Burkard Sievers Rache und Vergeltung aus der Sicht Melanie Kleins

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Burkard Sievers Rache und Vergeltung aus der Sicht Melanie Kleins
Burkard Sievers
Rache und Vergeltung aus der Sicht
Melanie Kleins
Zusammenfassung: In diesem Beitrag werde ich das
Verständnis Melanie Kleins von Vergeltung und Rache
aufzeigen, denen in ihrem Werk insofern eine grundlegende Bedeutung zukommt, als diese nicht – wie bei
manchen anderen psychoanalytischen Autoren – als
sekundäre Phänomene bzw. als Ausdruck einer frühen
pathologischen Fehlentwicklung verstanden werden.
Klein schreibt diesen Phantasien und Gefühlen vielmehr eine konstitutive Bedeutung für die ›Menschwerdung‹ des Säuglings und Kleinkindes zu, wobei der
Wunsch nach Vergeltung eine Reaktion auf die Verfolgungsängste bedeutet, die den Säugling während
der ersten Monate seines Lebens in der paranoid-schizoiden Position beherrschen. Sie trägt damit insofern
zu einer Entpathologisierung von Vergeltungsängsten
und Rachegefühlen bei, als davon ausgegangen werden
muss, dass die Abwehr und Bewältigung elementarer
Verfolgungsängste ebenso wie die damit einhergehenden Vergeltungs- und Rachedynamiken unwiderrufbar
zu eben jener psychischen Realität und Erfahrung zählen, in denen die Welt des Erwachsenen wurzelt.
Das darf jedoch nicht dahingehend missverstanden
werden, als würde Melanie Klein letztlich einer pessimistischen und resignativen Psychologie das Wort reden. Statt auf einer gegen das Selbst gerichteten
Aggressivität basiert ihre ›Ethik‹ vielmehr auf Liebe;
die Fähigkeit des reifen Individuums zur Besorgnis für
das Wohlergehen des anderen, resultiert aus seiner
Fähigkeit, sich mit dem Leiden anderer zu identifizieren. Durch die Unterscheidung von Rache und Rachsucht wird deutlich, dass letztere oft mit einem enormen Maß an Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und
Leid sowohl auf Seiten des Rachsüchtigen als auch für
die Personen seines jeweiligen Umfeldes einhergeht,
die dieser Rache zum Opfer fallen.
Freie Assoziation (2003) 2, S. 7-28
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Einleitung
Der Bedeutung von Vergeltung und Rache kommt im
Werk Melanie Kleins zweifellos ein grundlegender Stellenwert für ihre Sicht der Entwicklung des Kleinkindes und der Welt des Erwachsenen zu. Bei meinem eigenen Versuch, diese Bedeutung zu verstehen und den Stellenwert von Rache in der kleinianischen Psychoanalyse zu erfassen, habe ich jedoch eine eigenartige Erfahrung gemacht,
die mir als solche einer weiteren Erörterung wert erscheint.
Obgleich mir das kleinianische Denken seit geraumer Zeit vertraut zu sein schien
und mich bei mehreren meiner Arbeiten zu eigenen, weiterführenden Überlegungen zur
psycho-sozialen Dynamik in Organisationen angeregt hatte, war mir bei meiner ›Suche
nach Rache‹ über einige Zeit hinweg nicht bewusst geworden, welche konstitutive Bedeutung Melanie Klein tatsächlich dem Erleben und der Verarbeitung von Verfolgungsund Vergeltungsängsten sowie Rachegefühlen in ihrer Psychologie des Kleinkindes einräumt. Selbst ihre posthum veröffentlichte Arbeit zur Orestie (Klein 1963/1988), die ich
mit großer Faszination und der Gewissheit gelesen hatte, darin ein Kernstück zum Verstehen der psycho-sozialen Dynamik von Rache gefunden zu haben, hatte zunächst meine Ignoranz nicht gemindert. Auch Hinshelwoods (1993) ›Wörterbuch der kleinianischen
Psychoanalyse‹, das mir wichtige Dienste bei der Wiedererarbeitung und Vertiefung der
kleinianischen Theorie erwies, erschien mir zunächst nicht allzu hilfreich. Unter der
Vielzahl der einführenden Essays und allgemeinen Stichworte gab es keinen direkten
Hinweis auf Rache oder Vergeltung. Je mehr ich mir jedoch meiner eigenen Ignoranz bewusst zu werden und sie aktiv zu bearbeiten vermochte, desto mehr drängte sich mir
die Frage auf, wie es zu erklären sei, dass mir eine solche ›Fehlleistung‹ unterlaufen war.
Die Erklärung, zu der ich mittlerweile gelangt bin, hat mich nachdenklich gemacht und
mich zugleich erschreckt. Obgleich ich mich in meinem Leben wie in meinen wissenschaftlichen Arbeiten seit längerer Zeit an die Erfahrung und Vorstellung zu gewöhnen
begonnen hatte, dass tragische Momente und Elemente nicht nur ein unvermeidbarer
Teil des eigenen Lebens wie wohl auch des Lebens schlechthin sind, sondern sich auch
unverzichtbar der alltäglichen wie wissenschaftlichen Reflexion aufdrängen, wurde mir
zugleich deutlich, wie wenig es mir offensichtlich bislang gelungen war, die Erfahrung,
den Umgang und das Verstehen von Grausamkeit, Destruktivität und Sadismus in einem
solchen Maße anzuerkennen und in mein Selbst- und Weltbild zu integrieren, wie
Melanie Klein es bereits sehr früh zu Beginn ihrer eigenen erfahrungsorientierten
Theorieentwicklung unternommen hatte: »Was man durch die Psychoanalyse über das
Kind und den Erwachsenen erfährt, zeigt, dass alle Leiden im späteren Leben zum größten Teil Wiederholungen dieser frühkindlichen Leiden sind und dass jedes Kind in den
ersten Lebensjahren durch ein unvorstellbares Maß an Leiden geht« (Klein 1927a/1991a,
S. 26). Wie wenig es mir offensichtlich gelungen war, diese Einsicht wirklich zu integrieren, erstaunt mich umso mehr, als ich mich selbst vor einiger Zeit ausführlicher mit der
Frage beschäftigt hatte, wie und in welchem Maße die Dramen der Kindheit sich auf die
Dramen der Arbeit auswirken (Sievers 1993).
Wenngleich mir auch die etwa von Hinshelwood (1993, S. 258) beschriebene
Ansicht im Grunde genommen nicht neu war, dass nämlich die Einsicht, »dass Aggressi8
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vität und zügellose Destruktivität tief in der menschlichen Natur verwurzelt sind«, düster ist und niemandem zusagt, so erschreckte mich doch die Erfahrung, letztlich selbst
ein solcher Niemand zu sein; jemand, der sozusagen wider besseres Wissen ein
Selbstbild aufrecht erhält, das auf der Illusion basiert, angesichts der tief verwurzelten
eigenen Aggressivität und Destruktivität – von gelegentlichen ›faux pas‹ und Verstrickungen einmal abgesehen – seinen Frieden gefunden zu haben. Eine solche Illusion
verleitet, ähnlich wie die weit verbreitete Fiktion einer glücklichen Kindheit, im vorliegenden Kontext nur allzu leicht zu der Überzeugung, dass es eigentlich nur die anderen
sind, die zu Rache und Vergeltung neigen – die dann entweder mit Verachtung zu strafen sind oder vor denen man auf der Hut sein muss. Ein solches Muster ähnelt nur allzu
sehr dem von Melanie Klein aufgezeigten paranoiden circulus vitiosus, mit dem das
Kleinkind seine eigenen aggressiven Phantasien zu bewältigen sucht: »Aggressive Phantasien haben eine intensive Angst vor Vergeltung zur Folge. Die Angst ruft weiteren
Hass, weitere Gewalt hervor, die wiederum gesteigerte Vergeltungsangst auslöst« (ebd.,
S. 540). Dass es gerade diese Hervorhebung der primitiven, leidvollen und zerstörerischen Seiten der Menschen gewesen ist, die für Melanie Kleins Zeitgenossen so schwer
zu akzeptieren waren (Young 1994, S. 49, 53), ist dabei nur ein geringer Trost.
