Leseprobe 200504
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Leseprobe 200504
ntervie „Das Publikum ist nicht dumm …“ Wolfgang Valerius sprach für organ mit der lettischen Konzertorganistin Iveta Apkalna (Riga) organ: Frau Apkalna, für Ihre CD Himmel & Hölle wurden Sie vor Kurzem mit dem „Echo Klassik“ als „Instrumentalistin des Jahres“ ausgezeichnet. Erstmals fand die Orgel damit überhaupt Berücksichtigung bei der Preisvergabe. Erfüllt Sie das mit Stolz? Iveta Apkalna: Ja, ich gebe zu, es war ein unvergleichliches Ereignis in meinem Leben, ein Wunder aus meinen kühnsten Träumen, das in diesem Sommer plötzlich wahr wurde – ein ECHO gewissermaßen für das „Aschenputtel der klassischen Instrumente“, erstmals in der Geschichte dieser renommierten Auszeichnung der Deutschen Phonoakademie … Aber wissen Sie was? Kein Mensch hat davon Notiz genommen, weder Zeitung, Radio noch Fernsehen haben darüber berichtet! Die dpa erstattete Rapport, dass Anna Netrebko, Anne-Sophie Mutter und Daniel Barenboim 2005 – einmal mehr – ECHO-Preisträger geworden sind; aber für die Orgel interessierte man sich weiter nicht. organ: Anscheinend waren den Redakteuren der ZDF-Gala anlässlich der Preisverleihung auch nicht mehr Namen bekannt … Ich bin weder weltfremd noch habe ich etwas gegen Quote. Auch sind Anna Netrebko, Rolando Villazon und AnneSophie Mutter für eine TV-Gala ob der künstlerischen Klasse ein Muss! Trotzdem hatte ich zunächst einmal volles Vertrauen in die öffentlich-rechtlichen ZDFRedakteure, dass wenigstens sie alles daran setzen würden, die Orgel schon des absoluten Novums wegen in der TV-Gala zu zeigen. Dass auch die mich im Stich gelassen haben, hat mich gewaltig enttäuscht. Nicht einmal ein schriftliches Laufband während der Fernsehübertragung, kein Wort in der TV-Moderation darüber, dass es neben den in der Gala auftretenden Künstlern weitere ECHOGewinner des Jahres 2005 gibt. Dass ich als Organistin, an Benachteiligung gewöhnt, das hinzunehmen habe, mag ja noch angehen, dass aber auch Weltstars wie Claudio Abbado, Nikolaus Harnoncourt, Pierre Boulez oder Edita Gruberova sich das gefallen lassen müssen, ist schon ein starkes Stück. Allerdings haben sie es als anerkannte Größen nicht so nötig wie die Orgel – sie stehen da vermutlich locker drüber. Nach der Fernsehübertragung wurde ich mehrfach gefragt, ob ich denn den ECHO tatsächlich bekommen habe oder etwa nur nominiert organ Interview Foto: Lukas Pollack Ungewohnte Pose: Iveta Apkalna auf dem Cover ihrer CD „Himmel und Hölle“ worden war – das ist schon irgendwie demütigend. Es ließe sich resümieren: Ich wurde zwar zur Tränke geführt, wirklich trinken hat man mich aber nicht lassen. Die eminent wichtige Chance, einen Imagegewinn für die „Königin der Instrumente“ zu erzielen, die Gelegenheit, ein Millionenpublikum darauf zu stoßen, dass man die Orgel auch als Konzertinstrument in einer Philharmonie spielen kann, war zum Greifen nah und wurde vertan. Dabei geht es doch um die Sache, nicht um mich. Ich kämpfe. Falls ich 2007 wieder einen ECHO bekomme, werde ich den öffentlich-rechtlichen Auftrag des Senders beim Intendanten persönlich „anmahnen“. organ: Ihre CD Himmel & Hölle hat zu unterschiedlichsten Reaktionen geführt. Allein die kecke Pose, mit der Sie sich auf dem Cover präsentieren, hat manchen Puristen sicherlich eher abgeschreckt als zum Kauf animiert … [Schmunzelt] Abgeschreckt? Sind Sie sicher? Das eingespielte Repertoire dürfte doch über jeden Zweifel erhaben sein. Kleiner Tipp: Notfalls einfach das Cover schwarz überkleben, die CD aber unbedingt hören! Nein, Spaß bei Seite: Über die Doppelmoral, dass, was an Weiblichkeit auf den CD-Covern von Geigerinnen, Pianistinnen und Sängerinnen normal ist, für eine Organistin auf einmal nicht opportun sein soll, kann ich mich nur wundern. Ein bisschen weniger Verklemmtheit, mehr Konzentration aufs Wesentliche