das bild des otaku in densha otoko
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das bild des otaku in densha otoko
Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ..............................................................................1 1.1 Ziel der Arbeit .............................................................................................................. 1 1.2 Methodischer Ansatz und Aufbau der Arbeit .............................................................. 1 1.3 Relevanz und Eingrenzung des Themas....................................................................... 2 2. Das Bild des Otaku...............................................................5 2.1 In der Wissenschaft............................................................5 2.1.1 Etymologie ................................................................................................................ 8 2.1.2 Historie .................................................................................................................... 11 2.1.3 Otaku, Information und Kommunikation................................................................ 12 2.1.4 Otaku und Fanforschung ......................................................................................... 16 2.1.5 Otaku und Subkultur ............................................................................................... 20 2.1.6 Otaku und Gesellschaft ........................................................................................... 22 2.2 In den Medien....................................................................27 2.2.1 Prägende Medienereignisse..................................................................................... 27 2.2.2 Die Berichterstattung heute ..................................................................................... 29 2.2.3 Otaku-Dokumentationen ......................................................................................... 30 2.2.3.1 Otaku no Video..................................................................................................... 30 2.2.3.2 Beineixs’ Otaku.................................................................................................... 32 2.2.3.3 Japanorama.......................................................................................................... 33 2.2.4 Das Bild in den Medien zusammengefasst ............................................................. 33 3. Das Bild des Otaku in Densha Otoko ...............................35 3.1 Entstehungsgeschichte, Erfolgsgeschichte, Mediengeschichte ..................................................................35 3.2 Densha Otoko im Medium TV-Drama .............................36 3.2.1 Verhalten und Auftreten.......................................................................................... 38 3.2.2 Soziales Umfeld ...................................................................................................... 44 3.2.2.1 Die Familie ........................................................................................................... 44 3.2.2.2 Seine Freunde ....................................................................................................... 46 3.2.2.2 Der Arbeitsplatz ................................................................................................... 47 3.2.3 Denshas Entwicklung und seine Beziehung zu Hermes ......................................... 48 3.2.4 Kommunikationsform Onlineforum........................................................................ 52 3.2.5 Otaku, Sexualität und moe ...................................................................................... 57 3.2.6 Akihabara ................................................................................................................ 60 4. Fazit und Ausblick..............................................................63 5. Literatur ...............................................................................66 6. Kommentiertes kanji-Glossar ...........................................73 1. Einleitung 1.1 Ziel der Arbeit Im Jahr 2005 kletterte in Japan ein Roman auf die Bestsellerlisten, der eine recht eigenwillige Form besaß. Er las sich wie der Diskussionsverlauf eines Internetforums und das war er ursprünglich auch gewesen. Im Zuge dieses Erfolgs wurde der Stoff für Film und Fernsehen adaptiert, auch verschiedene Mangaversionen erschienen. Dabei begründete sich die enorme Popularität nicht unbedingt auf der neuartigen Form der Romanvorlage sondern vielmehr auf der erzählten Geschichte. Es handelt sich um eine Liebesgeschichte, die mit den Versatzstücken ‚Verlierer’ und ‚unerreichbare Dame’ spielt. Der Titel der Geschichte: Densha Otoko. Was dieses zunächst einmal recht klassische Erzählmuster aus japanologischer Sicht so interessant macht, ist die Tatsache, dass es sich bei dem Verlierer um einen so genannten Otaku handelt, einen Vertreter japanischer Subkultur, die mit vielem assoziiert wird, bestimmt aber nicht mit einer romantischen Liebesgeschichte. Sie gelten allgemein vielmehr als Angehörige einer in Japan sozial isolierten Randgruppe, die sich aus der Gesellschaft und dem öffentlichen Leben zurückgezogen haben, um ihre gesamte Energie und Leidenschaft auf ein von ihnen erwähltes Interessengebiet oder Hobby zu konzentrieren. Daher ist es bemerkenswert, dass eine Erzählung mit einem solchen Otaku in der Hauptrolle, zu einer derart breiten Beliebtheit gelangte. Ziel dieser Arbeit ist es daher, dem gängigen Bild vom Otaku in Wissenschaft, Gesellschaft und Medien jenes entgegenzustellen, wie es in Densha Otoko gezeichnet wird. Welcher Diskurs ist vorherrschend und wie wird dieser in Densha Otoko übernommen bzw. konterkariert? In wie weit trägt Densha Otoko dazu bei, gängige Klischees zu transportieren, in wie weit trägt er dazu bei, diese zu hinterfragen. Darüber hinaus stellt sich die Frage nach Bedeutung und Einfluss dieser Geschichte auf den geführten Diskurs, besonders im Hinblick auf den überwältigenden Erfolg, um nicht zu sagen ‚Boom’, sowohl von Densha Otoko als auch der Kultur der Otaku im Allgemeinen. 