Teubener, Katy (2003)

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Teubener, Katy (2003)
Flanieren als Protestbewegung
Katy Teubener
Der jahrhundertealte Traum, das Universum für eine gerechtere Verteilung von
Chancen und Besitz mit Kommunikationsnetzen zu durchflechten scheint
endgültig ausgeträumt. Hatte Michel Chevalier, Anhänger des französischen
Sozialreformers Henri de Saint Simon, 1836 noch hoffnungsvoll behauptet, das
Kommunikation „nicht nur die räumlichen Entfernungen, sondern auch die
gesellschaftlichen Abstände zwischen den Klassen“ (zit. nach Flichy 1994: 92)
reduziere, so gilt das Internet vielen Medienkritikern inzwischen als der
schlagkräftigster Beweis für die mit dem technischem Forschritt in Wahrheit
einhergehende Monopolisierung von Ressourcen.
So wenig dieser Beitrag das Problem etwa des Digital Divide zu leugnen versucht,
so sehr ist ihm daran gelegen zu zeigen, was das Internet ungeachtet aller
Kommerzialisierungsversuche und vielmehr als sämtliche Medien vor ihm auch
heute noch ist - ein Ideenpool für unterschiedlichste Formen des Widerstands. Um
dieses emanzipatorische Potenzial zu erkennen, bedarf es jedoch nicht nur eines
differenzierten Widerstandsbegriffs, dem sich der erste Teil des Textes mithilfe
konkreter Beispiele zu nähern versucht, sondern auch einer kritischen Betrachtung
des Online-Verhaltens von Frauen und Männern, die Aufgabe des zweiten Teils
ist und der Sensibilisierung für die Notwendigkeit eines veränderten
Zeitverständnisses im Netz, auf die der dritte und letzte Teil zielt
Hacktivismus - Ziviler Ungehorsam im Netz
Von der breiten Öffentlichkeit als Widerstand wahrgenommen werden vor allem
die zumeist spektakulären Aktionen der sogenannten Hacktivisten. Es handelt sich
dabei um Netzutopisten, die von der Hoffnung getragen sind, „dass das Internet
die Macht vom Zentrum an den Rand, von den Großen auf die Kleinen, von den
Regierungen
und
Unternehmen
auf
die
Individuen,
die
sich
Interessengemeinschaften online zusammenfinden, überträgt“ (Krempl 1999)
1
in
Zu den bekanntesten Vereinigungen im „Goldenen Zeitalter des Hacktivismus“
(Niall McKay 1998) zählt die New Yorker Künstlergruppe Electronic
Disturbance Theatre, die für ihren Angriff auf die Homepage des Pentagon im
September 1998 ein Java Script namens Floodnet nutzte, dass die gegnerische
Seite zum Absturz bringen sollte. Weil die Aktion im Vorfeld angekündigt
worden war, konnte das amerikanische Verteidigungsministerium mit einem
eigenen, nun die Browser der Angreifer attackierenden Java-Applet antworten. In
einem Artikel des Online-Magazins Network World sprach der Information
Warfare-Experte Winn Schwartau von einem historischen Wendepunkt im
Cyberkrieg: „The first time - that we know of - that the U.S. military launched a
cyber counter-offensive against people within the United States“ (Schwartau
1999). Mit dem Gegenangriff des Pentagon wurde der virtuelle Raum hinter dem
Computer offiziell zum „Schlachtfeld“ der amerikanischen Armee erhoben neben Land, Wasser, Luft und Weltraum.
Zu den subtiler agierenden Aktivisten des digitalen Zeitalters gehören die
Anhänger von ®TMark (sprich ArtMark). Sie richten ihre Angriffe nicht gegen
Regierungseinrichtungen, sondern gegen jene Institutionen, die den Finanzmarkt
beherrschen und damit den Lebensstil von Millionen Menschen prägen, im Fall
ungesetzlichen, da nicht selten ausschließlich profitorientierten Handelns jedoch
nur beschränkt haftbar sind: die multinationalen Konzerne. ®TMark versteht sich
als Koordinationsstelle eines Medienaktivismus, der auf humorvolle und
gleichzeitig
eindringliche
Art
und
Weise
das
fehlende
soziale
Verantwortungsbewusstsein von Unternehmen anklagt. Auf der Website der
‚Corporate
Culture’-Saboteure,
die
sich
bezeichnenderweise
derselben
Geschäftspraktiken bedienen wie ihre Gegner, finden sich zahlreiche „Fonds“ in
die der User per Mausklick investieren kann, wenn er zur Realisierung einer
bestimmten Aktion beitragen möchte (vgl. ®TMark 2003).
