1 Faust als Prototyp des modernen Menschen? Mephisto als

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1 Faust als Prototyp des modernen Menschen? Mephisto als
Faust und Mephisto als zentrale Figuren in Goethes Drama „Faust“
Faust als Prototyp des modernen Menschen?
Zu Beginn der Handlung steckt Faust in einer tiefen
Lebenskrise. Er erkennt, dass er trotz aller Bildung
und allen Wissens in seinem Lebensziel, zu erkennen,
„was die Welt im innersten zusammenhält“ gescheitert
ist. Vor diesem Hintergrund erscheint ihm all sein
Bücherwissen, das er sich in seiner abgeschlossenen
Studierstube angeeignet hat, völlig wertlos zu sein.
Auch erkennt er, dass er gelernt hat, anstatt zu leben.
Inmitten dieser Lebenskrise wird Faust natürlich zum
Idealen Opfer Mephistos. In diesem Zusammenhang
stellt sich die Frage, inwiefern Faust hier eine Krise
durchlebt, die für den modernen Menschen (als Typus)
charakteristisch ist.
Der voraufgeklärte, mittelalterliche Mensch begreift
seine Existenz in direkter Abhängigkeit von einer
höheren Macht, in deren Hände er sich (vertrauensvoll) begibt und deren ethische Gesetze er
ohne Widerspruch akzeptiert. Die gesellschaftliche Ordnung basiert auf einem gottgewollten und
damit unumstößlichen Gesetz. Es ist Aufgabe des Menschen, sich in diese Ordnung einzufügen
und die für ihn darin vorgesehene Rolle möglichst gut zu erfüllen. Die Natur und ihre
Geheimnisse entziehen sich dem vormodernen Menschen. Was er über die Welt wissen möchte,
erfährt er von Autoritäten, die in Besitz dieses Wissens sind. In autoritären Quellen, zum Beispiel
der Bibel, steht die Wahrheit. Die Aufgabe des vormodernen Menschen ist es, diese Wahrheit zu
glauben.
Der Bruch kommt – wie wir schon gesehen haben – mit der Aufklärung. Der aufgeklärte Mensch
nimmt sich das Recht, autonom von seiner Vernunft Gebrauch zu machen und mithilfe dieser
Vernunft die Wirklichkeit zu erforschen. Er kann denken und ist nicht mehr auf den Glauben an
Autoritäten angewiesen. Der aufgeklärte Mensch kann es sich sogar erlauben, an göttlichen
Wahrheiten zu zweifeln. Der aufgeklärte Mensch ist davon überzeugt, dass gesellschaftliche
Regeln nicht gottgewollt, sondern von Menschen gemacht sind. Dadurch sind sie auch kritisierund veränderbar.
Kurz: Der moderne Mensch, nimmt sich die Freiheit, selbst zu denken, selbst nach den
Geheimnissen der Natur zu forschen, selbst nach der besten aller Gesellschaften zu suchen
(anstatt darauf zu vertrauen, dass Gott irgendwann einmal in einem anderen Leben eine solche
Gesellschaft schaffen werde und dass man darin dann den gerechten Platz bekommen werde).
Aber der moderne Mensch bezahlt für seine Freiheit auch einen hohen Preis. Das scheint Goethe
schon sehr genau zu spüren, als er sich mit seinem Faust-Thema beschäftigt. Goethe scheint zu
ahnen, dass der moderne Mensch zwar freier und ungebundener, aber keineswegs glücklicher
als der vormoderne Mensch ist. Und vor diesem Hintergrund hat er vielleicht seinen klugen, aber
depressiven, rast- und ruhelosen Faust gestaltet.
In gewisser Weise ist der Goethesche Faust ein Gegenbild zum (zugegebenermaßen etwas
naiven) Menschenbild der Aufklärung, die davon ausgeht, dass der vernünftige Mensch ein guter
und glücklicher Mensch sein werde. Goethes Faust ist ein vernünftiger Mensch, aber ein
durchaus unglücklicher und keineswegs guter Mensch. Und insofern die Rückseite des
Idealbildes eines aufgeklärten Menschen.
Mephisto als nihilistischer Philosoph?
Ist Mephisto böse?
