungen in Olympia teilgenommen hatte. Nach Schliemanns Tod wurden die Grabungen von Dörpfeld in zwei grossen Kampagnen, 1893 und 1894, fortgeführt und zu einem vorläufigen Abschluss gebracht; er dokumentierte diese Grabungen in seinem Buch 'Troia und Ilion'14, das die Idealdarstellung der sog. neun Schichten enthält. Er entdeckte Keramik und Baureste, die der sechsten Schicht, also Troia VI, angehörten und die es ermöglichten, diese Stadt in die Zeit der mykenische Kultur Griechenlands zu datieren. Dörpfeld erkannte, dass Troia II für eine Gleichsetzung mit jener Stadt, von der die homerischen Epen erzählen, nicht in Frage kam.15 Nach Dörpfeld führte der amerikanische Archäologe Carl Wiliam Blegen (1887–1971) von der Universität Cicinnati/Ohio zwischen 1932 und 1938 die Grabungen auf Hisarlık weiter. Für Blegen war die Schicht Troia VIIa das homerische Ilios, dessen Untergang er um 1240 datiert.16 Dieser Ansicht widersprach Rolf Hachmann, ein renommierter Vor- und Frühgeschichtswissenschafter, im Jahr 1964; er bezweifelte ausserdem, dass je ein historischer Krieg um Troia stattgefunden habe. 1988 übernahm der Archäologe Manfred Korfmann (1942–2005) von der Universität Tübingen die Leitung der Grabung auf Hisarlık. Er erbrachte den Nachweis, dass Troia VI eine Untersiedlung, d. h. eine Siedlung ausserhalb der Burgmauer gehabt hatte. Seit 2005 wird die Grabung unter der Leitung von Ernst Pernicka, einem Chemiker und Spezialisten für archäologische Altersbestimmung, weitergeführt. Troia VIIa ging in einer Brandkatastrophe unter; als Ursache kommt eine alltägliche Begebenheit oder ein kriegerischer Überraschungsangriff in Frage.17 Troia VIIb 1: Unmittelbar nach dem Ende von Troia VIIa setzte der Wiederaufbau der Stadt ein. Das kulturelle Profil dieser Siedlung zeichnete sich dadurch aus, dass Elemente von Troia VI und VIIa und solche einer neuen, fremden, nebeneinander existierten. Die neuen Kulturelemente kamen aus dem 12 Hertel (2008) 24f. Cf. Kolb (2010) 160. 14 Dörpfeld, Wilhelm: Troia und Ilion. Ergebnisse der Ausgrabungen in der vorhistorischen und historischen Schichten von Ilion 1870 - 1894. Athen 1902. 15 Cf. Hertel (2008) 27. 16 Cf. Hertel (2008) 29. 17 Cf. Hertel (2008) 66–69. 13 6 ETHZ, D-GESS, Heureka IV: “Antike Metropolen. Die Bedeutung urbaner Zentren im griech.-röm. Kulturraum” Modul 6: Troia. Eine Stadt zwischen Realität und Fiktion, 18.5./25.5.2016 (A. Broger) heutigen Ostrumänien/Nordostbulgarien, Thrakien, Makedonien, Epirus und dem südlichen Albanien. Da diese fremden Elemente (Keramik, Mauertechnik) viel primitiver waren als diejenigen von Troia VIIa, muss man schliessen, dass sich Angehörige eines fremden Volkes niederliessen. Der keramische Befund weist auf ein vom mittleren Balkan kommendes Volk hin.18 Auch das Ende von Troia VIIb 1 wurde durch eine Brandkatastrophe herbeigeführt. Troia VIIb 2: Die neue Siedlung bestand wie die vorige aus einer Burg und einer eher kleinen Untersiedlung. Ein neuer Baustil wurde nicht eingeführt. Nur auf dem Gebiet der Keramik kam es zu einer Neuerung, zum Auftreten der sog. Buckelkeramik.19 Auch Troia VIIb 2 ging in einer Brandkatastrophe unter. Damit verbunden war ein Erdbeben, das den Brand vielleicht erst ausgelöst hatte. Befunde ergeben, dass die Bewohner die Stadt fluchtartig verliessen, nach der Katastrophe aber zurückkehrten, die Stadt teilweise renovierten und sie erneut bewohnten. Der Untergang von Troia VIIb 2 dürfte um 1020, also