Als einer der erfolgreichsten Spendenempfänger von ®TMark gilt The Barbie
Liberation Organization, ein anonymes Kollektiv beherzter Cyberguerilleros, die
3.000 Dollar erhielten, nachdem sie 1993 passend zum Weihnachtsgeschäft die
Stimmen von 300 sprechenden Barbies durch die der Soldatenfigur GI Joe
2
vertauscht hatten. Während Barbie ihren neuen Puppenmuttis ungewohnte Sätze
wie „No escape for the guilty!“ entgegenbellte, fragte Joe seine erstaunten Käufer
mit leise kichernder Stimme: „Wanna go shopping?“ (vgl. B.L.O 1993)
Als ein besonders gelungener Sabotageakt entpuppte sich auch der 1996 von
®TMark gesponserte Angriff auf die Computerspielefirma Maxis und deren
Produkt SimCopter, „a macho slaughterfest computer game“ (Bunn 1998), das
kurz davor stand, in den Verkauf zu gehen und wie sein Vorgänger SimCity hohe
Gewinne abzuwerfen versprach. Ein für 5.000 Dollar angeheuerter Programmierer
des Unternehmens ersetzte die auf Sexsymbole reduzierten Frauenfiguren des
Spiels durch muskulöse, homosexuelle Männer in Badeanzügen – „die
homoerotische Veränderung des Spiels als Statement gegen eine heteromännlich
dominierte Computerspielindustrie“ (Wu 1998). Der Coup fiel erst auf, als bereits
über 50.000 Kopien des Spiels in Umlauf gebracht worden waren (vgl. Silberman
1999).
Weil ihre Angriffe immer häufiger in den Sicherheitsnetzen der Gegner
hängenbleiben oder gar mit Gegenangriffen beantwortet werden, und selbst
erfolgreiche Netzattacken nur in den seltensten Fällen von den klassischen
Medien wahrgenommen und über die Internet-Gemeinde hinaus bekannt gemacht
werden, praktizieren immer mehr Hacktivisten eine Kombination aus virtuellem
und realem Widerstand. Wie dies aussehen könnte, zeigte sich der
Weltöffentlichkeit besonders eindrucksvoll anlässlich des dritten Treffens der
World Trade Organization (WTO) am 30. November 1999 in Seattle. Vereint im
Kampf gegen die Ausbeutung von Mensch und Natur für den Profit der
internationalen
Menschenmenge
Konzerne
aus
gelang
es
einer
Umweltschützern,
bunt
zusammengewürfelten
Kriegsgegnern,
Landwirten,
Gewerkschaftsmitgliedern, Schülern und Studierenden das Treffen mithilfe von
Strassen- und Häuserblockaden empfindlich zu stören (vgl. Sharples 2000).
Wie selbstverständlich nutzten die Globalisierungsgegner dabei auch jene
Produkte, die dem globalen Markt entstammen, allen voran das Internet.
Monatelang hatten zahlreiche Websites unter dem Motto „Let our resistance be as
transnational as capital!“ auf den Protest vorbereitet und linke, antiautoritäre
3
Gruppen sowie Einzelpersonen aufgerufen, ihre eigenen, unabhängigen Aktionen
gegen das kapitalistische System zu organisieren. „Unsere gleichzeitige und
koordinierte Transformation der herrschenden Ordnung weltweit - in Straßen,
Stadtvierteln, auf Feldern, in Fabriken, Büros, Wirtschaftszentren, Finanzzentren
usw. - könnte getrennte Kämpfe zusammenführen und alternative soziale und
ökonomische Strukturen aufbauen“, hieß es auf der Anti-WTO Homepage N30
(N30 1999).
Dem Ziel der weltweiten Vernetzung verschiedenster Aktivistengruppen dient bis
heute das im Zuge der WTO-Konferenz in Seattle gegründete Independent Media
Center (IMC). Weil sich die Berichte der etablierten Medien über die Ereignisse
am
30.
November
zumeist
auf
Sachbeschädigungen
einiger
weniger
Krawallmacher konzentrierten, dokumentierte das IMC im Gegenzug den
polizeilichen Einsatz von Schlagstöcken und Tränengas gegen tausende friedliche
Demonstrierende. Obwohl der inzwischen mit über 100 Niederlassungen weltweit
vertretenen Vereinigung abgesehen von einigen Hard- und Softwarespenden
damals gerade einmal 75.000 Dollar für die Realisierung ihrer Aktionsvorhaben
zur Verfügung standen, sorgte sie für eine im zivilen Ungehorsam noch nie
erlebte Medienoffensive (vgl. Bodzin 1999). Getreu dem Motto „If you don't like
the news, go out and make some of your own“ (Wes 'Scoop' Nisker) belieferten
400 Freiwillige die Öffentlichkeit mit Video-, Audio-, Text- und Photomaterial,
das wiederum von diversen alternativen Medienorganisationen kostenlos online
publiziert wurde.
Das Internet bot in Seattle jedoch nicht nur die Möglichkeit der Organisation
klassischer Protestformen wie der Blockierung von Straßen und Häusern, sondern
auch der Etablierung neuer Formen des Widerstands. So hatten beispielsweise die
britischen Electrohippies zu einem virtuellen Sit-In gegen die WTO-Homepage
aufgerufen. Auch wenn es der Gruppe nicht gelang, den anvisierten Server durch
permanente Browseranfragen zum Absturz zu bringen, soll sich der Datenfluss an
diesem Tag zumindest als sehr zähflüssig erwiesen haben (vgl. MacMillan 1999).
