Der vollständige Bericht "Indiens Kampf gegen die Korruption"

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Der vollständige Bericht "Indiens Kampf gegen die Korruption"
POLITISCHER SONDERBERICHT
Projektland:
Indien
Datum:
16.08.2011
INDIENS KAMPF GEGEN DIE KORRUPTION
„Alle Korruption wird eines Tages ans Licht kommen, egal wie sehr man versucht,
diese zu verdecken: Die Öffentlichkeit hat dann das Recht und die Pflicht, in jedem
Falle eines berechtigten Verdachtes, seine Staatsdiener zu strikter Rechenschaftslegung aufzufordern, sie zu entlassen, rechtliche Schritte gegen sie einzulegen, oder
einen Gutachter bzw. Inspektoren einzusetzen, um deren Handlungsweise zu
untersuchen und zu prüfen.“
Mahatma Gandhi (1928)
Im Jahr 2011 hat die indische Politik mit zahlreichen Turbulenzen zu kämpfen. Fokus
der Geschehnisse ist dabei immer wieder die Korruption. Die durch die Korruption
bedingte Hitze hat sich über Jahre hinweg aufgestaut und ist nun vulkanartig
hervorgebrochen, wobei die derzeitige Regierungskoalition, die „United Progressive
Alliance (UPA)1“ von der Lava mitgerissen wurde.
Auslöser dieser Anti-Korruptions-Revolte war eine Vielzahl von Betrugsfällen in der
indischen Bürokratie und Politik. Riesige Geldmengen wurden veruntreut.
Beispielsweise kam es im Zusammenhang mit den „Common Wealth Games“ zur
Unterschlagung von mehr als 1,2 Milliarden Euro. Dieser Betrug trat bei der
nachträglichen Kalkulation der Ausgaben der Spiele zutage. Hauptangeklagter war der
Chef-Organisator der Spiele und damaliges Mitglied der Kongresspartei, Suresh
Kalmadi. Er wurde zwischenzeitlich vom „zentralen Untersuchungsbüro“ (Central
Bureau of Investigation) verhört, für schuldig befunden, von der Polizei verhaftet und
sitzt nun im Gefängnis. Die Commonwealth-Spiele sollten eigentlich das Image Indiens
und die Organisationsfähigkeit gegenüber anderen Staaten herausstellen,
insbesondere im Hinblick auf den großen Erfolg der Olympischen Spiele in China.2
1
UPA ist die Vereinigte Fortschrittliche Allianz, welche aktuell die Regierungskoalition indischer
Parteien um die Kongresspartei darstellt.
2
vgl. hierzu http:/www. giga-hamburg.de/dl/download.php?d=/content/publikationen/pdf7gf_
http://www.giga-hamburg.de/dl/download.php?d=/content/publikationen/pdf/gf_asien_1104.pdf
Hanns-Seidel-Stiftung_ Politischer Sonderbericht_Indien_16.08.2011
1
Zur selben Zeit wurde ein anderer Betrugsfall im Telekommunikationssektor bekannt.
Dieser wird umgangssprachlich als „2G-Betrugsfall“ 3 bezeichnet. In den „2G spectrum
scam“ (2G-Frequenzband-Betrug) waren Beamte und Minister der indischen Regierung
verwickelt. Anstelle einer ordentlichen Versteigerung flossen bei der Vergabe der
sogenannten 2G-Übertragungslizenzen im Jahr 2008 Schmiergelder. So konnten die
Telekommunikationsunternehmen die Lizenzen zu weitaus günstigeren Bedingungen
erwerben, als es bei einer ordnungsgemäßen Versteigerung der Fall gewesen wäre.
Einem Bericht des Rechnungshofes („Comptroller and Auditor General“) zufolge betrug
der beim Verkauf der 2G-Lizenzen entstandene Schaden durch unterschlagene Gelder
für die Staatskasse ca. 27 Milliarden Euro4. Übeltäter in diesem Betrugsfall war kein
geringerer als der Telekom-Minister der UPA-Regierung, Andimuthu Raja. Nachdem der
Skandal in die Öffentlichkeit getragen wurde, begannen die Ermittlungen gegen ihn.
Derzeit befindet er sich in polizeilichem Gewahrsam. Sein Fall wird am Obersten
Gericht verhandelt.