Verfolgungs- und Vergeltungsängste
Im Vergleich zur Mehrzahl psychoanalytischer Erklärungsversuche, in denen Rache und Vergeltung tendenziell eher als Erscheinungsformen
pathologischer Fehlentwicklungen verstanden werden (s. Sievers & Mersky 2003), verdeutlichen Melanie Kleins Arbeiten, wie sehr der Umgang mit Verfolgungs- und Vergeltungsängsten und die damit einhergehenden Abwehrmechanismen als ein zentraler Teil
der frühen menschlichen Entwicklung verstanden werden kann, die selbst bei normaler
Integration und Bewältigung in der psychischen Welt des Erwachsenen mehr oder weniger latent fortleben. Es ist – wie noch zu zeigen sein wird – gerade diese grundlegende
Entpathologisierung von Vergeltungsängsten und Rachegefühlen, die ein angemesseneres Verständnis phantasierter und aktivierter Rachedynamik des Erwachsenen ermöglicht. Diese Entpathologisierung geschieht in der kleinianischen Psychoanalyse insofern
eher indirekt, als Melanie Klein bereits in den 20er Jahren mit ihrer über die zeitgenössische Psychoanalyse hinausgehenden präödipalen Fokussierung der frühkindlichen Entwicklung eben jene sadistischen und psychotischen Tendenzen und Konstellationen als
typisch für die normale Entwicklung aufzeigt, die bislang der Zuschreibung von psychisch Kranken in späteren Entwicklungsstadien vorbehalten waren. Sadismus, psychotische Ängste, Fragmentierung oder schizoide Spaltungstendenzen sind aus ihrer Sicht Teil
der frühkindlichen Erfahrung, die im Laufe der normalen Entwicklung in das Ich integriert und mit weniger destruktiven libidinösen Elementen ins Gleichgewicht gebracht
werden. Von einer pathologischen Entwicklung einmal abgesehen, bei der diese Integration und Stabilisierung partiell oder grundsätzlich misslingt, ist der normale
Erwachsene nicht davor gefeit, immer wieder in diese ›primitiven‹ psychischen Zustände
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zu regredieren und sich mit entsprechenden Abwehrmechanismen der damit einhergehenden unbewussten Ängste und Phantasien zu erwehren.
Bereits in ihren Arbeiten zu den ›Frühstadien des Ödipuskonfliktes‹ und der
›Psychoanalyse des Kindes‹ beschreibt Melanie Klein (1927b/1991b, 1932/1973) ihr
Verständnis der frühkindlichen Angstsituationen. Dabei geht sie von den von ihr beobachteten Angriffen des Säuglings auf den mütterlichen Körper aus, die mit der Angst vor
einer entsprechenden Vergeltung der Mutter, aber auch des Vaters, einhergehen, »dessen
Penis sich im attackierten mütterlichen Körper befindet und deshalb ebenfalls angegriffen wird« (Hinshelwood 1993, S. 167). Eine der in der frühkindlichen Phantasie naheliegenden Abwehrmöglichkeiten, sich dieser befürchteten Vergeltung durch die Mutter
bzw. die Eltern zu erwehren, besteht für den Säugling darin, diese Imagines mit der Absicht ihrer Vernichtung anzugreifen. Das führt wiederum zu einer weiteren Angststeigerung, die aus den phantasierten gewaltigen Rachewünschen des Elternobjektes resultiert. Durch diese elementare Angstdynamik konstituiert sich der bereits erwähnte ›circulus vitiosus der Paranoia‹: »Die Angst des Kindes zwingt es, seine Objekte zu zerstören;
das führt wiederum zu einem Anwachsen seiner eigenen Ängste, und diese wiederum
veranlassen es, gegen seine Objekte vorzugehen; dieser circulus vitiosus bildet den
psychologischen Mechanismus, der die Grundlage asozialer und krimineller Tendenzen
im Individuum zu sein scheint« (Klein 1934/1991e, S. 103).
Verfolgende Objekte
Die mögliche Intensität dieser Angst hat Klein dazu veranlasst, sie als psychotisch zu bezeichnen. Dass die von Geburt an bestehende Angst vor
Verfolgung durch das böse Objekt und der damit einhergehende, gegen dieses Objekt gerichtete Hass als eine erste Manifestation des Todestriebes verstanden werden kann, hat
Melanie Klein später deutlich gemacht. Das daraus entstehende Grundmuster einer ›bösen Objektbeziehung‹ hat sie so erläutert: »Meiner Meinung nach entsteht Angst aus der
Aktivität des Todestriebes innerhalb des Organismus; sie wird als Furcht vor Vernichtung
(Tod) in der Form von Verfolgungsangst empfunden. Die Furcht vor dem Zerstörungstrieb
scheint sich sofort an ein Objekt zu binden oder wird vielmehr als Furcht vor einem unkontrollierbaren, überwältigenden Objekt gefühlt. (...) Selbst wenn diese Objekte als äußere gefühlt werden, so werden sie durch Introjektion innere Verfolger und verstärken somit
die Angst vor dem Zerstörungstrieb im Innern« (Klein 1983a, S. 136).
Klein geht davon aus, dass das Kind auf Frustrationen unmittelbar mit Aggression
reagiert, wobei diese Reaktion aufgrund ihrer Unmittelbarkeit und Heftigkeit vom Kind
so erlebt wird, als würde sie es selbst vernichten. Deshalb projiziert das Kind die Aggression nach außen, so dass sie dann auf paranoide Weise vom Kind wiederum als Angriff
erlebt wird. Das für Rache allgemein typische Prinzip der lex talionis, die Vergeltung eines Übels durch ein anderes, gleichwertiges, liegt – wie Alford (1989, S. 27, 30) betont –
bereits diesem frühkindlichen Reaktionsmuster zugrunde: Die paranoide Furcht des
Kindes vor Zerstörung ist tatsächlich seine eigene, auf primitiven Schuldgefühlen basie10
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rende Aggression. Die talionische Moral, die darin zum Ausdruck kommt, resultiert nicht
allein aus der Furcht vor Vergeltung, sondern basiert auf einer Vergeltung in der Form
projektiver Identifikation. »Das Objekt wird verletzt, indem es die eigenen schmerzenden
boshaften und destruktiven Teile des Selbst auf aggressive Weise in das böse Objekt verlagert. Und es ist eben dieser Teil des Selbst, der in der paranoiden Position als Angriff
zurückwirkt« (ebd., S. 30). In dem Maße, wie die mit der projektiven Identifikation einhergehende Angst eskaliert, versucht das Kind, das böse Objekt durch Omnipotenzphantasien unter Kontrolle zu halten.
In gleicher Weise, wie es seinen Hass und seine Aggression in die ›böse Brust‹
überträgt, projiziert das Kind auch seine primitive Liebe in die nährende Brust der
Mutter und schafft so durch unbewusste Phantasien ein gutes Objekt. Für Klein bedeutet dies, dass die gute wie die schlechte Brust nicht in erster Linie durch Reaktionen auf
elterliche Liebe und Versorgung, sondern vielmehr intern, in der inneren Welt des Kindes,
entstehen. »Das infantile Ich ist in dieser Phase darauf ausgerichtet, seine idealen Objekte zu introjizieren und sich mit ihnen zu identifizieren, während es sich der schlechten Objekte durch fortlaufende Prozesse der Projektion und Externalisierung entledigt.
Wie Segal (1981, S. 117) betont, wird das böse Objekt in eine Vielzahl von Verfolgern
fragmentiert, während das gute Objekt gewöhnlich als ganz und unversehrt wahrgenommen wird. Dies erklärt sich teils daraus, dass das böse Objekt die unter dem Druck
des Todestriebes fragmentierten externalisierten Teile des Ichs repräsentiert, teils daraus,
dass der gegen das böse Objekt gerichtete orale Sadismus das böse Objekt als in kleine
Stücke zerbissen erscheinen lässt« (Alford 1989, S. 31).
»In der paranoid-schizoiden Position ist die Hauptangst, dass das verfolgende
Objekt oder die verfolgenden Objekte in das Ich eindringen und nicht nur das Idealobjekt, sondern auch das Selbst überwältigen und vernichten können« (Segal 1983, S.
45). Unter den Abwehrmechanismen, die gegen diese paranoide Vernichtungsangst entwickelt werden, nehmen Introjektion und Projektion eine vorrangige Bedeutung ein. Die
damit verbundene Spaltung in gute und schlechte Objekte geht mit einer verstärkten
Idealisierung des Idealobjektes einher. »Dadurch soll dieses von dem verfolgenden Objekt
ferngehalten und vor Schaden bewahrt werden. Eine derart extreme Idealisierung ist
außerdem mit einer magischen, omnipotenten Leugnung gekoppelt. Wird Verfolgung unerträglich, kann sie vollständig geleugnet werden. So eine magische Leugnung beruht
auf einer phantasierten Totalvernichtung der Verfolger« (ebd., S. 46).
