Francesco Rosi – Poeta del reale

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Francesco Rosi – Poeta del reale
Francesco Rosi – Poeta del reale
Francesco Rosi
Geboren in Neapel am 15. November 1922 und gestorben in Rom am 10. Januar 2015, war Francesco Rosi
in seiner Jugend mit den neapolitanischen Intellektuellen der Nachkriegszeit (Raffale La Capria, Antonio Ghirelli, Giuseppe Patroni Griffi und Giorgio Napolitano)
eng befreundet. Vor seinem ersten Film LA SFIDA (DIE
HERAUSFORDERUNG, 1958) hatte Francesco Rosi
seine Filmkarriere als Co-Regisseur mit Luchino Visconti bei LA TERRA TREMA (DIE ERDE BEBT, 1948) und
dann bei SENSO (SEHNSUCHT, 1954) begonnen, später
arbeitete er auch mit Michelangelo Antonioni und Mario
Monicelli zusammen.
Ich stieß in München eher zufällig auf Rosis dritten Film
SALVATORE GIULIANO (WER ERSCHOSS SALVATORE
G.?, 1962). Ich hatte etwas ganz anders erwartet, vielleicht eine Mischung aus Western und Gangsterfilm,
stattdessen wurde ich mit einer Seite der Geschichte
Italiens konfrontiert. Rosis Stil, immer mutig in der Erzählung, kompromisslos auf der Suche nach der Wahrheit, dokumentarisch genau, ohne auf Leidenschaft
und moralische Tiefe zu verzichten, hat mich sofort fasziniert. Alles war für mich neu und innovativ, vor allem
Francesco Rosi bei den Dreharbeiten zu TRE FRATELLi
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die Verwendung von flashbacks, einer Methode, die virtuos versucht, die Ereignisse der Geschichte wie eine
Reportage zu rekonstruieren.
Für Francesco Rosi war die Illusionsmaschinerie des
Kinos immer ein Mittel, die Gegenwart besser zu verstehen und die Wahrheit aufzuspüren. IL CASO MATTEI
(DER FALL MATTEI, 1971) entstand unter großen
Schwierigkeiten, weil »seine Realisation von Politik und
Wirtschaft als nicht opportun angesehen wurde«, wie
Rosi selbst in seinem letzten Interview anlässlich der
Dreharbeiten zu Michele Doiomàs Dokumentarfilm
BORN IN U.S.E. (2014) sagte. Der Film ist ein Musterbeispiel für Rosis cinema impegnato: ein neues revolutionäres Kino der Recherche und Erforschung, das die
Grenzen zwischen Dokumentarfilm und Fiktion ineinanderfließen lässt. Auch Filme wie LE MANI SULLA CITTÀ
(HÄNDER ÜBER DER STADT, 1963), LUCKY LUCIANO
(1973), CADAVERI ECCELLENTI (DIE MACHT UND IHR
PREIS, 1976) und DIARIO NAPOLETANO (NEAPOLITANISCHES TAGEBUCH, 1992), blicken hinter die Fassaden,
zeigen soziale Missstände und enthüllen Machtmechanismen und deren Dynamik.
Salvatore Giuliano (Wer erschoss Salvatore G.?) |
Italien 1962 | R: Francesco Rosi | B: Francesco Rosi,
Suso Cecchi d’Amico, Franco Solinas, Enzo Provenzale
| K: Gianni di Venanzo | M: Piero Piccioni | D: Pietro
Cammarata, Salvo Randone, Frank Wolff, Sennuccio
Benelli, Bruno Ukmar | 120 min | OmeU | Das Wirken
des sizilianischen Banditen Salvatore Giuliano, der zwischen 1943 und 1950 der Schrecken seines Landes
war. »Man sieht den Helden fast nur als Toten und das
in einer Erzählung, bei der ich die zeitliche Abfolge der
Ereignisse ständig unterbrochen habe. Ohne mich um
eine durchgehende Linie zu kümmern, wechsele ich
von 1950 zu 1954 oder 1944 oder 1948, weil ich Ereignisse ins Gedächtnis zurückrufen will, die ihre Spuren hinterlassen haben und an die sich das italienische
Publikum erinnert. Mein wirkliches Thema ist ein unglückliches, unterdrücktes, verirrtes und sich revoltierendes Land. Ich will Giuliano weder feiern noch verdammen. Ich will zeigen, dass er das Produkt seiner
Heimat war, das Ergebnis der sozialen und politischen
Bedingungen der 1940er-Jahre.« (Francesco Rosi)
▶ Freitag, 4. Dezember 2015, 18.30 Uhr
C’era una volta (Schöne Isabella) | Italien 1967 | R:
Francesco Rosi | B: Tonino Guerra, Raffaele La Capria,
Giuseppe Patroni Griffi, Francesco Rosi, nach neapolitanischen Volksmärchen | K: Pasquale De Santis | M:
Piero Piccioni | D: Sophia Loren, Omar Sharif, Dolores
del Rio, Georges Wilson, Leslie French | 99 min | OmeU
| Ein junger spanischer Fürst, der eine Adelige zur Frau
nehmen soll, verliebt sich in ein Bauernmädchen, das
er nach allerlei Abenteuern und Verwicklungen schließ-
Francesco Rosi
iL CASO MATTEi
Neben seinen berühmten politischen Filmen hat Rosi
auch »leichtere« Werke geschaffen wie das zauberhafte Märchen C’ERA UNA VOLTA (SCHÖNE ISABELLE,
1967), das von den Novellen »Lo cunto de li cunti« von
G. B. Basile inspiriert war und eine wundervolle Version
der CARMEN (1984) nach der Oper von Georges Bizet.