Ähnliche Betrugsfälle sind der Adarsh Housing Society Scam (AdarshWohnbaugesellschafts-Betrugsfall) – bei welchem unter Involvierung des
Ministerpräsidenten von Maharashtra für Kriegswitwen vorgesehene Wohnungen u.a.
an Verwandte führender Politiker vergeben wurden.5 Ein weiterer Betrugsfall der
jüngsten Vergangenheit ist der Satyam Ramalinga Raju Scam, bei welchem Ramalinga
Raju, ein Industrieller, mit falschen Rechnungen die Bilanzen der ehemals viertgrößten
Outsourcing Firma Indiens, „Satyam Computer Services“ fälschte und damit in fünf
Jahren betrügerisch ihren Bestand beinahe verdoppelte.6 Ein anderes Beispiel ist der
Dinesh Dalmia Scam7, bei welchem sich Dinesh Dalmia, ein indischer Industrieller, mit
illegalen Mitteln Unmengen an Geldern aneignete.
Diese Korruptionsfälle reichten aus, um landesweite Proteste zu entfachen.
Mittlerweile nehmen die Proteste die Form einer weitverbreiteten Anti-KorruptionsBewegung an.
Historie der Antikorruptionsbewegung
Um der „systemimmanenten“ Korruption in Indien Einhalt zu gebieten, wurde bereits
vor 46 Jahren von Shanti Bushan, einem einflussreichen Anwalt und Sozialaktivisten
eine sogenannte „Lokpal Bill“ vorgeschlagen, in dem ein Ombudsmann als Gutachter
eingesetzt werden sollte. Jedoch wurde dieser „Lokpal-Gesetzentwurf“ bis heute in
keiner einzigen Sitzung des Parlaments ernsthaft diskutiert, weswegen er nie in die
Verfassung aufgenommen wurde. Es ist nun das Hauptziel der andauernden Proteste,
den Gesetzesentwurf zu ratifizieren und im Anschluss zu implementieren, und zwar
derart, dass dem „Lokpal“ nicht nur ein beratender, sondern ein bindender Status
eingeräumt wird.
Anna Hazares Beitrag zur Anti-Korruptions-Bewegung
Die Protestbewegung wird primär von Anna Hazare angeführt. Dieser folgt der
gandhischen Idee der Gewaltlosigkeit. Er kämpft mittels der Durchführung von
3
2G ist die das Mobilfunknetzwerk der zweiten Generation.
Vgl. httpw://ww.ndtv.com/article/india/what-is-2g-spectrum-scam-66418
5
Vgl. http://www.giga-hamburg.de/dl/download.php?d=/content/publikationen/pdf/gf_asien_1104.pdf
6 Vgl. http://www.giga-hamburg.de/dl/download.php?d=/content/publikationen/pdf/gf_asien_1104.pdf
7
http://www.indianexpress.com/oldStory/87787/
4
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2
Hungerstreiks gegen die Korruption und zeigt somit die Relevanz der gandhischen
Satyagraha.8 Korruptionsvorwürfe gegen die meisten politischen Führer sowie die
Tatenlosigkeit von der Seite der Regierung haben beim „aam admi“ (Common Man =
der Gemeine) vielfach dazu geführt, dass der Protest des „Anti-BestechungsKreuzritters“ Hazare unterstützt wird. Hazare beschloss die Dinge selbst in die Hand zu
nehmen und es mit den korrupten „Babus“ (Führern) aufzunehmen, indem er nach
monatelangem vergeblichen Versuch zur Diskussion, sein erstes „Todesfasten“ gegen
die Korruption in Neu Delhi ankündigte und ab 5. April durchführte.9
Zur Person
Anna Hazare wurde am 15. Januar 1940 in Bhingar, im Ahemdnagar-Distrikt,
Maharashtra als Kisan Baburao Hazare geboren. Er ist ein indischer Sozialaktivist, der
insbesondere für seinen Beitrag zur Entwicklung und die Etablierung von Ralegan
Siddhi, einer Art Modell-Dorf in Parner Taluka im Ahmednagar-Distrikt, Maharashtra,
bekannt ist. Hierfür wurde er von der indischen Regierung im Jahre 1992 mit dem
Padma Bhushan – der dritthöchsten indischen Auszeichnung für Zivilpersonen –
ausgezeichnet10. Derzeit ist er ein Mitglied des Ausschusses zur Entwicklung eines
Lokpal Gesetzes.