Projektion und Introjektion
Wie grundlegend die paranoid-schizoide Position mit
Rachephantasien und -ängsten verknüpft ist, hat Melanie Klein (1934/1991e, S. 102) in
einem kurzen Vortrag ›Über die Kriminalität‹ überaus deutlich gemacht: »Ich hatte festgestellt, dass Kinder immer dann asoziale und kriminelle Tendenzen erkennen ließen und
sie auch (natürlich in kindgemäßer Weise) immer wieder praktisch ausführten, wenn sie
einen grausamen Racheakt von ihren Eltern befürchteten. Kinder, die – unbewusst –
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Angst davor hatten, dass sie in Stücke geschnitten werden, dass ihnen der Kopf abgerissen wird oder dass sie aufgefressen werden, fühlen einen Zwang, sich ungezogen zu
verhalten, um dadurch bestraft zu werden; denn eine noch so harte echte Bestrafung
war für sie harmlos im Vergleich zu den tödlichen Angriffen, die sie von den in ihrer
Phantasie grausamen Eltern erwarteten.«
Dieser doppelte Prozess von Introjektion und Projektion trägt dazu bei, dass sich
im Austausch mit der äußeren Welt die innere Welt des Kindes konstituiert. Dabei beschränken sich diese Prozesse keineswegs auf die frühkindliche Phase. Wie Klein (1959,
S. 294) ausdrücklich betont,
»gehen Introjektion und Projektion auf die gleiche Weise auch im Leben des Erwachsenen weiter; sie werden zwar mit zunehmender Reife modifiziert, aber verlieren nie ihre Bedeutung für die Beziehungen, die das Individuum mit seiner äußeren Welt eingeht. Selbst beim Erwachsenen ist daher die Beurteilung der Wirklichkeit nie ganz frei vom Einfluss seiner inneren Welt.«
»Durch die Projektion des Selbst oder seiner Impulse und Gefühle in eine andere
Person wird eine Identifikation mit dieser Person erreicht, die sich freilich von der
durch Introjektion unterscheidet. Denn, wenn ein Objekt in das Selbst hineingenommen, d. h. introjiziert wird, liegt der Schwerpunkt darauf, einige der Charakteristiken dieses Objektes zu erwerben und durch sie beeinflusst zu werden. Andererseits, wenn Teile des Selbst in die andere Person verlagert und projiziert werden, beruht die Identifikation darauf, der anderen Person einige der eigenen Qualitäten zuzuschreiben. Projektion hat eine Reihe von Auswirkungen. Wir neigen
dazu, anderen Menschen einige unserer Gefühle und Gedanken zuzuschreiben –
sie, sozusagen, in sie zu verlagern; und je nachdem, ob wir ausgeglichen sind oder
uns verfolgt fühlen, werden diese Projektionen unausweichlich freundlicher oder
feindlicher Art sein« (ebd., S. 295).
Paranoid-schizoide und depressive Position
Während die frühe, mit Sadismus und Verfolgungsängsten einhergehende, paranoid-schizoide Position vor allem durch eine Spaltung in
böse und gute Objekte bestimmt ist, wird diese Spaltung in der sich unter normalen
Bedingungen anschließenden depressiven Position durchgearbeitet und insofern zurückgenommen, als Beziehungen zum ganzen Objekt entstehen. Liebe und Hass können integriert werden; das Kind entwickelt Gefühle tiefer Reue, von Verantwortung und Schuld.
Insofern jedoch, als die Verfolgungsgefühle der paranoid-schizoiden Position nach wie
vor das Erleben mitbestimmen, kann ein Gefühl der Verzweiflung darüber entstehen,
dass der durch die Destruktivität angerichtete Schaden irreparabel erscheint. Während
in der paranoid-schizoiden Position die Hauptangst darin besteht, das Ich könnte durch
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das böse Objekt zerstört werden, resultieren in der depressiven Position die Angstgefühle
aus der Ambivalenz, »und die Hauptangst des Kindes ist, seine destruktiven Regungen
hätten das geliebte Objekt, von dem es völlig abhängig ist, zerstört oder würden es zerstören« (Segal 1983, S. 97).
»Eine wesentliche Folge von Angst, Schuld und depressiven Gefühlen ist der Drang
nach Wiedergutmachung. Unter dem Eindruck von Schuld fühlt sich das Kind verpflichtet, den Effekt seiner sadistischen Impulse durch libidinöse Mittel rückgängig
zu machen. So werden Liebesgefühle, die gleichzeitig mit aggressiven Impulsen
bestehen, durch den Drang nach Wiedergutmachung verstärkt. Wiedergutmachungsphantasien stellen, oft in kleinsten Details, das Gegenteil von sadistischen Phantasien dar, und dem Gefühl der sadistischen Allmacht entspricht das
Gefühl der wiedergutmachenden Allmacht. (...) Der Wunsch, libidinöse Befriedigung zu geben und zu bekommen, ist (...) verstärkt durch den Drang nach Wiedergutmachung. Denn das Kind fühlt, dass auf diese Art und Weise das beschädigte Objekt wiederhergestellt werden kann, und außerdem, dass die Macht seiner
aggressiven Impulse vermindert ist, dass seinen Liebesimpulsen freier Lauf gegeben werden kann, dass seine Schuld geringer wird« (Klein 1934/1991e, S. 154 f.).
Während das Erleben des Kindes in der Interpretation Kleins in den ersten zwei,
drei Monaten in der paranoid-schizoiden Position ausschließlich von Verfolgungsängsten
und dem damit einhergehenden circulus vitiosus von Vergeltung und Rache bestimmt
ist, ist das Erleben in der anschließend entstehenden depressiven Position von depressiven Ängsten geprägt. Sie sind ein Ausdruck der frühesten und qualvollsten
Schuldgefühle und der quälenden Traurigkeit, die aus der Verschmelzung von Hass und
Liebe gegenüber dem Objekt entstehen. In dem Maße, wie es dem Säugling gelingt, vor
allem die Mutter als potenziell eigenständiges, von ihm getrenntes Objekt und somit als
Persönlichkeit wahrzunehmen, ist er mit der schmerzhaften Erfahrung des Verlustes des
Liebesobjektes konfrontiert; er sieht sich der Angst ausgeliefert,
»das wunderbar perfekte, ideale Objekt, die Mutter, zu verlieren, sobald er ihre
Unzulänglichkeiten entdeckt. Die Brust, die ihn nährt, ist zugleich auch die Mutter,
die ihn warten lässt. (...) Damit ist eine neue Beziehung zur Mutter entstanden,
eine Beziehung, in der die außergewöhnlich gute und uneingeschränkt wohlmeinende Mutter (...) zu einer uneindeutigen, besonders feindseligen Gestalt und deshalb zu einer beschädigten und kontaminierten Gestalt wird, der die Vollkommenheit fehlt, nach der das Kind sich sehnt. (...) In der depressiven Position wird das
Objekt trotz seiner bösen Aspekte geliebt, wogegen in der paranoid-schizoiden
Position das Gewahrwerden böser Aspekte das gute Objekt abrupt in einen Verfolger verwandelt. So kann die Liebe in der depressiven Position erhalten und zur
Grundlage der psychischen Stabilität werden« (Hinshelwood 1993, S. 203 ff.).
Wichtig für die kleinianische Theorie ist es, dass die beiden psychischen Positionen
nicht derart missverstanden werden dürfen, als handele es sich dabei um eine EntwickRache und Vergeltung aus der Sicht Melanie Kleins
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lung im Sinne von Phasen, wobei die depressive Position die Überwindung der paranoidschizoiden bedingen würde. Vielmehr sind beide Positionen auch für den normalen
Erwachsenen fortwährend latent präsent; während der zunehmende Erwerb und die
Stabilisierung der depressiven Position auch als Reifung bzw. Reife verstanden wird, ist
unter bestimmten objektiven oder subjektiven Begleitumständen die Regression in die
paranoid-schizoide Position, d. h. die paranoide Abwehr der depressiven Angst, selbst für
den Erwachsenen eine mehr oder weniger alltägliche Erfahrung. »Das Erreichen der depressiven Position ist kein sicherer Entwicklungsschritt, sondern eine lebenslange
Aufgabe« (ebd., S. 208).
In dem keineswegs ungewöhnlichen Fall, in dem sich in der Entwicklung des
Säuglings ein psychotisches Potenzial innerhalb der Persönlichkeit fixiert, die Weiterentwicklung von der paranoiden zur depressiven Position sozusagen gestört ist, wächst
der Säugling mit einer äußerst starken Tendenz zu paranoiden Beziehungen heran.