1.2 Methodischer Ansatz und Aufbau der Arbeit Der über die Otaku in der Forschung geführte Diskurs bedient sich verschiedener Wissenschaften und Methodologien als Ausgangspunkt. Unbestritten ist der Otaku jedoch ein Produkt der japanischen Populärkultur der Nachkriegszeit, ein kulturelles und mediales Phänomen, weshalb an erster Stelle wissenschaftlicher Werkzeuge die Cultural Studies stehen soll1 ten. Ebenso wenig wie jedoch die Cultural Studies eine homogene Wissenschaft ist, ist auch der Otaku-Diskurs aufgesplittert in zahlreiche Sub-Diskurse. Im Folgenden wird daher in dieser Arbeit je nach Kapitel und spezifischem Thema, die jeweils adäquate Methodik angewandt. In der Betrachtung des allgemeinen Diskurses sind dies in erster Linie die Cultural Studies, das verwandte Feld der Medienanalyse sowie die Sozialwissenschaften. Dabei soll der Otaku-Diskurs in seiner entstehungsgeschichtlichen und letztlich gegenwärtigen Form herausgearbeitet werden. Gemeinsamkeiten und Unterschiede der jeweiligen Vertreter des Diskurses sollen dabei ebenfalls aufgezeigt werden. Diese so herausgearbeitete Definition des Otaku im Diskurs ist dann wiederum auch als eigene Methodik zu begreifen, die in der nachfolgenden Analyse von Densha Otoko zum Tragen kommen wird. Bezüglich des Aufbaus der Arbeit folgt daher also zunächst eine Betrachtung des vorherrschenden Bilds des Otaku in der Wissenschaft und den Medien, bevor dieses dann mit dem im Densha Otoko vermittelten Bild verglichen werden kann. Dabei ist der wissenschaftliche Diskurs wiederum in verschiedene Ansätze unterteilt, um eine differenzierte Betrachtung zu ermöglichen und gleichzeitig aufzuzeigen, dass ein monodisziplinärer Ansatz der Thematik nicht genüge tun würde. Die anschließende Abhandlung der medialen Geschichte beschränkt sich auf einige Schlaglichter, die entscheidend für das öffentliche Bild des Otaku waren und sind, und bietet darüber hinaus einen kurzen Abriss bedeutender Dokumentationen zum Thema. Auf der so herausgearbeiteten Grundlage erfolgt dann schließlich eine detaillierte Analyse der TV-Adaption des Stoffes vom Densha Otoko, eingeteilt in verschiedene Aspekte, die den Anschluss zum allgemeinen Diskurs zulassen. Das Fazit zeigt dann letztlich noch einmal die Relevanz von Densha Otoko für den Diskurs auf und hebt hervor in wie fern dieser auch Teil des Diskurses geworden ist. Weiterhin bietet er einen Ausblick auf gegenwärtig stattfindende und zukünftig abzusehende Entwicklungen, die die Otaku-Kultur betreffen. 1.3 Relevanz und Eingrenzung des Themas Bei der Betrachtung des Otaku-Diskurses wird eines deutlich werden: Er befindet sich im Wandel und ist gerader in jüngster Zeit wichtigen Veränderungen unterworfen, die ihn an Bedeutung gewinnen lassen. Es ist nun mehr nicht bloß ein gesellschaftliches Problem, das totgeschwiegen wird. Am deutlichsten kann dies vielleicht verankert werden am Begriff des „Gross National Cool“, kurz GNC, eine Wortprägung des Journalisten Douglas McGray 2 (McGray 2002). Er spricht davon, dass Japan mittlerweile die USA als bedeutendsten internationalen Exporteur indigener Popkultur übertroffen hat. Nach dem Abstieg Japans als wirtschaftliche Supermacht in den 1990er Jahre habe Japan nun eine neue Art von Supermacht aus der Taufe gehoben. Seien es japanischer Film, Lifestyle, J-Pop1, Kitty-chan2 oder Manga, spezifisch japanische Kulturformen finden weltweit ihre Anhänger. ‚Spezifisch’ japanisch bezieht sich dabei eben häufig auch auf Kulturformen, die im Allgemeinen in der japanischen Otaku-Kultur verwurzelt sind. So bedient sich beispielsweise ein international erfolgreicher Künstler wie Murakami Takashi3 am reichhaltigen Reservoir japanischer Popkultur, um mit seinem „Superflat“-Stil eine Art japanischer Pop-Art zu schaffen. Er ist damit einer der Prototypen dieses so viel Beachtung findenden „Japanese Cool“. Dieser internationale Erfolg blieb letztlich auch im eigenen Land nicht unbemerkt, Rück- und Wechselwirkungen sind unvermeidlich. Publikationen wie Hotta Junjis Moe, Moe, Japan nehmen McGrays Konzept des GNC wieder auf. So spricht Hotta davon, dass ein durch Rezession politisch und wirtschaftlich schwaches Japan nun im kulturellen Bereich eine Gelegenheit erhält, Einfluss auszuüben (Hotta 2005: 9). Auch eine seit 2006 ausgestrahlte NHK-Sendung, benannt wie die gleichnamige Image-Kampagne, „Cool Japan“, ist ein Indiz für diesen Trend. Gemeinsam mit in Japan lebenden Ausländern unternimmt der Moderator jede Woche den Versuch, zu ergründen, wie und wieso bestimmte Gegenstände japanischer (Populär-) Kultur im Ausland zu solcher Beliebtheit gelangen konnten. Dabei fällt es den Ausländern anheim, die Japaner über ihre „Coolness“ aufzuklären. Spätestens seitdem sich die japanische Fremdenverkehrsbehörde im Rahmen ihrer „Visit Japan Campaign“ auch die Anziehungskraft japanischer Popkultur zu Nutze macht4, verfielen Vertreter der Regierung dem Glauben, man könne mit den Mitteln dieser „soft power“5 sogar Außenpolitik betreiben (McGray 2002). Japans Ansehen, das gerade bei den umliegenden Nachbarstaaten nicht zum Allerbesten zählt, sollte so aufpoliert werden. In wie weit dies gelungen ist oder gelingen wird, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass der Siegeszug japanischer Popkultur sowohl in Asien als auch im Westen nicht aufzuhalten zu sein scheint6. Der Kreis schließt sich spätestens, wenn 1 Popmusik japanischer Prägung Im Westen auch als Miss Kitty bekannte Produktreihe eines niedlichen Kätzchens, deren Konterfei auf allen nur erdenklichen und unerdenklichen Devotionalien prangt, von der Geldbörse bis zum Waffeleisen. 