zeichnen - new frontiers

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zeichnen - new frontiers
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NEW FRONTIERS zeichnen
Der Verein ‘New Frontiers’ hat es sich nach zwei sehr
erfolgreichen Ausstellungen in Bratislava und Wien (2010)
zur Aufgabe gemacht, einen hochqualitativen Querschnitt
der aktuellen österreichischen ArchitekturZeichnung
zu versammeln, auszustellen und im Rahmen
einer Publikation entsprechend aufzubereiten.
Organisation: NEW FRONTIERS - Verein zur förderung
experimenteller architektur
(F. Medicus, L. Göbl, O. Ulrich, J. Saller)
Kuratoren: Dieter Ronte, Florian Medicus
Ausstellungsgestaltung: Lukas Göbl, Oliver Ulrich
Teilnehmer/INNEN: Dietmar Franz, Lukas Göbl, Sebastian Heinemeyer,
Lucas Horvath, Claudia Larcher, Markus Leixner, Constantin Luser,
Patrick Pregesbauer, Walter Prenner, Franz Riedl, Josef Saller,
Florian Unterberger, Nicole Wogg
Jury DES WETTBEWERBS MAI 2012: Dieter Ronte, Günter Zamp Kelp,
Lilli Hollein, Florian Medicus
AusstellungsortE: Architekturforum Aedes, berlin (oktober 2012)
Forum frohner, Krems (märz 2013)
Galerie d’ Architecture, Paris (in Verhandlung)
AZW, WIEN (Oktober 2013)
www.new-frontiers.cc
NEW FRONTIERS ZEICHNEN
Für den 5. Juli 1999 war am Institut für Architektur- und Designgeschichte (Prof. Sokratis
Georgiadis) an der Staatlichen Akademie
der Bildenden Künste Stuttgart ein hochschulöffentlicher Vortrag angekündigt: Mark
Wigley von der Princeton University würde
über ‘The strange Time of the Sketch’ sprechen, und -so die Ankündigung, “sich mit
der fetischistischen Beziehung, welche Architekten gegenüber diesen Zeichnungen
hegen, und deren gewandelte Rolle im elektronischen Zeitalter” befassen1. Das ist nun
insgesamt nicht sonderlich überraschend,
ist Wigley doch fraglos ein ausgesprochener
Kenner der Materie (ich darf nur an ‘Deconstructivist Architecture’, ‘The Activist Drawing’ und ‘Constant’s New Babylon’ erinnern),
nur finde ich eben gerade den Zeitpunkt
bemerkenswert und spannend: nämlich
genau zehn Jahre nach der womöglich entscheidenden technologischen, oder gleich:
digitalen, Zäsur wurde offenbar kurzfristig
innegehalten und die neue Spezies Mensch
und hier speziell: die neue, mithin mögliche
Spezies Architekt in seinem Wesen und
Wirken untersucht. Und ich mutmaße, dass
Wigley die ‘strange Time’ anhand von Art
und Weise der gegenwärtigen Produktionsprozesse, ihrer Wahrnehmung und nicht
zuletzt auf ihre diesbezügliche kollektive
Organisationsformen hin untersucht und
bildhaft dargestellt hat.
Wenn man, in hochachtungsvoller Anlehnung an Egon Friedell, jede neue Epoche
durch das Heraufkommen eines neuen
Menschentypus sehen will, so war man zu
Beginn der 1990er Jahre ja eher geneigt,
diese historische Zäsur zuerst mit dem Fall
des Eisernen Vorhangs, dem Ende des Kalten Krieges mitsamt Warschauer Pakt in
einleuchtende Verbindung zu bringen. Es
war aber vielmehr das Auftreten des PCs als
historischer Zufall (wie wir bei Houellebecq
lesen): so unerklärlich, ‘da ihm, abgesehen
von Erwägungen wie etwa die Fortschritte
in der Regulierung von Schwachstrom
und der Herstellung von Siliziumchips,
keinerlei ökonomische Notwendigkeit zugrunde lag.’2 Die neue Freiheit zu Beginn
der 1990er Jahre war somit zwar auch eine
strukturell-politische, andererseits und viel
mehr: eine global-digi-talisierte in farbigen
Pixeln und sie trug den grell-leuchtenden
Spaßhut eines siegrei-chen Marktliberalismus. Zwar hatten auch schon zuvor allerlei
sich selbst einsetzende Historizismen das
quasidemokratische
Fortschrittskonzept
betonen wollen, aber diesmal war’s doch
ziemlich ernst, und schlimmer noch: in
seinem futuristischen Anstrich einleuchtend und jedem progressiven Haushalt so
notwendig wie erschwinglich!
