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Jahrbuch 2014/2015 | Hausen, Anne Christine; Brüning, Jens C. | Übergew icht und Diabetes: Programmierung in der Schw angerschaft Übergewicht und Diabetes: Programmierung in der Schwangerschaft Metabolic disorders: Nutrition during pregnancy affects offspring Hausen, Anne Christine; Brüning, Jens C. Max-Planck-Institut für Stoffw echselforschung, Köln Korrespondierender Autor E-Mail: christine.hausen@sf.mpg.de Zusammenfassung Übergew icht, Diabetes mellitus Typ 2 und damit verbundene Folgeerkrankungen stellen neben den individuellen Einschränkungen für die Betroffenen ein entscheidendes sozio-ökonomisches Problem unserer Gesellschaft dar. Auf der Suche nach den zugrunde liegenden Mechanismen ist unser Verständnis von den körpereigenen Regulatoren in den letzten Jahren stetig gew achsen. Das Gew icht und die Ernährung der Mutter w ährend der Schw angerschaft beeinflusst das Auftreten metabolischer Erkrankungen beim Kind lebenslang. Studien im Mausmodell erlauben Einblicke in die komplexen Mechanismen. Summary Obesity, type 2 diabetes mellitus and associated dieseases are on a constant rise and not only reduce quality of life but also are putting a burden on our society. Large efforts have been put into a better understanding of the homeostatic control mechanisms involved in regulation of body w eight and energy homeostasis. It is know n that maternal obesity, diabetes and hyperglycemia during pregnancy results in an increased risk for the offspring to develop obesity and diabetes later in life. By performing studies in mice, scientists can gain insights into the underlying complex mechanisms. Einleitung Übergew icht und Fettleibigkeit (auch Adipositas genannt) haben sich w eltw eit zu Volkskrankheiten mit epidemischen Ausmaßen entw ickelt. Adipositas hat neben der Beeinträchtigung von Gesundheit und Wohlbefinden auch erhebliche Folgen für die langfristige Finanzierbarkeit der Gesundheitsversorgung. Die neuesten Zahlen zur Gesundheitsentw icklung belegen einen alle Befürchtungen übertreffenden Anstieg der Adipositas quer durch sämtliche Bevölkerungsschichten. Neueste epidemiologische Erhebungen gehen davon aus, dass rund 1,4 Milliarden Menschen übergew ichtig sind und rund ein Drittel dieser bereits als fettleibig eingestuft w erden (World Health Organization). Zusätzlich w urden 2013 w eltw eit 42 Millionen Kinder unter 5 Jahren als übergew ichtig bzw . fettleibig eingestuft. Adipositas ist ein Schlüsselfaktor für die Entw icklung vieler Begleiterkrankungen w ie z. B. Diabetes mellitus Typ © 2015 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/6 Jahrbuch 2014/2015 | Hausen, Anne Christine; Brüning, Jens C. | Übergew icht und Diabetes: Programmierung in der Schw angerschaft 2, Herz- und Atemw egskrankheiten, Bluthochdruckerkrankungen, Schlaganfälle und Fettstoffw echselstörungen. Es ist auch assoziiert mit einem Anstieg für einige Krebsarten und einem vermehrten Auftreten neurodegenerativer Erkrankungen w ie der Alzheimer-Krankheit [1]. Besonders der Adipositas-assoziierte Anstieg der Häufigkeit von Diabetes mellitus Typ 2 erreicht zurzeit ca. zehn Prozent der Einw ohner w estlicher Bevölkerungen [2]. Darüber hinaus häufen sich in den Kinderkliniken bisher unbekannte Fälle von Diabetes mellitus Typ 2 im Kindesalter als Folge der sich rapide ausbreitenden Fettsucht-Epidemie [3]. Dies ist von besonders w eitreichenden Folgen, da bereits im jugendlichen Alter Spätkomplikationen des Diabetes mellitus Typ 2 auftreten, w ie z. B. Augen- und Nierenschäden sow ie Nervenschädigungen. Angesichts