Die Theatermacher vom 16.05.2012

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Die Theatermacher vom 16.05.2012
no. 6
Heute Augsburg – Zeitung der 30. Bayerischen Theatertage 2012
Nightmare on Fugger Street.
16. Mai 2012
Foto: Archiv
Augsburg, der Zorn Gottes
Was wäre das beschauliche Städtchen am Lech ohne seine beispiellose Filmtradition?
Wenn Reime rumpeln: „Augsburg ist ´ne
schöne Stadt, da lässt es sich gut leben,
nun fahren wir zum Auswärtsspiel und
benehmen uns daneben.“ Ob dieser
Woche für Woche durch Hooligans von
Frankfurt bis Berlin mit Leben erfüllte, jeweils lokal variierte Klassiker des
Fußballgegröles auch von den zahmen
Augsburger Fans geschmettert wird,
entzieht sich unserer Kenntnis. Wenn,
dürfte dies allerdings niemanden verwundern, kann sich „die älteste Stadt
Bayerns“ (Eigenwerbung) doch wirklich sehen lassen. Häuser und Straßen:
prunkvoll und ausladend. Die Menschen:
zugewandt und weltoffen. Die Frauen:
leicht bekleidet. Wenn hier nur auch
sonst noch ein bisschen mehr los wäre!
Doch zum Glück kann Augsburg auf
eine beispiellose Filmtradition zurückblicken. Kaum eine andere Stadt hat sich
so nachdrücklich in die Cineastenherzen
eingebrannt. Hier eine lose Aufreihung
der bedeutendsten Hervorbringungen:
Denken wir zunächst wehmütig an das
berühmte Liebesdrama AUGSBURG mit
Humphrey Bogart und Ingrid Bergman.
Ergreifend, wie unterdrückte Schwaben
in Ricks Café am Ende feierlich die Bayern-Hymne intonieren. AUGSBURG - OFFENE STADT: Nicht mit der Bergman diesmal, doch von ihrem späteren Ehemann
Roberto Rossellini in Szene gesetzt, ein
Klassiker des Neorealismus, ein Film über
den Widerstand gegen die deutschen Besatzer und ihre faschistischen Satrapen.
Wer Frauenfilme mag, hält es eher mit
SCHLAFLOS IN AUGSBURG: Tom Hanks
und Meg Ryan in einer romantischen
Komödie über Liebe, die durch die Ohren geht. Wieder Hollywood, dieses Mal
in traurig: LEAVING AUGSBURG, ein oscargekröntes Hollywooddrama mit Nicolas
Cage als Alkoholiker, der mit seiner Sucht
sich selbst und seine Beziehung zerstört.
Thomas Mann setzte der Stadt in TOD
IN AUGSBURG ein Denkmal: morbider
Charme, melancholische Gondelfahrten,
Tadzio verzaubert Aschenbach. München
hat den Familienvater hart gemacht,
Augsburg lässt ihn wieder erweichen.
ÜBER DEN DÄCHERN VON AUGSBURG: Cary
Grant als Meisterdieb, Grace Kelly als
gewiefte Millionärstochter. Hier bewies
Krimimeister Hitchcock, dass er auch das
Komödienfach beherrschte – ausschließlich an Originalschauplätzen gedreht.
DAS AUGSBURGER KETTENSÄGENMASSAKER: Schlingensief, der Theatermann
als Filmregisseur. Wie KATHEDRALE DER
ANGST, nur ohne Ossis und an der frischen Luft. Für Actionfans gibt es JAMES
BOND: LIEBESGRÜßE AUS AUGSBURG: Ein
Ausflug in die sagenumwobene Zeit, als
die einstmals mondäne Metropole noch
durch einen eisernen Vorhang von der
westlichen Welt getrennt war. In die gleiche Kerbe schlug AUGSBURG GLAUBT DEN
TRÄNEN NICHT, der zum ersten Mal ein
TATSACHEN
realistisches Bild von den kargen Lebensbedingungen der Stadt zeichnete.
Der süddeutschen Stadt der Liebe widmete sich auch Woody Allens MIDNIGHT
IN AUGSBURG: Owen Wilsons nächtliche
Zeitreisen ins Augsburg der zwanziger
Jahre; was muss das für eine Zeit gewesen sein, als sich Picasso, Buñuel und
Dalí hier die Klinke in die Hand gaben.