Noch empörter als auf diese Aktion reagierte WTO-Generaldirektor Mike Moore
auf eine Internet-Seite, die das Web-Design seiner Organisation imitierte, aber
4
deren Politik der Globalisierung und des Freihandels auf das Schärfste kritisierte
(vgl. Gatt 2003). Die Öffentlichkeit werde durch illegale und unfaire Praktiken
irregeführt und die WTO-Transparenz unterminiert, teilte Moore in einer
Presseerklärung mit (vgl. ®TMark 1999). Hinter der geklonten Website, die in
Anspielung an den WTO-Vorläufer General Agreement for Traffic and Trade
gatt.org genannt wurde, verbarg sich abermals die Aktivistenvereinigung
®TMark.
Persönliche Homepages - Produktionsformen authentischer Erfahrung
Die medienwirksamen Auftritte einiger Hacktivisten lassen mitunter übersehen,
dass netzgestützter Ungehorsam nur in den seltensten Fällen politischen Zielen
unterliegt. Charakteristisch für den ‚Eigensinn’ des Internet ist vielmehr die in
virtuellen
Nischen
gelebte
Phantasie
unzähliger
‚No
Name-User’:
Büroangestellte, die während ihrer Dienstzeit in die anonyme Welt der Chatrooms
abtauchen, Jugendliche, die ihre Freizeit mit der Gestaltung aufwendiger FanPages verbringen, Familien, die sich per Webcam in ihren Wohnungen
beobachten
lassen.
Diese
im
Verwertungssinn
angeblich
wertlose
Phantasietätigkeit wird nach wie vor massiv ausgegrenzt und unterdrückt. So etwa
von den Gründer der digitalen Umweltschutzorganisation Bios, die aus Angst vor
einer Überflutung des Internet durch „Millionen vergammelter, hässlicher,
nutzloser Websites“ auf eine Anerkennung der virtuellen Welt als „digital
environment, als tatsächliche, schützenswerte Lebensumwelt des Menschen“
drängten (Bios 2001). Gute Websites seien zum Leben zwar nicht so wichtig wie
gesunde Wälder und saubere Flüsse, „zur gezielten, befriedigenden Information
oder zum problemlosen Buchen, Einkaufen, Kommunizieren“ aber unerlässlich
(ebd.). Aus diesem Grund hatte das Berliner Start-up-Unternehmen auf seiner
Homepage einen „digitalen Trashcan“ eingerichtet, in den jeder Internet-User
seinen ganz persönlichen „Infoschrott“ abladen durfte. Wie wenig die
Netzgemeinde von dieser ‚Säuberungsaktion’ hielt, zeigte sich daran, dass die
meistgehasste Website im Bio(s)-Müll, die Seite der Umweltschützer selbst war
und alsbald vom Netz genommen wurde. Der von Bios vollmundig versprochene
5
Zeit- und Geldgewinn genoss offensichtlich nur bei den wenigsten ihrer Besucher
höchste Priorität.
Dass die seit Jahrtausenden ins Abseits gedrängte Phantasietätigkeit der
Menschen unermesslich groß und schier unausrottbar sein muss, vermuteten
bereits Oskar Negt und Alexander Kluge in ihrem 1981 erschienenen
„Gebrauchsbuch“ Geschichte und Eigensinn. Dort schreiben sie:
„Die aus der Gesellschaft abgezogenen Motive verschwinden nicht aus der
Gesamtökonomie der Eigenschaften, sondern arbeiten dort weiter, wo sie am
geschütztesten sind, im Subjekt. Der Eigensinn der Rebellion tritt, gleichsam
verpuppt, in Gestalt des Privaten auf (Negt / Kluge 1981:765).
Auch wenn persönliche Homepages und die sich in ihnen wiederspiegelnde
Phantasietätigkeit von der Mehrheit der Internetnutzenden nach wie vor kaum
mehr ernten als ein müdes Lächeln, so beweisen sie doch, dass bislang allenfalls
in der Privatsphäre geduldeter, dass heißt in den Untergrund der Geschichte
verbannter Eigensinn mit Etablierung der neuen Medien immer stärker an die
(Benutzer)Oberfläche drängt. Ebenso wie Hacktivisten vermögen auch Betreiber
‚schrottiger’, das heißt quer zum Kapitalverwertungsinteresse stehender
Homepages zur Schaffung globaler Alternativöffentlichkeiten beizutragen, in
denen sich die blockierte gesellschaftliche Erfahrung nicht zuletzt von Frauen
emanzipatorisch organisieren kann.