Hazare fasste den Entschluss zur Aufnahme seines unbefristeten Fastens infolge seiner
Forderung, das lang in der Zivilgesellschaft diskutierte Gesetz gegen Korruption, das
„Jan Lokpal“-Gesetz zu erlassen. Mit dem Gesetz in Kraft gäbe es ein unabhängiges
Gremium, den „Lokpal“, das Bürgerbeschwerden gegen Korruption entgegennimmt,
„Verdächtige überprüft und Schuldige ohne Ansehen der Person vor Gericht bringt“11.
Dies soll zur Lösung der zahlreichen Korruptionsfälle beitragen, da diese langsam zu
einer ernsthaften Gefahr werden, die Wurzeln der indischen Demokratie zu zerstören.
Vor allem soll mit der Implementierung des Gesetzes die Untersuchung von
Verstrickungen ranghoher, in der Öffentlichkeit stehender Personen in
Bestechungsskandale effektiver werden. Eine der Forderungen ist auch, den
Premierminister und den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes (Chief Justice of
India (CJI)) nicht von dem Gesetz auszunehmen.
Das Gesetz würde, so die Hoffnung, eine schnellere und kostengünstigere Form von
Recht und Gerechtigkeit herstellen. Denn nach der „Lokpal Bill“ wird keine Erlaubnis
des „Hochkommissariats“ (high commission) abgewartet, um Untersuchungen über
vermutete Unregelmäßigkeiten oder Korruptionsklagen gegen politische Führer,
Bürokraten und gegen Richter einzuleiten. „Lokpal Bills“ wurden schon einige Male im
Parlament vorgestellt (1969, 1971, 1977, 1985, 1989, 1996, 1998, 2001, 2005 und
2008), jedoch ist in allen Fällen der (Gesetzes-) Erlass gescheitert.12
Hazare forderte anlässlich seines Protestbeginns am 5. April 2011 nicht nur die
Einrichtung des „Jan Lokpal (Ombudsmann)“-Gremiums, das seiner Ansicht nach eine
dem Obersten Gerichtshof oder der Wahlkommission ähnelnde Institution sein sollte,
sondern zusätzlich in jedem Staat die Einrichtung eines „Jan Lokayukta“, um
8
Hierbei handelt es sich um die von Mahatma Gandhi entwickelte Grundhaltung, die auf die Änderung
bestehender Verhältnisse vermittels der Gewaltlosigkeit basiert.
9
http://news.oneindia.in/2011/04/06/anna-hazare-fast-corruption-what-is-lokpal-bill-aid0101.html
10
http://www.annahazare.com/
11
http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Indien/korruption3.html
12
http://news.oneindia.in/2011/04/06/anna-hazare-fast-corruption-what-is-lokpal-bill-aid0101.html
Hanns-Seidel-Stiftung_ Politischer Sonderbericht_Indien_16.08.2011
3
Korruptionsbeschwerden entgegenzunehmen, diese innerhalb von sechs Monaten zu
untersuchen und die Schuldigen strafrechtlich zu verfolgen. Die Dauer von Hazares
Fasten betrug nur 96 Stunden. Dann wankte die damals unvorbereitete Regierung.
Hazare beendete sein Fasten am 9. April 2011, an dem Tag, nachdem die Regierung
allen seinen Forderungen zugestimmt hatte. Die Regierung gab eine Pressemitteilung
über die Formierung eines „gemeinsamen Ausschusses“ (joint committee), bestehend
aus der Regierung und Repräsentanten der Zivilgesellschaft heraus, mithilfe dessen
eine effektive „Lokpal Bill“ ausgearbeitet werden sollte.