EIN AMERIKANER IN AUGSBURG: Vincente Minnellis charmanter Musicalfilm
mit dem Steppvirtuosen Gene Kelly
als Künstlerhallodri - leichtere Kost als
Martin Scorseses Porträt seiner Heimatstadt, GANGS OF GÖGGINGEN: Mitte des
neunzehnten Jahrhunderts, ein Bandenkrieg zwischen Einheimischen und irischen Einwanderern. Für Partywütige
gibt es AUGSBURG CALLING mit Star-DJ
Paul Kalkbrenner in der Hauptrolle: Eine
Hommage an die unvergleichliche Club-
szene für all diejenigen, denen Brecht
und die Fugger nichts mehr sagen. Tresor, Berghain, Watergate, das Schwabenvenedig als Mekka für Nachtschwärmer.
Wim Wenders im Doppelpack: HIMMEL
ÜBER AUGSBURG mit Bruno Ganz und
Otto Sander, ein erdschwerer Engelsfilm
über einer geteilten Stadt, der jedoch
die Meisterschaft des Vorgängers AUGSBURG, TEXAS zu keiner Zeit erreichte.
Vom Neo-Western zum Klassiker: Das
Genre verdankt der Lechkloake einige
erwähnenswerte
Hervorbringungen.
HÖLLENFAHRT NACH HERRENBACH, im
englischsprachigen Raum als Stagecoach
zur Berühmtheit gekommen, ein frühes
Meisterwerk John Fords mit dem noch
jungen John Wayne in einer ungebrochener Heldenrolle. Leider nicht überzeugend: TODESZUG NACH SPICKEL. Da
schon eher 16.50 AB HAUNSTETTEN –
Hardcore-Fans von Who-dunnit-Krimis
dürften sich noch sehnsüchtig an dieses
Abenteuer von Miss Marple erinnern.
Kinski meets Herzog, das Duell zweier
großer Exzentriker: HOCHZOLL, DER ZORN
GOTTES - ein allzu hartes Urteil. Unvergessen auch LETZTES JAHR IN AUGSBAD, Alain
Resnais‘ verwirrender Film über AntiDéjà-vus und die Wahrnehmung der Zeit.
Ein weiterer Klassiker: AUGSBURG MONOGATARI (REISE NACH AUGSBURG), Yasujiru
Ozus meditatives Meisterwerk über ein
älteres Pärchen, dass zum ersten Mal seine Kinder in der großen Stadt besucht.
Auf der großen Leinwand hat diese
Stadt also schon längst bewiesen, was
zu leisten sie imstande ist. Bleibt nur
noch zu hoffen, dass auch die diesjährigen Theatertage an diese unvergleichliche künstlerische Tradition anknüpfen.
Arne Kolterman
Royal Republic: Ironie war nie ehrlicher!
Foto: Archiv
Mein erstes Mal...
Theater machen!
Eine Literdose Faxe! Für jeden! Philip
hat - wie immer - vorgesorgt. Dazu alles was die Freundschaft braucht: Einen
VW Lupo, gesammelte Frauengeschichten des abgelaufenen Semesters und
Simpsons-Zitate. Unterlegt von einem
Kassettendeck, das die Schönheit der Erwartung beschwört. Ein Konzertbesuch.
Heute füllen Royal Republic die großen
Hallen, damals, vor ein paar Jahren – und
dies findet hier nicht ohne Stolz seine Erwähnung – nicht. 126 Mann sind da, aufgerundet. Das tut den Songs keinen Abbruch und, wie es sich für schwedische
Poserbands mit Holzfäller-Bartwuchs
gehört, der Darbietung ebenso wenig.
„I can see your Underwear from down
here“, röhrt es. Niveau ist, was man draus
macht. Die Geschichte des Rock‘n‘Roll
handelt nicht von Selbstkontrolle. Also
auf den Zug aufgesprungen, dessen lebensbejahendes Vorbeirauschen Mädchen mit weißen Stiefeln gerne mit heraufgezogenen Augenbrauen quittieren.
