botschafter einer gartenidee

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botschafter einer gartenidee
VERANSTALTUNGEN
BOTSCHAFTER
EINER GARTENIDEE
Führt die Aktion «Offener Garten» zu mehr «do it yourself» im Garten? Oder
fördert sie vielmehr die Liebe zur Natur und Gartenkultur? Ein Besuch bei
Margrit Gähler und Franz Bilger in ihrem Naturgarten in Wuppenau (TG).
Text: Carmen Hocker; Bilder: Margrit Gähler
«Soll die Stadt Ihnen einen Gärtner zahlen?», fragt
Gemeinderat M. beim Blick über den Gartenzaun. Im
besagten Garten dreht kein Mähroboter seine Kreise. Stattdessen geben sich vorwiegend einheimische
Wildpflanzen ein Stelldichein. Als Margrit Gähler von
dieser Erfahrung einer befreundeten Naturgärtnerin
erzählt, kommt sie in Fahrt. «Das war noch ein Auslöser, Gas zu geben.» Doch eins nach dem anderen.
Margrit Gähler und ihr Mann Franz Bilger lebten
zwanzig Jahre im Zürcher Oberland. Mit dem Bestimmungsbuch und den Kleinkindern im Rucksack
wanderten sie dort oft in der Höhe und bewunderten
die abwechslungsreiche Flora extensiv genutzter Weiden. Als sie später in Franz’ elterliches Bauernhaus
in der Ostschweiz zogen, sehnte sich Margrit nach
den Blumenwiesen. Und sie fragte sich, weshalb viele
Schweizer auf Wanderungen die Bergflora schätzen,
ihre eigenen Gärten in der Agglomeration aber oft
steril und leblos sind.
Aus der Not heraus eine Trockenmauer
Eigentlich wollte Margrit Gähler keinen Blumengarten anlegen. Schliesslich hatte sie genug Arbeit mit
dem Selbstversorgergarten und den ostfriesischen
Milchschafen, die auf ihrer Wiese weideten. Doch
dann stellte sich bei der Renovation der Hausfassade heraus, dass dringend Boden abgetragen werden
musste. Beim Bau der oberhalb liegenden Strasse war
fahrlässigerweise bis zum Schwellbalken des etwa 200
Jahre alten Riegelhauses Erde aufgefüllt worden. So
entstand die Idee einer Trockenmauer, die vor Erosion
schützen sollte. Margrit begann Gartenkurse beim
Verband Natur Garten (VNG) zu besuchen und las
sich ins Thema ein.
Von der Naturfotografie zum Naturgarten
Ob bewusst oder unbewusst, versuchte Margrit die
Bilder der Bergwiesen in ihrem Garten aufleben zu
lassen. Zu Beginn pflanzte sie ausschliesslich, was
sie im Zürcher Oberland in natura gesehen hatte.
Als sie merkte, wie viele Bienen und Schmetterlinge
kamen, begann sie zu fotografieren. Tagsüber fotografierte sie, abends las sie nach, wie diese Tie-
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re leben und wovon sie sich ernähren. Mehr und
mehr faszinierte sie die Welt der einheimischen Flora
und Fauna. Sie begann zu verstehen, weshalb manche Pflanzen und Tiere durch ihre Spezialisierung
voneinander abhingen. Die Reseden-Maskenbiene
(Hylaeus signatus) füttert ihre Brut zum Beispiel
ausschliesslich mit Pollen des Gelben Waus (Reseda lutea) und des Färber-Wau (Reseda luteola),
da die Jungen nur dieses spezielle Eiweiss verdauen
können.