Das Team um Anna Hazare
Zum engeren Kreis um Anna Hazare gehört Kiran Bedi. Kiran Bedi war in ihrer aktiven
Zeit Indiens erste und in der Hierarchie ranghöchste weibliche Polizeibeamtin. Sie hat
als Polizeiberaterin in der „Abteilung für Operationen zur Friedenserhaltung“
(Department of Peacekeeping Operations) des UN-Generalsekretärs sowie in vielen
anderen internationalen Foren gearbeitet. Seit ihrem Ausscheiden aus der aktiven
Polizeitätigkeit wurde Kiran Bedi zur internationalen Aktivistin für Prävention von
Verbrechen, von Drogenmissbrauch, für Polizei- und Strafanstaltsreformen,
Frauenangelegenheiten und menschliche Wohlfahrt. Sie gründete und betreibt zwei
Nonprofit-Organisationen: „Navjyoti“ und die „India Vision Foundation“, die Bildung,
berufliche Schulungen und Behandlung von Drogensucht bei Frauen und Kindern in
Indiens Elendsvierteln, ländlichen Gebieten und Gefängnissen bereitstellen.13
Kiran Bedi wirbt für Hazare bei öffentlichen Versammlungen mit folgender Aussage:
„Wenn die Geschichte der Anti-Korruptions-Bewegung für die Nachwelt geschrieben
wird, wird das Gesicht des Protestveteranen Anna Hazare mit diesem Kampf
identifiziert werden“.14 Neben Kiran Bedi sind folgenden Personen weitere wichtige
Unterstützer von Hazares Anti-Korruptions-Bewegung: Jayant Patil von der „Peasants
and Workers Party“ („Bauern- und Arbeiterpartei“), Shiv Sena15 und deren
Parteivorsitzender Bal Thackeray, der pensionierte Richter Santosh Hegde, der Anwalt
Prashant Bhushan sowie Swami Agnivesh, ein intellektueller Guru. Die Reihe der
landesweiten Unterstützer ließe sich beliebig fortsetzen.
Schmutzkampagne gegen Hazare
Obwohl die Zentralregierung vielen Forderungen zugestimmt hat, wurde Hazare
gleichzeitig von Ministern der UPA (United Progressive Alliance) einer Agentenschaft
der Rashtriya Swayamsewak Sangh (RSS) bezichtigt. Die RSS ist im Umfeld der
hindunationalen Oppositionspartei Bharat Janata Party (BJP) anzusiedeln und wird von
Analysten oft als radikal bezeichnet. India Today schreibt hierzu: „Die große alte
Partei (die Kongresspartei) zeigt ihr gemeines Gesicht. Erschüttert durch die riesige
Welle der Unterstützung für den gandhischen Veteran Anna Hazare, der durch
Todesfasten auf ein umfassendes Anti-Korruptions-Überwachungsgesetz drängte,
reagierte die regierende Kongresspartei mit dem Versuch, Hazares wachsende
Bewegung zu diskreditieren. Die Gegenoffensive der Partei wurde an der
schockierenden Behauptung aufgehängt, dass Personen wie Hazare als Agenten der
RSS agierten“.16 Hazare antwortete auf diese Anschuldigungen mit der Versendung von
13
http://kiranbedi.org/
http://www.prokerala.com/news/articles/a222398.html
15
Bei Shiv Sena handelt es sich um eine der hindunationalen BJP nahestehende Organisation.
16
http://indiatoday.in/site/story/congress-claims-anna-hazare-acting-like-agent-of-rss/1/134443.html
14
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4
Briefen an Sonia Gandhi, der Führerin der UPA (United Progressive Alliance) und
Vorsitzende der Kongress-Partei sowie an den Premierminister (Dr. Manmohan Singh).
In diesen Briefen beschwerte Hazare sich über die Lügen, die das Ziel hätten ihn zu
diffamieren. Es verhieße nichts Gutes für das Land, wenn die verantwortlichen
politischen Führer anfingen, „Lügen zu erzählen, nur um sich an ihre Macht zu
klammern“.17 Gleichzeitig übermittelte Hazare in dem Brief an den Premierminister
seine starke Betrübnis über die Vorwürfe: „Ich bin kein Kind, dass dazu „angestiftet“
werden kann, ein unbefristetes Fasten zu beginnen. Ich nehme Ratschläge von vielen
Freunden und Kritikern an, aber ich tue, was mein Gewissen mir zu tun rät. Es ist
meine Erfahrung, dass in die Ecke getriebene Regierungen sogar auf Verleumdung
zurückgreifen. Es schmerzt mich, dass die Regierung, anstatt sich mit der
Korruptionsproblematik auseinanderzusetzen,
versucht, eine
Konspiration
18
heraufzubeschwören, wo keine ist.“
Baba Ramdev
In der Folge von Hazares Protest muss auch der Beitrag von Baba Ramdev zu dieser
landesweiten Anti-Korruptions-Bewegung betrachtet werden. Sein Protest basierte
ebenfalls auf einem angedrohten Hungerstreik in Neu Delhi bis zum Tode, erlitt aber
durch den Einsatz von Polizeigewalt nach einem Tag ein frühes Ende.