Inneres und äußeres Objekt
Eine wichtige Bedeutung kommt innerhalb der kleinianischen Sicht der Entwicklung auch dem so genannten inneren Objekt zu, einem Konzept,
in dem Hinshelwood (ebd., S. 93) wohl zu Recht das wichtigste und zugleich schwierigste Moment der theoretischen Entwicklung Kleins sieht. »Das Erleben eines inneren Objektes verleiht dem Subjekt ein Identitätsgefühl und das Gefühl, zu existieren. Unsere
Objektbeziehungen bestimmen, was wir sind« (ebd., S. 93f.). »In der normalen Entwicklung wird das Individuum durch ein gutes und stützendes Objekt in seinem Innern
vor den trostlosen und paranoiden Beziehungen zu dem verfolgenden bösen Objekt geschützt. Das Gefühl, über ein gutes Objekt im eigenen Innern zu verfügen, bildet die
Grundlage des Selbstvertrauens; Störungen des Selbstvertrauens hingegen resultieren
aus der Schwierigkeit, ein inneres gutes Objekt zu bewahren« (ebd., S. 109). Der Verlust
des guten inneren Objektes ist für Melanie Klein aufs engste mit dem Verlust des äußeren Objektes verbunden. Das Erleben äußerer Zurückweisung oder eines Verlustes durch
Tod bedroht in deutlichem Maße die Vorstellung von einem guten inneren Objekt und
damit die psychische Sicherheit. Entsprechend Kleins Konzept der depressiven Position
geht deren Durcharbeiten mit einem hohen Maß an Trauerarbeit einher, die vom Säugling als nahezu überwältigend erlebt wird. Dieser Trauer um den Verlust des äußeren
Objektes, die der Säugling unter normalen Bedingungen schließlich zu erbringen und zu
bewältigen lernt, kommt für die weitere Entwicklung insofern eine grundlegende Bedeutung zu, als sie zum einen die Kapazität bildet, die es dem Erwachsenen ermöglicht,
mit schmerzhaften Verlusten fertig zu werden, und als diese frühkindliche Trauer zum
anderen durch eben diese traurigen Erlebnisse des späteren Lebens immer wieder neu
belebt wird. »Die Trauer ist ein innerliches Trauern um etwas Totes im eigenen Innern,
ein totes oder sterbendes inneres Objekt – und eine Wiederholung unzähliger, früherer
Trauersituationen« (ebd., S. 207). Andererseits ist die von Alexander und Margarete
Mitscherlich (1983) beschriebene Unfähigkeit zu trauern – über den unmittelbaren, von
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diesen Autoren beschriebenen Kontext der deutschen Nachkriegsgesellschaft hinaus –
ein Indiz der Schwächung bzw. partiellen Zerstörung des guten inneren Objektes, der
Nichtakzeptanz von etwas Totem im eigenen Innern, die mit einer massiven Abwehr depressiver Ängste und mit einem Regress in die von Verfolgungsängsten geprägte paranoide Position einhergeht. Wenn Verluste nicht betrauert und als fundamentale Bedrohung erlebt werden können, wird die Schuld dafür äußeren Objekten zugeschrieben;
der Verletzung des eigenen Selbstwertgefühls und dem Verlust psychischer Sicherheit
wird dann durch Rachephantasien und Vergeltungshandlungen zu begegnen versucht.
Durch die Unfähigkeit zu trauern wird nicht nur der Verlust zu negieren versucht,
sondern zugleich die Möglichkeit verhindert, die verlorene Person wieder in sich aufzunehmen und die eigenen inneren Objekte wiederaufzubauen, die letzten Endes die eigenen geliebten Eltern repräsentieren (Klein 1940/1983, S. 108). Durch die Introjektion eines verlorenen oder toten äußeren Objektes entsteht ein inneres Chaos, ein Gemisch aus
guten und bösen Objekten, die zugleich geliebt und gehasst werden. »Viele Trauernde
können nur langsame Fortschritte in der Wiederherstellung von Bindungen mit der äußeren Welt machen, weil sie gegen ein inneres Chaos ankämpfen« (ebd., S. 119).
Wie bereits erwähnt, gehen die Verselbständigung der Mutter und die Entstehung
bzw. Konsolidierung des eigenen, guten inneren Objektes mit besonderen depressiven
Ängsten einher. Während sich im Falle der Verfolgungsangst die Angst auf das eigene
Selbst richtet, betrifft die depressive Angst das Liebesobjekt und sein Überleben. Mit der
Furcht, er könne die geliebte Mutter zerstört oder gar getötet haben, geht die Sorge des
Säuglings einher, wie das unwiderruflich Zerstörte oder Tote wiederhergestellt werden
könne. Die alten, paranoiden Ängste vermischen sich mit dem heftigen Schmerz und den
Schuldgefühlen, die aus der Wertschätzung des ganzen Objektes resultieren. »Die Wechselwirkung zwischen Verfolgungsangst und Schuldgefühl (...) ist außerordentlich komplex und stellt eine eng verwobene Kombination von Objektintrojektionen und -projektionen zwischen der inneren und der äußeren Welt dar. Die vorangegangenen paranoiden Ängste verschwinden nicht, sondern üben weiterhin ihren Einfluss auf die depressive Position aus« (Hinshelwood 1993, S. 212). Über einige Zeit hinweg ist es für den
Säugling äußerst schwierig, die guten Objekte in sich selbst aufzunehmen und zu bewahren, weil die Sorge um das äußere Objekt immer wieder mit der paranoiden Angst
vor den inneren Verfolgern interferiert. Dementsprechend ist auch das Schuldgefühl zunächst sowohl durch paranoide als auch durch depressive Ängste bestimmt, bis es sich
schließlich im Laufe der Zeit in seiner Qualität und Intensität ändert. »Mit einem hinreichend zuverlässigen, äußeren Objekt entwickelt sich ein gewisses Vertrauen in Wiederherstellung und Wiedergutmachung. Das strafende Schuldgefühl mit verfolgendem
Charakter weicht allmählich einem Schuldgefühl, das realistischere Wiedergutmachungsbemühungen ermöglicht« (ebd.).
Diese Integration und Entwicklung des für die depressive Position charakteristischen
reiferen Schuldgefühls geschieht in der Regel jedoch weder leicht noch gradlinig. Die mit
der Verbesserung der Beziehung zum ganzen Objekt einhergehenden depressiven Ängste
sind oftmals so groß, dass sie selbst wieder neue Abwehrmechanismen entstehen lassen,
die für Klein paranoider oder manischer Art sein können. Während im ersten Fall, in der
paranoiden Abwehr, sozusagen »ein defensiver Rückzug von der depressiven Position auf
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die eher paranoiden Beziehungsformen stattfindet« (ebd., S. 213), ist die manische Abwehr
mit einer Art omnipotenter Ignoranz und Leugnung der Bedeutung der Objektbeziehungen
verbunden. »Das Ich redet sich ein, dass das als tot oder beschädigt empfundene innere
oder äußere Liebesobjekt eigentlich gar nicht besonders wichtig ist und es wunderbar allein zurechtkommen könne, ohne von irgend jemandem abhängig zu sein« (ebd., S. 214).
Die für die manische Abwehr typische Leugnung psychischer Realität und der Bedeutung
geliebter, ins Innere aufgenommener Objekte findet ihren Ausdruck nicht zuletzt in entwertender Verachtung für eben diese Objekte, einem Herunterspielen ihres Verlustes sowie
einem omnipotenten Triumph selbstbeschränkten Überlebens, wodurch die eigentlichen
Verlust- und Schuldgefühle minimalisiert bzw. negiert werden sollen.
Die überaus hohe Vermischung der depressiven und paranoiden Ängste in den frühen
Phasen führt auch zu einer entsprechenden Vermischung der Abwehr; der Abwehrmechanismus, die Verfolger zu vernichten, ist mit zwanghaften Abwehrmechanismen gepaart,
wodurch sich der Säugling der Objekte zu bemächtigen und sie zu kontrollieren versucht.
Eine gelungene Wiedergutmachung, durch die die depressive Angst allmählich
modifiziert und bewältigt wird, ist vor allem durch eine zunehmende Toleranz für Verluste, Schuldgefühle und die Verantwortlichkeit für den Verlust charakterisiert. Die aus
der Möglichkeit der Wiedergutmachung des Unheils resultierende Hoffnung wird von
dem Erleben genährt, dass trotz des wiederholten Empfindens böser Gefühle etwas
Gutes Bestand haben und überleben kann. In dem Maße, wie jedoch über einige Zeit
hinweg – oder gar grundsätzlich – der Wunsch nach Wiederherstellung des Objektes der
gegen die Verfolger gerichteten manischen und zwanghaften Abwehr unterliegt, entsteht eine Art negativer Wiedergutmachung, die durch den für die paranoide Position
typischen Hass geprägt ist. »Bemächtigung und Kontrolle werden von hasserfülltem,
boshaftem Charakter sein und die Angst hervorrufen, dass die Objekte während des
Wiederherstellungsprozesses aufs neue beschädigt werden« (ebd., S. 215).