dieser Entw icklungen steigt die Nachfrage bezüglich neuartiger, therapeutischer oder präventiver Behandlungsmethoden, die einen Rückgang dieser Epidemie und somit auch der assoziierten Folgeerkrankungen bew irken. Gelingt dies nicht, ist im nächsten Jahrzehnt zum ersten Mal mit einem Rückgang der statistischen Lebenserw artung aufgrund der Adipositas und Adipositas-assoziierter Erkrankungen zu rechnen. Übergewicht und Diabetes während „metabolischen Programmierung“ der Schwangerschaft: Das Konzept der Mit der Entdeckung, dass Kinder adipöser und/oder diabetischer Mütter ein stark erhöhtes Risiko haben, später selbst an einer dieser Stoffw echselkrankheiten zu erkranken, w uchs auch das w issenschaftliche Interesse an einer Aufklärung der zugrunde liegenden Faktoren, die eine solche genetische Veranlagung (Prädisposition) konstituieren. Im Laufe der letzten Jahrzehnte konnte gezeigt w erden, dass ein veränderter Nährstoff- und Hormonhaushalt als Resultat von Übergew icht, erhöhtem Blutzucker oder falscher Ernährung w ährend der Schw angerschaft direkt mit der Entw icklung verschiedener Organe beim Kind, u. a. der des Gehirns, der Leber sow ie des Fettgew ebes, interferiert und somit deren lebenslange Effizienz in der Regulation des Energie- und Glukosegleichgew ichts (Homöostase) mindert [4]. Trotz der Vielzahl an Studien, die diesen kausalen Zusammenhang zw ischen einem veränderten mütterlichen Stoffw echsel (Metabolismus) w ährend der Schw angerschaft und einem erhöhten Erkrankungsrisiko des Kindes bestätigen, sind w eder die genauen Ursachen, noch die zellulären und molekularen Mechanismen, die für diese sogenannte „metabolische Programmierung“ des Kindes verantw ortlich sind, bis heute vollständig identifiziert und verstanden w orden [5; 6]. Hypothalamus: Regulatorisches Zentrum der Energiehomöostase Ein besonders großes w issenschaftliches Interesse in dem Feld der metabolischen Programmierung w urde einer bestimmten Gehirnregion, dem Hypothalamus des zentralen Nervensystems (ZNS), zuteil, da diesem eine besondere Bedeutung in der Regulation der Energiehomöostase obliegt. Der Hypothalamus passt nicht nur die Nahrungsaufnahme beziehungsw eise den Energieverbrauch dem aktuellen Energiestatus des Organismus an, sondern beeinflusst auch den Glukosestoffw echsel entsprechend der jew eiligen Anforderungen. Diese Anpassungen w erden mit Hilfe von Hormonen und Nährstoffen, w ie z. B. Insulin, Leptin, Glukose und freien Fettsäuren, vermittelt. Diese w irken w iederum auf bestimmte Nervenzellen (Neuronen), deren neuronale Antw orten entsprechende Verhaltensmuster sow ie metabolische Prozesse in peripheren Organen vermitteln. © 2015 Max-Planck-Gesellschaft Für diese Transduktion w w w .mpg.de sind zw ei funktionell gegensätzliche 2/6 Jahrbuch 2014/2015 | Hausen, Anne Christine; Brüning, Jens C. | Übergew icht und Diabetes: Programmierung in der Schw angerschaft Neuronenpopulationen von zentraler Bedeutung: die anorexigenen (Appetit-hemmenden) und die orexigenen (Appetit-steigernden) Neuronen. Im Fachjargon heißen sie: pro-opiomelanocortin (POMC) und agouti-related peptide/neuropeptide Y (AgRP/NPY). Diese Nervenzellpopulationen befinden sich im Nucleus arcuatus des Hypothalamus und bilden w eitreichende neuronale Netzw erke durch das gesamte Gehirn. Dabei innervieren sie nicht nur Hirnareale, die für die homöostatische Regulation der Nahrungsaufnahme verantw ortlich sind, sondern auch Regionen im ZNS, die einen „Belohnungseffekt“ durch Nahrung vermitteln, sow ie Nervenzellen, die das autonome Nervensystem regulieren. Aufgrund ihrer w eitreichenden