Ramdev ist eine anerkannte Person aus dem Yoga-Umfeld. Er hat sein Yogazentrum an
einem heiligen Platz in Nordindien an den Ufern des heiligen Stroms Ganges, in
Haridwar. Seine Yoga-Botschaften werden im Fernsehen ausgestrahlt und jeden Tag
von ca. 10 Millionen Indern im ganzen Land verfolgt.
Sein Kampf gegen die Korruption begann, als der „Commonwealth Scam“ (der
Betrugsfall im Zusammenhang mit den Spielen der Commonwealth-Länder) ans Licht
kam und er einen Antrag zur Erlangung seines „Rechtes auf Information“ (Right to
Information (RTI) application) einreichte, um die in diesen Fall verwickelten Minister
aufzuspüren. Am 14. November 2010 ließ er bei einer Protestkundgebung seiner
politischen Partei Bharat Swabhiman gegen die mutmaßliche Bestechung bei den
„Commonwealth Games“ am „Jantar Mantar“ in Zentral-Delhi gegenüber seinen
Unterstützern verlauten: „Personen, die der Korruption für schuldig befunden wurden,
sollten erschossen werden (...). Wir müssen dem chinesischen Beispiel folgen und
Personen, die Korruptionsschuld tragen, erschießen. Indien kann solange
wirtschaftlich nicht aufstreben, bis die für den Betrug verantwortlichen Politiker,
Beamten und Funktionäre zur Rechenschaft gezogen werden.“19
Sein Hunger-Protest vom 6. Juni 2011 kann zwar nicht als „Nachfolger“ des Fastens
von Anna Hazare am 5. April 2011 gesehen werden, hatte aber das gleiche Ziel: die
Bekämpfung von Korruption. Das von Baba Ramdev organisierte Fasten wurde in
einem Zelt mit einer Aufnahmekapazität von ca. 50.000 Menschen in Neu Delhi
organisiert. Hauptziel von Ramdevs Hungerstreik war es, die indische Regierung dazu
zu bewegen, riesige auf Auslandskonten versteckte Geldmengen nach Indien
zurückzubringen. Weitere Forderungen betrafen die massive Menge an „high
denomination money“ (Geld mit einem sehr hohen Nennwert) auf dem Markt, deren
17
http://www.indianexpress.com/news/anna-letter-to-sonia-no-rss-links-congress-leaderslying/802711/
18
http://ibnlive.in.com/news/full-text-of-anna-hazares-letter-to-the-pm/148435-3.html
19
http://hindustantimes.com/Shoot-the-corrupt-Baba-Ramdev/Article1-626288.aspx
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5
Reduktion er forderte, um Bestechung zu erschweren. Außerdem forderte er die
Einführung einer strikten Bestrafung für korrupte Politiker und Bürokraten.
Der am 4. Juni begonnene Protest wurde in derselben Nacht von der Polizei - nach
Anordnung der UPA-Regierung – durch die robuste Vorgehensweise der Polizei
unterbrochen. Baba Ramdev beschrieb dieses Ereignis in Delhis „Ramlila Ground“ als
die „schwärzeste Nacht seines Lebens“. Er sagte, er habe solche Gräuel zuvor noch
niemals gesehen. „Die Polizeikräfte, 5.000 - 10.000 an der Zahl, haben nicht einmal
die kleinsten Kinder verschont. Frauen und Kinder wurden über den Platz geschleift
und zusammengeschlagen.“20 Ob dies tatsächlich so war, oder ob Ramdev übertrieb,
kann nicht klar bewiesen werden. Die Regierung indes rechtfertigte ihr robustes
Vorgehen. Einer der Gründe, welcher vom Minister für Kommunikations- und
Informationstechnologie, Kapil Sibal, angeführt wurde, war, dass Baba Ramdev
lediglich eine Erlaubnis für ein „Yoga-Camp“ für 5.000 Menschen erteilt bekommen
hätte. Als aber über 50.000 Menschen in den „Ramlila-Platz“ der Hauptstadt kamen
und Ramdev mit einem Hungerstreik begann, konnte die Regierung „nicht erlauben,
dass Recht und Ordnung zerstört wurden.“21
Die Regierung hatte in beiden Fällen Bedenken, dass sowohl Anna Hazare als auch
Baba Ramdev von der hindunationalen BJP22 und der RSS unterstützt wurden.