Es ist Zeit für schlechte Witze: „Play Summer Of 69!“ ist meine lautstarke Ansage
in die Ansage des Gitarristen hinein. Weil
ich in der dritten von drei Reihen stehe,
kommt die Botschaft an. Ein müdes Lächeln, nächster Song. Das Spiel wieder-
holen wir zwei noch ein paar mal, bis
es schließlich heißt: Ok, this goes out
to the annoying guy over there! So you
can shut up! Dann akkordunterlegt: „I
got my first real six-string / Bought it at
the five-and-dime / Played it ‘til my fingers bled / Was the summer of 69.“ In
einem Wort: Wooooowooooo! Ironie
war nie ehrlicher. Und fand die hübsche
Brünette mit Piratenohrringen das nicht
gerade witzig?! Nein, fand sie nicht. Aber
Philip lacht. Und wir beide merken – die
guten Abende sind jene, an denen die
Grenze zwischen Bühne und Zuschauerraum in einem Liter Faxe verwischt.
Lukas Wilhelmi
KRITIK
So jung kommen wir nie wieder zusammen!
Foto: Jochen Quast
Das Sein und das Nichts
Katja Ott inszenierte das meistdiskutierte Rätsel der
Dramentheorie als komödiantische Sinnsuche
Sie streiten, sie keifen, sie knurren. Sie
lachen, sie weinen, sie murren. Und sie
warten. Warten auf Godot. Wie lange
schon? Das lässt sich nicht sagen. Zwei
alte Sessel stehen da vor einem schwarzen, die ganze Leere widerspiegelnden
Hintergrund. Links ein Baum mit herabhängenden Blättern. Über den beiden
Wartenden baumelt das fahle Licht einer Straßenlaterne. Sonst nichts. Spötter
nannten Samuel Becketts modernen Klassiker „das Stück in dem nichts passiert.
Zweimal“. Dass dies nicht stimmt, dafür
sorgen die beiden Darsteller: Werner Galas und Horst Schily verleihen Wladimir
und Estragon, diesen vagen Vagabunden,
eine ungeheure emotionale Präzision.
Mit großem stimmlichen Einsatz tänzeln
sie leichtfüßig auf der ganzen Bandbreite menschlicher Wesenszustände: wütend, entnervt, entspannt, phlegmatisch.
Zwei alte Käuze, die sich anschreien, in
den Arm nehmen, sich aufmuntern oder
niedermachen. Es ist, als würde man ein
altes Ehepaar beobachten, dann wieder erinnern sie mehr an kleine Kinder.
KOMM, WIR GEHEN
Katja Ott, Intendantin des Theater Erlangen und Regisseurin des Stücks, inszenierte Becketts Stück sehr textnah
und ohne große Regiegesten. Große
Änderungen wären ohnehin schwierig: Beckett legte großen Wert auf eine
textgetreue Umsetzung seiner Werke.
Es geht in dieser Inszenierung um die
nicht beantwortbaren Fragen nach dem
Sinn des Lebens und der menschlichen
Existenz. Wir sehen: Das (Über-)Leben
als sich stetig wiederholendes Ritual.
Und die ganze Absurdität des Daseins
bündelt sich in den Gesten und der
Mimik der Darsteller. Becketts Text ist
durchdrungen von einer großen Tragik,
die besonders in den leisen Momenten
zum Tragen kommt. „Komm wir gehen“,
sagt Estragon. „Wohin?“, fragt Wladimir
zurück und Estragon kann mit nichts
als Stille antworten. Auch Pozzo und
sein Knecht Lucky, gespielt von Hermann Große-Berg und Robert Naumann,
scheinen die Last aller Tragödien der
Menschheit auf ihren Schultern zu tragen, so gebückt schleicht zunächst der
eine, dann der andere über die Bühne.
WOHIN?
Zugleich findet sich eine große Komik in
Becketts Stück. Henri Bergson definierte
diese Komik einst in seinem Aufsatz „Das
Lachen. Ein Essay über die Bedeutung
des Komischen“ als mechanischen Prozess. Und an einen solchen erinnern die
Figuren tatsächlich in ihrem sich Immerwieder-neu-erinnern, in ihrem stetigen
Bemühen, dem Warten Sinn zu verleihen.