2. Teil
Um das Widerstandspotenzial insbesondere des World Wide Web zu erkennen
bedarf es jedoch vorrangig der Loslösung von irreführenden Metaphern, allen
voran der des „Information Superhighway“ (Al Gore). Mit der DatenautobahnMetapher ist die Vorstellung vom Internet als einem Service-Paradies erwachsen,
in dem angeblich alles, jederzeit und völlig mühelos zu haben ist. Erfahrene
Internet-Nutzern wissen, dass diese Annahme einer Überprüfung im OnlineAlltag nicht standhält. Denn im Unterschied etwa zu Fernsehzuschauern, die
gemäß den Worten des Philosophen Günther Anders die Welt ins Haus geliefert
bekommen, müssen Computer-Nutzer sich immer selber auf den Weg machen
6
und versuchen, das unbekannte Land namens ‚Cyberspace’ zu kartographieren,
um sich in ihm verorten zu können. Doch dazu bedarf es nicht zu
unterschätzender Anstrengungen und eines hohen Maßes an Neugier und
Entdeckungslust. Mehr noch als Männern scheint es jedoch gerade Frauen an
letzterem zu mangeln.
„For men it’s a toy, for women it’s a tool“
Zahlreichen Studien zufolge erwarten Frauen vom Internet in erster Linie
Informationen und Dienstleistungen, die ihnen helfen, ihre Mehrfachbelastung
durch Beruf, Familie, Partnerschaft und Haushalt zu verringern (vgl. u.a. Nielsen
NetRatings 2002). 90 Prozent der von dem US-amerikanischen Marktforscher
Digital Marketing Services (DMS) befragten Mütter etwa geben an, das Internet
aus Gründen der Zeitersparnis zu nutzen (vgl. NFO 2003:199). Einfachheit und
Effizienz im Netz stehen bei den Frauen folglich an erster Stelle. Männer
dagegen, darin sind sich die Studien ebenfalls einig, nutzen die neuen Medien
eher als ‚Spielzeug’. Und fast immer schleicht sich bei dieser Formulierung ein
leicht abschätziger Unterton hinein. Völlig zu Unrecht, wie sich bei genauer
Betrachtung herausstellt. Denn nicht Pragmatismus, sondern Spielfreude hat das
Internet zu dem werden lassen, was es heute ist - eine kulturelle und eben
keineswegs bloß technische Errungenschaft.
Einen der vielleicht überzeugendsten Beweise hierfür liefert Linux, ein frei
zugängliches
Betriebssystem,
an
dem
tausende,
vorwiegend
männliche
Computerenthusiasten in aller Welt seit Jahren unermüdlich basteln. Ohne feste
Strukturen und Hierarchien ist es der Programmierergemeinde um Linus Torvalds,
Gründer und Idol der über das Internet koordinierten Bewegung, gelungen, ein
Produkt zu schaffen, das wegen seiner hohen Qualität mittlerweile auch von
internationalen Konzernen und staatlichen Einrichtungen genutzt wird.
Weitaus faszinierender als sein technischer Wert ist jedoch die mit Linux
verbundene Idee gesellschaftlicher Kooperation und öffentlichen Eigentums an
7
Produktionsmitteln1: Ein Programm, mit dem sich möglicherweise wie im Fall
Microsoft Milliarden verdienen ließe, wird der Allgemeinheit von privilegierten,
da an den Informationsflüssen teilhabenden Mitgliedern der Gesellschaft
kostenlos zur Verfügung gestellt. Der englische Soziologe Richard Barbrooks
spricht in diesem Zusammenhang von „Cyber-Kommunismus” (Barbrooks 1999).
Als erfolgreiche Unterwanderung des Kapitalismus deutet auch Andrew Leonard,
Initiator einer historischen Dokumentation Freier Software, die selbst in einem
offenen Entwicklungsprozess verfasst wurde (vgl. Leonard 2000), die Aktivitäten
der Open Source-Anhänger:
„[...] capitalism's own success has led to the rise of a class of people (free-software
hackers) and an infrastructure (the Internet) that together are carrying out and
facilitating the successful subversion of capitalism. Who cares if the Soviet Union
failed? Capitalism itself may be its own worst enemy” (Leonard 1999).
Dass sich dem Kapitalismus immer wieder mächtige Gegner in den Weg stellen,
die nur über beträchtliche Zugeständnisse zu besänftigen sind, haben Oskar Negt
und Alexander Kluge bereits in ihrem 1972 erschienenen Buch Öffentlichkeit und
Erfahrung vortrefflich zu beschreiben vermocht. Dort heißt es:
„Könnte das Kapital diesen Weg zum insgesamt toten System, zu einer immer
reineren Darstellung des Eigentums- und Kapitalverhältnisses konsequent beschreiten,
so bestünde die Möglichkeit, die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zu verewigen.