Im August 1991, als in gesamtdeutschen
Kinos ‘Die Rückkehr zur blauen Lagune’ zu
sehen war, und, still und leise, das ‘www’ die
globale Community quasi offiziell begründete, waren weltweit etwa 600.000 Rechner vernetzt; im Jahr 2000 bereits 100 Millionen, und heute sind etwa 820 Millionen
Computer ‘online’ (Smartphones gar nicht
1 www.architektur.abk-stuttgart.de/georgiadis/veranst_poster/wigley_plakat.pdf
2Michel Houellebecq, ‘Die Welt als Supermarkt’, S.63; rororo1290, 2001
Étienne-Louis Boullée
mitgerechnet)3. Jede Minute werden heute
weltweit 168 Millionen Emails verschickt,
das durchschnittliche Mailvolumen liegt pro
Tag also bei etwa 294 Milliarden. Und selbst
die sonst so skeptischen Österreicher/innen
sind in diese Entwicklung voll integriert und
haben 2010 immerhin 25.000 Terabyte über
mobile Geräte aus dem Internet herunteroder ins Netz hochgeladen.4 Somit reicht
eigentlich ein schneller, wahlloser Blick in
ein mitteleuropäisches Klassenzimmer:
denn hier sitzt der neue Typus Mensch! Den
Kampf um Freiheit und Selbstbestimmung
(Datenschutz?) längst vergessen ist, scheint
der Sozialdruck heute selbst gemacht. Mehr
3Quelle: DER SPIEGEL 31/2011, S. 100f
4Quelle: Der Standard, 13./14./15. August 2011, S. 4
noch, er scheint lustvoll, unverzichtbar und
umseits gewollt: Facebook, LinkedIn, Youtube, twitter, Smartphone, Google längst
und Wiki sowieso; eine sehr reale Brave New
World und in ihr die letztlich fatale Hingabe
pickeliger ‘digital Natives’ an den quasidemokratischen ‘Like-it-button’.
Um Missverständnissen aber gleich vorzubeugen: das alles ist schon gut so, keiner
unangemessenen Erregung wert, allenthalben ‘natürlich’ und schlicht der postindustrielle, nämlich digitale Gang der Dinge. Da
mag es naiv-verklärende Waldorf-Entsager
ebenso wie sprühende Kritiker zu Hauf geben; wie es auf der anderen (wesentlich popu-
läreren) Seite der Platine ebenso streit-bare
Herrschaften wie den Neurophilosophen
David Eagleman gibt, der ernstlich zu wissen glaubt, dass und wie allein das Internet
die Zivilisation retten kann.5 Und ein paar
Dinge haben sich im globalen Dörf-chen ja
tatsächlich als ganz wundervoll herausgestellt: Vieles wurde schneller, schnelllebiger, leichter, mobiler, transparenter,
demokratischer vielleicht sogar (man wird
sehen!) verfügbarer, abhängiger, kurz: unverzichtbarer. Und ein vorschnelles Ende der
Geschichte ist angesichts des leicht irrsinnigen Börse-Ganges von ‘Facebook’ etwa
nicht nur nicht abzusehen, es ist schlicht
unvorstellbar. Selbst wenn das Schreiben
‘klassischer’ E-Mails gegenwärtig zugunsten Instant-Messenger-Charts oder sozialer Netzwerke rückläufig ist (minus 8%
in den USA 2010)6, vollzieht sich der von
globaler Intelligenz beschworene Bruch, die
historische Diskontinuierung kurioserweise
anders und noch komischer: ganz wo anders, als vermutet; nämlich in den summenden Hosentaschen der heute 12-Jährigen
(schreibt doch der durchschnittliche USTeenager 3.339 sms pro Monat7!).