Er adaptierte wichtige Werke von Carlo Levi (CRISTO SI
È FERMATO A EBOLI – CHRISTUS KAM NUR BIS EBOLI,
1979), Andrej Platonov (TRE FRATELLI – DREI BRÜDER,
1981), Gabriel García Márquez (CRONACA DI UNA
MORTE ANNUNCIATA – CHRONIK EINES ANGEKÜNDIGTEN TODES, 1987), Edmonde Charles-Roux (DIMENTICARE PALERMO – PALERMO VERGESSEN, 1990) und
Primo Levi (LA TREGUA – DIE ATEMPAUSE, 1997). Mit
diesem, seinem letzten Spielfilm kehrte Rosi wieder
zum Thema Krieg zurück, mit dem sich schon UOMINI
CONTRO (BATAILLON DER VERLORENEN, 1970) beschäftigt hatte: »Wir leben in einer Welt, in der die Menschen leider nicht aufhören, sich gegenseitig zu vernichten und wahrscheinlich nie aufhören werden.«
Am 31. August 2012 erhielt Francesco Rosi im Alter
von neunzig Jahren während des 69. Festivals von
Venedig den Goldenen Löwen als verdiente Anerkennung für sein Lebenswerk. Er gehörte einer Generation
an, die mit Begeisterung die Nachkriegszeit erlebt hat
und deren Hoffnung auf eine Wiedergeburt einer gerechten Gesellschaft enttäuscht wurde. Für Francesco
Rosi bedeutete Kino zu machen immer auch Politik zu
machen. Seine Filme haben uns geprägt. Rosi war und
ist wie ein Licht, das unseren Weg begleitet, ein Vorbild
für Zivilcourage ohne Angst, unbequem zu sein.
Ambra Sorrentino-Becker
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lich heiratet. Der aufwändige Kostümfilm ist Rosis Huldigung an die populäre Volkskultur, wie sie sich in Fabeln, Märchen und Legenden niederschlägt. Seine
Absicht war es, Archetypen dieses traditionellen Märchens mit originellen Figuren und Allegorien in einer
Mischung aus Realismus und Phantastik auf die Leinwand zu bringen. Der Regisseur musste allerdings
deutliche Kompromisse mit seinem Produzenten Carlo
Ponti schließen, um seine Hommage an die »vorkapitalistische Volkskultur« zu realisieren. Die sozialkritischen
Untertöne sind kaum noch wahrnehmbar.
Francesco Rosi
▶ Samstag, 5. Dezember 2015, 18.30 Uhr
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Il caso Mattei (Der Fall Mattei) | Italien 1971 | R:
Francesco Rosi | B: Francesco Rosi, Tonino Guerra,
Nerio Minuzzi | K: Pasqualino de Santis | M: Piero
Piccioni | D: Gian Maria Volonté, Renato Romano,
Franco Graziosi, Gianfranco Ombuen, Luigi Squarzina |
116 min | OmeU | Das Porträt des italienischen Wirtschaftsmanagers und Erdölmagnaten Enrico Mattei,
der 1962 auf ungeklärte Weise bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, fügt sich zu einem Bild der italienischen Gesellschaft und Politik. Die innere Struktur
von SALVATORE G. wird wieder aufgenommen, d. h. die
Sequenzen sind nicht in chronologischer Reihenfolge,
sondern nach thematischen Gesichtspunkten montiert.