am Ende der Bronzezeit, eingetreten sein.20 Der Althistoriker Dieter Hertel kommt zum Schluss, dass nicht ein Geschehen in der späten Bronzezeit, sondern eine jüngere, weniger bedeutsame Begebenheit der frühen griechischen Geschichte als Grundlage der Sagenbildung in Betracht kommt, nämlich die Besiedlung von Troia VIIb 2 durch aus Mittelgriechenland stammende Griechen: "Von den vielen Schichten, in denen Troia im Laufe der Jahrhunderte immer wieder nach Zerstörungen neu erbaut wurde, bildeten nicht die Schichten Troia VI aus dem Zeitraum 1700–1300 und VIIa aus dem 13. Jh. den Schauplatz aufsehenerregender kriegerischer Ereignisse; kleinere Kämpfe spielten sich vielmehr eventuell im Zuge eines von der Welt unbemerkten Infiltrationsprozesses griechischer Siedler ab, der nach dem Ende der letzten bronzezeitlichen Schicht, von Troia VIIb 2, im 11. Jh., einsetzte."21 Troia VIII: Zunächst war in Troia VIII noch die Buckelkeramik aus Troia VIIb 2 in Gebrauch. Aber bald kam es zur Verwendung griechischer Keramik, der sog. protogeometrischen Keramik, einer von 1020 bis 900 im griechischen Kulturraum auftretenden Gattung. "Der Sachverhalt, dass die Nutzung älterer Häuser und älterer Keramik fortdauerte, bald darauf auch Häuser in griechischer Bauweise errichtet und griechische Keramik verwendet wurden, lässt sich am besten so erklären, dass bald nach dem Ende von Troia VIIb 2 die Nachfahren der vorgriechischen Bevölkerung mit griechischen Ankömmlingen zusammenwohnten. ... Nach dem Untergang von Troia VIIb 2 richteten sich die Überlebenden wieder in den Ruinen ein und lebten wie vorher, ... Infolge der geringer gewordenen Bevölkerungszahl wurden viele ältere Bauten nicht wiederinstandgesetzt. Die Schwäche dieser Nachfolgebesiedlung ausnutzend, liessen sich bald darauf Griechen in Troia nieder und errichteten dort Häuser. ... es kam zu einem Austausch kultureller Güter, wobei es, wie die Stratigraphie ... zeigt, ... zu einer zunehmenden Dominanz der griechischen Kultur gekommen sein muss. ... Bis ins frühe 5. Jh. hatte die in Phase 'Troia VI Spät' errichtete und in Troia VIIb 1 erneuerte Ringmauer auch den folgenden Städten, Troia VIIb und VIII, als Bollwerk gedient."22 Troia VIII gehörte seit 449 v. Chr. wohl zur Seemacht Athen, 399 v. Chr. zu Sparta. Um 387 v. Chr. fiel Troia/Ilion an Persien. Damals war Ilion eine dorfartige Stadt. Wie zuvor der Perserkönig Xerxes besuchte 334 v. Chr. Alexander der Grosse vor seinem Feldzug gegen das Perserreich Ilion. Am Grab des Achilleus vollzog Alexander kriegerische und religiöse Rituale. 18 Cf. Hertel (2008) 70–72. Dabei handelt es sich um in der Regel nicht auf der Töpferscheibe, sondern um mit der Hand gefertigte Gefässe aus sehr grobem Ton, die aber oft dünnwandig waren und mit einem hochpolierten, schwarzen oder bräunlichen Überzug versehen sein konnten. Ausserdem waren sie mit Rillenreihen ('Kanneluren'), Ritz- und Stempelmustern, spitzen Kuppen oder grossen Hörnern verziert. 20 Cf. Hertel (2008) 75–77f. 21 Hertel (2008) 9f. 22 Hertel (2008) 89. 19 7 ETHZ, D-GESS, Heureka IV: “Antike Metropolen. Die Bedeutung urbaner Zentren im griech.-röm. Kulturraum” Modul 6: Troia. Eine Stadt zwischen Realität und Fiktion, 18.5./25.5.2016 (A. Broger) Dadurch brachte er zum Ausdruck, dass er seinen Krieg gegen Persien als einen neuen Troianischen Krieg verstanden wissen wollte. Unter dem König Lysimachos von Thrakien, einem Nachfolger Alexanders, der seit 301 v. Chr. Herrscher von Kleinasien war, wurde aus Ilion eine mittelgrosse Stadt. Troia IX: Ilion gehörte von 275 bis 228 v. Chr. zum Reich der Seleukiden. 