SAir - Bericht der Oberstaatsanwaltschaft vom 30. März 2009

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SAir - Bericht der Oberstaatsanwaltschaft vom 30. März 2009
E
OBERSTAATSANWALTSCHAFT
DES KANTONS ZÜRICH
LEITENDER OBERSTAATSANWALT
GL / 2007 / 1411f
30. März 2009
Bericht zu Untersuchung und Anklage i.S. SAirGroup
I. Sachverhalte
1. Ausgangssituation
Nach dem Zusammenbruch der SAirGroup im Herbst 2001 führte die Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich, Wirtschaftsdelikte, unter grossem Druck und einer nach
massiven Strafen für Schuldige geprägten Erwartungshaltung der Öffentlichkeit eine
umfangreiche Strafuntersuchung mit Schwergewicht auf die oberste Hierarchie von
Verwaltungsrat und Geschäftsleitung der SAirGroup.
Bei Einleitung der Untersuchung vermochte keine der eingegangenen Strafanzeigen
einen konkreteren Tatverdacht zu begründen, als dies aufgrund der in der Öffentlichkeit bereits bekannten Sachverhalte möglich war. Die Anfangsverdachtslage beschränkte sich auf Hinweise zum Tatbestand der Falschbeurkundung im Zusammenhang mit den publik gewordenen letzten Jahres- und Halbjahresabschlüssen der
SAirGroup sowie auf Konkursdelikte.
Das „Grounding“ der Dachgesellschaft der im Volk als nationale Fluggesellschaft
verankerten „Swissair“ bedeutete infolge eines Verbundes von 270 involvierten Gesellschaften für die Strafuntersuchungsbehörden Neuland in einem „Jahrhundertfall“.
2. Abwicklung der Untersuchung
2.1. Umfang der Strafuntersuchung
Der sich aus dem geschilderten Anfangsverdacht der Falschbeurkundung bei Bewertungsfragen in den öffentlich gemachten Unternehmens-Abschlüssen auf die oberste
Hierarchie richtende Verdacht hatte deren systematischen Einbezug als Beschuldigte
zur Folge. Im weiteren Verfahrensverlauf wurde die Untersuchung schliesslich auf
insgesamt 26 Personen ausgedehnt. Es war absehbar, dass die derart ins Verfahren
einbezogenen Personen infolge der drohenden zivilrechtlichen Folgen in Verantwortlichkeitsprozessen nur in Ausnahmefällen weiterführende Aussagen oder Angaben
machen, geschweige denn Hinweise auf Fehlverhalten in den eigenen Reihen geben
würden. Auch wenn der Verwaltungsratspräsident und CEO infolge der für die Übernahme seiner äusserst heiklen Sanierungs- oder Rettungs-Aufgabe erfolgten VorabSicherstellung seiner Entschädigung in Millionenhöhe in der Öffentlichkeit gebrandmarkt wurde, bestanden doch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass jemand als
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„Bereicherungs- oder Engpasstäter“ gehandelt hätte, wie dies in der kriminologischen
Praxis bezeichnet wird.
2.2. Ressourcen
2.2.1. Personell
In den Jahren zwischen Eröffnung der Untersuchung im Jahre 2001 und dem obergerichtlichem Freispruch vom Juni 2008 waren gleichzeitig maximal zwei bis drei
Staatsanwälte, drei bis vier juristische Sekretäre und Sekretärinnen und zwei bis drei
Kanzleisekretärinnen ausschliesslich mit der Strafuntersuchung befasst. Die Kantonspolizei Zürich unterstützte die Ermittlungen zeitweise mit mehreren - parallel und
überwiegend auch mit anderen Verfahren befassten - Beamten, wobei die maximale
Beanspruchung lediglich im Jahre 2004 ein ganzes Mannjahr erreichte.
2.2.2. Zeitlich
Rückblickend ergab sich für die wesentlichen Untersuchungsschritte eine mit zeitlichen Überschneidungen - nicht so geplante - gestaffelte Struktur von zwei Jahren für
Sichtung der Akten, von weiteren zwei Jahren für deren Strukturierung, Auswertung
und Analyse, sowie je ein Jahr für Befragungen und Abschlussarbeiten.
2.2.3. Finanziell
Das Einscannen und Kopieren sämtlicher sichergestellter Akten und die Instruktion
des Untersuchungsteams im Umgang mit den gespeicherten Daten durch externe
Unternehmen dauerte beinahe zwei Jahre mit einem Kostenaufwand von ca. Fr.1,7
Mio., während sich die Kosten für eingekauftes betriebswirtschaftliches und unternehmerisches Fachwissen sowie EDV Hard- und Software auf weitere ca. Fr. 2,75
Mio. beliefen.