eingestellt und damit in allen Lebens- und
Arbeitsbereichen popularisiert haben, so
wenig wissen wir heute, wie sich Hard- und
Software noch entwickeln werden. Gegenwärtig allerdings regen sich spürbar und
zunehmend Bedenken, kritische Reflexionen; denn eines haben die vergangenen Jahre
dramatisch gezeigt: aus der exzessiven Nutzung der uns verfügbaren Mittel allein entsteht noch nichts zwingend Verbindliches,
keine auch nur halbwegs repräsentative Kulturform und schon gar kein real-ästhetisches Empfinden. Vielleicht ist die wachsende
Skepsis aber auch nur Ernüchterung: denn
selbst der Einsatz irrwitzigster Technologien
hat in den Bergen Afghanistans keinen Krieg
entscheiden können und es hat lähmende
Wochen und Monate gedauert, bis das sehr
real havarierte Kraftwerk Fukushima zumindest halbwegs gekühlt und abgedichtet
werden konnte, während andernorts automatisierte Hochfrequenz-Programme den
Hunger Afrikas auf einen perfiden neuen
Höchststand spekulierten. Es herrscht
tatsächlich eine nahezu perverse Inflation
möglicher Wirklichkeiten, in der das lineare
Leben früherer Zeiten in einem Feuerwerk
(immerhin!) an Komplexität endet, wie Gabor
So wurden über die letzten zwanzig Jahre si- Steinhart weiß.8
cherlich viele Erwartungen lokal enttäuscht
(man denke nur an die ‘Erfolgsgeschich- Und all das hat auf ganz selbstverständliche
te’ der so genannten ‘Neuen Deutschen Weise mit Architektur zu tun. Im gleichen
Bundesländer’!), andere wiederum in einem Jahr wie Mark Wigley, also 1999 (allerdings
schier unfassbaren Umfang übertroffen. Wie sonderbarerweise in Graz!), hielt Jean Bauwenig Wigley von den Dingen wissen konnte, drillard einen Vortrag zum Thema ‘Archidie sich in den vergangenen zehn Jahren tektur: Wahrheit oder Radikalität?’. Dieser
Vortrag ist übrigens als Essay 40 in einem
kleinen, liebenswert-unspektakulären Band
bei Droschl erschienen.9 Baudrillard sprach
über Architekten, die sich über materielle,
konstruktive und konzeptuelle Modelle fast
wahllos den aktuell technischen Möglichkeiten ausliefern und sagte unter anderem:
“Folglich verweist die Architektur nicht mehr
auf irgendeine Wahrheit, auf irgendeine
Originalität, sondern nur mehr auf die technische Verfügbarkeit der Formen und der
Materialien. Die Wahrheit, die auftaucht, ist
nicht einmal mehr die der objektiven Bedingungen, und noch weniger jene des subjektiven Willens des Architekten, sondern ganz
einfach jene des technischen Dispositivs
und seiner Funktionsweise. Man kann das
noch Architektur nennen, aber nichts ist dabei sicher.” Ich kann mir so halbwegs vorstellen, was Wigley damals über die Skizze oder
die Zeichnung im Allgemeinen gesagt haben könnte und lese aus dem gleichen Jahr
Baudrillards Einschätzung der räumlichen
Produktionsumstände (wenn man’s marxistisch will!), sehe also eine aufkeimende
Koinzidenz des Unwohlseins und des Misstrauens; weniger dadurch begründet, dass
den Damen und Herren Architekten fortan
neuen Medien und Möglichkeiten zur freudvollen Verfügung stehen, als dass, zumindest bei Baudrillard, ein ganz klarer Auftrag
zur praktischen Reflexion formuliert wird.
Anders gesagt: man möge sich doch bitte
nicht den technischen - meint: digitalen Versuchungen allzu unbesorgt an den Hals
werfen, ohne zu wissen, was das in letzter
5 David Eagleman in ‘spiegel-online’ am 26. September 2011
6 siehe etwa Christoph Koch, ‘Das Ende von @was’ in ZEITmagazin Nr. 45, 2011
7 ebd.
8Gabor Steinhart, ‘Das ist doch nicht normal’; DER SPIEGEL 10/2011, S. 136f
9 Jean Baudrillard, ‘Architektur: Wahrheit oder Radikalität’; Droschl, Graz-Wien, 1999
Lebbeus Woods
Konsequenz bedeutet; und nicht nur für das
räumliche Denken, also die Organisation des
Raumes und seiner Wahrnehmung, sondern
für die Profession als ganzes (zumal auch
auf einer Baustelle der Zukunft zumindest
ein missmutiger Kerl in Gummistiefeln stehen und unangenehme Fragen stellen wird).
