Ach, es hilft alles nichts!
Transcription
Ach, es hilft alles nichts!
70 TrendShopping 30. März 2014 Sternschnuppe des Zeitgeistes 1 Wie die «New York Times» Hipster narrte 3 Der moderne Mensch will ja nichts so gerne sein wie total individuell. Das Kuriose daran ist, dass all jene, die sich als Avantgarde begreifen, darunter exakt dasselbe verstehen, weshalb es mit dem Individuell-Sein dann meist nicht so weit her ist. Anders gesagt: Wenn ein Trend als solcher benannt wird, ist er längst keiner mehr. Richtig: Das mit der Mode ist eine hochkomplexe Angelegenheit. Es sorgte deshalb für Aufregung, als die «New York Times» unlängst einen neuen Trend ausrief. Es sei, sprach die Zeitung, das Monokel zurück! In einem ausführlichen Artikel wurde beschrieben, wie der in Brooklyn und Berlin lebende Hipster neuerdings derart altmodisch bestückt durchs Leben gehe. Weil die «New York Times» eine Zeitung von Weltruf ist, hat nicht nur ihre politische Berichterstattung Gewicht, sondern auch ihre Stilseite. Entsprechend wurde der Hipster sehr aufgeregt. In Zürich, so kann man sich das vorstellen, stellte er sich vor den Spiegel und übte mittels eines eingeklemmten Fünflibers das Zusammenkneifen eines Auges, bevor er hektisch nach einschlägigen Adressen zu googeln anfing. 4 2 5 Unser Shit-Detector leuchtet beim Monokeltragen rot Wir wollen an dieser Stelle höchst offiziell Entwarnung geben, auch wenn wir nicht den Weltruf einer «New York Times» haben. Dafür, um in der Sprache der Trends zu bleiben, haben wir einen gesunden Shit-Detector. Der ausgerufene Trend ist nämlich eine Ente. Kein Mensch trägt Monokel. Ausser den paar Nasen, die im Artikel der «New York Times» vorkommen und mit ihren Augengläsern so doof wie verkrampft aussehen. Aber das mit den Trends ist eben so eine Sache. Sie sind flüchtig, sozusagen eine Art Sternschnuppe des Zeitgeistes, und deshalb auch schnell vergessen. Und so ist wohl auch der NYT entgangen, dass sie vor nicht allzu langer Zeit just jene Stadt, die sie als Beweisführung des Monokel-Trends anführt – Berlin –, als «over» bezeichnete. Bettina Weber 1 Freestyle-Kickboard In Schweizer Schulhäusern gibt es ja neuerdings ganze Abschliesssysteme nur für Scooters und Kickboards. Das Modell Freestyle Scooter MX Trixx von Micro ist bei den Knaben der letzte Schrei. Kostet 149 Franken und wurde mit Spezialisten aus der Stuntszene für Kinderbedürfnisse entwickelt. Beste Adresse für Bezug und Ersatzteile dieser Art: www.scootergarage.ch 2 Retro-Rollschuhe Sie sind wieder entdeckte Accessoires – nicht nur in der Disco: bunte Rollschuhe im Achtzigerjahre-Stil. Dieses Modell gibt es für kleine und grosse Damen. Getragen werden sie – selbstverständlich – mit passen- Rock And Roll Ein Begriff, den Sie sich merken sollten: FäG – fahrzeugähnliche Geräte. Wir zeigen sie für jedes Alter den Gelenkschonern. Bei Retro skates in Deutschland gefunden, werden sie gemäss Hersteller innerhalb weniger Tage auch in die Schweiz geliefert. Diverse Modelle, ab 90 Franken. www.retroskates.de 3 Inlineskates Dieser Inlineskate-Schuh von K2 wächst mit dem Kinderfuss mit. Dank einer neuen Technologie, heisst es, liege der Schwerpunkt niedrig und erleichtere dem Kind das Fahren. Sieht auf jeden Fall dynamisch aus. 139 Franken. www.sportxx.ch 