Am Ende ist Godot noch immer nicht
gekommen. „Also? Wir gehen?“, fragt
Wladimir. „Gehen wir!“, entgegnet Estragon. Aber nichts geschieht. Pierre Jarawan
INTERVIEW
Im Ernstfall: Weisse Robbe
Jochen Strodthoff bildet zusammen mit Judith Al Bakri den Kern des 2006 gegründeten Münchner Performancekollektivs HUNGER&SEIDE. Sie treten heute zweimal mit ihrer
Performance BUMM! DER ERNSTFALL im tim auf. Britta Schwem hat die beiden zum
Gespräch getroffen.
Die Theatermacher: Herr Strodthoff, vorab herzlichen Glückwunsch zur Verleihung des George-Tabori-Förderpreises
am 24.05.2012 in Berlin. Was bedeutet
dieser Preisfür die Arbeit von HUNGER
& SEIDE, jetzt und in der Zukunft?
Jochen Strodthoff: Ich denke, der Preis
bedeutet, dass unsere Arbeit jetzt stärker wahrgenommen werden wird, viel-
In dieser Arbeit stellen Sie die Frage
nach dem Rest, der bleibt, wenn alle
gesellschaftlichen und individuellen
Strukturen in die Krise oder Katastrophe geraten. Vom großen Ganzen zum Bruchstück, wie verlief diese Suchbewegung durchs Material?
Das große Thema; mit dem wir uns seit
WER IST DEIN WOLF? beschäftigen,.
gischer, weil wir hier ja keine Figuren
spielen. Daher geht es uns hauptsächlich darum, einen direkten persönlichen
Zugang zu finden. Was bleibt Dir noch,
wenn Du nichts mehr hast? Was macht
Dich aus? Dafür machen wir Sammlungen. Da wird viel erfunden und wieder
verworfen. Nach einem ersten Probenblock des „Vermüllens“ hat Judith Al
Bakri dann den Text geschrieben. Im
zweiten Probenblock haben wir dann
versucht die Situationen zu verdichten.
Zu Beginn Ihrer Performance bestäuben sich alle Performer mit weißem Staub, der an die weißen Aschewolken von 09/11 erinnern. War
dieser Moment ihr Ausgangspunkt?
Jochen Strodthoff und Judith Al Bakri
leicht werden wir dadurch etwas öfter
eingeladen, aber sicher werden wir zukünftig auch mehr auf dem Prüfstand
stehen. Mich freut am meisten, dass dieser Preis mit George Tabori verbunden
ist, den ich immer sehr bewundert habe.
Wie werden Sie die mit dem Preisgeld
verbundene, mehrwöchige Künstlerresidenz an der Ostsee nutzen?
Als kreative Pause, Ideenschmiede mit
Meerblick oder zweite Probenbühne?
Das wissen wir momentan auch noch
nicht. Die Residenz ist für 2013 geplant. Mal schauen, wer von uns alles
mitkann. Ich finde die Einladung jedenfalls super und bin mir sicher, dass
uns da schon etwas einfallen wird.
Bei den Bayerischen Theatertagen
wird HUNGER&SEIDE die Produktion BUMM! DER ERNSTFALL zeigen.
Foto: Franz Kimmel
ist die Frage nach unseren Ängsten.
Diesmal haben wir uns zunächst ganz
konkret mit der Situation in Notlagern
beschäftigt. Was passiert da überhaupt,
wie läuft das da ab? Ein wichtiger Gesprächspartner war Andreas Hänsel,
der uns viel von seiner Arbeit mit dem
Kriseninterventionsteam berichtet hat.
Dazu kam die Recherche diverser Sicherheitsmaßnahmen wie sie unter
anderem das Bundesamt für Katastrophenschutz in solchen Fällen bereit hält.
Uns interessierte unsere Angst vor der
Angst, die von der Krise unaufhörlich geschürt wird. Hält uns diese Schockstarre
nicht von einer der wichtigsten Frage
überhaupt ab: Wie wollen wir leben?
Wie verlief der Probenprozess?
Die Proben beschreiben eine gemeinsame Suchbewegung. Es ist ein thematischer Ansatz, weniger ein psycholo-
Wir haben ein einfaches archaisches Bild
gesucht, das eine totale Auflösung erzählt,
ohne zu psychologisch zu sein.Wir sehen
es überall, wennHäuser einstürzen und
verstaubte Menschen hilflos herumirren.