Es muss aber, um auf diesem Weg vorwärtszuschreiten, in immer größerem Umfang
Lebensverhältnisse, lebendige Arbeit, menschlichen Rohstoff aufnehmen. Der
Kapitalismus muss sich am Menschen ‚verunreinigen’. Dies macht seine extreme
Labilität aus“ (Negt / Kluge 1992:309)
So hat etwa mit dem Siegeszug von Linux eine „Kultur des Schenkens“ (Eric S.
Raymond 1998 - 2000) eingesetzt, die auch das renommierte Massachusetts
Institute of Technology (MIT) 2001 veranlasst haben dürfte, aus seinem
Kursangebot auf dem Netz keinen Profit mehr schlagen zu wollen, sondern seine
1
Linus Torvalds ließ seine Erfindung 1992 unter dem Copyright der „Free Software Foundation“ (FSF) registrieren. Ziel
der FSF ist die Entwicklung von Programmen, deren Quellcode nicht, wie sonst üblich, geheimgehalten wird, sondern von
den Benutzern nach Bedarf modifiziert und angepasst werden darf. Das Copyright, die „GNU General Public License“,
dient im wesentlichen dazu, dass freie Software auch frei bleibt und der Nutzung, Verbreitung und Veränderung von Open
Source-Produkten kein privater Riegel vorgeschoben wird.
8
Seminare,
Vortragsnotizen,
Problemlösungen,
Examen,
Simulationen,
Vorlesungsvideos etc. weltweit in einem 100-Millionen-Dollar-Programm als
Open Course Ware (OCW) kostenlos zur Verfügung zu stellen und damit die
Frage
des
Intellectual
Property
neu
zu
diskutieren.
Was
als
pure
Technikbegeisterung einiger Weniger begann, hat nicht nur im Bildungsbereich
einen bedeutenden gesellschaftlichen Wandel in Gang gesetzt.
„Web Travelers Follow Beaten Paths to Similar Sites“
Frauen, die das Internet nicht nur als Kampfansage an das „Old Boys Network“,
das heißt als gewinnbringendes Beziehungsgeflecht verstehen, sondern es unabhängig von der Geschlechterfrage und allen Unkenrufen zum Trotz - vor
allem als ein demokratisches, da Meinungsvielfalt förderndes Medium schätzen,
dürfen einen spielerischen und das heißt immer auch zeitintensiven Umgang mit
ihm nicht scheuen. Doch genau hier liegt das Problem.
Laut Statistik nutzen Frauen das Internet seltener und kürzer als Männer, was
darauf zurückzuführen ist, dass sie vorwiegend gezielt suchen und sich weniger
von den Informationsangeboten ‚verführen‘ lassen. Ihre Vorstellung vom Internet
als einem Werkzeug des Denkens erinnert an die Worte der französischen
Wissenschaftler Gilles Deleuze und Félix Guattari, die bereits 1976 von einem
epochalen Wandel des Buches sprachen und für alternative Formen der
Wissensgenerierung warben:
„Das Buch hat aufgehört, ein Mikrokosmos nach klassischer und abendländischer Art
zu sein. Das Buch ist kein Bild der Welt und noch viel weniger Signifikant. Es ist
nicht schöne organische Totalität, auch nicht mehr Einheit des Sinns. Michel Foucault
antwortet auf die Frage, was für ihn ein Buch sei: eine Werkzeugkiste. Und Proust,
dessen Werk voller Bedeutungen stecken soll, meinte, dass sein Buch wie eine Brille
sei: probiert, ob sie euch passt; ob ihr mit ihr etwas sehen könnt, was euch sonst
entgangen wäre; wenn nicht, dann lasst mein Buch liegen und sucht andere, mit denen
es besser geht. Findet die Stellen in einem Buch, mit denen ihr etwas anfangen könnt.
Wir lesen und schreiben nicht mehr in der herkömmlichen Weise. Es gibt keinen Tod
des Buches, sondern eine neue Art zu lesen. In einem Buch gibt's nichts zu verstehen,
9
aber viel, dessen man sich bedienen kann. Nichts zu interpretieren und zu bedeuten,
aber viel, womit man experimentieren kann. Ein Buch muss mit etwas anderem
›Maschine machen‹, es muss ein kleines Werkzeug für ein Außen sein. Keine
Repräsentation der Welt, auch keine Welt als Bedeutungsstruktur. Das Buch ist kein
Wurzelbaum, sondern Teil eines Rhizoms, Plateau eines Rhizoms für den Leser, zu
dem es passt. Die Kombinationen, Permutationen und Gebrauchsweisen sind dem
Buch nie inhärent, sondern hängen von seinen Verbindungen mit diesem oder jenem
Außen ab. Ja, nehmt was ihr wollt“ (Deleuze / Guattari 1992:Vorbemerkung)
Über den gebrauchswertorientierten Zugang der Frauen zum Internet dürften sich
Deleuze
/
Guattari
freuen,
nicht
jedoch
über
ihren
Mangel
an
Experimentierfreude, der bei genauer Betrachtung zu einer bedauerlichen
Entwicklung beigetragen hat: „Webreisende folgen den ausgetretenen Pfaden zu
ähnlichen Orten“ titelte bereits 1999 die L.A. Times. Sie hatte eine Studie in
Auftrag gegeben, die zu dem Ergebnis kam, dass sich im Netz dieselben
Konzentrationsprozesse vollzögen wie überall sonst auch. So hätten im Juni 1999
bereits 39,4 Prozent aller Netzreisenden ihre Online-Zeit bei den Top 100
Websites verbracht. Bei den Top 50 Websites seien es 35 Prozent gewesen, bei
den Top 10 Websites 19,2 Prozent. Der Marktforscher Reston glaubt sogar, dass
die 10 größten Websites 32 Prozent der Aufmerksamkeit der Surfenden auf sich
ziehen (vgl. Rötzer 1999). Bestätigt wird diese Einschätzung durch Sean Kaldor,
Marktforscher bei Nielsen NetRatings, der beobachtet hat, das amerikanische
Internet-Nutzende im Durchschnitt lediglich 10 Seiten pro Monat ansteuern (vgl.