Analysten sagten, dass die Regierung damit beschäftigt gewesen sei, die Opposition in
dieser Sache anzuklagen, anstatt nach der Wahrheit zu suchen. Dies sei insbesondere
im Falle von Baba Ramdevs Fasten offenkundig geworden. Hier hätte der eine oder
andere Politiker der Kongresspartei versucht, die Oppositionspartei in den
Hungerstreik mit hineinzuziehen. Beispielsweise sagte Digvijay Singh, Mitglied der
Kongresspartei, öffentlich, dass Ramdevs „5-Sterne-Satyagraha“ die Unterstützung der
RSS habe“.23
Die Oppositionspartei BJP hat die Vorgehensweise der UPA-Regierung scharf verurteilt.
Der Führer der BJP, L.K. Advani, sagte, dass Premierminister Manmohan Singh und
Sonia Gandhi dem Land eine Erklärung schuldig seien. Er drängte auch Präsidentin
Pratibha Patil dazu, eine Notfall-Sitzung des Parlaments einzuberufen, um die
„Ramdev-Krise“ zu diskutieren. Die Präsidentin solle nach Advanis Auffassung keine
„passive Beobachterin“ bleiben.24 In der Unterstützung der Anti-KorruptionsBewegung hielt die BJP eine nächtliche Versammlung bei „Delhis Rajghat“, einem
Denkmal für Gandhi, ab, um gegen die kontroverse Behandlung von Baba Ramdev und
seinem Fasten gegen die Korruption zu protestieren.25 Auch Protestveteran Anna
Hazare kritisierte das harte vorgehen der Regierung gegenüber Ramdevs HungerProtest. Aus Solidarität boykottierten er und die anderen Mitglieder der
Zivilgesellschaft die Sitzung des „Lokpal Bill joint drafting committee“ mit der
20
http://www.ndtv.com/article/india/baba-ramdev-evicted-after-lathicharge-tear-gas-shells-110207
http://www.ndtv.com/article/india/baba-ramdev-evicted-after-lathicharge-tear-gas-shells-110207
22
Bhartiya Janata Party (BJP) is presently the opposition party in India.
23
http://www.ndtv.com/article/india/evicted-baba-ramdev-says-hunger-fast-continues-110272
24
http://www.ndtv.com/article/india/ramdev-eviction-advani-and-co-pull-an-all-nighter-in-protest-atrajghat-110379
25
http://www. ndtv.com/article/india/ramdev-eviction-advani-and-co-pull-an-all-nighter-in-protest-atrajghat-110379
21
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6
Regierung. „Wir verdammen diese Aktion. Dies ist eine Verschwörung gegen die
Menschheit“. Es sei „wie die Erdrosselung der Demokratie“, so Hazare.26
Ramdev ist sehr zielstrebig in seinem Kreuzzug gegen die Korruption und zeigt sich
gewillt, den Protest weiterzuführen. Als Antwort auf die Polizeiaktion während seines
Fastens schlug er mit Wortattacken gegen die Regierung zurück: „Wir sind wegen der
Brutalität der Polizei vor Gericht gezogen. Niemand kann unsere Proteste zerschlagen.
Die ganze Nation hat ihre Meinung gezeigt.“ (...) „Wir werden uns im ganzen Land
versammeln, fasten und „dharnas“ (Proteste) abhalten; wir werden zu jedem Haus
gehen und die Leute über das Regierungshandeln informieren“.27 Ramdev hatte
danach weitergefastet, wurde aber aufgrund seines sich verschlechternden
Gesundheitszustandes ins Krankenhaus gebracht und hat letztendlich sein Fasten
abgebrochen. Das war im Juni dieses Jahres.
Derweil blieb Hazare nicht untätig sondern debattierte seinen Entwurf mit politischen
Parteien. Für viele seiner Forderungen erhielt er Zustimmung, auch dafür, dass das
Lokpal auch den Premierminister und die höhere Gerichtsbarkeit ins Visier nehmen
soll. Doch die Regierung ließ laut werden, sie werde Hazares Entwurf ignorieren und
nur den eigenen vor das Parlament bringen. Worauf Hazare verkündete, er werde am
16. August, 24 Stunden nach Beginn des Unabhängigkeitstags, mit großer Gefolgschaft
wieder in den Hungerstreik treten. Die Regierung veranlasste inzwischen, dass die
Polizei in Delhi aufkommende Aktionen der Bürgerbewegung verhinderte28. Am 9.