Die Krise, die wir meinen, ist eher die
Finanzkrise, so gesehen war 2007 der
Ausgangspunkt, als man merkte, dass
das einfach nicht mehr lange gut gehen
kann. Das Tolle an dem Mehl, mit dem
wir uns überschütten, ist übrigens, dass
es sich über den Abend im ganzen Raum
ausbreitet. Das finde ich sehr sinnlich.
In Ihrem Stück fällt der Satz „Katastrophen geben uns den Augenblick zurück“. Wie ist dieser Satz im Kontext
der Performance zu verstehen? Welche
aktuelle Qualität hat Unmittelbarkeit?
Das ist ein Satz von Judith, die immer
unsere Texte schreibt. Die Katastrophe
wie die Kunst haben ja beide die Fähigkeit, Augenblicke stark aufzuladen
und unmittelbar erfahrbar zu machen.
Ich bin kein Theaterwissenschaftler,
aber meiner Meinung nach geht Performance noch einen Schritt weiter,
indem sie dem Zuschauer größere Freiräume anbietet. So gesehen ist die Performance die Kunst der Katastrophe.
GLOSSE
Das Publikum sitzt auf Feldbetten mit
auf der Bühne und wird so zum angespielten Gegenüber und bespieltem
Requisit der Inszenierung. Welche Möglichkeiten bietet diese Bühnensituation?
Grundsätzlich glaube ich ja nicht an
Requisiten, weil diese nur die Dinge
darstellen, die sie behaupten zu sein.
Die Objekte, die persönlichen Alltagsgegenstände, die wir benutzen, sind
immer ein reales Gegenüber. Wir wollten, dass die Zuschauer auf den Feldbetten die gleiche Erfahrung machen
wie wir. Interessant ist, dass wir die
Zuschauer in dieser Raumsituation viel
individueller wahrnehmen. Dieser gemeinsame Raum bietet wirklich viele
Möglichkeiten, die wir noch lange nicht
ausgeschöpft haben, weil wir ja kein
Mitmachtheater machen wollten. Und
trotzdem könnten wir noch viel weiter
gehen. Wie weit, gilt es herauszufinden.
In Ihrer letzten Arbeit WER IST DEIN
WOLF? setzten sie sich mit den bestialischen Strukturen der Kapitalisierung auseinander und spielten ironisch mit den Elementen des
Horror(trash)films. Ein
zähnefletschender Wolf taucht auf… In BUMM
sucht eine weiße, tapsige Robbe den
Kontakt zum Publikum. Ist sie die
neue Ikone der weltweiten Ernstfälle?
theater nicht in der offenen Projektarbeit liegt. Aber das kann sich ja ändern...
Ich glaube, sie ist ein Bild des unschuldigen Opfers, das beschützt werden will.
Nach Fukushima wurden in den Notlagern technisch höchst aufwendige Roboterrobben verteilt, die sehr differenziert auf Streicheleinheiten reagieren.
Andere zu trösten stärkt anscheinend.
Sollte die Freie Szene stärker mit Intuitionen und Förderstrukturen unterstützt
werden? Braucht es einen bayerischen
Hauptstadt-Kulturfond?
Zu den Bayerischen Theatertagen
wurden mehrheitlich klassische Theaterinszenierungen und Literaturadaptionen eingeladen. Besitzt die bayerische
Theaterlandschaft kein performatives
Potential oder wurde es nur übersehen?
Die BTT sind ein Festival der bayerischen
Stadt- und Staatstheater, die sich intensiv
mit der Aufführung von Theatertexten
auseinandersetzen, es ist kein Festival
der Freien Szene, wie beispielsweise das
Münchner RODEO Festival, das Ende Mai
beginnt. Wobei diese Abgrenzungen uns
weniger interessieren, wir spielen mit
HUNGER&SEIDE hier wie dort sehr gerne. Wenn also in Augsburg persönliche
und thematische Ansätze weniger auftauchen, wie Sie sagen, mag es daran liegen,
dass der Schwerpunkt bayerischer Stadt-
Rast im Knast
Wenn Wohnalpträume Wirklichkeit werden: Im oberpfälzischen
Amberg baut man ein mehr als
300 Jahre altes Gefängnis zu
einem Hotel um.