2.3. Führung
Der damalige Geschäftsleiter bzw. Leitende Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft III
begleitete das Verfahren bis 2005 aus Distanz, vorab beratend, und übernahm erst
im Jahre 2005 die ihm übertragene operative Leitung. Die Oberstaatsanwaltschaft
lud ab 2005 zu mehreren Besprechungen mit dem Leitenden Staatsanwalt bzw. mit
dem ganzen Untersuchungsteam ein. Vorab vor dem Hintergrund der „ersten Welle“
der Untersuchung sollte damit eine erst- und zweitinstanzliche gerichtliche Beurteilung der Vergehenstatbestände vor Eintritt der Verjährung sichergestellt werden.
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2.4. Kommunikation
Im Zusammenhang mit zahlreichen Anträgen für die Bereitstellung der personellen
Ressourcen und Kostengutsprachen zum Einbezug von Fachwissen und zusätzlich
nach Bedarf flossen regelmässig umfangreiche Informationen über den bisherigen
Verfahrensverlauf und die noch geplanten Untersuchungshandlungen an die vorgesetzten Stellen (Oberstaatsanwaltschaft, Justizdirektor und Justizkommission). Die
anfänglich vom Teamleiter, schliesslich vom Leitenden Staatsanwalt und im Zusammenhang mit der Anklageerhebung vom Leitenden Oberstaatsanwalt wahrgenommene Medienarbeit wurde durch die Oberstaatsanwaltschaft und einen externen
Fachmann begleitet.
3. Anklage und Abschluss des Verfahrens
Im Rahmen einer „ersten Welle“ erhob die Staatsanwaltschaft Ende März 2006 gegen 19 aus der obersten Hierarchie der SAirGroup stammende Angeschuldigte Anklage und erliess hinsichtlich zahlreicher genau geprüfter Sachverhalte 14 Einstellungsverfügungen gegen 21 mehrheitlich gleichzeitig angeklagte Personen.
Das Bezirksgericht Bülach liess die Anklage mit Beschluss vom 5. Mai 2006 einstweilen nicht zu und lud die Staatsanwaltschaft zu deren Verbesserung und Ergänzung
ein. Am 11. Juli 2006 erhob die Staatsanwaltschaft die überarbeitete Anklage. Der
Umfang der aus Hausdurchsuchungen, beigezogenen oder sonst wie erhobenen Akten, von Berichten, Einvernahmen und Gutachten erreichte bei Abschluss des Verfahrens 4000 Bundesordner.
Mit Urteilen vom 4. Juni 2007 wurden alle 19 Angeklagten vom Bezirksgericht Bülach
unter teilweiser Verpflichtung zur Kostentragung freigesprochen. Im primär von Seiten mehrerer Geschädigter angestrengten Berufungsverfahren gegen den Freispruch
des letzten Verwaltungsratspräsidenten und CEO wurde nicht nur der Freispruch
bestätigt, sondern der Freigesprochene auch von der Kostentragungspflicht entlastet.
Die Staatsanwaltschaft hatte sich aus diesem Berufungsverfahren vorzeitig zurückgezogen.
In einer sogenannten „zweiten Welle“ stellte die Staatsanwaltschaft die noch offenen
Strafverfahren mit verschiedenen Einstellungsverfügungen vom 29. Januar 2008,
7. Oktober 2008 und 19. Januar 2009 ein. Diese Einstellungsverfügungen wurden
mehrheitlich beim Obergericht des Kantons Zürich mittels Rekurs angefochten; sie
sind deshalb noch nicht rechtskräftig. Mit Beschluss des Obergerichtes vom 20. Februar 2009 wurde die Verfügung vom 29. Januar 2008 unterdessen aus formellen
Gründen aufgehoben.
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II. Wertung nach Vorliegen der gerichtlichen Erkenntnisse
(Stand März 2009)
1. Positive Erkenntnisse
1.1. Ausgangslage
Trotz in jeder Hinsicht unklarer, unübersichtlicher und für die Führung einer Strafuntersuchung schier unmöglich erscheinender Ausgangslage mit laufender Medienkampagne gelang es dem Untersuchungsteam, unter Beizug von fachkundigen Personen und mit gezielter Ermittlung der für die Aufklärung der Sachverhalte nötigen
Akten, einen Einstieg in die Untersuchung zu finden, ohne sich vorher - wie dies in
grösseren sich anbahnenden Verfahren häufig der Fall ist - in Zuständigkeits- und
Ressourcenfragen zu verlieren.