3 Unter anderem mit Ausstellungen im Museum of Contemporary Art in Los Angeles, dem Brooklyn Museum in New York, Roppongi Hills in Tôkyô oder auch ab Oktober 2008 im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt 4 Siehe http://www.jnto.go.jp/eng/indepth/featuredarticles/animation/index.html (Zugang 14/12/07) 5 Laut Joseph S. Nye Jr „the nontraditional ways a country can influence another country’s wants, or its public’s values“ (McGray 2002) 6 So spricht beispielsweise die Universität Frankfurt im Rahmen des japanischen Filmfestivals ›Nippon Connection 2007 von einer „Weltmacht der Popkultur und Vorreiter in Sachen Lifestyle, Konsum und urbaner Lebensführung“ http://www.muk.uni-frankfurt.de/pm/pm2007/0407/052/index.html (Zugang 31/10/07) 2 3 sich die März Ausgabe (2007) der Nipponia7 in einer Schwerpunktaussage zu kawaii8 verblüffend nah an den Thematiken hält, die McGray in seinem Artikel von 2002 behandelte. Es stellt sich also die Frage nach dem Grund des internationalen Erfolges gerade einer solchen Spielart japanischer Kultur, die im eigenen Land bis dato immer einen schwierigen Stand hatte, namentlich die der Otaku-Kultur. Hat ein Umdenken stattgefunden? Werden nun Kulturleistungen anerkannt, die dato eher in die ‚Schmuddelecke’, in das Reich des Infantilen oder zumindest Subkulturellen abgeschoben wurden? Jüngere Publikationen wie das oben erwähnte Moe, Moe, Japan lassen tatsächlich auf einen Wandel schließen. So beschreibt Satô Dai, Drehbuchschreiber für international erfolgreiche Anime-Serien9 , in einem Gespräch mit Douglas McGray den erfolgten Wandel: “[…] we grew up according to educational system [sic!] that told us not to watch and not to even think about making the kind of things we create. We used to hide from our parents and read manga, like this (gestures reading secretly). But if you look at how it is now, parents tell their kids to become manga writers! I do feel awkward about this. I sometimes think: “Boy, otaku today have it easy.” (Japan Society 2005: 9) Vor diesem Hintergrund ist der enorme Erfolg der Geschichte vom Densha Otoko10, umso beachtenswerter, kann er doch vielleicht hilfreiche Antworten zu gegenwärtigen japanischen Befindlichkeiten geben. Dabei beschäftig sich diese Arbeit mit der TV-Adaption des Stoffes, da diese als visuelles und Massenmedium gegenüber der doch eher sperrigen Romanvorlage einen deutlich einfacheren Zugang bietet, prägende Eindrücke schafft und ein größtmögliches Publikum erreicht. Gegenüber der ebenfalls erfolgten Kino-Adaption besitzt sie aufgrund des zeitlich größeren Umfangs auch die Möglichkeit, Charaktere und Plot in stärkerer Detailtiefe darzustellen, was im Rahmen dieser Arbeit eine ebenfalls tiefer gehende Analyse ermöglicht. Die Frage, ob es sich bei der Erzählung um Fiktion oder die Schilderung realer Ereignisse handelt, ist als eher zweitrangig anzusehen. Da der ursprüngliche Veröffentlichungsort ein anonymes Internet-Diskussionsforum war, ist der Wahrheitsgehalt nur schwer überprüfbar. Der kulturellen und sozialen Relevanz tut es aber keinen Abbruch, sollte Densha Otoko nur als eine weitere urban myth klassifiziert werden. 7 Ein kostenloses Magazin und Teil der „Visit Japan“-Kampagne, das in vierzehn Sprachen international vertrieben wird. Zu den behandelten Themen besagter Ausgabe zählen u.a. Kitty-chan, kosupurê (cosplay), moe, aidoru, Murakami Takashi, figyâ, und maids. Siehe zu einigen dieser Punkte auch die spätere Diskussion in dieser Arbeit. 8 Japanisch für “niedlich, süß”, bezeichnet es auch einen ganz bestimmten Stil in Hinsicht auf Kunst, Design und Kultur. 9 Unter anderem Samurai Champloo, Ghost in the Shell: Stand Alone Complex, Cowboy Bebop. 10 Für Verkaufszahlen und Einschaltquoten siehe auch 3.1 Entstehungsgeschichte, Erfolgsgeschichte, Mediengeschichte 4 2. Das Bild des Otaku Seit den 1980er Jahren wurde immer wieder über das Phänomen Otaku publiziert. Sei es trivial, journalistisch, wissenschaftlich oder populärwissenschaftlich, über die Jahre hinweg hat sich ein bestimmter Rezeptions-Diskurs herausgebildet, den ich hier allgemein als OtakuDiskurs bezeichnen möchte. Ob das veröffentlichte Material für eine dezidierte Darstellung ausreicht, oder ob sich die meisten Kommentatoren nur an einem einmal installierten Leitmotiv orientieren, soll in den folgenden Abschnitten verhandelt werden. 2.1 In der Wissenschaft Dem Phänomen Otaku haben sich Vertreter verschiedener wissenschaftlicher Richtungen auf unterschiedliche Weise genähert. Dabei wird der Otaku-Diskurs in teilweise bereits bestehende Theorien und Ansätze eingebettet. Bevor nun bestimmte Strömungen innerhalb des Diskurses herausgearbeitet werden, sollen hier zunächst einige grundlegende Definitionen präsentiert werden, um so einen ersten Einstieg zu bieten. Okada Toshio, selbst erklärter „Otaking“11, bietet in seinem 1996 erschienen Werk Otakugaku nyûmon12 erste Annäherungspunkte. Für ihn sind Otaku „Menschen mit hochsensiblen Augen für Bilder und einem weiterentwickelten Sehsinn“ 13 (Okada 1996: 14), was Murakami Takashi als eine „pathological obsession with realism“ bezeichnet (Murakami 2005: 141). Okada geht weiterhin auf die seines Erachtens nach weit verbreiteter Annahme ein, ein Otaku sei jemand, der in einem bestimmten Gebiet außerordentlich detailliertes Wissen besitzt. Für ihn ist vielmehr wichtig, dass ein Otaku eine Person sei, die nicht in engen Genregrenzen denkt, sondern in der Lage ist, diese zu überschreiten. Ihn 14 zeichne eine 11 Er ist u.a. Mitbegründer der erfolgreichen Animationsfirma Gainax. In den 1990er Jahren gab er an seiner Alma Mater, der Tôkyô Daigaku (Tôdai), auch Seminare zum Thema „Otakulogie“ (otakugaku), zu denen Okada auch eine Online-Präsenz eingerichtet hatte: http://www.netcity.or.jp/OTAKU/univ/. Okada unternimmt dabei mit seinen Auftritten und Vorlesungen den Versuch, Anime im Allgemeinen und das Image der Otaku im Besonderen aus der „Schmuddelecke zu holen und an einen hochkulturellen Diskurs zu koppeln“ (Grassmuck 1999: 257ff). Thomas Lamarre findet es jedoch schwierig, einzuschätzen, ob Okadas Anstrengungen tatsächlich der Ehrenrettung der Otaku gilt oder er sich doch nur profilieren will (Lamarre 2006: 161). 12 Dieser ist im Übrigen ein Begleittext seines Seminars and der Tôdai gewesen. 13 „映像に対する感受性を極端に進化させた「眼」を持つ人間たちがオタクなのだ“; “進化した視覚を 持つ人間である“ 14 Ein grundlegendes Stereotyp ist die Annahme, dass der Otaku fast ausschließlich männlichen Geschlechts ist. Dies ist jedoch nicht der Fall, verschiedene Bericht sprechen dafür, dass der weiblich Anteil mindestens eben so hoch ist. Offenbar verstehen es die weiblichen Otaku nur besser, ihre Leidenschaft nach außen hin zu verbergen. Siehe hierzu beispielsweise auch http://mainichi.jp/enta/mantan/manga/archive/news/2006/09/20060908org00m300076000c.html 5 „hocheffiziente Fähigkeit zur Referenz“15 aus (Okada 1996: 41). Für Okada ist der „OtakuSinn“ 16 gleichbedeutend mit einer Wertevorstellung oder Weltanschauung, wie etwa dem Feminismus, dem „American Way“ oder auch der Ökologie (Okada 1996: 42). Dabei benennt er die Hauptbeschäftigungsfelder mit Anime, PC- und Videospiele, tokusatsu17, Filme und Manga. Die Beschäftigung mit diesen Themenfelder gewinne eben dadurch eine OtakuQualität, dass genreübergreifend konsumiert und reflektiert wird (Okada 1996: 43)18. Volker Grassmuck zufolge sieht Okada die Otaku sogar als Vorreiter einer neuen Lebensform, auch international. Sie wären die „wahren Erben der japanischen Kultur“ (Grassmuck 1999: 257ff). Grassmuck selbst bietet eine allgemeine Definition, die den Otaku in erster Linie durch sein spezifisches Verhalten klassifiziert: „Der Otaku ist ein zurückgezogenes, scheues Wesen, das monomanisch einem Interessengebiet nachgeht, in dem Bestreben, dieses vollkommen zu beherrschen, darin Meisterschaft zu erlangen und dafür nur zu bereitwillig den Preis zu zahlen, alles andere völlig auszublenden.