Hinshelwood (ebd., S. 217 f.) beschreibt einige der Faktoren, denen in der kleinianischen Theorie eine grundlegende Bedeutung für die gelingende Internalisierung guter
Objekte und damit der Bewältigung der depressiven Position zukommt: Neben der realen
Mutter, die die Fähigkeit des Kindes für die Bewältigung des Leids der depressiven Position in entscheidendem Maße beeinflusst, und einer Toleranz des Kindes für schmerzhafte Schuld- und Reuegefühle ist es vor allem die Kapazität des Kindes, selbst eine angemessene Liebesfähigkeit zu entwickeln, die ihm einen Ausgleich zu den eigenen Hassgefühlen schafft. Wenn und in dem Maße wie »der Säugling in der Lage ist, ein Liebesgefühl für ein ›Objekt‹ zu bewahren, das gut ist, das er konkret in seinem eigenen Innern
wahrnimmt und das zu einem Teil seiner Persönlichkeit wird«, entsteht schließlich das
Vertrauen einer eigenständigen, liebesfähigen Persönlichkeit (ebd., S. 218). Eine solche
Eigenständigkeit und Liebesfähigkeit schließt – wie Klein ((1927a/1991a), 35) ausdrükklich hervorhebt – die Fähigkeit des Kindes ein, Angst und Konflikt zu ertragen.
Winnicott (1969, 1979, S. 101ff.) hat später im Zusammenhang mit seinen Überlegungen zur Objektverwendung deutlich gemacht, wie wichtig die Erfahrung für die normale Entwicklung des Säuglings und Kleinkindes ist, dass vor allem die Mutter als primäres und zentrales Objekt seiner sadistischen Aggressionen durch die von ihm phantasierten Attacken nicht tatsächlich in ihrer externen Realität zerstört wird. »Aus dieser
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Realisierung heraus wird eine neue Beziehung geschaffen, in der das Objekt objektiv als
getreue und unabhängige Einheit wahrgenommen werden kann. Das Wesen dieses Einstellungswandels liegt nicht allein im Überleben des Objekts, sondern auch in der Fähigkeit des Subjekts, von dem Objekt Gebrauch zu machen, das die Zerstörung überlebt
hat« (Weir 1987, S. 118f.). Ausdrücklich weist Winnicott (1979, S. 107) darauf hin, dass
dieses Überleben vor allem ein ›Sich-nicht-Rächen‹ bedeutet. »Ohne die Erfahrung größter Destruktivität ist das Subjekt nicht in der Lage, das Objekt nach außen zu verlagern
und über eine Haltung hinauszugelangen, in der es das Objekt als bloßen Teil seiner
Projektion des Selbst verwendet. Es ist gerade die destruktive Phantasie, der eine wichtige Bedeutung für das Individuum zukommt, Realität erlebbar werden zu lassen«
(Winnicott 1969, zitiert nach Weir 1987, S. 119). Eine derart durchgearbeitete Destruktivität hat für die Entwicklung des Kindes einen positiven Aspekt.
Hass und Liebe
Was aufgrund der von mir gewählten Fokussierung des
kleinianischen Ansatzes bislang fast unvermeidbar zu kurz gekommen und zu sehr in
den Hintergrund geraten ist, ist der Aspekt, dass die Weltsicht und das Menschenbild
Melanie Kleins trotz – oder wohl eher aufgrund – der überaus deutlichen Gewichtung
frühkindlicher Grausamkeit, Destruktivität und sadistischer Aggressivität letztlich gerade
nicht pessimistisch und resignativ, sondern vielmehr optimistisch und hoffnungsvoll
sind. Die kleinianische Moral bzw. Ethik basiert – wie z. B. Alford (1989, S. 38 ff.) deutlich macht – gerade nicht auf einer gegen das Selbst gerichteten Aggression oder auf
einer bloßen Identifikation mit anderen, sondern auf Liebe. Die für das Kleinkind so charakteristische talionische Moral, in der die in der Phantasie auf die Mutter gerichtete
Aggression auf es selbst zurückwirkt, ist dabei zwar der Ausgangspunkt, aber nicht die
eigentliche Grundlage. »Für Klein geht die Fähigkeit des Individuums, andere zu lieben
und für sie zu sorgen, aus einer ursprünglichen, selbstlosen Besorgnis für das Wohlergehen des anderen hervor. Ihrer Ansicht nach resultiert diese Besorgnis aus der Fähigkeit
des Individuums, sich mit dem Leiden anderer zu identifizieren« (ebd., S. 40). Diese Anteilnahme, diese Fähigkeit zu Mitleid, geht über eine bloße, vordergründige Wiedergutmachung für phantasierte Aggressivität hinaus; sie basiert vielmehr auf der Fähigkeit,
am Schicksal anderer Anteil zu nehmen und damit auch deren Leid nachvollziehen und
mittragen zu können. Für Klein bestehen sozusagen zwei unterschiedliche, gegensätzliche Moralen: Die talionische, auf Rache basierende Moral der paranoid-schizoiden Position und eine Moral der depressiven Position, die Alford als ›reparative morality‹, als
eine Moral der Wiedergutmachung, bezeichnet; sie basiert auf einer Verbindung von
Mitgefühl und Identifikation. Liebe, Anteilnahme und Mitgefühl resultieren für Klein
nicht in mehr oder weniger unbewussten Schuld- und Mitleidsgefühlen, sondern dienen
letztlich dazu, uns selbst zu heilen. Durch Wiedergutmachung integrieren wir die eigenen Hass- und Liebestendenzen; indem wir uns sozusagen als ganzes Ich erleben, gewinnen wir zugleich Vertrauen, uns selbst als gut zu sehen und zu akzeptieren. Durch
Rache und Vergeltung aus der Sicht Melanie Kleins
17
die Sorge für andere und unsere Anteilnahme schaffen wir uns die menschenmögliche
Erfüllung und Befriedigung (ebd., S. 172). Kleins Sichtweise muss letztlich insofern als
tragisch verstanden werden, als sie auf der Überzeugung basiert, dass das menschliche
Leben in dem ständigen, in sich zugleich immer auch gefährdeten Bemühen besteht, die
aus der Aggressivität resultierenden elementaren Ängste mit der grundlegenden
Fähigkeit in Einklang zu bringen, andere zu lieben und für sie zu sorgen (ebd., S. 179).
Wie bereits schon bei früherer Gelegenheit (Sievers 1994, S. 204 ff.) ist es mir auch
diesmal unter dem veränderten Fokus recht schwer gefallen, eine angemessene Darstellung des kleinianischen Ansatzes zu erarbeiten. Gerade angesichts der Leichtigkeit, mit
der sich etwa Hanna Segals (1983) Einführung in das Werk Melanie Kleins oder auch die
von ihr selbst gemeinsam mit Joan Riviere bereits 1937 veröffentlichten ›Seelischen Urkonflikte‹ (Klein & Riviere 1983) lesen lassen, ist mir die Schwierigkeit und Mühe besonders deutlich geworden, die mir der Versuch einer adäquaten Rekapitulation und Verdeutlichung der so grundlegenden Rache- und Vergeltungsdynamik der kleinianischen Psychoanalyse gemacht haben. Dies hat zum einen sicherlich objektive Gründe insofern, als
Melanie Kleins Werk über die vierzig Jahre seines Entstehens hinweg verschiedene Ergänzungen, Veränderungen und Neuakzentuierungen erfahren hat, die einerseits in ihrer intensiven Auseinandersetzung mit Sigmund Freud, Karl Abraham und Anna Freud sowie
der British Psycho-Analytical Society (Grosskurth 1993) und andererseits in ihrer eigenen
biographischen Entwicklung sowie der ihrer psychoanalytischen Arbeit mit Kindern und
Erwachsenen bedingt sind. Zum anderen sind die Gründe – wie bereits eingangs erwähnt
– insofern auch subjektiv, als mein Denken und Nach-Denken des kleinianischen Ansatzes
immer wieder mit der ›Abwehr des Intellektuellen‹ interferiert hat; in der Anerkennung
und Reflektion von Hass, Liebe und Schuldgefühl sowie der ihnen entgegenwirkenden
psychotischen Angstabwehr im Werk Melanie Kleins – und im Leben des normalen Erwachsenen – begegne ich zugleich meinem Dämon, der mich, dem Motto ›Kann nicht
sein, was nicht sein darf‹ entsprechend, zu einer Art psychotischen Denkens veranlasst,
das durch eine elementare Verkennung und einen Hass gegenüber der Wirklichkeit gekennzeichnet ist und bei dem, sozusagen wider besseres Wissen, Phantasien der Inkompetenz, der Zerstörung und Vernichtung die Oberhand gewinnen (Lawrence 1995, S. 16).