In der Volkssage ist Mephisto schlichtwegs die Verkörperung des Triebhaft-Sündigen und des
Bösen. Alles, was Gott verboten hat, wird durch den Teufel verkörpert. Dazu zählen
beispielsweise die triebhafte Sexualität ohne emotionale Liebe, die maßlose Gier nach Geld,
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Faust und Mephisto als zentrale Figuren in Goethes Drama „Faust“
Ruhm, Macht (anstatt dass man sich in christlicher Bescheidenheit und Demut üben würde), die
Lust an der Zerstörung.
Der Goethesche Mephisto hat viele dieser Elemente bewahrt. Aber es wäre zu einfach zu sagen,
dass er einfach nur "böse" ist. Das zeigt sich schon bei seinem ersten Auftreten im Prolog im
Himmel.
Die Charakterzüge, die an Mephisto
besonders auffallen, sind ....
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... seine Lust am Spiel: Er verführt Gott zu
einer Wette; er lässt sich - vielleicht mehr
aus Lust am Spiel -, auf den Pakt mit
Faust ein und hält sich auch penibel an
die Spielregeln und die Vereinbarungen;
er "funkt" immer dann dazwischen, wenn
es ihm zu langweilig und zu brav wird (z.
B. in der Beziehung zwischen Gretchen
und Faust) u.a.m.
... sein abgrundtiefer Pessimismus: Mephistos Blick auf die Welt und die Menschen ist ein
zutiefst skeptischer. Er wirft Gott vor, mit seiner Schöpfungsallmacht doch nur eine Welt
zustande gebracht zu haben, die von Naturkatastrophen, Leid und Elend geprägt ist. Und er
glaubt nicht, dass die Menschen, die auf ihre Vernunft so stolz sind, diese Welt in eine
bessere Welt verwandeln werden und können. ("Er nennt's Vernunft und brauchts allein um
tierischer als jedes Tier zu sein")
... die Verkörperung des Prinzips der Zerstörung und des Untergangs als notwendiges
Gegenprinzip zum Prinzip der Schöpfung und des Lebens: Auch wenn wir es uns vielleicht
anders wünschen würden: Tod und Vergänglichkeit sind notwendige Gegenpole zu Leben
und Wachstum. Nur Leben würde nicht funktionieren. Mephisto verkörpert also ein
ungeliebtes, aber nichtsdestoweniger absolut notwendiges Prinzip.
... die Verkörperung der menschlichen Sehnsucht nach Spannung, Abenteuer, Lust,
Begierde, Leben und der Auslotung von Grenzen: Der alte Faust mag ein braven und im
moralischen Sinn gutes Leben geführt haben. Und er hat sicherlich keiner Fliege etwas zu
Leide getan. Aber was für ein langweiliges, sinn-entleertes, leidenschaftsloses Leben ist dies
gleichzeitig. Erst mit dem Auftauchen von Mephisto kommen Leidenschaft, Sehnsucht,
menschlicher Kontakt in seinem Leben eine Bedeutung
... das Prinzip des Menschen im Teufel: Goethes Mephisto kennt viele der menschlichen
Eigenschaften, die das Leben manchmal schwer, aber auch interessant und spannend
machen, aus dem eigenen Erfahrungshintergrund. Nichts Menschliches ist ihm sozusagen
fremd. Er ist eifersüchtig (auf Gretchen), er ärgert sich (über Gretchens naive Klugheit, in ihm
"ein teuflisches Prinzip" zu sehen), er verliert gelegentlich die Nerven …
.... das Prinzip des schwarzen Humors an der Grenze zum Zynismus, der auch sich selbst
nicht vom Spott ausnimmt. Mephisto erscheint vielleicht in Goethes Faust deshalb nicht
einfach nur abgrundtief böse, weil sein Blick auf Gott, die Welt, den Menschen, aber auch auf
sich selbst von einem tiefschwarzen, manchmal zynischen Humor geprägt ist. Mephisto ist naturgemäß, könnte man sagen - nichts heilig. Eine vergleichsweise milde Form der
"Entheiligung" ist der Spott. Dieses Prinzip ist es, das den Goetheschen Mephisto von der
ersten bis zur letzten Szene durchzieht. Und dieses Prinzip macht ihn uns wahrscheinlich
sogar sympathisch.
Mephisto als Schatten Fausts?