190 v. Chr. nahmen die Römer Ilion in die römische Schutzherrschaft auf. Dabei feierten Ilier und Römer ihre gemeinsame Abkunft. Zwischen 188 und 133 v. Chr. gehörte Ilion zum pergamenischen Reich. Als Pergamon 133 v. Chr. an Rom fiel, wurde auch Ilion Teil der römischen Provinz Asia. 48 v. Chr. besuchte C. Iulius Caesar, dessen Familie, die gens Iulia, sich auf Aineias zurückführte, Ilion und gelobte, hier ein römisches Troia zu errichten. Caesar wurde 44 v. ermordert, sein Versprechen blieb unerfüllt; Kaiser Augustus jedoch besuchte im Jahre 20 v. Chr. Ilion und veranlasste den Wiederaufbau der Stadt.23 Ilium Novum war fortan während der ganzen Dauer des Römischen Reichs touristischer Anziehungspunkt. Man besuchte die 'Grabhügel des Hektor und Achilleus'. 7. Entstehung eines "archäologischen" Troia-Mythos Ebenso wie Schliemann war Korfmann vom geschichtlichen Kern der Troia-Sage überzeugt; für ihn war die Schicht Troia VIIa in der Zeit um 1190 das Troia der Ilias. Unterstützt vom Klassischen Philologen und Homer-Spezialisten Joachim Latacz, wollte er in Troia VIIa eine hethitische Palast- und Handelsstadt mit 50'000 Einwohnern an strategisch wichtiger Lage sehen, gegen die mykenische Griechen einen Krieg geführt hätten. Diese Ansicht stützte sich auf Homers Schilderung von Ilios als einer glanzvollen Stadt mit einem riesigen Königspalast. Funde in mykenischen Gräbern, die in den homerischen Epen beschriebenen Objekten entsprachen, bestärkten den Glauben an eine bronzezeitliche Tradition in Ilias und Odyssee.24 Die Grösse der in der Ilias geschilderten Stadt veranlasste Korfmann, aufgrund bloss spärlicher Besiedlungsfunde unterhalb der Burg, zur Pseudo-Rekonstruktion einer etwa 35ha grossen, dicht bebauten Unterstadt. Doch diese angeblichen Entdeckungen stiessen in der Forschung auf wachsende Zweifel, denn sie liessen und lassen sich durch die Grabungsergebnisse der prähistorischen Siedlung auf Hisarlık nicht belegen.25 8. Sicht der Geschichtswissenschaft und philologische Quellenkritik Bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Historizität des Troianischen Kriegs kaum angezweifelt. Doch im 19. und 20. Jh. war es durch die philologisch-historische Quellenkritik für Klassische Philologen und Althistoriker zur Gewissheit geworden, dass ein Troianscher Krieg, wie er in der Ilias geschildert wird, nicht stattgefunden haben konnte. Allerdings hatte der Klassische Philologe und Altertumswissenschaftler Friedrich August Wolf schon 1795 die Vermutung geäussert, dass die homerischen Epen auf dem Hintergrund einer langen mündlichen Überlieferung entstanden seien. Die Oral-Poetry-Forschung und die ethnologische Forschung gehen davon aus, dass mündliche Überlieferung in schriftlosen Kulturen über etwa drei Generationen hinweg einigermassen zuverlässig ist. Das bedeutet, dass Homers Ilias nicht bronzezeitliche Ereignisse schildert. Auch sind in den homerischen Epen erwähnte Gegenstände wie Bronzewaffen und Eberzahnhelme, die zur Zeit Homers aber 23 Cf. Hertel (2008) 94f. Cf. Kolb (2010) 55. 25 Cf. Kolb (2010) 154. 24 8 ETHZ, D-GESS, Heureka IV: “Antike Metropolen. Die Bedeutung urbaner Zentren im griech.