“ (Grassmuck 1999: 157ff) Der Otaku beschäftige sich mit einem „exklusiven Interessengebiet“ auf obsessive Weise, wobei er scheu sei und keinerlei Wert auf soziale Kontakte oder sein Äußeres lege. Wenn auch Grassmuck ebenso wie Okada davon spricht, dass das Interesse des Otaku zumeist im Bereich der Populärkultur zu verorten ist, so stellt er doch fest: „Das Otakutum hat nichts mit einem bestimmten Thema zu tun, es ist vielmehr eine Art und Weise sich darauf zu beziehen“ (Grassmuck 1999: 157ff). Dabei herrschten „negative Konnotationen von bebrillten, sozial unfähigen Bücher- und Medienwürmern“ vor. In einer früheren Publikation (Grassmuck 1993: 267ff) sammelte Grassmuck bereits interessante O-Töne japanischer Journalisten wie die von Tsuzuki Kyoichi19, für den ein Otaku jemand ist, „der sich für etwas Nutzloses begeistert“. Und weiter: „[…]aidoru-, manga- oder Was-auch-immer- otaku bedeutet, dass er nichts anderes hat als das“. Yamazaki Kôichi20 spricht dabei das Hauptproblem des Diskurses an: die exakte Bedeutung des Begriffes sei schwer zu fassen, Definitionen bleiben häufig vage und wenig griffig (Grassmuck 1993: 267ff). 15 „オタクとは高性能のレファレンス能力を持つ人間だ“ „オタクセンス“. Etwas, was ihm westlichen Diskurs wohl gemeinhin als „Otakismus“ bzw. „otakism“ übersetzt wird. Okada verwendet jedoch sowohl otakusensu als auch otakizumu in seiner Diskussion, ohne dass ein Bedeutungsunterschied erkennbar werden würde. 17 TV-Serien mit Spezialeffekten, wie etwa Godzilla oder Ultraman 18 Okada bringt hier diverse Beispiele zu Intertextualität und Selbstreferenzialität von Anime-Serien, wie beispielsweise Kureyon Shinchan. 19 Laut Grassmuck „Ex- Journalist der Yuppy-Zeitschrift "Popeye" und heute Kunst-Redakteur und Herausgeber“ 20 Laut Grassmuck „Alltagshistoriker und eine Autorität auf dem Gebiet der otaku. Er ist Journalist, Herausgeber, Graphik-Designer und vor allem Pop-Kritiker der Asahi Shinbun und für Zeitschriften wie Asahi Journal, Popeye, Takarajima und Weekly Bunshun“ 16 6 Auch Sabine Eisheuer trägt in ihrer Diplomarbeit Otaku - Krankheit oder Mode allgemein gängige Klischees vom sozialen Außenseiter zusammen, der sich „aus sozialen Verbindlichkeiten zugunsten der Distanz und Abgelöstheit […]“ zurückzieht (Eisheuer 2003: 14). Soziale Kontakte finden zwar statt, sind aber eher professioneller als emotionaler Natur (Eisheuer 2003: 22ff). Auch sie zitiert die totale Fokussierung auf ein Thema, entgegen Okadas genreübergreifender Rezeption. Dabei greift sie auf Talcott Parsons Konzept des „Rollenmonismus des Sammlerdaseins“ zurück21. Der Otaku lege beim Nachgehen seines Hobbys Wert auf Perfektion, im Gegensatz zum „Hedonismus des Hobby“, der normalerweise Freizeitaktivitäten präge. Diese Ernsthaftigkeit rühre auch daher, dass der Otaku seine wesentliche Identifikation über die Sammlung der zu Kultgegenständen erklärten Objekte oder Informationen22 beziehe. Es scheint auffällig, dass Monomanie 23 , sowie (Informations-) Sammelleidenschaft Merkmale sind, die im Diskurs häufig genannt werden. So bricht auch Lawrence Eng seine Definition im wesentlichen hierauf herunter: "In the most basic sense, an otaku is someone who is highly dedicated to something and uses information from anywhere and everywhere to further his or her understanding of that thing for fun and maybe even profit” (Eng 2001). Murakami Takashi schließlich pocht auf die Wichtigkeit der Otaku „in any discussion of contemporary Japanese culture“ (Murakami 2005: 132ff) und charakterisiert diese durch ihre ausgeprägte Individualität, sowie ihr völliges Desinteresse an sozialen Beziehungen zu jedem, der ihre spezifischen Leidenschaften nicht teilt. Otaku errichten laut Murakami Freundschaften in erster Linie auf der Grundlage geteilter Interessen. So spricht auch er den Otaku ein negatives Image zu, das sie in die Position des sozialen Außenseiters drängt. Es wird im weiteren Verlauf der Diskussion also zu zeigen sein, inwieweit die hier angerissenen Grundmerkmale sowohl im Diskurs als auch in Densha Otoko aufgegriffen werden. Weitestgehend Konsens zu bestehen scheint in der Position des Otaku am gesellschaftlichen Rand. Unterschiedliche Meinungen bestehen allerdings über die neuartige, akribische Rezeptionsfähigkeit der Otaku. Der strikten Beschränkung auf ein Gebiet steht hier die Annahme der genreübergreifenden Rezeption und Referenz entgegen 21 Siehe hierzu auch Parson, Talcott: Das System moderner Gesellschaften. Juventa-Verlag: München 1972. Zur Beziehung zwischen Otaku und Information siehe auch 2.1.3 23 „Einzelwahn, Partialwahn, krankhafter Trieb, auch fixe Idee, z. B. Kleptomanie.