Nielsen NetRatings 2000). Doch nicht nur in den USA, sondern auch in
Deutschland erfolgt das Aufsuchen von Web-Seiten in hohem Maße habitualisiert
wie eine Studie von ARD und ZDF aus dem Jahr 2002 zeigt.
„Die meisten Nutzer (86 %) geben im Allgemeinen gezielt eine Adresse ein (oder
rufen diese über ihre Bookmarks auf). Dabei werden (fast routinemäßig) häufig die
selben Anbieter aufgesucht. Das Surfen bzw. das Erkunden neuer Seiten ist bei den
meisten Nutzern eher ein seltenes Ereignis. Entsprechend gering ist auch die Zahl der
aufgesuchten Homepages pro privater Internetsitzung: Im Schnitt suchen die Nutzer
pro Sitzung sechs Seiten auf. Männer haben etwas mehr Seiten (sieben), die sie
ansteuern, als Frauen (vier). Auch von den Jüngeren, Unter-30-Jährigen werden mit
durchschnittlich acht Seiten pro Internetsitzung mehr Homepages angesteuert als von
den älteren Nutzern“ (van Eimeren u.a. 2002:355).
10
Darüber hinaus stellt die Studie fest, dass der Zugriff auf einzelne Angebote in
hohem Maße individualisiert stattfindet:
„Die Internetanwender haben sich ein persönliches Koordinatensystem im Web
geschaffen, das sie immer wieder zum Ansteuern ihrer Favoriten verwenden. Diese
persönlichen Fixpunkte dienen vor allem der Reduktion von Komplexität im Netz, die
in der Anfangsphase der Internetnutzung für die meisten Internetanwender verwirrend
und unüberschaubar war“ (ebd.).
Da Frauen häufiger als Männer Online-Neulinge sind, ihr Bild vom Internet als
Dienstleistungseinrichtung sie aber seltener auf virtuelle Erkundungsfahrt gehen
lässt, geraten viele von ihnen geradezu zwangsläufig in die Hände von
Netzanbietern, deren Ziel es ist, die Surfenden bereits an den Toren zur Datenwelt
- den Portalen - abzufangen, um sie von dort aus in mehr oder minder
festgeschriebene Denkbahnen und Handlungsroutinen zu lenken. In vielen Fällen
mit Erfolg. Anstatt ins offene Datenmeer hinauszufahren, begeben sich allein in
Deutschland knapp fünf Millionen Frauen (vgl. TNS Emnid 2002:30) auf den
Weg in die sicheren, da überwachten Info-Pools der Online-Dienste, wo sie
garantiert auf zielgruppenspezifisch gebündelte Inhalte stoßen, nur in den
seltensten Fällen jedoch wirkliche Entdeckungen machen. Im Vergleich zu
Männern, die das Internet - statistisch gesehen - eher als Erlebnisraum begreifen
und entsprechend mehr Zeit damit verbringen, es zu erkunden, unterwerfen es
viele Frauen genau jenem Leistungsprinzip, das sie in ihrem Alltag als
Hausfrauen, Mütter und Berufstätige nur allzu häufig als erdrückend erfahren.
Demnach bemisst sich der Wert des Internet an der Möglichkeit Zeit und Geld zu
sparen.
Computeranwender, die das Internet aus Angst vor Orientierungs- und Zeitverlust
mit Hilfe von professionellen Providern zu durchqueren versuchen, ähneln in
auffallender
Weise
Pauschaltouristen.
Dienstleistungsunternehmen
an,
die
sie
Auch
diese
möglichst
vertrauen
schnell
und
sich
ohne
Anstrengungen an ihren Zielort bringen sollen. Und so wie der NeckermannKunde von seinem Reiseland in der Regel nicht viel mehr kennenlernen als das
gebuchte Hotel und den dazugehörigen Strand, so vermögen auch der AOL11
Kunde sein Ziel in keinen Zusammenhang zu stellen. Die angebotenen
Informationen erscheinen ihm lediglich als isolierte Fakten. Computeranwender,
die ihren Besuchsort dagegen in Eigenregie erkunden, lernen auch dessen
Umgebung kennen.
