frauengerechte sprache in kirche und liturgie hinweise
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frauengerechte sprache in kirche und liturgie hinweise
FRAUENGERECHTE SPRACHE IN KIRCHE UND LITURGIE HINWEISE (SEELSORGEAMT) FOLIUM DIŒCESANUM BAUZANENSE-BRIXINENSE, NOVEMBER 2002, S. 398-403. Im November 1998 hat Bischof Wilhelm Egger die Liturgiekommission der Diözese Bozen-Brixen gebeten, sich mit dem Anliegen einer frauengerechten Sprache im Gottesdienst zu befassen und entsprechende Empfehlungen bzw. Hinweise für die Seelsorge zu erarbeiten. Die Liturgiekommission hat das Anliegen besprochen und in einer Arbeitsgruppe die verschiedenen Anliegen einer frauengerechten Sprache in Kirche und Liturgie gesammelt. Am 30. Mai 2002 hat die Kommission ihre Überlegungen, Anliegen und Empfehlungen vorgelegt. Für die geleistete Arbeit sei allen Mitwirkenden gedankt. Auf der Grundlage der Überlegungen der Liturgiekommission und nach Rücksprache mit dem Herrn Bischof veröffentlicht das Seelsorgeamt folgende Hinweise für die Praxis in Kirche und Liturgie. Die vom Zweiten Vatikanischen Konzil erneuerte Liturgie hat das Recht und die Aufgabe zur aktiven, bewussten und tätigen Teilnahme aller Gläubigen - unabhängig von deren Geschlecht - hervorgehoben. Damit hat sich für die Frauen vieles verändert, manches muss noch verwirklicht werden. Frauen tragen wesentlich zur Verkündigung des Glaubens bei, doch machen sie nach wie vor die Erfahrung, dass ihnen im verantwortlichen Tun in der Liturgie, wo sich Kirche darstellt und verwirklicht, die ihnen zustehende Rolle nicht zuerkannt wird. 1. Inklusive Sprache Der Begriff "inklusive Sprache" besagt, dass überall, wo Männer und Frauen gemeint sind, dies in Anrede und Erläuterung zum Ausdruck kommt. Die versammelte Gottesdienstgemeinde ist demnach beispielsweise als Schwestern und Brüder (Brüder und Schwestern) anzusprechen. Das Anliegen der inklusiven Sprache ist auch für die Gestaltung des offiziellen und nicht offiziellen Liedgutes der Liturgie, für Gebete und katechetische Texte, zu beachten. Einige Lieder im "Gotteslob" wurden bereits unter dieser Rücksicht überarbeitet; so wurde etwa in GL 637 die Formulierung Lasst uns loben, Brüder, loben in Lasst uns loben, freudig loben abgeändert. Offen bleibt die Herausforderung, sämtliche Texte im "Gotteslob" in der inklusiven Sprache zu formulieren. 2. Beteiligung von Frauen an der Gestaltung der Liturgie Die Möglichkeiten für Gläubige - Männer wie Frauen - sich in liturgischen Feiern zu engagieren, sind vielfältig; in der Praxis werden sie allerdings nicht immer ausgeschöpft. Mancherorts muss eine überzeugte Einbindung von Frauen noch bewusster gepflegt werden. Dies gilt für die Leitung von Wortgottesfeiern, für das Stundengebet, für Gebetsversammlungen, Segensfeiern, Andachten, Prozessionen, Trauerfeiern, Kommunion- und Wegzehrungsfeiern mit Kranken und Sterbenden, für Totenwachen (siehe dazu Folium Dioecesanum 2001, 2628). Die Mitwirkung an der Liturgie ist auch Frauen möglich: als Ministrantin, Lektorin, Kantorin, Kommunionhelferin. Bezüglich des Predigtdienstes möchte ich auf den Behelf des Seelsorgeamtes "Der Dienst von Laien in Verkündigung und Predigt" verweisen (2001). Wertvolle Arbeit im Hinblick auf die lebendige Feier der Liturgie leisten die Frauen in den Liturgieausschüssen der Pfarrgemeinderäte, in der diözesanen Liturgiekommission, im Religionsunterricht, in der Sakramentenvorbereitung, in den kirchlichen Vereinen und Verbänden. 