Mit Schmerz und Leid umgehen lernen
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Mit Schmerz und Leid umgehen lernen
Walter Schaupp Mit Schmerz und Leid umgehen lernen Kärntner Kirchenzeitung, 1. Februar 2009 Leid und Schmerz gibt es in jedem Leben. Sie sind Teil unserer Welt. Zugleich wollen wir sie um jeden Preis überwinden. Das erklärte Ziel des gesellschaftlichen Fortschritts ist nicht zuletzt ein schmerzfreies, leidloses Leben auf dieser Welt; nicht sofort, oder in naher Zukunft, aber doch im Sinn einer konsequenten, schrittweisen „Abschaffung“ von Leid. Tatsächlich sind Leid und Schmerz auch in christlicher Sicht etwas Negatives. Man kann sie nicht in sich wollen und auch Gott „will“ nicht unseren Schmerz und unser Leid. Und doch macht die Art und Weise, wie die heutige Gesellschaft mit Leid und Schmerz umgeht, auch unruhig. Bleibt bei allem Bemühen um Überwindung von Leid nicht die Kunst, mit dem unvermeidlichen Leid umzugehen, auf der Strecke? Grenzen wir mit der zunehmenden Unfähigkeit mit Schmerz und Leid umzugehen, nicht auch die Leidenden selbst aus? Gerade uns Christen steht in der eigenen Vergangenheit die Gefahr einer falschen Leidensmystik vor Augen. Sie hat immer wieder Leid und Schmerz verklärt und ihr Ertragen zur Christenpflicht erklärt: Leid als die gerechte Strafe Gottes für unsere Sünden oder als freiwillig geleistete Sühne. Heute aber gibt es die Gefahr einer vorschnellen Beseitigung und Vermeidung von Leid. Schon körperliche Schmerzen können eine „Botschaft“ haben, die gehört werden will. Umso mehr hat das Leid in unserem Leben in manchen Fällen eine positive Funktion. Es kann wachsen und reifen lassen. Wer jeder schmerzvollen Krise ausweicht, die Dinge sich nie weh tun lässt, verschließt sich bestimmten Wachstumsmöglichkeiten in seinem Leben. Manchmal werden wir uns erst angesichts von Leid der Oberflächlichkeit des bisher gelebten Lebens bewusst. Leid kann, darauf macht vor allem der Buddhismus aufmerksam, auch daher rühren, dass wir in falscher Weise an Dingen hängen. Leid kann, mit anderen Worten, dazu beitragen, dass wir uns selber finden und anderen und der Welt neu begegnen. Manches Leid lässt sich nur um den Preis einer Ausgrenzung von Wirklichkeit oder eines bewussten Wegschauens vermeiden. Das Unangenehme und Hässliche, Hunger und Armut irritieren und stören die „heile“ Welt, die wir uns geschaffen haben. Je stärker der gesellschaftliche Druck wird, ein perfektes, herzeigbares Leben zu leben, desto weniger Platz haben das Leid und leidende Menschen in unserer Mitte. Aufgrund des Kreuzes Jesu haben Christen einen eigenen Zugang zum Phänomen des Leidens. Auch wenn es nicht gesucht werden soll und darf, trägt es doch dort, wo es unvermeidbar ist, in sich die Möglichkeit von Sinn. Auch im Leiden kann Leben fruchtbar sein. Leid ist nicht etwas, das es um keinen Preis geben darf. Schmerz und Leid entwürdigen das Leben nicht, nicht das eigene und auch nicht jenes von anderen, denen wir in ihrem Leid begegnen. © Walter Schaupp 2009 1