AUFSÄTZE Liebe – Leib – Leben

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AUFSÄTZE Liebe – Leib – Leben
AUFSÄTZE
Liebe – Leib – Leben
Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz _____________________________
1. Liebe
1.1 Irdisches und Geistiges
Nicht zufällig gehören im Deutschen die Wörter Leib, Leben, Liebe zum selben Wortstamm lb-. Aber in einer hochsexualisierten Gesellschaft ist die den ganzen Leib, das
ganze Leben umfassende Kraft der Liebe nicht mehr durchsichtig. Schon der Ausdruck
„Geschlechtsverkehr“ klingt nach einer Mechanik der Körperteile. Liebe ist aber mehr als
Begegnung von Unterleib mit Unterleib. Mit dieser mehr als biologischen Kraft ist
keineswegs das Gewicht auf eine „unkörperliche“ Liebe gelegt. Doch entspricht es einer
kulturell übergreifenden Erfahrung, dass die Liebe mit der (ausschließlichen) Reduzierung auf Sex erst gar nicht entsteht oder rasch erlischt. Die umfassende Erfahrung von
Liebe ist sogar eine Heilung von der Besessenheit durch Sex – eben dies zeigt das Eintauchen in gewaltige erotische Texte der Dichtung, der Philosophie, der Mystik. Liebe
erfährt dabei ein Ganzwerden – obwohl, nein, weil sich Leib und Seele an den Geliebten, die Geliebte verlieren. Es ist sogar denkbar, sich so an Gott zu verlieren. Kostbare
Texte der Mystik zeigen die Sehnsucht nach einem solchen Sich-Verlieren und dabei die
Seligkeit unerhörten Gewinns. Dann wird Religion zur Sprache der Leidenschaft.
Was geschieht, wenn das schmerzliche Glück von Lieben und Geliebtwerden auf
einen Menschen zielt, was geschieht, wenn es auf Gott zielt? Große spirituelle Erfahrungen unterscheiden hier nicht mehr: Die ganz große Liebe ist der Überstieg ins
Andere, Göttliche schlechthin.
Spricht der persische Dichter Rumi im 13. Jahrhundert von Gott oder von der
Geliebten, wenn er singt?
„Ohne andere kann ich sein, ohne Dich geht es nicht,
Mein Herz trägt Dein Mal, einen anderen Ort gibt es nicht.
Durch Dich siedet die Seele, das Herz trinkt aus Dir,
Der Verstand schreit: Ohne Dich geht es nicht.“ 1
Oder wen meint Goethe in dem Gedicht Nähe des Geliebten?
„Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer
Vom Meere strahlt;
Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
In Quellen malt.
Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege
Der Staub sich hebt;
1
Annemarie Schimmel (Hg.): Rumi: Ich bin Wind und du bist Feuer. Leben und Werk des
großen Mystikers, Kreuzlingen/München 2003.
theologische beiträge 45. Jg. (2014), 335–340
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In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege
Der Wandrer bebt.
Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen
Die Welle steigt.
Im stillen Haine geh ich oft zu lauschen,
Wenn alles schweigt.
Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne,
Du bist mir nah!
Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne!
O wärst du da!“ 2
Irdisches und Geistiges sind darin zusammengebunden, das Sinnlich-Endliche und
die Ekstase.
1.2 Der dämonische Eros
Aber es gibt eine zweite Seite des Eros. „Man erzählt sich viel von der Liebe, aber selten
davon, wie sie wirklich ist. Sie ist Wildheit im Blut, Schmerz in den Knochen, Gier und
Verzweiflung. Sie ist Durst bei Nacht, brennend wie ungelöschter Kalk am Tag. Sie
bedeutet, einen Dorn im Herzen zu spüren, eine Blutspur zu hinterlassen, wo man
geht.“3 So weiß es der keltische Mythos von dem alten König, der eine junge Schöne
verfolgt und tötet, weil sie ihn flieht. Das Tödliche, das Böse des Eros fürchtete auch die
griechische Welt: „ ‚Oh, sieh einmal! Welch schöner Vogel! Sieh einmal! O fäng ich diesen
Vogel doch!‘ Der Alte sprach: ‚Ach fang ihn nicht, Den bösen Vogel! fang ihn nicht!
Beglückt ist der, der ihn nicht fängt! Er tötet jeden, der ihn fängt!‘“4 So sind beide Seiten
der Liebe zu betrachten, um nicht ins Romantische und Halbwahre abzugleiten.