“ (Meyers Lexikon online: http://lexikon.meyers.de/meyers/Meyers:Meyers_Lexikon_online) 22 7 2.1.1 Etymologie Eine der grundlegenden – weil auf den Ursprung zurückgehenden – Fragen ist die nach der Wortherkunft. Fast jede Publikation zum Thema bietet Theorien und Erkenntnisse zu dieser Frage an, die doch zunächst einmal simpel zu beantworten scheint. „Otaku“ steht laut Wörterbuch für die „höfliche Bezeichnung für das Heim eines anderen“ und in erweiterter Bedeutung auch für eine höfliche Form des „Du, Sie“24, laut Michael Manfé „die unpersönlichste Form einer persönlichen Anrede“ (Manfé 2005: 15f). In die Lexika eingegangen sind aber mittlerweile auch schon die Konnotationen „Fanatiker, Maniac“, die wohl eine Kernannahme des hier behandelten Otaku-Diskurses bilden. Wie und wodurch wandelte sich also die Bedeutung dieses Begriffs und was genau ist letztendlich seine gegenwärtige Bedeutung? Okada Toshio sieht einen Haupteinfluss in den von Fans konsumierten AnimeSerien. Auf japanischen conventions25 für Science Fiction-Fans zu Beginn der 1980er Jahre war zu beobachten, wie sich die Macher der erfolgreichen Anime-Serie Macross – die Mitarbeiter der Produktionsfirma Studio Nue – gegenseitig „Otaku“ riefen, was in der Folge auch von den Fans aufgegriffen wurde (Okada 1996: 11ff). Diese Angewohnheit der Studiomitarbeiter beruhte wohl auf den sprachlichen Eigenheiten der Charaktere ihrer eigenen Serie, die ebenfalls das Personalpronomen „Otaku“ anderen Optionen vorzogen. Da es bei diesen conventions aber auch häufig zu einem allerersten Aufeinandertreffen Gleichgesinnter kam, ist der höfliche Aspekt, der bei der Anrede „Otaku“ mitschwingt, ebenfalls ein nicht unerheblicher Faktor gewesen (Okada 1996: 11ff). Lawrence Eng sieht den Grund dafür, dass sich dieses Form der Anrede dann auch im Weiteren durchsetzen konnte, in der Art der sozialen Beziehungen der Otaku untereinander: “[.] otaku exist and participate in large social networks within which they trade goods and information. Although they have many social contacts, the otaku are not intimately associated with most of them. The social transactions in otaku networks tend to be impersonal, short-lived, and businesslike” (Eng 2003). Dies ist konsistent mit der Aussage Yamazaki Kôichis, befragt zu den Ursprüngen von “Otaku”: „Es symbolisierte eine Art von menschlicher Beziehung, für die alle anderen Formen von 'du/Sie' zu intim wären. Otaku bezog sich auf den Raum zwischen ihnen, sie sind weit voneinander entfernt, nicht vertraut” (Grassmuck 1993: 276ff). Manfé schließt sich dieser Ansicht an und spricht davon, dass die soziale Interaktion in Otaku-Netzwerken „unpersönlich und kurzlebig“ sei, diese Art der Anrede also helfe eine „emotionale Distanz“ zu wahren (Manfé 2005: 24 Im Japanischen gibt es je nach Position und Beziehung einzelner Personen zueinander eine Vielzahl von möglichen Anreden, die in der direkten deutschen Übersetzung mit „Du“ und/oder „Sie“ gleichzusetzen wären. 25 Organisierte Treffen gleichgesinnter Fans einer Anime-Serie o.ä. Siehe hierzu auch 2.1.4 Otaku und Fanforschung 8 diese Art der Anrede also helfe eine „emotionale Distanz“ zu wahren (Manfé 2005: 21)26, während Eng auch den Ausdruck gegenseitigen Respekts betont. Sabine Eisheuer geht sogar soweit, zu behaupten, im Gespräch Gleichgestellter würden über eine gewollte Distanz hinaus sogar Gefühle der Ablehnung bis Antipathie mitschwingen (Eisheuer 2003:12). Führt diese Annahme womöglich etwas zu weit, so ist Eisheuers Vermutung, der Gebrauch der Anrede drücke Unsicherheit oder Angst im Umgang mit Mitmenschen aus, wohl nicht von der Hand zu weisen. Eine weitere, häufig anzutreffende Theorie besagt, dass die heutigen Otaku die Verwendung „Otaku“ als Anrede in ihrer Kindheit von ihren Müttern übernommen haben, wie Kotani Mari27 ausführt (Sawaragi 2005: 189f). Laut Kotani wuchsen diese Kinder in einer Kernfamilie auf, die aus dem Dreieck „Dad, Mom, and me“ bestand, wobei die eine Ecke, der Vater, so gut wie ständig abwesend war28. In Gesprächen untereinander benutzten die allein gelassenen Hausfrauen nun häufig „Otaku“, was schließlich in den Sprachgebrauch der Kinder überging. Dies wirft natürlich die Frage auf, inwiefern eine weibliche Note im Gebrauch mitschwingt, wenn es ursprünglich eine Anrede war, die v.a. von Frauen untereinander oder von Frauen gegenüber Männern genutzt wurde (Eisheuer 2003:12). Patrick Macias und Machiyama Tomohiro kommen zu dem Schluss, dass es sich um eine bewusste Entscheidung handelt: “[Der Otaku] reluctant to use such overpowering masculine words [d.h. andere Formen der Anrede wie z.B. “omae”], finds the housewife word ‘otaku’ more suited to his and his colleagues sensibilities” (Macias et al 2004: 13f). Eine weitere Bedeutungsebene des Wortes ergibt sich aus der ursprünglichen Bedeutung „Heim, Zuhause“. Nur zu leicht lässt sich hier das Bild des „Nesthockers“ (Manfé 2005: 21f) hineininterpretieren, „Otaku“ als “witty reference both to someone who is not accustomed to close friendships and therefore tries to communicate with his peers using this distant and over-formal address, and to someone who spends most of [his] time on [his] own at home.” (Kinsella 2000: 128). Diese Assoziation des Stubenhockers birgt natürlich wenig Raum für Positives, vielmehr festigt es die Klischees vom Otaku als „antisocial and isolated from the world at large” (Eng 2003). Auch Volker Grassmuck macht die soziale Unsicherheit der Otaku verantwortlich dafür, dass sie „über-höfliche, defensive Redeformen [bevorzugen], um keine Fehler zu machen, vor allem aber, um sich dahinter zu verstecken“ (Grassmuck 1999: 157ff). Und weiter: 26 (Manfé 2005: 15f): „Otaku eignet sich also dazu, seine eigene Position näher zu bestimmen“, und dies sei eben eine Position am sozialen Rand, aber auch ein „Raum des Schaffens“. 27 Science Fiction-Literaturkritiker 28 Siehe hierzu auch 2.1.6 Otaku und Gesellschaft 9 „So kommen sie damit durch, sich nicht zu exponieren, sich nicht preiszugeben und damit einer möglichen Zurückweisung und Enttäuschung auszusetzen.” Schon in der Entstehungszeit zeigt sich, wie sehr die Medien einen Teil zur Bedeutungsschöpfung beitragen. Immer wieder zitiert wird der 1984 in der Zeitschrift Manga Burikko29 erschiene vom Autor Nakamori Akio veröffentlichte Artikelreihe namens Otaku no Kenkyû. In ihr berichtete er über das neuartige Phänomen Otaku und trug dadurch Okada Toshio zufolge maßgeblich dazu bei, dass der Begriff otaku-zoku30 in die Alltagssprache in negativ konnotierter Form Eingang fand 31(Okada 1996: 13). Auch Lawrence Eng hält Akios Artikel für möglicherweise den allerersten, der Otaku als „anti-social, unkempt, and unpopular” stereotypisierte (Eng 2001). Der Begriff wurde zu sabetsuyôgo, einem diskriminierende Ausdruck, so dass die so titulierten untereinander schließlich von seinem Gebrauch absahen, der staatliche Fernsehsender NHK es sogar auf seine Liste für problematische Wörter32 setzte, und stattdessen lieber die nicht negativ besetzten Ausdrücke „fan“ oder „mania“33 verwandte (Okada 1996: 10ff). Der Grund für das positivere Image des mania mag darin begründet liegen, dass sein Interessengebiet ursprünglich eher in klassischeren Bereichen wie Münzen, Briefmarken o.