Natürlich haben sich die Arbeitsbedingungen der ArchitektInnen gewandelt, schneller
und eindeutiger vielleicht als in den Jahrzehnten zuvor, aber letztlich geht es immer
noch um dieselben Fragen, Aufgaben, men-
schlichen Bedingungen und maßstäblichen
Bemühungen. Denn ganz natürlich kaufen
wir uns regelmäßig die neuesten Prozessoren, Grafikkarten und optimieren dadurch
Darstellungs-, Planungs- und Herstellungsprozesse: Wir und alles um uns ist somit in
ständiger Anhängigkeit vom ‘technischen
Dispositiv’, also davon, was ‘das Ding’ gerade
kann: ein kleinwenig modisch und mit der
Schlussreinigung möglicherweise schon antiquiert. Die Planung und sich hernach materialisierende Architektur dauert ab einem
gewissen Maßstab halt immer noch zu
lange, das muss schon gesagt werden! Wobei es ja ein etwas kühner Spaß wäre, sich
folgendes vorzustellen: es gäbe eine Plattform im ‘www’, in der weltweit alle Katasterpläne als 3D-Files gespeichert wären, dazu
noch alle lokalen Bebauungsgrundlagen,
sämtliche jeweils geltenden Vorschriften
und relevante Baupreisindizes. Der (zahlungspflichtige!) User gäbe dem Programm
lediglich an, dass man auf der Liegenschaft
X mit so und so viel Währungseinheiten ein
Gebäude mit so und so vielen Räumen (optional) der künftigen Nutzung entsprechend
zu errichten gedenke. (Christoph Opperer
und ich hatten für diesen Jux auch schon
einen Markennamen: www.makegoodproject.com). Etwas weiter unten gäbe es dann
noch einen Regler, der sich formal ggf. zwischen Francois Roche und Peter Zumthor
bewegen ließe. Und in Echtzeit plante das
Programm also aufgrund der gegebenen
Parameter einfach alles, vom Carport bis zur
neuen Hauptstadt, und schickt den Plansatz
inklusive standardisierter Leitdetails automatisch zur prüfenden Behörde und an
bestbietende Firmen; Parkettbemusterung
und Baufortschritt via Live-App usw. Was für
eine Gaudi und 1.413 neuen besten Freunden
gefällt dies!
So etwas scheint als Gedankenmodell natürlich ein Spaß an einem der weniger gut
beleuchteten Wirtshaustische; nur ist selbst
derartiges Geblödel letztlich nichts anderes
als ein Ausdruck tiefster Verunsicherung über
mittelfristige Perspektiven, also zynische
Bagatellisierungen dieser einst so geachteten
Profession Architekt. Und die entscheidende
Frage muss bedauerlicherweise vorerst ungeklärt bleiben: Was ist es wirklich, was wir
da tun und tun lassen? Wo sind die entscheidenden Kompetenzen, die eindeutigen Manifeste (Patrik Schumachers diesbezügliche
Bemühungen vielleicht ausgenommen), wo
deren materialisierte Nachweise und Ansagen
abseits der bekannten, wunderbar-irrwitzigen
Prototypen? Erleben wir gegenwärtig die nächste ungebetene Renaissance des letztlich
inhaltsbefreiten Pavillons als Experimentierfeld für all das, was einem größeren Maßstab
womöglich nur bedingt zuträglich wäre? Die
erhoffte Erlösung nämlich ist das Gewurstel
bislang nicht, vor allem, wenn man offenen
Auges etwa durch Mitteleuropa spaziert, und
eigentlich nur noch die ohnehin labile Fassung
verlieren kann ob dem (ich muss es leider so
sagen:) großformatigen Scheißdreck, der allerorts nicht nur genehmigt und gebaut, sondern
auch noch auf das Schamloseste publiziert
und bejubelt wird!
Otto Wagner
In all dem Irrsinn der vergangenen Jahre
hat sich allerdings still und leise etwas zu
formieren begonnen, was optimistische
Kreise als ‘die neue Konservative’ bezeichnen. Es fällt unangenehm auf: die Tracht als
Alltagsverhüllung erlebt ihre modische Wiedereinsetzung; die Sehnsucht nach ‘wahren
Werten’, nach Fortsetzung irgendwelcher,
ohnedies fragwürdiger Traditionen wird von
mehrfach durchstochenen Zungen höchst
freudig vorgebracht und selbst das hippe
‘Wallpaper’ freut sich in seiner ‘Handmade
Issue’ (August 2011) über all die Irren in Lon-
don, Berlin und Barcelona, die wieder mit
der Hand zeichnen und nähen und stricken
und hämmern. Es war auch dem österreichischen Wirtschaftsmagazin ‘Trend’ im August 2011 nicht zu blöd, ‘Die neue Landlust’
aufs Cover zu setzen; Untertitel: “Tracht &
Volksmusik, Vollholz und Zeltgaudi boomen”.