Alte Rosen für mehr Akzeptanz
Als Margrit und Franz ihren Garten vor zwölf Jahren
anlegten, setzten sie neben einheimischen Wildstauden auch historische Rosen und Wildrosen. «Rosen
gefallen fast allen Gartenliebhabern», erklärt Margrit
lachend. Schliesslich wollten sie keine Abwehrhaltung
provozieren, sondern die Akzeptanz für das Thema
Naturgarten erhöhen. Das war auch ein Grund, sich
an der Aktion «Offener Garten» zu beteiligen. Ihnen war aufgefallen, dass es unter den teilnehmenden Gärten nur wenige Naturgärten gab. Ein erster
Schritt, ihren Garten einem breiteren Publikum zu
öffnen, war eine Website, die Margrit vor einem Jahr
selbst kreierte: www.naturimgarten.ch. Auf diesen
Seiten beschreibt sie, wie ihr Garten entstand, welche Elemente ihn auszeichnen und wie sie ihn pflegt.
Da ihr bewusst ist, dass nicht jeder seinen Garten
Initiative «Offener Garten 2016» – in Kürze
Trägervereine: Bioterra,
Gesellschaft Schweizerischer Rosenfreunde,
­Gesellschaft Schweizer Staudenfreunde, Pro­
SpecieRara, Verband deutschschweizerischer
­Gartenbauvereine, Verein Pro Igel
Sponsoren: BnB Switzerland, JardinSuisse,
Stöckli Gartenbau, Ricoter
www.offenergarten.ch
Spaziergänger verlangsamen ihren Schritt, wenn sie am Grundstück von Margrit G
­ ähler und Franz Bilger vorbeigehen.
selbst bauen kann oder möchte, hat sie auch Links
zu Organisationen und Gartenbaufirmen aufgelistet.
Nationaler Tag der offenen Gärten
Margrits Anliegen ist es, dass sich Interessierte am 11.
und 12. Juni 2016 einen Eindruck von einem Naturgarten machen können. Sie möchte ihre Erfahrungen
weitergeben, um anderen Mut zu machen, mehr Vielfalt in die Gärten zu holen. Denn es brauche keine
Prachtstauden, um stimmungsvolle Gartenbilder zu
malen, ist die leidenschaftliche Hobbygärtnerin überzeugt. Dass sich in einem Naturgarten die Balance
zwischen Nützlingen und Schädlingen einstellt, ist
ein angenehmer Nebeneffekt, der biologisches Gärtnern leicht macht. Da Margrit nicht weiss, wie viele
Besucher bei der ersten Teilnahme nach Wuppenau
(TG) finden werden, hat sie sich verschiedene Wege
der Kommunikation überlegt. In der Scheune plant
sie eine kleine Diashow mit Bildern, die den Garten
zu anderen Jahreszeiten und die Tierwelt in Makro­
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Links: Gleich am Strassenrand
zieht die Trockenmauer die Blicke
auf sich. Die Mauerkrone wurde
mit verschiedenen ­Thymian­arten,
Glockenblumen, Skabiosen,
Storchschnabel und mediterranen
Kräutern bepflanzt.
Unten: Harte Wegkanten gibt es
keine. Polsterpflanzen lösen die
Grenzen optisch auf.
aufnahmen zeigen. Wahrscheinlich wird es auch
kleine Hinweistafeln geben, welche die verschiedenen Standorte im Garten beschreiben. Im Vordergrund soll aber der persönliche Austausch stehen, den
auch die Initiatoren der «Offenen Gärten» fördern
möchten. Bioterra-Geschäftsführer Daniel Gürber
ist überrascht und erfreut, wie gut die Aktion von
Garten- und Pflanzenfreunden angenommen wird.
Waren es im Jahr 2012 noch 67 Gärten, stieg die
Zahl kontinuierlich an, bis auf 122 im Jahr 2015.
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Die Besucherzahlen kletterten im selben Zeitraum
von etwa 1300 auf 7000.
Liebevoll gestaltete Gärten haben Ausstrahlungskraft. Als Margrit und Franz sich von einem Gartenbaubetrieb Maschinen ausliehen, entschuldigten sie
sich, dass daraus kein Auftrag entstehe. Doch der
Gartenbauer nahm es gelassen und meinte, die Aufträge würden kommen. Und tatsächlich durfte er bald
drei Gärten in der Nachbarschaft gestalten, nachdem
die Nachbarn gesehen hatten, was alles möglich ist.