Wie bereits 1933 in einer Arbeit über die frühe Entwicklung des Gewissens beim Kind
deutlich gemacht, sind es für Melanie Klein (1933/1991d, S. 99) gerade die Unterschätzung und Leugnung dieser angeborenen Aggressionsimpulse, die die Vielzahl der Versuche
haben scheitern lassen, die Menschheit zu verbessern.
Rache und Vergeltung
Wenngleich meine zusammenfassende Darstellung der
kleinianischen Psychoanalyse letztlich nicht über eine grobe Skizze hinausgeht, so dürfte
darin wohl dennoch deutlich geworden sein, in welchem Ausmaß und in welcher Intensität Vergeltung und Rache als konstitutive psychische Grunddynamiken der frühkindlichen Entwicklung verstanden werden können, die sich – wenn auch meist in vermin18
Burkard Sievers
dertem Maße und mit libidinösen Impulsen ausgeglichen – ins Erwachsenenalter fortsetzen. Im Unterschied zu anderen psychoanalytischen Autoren sind Rache und Vergeltung für Melanie Klein eben nicht eher periphere Phänomene und mehr oder weniger
pathologische Erscheinungswesen oder Symptome, die sich in einem längeren Psychoanalytikerleben irgendwann einmal zu einer ätiologischen Erläuterung anbieten.
Während die Mehrzahl psychoanalytischer Autoren von Racheimpulsen oder aktiver
Rache des Individuums ausgehen, deren Ursprung und Auswirkungen sie dann zu erklären suchen, stellt Melanie Klein Vergeltung und Rache sozusagen vom Kopf auf die
Füße. Entgegen der weithin dominierenden Auffassung, dass Rache als Ergebnis einer
mehr oder weniger pathologischen Entwicklung zu verstehen ist, sind die entsprechenden Phantasien und Ängste für Klein nicht nur ein konstitutiver Teil des bereits seit
Geburt bestehenden frühkindlichen Sadismus, sondern als solche gerade das eigentliche
Element, auf dem die späteren Rache- und Vergeltungsimpulse des erwachsenen Individuums basieren. Am Beginn stehen dabei nicht irgendwelche Racheimpulse oder Vergeltungsakte des Säuglings, sondern vielmehr die unbewusste Phantasie und die überwältigende Furcht, dass die vom Objekt zunächst – und in erster Linie von der Mutter –
ausgehende Vergeltung und Rache so gewaltig und zerstörerisch sind, dass sie den
Säugling vernichten. Bei der aktiven Rache des Kindes (und der Erwachsenen) handelt es
sich vielmehr – wie noch ausführlicher zu erläutern sein wird – um eine Art sekundärer
Rache, um eine vom Individuum, meist in zeitlicher Verzögerung, mehr oder weniger geplante wie subjektiv verantwortete ›Wiedervergeltung‹, wie Friedrich Schiller in seinen
Räubern den Karl Moor das ›Gewerbe der Rache‹ bezeichnen lässt.
Luhmannesk ausgedrückt, heißt das, dass der im allgemeinen Sprachgebrauch verwendete Rachebegriff im Grunde genommen, was seine frühkindliche und innerpsychische
Entstehung und Bedeutung betrifft, auf einer reflexiven Vergeltungsstruktur bzw. -dynamik
basiert: Die für Rache typische Intention und Reaktion geht mit der (aktiven) Vergeltung
für eine in der unbewussten Phantasie erfahrene Vergeltung des äußeren Objektes einher.
Ein solches Verständnis lässt auch den manischen Charakter deutlicher werden,
mit dem die für die Rache typische Wiedergutmachung nur allzu oft unternommen wird.
Im Gegensatz zur Wiedergutmachung der depressiven Position, die durch konstruktive
und kreative Bestrebungen, die Fähigkeit, Mitleid und Schuld zu empfinden, sowie den
Wunsch bestimmt ist, alles wieder in Ordnung zu bringen, ist die manische Wiedergutmachung eine Widerspiegelung der für die paranoid-schizoide Position charakteristischen extremen Gewaltsamkeit der omnipotenten Phantasien des Säuglings. Entsprechend der manischen Ausprägung der mit ihr einhergehenden Abwehrmaßnahmen,
ist die manische Wiedergutmachung von Triumphgefühlen, Verachtung und Bagatellisierung geprägt, die es dem Subjekt erleichtern, »sich weniger hilflos und abhängig von
seinen wichtigen, guten Objekten zu fühlen, die es als beschädigt empfindet und die ein
derart bedrückendes Verantwortungsgefühl hervorrufen« (Hinshelwood 1993, S. 497).
Die für die Rache als Wiedervergeltung vorwiegende Form der Wiedergutmachung beruht nicht nur auf einer für die Eltern demütigenden Umkehr der Kind-Eltern-Beziehung
(ebd., S. 705 f.), sondern wird insofern gleichsam subjektiv schuldfrei bzw. schuldlos
vollzogen, als in der manischen Konstellation ein ausgeprägtes und tragfähiges, der depressiven Position entsprechendes Gefühl von Schuld dem Subjekt gerade nicht verfügRache und Vergeltung aus der Sicht Melanie Kleins
19
bar ist; es ist vielmehr »eine in ihrer Intensität ungemilderte, rachsüchtige Verfolgung«
(ebd., S. 604), die dem externen Objekt zugeschrieben wird. Insofern die Wiedervergeltung der Bewältigung der Vergeltung des anderen gilt, trägt er auch letztlich die
Schuld für die Rache, die damit einhergehende Wut, Destruktivität und Unversöhnbarkeit. »Der Unschuldige ist«, wie Hellinger (1996, S. 218) es ausdrückt, deshalb »der Gefährlichste (...), weil er sich im Recht fühlt. Er verliert das Maß. (...) Die Versöhnung
scheitert in der Regel nicht am Schuldigen, sondern am Unschuldigen.«
Der verfolgende und strafende Charakter des manischen Schuldgefühls leitet sich
aus dem frühen paranoiden Verfolgungszustand her. Es ist der omnipotente, trauerfreie
und mitleidlose Versuch der Bewältigung des Todestriebes. Während der externe, Vergeltung ausübende Verfolger projektiv zum Repräsentanten des Todestriebes wird, wird
dieser zugleich introjektiv wieder mit allen damit verbundenen Gefahren nach innen gerichtet, »und das Ich heftet seine Furcht vor seinen eigenen destruktiven Regungen an
das innere böse Objekt«, was wiederum den Wunsch des Subjekts steigert, »innere Gefahren (vor allem die Aktivität des Todestriebes) auf die äußere Welt abzulenken (projizieren). Es besteht deswegen ein dauernder Wechsel zwischen der Furcht vor inneren
und äußeren (bösen) Objekten und zwischen dem Todestrieb, der im Innern wirkt und
nach außen abgelenkt ist« (Klein 1983b, S. 172). Der ins äußere Objekt verlagerte Todestrieb stellt letztlich die Omnipotenz der destruktiven Teile des Selbst elementar in Frage,
was wiederum sein Rachegefühl – aber wohl auch die zugleich erlebte Ohnmacht – steigert (Rosenfeld 1971/1990a, S. 308).
Die Welt des Erwachsenen
Insofern, als Sadismus und Destruktivität sowie die damit einhergehende Aggressivität in der Theorie Melanie Kleins am Beginn der menschlichen Ontogenese stehen und erst im Laufe der weiteren Entwicklung, mit Beginn des
vierten Lebensmonats, allmählich mit libidinösen und ›positiveren‹ Impulsen integriert
werden, muss – im Rahmen dieser Theorie – auch davon ausgegangen werden, dass die
Abwehr und Bewältigung elementarer Verfolgungsängste ebenso wie die damit einhergehenden Vergeltungs- und Rachedynamiken unwiderrufbar zu eben jener psychischen
Realität und Erfahrung zählen, in denen die Welt des Erwachsenen wurzelt. Wenngleich
auch mit fortschreitender normaler Entwicklung und zunehmender Reife davon ausgegangen werden kann, dass insbesondere Erwachsene ein inneres Objekt entwickelt haben, dessen Selbstvertrauen, Zuversicht und psychische Sicherheit ein Gleichgewicht destruktiver und libidinöser Tendenzen und somit die Fähigkeit zur normalen projektiven
Identifizierung erlaubt, so bleibt diese Reife letztlich doch insofern eher ein Projekt und
permanent gefährdet, als sie gerade nicht als einmal erworbener Dauerzustand betrachtet werden kann; sie muss vielmehr als Problem verstanden werden, das je neu gelöst
werden muss – und dessen Lösung auch immer wieder misslingen kann.