3. Spezifische Angebote für Frauen "Frauenliturgie" Auch wenn Liturgie grundsätzlich für alle offen ist, gibt es doch auch spezifische Formen, in denen Frauen miteinander Liturgie feiern. Solche "Frauenliturgien" bieten den Teilnehmerinnen die Möglichkeit, ihren eigenen Ausdruck des Glaubens im liturgischen Feiern zu suchen und zu gestalten, Rituale des Lebens und der Lebensbewältigung aufzugreifen und zu pflegen. Besondere Beachtung finden dabei jene Bibelstellen, die von Frauen handeln, die so genannten "Frauenperikopen“. 4. Biblische Frauengestalten In der offiziellen Leseordnung mit ihren Abschnitten (Perikopen) sind biblische Frauengestalten - vor allem jene aus dem Alten Testament mit ihrer Bedeutung für die Heilsgeschichte - zu wenig berücksichtigt. In vielen Erzählungen wird das Bild aufgebrochen, das Frauen auf Unterordnung, Demut und Gehorsam festlegte. Die biblischen Frauengestalten wurden in ihrer Bedeutung für die Geschichte des Gottesvolkes Israel, in der Jesusgeschichte und in der Geschichte der frühen christlichen Gemeinden vielfach übersehen. Bei Wortgottesfeiern könnte schon jetzt (so lange es keine Änderung der offiziellen Leseordnung gibt) in folgender Weise vorgegangen werden: Texte über Frauen, welche die Heilsgeschichte prägten und die heute Vorbilder für die Kirche sind, werden in die Feier aufgenommen und in der Gebetssprache verstärkt berücksichtigt; die bisher verwendeten Perikopen, in denen Frauen eine Rolle spielen, werden auf ihre vollständige Wiedergabe überprüft (z. B. 2 Makk 7,1-14; 32. Sonntag im Jahreskreis C). 5. Die Sprache der Bibel Die zeitgebundene Form und Sprache der Heiligen Schrift bereitet heute manchen Gläubigen Schwierigkeiten; der Wunsch nach der integrativen Sprache für die Bibeltexte wird geäußert. Besonders die feministische Bibelauslegung unterstreicht, dass die biblische Sprache weitgehend von einer patriarchalen Kultur geprägt ist. Die historisch-kritische Bibelauslegung verweist auf die zeit- und kulturbedingte Form der Bibel. Wenn diese Texte heute vorgelesen und ausgelegt werden, so muss erklärt werden, dass es sich um historische Texte handelt, die in einer bestimmten Zeit und unter bestimmten Umständen entstanden sind. Manche zeitbedingten Ausdrücke und Formulierungen, die heute als ausgrenzend empfunden werden, können nicht einfach durch eine Übertragung in die inklusive Sprache unserem Empfinden angepasst werden. 6. Die Bildersprache des weiblichen Gottesbildes einbringen Die offiziellen Gebetstexte der Kirche sind vorwiegend männlich geprägt. Dies gilt auch für die Gottesanrede. Der Reichtum biblischer Gottesbilder ist in die Rede von Gott und zu Gott hineinzunehmen, das gilt besonders von jenen Metaphern, die sich ausdrücklich auf Frauenerfahrungen beziehen, z. B. wie Gott als die Frau die Drachme sucht (vgl. Lk 15,8-10). 7. Vorschläge und Anregungen für eine inklusive Sprache Sorgsamer Umgang mit Sprache ist vor allem in der Liturgie geboten, damit Verkündigung nicht "zum Nachteil der Frauen, aber auch nicht zum Schaden der Männer und auf Kosten der Vollständigkeit der frohen Botschaft“ erfolgt (C. Halkes). In der deutschen Sprache führt dieses Bemühen mitunter zu umständlichen Formulierungen, und es ist nicht immer einfach, die rechten Worte zu finden. Einige Grundsätze können dabei behilflich sein. Frauen sprachlich sichtbar machen ♣ Frauen bleiben durch männliche Bezeichnungen oft unsichtbar, ihr Dasein, ihre Leistungen, ihre Beiträge und Anliegen werden nicht wahrgenommen. Deshalb sollen sie auch ausdrücklich genannt werden. Einige Beispiele sollen dies veranschaulichen. Christen Söhne Gottes Mitarbeiter Der Schüler Der Südtiroler Der Vorsitzende Autor Kirchenlehrer Christen und Christinnen Söhne und Töchter Gottes, Kinder Gottes Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Schülerinnen