1.2. Abwicklung der Untersuchung
Es gelang innert (Verjährungs-)Frist, schwergewichtig die möglichen Vergehenstatbestände zur Anklage zu bringen.
Trotz zahlreicher Rechtsmittel gegen verfahrensleitende Entscheide - die Oberstaatsanwaltschaft hatte sich mit insgesamt 13 Rekursen und zwei Beschwerden zu
befassen - kam es nicht zu namhaften Verzögerungen, obwohl im Team der untersuchenden Staatsanwälte und insbesondere bei den juristischen Sekretariaten mehrere
personelle Wechsel zu verzeichnen waren.
1.3. Anklage und Abschluss des Verfahrens
Gestützt auf die Anklage waren Bezirks- und Obergericht in der Lage, sich vertieft mit
den strafrechtlich relevanten Vorwürfen auseinanderzusetzen, ohne dass das Verfahren zur Erhebung weiterer Beweise zurückgewiesen werden musste.
2. Kritische Erkenntnisse
2.1. Ausgangslage
Trotz des öffentlichen Drucks nach Aufarbeitung des schwer einfühlbaren Niedergangs der SAirGroup und nach Bestrafung der Verantwortlichen wurde die Herausforderung zur Zusammenstellung des Untersuchungsteams mit den besten Bezirksbzw. Staatsanwälten innerhalb der Amtsstelle nicht erkannt. Es hätte ein erfahrenes
Team zusammengestellt werden müssen, welches das Handwerkszeug des Strafverfolgers für das Prozessmanagement zweifelsfrei beherrscht.
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Der Zuzug eines eigens für die komplexe SAir-Untersuchung eingestellten juristischen Mittelbaus (jur. Sekretariat) war angesichts des Ausbildungscharakters dieser
Stellen nicht das geeignete Mittel, um die Staatsanwälten substantiell zu unterstützen. Polizeiliche Sachbearbeiter, welche sich ausschliesslich mit dieser Untersuchung hätten befassen können, fehlten im Untersuchungsteam.
2.2. Abwicklung der Untersuchung
2.2.1. Projektarbeit
In der Projektarbeit erwies sich die inhaltliche zeitliche Staffelung rückblickend als
wenig zweckmässig. Diese war auch nicht so geplant. In der ersten Zeit des Strafverfahrens fehlte es ausserhalb des Bereiches Falschbeurkundung (zwei einander folgende Halbjahres- und Jahresabschlüsse mit unerklärten erheblichen Abweichungen) mangels Offensichtlichkeit und infolge Fehlens fundierter Strafanzeigen an einem Anfangsverdacht zur Untersuchung weiterer strafbarer Handlungen. Daran vermochte auch der als „Roter Faden“ von den Strafverfolgern beigezogene, allerdings
nicht strafrechtlich ausgerichtete Untersuchungsbericht von Ernst & Young (22. Januar 2003) nichts zu ändern. Wiewohl in Arbeitskomplexe unterteilt und mit Zeitplänen versehen, wurde das Verfahren zu wenig projektorientiert geführt. Es wurden
keine Anklagethesen zu einzelnen Tatbeständen formuliert mit der Prämisse, dass
die Beschuldigten sich dazu nicht äussern würden. Die Untersuchung wurde gegen
alle Personen der obersten Hierarchie mit derselben schlechten Anfangsverdachtslage eröffnet und dadurch zugleich verhindert, dass Mitglieder aus der obersten Hierarchiestufe als Zeugen (mit Aussagepflicht) zur Verfügung gestanden hätten.
2.2.2. Beizug Sachverständiger
An sich war der Beizug von Dr. Schellenberg als Fachgehilfe für die Untersuchungsführung nicht zu beanstanden. Seine Berichte wären allerdings wie Polizeirapporte
als Beschreibung von Sachverhalten zu behandeln gewesen. Schellenberg war
sachverständiger Ermittler. Seine Berichte wären als Hilfen bei der Bewertung der
darin beschriebenen Feststellungen zu verwenden gewesen. Seine Bewertungen,
soweit es sich um solche handelte, hätten aber nicht als gutachterliche Feststellungen, sondern nur zur Versicherung des staatsanwaltlich vertretenen (Partei-) Standpunktes verwendet werden dürfen. Schlussfolgerungen zu relevanten, insbesondere
auch bestrittenen Fragen, wie zur Frage der mangelnden Liquidität bzw. der Überschuldung, hätten durch einen separat zu bestellenden und unbefangenen Gutachter
festgehalten werden müssen.