Eine solche Sichtweise von Reife schließt gerade auch für den Erwachsenen die
grundsätzliche Möglichkeit ein, immer wieder von den psychotischen Ängsten der para20
Burkard Sievers
noid-schizoiden und depressiven Position eingeholt oder gar überwältigt zu werden. In
dem Maße, wie die bösen Anteile des inneren Objektes, der eigene Sadismus und die
Destruktivität projektiv in Objekte der äußeren Welt verlagert werden und die eigene
Aggressivität geleugnet wird, beginnt auch der von Klein aufgezeigte paranoide circulus
vitiosus aufs Neue: Die unbewussten aggressiven Phantasien haben eine intensive Angst
zur Folge, vom Anderen, dem externen Objekt, beschädigt oder gar vernichtet zu werden. Und indem diese Angst weiteren Hass und weitere Gewalt hervorruft, steigt damit
zugleich auch wieder die Vergeltungsangst. In dem Maße, wie der innere Verfolger projektiv externalisiert und die damit einhergehende Verfolgungsangst manisch abgewehrt
wird, erscheint der Andere als aggressiver Verfolger, dem mit der Omnipotenz von Beherrschung, Triumph und Verachtung begegnet werden muss. Die in den Anderen projizierte Aggression rechtfertigt dann, ganz im Sinne der talionischen Moral, die eigene
Vergeltung und Rache. In dem Falle, in dem die Vergeltungsangst extrem erlebt wird,
wirkt sie sich schließlich als Antrieb zur Beseitigung des Objekts aus, wobei die Überwältigung des Anderen als Beweis dient, selbst nicht überwältigt worden zu sein (Klein
1932/1973, S. 146, Anm. 10).
Im Gegensatz zum Kleinkind muss beim Erwachsenen jedoch davon ausgegangen
werden, dass zumindest ein Teil dieser Vergeltungs- und Rachedynamik über die bloße
Realitätsebene der Phantasie hinausgeht und in konkrete Racheakte gegenüber Objekten
der äußeren Welt umgesetzt wird. Dies ist zwar auch – wie Klein und andere Kleinianer
immer wieder deutlich und erschreckend gezeigt haben – beim Säugling und kleinen
Kindern der Fall, jedoch treffen die realen Rachehandlungen des Erwachsenen insofern
auf andere Voraussetzungen und Bedingungen, als sie eben nicht mehr durch die Fürsorge, Nachsicht und die Liebe der Mutter – oder der Analytikerin bzw. des Analytikers –
abgepuffert und ›contained‹ werden, sondern ihrerseits Reaktionen und im Extremfall
Vergeltung von Seiten konkreter Anderer oder nicht so konkreter Institutionen hervorrufen. Während Rache und Vergeltung des Erwachsenen einerseits wohl in einem hohen
Maße entweder Teil der ganz alltäglichen Verstrickungen und Konflikte sind oder aber
sich auf den größeren Systemkontext von Organisationen mit entsprechenden sozialen
Folgeproblemen auswirken, sind sie andererseits dann besonderer Vergeltungs- oder
Strafmaßnahmen ausgesetzt, wenn sie als asoziales oder kriminelles Verhalten zu Tage
treten bzw. von anderen entsprechend betrachtet werden. Inwieweit Rache, Vergeltung
und gerechtigkeitsorientierte ›Wiedergutmachung‹ einen nur schwer zu durchbrechenden Teufelskreis entstehen lassen, hat Melanie Klein (1963/1988) an der Folge der
Rachemorde der Orestie aufgezeigt (cf. Sievers 2003).
Rachsucht
Im Folgenden möchte ich deutlicher herausarbeiten, wie
im Kontext der kleinianischen Psychoanalyse Rachsucht als die letztlich wohl pathologische Variante der Verarbeitung von Verfolgungs- und Vergeltungsängsten verstanden
werden kann. Im Unterschied zu einer eher psychiatrischen Betrachtungsweise und dem
Rache und Vergeltung aus der Sicht Melanie Kleins
21
ihr eigenen Psychopathologieverständnis muss dabei die besondere Bedeutung gewürdigt werden, die Melanie Klein aufgrund ihrer frühkindlichen Fundierung der Psychoanalyse der Pathologie allgemein und insbesondere psychotischen Dynamiken und Erscheinungsweisen beimisst. Indem Klein und die in ihrer Tradition arbeitenden Psychoanalytiker schwerere Persönlichkeitsstörungen ihrer erwachsenen Patienten gerade im
Kontext dieser frühkindlichen Entwicklung und der für sie typischen fundamentalen
Ängste, Angstabwehr und potenziellen ›Überwindung‹ analysieren, gehen sie von der von
Klein schon sehr früh gemachten grundlegenden Erfahrung und Feststellung aus, dass
gemeinhin als pathologisch betrachtete Phasen und Phänomene allgemein und insbesondere Psychosen in einem solchen Ausmaß und mit solcher Intensität Teil der Erlebniswelt kleiner Kinder sind, dass sie geradezu als normal verstanden werden können.
Die Phantasie und das Ausagieren kindlicher Aggressionen, die daraus resultierenden
Verfolgungs- und Vergeltungsängste sowie Schuldgefühle, deren manische Abwehr und
die allmähliche Integration destruktiver und libidinöser Impulse in ein inneres Objekt gehen selbst im so genannten Normalfall frühkindlicher Entwicklung mit einem so hohen
Maß an Störungen, regressiven Rückfällen, Eskalationen und Stagnationen einher, dass
sie sich über lange Zeit hinweg von späteren anomalen Entwicklungen kaum – und dann
wohl auch nur eher graduell als grundsätzlich – unterscheiden lassen. Von daher scheint
es naheliegend, die im späteren Jugendalter wie bei Erwachsenen durchaus nicht zu verkennenden schwereren Persönlichkeitsstörungen – z. B. Schizophrenie, Psychosen oder
Borderline-Persönlichkeiten – insofern im Sinne einer ‘sekundären Pathologie’ zu betrachten, als sie als Fixierung von oder Regression in nicht oder nicht ausreichend verarbeitete frühkindliche psychische Konflikte der Aggressionsbewältigung und Objektbildung verstanden werden können.
Dementsprechend kann – in einem ersten Zugriff – zwischen Rache und Rachsucht insofern unterschieden werden, als Rache allgemein eher als der situativ im Verhalten des normalen Erwachsenen auftretende Versuch der Wiedervergeltung verstanden
werden kann, der mit einer partiellen oder zeitweisen Regression in psychotische bzw.
manische Abwehrmechanismen einhergeht. Rachephantasien und -handlungen sind primär ein Ausdruck projektiver Identifikation des bösen, verfolgenden Objektes und gelegentlich, wie Bollas (1987, S. 157 ff.) deutlich gemacht hat, der extraktiven Introjektion.
In dieser allgemeinen, normalen Form kann Rache eher als ein peripheres Moment der
Persönlichkeitsstruktur verstanden werden, als eine Art frühkindlicher Programmierung,
die angesichts extremen Vergeltungsangsterlebens und der damit aufgrund der Spaltung
einhergehenden projektiven Identifikation reaktiviert wird. Durch die relativ periphere
Verortung in der Persönlichkeitsstruktur ist jedoch nicht garantiert, dass diese Rache
sich auf bloße Phantasien beschränkt oder nur in ›abgemilderter‹ Form auftritt; sie kann
als einzelne Racheaktion bzw. als Sequenz von Rachehandlungen durchaus mit der bereits beschriebenen Wucht, Destruktivität und Omnipotenz auftreten und vollstreckt
werden.
Für ein besseres Verständnis der Rachsucht erscheint ein Rückgriff auf das
Konzept der pathologischen Organisation sinnvoll, wie es innerhalb der kleinianischen
Psychoanalyse von verschiedenen Autoren im Zusammenhang mit schweren Persönlichkeitsstörungen entwickelt worden ist (Hinshelwood 1993, S. 546ff.; vgl. Sievers 1999).
22
Burkard Sievers
So hebt beispielsweise O’Shaughnessy (1981/1990) mit ihrem Begriff der Abwehrorganisation die pathologische Fixierung hervor, die bei Kindern entsteht, wenn aufgrund eines
schwachen Ichs und der Erfahrung überaus starker Verfolgungsängste der Übergang in
die depressive Position nicht gelingt und die Ichentwicklung auf den für die paranoidschizoide Position typischen Abwehrmechanismen stagniert. Diese Stagnation führt entweder zu einem unreifen psychischen Gleichgewicht zwischen der paranoid-schizoiden
und der depressiven Position oder zu einer extrem narzisstischen Persönlichkeitsstruktur,
die sich unter der Vorherrschaft des Todestriebes um omnipotente Abwehrmechanismen
herum organisiert. Ausgehend von Bions (1957/1990) Unterscheidung psychotischer und
nicht-psychotischer Persönlichkeitsteile und den damit einhergehenden Spaltungen haben Meltzer (1968/1990) und Money-Kyrle (1969) den inneren Kampf zwischen gesunden und kranken Teilen des Selbst ausführlicher beschrieben. Demgegenüber ist Steiner
(1982, 1987/1990) der Ansicht, dass es weniger zu einer Spaltung guter und böser Teile
als vielmehr zu einer Art Liaison der Fragmente unter Dominanz einer omnipotenten
narzisstischen Persönlichkeitsstruktur kommt, die gerade die Folge einer gescheiterten
Spaltung ist.