und Schüler Südtiroler Frauen und Männer, Südtirolerinnen und Südtiroler Die oder der Vorsitzende Autorin und Autor Kirchenlehrer und Kirchenlehrerinnen ♣ Wenn allgemein von Menschen die Rede ist, sind Formulierungen zu vermeiden, die Männer als allein repräsentativ erscheinen lassen. Der Mensch ist von Gott als Mann und Frau erschaffen. Alle Menschen sind Brüder Alle Menschen sind Schwestern und Brüder Der Glaube unserer Väter Der Glaube unserer Väter und Mütter Der Ehepartner Der Ehepartner, die Ehepartnerin ♣ Besondere Aufmerksamkeit verlangen unbestimmte Fürwörter, wie: jeder, jedermann, manch einer, der eine und andere. Jeder Jede und jeder, alle Jeder stellt seine Kerze ... Jede und jeder stellt die Kerze ...; alle stellen ihre Kerze ... Jeder von Ihnen Jede und jeder von Ihnen Das kann jedem passieren Das kann jeder und jedem passieren; das kann allen passieren In Anrede und Beschreibung Männer und Frauen einschließen ♣ Dazu sind übergreifende Begriffe hilfreich, ebenso Zusammensetzungen mit -kraft, -personen, -leute. Mitarbeiter Mitarbeitende Lehrer Lehrpersonen, Lehrkräfte Der Glaube unserer Väter Der Glaube unserer Vorfahren Brüderlich Geschwisterlich, brüderlich und schwesterlich Jeder hat eine Meinung Alle haben eine Meinung Fachmann Fachkraft, Fachleute Jeder Zweite Jede zweite Person ♣ Bei Aufzählungen sind Relativsätze ein guter Ausweg: Alle, die mitarbeiten Alle, die geholfen haben Alle, mit denen wir in Freundschaft verbunden sind Alle, die an Christus glauben Wir danken allen, die gespendet haben ♣ Mehrzahlbildungen ermöglichen es, mit dem neutralen Fürwort "sie" weiterzufahren: Der Mensch - er Jeder Mensch - er Die Menschen - sie Alle Menschen - sie ♣ Eine weitere Möglichkeit ist es, an Stelle der Person die Sache zu benennen: Die Seelsorgertagung Der Leiter Der Vorsitzende Die Teilnehmerliste Das Rednerpult Die Seelsorgetagung Die Leitung hat Den Vorsitz führt Die Teilnahmeliste; die Liste der Teilnehmenden Das Redepult Frauen als eigenständige Personen beschreiben Frauen sind nicht nur "Anhängsel“. Die Vielfalt ihrer Rollen und Begabungen soll aufscheinen. Herr Weber und seine Frau Hausfrauenarbeit Das schwache Geschlecht Dienstmädchen Herr und Frau Weber Hausarbeit Die Frauen Hausangestellte 8. Lernbereitschaft Der Weg zu einer inklusiven Sprache erfordert Offenheit, Lernbereitschaft und Geduld mit sich selbst und mit anderen. Dieser Weg ist ein Beitrag zu einer gerechten und friedlichen Welt. - Das Anliegen der inklusiven Sprache soll Frauen und Männer in der Kirche gemeinsam beschäftigen. Sie mögen sich dieses Anliegen zu Eigen machen und es miteinander zu verwirklichen suchen. - Die Verantwortlichen in der Seelsorge, in den kirchlichen Gremien, in den Medien und in den Weiterbildungseinrichtungen mögen sensibel sein für inklusives Sprechen und Handeln. - In der Gestaltung der Liturgie und in der Auslegung der biblischen Texte sollen das Menschen- und das Gottesbild in ihrer Vielfalt aufgezeigt und gedeutet werden. Dabei soll vermehrt auch die Bildersprache des weiblichen Gottesbildes, neben dem traditionell männlichen, berücksichtigt und eingebracht werden. - Im Gottesdienst, bei Lesungen und Ansprachen, in Orationen und frei formulierten Texten sollten ganz selbstverständlich Männer und Frauen gleichermaßen angesprochen werden. - Verwenden Sie bei den Liedern im "Gotteslob" die veränderte Fassung, die in der neuen Ausgabe bereits enthalten ist. Für die bisherigen Ausgaben gibt es im Seelsorgeamt Etiketten mit den angepassten Texten zum Überkleben. Bozen, am Gedenktag der heiligen Kirchenlehrerin Theresia von Avila 15. Oktober 2002