-röm. Kulturraum” Modul 6: Troia. Eine Stadt zwischen Realität und Fiktion, 18.5./25.5.2016 (A. Broger) nicht mehr verwendet wurden, kein Hinweis auf mündlich tradierte Kenntnisse mykenischer Verhältnisse, sondern sie waren den Zeitgenossen Homers bekannt aus Plünderungen mykenischer Gräber und weil sie als Erbstücke über Generationen weitergegeben wurden.26 Auch die althistorische Forschung gelangte zum Schluss, dass Homers Troia nichts mit der bronzezeitlichen Besiedlung des Hisarlık zu tun hatte. "Das auffällige Fehlen von Reichtum und Luxus in den spätbronzezeitlichen Siedlungsschichten auf dem Hügel Hisarlık legt die Schlussfolgerung nahe, dass die Repräsentation der dortigen Elite kaum importierte Prestigeobjekte umfasste, sondern auf eine begrenzt monumentale Architektur beschränkt war."27 Es wurde ein einziges schriftliches Dokument gefunden.28 Dies bedeutet, dass die Siedlung auf dem Hisarlık keine Hochkultur entwickelt hatte, wie dies bei den bronzezeitlichen mykenischen und hethitischen Städten der Fall war. Das spätbronzezeitliche Troia war zwar ein politisches und militärisches Zentrum zumindest für einen Teil der Troas, scheint wirtschaftlich aber unbedeutend gewesen zu sein.29 9. Sicht der Sprachwissenschaft30 Die Bestrebungen, einen historischen Krieg im spätbronzezeitlichen Troia nachzuweisen, bekamen neuen Aufschwung durch Forschungsimpulse der letzten zwanzig Jahre: 1. im Bereich der Archäologie durch Korfmanns Grabungen, die eine sog. Unterstadt nachwiesen, 2. auf althistorischem Gebiet durch eine präzisere Rekonstruktion der geographischen Verhältnisse Kleinasiens zur Bronzezeit,31 3. auf philologischem Feld durch den im Jahre 1986 publizierten Vorschlag von Calvert Watkins, in einer keilschriftluwischen Liedzeile das Zeugnis einer luwischen „Wilusiade” (d.h. Ilios-Geschichte) zu erkennen. Dies ermöglichte die Hypothese, die griechische Epentradition um Troia könnte eine kleinasiatische Vorlage oder Parallele haben. Der Homer-Philologe Joachim Latacz vereint in seiner Monographie "Troia und Homer. Der Weg zur Lösung eines alten Rätsels", München–Berlin 20013, einzelwissenschaftliche Argumente zu folgender dreiteiliger These (sog. universalhistorisch-pragmatische Theorie32): - Gegen Ende der Bronzezeit habe ein griechisch-troianischer Konflikt stattgefunden. - Die historische Erinnerung an diesen Konflikt und an die heldenhaften Taten der Protagonisten sei in der griechischen Epentradition verarbeitet worden. - Auf diesem Weg sei der „Troia-Stoff” schliesslich zum Ilias-Dichter gelangt, der ihn als Rahmenhandlung einer Erzählung verwendete, in deren Zentrum der Konflikt zwischen den beiden griechischen Heerführern Agamemnon und Achilleus steht. 26 Cf. Kolb (2010) 57. Kolb (2010) 145. 28 Einziges schriftliches Dokument, das in einer Siedlungsschicht, die frühestens um 1100 zu datieren ist, in Hisarlık gefunden wurde, ist ein Bronzesiegel mit luwischer Beschriftung. Die Beschriftung weist es als Besitz eines Schreibers und seiner Frau aus. 29 Cf. Kolb (2010) 150–152. 30 Cf. Hajnal (2003a). 31 Siehe QUELLENTEXTE, TAFELN UND TABELLEN XVIII. 32 Siehe QUELLENTEXTE, TAFELN UND TABELLEN XVII. 27 9 ETHZ, D-GESS, Heureka IV: “Antike Metropolen. Die Bedeutung urbaner Zentren im griech.