1.3 Die sakrale Bedeutung der Ehe im Hinduismus
Religiös und kultisch wird die Ehe häufig in Verbindung gesetzt zu Weltschöpfung
und Welterhaltung. Beispielhaft seien hinduistische Überlieferungen herangezogen,
die den Geschlechtsakt nicht als individuellen, sondern als sakralen Vollzug verstehen, ja, in den Upanishaden als Ursprung des Gesamten: „Am Anfang war hier nur
das Atman; es war wie ein Mensch. Es blickte um sich und sah nichts anderes als sich
selbst. ‚Das bin ich‘, war sein erstes Wort. [...] Es empfand keine Freude. Darum
empfindet ein Einsamer keine Freude. Es wünscht sich ein Zweites. Es war so groß
wie Mann und Frau bei der Umarmung. Es ließ sich in zwei Teile zerfallen. So
entstanden Gatte und Gattin. [...] Darauf entstanden die Menschen.“5
Vor allem im Shivaismus wird das geschlechtliche Zweierprinzip „zur fruchtbaren
Selbstspiegelung polarisiert“6. Shiva, Weltschöpfer und zugleich Weltzertrümmerer,
umarmt Shakti auf dem Lotosthron, unter dem häufig der Stier als Zeugungskraft
und die Löwin als Stärke kauern. Erstaunlicherweise bildet der Gott die Mitte einer
2
3
4
5
6
Goethe: Werke. Hamburger Ausgabe, München 1981, Bd. 1, S. 242.
James Stephens: Deirdre. Eine irische Sage von Liebe und Tod, Köln 1985, 122.
Bion: Der Vogelsteller, in: Lyrik des Abendlands. Gedichte aller abendländischen Völker
von den Homerischen Hymnen bis zu Lorca und Brecht, gemeinsam mit Hans Hennecke, Curt Hohoff und Karl Vossler ausgewählt v. Georg Britting, München 1978, 73.
Brihad-Aranyaka-Upanishad, I, 4.
Heinrich Zimmer: Indische Mythen und Symbole, Düsseldorf/Köln 1972, 153.
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unstörbaren Ruhe, den ewigkeitsgefüllten Aspekt, während Shakti als „Energie“ die
fruchtbare, alles verändernde Zeit verkörpert: Sie setzt den Gott in Bewegung. Beides
wird in jedem Geschlechtsakt wiederholt; Ehe ist Welt schöpfend in der Vermählung
von Ewigkeit und Zeit.
Keineswegs ist mit Ehe ein reines Ausleben des Triebes gemeint, vielmehr bedarf es
einer „Zügelung“, um aus dem rein Lustvoll-Triebhaften des Geschlechts überzuleiten
in seine tiefe sakrale Bedeutung: in das „Bauprinzip“ des Universums. Daher wird das
Geschlecht aus dem nur individuellen Vorgang überhöht, sodass die abstrakte Darstellung des Aktes in einem Yantra zum Gegenstand der Meditation und nicht der geschlechtlichen Animation wird. Auch der Einsiedler, der Mönch, die Witwe können das
Yantra meditieren und damit in das Innerste des Universums eindringen: in Pol und
Gegenpol, in die unendliche Spannung von Ruhe und Bewegung, Ewigkeit und Zeit.
2. Die Sprache des Leibes
2.1 Leib, mehr als Körper
Das Geheimnisvolle, dass nur Frau und Mann „ein Fleisch“ werden und dabei neues
Leben im Fleisch hervorbringen, ist das Phänomen, um das es geht. Diese „Fleischwerdung“ miteinander enthält bereits die Aussage, dass in der gegenseitigen Hingabe
kein beliebiges und austauschbares Spiel steckt, sondern dass der Geschlechtsakt und
die in ihm unerhört aufklingende emotionale und geistige, sich im Kind unmittelbar
verkörpernde Erfahrung einzigartig sind. Einzigartiges aber ist von sich aus tiefe
Wirklichkeit, ja, als die sonst (vielleicht gerne) verdeckte Tiefe der Wirklichkeit zu
erfahren, die nicht beliebig abrufbar oder manipulativ zu „haben“ ist.