4 Roter Babyroller Das allererste FäG, mit dem Sie Ihr Kind ausrüsten kön- nen. Das Sphero-Velo hat den Red-Dot-Designpreis 2013 erhalten. Mit dem kugelartigen Roller schiebt sich das Krabbelkind vorwärts und hat dabei, wie ein Spontantest ergab, viel Spass. Für 109 Franken bei www.4mybaby.ch 5 Rollbrettli Es sollen ja vor allem die Mädchen sein, die das Rollbrettfahren wieder entdeckt haben. Verstehen wir gut! Gibt es was Tolleres, als einem Mädel dabei zuzusehen, wie es den Buben in der Rampe um die Ohren fliegt? Solide, aber eben auch hübsche Rollbretter gibt es – inklusive Beratung – in der Sportabteilung von Manor. Modell Holiday Aztec für 139 Franken. www.manor.ch Ach, es hilft alles nichts! Die US-«Vogue» hebt Kim Kardashian und Kanye West auf ihr Titelblatt. Das sei das Ende, stöhnt die Branche, der Stuhl von Anna Wintour wackle Die Modewelt ist empört. Anna Wintour, stahlharte Chefredaktorin der auflagenstärksten Modebibel der Welt, hat in der AprilAusgabe das notorischste Paar der Welt auf das Titelblatt gehievt: Kim Kardashian und Kanye West. Der Shitstorm in der Blogosphäre war gigantisch. Man mag die beiden nicht. Sie sind peinlich, sie gehen einem auf die Nerven mit ihrer Allgegenwärtigkeit, mit ihren verzweifelten Versuchen, zur Elite der Coolen dazugehören zu wollen. Da wollen sie hin, unbedingt, weil sie wissen, dass sie trotz ihrer Berühmtheit nur für zwei Dinge stehen: für Vulgarität und schlechten Geschmack. Die Mode aber ist allergisch auf schlechten Geschmack, und sie hasst Vulgarität (es sei denn, sie habe diese gerade selber als Trend ausgerufen). Es verwunderte daher nicht, dass seit geraumer Zeit gemunkelt worden war, Kanye West beknie La Wintour, seiner Zukünftigen doch bittebitte den Ritterschlag zu verleihen, indem sie diese zum Covergirl mache. Man hat darüber gelacht. Und jetzt das: Da guckt nicht nur Kim Kardashian in einer Art Hochzeitskleid vom Titelblatt, sie wird dabei zudem von West umarmt. Die Branche spuckt Gift und Galle; auf Twitter drohten Leserinnen, sie würden das Blatt nie wieder kaufen, während andere orakelten, damit habe sich Wintour einen Bärendienst getan, ihr Stuhl wackle bedenklich. Werbekampagne in eigener Sache Vogue-Chefin Wintour, das aktuelle Titelblatt der Vogue foto: Dukas Alles halb so wild. Was Wintour gemacht hat, ist bloss konsequent. Sie ist nämlich in erster Linie eine clevere Geschäftsfrau. Sie war es, die als Erste die Models vom Titelblatt entfernte und durch Schauspielerinnen ersetzte, weil sie wusste, dass die Mode an sich nur einen elitären, kleiner Zirkel interessiert, mit dem sich keine Auflage machen lässt – es musste breitenwirksamere Prominenz her. Konkret: Die US-«Vogue» hat 3,6 Millionen Follower auf Twitter, Kim und Kanye zusammen 30 Millionen. Das Ganze war also vor allem eine PR-Übung in eigener Sache – für die «Vogue». Schaden wird das Wintour längerfristig kaum, auch wenn das Magazin «US Weekly» im Dezember verlauten liess, es habe trotz (oder wegen?) der Fotostrecke mit Kardashian und ihrem Baby 100 000 Exemplare weniger verkauft als sonst. Umgekehrt wird es allerdings auch nichts ändern: Kim Kardashian und Kanye West werden weiterhin nicht dazugehören, Designerkleider hin oder her. Manchmal hilft eben alles nichts. Bettina Weber