-röm. Kulturraum” Modul 6: Troia. Eine Stadt zwischen Realität und Fiktion, 18.5./25.5.2016 (A. Broger) Das Epos kann dann als Rahmen einer historischen Troiaerzählung gedient haben, wenn es im 13. Jahrhundert v. Chr. bereits eine mündliche Sängertradition gegeben hat, was sich jedoch nicht nachweisen lässt. Das von Homer für seine Epen verwendete Versmass des Hexameters ist jedenfalls erst in nachmykenischer ausgeformt worden.33 Insofern als Linear B-Tafeln aus Theben die im homerischen Schiffskatalog gezeichnete Geographie Boiotiens als historisch bestätigen, ist erwiesen, dass bronzezeitliches Wissen in die griechische Epentradition eingeflossen ist. Die Namen wichtiger Personen in der Ilias knüpfen zwar an die Bronzezeit an, gehören auf den Linear B-Tafeln jedoch in andere soziale Kontexte. Die These um ein mykenisches Epos liesse sich verifizieren, wenn wir für den griechischen Troiastoff eine anatolische Parallele – etwa in Form der oben genannten hethitischen „Wilusiade” – sichern könnten, was aufgrund einer einzigen bekannten Liedzeile selbstverständlich nicht möglich ist. Von universalhistorisch-pragmatischer Seite wird ferner postuliert, die in der Ilias genannten Ortsnamen (sog. Toponyme) entsprächen Toponymen auf hethitischen Quellen des zweiten Jahrtausends. Konkret geht es um die beiden Namensgleichungen homerisch Ἴλιος [Ilios] gleich hethitisch Ṷiluša sowie homerisch Τροίη [Troiē] gleich hethitisch Tarṷisa. Angenommen diese Gleichungen seien korrekt, wäre der Schauplatz der Ilias mit Ṷiluša/Tarṷisa der hethitischen Quellen identisch und entspräche dem heutigen Grabungsort am Hisarlık. Der Schauplatz der Ilias würde dann zur historischen Grösse. Das Problem ist jedoch augenfällig: Keine der homerischen Formen ist mit dem hethitischen Pendant hinsichtlich seiner phonologischen (d.h. lautlichen) Struktur gleich. Aus strenger methodischer Sicht ist ein Namensentsprechung nur dann gesichert, wenn sich auf zwei Ebenen eine Übereinstimmung erzielen lässt: 1. auf funktionaler Ebene: Eine Entsprechung ist nur dann plausibel, - wenn sich sichern lässt, dass die betreffenden Toponyme bezüglich ihrer geographischen Lage zusammenfallen: "absolute funktionale Identität" - und/oder wenn die beiden Toponyme im geographischen System der Region dieselbe Position einnehmen. Das heisst: sich nach den Methoden der relativen Geographie im selben Kontext lokalisieren lassen: "relative funktionale Identität". 2. auf formaler Ebene: Eine Entsprechung ist nur dann plausibel, - wenn die betreffenden Toponyme phonologisch identisch sind und/oder die Übernahme nach strenger phonologischer Systematik (nach „Lautgesetzlichkeit") erfolgt ist: "absolute formale Identität". - und/oder wenn sich zwischen den betreffenden Toponymen morphologische Muster nachweisen lassen, die für beide Toponyme eine gemeinsame Basis erkennen lassen: "relative formale Identität". Um eine Namensentsprechung zu sichern, muss Übereinstimmung auf funktionaler sowie formaler Ebene vorliegen. Fazit in der Frage der Namensentsprechungen: - Die Namensentsprechung Ilios ~ Ṷiluša kann funktional wie formal aufrechterhalten werden. - Die Namensentsprechung Troiē ~ Tarṷisa ist einzig auf der formalen Ebene möglich. Auf der funktionalen Ebene hingegen versagt sie: Zwar ist hethitisch Tarṷisa in Reichweite von Ṷiluša anzusiedeln, doch bezeichnet es – anders als das epische Ilios/Troiē (Burghügel/Unterstadt) – getrennte Lokalitäten. 33 Cf. Hajnal (2003b) 221; 229. 10 ETHZ, D-GESS, Heureka IV: “Antike Metropolen. Die Bedeutung urbaner Zentren im griech.