Die Analytische Psychologie (C.G. Jung) geht davon aus, dass das Unbewusste unter anderem
die verdrängten Schattenanteile enthält. Damit meint sie, dass es in jeder Persönlichkeit
bestimmte Persönlichkeitsmerkmale oder bestimmte Lebensbereiche gibt, die ganz bewusst
gelebt und gefördert werden. Andere Persönlichkeitsmerkmale oder Lebensbereiche erhalten
demgegenüber wenig Raum. Sie werden ins Unbewusste abgedrängt. Sie sind die abgewehrten,
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Faust und Mephisto als zentrale Figuren in Goethes Drama „Faust“
an der eigenen Person nicht akzeptierten, im eigenen Leben keinen Raum bekommenden
Persönlichkeitsanteile. Bei einem sehr leistungs- und karriereorientierten Menschen könnte
dieser Schattenanteil zum Beispiel die eigene Sehnsucht und das eigene Bedürfnis nach
Erholung, Entspannung, Spaß und Lebensgenuss sein. Diese Anteile dürfen dann nicht gelebt
werden und dadurch entsteht eine Einseitigkeit im Leben und in der Lebensführung. Trotzdem
sind die Schattenanteile als Sehnsüchte da, also solche müssen sie aber abgewehrt werden. Sie
können aber als unbewusste Sehnsüchte, aber auch beispielsweise als Neid auf oder Aggression
gegenüber Menschen, die diese Seite leben, indirekt zum Vorschein kommen. Bei „neurotischen“
oder zu sehr einengenden Persönlichkeitsstrukturen ist dieser Schattenanteil besonders groß.
Und er kann besonders schlecht in die eigentliche Persönlichkeitsstruktur integriert werden.
Dadurch wird dieser Schattenanteil potentiell auch gefährlich. Besonders dramatisch ist dieser
verdrängte Schattenanteil bei Menschen, die eine Art „Doppelleben“ führen. Zum Beispiel wenn
sie auf der einen Seite „biedere Familienväter“ sind, auf der anderen Seite pädophile Bedürfnisse
über Kinderpornos, … ausleben. Kernpersönlichkeit und Schattenanteile ließen sich mit zwei
Seiten einer Medaille vergleicht. Obwohl wir im Normalfall nur eine Seite auch bewusst
wahrnehmen können, wissen wir dennoch, dass die andere Seite auch vorhanden ist.
Ein berühmtes Schatten-Pärchen in der Literatur ist die Doppelfigur Dr. Jekyll – Mr. Hyde. Der
biedere und sozial engagierte Dr. Jekyll verwandelt sich in der Nacht in einen brutalen
Mädchenmörder, der die ganze Stadt in Angst und Schrecken versetzt.
Bis zu einem gewissen Punkt könnte Mephisto als Schattenanteil Fausts gesehen und gedeutet
werden. Fausts Leben bis zur Begegnung mit Mephisto ist eindeutig defizitär. Wesentliche
Elemente zu einem ausgefüllten und erfüllenden und ganzheitlichen Leben fehlen in Fausts
Geschichte offensichtlich. Mit dem Auftauchen Mephistos – bezeichnenderweise in einer
massiven Lebenskrise - erhalten genau diese Anteile plötzlich Raum im Leben Fausts. Allerdings
nicht in sozial verträglicher und konstruktiver Weise, sondern in einer Faust selbst und dann aber
vor allem auch Gretchen zerstörenden Form. Die Bedürfnisse, nach denen Faust sich sehnt, sind
wichtig und legitim. Die Art, wie er sie – angeleitet von Mephisto – in seinen Leben zu integrieren
sucht, sind verheerend.
Mephisto als Geist, der stets verneint
Während die Engel im Prolog die Schönheit und die Perfektion von Gottes Schöpfung preisen,
baut Mephisto dazu ein absolutes Gegenbild auf. Er lässt an dieser wunderbaren Schöpfung kein
gutes Haar übrig und er kritisiert sie – den Menschen eingeschlossen – in Grund und Boden.
Während die Engel also ein optimistisches Welt- und Menschenbild zeichnen, ist das Menschenund Weltbild des Mephisto durch und durch pessimistisch.
Mephisto ist – im Unterschied zum klassischen Teufel, wie wir schon gesehen haben – nicht
einfach nur böse, sondern „ein Geist, der stets verneint“. Mephistos Blick auf die Welt ist ein
pessimistisch-nihilistischer.