Handelt es sich bei der Analyse pathologischer Organisationen auch weiterhin
noch um ein offenes Forschungsfeld, so können aus den vorliegenden Arbeiten gleichwohl eine Reihe von Annahmen und Hypothesen für ein besseres Verständnis von Rachsucht abgeleitet werden, die – wohl nicht zuletzt der ›Natur der Sache‹ entsprechend –
in sich zum Teil divergieren. Entsprechend der jeweiligen, von den einzelnen Autoren
vorgenommenen Akzentuierung pathologischer Organisation erscheint Rachsucht so
vorwiegend als eine zwischen der paranoid-schizoiden und der depressiven Position verortbare pathologische Fehlentwicklung oder Fixierung, als eine Art »Konstruktion eines
organisierten Wahns, der an die Stelle einer fragmentierten und zerstörten Realität tritt«
(Hinshelwood 1993, S. 548 in Anlehnung an Freud 1911). Rachsucht ist so beispielsweise
ein Ausdruck der organisierten Abwehr, zu der das Individuum bei Stagnation zwischen
den Positionen mit dem Ziel greift, Immobilität und Omnipotenz aufrechtzuerhalten, die
nicht zuletzt einer Bewältigung des vorherrschenden Todestriebes dient. Während
Rosenfelds (1971/1990a) destruktiver Narzissmus aufgrund der dabei typischen Idealisierung der omnipotent destruktiven Teile des Selbst eine Interpretation von Rachsucht
nahe legt, die aus der ständigen Gefährdung dieser Idealisierung resultiert und dadurch,
dass sie immer dann aktiviert wird, wenn das Ich sich dieses Teiles beraubt fühlt, das
Individuum mehr oder weniger total besetzt, betont Meltzer (1968/1990) eher den Konflikt zwischen Teilen des Selbst. Während das Individuum einerseits in der Lage ist, realistischere Objektbeziehungen aufrecht zu erhalten, sabotiert es sich im Falle der Rachsucht sozusagen letztlich selbst, indem es aufgrund des mit Destruktivität besetzten
Teils den Gewinn aus diesen Objektbeziehungen wieder gefährdet oder gar zunichte
macht. »Damit ein idealisierter Glaube an die grausamen, rachsüchtigen und destruktiven Aspekte der Persönlichkeit aufrechterhalten werden kann, ist, so behauptet
Brenman, eine gravierende Verengung der Wahrnehmung, eine Engstirnigkeit, vonnöten.
Dies macht zwischenmenschliches Verstehen zunichte, und verlangt ›die Verherrlichung
der Omnipotenz, die empfunden wird, als sei sie menschlicher Liebe und Vergebung
überlegen, sie verlangt das Festhalten an der Omnipotenz als Abwehr der Depression
Rache und Vergeltung aus der Sicht Melanie Kleins
23
und die Heiligsprechung von Groll und Rache« (Brenman 1985, S. 280)« (Hinshelwood
1993, S. 549 f.). Die in der pathologischen Fixierung zum Ausdruck kommende Rachsucht geht, entsprechend der ihr zugrunde liegenden extrem persekutorischen Phantasien, oft auch mit einer deutlichen Tendenz zur konkretistischen Reifizierung der eigenen Erfahrung wie äußerer Objekte einher, die jede Symbolbildung ausschließt (Segal
(1957/1990) und bei der letztlich gar Selbst und Objekt verwechselt werden (Steiner
1987/1990, S. 409). Wie für den Psychotiker allgemein ist auch für den Rachsüchtigen
»die Welt noch immer ein Bauch voller gefährlicher Objekte« (Klein 1930/1991c, S. 70).
Die Konfliktsituation des Rachsüchtigen sowie die ihr zugrunde liegende Verstrickung von Hass, Angst und Liebe entspricht im Grunde genommen der des von Klein
(1934/1991e, S. 105) beschriebenen Kriminellen; das wird besonders dadurch deutlich,
dass ich in dem folgenden Zitat die Begriffe Krimineller und Rachsüchtiger ausgetauscht
habe:
»War das verhasste, verfolgende Objekt für das Baby ursprünglich das Objekt all
seiner Liebe und Libido, befindet der Rachsüchtige sich jetzt in der Situation, sein
eigenes geliebtes Objekt zu hassen und zu verfolgen; da dieser Zustand unerträglich ist, muss jede Erinnerung, jedes Bewusstsein an eine Liebeszuwendung
irgendeinem Objekt gegenüber unterdrückt werden. Da für den Rachsüchtigen die
Welt nur aus Feinden besteht, ist von seinem Standpunkt aus betrachtet sein Hass
und seine Zerstörungswut zum großen Teil gerechtfertigt, eine Einstellung, die einen Teil seiner Schuldgefühle abmildert. Der Hass wird oft als der wirksamste
Deckmantel für Liebe benutzt; dabei darf man nicht vergessen, dass derjenige, der
ständig unter Verfolgungsängsten leidet, einzig und allein an die Rettung seines
eigenen Ichs denkt.«
So notwendig und hilfreich die Differenzierung zwischen normaler und pathologischer Organisation für die psychoanalytische und klinische Theorie und Praxis auch sein
mag, so erscheint sie mir andererseits, im hier gewählten Kontext, doch zugleich auch
wieder insofern von eher sekundärer Bedeutung zu sein, als sich sowohl die psychische
Struktur von Rache und Rachsucht als auch die sozialen Funktionen und Folgen entsprechender Wiedervergeltungsreaktionen in ihrem alltäglichen wie im organisatorischen
Kontext allenfalls graduell unterscheiden lassen – mit der Ausnahme vielleicht, dass der
offenkundig Rachsüchtige im Extremfall für seine Taten weniger zurechnungsfähig erscheint und verantwortlich gemacht wird und so gegebenenfalls in einer psychiatrischen
Einrichtung statt im Gefängnis landet. Worin sich die Rachsucht jedoch in ganz gravierendem Maße von der Rache des eher normalen Erwachsenen unterscheidet, ist das oft
enorme Maß an Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und Leid, das eine solche Rachgier für
den davon Besetzten selbst, die Personen seines jeweiligen Umfeldes und nicht zuletzt
die Opfer dieser Rache bedeuten kann; ein Leid, das sozusagen die elementare Not des
Kleinkindes revitalisiert, die aus seiner beschränkten Fähigkeit resultiert, Angst und
Konflikte in einem für eine normale Entwicklung ausreichenden Maße zu ertragen
und/oder auf den frühen Verlust der Mutter bzw. deren Unfähigkeit verweist, die es verhinderten, dass der Säugling die Erfahrung machen konnte, dass seine elementaren Äng24
Burkard Sievers
ste von ihr ausgehalten wurden und dass dieses Objekt tatsächlich seine aggressiven
Zerstörungsversuche unbeschadet überlebt hat.
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Abstract
Burkard Sievers
Rache und Vergeltung aus der Sicht Melanie Kleins
In this paper I elaborate the concepts of retaliation
and vengeance in the work of Melanie Klein. Unlike
other psychoanalytic writers who regard these phenomena as secondary or as expressions of pathological
abortive development from early childhood, Klein regards them as phantasies and emotions significant to
early infant development. The longing for retaliation is
seen by Klein as a reaction to the inevitable persecution anxieties characteristic of the paranoid-schizoid
position predominant during the infant’s first months
of life. Klein depathologizes retaliatory anxieties and
feelings of revenge and views them as normal defences
against elementary persecution anxieties. In her view,
they constitute an essential part of the psychic constitution required for healthy adult development.
Klein’s position should not be interpreted as a pessimistic psychology of resignation. Her ethic is based
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on love rather than on aggression turned against the
self. The capacity of the mature individual to be concerned for the well-being of others includes the ability to identify with their suffering. While revenge can
be viewed as a normal phenomenon, vengefulness is
more often than not accompanied by deep despair,
hopelessness and suffering on the part of the vengeful person and those who are victims of this revenge.
Anschrift:
Prof. Dr. Burkard Sievers
Aue 30
42857 Remscheid
E-mail: sievers@uni-wuppertal.de
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Burkard Sievers