Und wenn das so ist, könnte man doch glatt
meinen, dass das Pendel überhaupt wieder
im fulminanten Rückschwung sich befände.
So war es letztlich die Architektur-Biennale
2010 in Venedig, die zeitgleich mit dem
MoMA (‘small scale, big impact’) in New York
recht eindringlich Fragen aufwarf, und hier
wiederhole ich mich, die im Auge des digitalen Sturms der vergangenen Jahre nahezu hinderlich schienen: Was machen wir
Architekt/innen da eigentlich? Und wo? und
wie? und für wen? Beschworen aber wurde
keine nostalgisch-regressive Parallelwelt,
die nahezu kindisch versucht sich dem Terror all der Apps und Tweets zu entziehen
und Thoreau’sche Waldhütten zu bauen;
aufgezeigt wurde lediglich, wie weit sich
gewisse Entwicklungen nicht nur von ihren
vermeintlichen AutorInnen, sondern auch
von ihren Rezipient/innen vulgo: Nutzer/innen entfernt hatten. Es ist nicht mehr nur
der tiefe Graben zwischen Theorie und Praxis, sondern ein weiterer, mithin gefährlicher:
der zwischen vermeintlicher Praxis und ihrer
Öffentlichkeit. Die virtuellen Resultate des
technischen Dispositivs sind schlicht nicht
mehr les-, also nicht mehr vermittelbar und
stellen somit keinen wie auch immer gearteten ‘erhofften Zustand’ dar. Es handelt sich
in diesem Trubel nämlich nicht um eine
bewusste, mithin radikale Enttabuisierung
(sehr frei nach Engels) oder räumliche Perspektive an sich, sondern um eine ungebremste Schussfahrt in die kulturelle Isolation
der bits und bytes und also in die soziale,
kulturpolitische und ästhetische Auflösung.
Denn gerade die Architektur muss - anders
als die bildenden Künste - in ihren Medien
vermittelbar sein, muss lesbar, taktisch und
optisch rezipierbar10 bleiben und darf also
den Maßstab der Erkenntnisfähigkeit nicht
überstrapazieren. Das, was der klassischen
Moderne mit einen so fragwürdigen Halt
gab, nämlich nicht nur aufgrund der neuen
Materialien transparent zu bauen, sondern
vielmehr transparent zu denken und zu
planen, nachvollziehbar zu sein, ‘Transparenz’ als demokratische Öffnung der gesamten Baukunst darzustellen und so selbst
den weniger Interessierten, aber durchwegs
Betroffenen näherzubringen, das schaffen
die gegenwärtigen ‘Images’ nur selten.11 Eine
rein parametrisch optimierte, also exklusiv in sich organisierte Umwelt (und deren
Werkzeuge wie auch ihre Materialien) entzieht sich lustvoll losgelöst einem faktischen
Verstehenwollen und schließt ein leidenschaftliches Empfinden, einen - wie auch
immer gearteten - demokratischen Nachvollzug schlicht aus.
Nun muss ein Architekt/eine Architektin
ja nicht zwangsläufig zeichnen können. Es
gab in der lieben Geschichte ganz wunderbare Architekt/innen, deren Zeichnungen an
sich aus künstlerischer Sicht wenig bedeutend scheinen. So war es Adolf Loos auch
gar nicht wichtig, seine räumlichen Vorstellungen im Sinne der Wagner-Schule anzupreisen und auszumalen; viel wesentlicher
war, dass die an einem Projekt Beteiligten
wussten, was sie zu tun oder gegebenenfalls davon zu halten hatten. Die Zeichnungen Otto Wagners bzw. seiner Werkstatt
allerdings gehören wohl für sich genommen
zum fixen Repertoire einer fast wehmütigen
Rückschau, mittels der das gesamte 20.
Jahrhundert sich auf das Wunderbarste in
10Walter Benjamin, ‘Das Kunstwerk im Zeitalter ...’; S. 344, Ed. Suhrkamp, Frankfurt, 1996
11Hal Foster in ‘Wo Transparenz keine Tugend mehr ist’, Kurier, 22. Januar 2012
Erich Mendelsohn, 1917
Antonio Sant’Elia, 1911
Architekturzeichnungen abbilden lässt (siehe Lampugniani12 bis Riley13!). Frank Lloyd
Wright wirkt dort ebenso unverzichtbar wie
Daniel Libeskind, Le Corbusiers oder Erich
Mendelsohns Handschrift so unverwechselbar wie die Zaha Hadids. Es wird allerdings
wenig überraschen, dass die bedeutende
Sammlung von Architekturzeichnungen im
MoMA ihre Ankäufe zeitgenössischer Architektur weitestgehend eingestellt hat, wohl
aus Mangel an bedeutsamen Versuchungen
diesbezüglich oder weil sich das Medium
als sammelbares Original tatsächlich überholt hatte. Im an sich wunderbaren Katalog
‘Envisioning Architecture’ von 2002 wurde
abschließend ein eigentlich erschütternder
‘computer-generated print’ von Arata Isozaki
(1992) abgedruckt. Und das war’s vorerst ...