ä. lag, während der Otaku von vornherein mit Objekten der Popkultur assoziiert wurde (Nomura 2005: 3f). Laut Forschungsergebnissen des Nomura Research Institute verwendeten Otaku trotz oder gerade wegen des Wissens um seinen negativen Klang den Ausdruck ‚Otaku’ dann in den 1990er Jahren auf selbstironische Art und Weise. So wurde er schließlich von seiner Bedeutung her fast deckungsgleich mit mania, furîku, korekutâ34 und dergleichen mehr. Derweil kam Volker Grassmuck schon 1993 zu einem ähnlichen Ergebnis. Er sprach dabei von mania als einen „Allerweltsbegriff“ und erkannte, dass sich „durch die inflationäre Verwendung des Begriffs Schichten von Konnotationen übereinander ablagern“ (Grassmuck 1993: 276ff). Dies deckt sich mit den Aussagen des Instituts, wenn es das Aufkommen von Ausdrücken wie „Fashion-Otaku“ oder „Gesundheits-Otaku“ als Beispiele für eine weitere Verallgemeinerung und eher neutralere Konnotation des Begriffs nennt. Dem gegenüber verschoben sich die vormals mit Otaku assoziierten Negativbedeutungen nun auf Neuschöpfungen wie 29 Ein Magazin zum Thema rorikon, d.h. Lolita-Komplex (Ôizumi 2007). Die Artikelreihe findet sich auch im Internet: http://www.burikko.net/people/otaku.html 30 Zoku bedeutet „Stamm“ und wurde in den 1980ern Jahren häufig benutzt, um eine bestimmte (subkulturelle) Gruppierung zu benennen. Vgl. beispielsweise bôsôzoku, eine Bezeichnung für japanische Motorradbanden. 31 Ironischerweise bemühte Nakamori sich in der 1993 erschienenen Dokumentation Otaku (Beineix 1993, s. 2.2.1.2) um eine Richtigstellung, da er sich verantwortlich dafür fühlte, dass der Begriff Otaku eine so negative Konnotation erfahren hatte. 32 hôsômondaiyôgo 33 Vom Engl. maniac 34 Vom Engl. freak und collector 10 „moe“ oder „akiba-kei“ 35 . Symptomatisch für das diffuse Bedeutungsfeld des Begriffs ist wohl auch Grassmucks Erlebnis als er auf Frage „Wer ist otakki36?“ von einem selbsterklärten Otaku die Antwort erhält, dies ließe sich ebenso wenig beantworten wie die Zen- Frage „Was ist satori?“37 (Grassmuck 1993: 276ff) 38. So lassen sich also die Ursprünge des Begriffs einerseits in der Sozialisation der Heranwachsenden und dem Einfluss ihrer Mütter verorten39, andererseits aber auch im Kulturkreis der Anime-Fans. Dabei wird die Anrede von Otaku in sozialer Interaktion aufgrund der höflichen Distanz genutzt, die als Bedeutungsnuance mitschwingt, was bei der späteren Betrachtung von Densha Otoko zu bedenken sein wird. Ersichtlich wurde auch wie sehr die Medien bei der Prägung und Wandlung des Begriffs beteiligt waren und sind40, wobei sich die ursprüngliche Bedeutung immer mehr abzuschwächen und weiter zu werden scheint. 2.1.2 Historie Nach der etymologischen Betrachtung ist ein kurzer historischer Abriss ebenso sinnvoll für diese Arbeit. Otaku sind ein Phänomen der Nachkriegs- und Neuzeit, die Ausbreitung des Fernsehens hat dabei maßgeblich zu ihrer Entstehung beigetragen. Die Kinder der Nachkriegsgeneration wuchsen mit Anime- und tokusatsu-TV-Serien auf, mit Manga und verwandten Merchandisingprodukten: „Mirroring the isolation of wives from absent husbands, children interacted less with their mothers than with other children […], and shared similar interests stimulated by television and youth magazines. Their small rooms were filled with the paraphernalia of manga, tokusatsu, and anime, all of which embodied the sensibility of the subculture generation, utterly alien to their parents.” (Sawaragi 2005: 190) Okada Toshio spricht von vier unterschiedlichen Generationen Otaku, die sich in erster Linie durch ihre Interessengebiete bzw. Ausgangspunkte41 voneinander unterscheiden. Als wesentliches Merkmal gilt ihm dabei das jeweilige Geburtsjahr sowie je ein spezifisches 35 Siehe hierzu auch 3.2.5 Otaku, Sexualität und moe und 3.2.6 Akihabara Eine adjektivische Verwendung des Begriffs 37 Das Erlebnis der Erleuchtung im Zen-Buddhismus, das sich jedoch nicht in Worte fassen lässt. So Grassmuck: „wesensmäßig das […], was nicht kommuniziert werden kann.“ (Grassmuck 1993: 276ff) 38 Kurz angemerkt soll hier sein, dass Otaku mittlerweile auch in den westlichen Sprachgebrauch eingegangen ist, da allerdings als eine allgemeine Bezeichnung für Anime/Manga-Fan ohne besondere negative Konnotationen(Manfé 2005: 15f).Die Verwendung in den USA und Europa ist wohl eher mit dem Begriff des „Trekkies“ zu vergleichen. Dieser bezeichnet nicht ohne Stolz die Anhänger der TV-Serie Star Trek – Raumschiff Enterprise. 39 Siehe hierzu auch 2.1.6 Otaku und Gesellschaft 40 Siehe hierzu auch 2.2 In den Medien 41 hômupojishon 36 11 Genre. Innerhalb der Generationen nimmt er zudem teilweise eine Unterteilung in bestimmte Subgenres bzw. bestimmte Serien vor, auf die ich hier aber nicht weiter eingehen werde: • • • • 1955er: tokusatsu > erste Hälfte „Ultraman“, zweite Hälfte „Kamen Rider“ 1965er: Anime > „Yamato“, „Gundam“ 1975er: Modellbau > ganpura, Automodelle; in der zweiten Hälfte auch schon Videospiele 1985er: Videospiele (Okada 1996: 74ff) Dabei geht zwar jede Generation von einer spezifischen Basis aus, im Erwachsenenalter entdecken die jeweiligen Generationen aber auch die anderen Genres, und befassen sich dann genreübergreifend ebenso mit diesen42 (Okada 1996: 75f). Als die Geburtsstunde des „modernen Otaku“43 sieht Okada dabei das Jahr 1980 an, da zu dieser Zeit der Verkauf der ersten Videorekorder begann (Okada 1996: 26ff). Die Otaku hatten nun ein Werkzeug an der Hand, mit der sie Daten und Informationen – ihre Lieblingsfernsehserien – archivieren, analysieren, und editieren konnten44. Jedoch betont Okada an anderer Stelle (Murakami 2005: 165), dass es heutzutage schwieriger sei, Otaku eindeutig zu identifizieren. Gegenüber den 1980er und dem Anfang der 90er Jahre, als 100.000 bis 1 Millionen als „100 [%]-proof otaku“ bezeichnet werden konnten, nennt Okada für die Gegenwart zwar die Zahl von bis zu 10 Millionen, führt aber aus, dass die meisten „no more than 10- or 20-proof otaku“ wären. Über die Jahre habe eine Zersplitterung stattgefunden: „otaku mentalities and tastes are so widespread and diverse today that otaku no longer form what you might call a 'tribe'“. Diese Diffusion bedeutet aber auch, dass die Otaku mittlerweile zu einem Teil des Mainstream geworden sind, „because otaku have proliferated so widely that they no longer form a minority“ (Murakami 2005: 133). Der Otaku ist also ein Produkt der Neuzeit, der sich vor allem durch die Medien und die durch sie transportierten Elemente der Popkultur zu konstituieren scheint. Das nachfolgende Kapitel wird über diese Seinweise mit und durch Informationen weiteren Aufschluss geben. 