August fand jedoch in Mumbai eine riesige Protestkundgebung mit Anna Hazare zur
Mobilisierung der Bevölkerung statt29 und am 11. August wurde in der „Economic
Times“ verkündet, dass Anna Hazare für seine Fastenaktion am 16. August schließlich
doch ein Platz zugeteilt wurde: Die Aktion wird am Jai Prakash Narayan Memorial Park
neben den „Feroze Shah Kotla Ground“ stattfinden.30 Zwischenzeitlich verbrannte
Anna Hazare öffentlich Kopien der „Regierungsversion“ der „Lokpal Bill“, zuletzt am
Donnerstag, 12. August, beim Jantar Mantar in Neu Delhi.31
Fazit, letzte Ereignisse und Ausblick
Experten sind der Ansicht, dass Korruption zwar stets in Indien vorhanden war,
Indiens enormes Wirtschaftswachstum aber zur „Mast“ von Korruptionsaffären geführt
habe. Zieht man den immensen Korruptionsausbruch in diesem Jahr in Betracht,
kommt man zu dem Schluss, dass diese Art des Protestes unausweichlich ist. Anführer
und Unterstützer dieser Bewegung wie Anna Hazare, Baba Ramdev, Kiran Bedi und
viele andere wollen Vorbilder für die Menschen werden, indem sie ihnen zeigen, wie
Demokratie praktiziert werden kann, wenn die gewählten Repräsentanten und
Repräsentantinnen im Parlament nichts gegen die Krebsgeschwüre unternehmen und
sich immer mehr bereichern. Einerseits machen sie der Masse der Bürger so deren
26
http://www.ndtv.com/article/india/ramdev-eviction-anna-hazare-team-to-boycott-lokpal-meetingfast-on-june-8-110349
27
http://ndtv.com/article/india/evicted-baba-ramdev-says-hunger-fast-continues-110272
28
http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Indien/korruption3.html
29
http://english.samaylive.com/nation-news/676491758/lokpal-row-anna-hazare-s-rally-begins-inmumbai.html
30
http://economictimes.indiatimes.com/news/politics/nation/lokpal-bill-anna-finally-gets-space-tofast-near-kotla/articleshow/9561980.cms
31
http://timesofindia.indiatimes.com/topic/Lokpal-Bill
Hanns-Seidel-Stiftung_ Politischer Sonderbericht_Indien_16.08.2011
7
Pflichten bewusst, selbst gegen Notstände vorzugehen, andererseits muss die Frage
gestellt werden, ob Hungerstreik ein verfassungskonformes Mittel zur Bekämpfung
dieser Geschwüre ist.
Am 16. August wurde nun die nächste Runde der Antikorruptionskampagne der
Hazare-Gruppe mit einem angedrohten weiteren Hungerstreik von Anna Hazare
eingeläutet. Es wurde ein schwieriger Beginn für Hazare, denn die Regierung war
diesmal gut vorbereitet. Zuvor hatte sie die Angelegenheit an die lokalen Instanzen der
Hauptstadtregion übergeben. Diese hatten die Polizei damit beauftragt, für die
Einhaltung der Versammlungsgesetzrichtlinien zu sorgen und grenzte mit klaren
Ankündigungen im Vorfeld den Ring ab. Es wurden 22 Bedingungen aufgestellt, ohne
deren Zusicherung der Protest nicht genehmigt werden könne. Der wichtigste Punkt:
Das Fasten soll auf drei Tage zeitlich begrenzt werden. Dies hat Premierminister
Manmohan Singh nochmals ausdrücklich in seinem Brief an Hazare vom 14. August
als Antwort auf dessen Schreiben vom gleichen Tag an Singh ausgedrückt. Auch die
Anzahl der Mitstreiter soll auf 5.000 Personen begrenzt bleiben. Lautsprecheranlagen
wurden untersagt. Auch ist der genehmigte Ort, der Jai Prakash Narayan Memorial
Park, der von der Regierung für den Hungerstreik genehmigt wurde, nicht die erste
Adresse für Kundgebungen in Delhi; dies wäre beim Jantar Mantar im Herzen von Neu
Delhi gewesen. Flankierend zu diesen handfesten Fakten wurde auch verbal versucht,
Hazare im Vorfeld seines Streiks anzuschlagen. Die letzte Entwicklung ist, dass der
Sprecher der Kongress-Partei am 14.8. Anna Hazare vorwarf, selbst in
Bestechungsskandale verwickelt gewesen zu sein. Dies sei von einer Kommission, der
Justice Sawant Commission, die vom Supreme Court ernannt worden war, bestätigt
worden. Hazare sei somit ein äußerst zweifelhafter Fürsprecher in der
Antikorruptionskampagne. Außerdem sei die Anwendung eines Hungerstreiks
undemokratisch. Ausschließlich das Parlament hätte über das Lokpal-Gesetz zu
entscheiden und nicht die Regierung.