Technisch unterstützt wird dabei, wer möchte, von einer stetig wachsenden Zahl
grafischer Suchmaschinen, die eine Internet-Quelle durch Darstellung ihres
Umfeldes, das heißt anderer Quellen, mit denen sie verlinkt ist, kritisch
einzuschätzen helfen und damit dem Wunsch besonders von Frauen nach
kontextsensitiven Hilfen nachkommen. Explizit erwähnt sei die französische
Meta-Suchmaschine
Kartoo,
die
seit
Anfang
2003
auch
über
ein
deutschsprachiges Interface erreichbar ist. Die gefundenen Seiten werden in einer
übersichtlichen Karte zweidimensional, räumlich angeordnet. Die thematischen
Relationen zwischen den Ergebnissen werden mit Verbindungslinien angezeigt.
Jede Farbe symbolisiert ein bestimmtes Thema (vgl. Kartoo 2003). Weniger in
Form einer Karte als eines, vor allem bei hohem Vernetzungsgrad, imposanten
Kristalls präsentiert dagegen die US-amerikanische Meta-Suchmaschine MapStan
Search ihre Ergebnisse (vgl. MapStan Search 2003).
Eine grundsätzlich andere Form der Visualierung von Netzstrukturen erwartet den
Online-Nutzenden unter der Internet-Adresse WebBrain.com. Es handelt sich
dabei um den Versuch, die katalogbasierte Suchmaschine dmoz.org mit Hilfe
eines
animierten
Interface
neu
zu
organisieren.
WebBrain
bietet
ein
dreidimensionales Navigationssystem, das verwandte Begriffe ohne Rangordnung
direkt miteinander verknüpft. So hat zum Beispiel der Begriff ‚Arbeit‘ eine
direkte Verbindung zu ‚Karriere‘ und ‚Einkommen‘, aber auch zu ‚Ungleichheit‘
und ‚Sucht‘. Der Vorteil dieser Art Suchmaschine ist offensichtlich:
“Scrolling through lists is no way to surf the Internet. Current search engines are great
if you know exactly what you're looking for, but if you don't... finding a Web site of
interest can be time consuming and unsatisfying. WebBrain is both searchable and
browseable. WebBrain gives you a visual map of the Web. You don't have to know
what you're looking for. You can simply dive right in, click through categories and
discover worlds of Web sites on topics of interest to you. WebBrain lets you see
12
related areas of interest and stuff that you never knew existed. You can do specific
searches too”! (TheBrain 2000)
Im Unterschied zu herkömmlichen Web-Navigationssystemen, die durch ihre
starre bzw. hierarchische Strukturierung androzentrische Verzerrungen aufwiesen
und es Frauen dadurch erschwerten, sich im virtuellen Raum zurechtzufinden, gilt
den Gender-Forscherinnen Britta Schinzel und Esther Ben die von TheBrain
gewählte
Darstellungsmethode
als
gelungenes
Beispiel
für
eine
Orientierungshilfe, die das Navigationsverhalten von Männern und Frauen (die
eher frei navigierten oder verknüpfte Informationen wie in Hypertexten
bevorzugten) gleichermaßen berücksichtigt (vgl. Schinzel / Ben 2002:15).
Der Visualisierung von Informationen im Netz dient auch der Atlas of
Cyberspaces, eine faszinierende Sammlung cybergeographischer Karten, die der
britische Wissenschaftler Martin Dodge seit mehreren Jahren immer wieder neu
zusammenstellt. Nach verschiedenen Kategorien sortiert, zeigen sie Datenflüsse,
Verknüpfungen, Infrastrukturen sowie Informationslandschaften und leisten damit
einen wichtigen Beitrag zur Selbstverortung des Reisenden im Internet (vgl.
Dodge 2003).
Digitaler Einbahnstraßenverkehr
Weil sich jedoch ungeachtet aller Navigations- und Orientierungshilfen immer
weniger Online-User die Mühe machen, auf Abwegen zu surfen und Orte zu
entdecken, die jenseits des Mainstream liegen, gibt es immer mehr InternetSeiten, die unentdeckt bleiben. Eine im Mai 2000 veröffentlichte Studie der USFirmen Altavista, Compaq und IBM widerlegt die von Physikern der University
of Notre Dame in Indiana aufgestellte Theorie, nach der jede Seite im Netz nicht
weiter als 19 Mausklicks von jeder anderen entfernt ist (vgl. Albert u.a.1999). Die
Untersuchung von annähernd 200 Millionen Websites und 1,5 Milliarden
Hyperlinks hat ergeben, dass das Internet vielmehr die Form einer Fliege (in der
Bedeutung einer Querschleife am Kragen) hat, das heißt in vier Regionen zerfällt,
die nur eingeschränkt miteinander verknüpft sind (vgl. Broder u.a. 2000).