Daher ist die Sprache des Leibes „von selbst“ auf Dauer hingeordnet gegenüber
dem, der sich ganz schenkt, weil sich im Schenken neue, alles verändernde Wirklichkeit auftut: Sie gelingt nur gemeinsam. Dauer meint Treue, und Treue meint wegen
der Wucht und Einzigartigkeit des Vorgangs Ausschließlichkeit: „Du für immer“. Sie
meint weiterführend auch Unauflöslichkeit, der die Zeit nichts anhaben kann – so
wie auch die gemeinsame Zeugung eines Kindes nicht zurückzunehmen ist. Die Sprache des Leibes kann aber nicht mehr gelingen, wenn sie nicht mehr durchpulst ist von
Leben und Liebe und Ausschließlichkeit – von sich aus enthält der Leib jedoch jederzeit
eine große gegenseitige Beseligung. Das führt zur Frage einer umfassenden „Erziehung“
zur Geschlechtlichkeit, nicht aber zur Leugnung der Leibsprache als solcher.
Der Charakter der Hingabe kann freilich durch unreine und vordergründige
geschlechtliche Akte verfälscht werden und wird beständig verfälscht. Der Leib kann
nicht mehr „sprechen“, wenn er sich an einschränkende Bedingungen halten muss:
„Gib dich mir nur für den Augenblick; ich will meine Befriedigung, nicht deine
Liebe; auf keinen Fall ein Kind ...“ Wo Sexualität von Anfang an auf mehrere Partner
ausgerichtet ist, zeitgeistig oder aus eigener Beschränkung heraus, gelangt die Sprache
des Leibes gar nicht zu ihrer ganzen Selbstaussage: Sie versackt einfach im Selbstgenuss. Wie wenig das von dem Partner „verziehen“ wird, zeigen die Erzählungen aller
Kulturen, die die dramatische Rache der Betrogenen ausmalen. Alltäglicher zeigen es
die Entfremdungen und Einsamkeiten inmitten einer überbordenden Sexpraxis.
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Ebenso eindeutig gehört zur Sprache des Leibes die Fruchtbarkeit. Sie auf Dauer
oder aus egozentrischen Gründen zu unterdrücken, chemisch zu nivellieren oder
umgekehrt technisch zu stimulieren, macht aus dem Leib den „Körper“, der als
Werkzeug gesehen wird. Stattdessen gilt der Gedanke von Helmuth Plessner, einen
Körper zu haben oder ein Leib zu sein.7 Eros und Fruchtbarkeit lassen sich nicht auf
Dauer trennen, denn der Eros selbst übersteigt sich in die Fruchtbarkeit, und die
Fruchtbarkeit bindet wiederum zusammen. Der Mann wird nur an der Frau zum
Vater, die Frau nur am Mann zur Mutter, das Kind nur an den Eltern zum Menschen. Wo der Geschlechtsgenuss das Kind grundsätzlich verweigert,8 wird im Umkehrschluss der andere, die andere verweigert.
2.2 Die Andersheit des Geschlechtes
Das Hinausgehen aus sich ist unvergleichlich fordernder, wenn es nicht nur auf ein
anderes Ich, sondern auf einen anderen Leib trifft – auf unergründliche Entzogenheit, bis ins Leibliche, Psychische, Geistige hinein. Diese Differenz auszuhalten, vielmehr sich in sie hineinzubegeben und hineinzuverlieren, erfordert Mut. Vielleicht ist
wirklich nur die Liebe im Sinn von Tollkühnheit fähig, sich überhaupt einzulassen
auf das schlechthin andere und sich nicht nur selbst zurückzuspiegeln: Frau ist bleibendes Geheimnis für den Mann und umgekehrt.9 Wer diesem zutiefst anderen
antwortet, begegnet dem eigenen Leben: der eigenen Kraft zum elterlichen Dasein,
zum älteren Du. Noch weiter gedacht: Man begegnet dem zukünftigen Leben als
solchem, denn tatsächlich entsteht die neue Generation nur aus Mann und Frau.
Wer den Leib zu einer „Zuschreibung“, zum konstruierten Geschlecht, zum beliebigen Selbstentwurf macht, unterbestimmt das Leben.