Am 15. August versprach Premierminister Manmohan Singh im Rahmen seiner Rede
zum Unabhängigkeitstag dem indischen Volk ein starkes Lokpal Gesetz zur
Bekämpfung von Korruption im Lande. Hungerstreik, so betonte Singh auch hier, sei
kein Mittel, das Problem zu adressieren.
Am frühen Morgen des 16. August 2011 haben Mitstreiter von Anna Hazare per SMS
folgende Mitteilung im Großraum Delhi versandt: „Der 74 jährige Anna Hazare wird
sein Todesfasten für uns angetreten. Er ist bereit, gegen ihn gerichtete, gerichtliche
Schritte zu akzeptieren. Komme zum JP Park in der Nähe des Raj Ghat um neun Uhr
morgens. Jai Hind.“
Anna Hazare war bereit für seinen Hungerstreik, hatte aber im Vorfeld von den 22
aufgestellten Bedingungen für den Protest nur 16 erfüllt. Er wollte im Stile von
Mahatma Gandhi gewaltlos mit seinem nächsten Hungerstreik beginnen, aber nicht,
wie Gandhi, gegen willkürliches Vorgehen einer fremden Kolonialmacht sondern gegen
die eigene Regierung, der es 46 Jahre lang nicht gelang, Lokpal Gesetzentwürfe im
Parlament eingehend zu diskutieren und das Gesetz zu verabschieden.
Er ist durch geschicktes Taktieren der Regierung daran gehindert worden. Am Morgen
des 16. August hat die Polizei ihn daran gehindert, sein Haus zu verlassen.
Er und einige seiner Mitstreiterinnen und Mitstreiter wurden zunächst von
Polizeibeamten in Gewahrsam genommen und inhaftiert. Im Gefängnis setzte Hazare
Hanns-Seidel-Stiftung_ Politischer Sonderbericht_Indien_16.08.2011
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den begonnenen Hungerstreik fort. Am Folgetag wurde Hazare von der Polizei über die
Beendigung seiner Haft unterrichtet. Nun geschah für die interessierte Öffentlichkeit
etwas Unerwartetes: Hazare weigerte sich, das Gefängnis zu verlassen.
Zwischenzeitlich setzten sich die Proteste in weiten Landesteilen Indiens fort. Die
Polizei hat dann in der Nacht vom 17. auf den 18. August dem Druck nachgegeben und
ist auf die Forderungen von Hazare und seinem Team weitgehend eingegangen und
genehmigte einen vierzehntägigen Hungerstreik, der gerade von der Gruppe um
Hazare vorbereitet wird. Der Hungerstreik soll am Donnerstag, dem 18. August um 15
Uhr auf dem Ramlila Ground im Herzen von Neu Delhi fortgesetzt werden.
Die indische Regierung spricht mittlerweile bereits offen davon, dass sie die USA als
"foreign hand" als Unterstützer in dieser rein indischen Angelegenheit vermutet. Die
Stimmung ist hoch explosiv.
Das indische Demokratiegefüge ist seit Beginn des Jahres etwas ins Wanken geraten.
Noch hält es. Mit Spannung wird den Ereignissen der nächsten Tage und Wochen
entgegengesehen.
Dr. Volker Bauer
Der Autor ist Büroleiter der Hanns-Seidel-Stiftung in Neu Delhi, Indien
Beitrag unter Mitarbeit von Svenja Huemer und Himanshu Chawla
IMPRESSUM
Erstellt: 16.08.2011
Herausgeber: Hanns-Seidel-Stiftung e.V., Copyright 2011
Lazarettstr. 33, 80636 München
Vorsitzender: Dr. h.c. mult. Hans Zehetmair, Staatsminister a.D.,
Senator E.h.
Hauptgeschäftsführer: Dr. Peter Witterauf
Verantwortlich: Christian J. Hegemer,
Leiter des Instituts für Internationale Zusammenarbeit
Tel. +49 (0)89 1258-0 | Fax -359
E-Mail: iiz@hss.de, www.hss.de
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