In den vergangenen Jahren allerdings haben junge Architekt/innen und Künstler/
innen sich und uns wieder vermehrt mit
dem Medium der ‘Architekturzeichnung’ unterhalten. Weniger, wie es scheint, um eine
restaurativ-trotzige Parallelwelt à la Ruskin
oder Morris darzustellen, sondern um erneut
Grenzen und Möglichkeiten auszuloten. Es
kann heute ohnehin nicht ernstlich darum
gehen, sich der umfassenden Technologisierung entziehen zu wollen; alle können,
alle müssen heute Computer! Es ist aber
sehr wohl ein fruchtbarer Anspruch, den
stets verfügbaren objektiven Variationen
noch subjektive dazuzuschalten. So war es
in den vergangenen Jahren nur wenigen ArchitektInnen möglich, auch im 3D eine Art
von eigener Handschrift zu entwickeln (Morphosis etwa wären hier als Erfolgsmodell
Adrian Newey (Red Bull Racing)
12M. Lampugniani, ‘Architektur unseres Jahrhunderts in Zeichnungen’, Hatje, Stuttgart, 1982
13McQuaid/Riley, ‘Envisioning Architecture’ (MoMA), New York, 2002
anzuführen), und so ist der Versuch einer
Synthese als Moment der Personalisierung
nicht nur naheliegend und aktuell, sondern,
wie man bereits sehen kann, auch erfolgversprechend. Dass diese Entwicklung keine
oppositionelle Randerscheinung, sondern
vielmehr eine ästhetische Tendenz ist, zeigt
sich in Büchern wie ‘beyond architecture’
ebenso, wie im Zuspruch internationaler
Architekturzeichnungs-Wettbewerbe etwa
des dänischen ‘Henning Larsen-Fonds’ oder
der kalifornischen Woodbury-University
(‚Drawing in the Post-Digital Age’, 2011). Bemerkenswert ist also das Entstehen neuer
visueller Mustersprachen, fantastischster
Hybride in einer unsentimentalen aber gleich-falls selbstreflexiven Geste des Tuns.
Wie unverzichtbar diese Grundgeste selbst
im post-digitalen Gestaltungskreislauf ist,
zeigt sich etwa an Jonathan ‘Jony’ Ive, seit
1997 oberster Produktentwickler bei Apple,
der ausschließlich mit der Hand zeichnet
und diesen Umstand damit erklärt, dass er
immer schon ein gesteigertes Empfinden
für die Schönheit handgemachter Dinge und
die darin investierte Sorgfalt gehabt hätte14.
Ebenso legendär ist die (zeichnerische) Enttwicklungsarbeit Adrian Neweys, seines Zeichens Chefdesigner bei ‘Red Bull Racing’ und
als solcher quasi Garant für Irrwitz und Erfolg
der derzeit leistungsstärksten Boliden des
Formel 1-Zirkus. Und auch im Rotterdamer
Büro OMA wird die Fähigkeit des manuellen
Skizzierens in diversen Job-Desriptions als
‘Soll’ dargestellt. Handzeichnen ist also immer noch eine hartnäckige, direkte und wohl
entscheidende Form des Denkens und Machens, immer noch Hirn an Hand sozusagen.
Skizzieren, Notieren, schnel-les Aufreißen
und somit Entwickeln einer anfangs noch
formlosen Idee ist das Erste und mithin Naheliegendste jedes Objektivierungsversuchs.
Wobei das Digitale per se ja nicht überwunden, sondern vielmehr als selbstverständlich
integriert wird. Der Pro-zessstart, die formale
Grundlage, ist jedoch immer noch ein und
dieselbe, seit vor langer Zeit irgendeine mithin reale Darstellungs- oder Gestaltungsabsicht ihre maßstäbliche Determinante fand.