könnte – nicht nur an diesem Punkt – vielen Orgelliebhabern und Rezensenten nicht schaden. Ich frage mich schon manchmal, was es denn rechtfertigt, dass einige Kollegen mich mit spitzen Fingern anfassen und das nicht erst, seit es CDs von mir gibt. Ich bin vielen dieser von Ihnen so genannten „OrgelPuristen“ in den Jurys der Wettbewerbe begegnet und ich schwöre Ihnen, Sie gewinnen beim Orgelwettbewerb keinen Blumentopf, wenn die Jury Sie nicht wirklich für gut befindet. Ich musste mich auch nie über ein unangenehmes persönliches Auskommen mit Jurymitgliedern am Ort des Wettbewerbs beklagen. Im Gegenteil: Mir und meinem Spiel wurden deutlich und ehrlich spontane Begeisterung und Zuspruch zum Ausdruck gebracht. Im Gegensatz dazu jedoch trägt das eine oder andere, was ich abseits der Wettbewerbe in meinem jungen Konzertorganistendasein von manchen KollegInnen an ostentativer Missachtung erfahre, schon unfassliche, ja groteske Züge … organ: Darf man fragen, was genau Sie damit meinen? Ach, wissen Sie, die Betroffenen wissen schon, wer und was gemeint ist. Einzelheiten fallen hier unter die Maxime „si tacuisses …“. Es gab eine Phase in meinem Leben, vor meinen CDs, in der ich peinlichst darauf bedacht war, Akzeptanz primär bei meinen KollegInnen zu erlangen, es ihnen vorab Recht zu machen. Als ich irgendwann kapierte, dass ich damit meist nur gegen Betonwände laufe und nichts erreiche, habe ich beschlossen, einen konsequent eigenen Weg zu gehen. organ: Das heißt also: Mit Ihren „ansprechenden“ CD-Covern, Ihrer breiten öffentlichen Wahrnehmung ist der Ruf bei den Kollegen endgültig ruiniert – jetzt lebt sich’s endlich gänzlich ungeniert? [Lacht] Es freut mich, dass Sie so viel Humor haben! Nein, ganz im Ernst: Ich wünsche mir natürlich noch immer sehr, dass wir Organistenkollegen kollegialer miteinander umgehen – da spreche ich aus tiefstem Herzen. Wir KonzertorganistInnen sitzen alle in einem – noch dazu sehr kleinen – Boot. Unser gemeinsames Ziel sollte es sein, die Orgel als Konzertinstrument weiter zu etablieren und voranzubringen. Stattdessen – nicht immer, aber viel zu oft – emotionale, irrationale Vorbehalte gegeneinander: Eifersucht, Eitelkeiten, Machtausübung bis hin zum Missbrauch, Cliquenbildungen, Seilschaften – alles in krassem Gegensatz zur erhabenen Kultur dieses Instruments. Mich etwa interessiert nicht im Mindesten, bei welchem berühmten Lehrer ein Organist studiert hat oder welche Preise er gewonnen hat. Wenn er/sie spielen kann, egal warum, dann soll er/sie spielen, gefördert werden und kann von mir aus mit rosa Schleifchen im Haar oder mit Punkfrisur auftreten. Wenn er/sie damit und mit dem musikalischen Vortrag den Zuhörer packt, hat er/sie gewonnen! organ: Haben Sie jemals eine ernst zu nehmende ausgesprochen negative Kritik bekommen? Ja, es gab mal eine ganz üble via E-mail, und unter der Gürtellinie – von einem Kollegen, keinem Fachkritiker; aber auch das fällt unter die Rubrik „si tacuisses“ … na ja, und ernst zu nehmen war sie schon gar nicht. Ohnehin überbewerte ich Zeitungskritiken nicht, so sehr ich mich über die vielen guten Bewertungen von echten Orgelexperten freue. Der für mich letzlich maßgebende Kritiker ist das Publikum. Dass überdurchschnittlich viele Menschen in meine Orgelkonzerte kommen, das nehme ich ernst und das verpflichtet. Die für mich größte Herausforderung ist es, Zuhörer mit meiner Art zu spielen zu erreichen, die bis dato Orgelmusik u. U. gar nicht mochten – vor allem Jugendliche. Das Publikum ist – auch wenn Fachleute hin und wieder zu diesem Irrglauben neigen – nicht dumm. Mich beeindruckt, dass die erste Auflage von Himmel & Hölle ohne jegliches Werbebudget in nur neun Monaten abverkauft war. Das spricht für diese OrgelCD mit höchst anspruchsvollen, zum Teil völlig unbekannten … Werken eine neue, ganz eigene Sprache … … mehr erfahren Sie in Heft 2005/04 33