2.1.3 Otaku, Information und Kommunikation Die Beziehung zwischen Otaku und Information bzw. die Definition der Art und Weise, wie Otaku mit Informationen umgehen und untereinander kommunizieren ist eine Thematik, die 42 „それらをクロスオーバさせて語り、楽しむようになる。“ kindai-otaku 44 So hatten sich Anhänger einer Serie bis dato beispielsweise die Mühe gemacht, die im Abspann erscheinenden Informationen über die an einer Produktion Mitwirkenden in Echtzeit abzuschreiben. Durch das neue Werkzeug des Videorekorders erschufen sie nun außerdem eigene Versionen der Serien, indem sie beispielsweise ihre Lieblingsszenen zusammen schnitten. 43 12 im akademischen Diskurs einen relativ großen Raum einnimmt. Für Volker Grassmuck ist dies sogar die Essenz des Otaku-Seins: “Sicher bilden zahlreiche Faktoren den Hintergrund des Otaku-Phänomens, doch das entscheidende Element sind neue Medien und Mediennutzungen, die einen anderen Zugang zu Welt erlauben“ (Grassmuck 1999: 157ff). Karl-Tarô Greenfeld spricht von der Bedeutung von Informationen für Otaku als „fuel that feeds the otaku's worshiped dissemination systems - computer bulletin-boards, modems, faxes. For otaku, the only thing that matters is the accuracy of the answer, not its relevance” (Greenfeld 1993). Die Relevanz von Informationen hat für Otaku insofern keinerlei Bedeutung, als dass für sie grundsätzlich alle Informationen gleich gewichtet sind. Informationen gewinnen nur proportional zu ihrem Seltenheitsgrad an Bedeutung. Denn im Austausch mit anderen Otaku sind nur neue, bisher unbekannte Informationen von Wert, mit denen sich die Besitzer solcher raren Informationen vor ihren ‚Mit-Otaku’ profilieren und sich gegenseitig überbieten können (Grassmuck 1993: 276ff). So sieht es auch Okada als nicht ausreichend an, beispielsweise lediglich alle Episoden einer Serie zu schauen und alle dazugehörigen Devotionalien 45 zu sammeln (Okada 1996: 50f). Vielmehr müsse man sich mit schwer erlangbarem obskuren Wissen, das andere in Erstaunen versetzten kann, abgrenzen. Dabei gelte es, viel Energie in Erlangung dieses Wissens zu stecken und womöglich sogar eigene Texte oder dôjinshi46 zu produzieren, um nicht bloßer Fan, sondern wirklich Otaku zu sein. Eike Hebeckers Die Netzgeneration: Jugend in der Informationsgesellschaft bietet allgemeine Ansätze, die ein besseres Verständnis des Stellenwerts und der Bedeutung von Informationen in der gegenwärtigen Gesellschaft ermöglichen. Dabei müssen Informationen „eine Neuigkeit für uns transportieren, Unsicherheit reduzieren oder einfach Sinn geben“ (Hebecker 2001: 165). Sie unterscheidet weiterhin zwischen aktiven und passiven Formen der Informationsrezeption. Man kann also einerseits gezielt nach bestimmten Informationen suchen, andererseits aber auch zufällig auf sie stoßen. Jedoch führen nach Hebecker erst die aktive Rezeption und ein Vorgang der kreativen Selektion, Codierung und Transformation dazu, dass „Daten zu Bedeutungen und Information zu Wissen werden“ können. Hierbei muss es sich zwangsläufig um einen sehr subjektiven Prozess handeln. Das Erlangen von Informationen stellt natürlich in erster Linie einen „Wissenserwerb“ und so in nächster Konsequenz eine „Erweiterung von Handlungskapazitäten“ dar. Hebecker spricht aber auch von „Information als eine Aktivität, eine Lebensform und eine Beziehung zugleich“ (Hebecker 2001: 165), was eine Verknüpfung zum Otaku-Diskurs zulässt. Denn auch Grassmuck spricht vom Otaku45 Jap. guzzu, vom engl. „goods“ Ein Magazin (shi), das von einem Zirkel von Gleichgesinnte (dôjin) herausgegeben wird und zumeist Parodien beliebter Anime- oder TV-Serien, Manga etc. enthalten. Häufig auch mit einem sexuellen Unterton. 46 13 Lebensstil „als eine Seinsweise in der Information“ (Grassmuck 1993: 267ff). Bezug nehmend auf Grassmuck und Greenberg spricht Hebecker vom Otaku als „Informationsriese[n] und Wissenszwerg“ (Hebecker 2001: 171ff). Als Haupteinfluss darf hier sicherlich Grassmucks Analyse "Allein, aber nicht einsam" gelten, in der er die „radikale Beschränkung“ als Strategie der Otaku sieht, mit der Informationsflut in der postmodernen Kommunikationsgesellschaft47 fertig zu werden: “Aus dem ständig wechselnden Strom wählen die otaku arbiträr ein InformationsSegment aus, das sie - einmal entschieden - mit radikaler Ausschließlichkeit verfolgen. Sie wollen Kontrolle wenigstens über einen kleinen Teil der Welt, in dem es trotz der überwältigenden Informationsflut möglich ist, alles zu wissen, auf alles vorbereitet zu sein, sich sicher zu fühlen.” (Grassmuck 1993: 276ff) Fraglich ist dabei, ob sich der von Hebecker formulierte Grundsatz, der Anbieter einer Information profitiere von einer größtmöglichen Verbreitung, der „Empfänger von höchstmöglicher Exklusivität“ (Hebecker 2001: 165), gänzlich auf den Otaku-Diskurs übertragen lässt. Sicherlich ist, wie bereits oben besprochen, die Exklusivität von Informationen ein wichtiges Kriterium für Otaku. Fraglich ist aber jedoch, in wie weit Otaku von einer einfachen Verbreitung dieser Informationen profitieren würden, da so ja recht schnell die Exklusivität verloren ginge. Wenn überhaupt, wäre wohl eine mit der Verbreitung der Information einhergehende Verbreitung des Namens ihres Urhebers für einen Otaku wünschenswert, um so in seinen Kreisen zu Ansehen zu gelangen. Hebecker erkennt dies sehr wohl, wenn er „Distinktion“ als die für den Otaku wichtigste Funktion von Information identifiziert (Hebecker 2001: 171ff). Grassmuck prägte in der Diskussion schon früh den Begriff des „InformationsFetischismus“ der Otaku, geboren aus einem Bildungssystem, das eine „HandbuchBildung“ und „Gedächtnis- statt […] Verständnisleistungen“ 48 fördert (Grassmuck 1993: 267ff). In diesem Sinne sind die Otaku für Yamazaki Kôichi auch eine Karikatur der Japaner allgemein, da diese seines Erachtens nach alle Informationsfetischisten sind (Grassmuck 1993: 267ff). Die jeweilige Thematik ist dabei nicht so wichtig wie eine klare Eingrenzung des Feldes des jeweiligen Interesses, die bereits erwähnte „radikale Beschränkung“. Diese Theorie der Monomanie lässt sich auch bei anderen Forschern wie Manfé (Manfé 2005: 57) oder Murakami (Murakami 2005: 132ff) wieder finden So stellt der Otaku in der unüberschaubaren Menge verfügbarer Daten sicher ein klar umrissenes Gebiet zu haben, über das er 47 Dabei bezeichnet „eine informationelle Gesellschaft“, eine „Form sozialer Organisation, in der die Schaffung, die Verarbeitung und die Weitergabe von Information […] zu grundlegenden Quellen von Produktivität und Macht werden“ (Castells 2001: 22). 