Das Außergewöhnliche der vergangenen Jahrtausendwende ist uns mittlerweile zutiefst
gewöhnlich geworden; das virtuelle Blendwerk bedarf nun einer grund- wie zusätzlichen
Bearbeitung, einer inhaltlichen wie formalen
Revision und additiven Schicht vielleicht.
Jedenfalls aber handwerklicher Aufmerksamkeit, um zum einen wieder lesbar, zum
anderen als intensives Original wieder wertvoll
und bedeutsam zu werden. Überhaupt glaube
ich, dass die Frage des Originals (in loser Anlehnung an Benjamin) als womöglich ‘einzig
wahrer Wert’ neu zu stellen wäre. Wie sonst
ließe sich das hartnäckig wie letztlich ärgerliche Gerücht einstufen, dass in großen Wiener
Albertina-Ausstellungen eben nicht nur Originale von Dürer oder Michelangelo zu sehen
seien? Kopien, oder hier: (möglicherweise)
virtuose Nachdrucke, also Nachbildungen, haben, selbst wenn wir der Unterscheidung nicht
mächtig sind, allein in der Ahnung immer etwas unnotwendig Schäbiges an sich. Ich darf
14Walter Isaacson, J‘ obs und Ive’ in DER SPIEGEL 41/2011
15Walter Benjamin, ‘Das Kunstwerk im Zeitalter ...’; S. 315, Ed. Suhrkamp, Frankfurt, 1996
16Sigfried Gidion, ‘Architekt und Konstruktion’, in ‘Wege in die Öffentlichkeit’, S. 107; gta/Ammann, Zürich 1987
Rob Voerman
Julie Hunag Jahn
hier an Walter Benjamin und seine Einschätzung erinnern: “Das Hier und Jetzt des Originals macht den Begriff seiner Echtheit aus,
und auf deren Grund ihrerseits liegt die Vorstellung einer Tradition, welche dieses Objekt
bis auf den heutigen Tag als ein Selbes und
Identisches weitergeleitet hat. Der gesamte
Bereich der Echtheit entzieht sich der technischen - und natürlich nicht nur der technischen
- Reproduzierbarkeit.”15
Und hatte nicht auch der gewiss technologisch zuversichtliche Sigfried Giedion bereits 1929 formuliert, dass zwar mit dem Ornament auch das Handwerk verschwindet,
dass ‘wir (aber) den merkwürdig ergreifenden
Abdruck empfinden, der durch den Eingriff
der menschlichen Hand über handwerklich
bearbeiteten Dingen schwebt; wir wissen,
dass er durch keine Maschine ersetzt werden
kann’16 (siehe Apple-Designer ‘Jony’, etwas
weiter oben). Benjamin würde an dieser
Stelle die ‘Aura’ eines Kunstwerks vermissen
und gleichfalls seine Fundierung im Ritual.
Denn die Digitalisierung ist immer auch eine
Trivialisierung (zwar ‘Kunstleistung’, nicht
aber ‘Kunstwerk’!) der ursprünglichen Anlagen, dessen muss man sich bewusst sein!
Und so viel die Maschine kann (ersetzen,
beschleunigen, optimieren etc.), es gibt
wohl ebenso vieles, was sie nicht kann und
niemals können wird: den zeitlosen Reiz und
die damit einhergehende Berührung eines in
vielen Stunden hergestellten Gegenstandes
simulieren zum Beispiel, sei das Apfelstrudel, ein Bergschuh, ein Tisch oder eben eine
feine Handzeichnung. Das mag sentimental
und auch etwas romantisch-verklärt klingen
(der Verfasser bekennt sich schuldig!), aber
überzeugend wirken etwa in Tadao Andos
an sich schönem Buch17 von 1995 die Modellfotos, Skizzen und mithin irrsinnigen Zeichnungen und nicht die versucht-modisch,
wie geistlos-fatalen Renderings zum ‘Nakanoshima Project II’.
ter; und eben und ganz offensichtlich: jetzt
wieder und wieder mehr. Mit ‘ein freye hant’
sehnte schon Albrecht Dürer sich danach,
eine frühere Welt im Wandel zu begreifen,
sich seiner und gleichfalls ihrer, zeich-nend,
zu vergewissern19. Mit einer freien Hand! Und
um historisch zu bleiben, war es den beiden
Elektronikern von Air ein ausgesprochenes
Anliegen, ihr Album ‘Le Voyage Dans La
Lune’, 2012 (Jules Verne wohl genauso wie
auch Georges Mèliés irgendwie), möge
‘natürlich und handgemacht’20 klingen.