2.3. Anklage und Abschluss des Verfahrens
Die Formulierung der Anklage erfolgte erst am Schluss des Untersuchungsverfahrens und zwar unkoordiniert und mit Bezug auf die den einzelnen Angeschuldigten
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zur Last gelegten Tathandlungen zu wenig substantiiert. Die Anklageschrift war infolge der den Angeklagten in detailreicher Weise zugeschriebenen Wissenselementen
zu ausführlich und zu umfangreich. Trotzdem ging die Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde gegenüber den 19 Beschuldigten mit ihren 19 Verteidigern in der Aufmerksamkeit vor Gericht und in der Prozessberichterstattung beinahe unter. Sie
stand mit ihrem einzigen Vortrag 19 Plädoyers der Verteidiger gegenüber.
III. Lehren
1. Ausgangslage
Innerhalb der Amtsstelle hätten die besten Staatsanwälte für das Untersuchungsteam gewonnen werden sollen. Der Einsatz von Quereinsteigern im Bereiche der
Wirtschaftsdelikte ist grundsätzlich fehl am Platz, weil das Beherrschen des Handwerkszeuges des Strafverfolgers für das Prozessmanagement unabdingbare Voraussetzung bildet. Der juristische Mittelbau (jur. Sekretariat bzw. inskünftig Assistenzstaatsanwälte) ist angesichts des Ausbildungscharakters dieser Stellen nur selten geeignet im Rahmen komplexer Wirtschaftsfälle im Team mitzuwirken. Allenfalls
gibt es für den juristischen Mittelbau spezifische Aufgaben in einem bestimmten Verfahrensabschnitt, für einen beschränkten Zeitraum. Stellvertretende Staatsanwälte
mit Erfahrung wären geeigneter. Der juristische Mittelbau kann in Untersuchungsteams sinnvoll dann mitwirken, wenn erfahrene Assistenzstaatsanwälte für ein längerfristiges Engagement bereit sind und sich als Stellvertretende Staatsanwälte eignen. Zu fordern ist eine klare Teamleitung (Fallmanager ohne eigene Untersuchungsaufgaben).
-------->Bildung eines kompetenten Untersuchungsteams mit klarer Führung
2. Abwicklung der Untersuchung
Die sich laufend stellenden Führungsaufgaben auf allen Stufen sind bereits zu Beginn des Verfahrens zu klären. Mit einer umfassenden Analyse von Untersuchungsgegenständen, Verdachtslage und möglichem Untersuchungskonzept im Sinne einer
Untersuchungsführung als Projekt hätten einige Probleme vermieden oder erfolgreicher angegangen werden können. Die prozessuale Rolle von beigezogenen Hilfspersonen ist von Anfang an restlos zu klären.
-------->
Optimierung der Projektarbeit mit Zeitbudget für Untersuchung und
Anklage von längstens 3 bis 4 Jahren
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3. Anklage und Abschluss des Verfahrens
Die inhaltliche Anlage der Untersuchung sollte sich ab deren Eröffnung nach einer
Anklagethese richten, welche in Wechselwirkung sowohl der sich laufend verändernden Verdachts- und Beweislage unmittelbar Rechnung trägt als auch der Steuerung
der weiteren Schwerpunkte in Ermittlung und Beweisführung dient. Dadurch kann
unter Umständen die Ausweitung einer bereits umfangreichen Untersuchung auf eine
Vielzahl weiterer Angeschuldigter oder frühzeitig der Abbruch weiterer Ermittlungen
mit Blick auf eine Anklage vermieden werden. Diese handwerklichen Überlegungen
zur Untersuchungsführung dürfen nicht unter dem öffentlichen Druck auf rasche Erhebung der Anklage gegen alle in der öffentlichen Meinung vermeintlich Schuldigen
vernachlässigt werden. Die konsequente Nachführung der Anklagethese mit Blick auf
sämtliche Tatbestandselemente und deren Beweis erleichtert die taktische Ausrichtung der Untersuchung, dient dem Ziel der Reduktion auf den Schwerpunkt der Anklage und der Rollenzuweisung für die nötige Anzahl zum Zeugnis geeigneter Personen und die erfassbare Anzahl Anzuklagender.
--------> Konsequente Umsetzung der - einer öffentlichen Vorverurteilung oftmals entgegenstehenden - Verdachtslage in einer Anklage- bzw. Einstellungsthese ab Beginn der Untersuchung bis zu deren Abschluss