Vernetzung sind POMC- und AgRP/NPY-Neuronen verantw ortlich für die Regulation von einer Vielzahl metabolischer Prozesse und daher essenziell für einen ausgeglichenen Energiehaushalt [7]. Wie entwickeln sich hypothalamische Netzwerke? Die neuronalen Netzw erke der hypothalamischen POMC- und AgRP/NPY-Nervenzellen w erden in zw ei aufeinanderfolgenden Phasen gebildet: W ährend der ersten Phase w ird die Gesamtzahl der Nervenzellen durch Proliferation neuronaler Vorläuferzellen und anschließender Differenzierung bestimmt. Die neugebildeten Nervenzellen w andern daraufhin zu ihrer vorgesehenen hypothalamischen Hirnregion. In der zw eiten Phase w erden funktionale Netzw erke gebildet, in der POMC- und AgRP/NPY-Nervenzellen Fortsätze (Axone) bilden, mit denen sie sow ohl intra-, als auch extra-hypothalamische Zielregionen innervieren. Dort bilden sie dann Kontakte (synaptische Verbindungen) mit ihren nachgeschalteten Nervenzellen. Eine ungesunde Ernährung der Mutter führt zu einem gestörten Stoffwechsel der Nachkommen Mit Hilfe von Tierversuchen konnten die W issenschaftler zeigen, dass eine Änderung des Hormon- und Nährstoffhaushalts als Konsequenz einer falschen Ernährung, von Übergew icht oder Diabetes der Mutter w ährend dieser Entw icklungsprozesse w eitreichende Folgen auf die Etablierung dieser w ichtigen hypothalamischen neuronalen Netzw erke hat [8]. Es w ird angenommen, dass diese Entw icklungsdefizite zum Teil Grund dafür sind, dass das Verlangen nach hochkalorischer Nahrung sehr unterschiedlich ist und dass die aufgenommene Nahrung unterschiedlich effektiv verstoffw echselt w erden kann. Im Gegensatz zum Menschen, bei dem beide Phasen der Entw icklung hypothalamischer Netzw erke in utero, also vor der Geburt stattfinden, findet nur die erste Phase bei Nagetieren pränatal statt, w ährend die zw eite Phase, in der axonale Projektionen gebildet w erden, erst in den ersten drei Wochen nach der Geburt abläuft [9]. Diese zeitliche Unterteilung der Entw icklungsprozesse in Nagetieren stellt tatsächlich einen großen Vorteil für die Erforschung dieser Entw icklungsprozesse unter physiologischen und pathophysiologischen Bedingungen dar, da beide Prozesse in Nagetieren unabhängig voneinander manipuliert und analysiert w erden können. © 2015 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/6 Jahrbuch 2014/2015 | Hausen, Anne Christine; Brüning, Jens C. | Übergew icht und Diabetes: Programmierung in der Schw angerschaft A bb. 1: Übe rge wicht, Dia be te s und e in e rhöhte r Blutzuck e rspie ge l wä hre nd de r Schwa nge rscha ft/Stillze it ha be n e ine n La ngze ite ffe k t a uf die Ge sundhe itsprognose de r Na chk om m e n. Eine fe ttre iche Ernä hrung und e in da m it ve rbunde ne r Anstie g de s Horm ons Insulin wä hre nd de r Schwa nge rscha ft und Stillze it be e influsst die Ausbildung wichtige r ne urona le r Ne tzwe rk e im Hypotha la m us, e ine r R e gion im Ge hirn, die für die Kontrolle de s Ene rgie - und Gluk ose stoffwe chse ls im Körpe r von im m e nse r Be de utung ist. In Folge k om m t e s u. a . zu e ine r ge störte n Inne rvie rung de s P a ra sym pa thische n Ne rve nsyste m s und da m it zu e ine r ve rm inde rte n Insulinfre ise tzung a us de r Ba uchspe iche ldrüse (P a nk re a s). Die s führt zu e ine m be e inträ chtigte n Gluk ose stoffwe chse l im Körpe r. Fe hlt de r Insulinre ze ptor spe zifisch a uf P O MC Ne rve nze lle n im Hypotha la m us de r Na chk om m e n, k önne n die Ne rve nze llk onta k te k orre k t a usge bilde t we rde n und die Insulinfre ise tzung a us de m P a nk re a s wird ve rbe sse rt. P O MC : P ro-opiom e la nocortin a usprä ge nde Ne rve nze lle n © m it Ge ne hm igung von Else vie r a us [10] Aufgrund dieser zeitlichen Unterteilung konnte gezeigt w erden, dass eine fettreiche Ernährung der Mutter ausschließlich w ährend der Stillphase in Mäusen ausreichend ist, um die Energiehomöostase des Nachw uchses nachhaltig zu stören (Abb. 1). Ein erhöhter Fettgehalt im Futter w ährend der Stillphase beeinflusst die postnatal stattfindenden Entw icklungsprozesse im Gehirn. W ichtige, an der Regulation der Energiehomöostase beteiligte hypothalamische neuronale Netzw erke können nicht vollständig ausgebildet w erden (z. B. Ausbildung der synaptischen Verbindungen der POMC- und AgRP/NPY-Nervenzellen zu hypothalamischen Zielregionen) und dies führt zu einem lebenslangen übergew ichtigen, Insulin-resistenten und Glukose-intoleranten Erscheinungsbild des Nachw uchses [10]. Durch genetische Inaktivierung des Insulinrezeptors auf POMC-Nervenzellen des Nachw uchses zeigte sich des Weiteren, dass ein erhöhter Insulinspiegel (hervorgerufen durch eine fettreiche Ernährung der Mutter) w ährend genau dieser Phase die Ausbildung von POMC-neuronalen Axonen zu einer bestimmten hypothalamischen Hirnregion, die das autonome Nervensystem reguliert, stört und auch für eine verminderte © 2015 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/6 Jahrbuch 2014/2015 | Hausen, Anne Christine; Brüning, Jens C. | Übergew icht und Diabetes: Programmierung in der Schw angerschaft Glukose-stimulierte Insulinsekretion verantw ortlich ist (Abb. 1). Dies trägt zusätzlich zu einem gestörten Glukosestoffw echsel im Körper bei. Fehlt den Nachkommen der Insulinrezeptor durch genetische Inaktivierung auf POMC-Nervenzellen, so können die hypothalamischen neuronalen Projektionen zum autonomen Nervensystem korrekt ausgebildet w erden und die Tiere zeigen einen verbesserten Glukosestoffw echsel (Abb. 1). Übertragung der Ergebnisse auf den Menschen Zusammenfassend zeigt sich, dass eine Veränderung des hormonellen Milieus in Folge einer fettreichen Ernährung w ährend einer kritischen Phase der hypothalamischen Entw icklung mit der Ausbildung w ichtiger Nervenzellformationen interferiert. Die metabolische Programmierung der Nachkommen ist gestört und es kommt in Folge zu einer lebenslangen Beeinträchtigung des Energie- und Glukosegleichgew ichts im Körper. Ein Defekt dieser Entw icklungsprozesse, die sich im Menschen im Vergleich zeitlich w ährend des dritten Trimesters der Schw angerschaft ereignen, trägt zu einer lebenslangen Prädisposition für metabolische Krankheiten, w ie z.B. Diabetes mellitus Typ 2 und Adipositas, des Nachw uchses bei. Diese Erkenntnisse tragen dazu bei, über die Risiken und Gefahren eines veränderten Stoffw echsels w ährend der Schw angerschaft detailliert aufklären zu können und präventive Maßnahmen gegen die globalen Adipositas- und Diabetes-Epidemien zu entw ickeln. Literaturhinweise [1] Hildreth, K. L.; Van Pelt, R. E.; Schwartz, R. S. Obesity, insulin resistance, and Alzheimer's disease Obesity (Silver Spring) 20, 1549-1557 (2012) [2] Wild, S.; Roglic, G.; Green, A.; Sicree, R.; King, H. Global prevalence of diabetes: estimates for the year 2000 and projections for 2030 Diabetes Care 27, 1047-1053 (2004) [3] Sabin, M. A.; Shield, J. P. Childhood obesity Frontiers of Hormone Research 36, 85-96 (2008) [4] McMillen, I. C.; Robinson, J. S. Developmental origins of the metabolic syndrome: prediction, plasticity, and programming Physiological Review s 85, 571-633 (2005) [5] O'Reilly, J. R.; Reynolds, R. M. 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