13
Den „Knoten” der Fliege, das heißt den „Kern“ des Internet bilden rund 30
Prozent aller Websites. Innerhalb dieses Kerns bestehend aus zumeist
kommerziellen Seiten mit Nachrichten, Unterhaltung, Einkaufsmöglichkeiten
usw. kann problemlos hin- und hergeklickt werden.
Mit dem Knoten der Fliege verbunden sind zwei „Schleifen”, deren Anteil jeweils
24 Prozent beträgt. Es handelt sich dabei zum einen um „Anfangsseiten” (z.B.
private Homepages mit Linklisten), von denen der Internet-Nutzende zwar zum
Knoten gelangen kann, aber nicht umgekehrt, und zum anderen um „Endseiten”,
die wiederum nur vom Knoten aus zu erreichen sind; hier befinden sich wichtige
Informationen (z.B. Forschungsberichte von Universitäten), aber keine Verweise
auf den Kern.
Der vierte Bereich des Internet, rund 22 Prozent, besteht aus Seiten, die überhaupt
nicht mit dem Knoten verbunden sind. Davon sind 10 Prozent isolierte „Inseln”,
die kaum eine Suchmaschine findet, während die restlichen 12 Prozent immerhin
in Form von „Ranken” mit den Schleifen der Fliege verbunden sind.
Insgesamt ist die von Altavista, Compaq und IBM im Mai und Oktober 1999
durchgeführte Studie mehr als ernüchternd: Entgegen der weit verbreiteten
Vorstellung vom Cyberspace als global village bereitet sich auch das Internet
„gemäß der altbekannten Verteilungsmustern von Geld und Bildung aus - im
Zentrum der Datenwelt siedeln Großunternehmen, Geldinstitute, Universitäten
und smarte Städte - während ländliche Regionen und die gesamte Dritte Welt an
den Rand des Datenuniversums gedrängt werden“ (o.V. 2000). Zusammen mit
den unzähligen Betreibern persönlicher Homepages hoffen sie dort von ‚InternetFlaneuren’ entdeckt zu werden - nicht selten vergebens.
Flanieren im Cyberspace
“Wir kennen die Kunst des Spazierens nicht, die Kunst des Flanierens. Die Gabe
ist uns versagt, uns einer Stunde ganz hinzugeben und nicht zu sorgen für den
kommenden Morgen”, schrieb einst Victor Auburtin über die Bevölkerung Berlins
(zit. nach Neumeyer 1999:151f.). Wie in der Realität so scheinen auch in der
14
Virtualität „Spazierengehen und Laster so ungefähr dasselbe” (ebd.:152). Dabei
ermöglicht das ziellose, keiner Zweckrationalität unterworfene Schlendern im
Netz das Wahrnehmen von Dingen, für die der Raser auf dem Information
Superhighway keinen Blick hat.
“Gegen den zunächst berechtigt erscheinenden Einwand der Beschäftigten: ‘Wir
haben keine Zeit, spazierenzugehen!’ mache ich dem, der diese Kunst erlernen oder
nicht verlernen möchte, den Vorschlag: Steige gelegentlich auf Deinen Wegen eine
Station vor dem Ziel aus dem Autobus oder Auto und ergehe dich ein paar Minuten ...
Es ist das unvergleichlich Reizvolle am Spazierengehen, dass es dich ablöst von
deinem mehr oder weniger leidigen Privatleben. Du verkehrst, du kommunizierst mit
lauter fremden Zuständen und Schicksalen ... Der richtige Spaziergänger ist wie ein
Leser, der ein Buch nur zu seinem Zeitvertreib und Vergnügen liest - ein selten
werdender Menschenschlag heutzutage, da die meisten Leser in falschem Ehrgeiz wie
auch die Theaterbesucher sich verpflichtet halten, ihr Urteil abzugeben (ach, das viele
Urteilen!) ... Also, eine Art Lektüre ist die Straße. Lies sie. Urteile nicht. Finde nicht
zu schnell schön und hässlich. Das sind ja alles so unzuverlässige Begriffe” (Hessel
1979:Klappentext).
Und wer verweilen kann, so möchte man den Worten des Schriftstellers Franz
Hessel hinzufügen, kann auch über das nachdenken, was er sieht, so dass die
Bewegung des Flanierens die Möglichkeit zu einer kritischen Inspektion der
realen (etwa Berlin) wie auch virtuellen Stadt (Telepolis) eröffnet (vgl. ebd.:39).
Nur wer sich dem Internet mit der Haltung eines Flaneurs nähert, und wie Hessel
in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts auf „ungeahnte Abenteuer des Auges“
(ebd.:130) zu gehen bereit ist, wird es zudem als das erhalten, was es ungeachtet
aller Kommerzialisierungsversuche auch heute noch ist - als Ideenpool für
unterschiedlichste Formen des Widerstands (vgl. hierzu und im folgenden
Teubener 2002).
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