»Ich wollte Mattei in seiner ganzen Problematik und
unter den verschiedenen Aspekten zeigen und gleichzeitig die Fragen, die seine Aktivität aufwarf. Zweifellos
waren es zunächst positive Aspekte, die dann zu beunruhigenden Aspekten wurden, je mehr er aus der Rolle
des ›Staatsdieners‹, wie er sich selber gerne bezeichnete, in die eines Staatschefs hineinwuchs. Damit wurden vielfältige Fragen aufgeworfen.« (Francesco Rosi)
▶ Sonntag, 6. Dezember 2015, 18.30 Uhr
Tre Fratelli (Drei Brüder) | Italien 1980 | R: Francesco
Rosi | B: Tonino Guerra, Francesco Rosi frei nach Andrej
Platonov | K: Pasqualino de Santis | M: Piero Piccioni |
D: Charles Vanel, Michele Placido, Philippe Noiret, Andréa Ferréol, Vittorio Mezzogiorno | 111 min | OmeU |
Drei Brüder kehren nach dem Tod der Mutter in ihr Heimatdorf im südlichen Italien zurück – und bringen
damit Italiens Gegenwart mit sich. In der Nacht vor der
Beerdigung prallen ihre unterschiedlichen politischen
Meinungen aufeinander. »Das war der Wunsch, das Gefühl, das mich angetrieben hat, DREI BRÜDER zu machen. Alle Bürger – von welchem Standort, von welcher
Ideologie aus auch immer – müssen heute versuchen,
einen Punkt der Begegnung zu finden, um aufzubauen,
nicht um zu zerstören. Das war mein Bedürfnis. Aber,
wie ich meine, ein Bedürfnis nach Neuaufbau. Denn
wenn es nichts Konstruktives gibt, herrscht Tod. Und
wenn der Tod herrscht, gibt es keine Möglichkeit mehr,
an einen Neuaufbau zu denken.« (Francesco Rosi)
▶ Mittwoch, 9. Dezember 2015, 18.30 Uhr
La Tregua (Atempause) | Italien 1997 | R: Francesco
Rosi | B: Francesco Rosi, Tonino Guerra, nach dem
Roman von Primo Levi | K: Marco Pontecorvo, Stefano
Coletta | M: Luis Bacalov | D: John Turturro, Rade Serbedzija, Massimo Ghini, Stefano Dionisi, Teco Celio |
113 min | OmeU | Rosis letzter Spielfilm erzählt von der
Odyssee des aus KZ-Haft befreiten jüdischen Chemikers und späteren Schriftstellers Primo Levi während
seiner Rückkehr in seine italienische Heimat. Behutsam
werden dabei die Stationen einer emotionalen und geistigen Öffnung reflektiert. »Wie Levis Buch vorgibt, zeigt
Francesco Rosi nicht den Schrecken der Vernichtung
selbst, sondern den Umgang mit den unmittelbar zurückliegenden traumatischen Erlebnissen während der
Heimkehr per Fußmarsch durch Osteuropa. Der Druck
des täglichen Überlebens ist vom Ich-Erzähler Primo
gewichen, aber wie lässt sich von nun an das Leben
führen? John Turturro spielt diese Hauptfigur reduziert:
Vor allem seine großen staunenden Augen bleiben in
Erinnerung.« (Rüdiger Suchsland)
▶ Freitag, 11. Dezember 2015, 18.30 Uhr
Cristo si è fermato a Eboli (Christus kam nur bis
Eboli) | Italien 1979 | R: Francesco Rosi | B: Raffaele La
Capria, Francesco Rosi, Tonino Guerra, nach dem
Roman von Carlo Levi | K: Pasqualino de Santis | M:
Piero Piccioni | D: Gian Maria Volonté, Paolo Bonacelli,
Alain Cuny, Léa Massari, Irene Papas | 150 min | OmeU
| Carlo Levi, Arzt, Maler und Schriftsteller aus Turin,
wird 1935 vom Mussolini-Regime in ein süditalienisches Bergnest verbannt, wo er eine von Zeit und
Geschichte gleichsam vergessene Welt entdeckt. »Das
Dorf Gagliano, seine Häuser, Gassen und Treppen, der
Dorfplatz, auf dem sich abends die signori versammeln;
der schattenhafte Zug der Bauern zur Feldarbeit im ersten Morgengrauen; die düsteren, beinahe oder ganz
fensterlosen Wohnräume, in denen sich um die Feuerstelle alles Leben von Mensch und Kleingetier und, in
den hohen schmalen Betten, auch das Sterben abspielt … – all das zeigt Rosi mit der Empfänglichkeit,
dem Staunen, auch mit der Neugier dessen, der es
zum erstenmal wahrnimmt, und bei allem Detailreichtum verfällt seine Schilderung nie ins kalte Registrieren
des Ethnographen.« (Alexander J. Seiler)
▶ Samstag, 12. Dezember 2015, 18.00 Uhr