Das Weltbild der Engel und das Mephistos lässt sich direkt gegenüberstellen
Engel des Herrn (Prolog)
Mephisto (Prolog, Studierzimmer)
Entstehen (243ff), das Werdende, die
Schöpfung (249, 250, 269)
Licht, Sonne (243, 253)
Liebe (243)
Ganzes (243ff)
Etwas (243)
Zugrunde gehen (1340); das Vergehende, die
Zerstörung (1343)
Finsternis (1350)
Sünde (1342)
Teil (1349)
Nichts (1363)
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Faust und Mephisto als zentrale Figuren in Goethes Drama „Faust“
Mephisto und das Theodizee-Problem
Die Form, in der Mephisto der Welt und den Menschen begegnet, ist die des schwarzen, bitter
ironischen bis sarkastischen Grundtones. Davon nimmt er auch sich selbst und seine Rolle in der
Welt nicht aus.
Ebenfalls ist Mephisto ein leidenschaftlicher Spieler. Nicht zuletzt deshalb lässt er sich auf die
Wette mit Gott und auf den Pakt mit Faust ein. (Die Wette zwischen Gott und Mephisto hat
übrigens ein biblisches Vorbild: Im Buch Hiob wetten Gott und der Teufel um die Seele Hiobs,
des Menschen, der Gott von allen Menschen am besten dient. Und Hiob wird daraufhin in seinem
Glauben geprüft, indem er alles verliert, was ihm lieb und teuer ist: Seine Frau, seine Kinder
(Söhne!), seine Schafe, … Schlussendlich wird er selbst von einer sehr grauslichen Krankheit
heimgeholt. Und das alles nur, weil Gott Gefallen an einer Wette mit dem Teufel hat).
Als „Geist, der stets verneint“ ist Mephisto die Gegenkraft zum schaffenden und schöpferischen
Gott. Beide sind gleich mächtige und gleichwertige Gegenspieler. Jeder scheint den anderen zu
brauchen. Und so total unsympathisch scheinen die beiden sich auch gar nicht zu sein.
Goethe spielt im "Faust" - vor allem in Bezug auf die Figur des Mephisto - auf eine ganz alte
philosophische Frage und auf ein altes theologisches Problem – das Theodizee-Problem – an.
Beim Theodizee-Problem (der Begriff geht auf den Philosophen G. W. Leibniz zurück, das
Problem ist aber älter) geht es um die Frage, warum es das Böse und Negative in der Welt gibt,
wo doch Gott anscheinend einerseits allmächtig und andererseits allgütig ist. Etwas einfacher
formuliert: „Warum lässt Gott das Böse zu?“
Das Problem wird schon im Alten Testament – wie gesagt, zum Beispiel im Buch Hiob –
angesprochen. Aber auch griechische Philosophen, zum Beispiel Epikur, setzen sich mit dieser
Frage auseinander. Im 18. Jahrhundert greift eben Leibniz das Problem wieder auf und diskutiert
es neu. Das zentrale Thema ist, dass der christliche Gott einerseits als allmächtiger, andererseits
aber auch als allgütiger Gott gedacht wird. Daraus wiederum ergibt sich mit logischer
Konsequenz die Frage, warum Gott mit seiner Allmacht dann das Böse nicht einfach verhindert.
Einige Theologen oder Philosophen meinen, dass Gott dann halt eben nicht so allmächtig sein
könne. Andere – u. a. Leibniz selbst – meinen logisch nachweisen zu können, dass diese Welt –
trotz aller Schwächen, Fehler, Leiden, ... - „die beste aller möglichen Welten“ sei. Das Böse habe
eine gute Funktion und widerspreche der Allmacht und Güte Gottes daher nicht.
Das Problem entsteht in der christlichen Welt deshalb, weil ein monotheistischer Gott sozusagen
für alles zuständig ist. In polytheistischen Traditionen - z. B. in den hinduistischen Religionen - ist
es ganz selbstverständlich, dass schöpferische Prinzipien oder Gottheiten und zerstörerische
Prinzipien / Todesgötter einander - als mehr oder weniger gleich starke Kräfte gegenüberstehen.
Viele Religionswissenschaftler und Soziologen glauben, dass der Ursprung des christlichen
Teufelsglaubens - der Teufel wird in der Bibel ja als "gefallener Engel Luzifer 1" beschrieben, den
klassischen Teufelsglauben gibt es aber im Mainstream-Judentum überhaupt nicht - in solchen
Gottheiten des Untergangs und des Todes zu suchen sein wird.
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Luzifer kommt von Lux = Licht
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