Natürlich kann auch der Schritt in die Differenz missglücken. Es macht die Not
der Existenz aus, dass sie alle Lebensvollzüge degradieren kann. Es gibt die Zweckgemeinschaft Ehe, den Selbstgenuss im Sex, das frustrierte, leergewordene Zölibat, das
erzwungene, lähmende Alleinsein, den Egoismus zu zweit. Aber das hindert nicht anzuerkennen, dass die Polarität der Geschlechter ein optimum virtutis, ein Äußerstes an Kraft
herausfordert. Auch in gleichgeschlechtlichen Vollzügen wird diese Gegenspannung in
einem „als ob“ nachgebaut: Das Schloß-Schlüssel-Modell ist nicht zu unterlaufen.
3. Gott als Fruchtbarer, Lockender
Der scharfzüngige Verdacht Nietzsches lautet: Das Christentum habe dem Eros Gift
zu trinken gegeben; er sei zwar nicht daran gestorben, aber zum Laster entartet.10 Wo
7
Vgl. Helmuth Plessner: Die Stufen des Organischen und der Mensch. Einleitung in die
philosophische Anthropologie, Berlin 1928.
8 Davon unabhängig gibt es tiefreichende Gründe, keine Kinder zu haben oder ihre Zahl zu
beschränken. Aber die Beschränkung darf sich nicht unterschwellig gegen den Partner
oder auf den Egoismus richten.
9 Emmanuel Levinas: Die Zeit und der andere, Freiburg/München 1965, zählt den Tod,
den Eros und den Sohn zu den drei großen „Passionen“ des Lebens – gerade weil sie
uneinholbar, unbegriffen alle Kraft fordern.
1 0 Friedrich Nietzsche: Jenseits von Gut und Böse, Nr. 168. KSA 5, hg. v. Giorgio Colli /
Mazzino Montinari; München 92007, 102.
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das Leben eigentlich ins frei Schweifende, ins Heitere und Göttliche überginge,
stünden seitdem Verbotstafeln. Und in der Tat entwickelte die victorianische Prüderie Verdrängungen großen Stils. Aber wurde das Spannungsfeld des Eros tatsächlich
im Christentum verraten? Ist es nicht umgekehrt eine Erinnerung an das Kraftfeld
der Liebe? Denn es hält nicht nur eine memoria passionis, sondern eine verlorengehende memoria amoris gegenwärtig.
Wie spielt das Göttliche hinein in die gemeinsame „Fleischwerdung“? Wegen ihrer
Gefährdung werden Eros und Fruchtbarkeit in den Bereich des Heiligen gestellt: Als
ursprünglich paradiesische Gaben (Gen 1,27f) bedürfen sie „nach dem Fall“ ausdrücklich des Sakraments. Nie wird nur primitive Natur durch das Christentum verherrlicht:
Sie ist vielmehr in den Raum des Göttlichen zu heben und heilend zu bearbeiten.
Das Glücken einer endlichen und daher schwierigen Begegnung kann nicht durch
die Anrufung des Heiligen „garantiert“ werden, aber in seinem Schutz stehen die
Elemente, unter denen die schwierige Balance gelingen kann:
• zum ersten das Doppelgeschlecht als leibhafte Vorgabe anzuerkennen,
• zum zweiten sich das Kind durch den anderen geben zu lassen,
• zum dritten die Ehe unauflöslich, „ewig“ als „ein Fleisch“ zu wollen.
Der tiefste anthropologische wie theologische Gedanke des Schöpfungsberichts ist
wohl jener, dass die Liebesgemeinschaft von Mann und Frau eine Ahnung von der
Liebesgemeinschaft in Gott selbst verleiht – ja, dass sich gerade an der Geschlechtlichkeit des Menschen, so geheimnisvoll sie für sich selbst schon ist, das eigentliche
Geheimnis, nämlich das unerhörte, unvorstellbare schöpferische Füreinander und
Ineinander des göttlichen Lebens ausdrückt. Anders: Die Geschlechtlichkeit von
Mann und Frau lässt bereits die Wahrheit anschaulich werden, dass Gott in sich selbst
Liebe ist (1Joh 4,16). Schon von der zweifachen Gestalt des Menschen her wäre klar, dass
Gott nicht selbstgenügsam, schweigsam, verschlossen ist, vielmehr Hingabe, Gespräch,
Beziehung – eben Liebe. Geschlechtliche Gemeinschaft als Abglanz der göttlichen Gemeinschaft – damit wäre der griechischen Trauer über die Zweiheit des Menschen eine
unglaubliche Antwort gegeben: statt Trauer die Seligkeit, ihn in der Liebe „abzubilden“.