Schaurige Orte hat die Oberpfalz viele: Da irrt schon mal eine weiße Frau
durch die verlassenen Gemächer einer
Burg. Eine Felsenkapelle weist Fingerabdrücke des Teufels auf. Der Leibhaftige
selbst hat einer Sage nach den riesigen
Monolithen in die besonders an nebeligkalten Herbst- und Wintertagen recht
unwirtliche Gegend um die Mausbergkirche in der Nähe von Gebenbach geschleudert. Der Oberpfälzer, er gruselt
sich einfach gern – jetzt auch in Amberg. Die schaurig-schöne Musical-Inszenierung PHANTOM DER OPER Anfang dieses Jahres war den Einwohnern
wohl noch nicht Gruselschocker genug.
Also beschloss man, ein ehemaliges Gefängnis der Stadt zum Hotel umzubauen.
Mit Hochdruck werden derzeit Böden
gedämmt und gefliest, Toiletten und
Foto: Archiv
Duschen installiert und Heizungen angebracht. Schließlich soll es der Gast gemütlich haben im Horror-Hotel, während
er auf dem Flachbildfernseher einen Krimi ansieht. Dass die Gestapo das Haus
zwischen 1933 bis 1945 als Gefängnis
genutzt haben soll, davon weiß ja eh niemand mehr. Schließlich sind die Gefangenenbücher des Landgericht-Gefängnisses
für die NS-Zeit spurlos verschwunden.
Vergangenheitsbewältigung: eher nicht.
Ach, wie wird das schön werden, wenn
das Museums-Hotel im Herbst 2012
seine Tore öffnet! Verweilen, wo andere verendet sind. „Rast im Knast“
nannte das die örtliche Presse. Nachts
Natürlich! Im Ernst: Falls es noch nicht
bekannt sein sollte, die Fördertöpfe für
die Freie Szene sind wirklich lächerlich klein. Und alle arbeiten unter dem
Existenzminimum. Ich glaube, die Stadt
möchte schon mehr fördern, sie kann
es schlichtweg nicht. Es fehlt also eine
politische Entscheidung. Und immer
wieder wandern dann Künstler nach
Berlin ab. Das kann doch in einem so
reichen Land wie Bayern nicht sein, dass
solche kreativen Köpfe weggehen! Das
Potential ist also (noch) da. Es braucht
erst mal nur ganz einfache Strukturen
wie Proberäume, technisch halbwegs
gut ausgestattete Aufführungsorte und
mehr Gastspielförderungen, um Projekte
außerhalb zu zeigen. Ich bin ja ein großer Befürworter eines Münchner Kreativquartiers, weil ich mir darunter einen
lebendigen Ort des Austauschs vorstelle. Ein attraktiver Ort, der auch sexy ist.
wiegt einen das sanfte Rattern der
Guillotine in den Schlaf, während man
morgens mit Fußfesseln zum üppigen Frühstücksbüffet geführt wird.
Auch für die richtige Abendunterhaltung ist gesorgt: Ein freundlicher Herr
spricht den Monolog eines Henkers, bevor er mit den Anwesenden eine ganz
besondere Schnitzeljagd durchs Haus
veranstaltet. Wer am nächsten Tag lebendig in seinem Bett aufwacht, kann
dann auch endlich die ersehnte RadlTour durch die Oberpfälzer Wälder unternehmen, wegen der er überhaupt in
diese Grufti-Bude Rast aufgemacht hat.
Die Autorin Lena Kettner ist zu einem Viertel oberpfälzisch – schließlich
kommt ein Großteil ihrer Verwandten
aus Amberg und Umgebung.Wenn heute Abend „3165 – Monolog eines Henkers“ vom Landestheater Oberpfalz gezeigt wird, sitzt sie in der ersten Reihe.
Im Amberger Knast-Hotel möchte sie
aber lieber nicht nächtigen. Dann stattet sie doch lieber der Oma im Schlafdorf
Ursulapoppenricht einen Besuch ab.