-röm. Kulturraum” Modul 6: Troia. Eine Stadt zwischen Realität und Fiktion, 18.5./25.5.2016 (A. Broger) - Ilios als Handlungsort der Ilias referiert auf den Schauplatz, der auf hethitischen Texten aus der Bronzezeit unter dem Namen Ṷiluša auftritt. - Das epische Troiē referiert sprachlich-formal auf den bronzezeitlichen Schauplatz Tarṷisa, jedoch nicht inhaltlich-funktional. Somit bedient sich das Epos eines Toponyms in Verkennung seiner eigentlichen Funktion "Die Untersuchung möglicher homerisch-hethitischer Namensentsprechungen zeigt deutlich, dass ein wichtiger Pfeiler des universalhistorisch-pragmatischen Theoriegebäudes aus sprachwissenschaftlicher Sicht wenig tragfähig ist. Das homerische Ilios mag zwar bronzezeitliches Ṷiluša fortsetzen, doch weitere vermeintliche Namensentsprechungen nähren den Verdacht: Die von Homer gezeichnete Kulisse setzt sich aus Versatzstücken zusammen und ist keinesfalls historisch authentisch. Fazit: Meine Überlegungen widerlegen die Hypothese, das Epos beruhe auf einer historischen Erzählung über einen historische bronzezeitlichen Konflikt zwischen Griechen und Kleinasiaten. Doch gestatten – wenn nicht sogar empfehlen – sie ein Alternativszenario: dass sich der Dichter der Ilias einer historischen Rekonstruktion bedient, deren Bausteine durchaus bronzezeitliche Relikte sein können. In diesem Sinne ist die Ilias weniger authentisch als vielmehr archaisierend – und ist als historische Quelle nur von bedingtem Wert."34 10. Fazit Das historische Troia war zu keiner Zeit eine Metropole, wohl aber ein Siedlungszentrum des nordwestlichen Kleinasien in der Bronzezeit. Seine politische und wirtschaftliche Bedeutung scheint eher gering gewesen zu sein. Am Hellespont strategisch günstig gelegen, hatte es zwar die Möglichkeit, den Schiffsverkehr zwischen Ägäis, Marmara- und Schwarzem Meer zu kontrollieren. Doch die Grabungen förderten sehr wenig Importgut zutage. Bei der mykenischen Keramik handelt es sich zum grössten Teil nicht um importierte, sondern um örtlich hergestellte Ware. Der Wirtschaftsverkehr in Troia scheint zu keiner Zeit (von Troia I–VII) wirkliche Handelstätigkeit gewesen zu sein. "Troia war ein Glied im Kontaktsystem der Nordägäis, aber kaum ein Mittler zwischen Griechenland und Anatolien und sicher kein Scharnier zwischen Ost und West gewesen."35 Seit der Zeit des Hellenismus bis zum Untergang des byzantinischen Reiches war Troia/Ilion touristischer Anziehungspunkt. 34 35 Hajnal (2003a) 13f. Hänsel (2003) 119. 11 ETHZ, D-GESS, Heureka IV: “Antike Metropolen. Die Bedeutung urbaner Zentren im griech.-röm. Kulturraum” Modul 6: Troia. Eine Stadt zwischen Realität und Fiktion, 18.5./25.5.2016 (A. Broger) 11. Bibliographie - Becks, Ralf (2006): "Troia in der späten Bronzezeit – Troia VI und Troia VIIa". In: Korfmann (2006) 155–166. - Brandau, Birgit, Schickert, Hartmut, & Jablonka, Peter (2004): Troia. Wie es wirklich aussah. München 2004. - Burkert, Walter (1995): "Lydia between East and West". In: The Ages of Homer. Ed. by Jane B. Carter and Sarah P. Morris. Austin 1995, pp. 139–148 = Kl. Schr. I, pp. 218–232. - Burkert, Walter: Kleine Schriften I. 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Doch in welchem Verhältnis steht der Troia-Mythos zu modernen archäologischen, historischen und literaturwissenschaftlichen Erkenntnissen? Die Teilnehmenden lernen den Mythos vom Troianischen Krieg und seine wichtigsten literarischen Quellen kennen sowie seine Bedeutung für das antike Geschichtsbild. Sie können den Mythos von Erkenntnissen der modernen Geschichtswissenschaft und Archäologie abgrenzen und verstehen die Beziehung zwischen Mythos und Geschichtlichkeit. Für Fragen: anne.broger@uzh.ch 13