Und fast schon naturgemäß - wenn auch
in gehörigem Abstand - zeigt sich, wie wir
meinen, ein bemerkenswertes Reflektieren
über Architektur, das Machen derselben
in stetig sich wandelnden Bedingungen
und allerorts neue Wege, Muster, Sprachen,
überraschende Rückgriffe und irrwitzige
Fortsetzungen. Allein schon die spürbaren
Regungen im halb-öffentlichen Diskurs geben aktuell jedenfalls Anlass zu Freude und
Zuversicht; schon deswegen, weil es endlich
heißt: dass wieder vermehrt darüber nachgedacht wird, was wer wie für wen warum
tut, meistens spätnachts, also längst ‘offline’. Denn letztlich ist es wohl so, wie
Raimund Abraham seinen letzten Vortrag
an der SCI-Arc enden ließ: ‘all you need is
a piece of paper, a pencil, and the desire to
make architecture’.21
Es war 2003 das ohnehin bemerkenswerte
Elektronik-Label ‘Ninja Tune’, das seinen Vertrags-Musikanten nahelegte, mit
dem Computer hergestellte Sounds und
Samples müssten bitte auch ‘live’, also im
Hier und Jetzt, zu vermitteln sein, worauf
sich fortan ganz wunderbare Stilmixes im
Sinne von Singer-Songwriter-Club-Sounds
zeigten (‘Fink’, ‘MGMT’ oder zuletzt etwa die
Herrschaften von ‘Vampire Weekend’). Und
Vergleichbares ist durchaus im Architekturund Kunstbereich nicht nur möglich, sondern
vielmehr schon aktueller Gegenstand der
Produktion und ihrer Wahrneh-mung. Denn
allein die Entscheidung und der folgende Akt
des Zeichnens hat, um es mit dem wunderbaren Arno Schmidt zu sagen, sowieso eine
gewisse Unanfälligkeit für geistlose Moden,
populäre Tabuvorstellungen und von der
Außenwelt auferlegte Denkhemmungen18.
Und spätestens seit der Renaissance zeich- Florian Medicus, 2012
nen, entwerfen, entwickeln Architekt/innen
und Designer/innen (Erfinder/innen, Ketzer/
innen und Strateg/innen) mit der Hand; mal
mehr mal weniger, mal besser, mal schlech-
17 Francesco Dal Co (Hg.), ‘Tadao Ando - Complete Works’, Phaidon Press, 1995
18Arno Schmidt, ‘Unsterblichkeit für Amateure’, in ‘Über die Unsterblichkeit’, S.12; Suhrkamp, Frankfurt, 2009
19 siehe dazu ‘Ich bin mein Urheber’, Hanno Rauterberg in DIE ZEIT 21, 16. Mai 2012, S. 47
20 in PROFIL 5 vom 30. Jänner 2012, S. 83
21 zit. nach P. Noever in ‘In the Absence of Raimund Abraham
Raimund Abraham, 1983
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NEW FRONTIERS ZEICHNEN
Teilnehmer/INNEN
FIXSTARTER: Lukas Göbl, Markus Leixner,
Constantin Luser, Josef Saller, Florian Unterberger
DURCH DEN WETTBEWERB GEFUNDENE TEILNEHMER/INNEN:
Dietmar Franz, Sebastian Heinemeyer,
Lucas Horvath, Claudia Larcher,
Patrick Pregesbauer, Walter Prenner,
Franz Riedl, Nicole Wogg
Jurysitzung, am 12. Mai 2012
(v.l.n.r.: Günter Zamp Kelp, Dieter Ronte, Lilli Hollein, Florian Medicus, Lukas Göbl)
Dietmar Franz
Lukas Göbl
Sebastian Heinemeyer
Lucas Horvath
Claudia Larcher
Markus Leixner
Constantin Luser
Patrick Pregesbauer
Walter Prenner
Franz Riedl
Josef Saller
Florian Unterberger
Nicole Wogg
„We stand on the edge of a New Frontier— the frontier
of unfulfilled hopes and dreams, a frontier of unknown
opportunities and beliefs in peril. Beyond that frontier
are uncharted areas of science and space, unsolved
problems of peace and war, unconquered problems of
ignorance and prejudice, unanswered questions of
poverty and surplus.“
(John F. Kennedy, acceptance speech
Democratic National Convention, Los Angeles, 1960)
NEW FRONTIERS
Verein zur förderung
experimenteller architektur
Veronikagasse 12/3
1170 Wien
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