ENDE
Heute Augsburg
IN EIGENER SACHE…
Unterwegs mit C. Bernd Sucher
Sechster Pendlertag:
Der schlimme Herr Geißrathner
Herr Sütterlin sitzt im Zug. Ich ahnte es.
Er möchte wissen, wie es mir ergangen
sei. Ich halte mich zurück, zitiere nur
Heinrich Heine. „Schlaftrunken kommen geschwommen heran Haifische,
viele hundert, Sie glotzen nach dem
Schiff hinauf, sie sind verdutzt, verwundert.“ Sütterlin fragt, was ich damit meine. „Haifischbecken, Herr Sütterlin. Jeder
Text unserer Zeitung kommt auf den
Prüfstand, nicht bloß in der Redaktion,
sondern innerstädtisch und überregional.“ Er möchte ein Beispiel. Ich verweigere es ihm, höflich. „Gut“, sagt er,
„dann rede ich. Ich brauche Ihren Rat.
Sie scheinen vernünftig zu sein, trotz
Ihres Berufs.“ Ich reagiere nicht. „Wir
haben einen Nachbarn, den Herrn Geißrathner. Er sammelt für alle möglichen
Sachen. Für eine Stiftung Therese von
Konnersreuth, für gehörlose Kinder in
Ingolstadt und für die Verhungernden in
der Sahelzone. Ich hab ihm immer was
gegeben – ohne Spendenquittung, Sie
verstehen mich. Und nun hat sich seine
Schwester eine Pension gebaut im Kleinen Walsertal.“ – „Und jetzt denken Sie,
das Geld ging zur Schwester!“ – „Genau. Ich wusste, Sie sind vernünftig.“
Kurz vor München, er verdächtigt
gerade Herrn Gaißrathner auch der
Steuerhinterziehung, fragt er, wer eigentlich die Theatertage finanziere. Seltsamer Gedankensprung. „Das, lieber
Herr Sütterlin, erkläre ich Ihnen bei
unserer nächsten gemeinsamen Fahrt.“
Ein Tag ohne Augsburg – wie wird das
sein?, überlege ich auf dem Weg zur U-
Bahn. Und wie könnte ich ihn augsburgisch überbrücken? Da ich Brechts Stücke so ganz und gar nicht schätze – außer
BAAL und TROMMELN IN DER NACHT –,
entscheide ich mich für die 1940 entstandene Erzählung „Der Augsburger Kreidekreis“ und für die Texte seines Vorbilds,
der chinesischen Dichterin Li Qingzhao.
Eines ist sicher – ich werde dazulernen.
Und mit dem neuen Wissen angeben,
hier an dieser Stelle. Morgen in Augsburg!
MARIUS
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Zum Wintersemester 2012/13 nimmt der
Ergänzungsstudiengang
THEATER-, FILM- UND FERNSEHKRITIK
neue Studenten auf!
Der zweijährige Ergänzungsstudiengang erfordert
ein bereits abgeschlossenes Studium, journalistische Kenntnisse sind erwünscht. Das Studium
umfasst die Vermittlung theoretischer Fachkenntnisse an der Hochschule für Fernsehen und Film
und der Bayerischen Theaterakademie, sowie die
praktische Ausbildung durch Feuilletonredakteure
großer Tages- und Wochenzeitungen zum Kulturjournalisten. Der Studiengang vermittelt außerdem Hospitanzen während der Semesterferien.
Weitere Informationen
und Bewerbungsunterlagen:
www.theaterakademie.de / www.hff-muc.de
Tel: 089/ 68957- 8900
eMail: kulturkritik@hff-muc.de
Bewerbungsschluss ist der 15.Juli 2012
(Poststempel!)
IMPRESSUM
Die Theatermacher ist ein Projekt des
Studiengangs Theater-, Film- und
Fernsehkritik der HFF München
Layout: Otto Dzemla
Herausgeber:
Theater Augsburg
V.i.S.d.P.: Prof. Dr. C. Bernd Sucher
Redaktion: Pierre Jarawan, Lena
Kettner (Redaktionsleitung), Arne
Koltermann, Eva Mackensen, Claudio
Musotto, Marius Nobach, Hanna Pfaffenwimmer, Anabel Schleuning, Britta
Schwem, Lukas Wilhelmi
Wir danken unseren Unterstützern