Diese Wahrheit ist lebensbestimmend: Wie tief in Ihm der Ursprung alles Lebendigen, alles Menschlichen, des Eros zwischen den Geschlechtern, ja der unbeschreiblichen Freude der Mutterschaft und Vaterschaft zu verehren ist. Deswegen ja auch
die Fassung der Ehe als Sakrament: Gott als Weg von mir zu dir. Geschlechtlichkeit als
Fenster und Durchsicht auf seine Gegenwart. Das II. Vatikanische Konzil hat dankenswert die Ehezwecke umgestellt und die gegenseitige Liebe in die erste Bedeutung gehoben. Nach wie vor freilich ermangeln Alltag wie Lehre einer christlichen
Erotik, die auf der Genesis (und der paulinischen und johanneischen Theologie)
gründet und als Schatz aus dem Acker gehoben gehört.
4. Der große Gestus der Liebe
Wenn das Christentum für die Zukunft eine Bedeutung behalten soll, dann in der
Form, dass es die memoria an die Gesamtgestalt des Eros offenhält. Um den Eros
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nicht zu töten in seiner Spannung von der Leiblichkeit bis hin zur einzigen Liebe,
selbst in der Gestalt des schmerzlichen Verlustes, bedarf es wohl des ganz großen
Gestus, den die Bibel hat. Dass in der Tiefe des jüdisch-christlichen Gedächtnisses, in
seiner besten Überlieferung, die Liebe nicht verstümmelt, sondern ins Göttlich-Große geöffnet ist, sei hier behauptet.
Denn Liebe ist nicht eine Frage der aufgeklärten Moral und der sexuellen Revolution. „Ein Mann kann ein versierter Schürzenjäger sein und doch von der ersten
Liebe keine Ahnung haben.“11 Wer sichert die Spannung des Erotischen? Wenn die
religiöse Kultur dem heutigen Bewusstsein abhanden kommt, worin Lieben und
Leiden von Gott selbst vollzogen werden, wieviel gelingt noch am Hingeben und
Weggeben der Liebe? Dann wird die Löschung Gottes auch ein Mord am Eros.
Heute ist es – gegen Nietzsche – der Instant-Sex, die Verflachung zur ungöttlichen
Banalität, die dem Eros Gift zu trinken gibt. Anstelle einer morbiden Prüderie tritt
die Erledigung des Eros: durch Übersättigung mit gleichgültigem Sex, dem seltsamen „Verbleichungsvorgang des Begehrens“12.
Deus caritas est, überschrieb Benedikt XVI. seine erste Enzyklika. Überraschend
fügte er Eros und Agape zusammen, denn die Liebe, die von unten stammt und
irregehen oder enden kann, wird durch die Liebe von oben, agape, gehalten, geleitet,
geheiligt: im Sakrament. Ist doch die göttliche Liebe abgestiegen in die nächtlichen
Gassen des Menschlichen, um es einzuholen. Man kann der gegenwärtigen Kultur
nur wünschen, von ferne den Saum dieser erotischen Erfahrung zu berühren. Mehr
noch: ihre Erlösung durch die göttliche agape zu spüren, wenigstens durch all das
Heutig-Abwegige zu ersehnen.
Summary
The “living body” (Leib) is to be seen only in deep connection with life and love: in its natural
dimension as well as in the voluntary and personal formation of the body-spirit-relation and in its
transcending movement to outside and above. Instead of a body-construction in gender-ideology
there is a given “language of the living body”: in phenomenological view it includes the language
of sexuality, and in biblical view also the language of bridal anticipation. This language postulates
a complete fulfilling, even transcending the destruction of the body in death.
__________________________________Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz
Jg. 1945, Prof. Dr. phil. habil. 1993–2011 Lehrstuhl für Religionsphilosophie und vergleichende Religionswissenschaft an der Technischen Universität Dresden. Seit 2011 Vorstand des Europäischen Instituts für Philosophie und Religion (EUPHRat) an der Hochschule Benedikt XVI. in Heiligenkreuz/Wien.
1 1 Gilbert Keith Chesterton: Ketzer. Eine Verteidigung der Orthodoxie gegen ihre Verächter, Frankfurt 1998, 45.
1 2 Sibylle Lewitscharoff: Darüber reden, in: Neue Zürcher Zeitung vom 7.9.2010.
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