48 Grassmuck spielt dabei auf die Einstufungsprüfungen an, die in Japan vor dem Eintritt in die nächst höhere Schulform stehen, angefangen mit dem Kindergarten bis zur Hochschule. Dabei werde eher schematisches Wissen in Form von multiple choice-Fragen abgefragt, größere Zusammenhänge blieben auf der Strecke. 14 höchstmögliche oder gar völlige Kontrolle erlangen kann: „Er zielt auf abgeschlossene Systeme, an die man glauben kann. Er schafft Inseln im Meer der Information, auf denen man sich sicher fühlen und auf alles vorbereitet sein kann“ (Grassmuck 1999: 157ff). In der zunehmend unübersichtlichen und durch die schiere Anzahl an Wahlmöglichkeiten und möglichen Lebensentwürfen überfordernden Postmoderne gelinge es dem Otaku, „Kohärenz“ zu schaffen und eine Art von Vollständigkeit zu erlangen, und sei es nur „in einem kleinen Weltausschnitt“ (Grassmuck 1999: 157ff). In einem neueren Text führt Grassmuck daher auch das Konzept der „operational geschlossene[n] Systeme“ ein, um die Otaku zu beschreiben (Grassmuck 2002: 73ff). Denn nur innerhalb dieser hermetischen Systeme ist die angesprochene völlige Kontrolle noch möglich. Hierbei handelt es sich um Bereiche, „in denen man virtuell alles wissen kann“. Diese Geschlossenheit bedingt auch, dass Kommunikation unter den Otaku nicht interaktiv abläuft. Vielmehr überbieten sie sich lediglich mit Datenschnipseln von immer größerer Exklusivität (Grassmuck 1993: 267ff). Austausch mit Personen, die nicht den gleichen Vorlieben nachgehen, kann dabei zwangsläufig nicht von Interesse sein, da diese den Wert der jeweiligen Informationen nicht zu würdigen wüssten. Dabei macht Grassmuck einen deutlichen Unterschied zwischen einem echten Gespräch und der Kommunikation der Otaku: „Es ist wichtig, dass gesprochen wird, nicht was“ (Grassmuck 1993: 267ff). Auch Michael Manfé sieht die Otaku in erster Linie „durch […] eigenwilligen, ja obsessiven Medienumgang charakterisiert“ (Manfé 2005: 15f). Unabhängig vom jeweiligen Objekt sei der Gegenstand seiner Leidenschaft „ein Medienprodukt“ (Manfé 2005: 19), sei es eine TV-Serie, ein Videospiel oder Manga, das für den Otaku zu einem „Instrumentarium zum Strukturieren des Alltags“, also zu seinem Lebensmittelpunkt werde (Manfé 2005: 57). Dabei ist die „manische Sammelleidenschaft von allen Informationen“ eben nur durch massiven Medienkonsum zu befriedigen. Da sie ihr Leben also um ein Medienprodukt herum strukturieren, liegt es für Manfé nahe, dass sie „versuchen, ihr Leben in eine virtuelle Welt zu verlagern“ und sich dabei wenig um die Außenwelt kümmern (Manfé 2005: 15f). So sind die neuen Medien wie das Internet ein „wichtiger Aspekt für die Konstituierung des Otakismus in der gegenwärtigen Form“ 49 (Manfé 2005: 62). Es bleibt also festzuhalten, dass der Otaku Informationen als eine Art Fetisch rezipiert, um sie sodann reflektierend weiterzuverarbeiten oder aber auch zur Abgrenzung gegenüber ‚Uneingeweihten’ zu gebrauchen. Dass sich der Otaku dabei auf ein spezifisches Feld be- 49 Siehe hierzu auch 3.2.4 Kommunikationsform Onlineforum 15 schränke, um höchstmögliche Kompetenz in diesem zu erlangen, ist eine der vorherrschenden Positionen des Diskurses. 2.1.4 Otaku und Fanforschung Die Frage, ob Otaku mit dem Begriff ‚Fan’ synonym zu setzten sei, wird immer wieder gestellt. Nicht zuletzt, da eine einfache Bejahung dieser Frage den Otaku-Diskurs ohne Zweifel ungemein vereinfachen könnte. Zudem weist der vor allem in den USA geführte Fan-Diskurs durchaus Ansätze auf, die sich mit denen des Otaku-Diskurses überschneiden, und so teilweise eine Übertragung auf diesen zulassen. Daher sollen hier einige Ansätze der Fanforschung vorgestellt sowie Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu Erkenntnissen der Otaku-Forschung herausgearbeitet werden. Henry Jenkins hebt in seiner Diskussion des US-amerikanischen Science Fictionfandoms50 dabei besonders den produktiven und kommunikativen Charakter dieser Gemeinschaften hervor. Dabei sei der Hauptunterschied zwischen einem Fan und einem gewöhnlichen Konsumenten desselben Textes „the social nature of their interpretive and cultural activity” (Jenkins 1992: 209). Fans zeichne ein “distinctive mode of reception” aus. Jenkins begreift dabei den fandom als eine „specific institution of interpretation with its own distinctive reading protocols and structures of meaning” (Jenkins 1992: 211). Die Fans wählen Texte bewusst aus und analysieren sie durch mehrfaches Lesen, um Konsum schließlich in kulturelle und soziale Aktivitäten umzuwandeln (Jenkins 1992: 209f). Sie nutzen also ihre Erfahrung und ihr Wissen, die sie durch diese intensive Beschäftigung mit Kulturprodukten gewinnen, „as the basis for other types of artistic creation“. So schafft der fandom eine eigene “Art World”, “an established network of cooperative links between institutions of artistic production, distribution, consumption, interpretation and evaluation”, die wiederum eigene Werke von künstlerischem Wert schaffen (Jenkins 1992: 211f). Hier zeigen sich erste Parallelen von fandom und Otaku-Kultur. Die von Jenkins beschriebenen Charakteristika lassen sich auch in der Otaku-Kultur wieder finden. An erster Stelle sind hier die dôjinshi51 zu nennen. Sie stellen genau das dar, was Jenkins mit der “production of fan texts which draw raw materials from the media as a basis for new forms of cultural creation” beschreibt (Jenkins 1992: 211f). Für Sharon Kinsella stellt dieser Amateur- 50 51 Deutsch auch „Fantum“ oder „Fangemeinden“ Siehe auch 2.1.3 Otaku, Information und Kommunikation 16 manga-Markt die größte Subkultur im Japan der Gegenwart dar52 (Kinsella 1998). Da dôjinshi in Eigenregie produziert und vertrieben werden, bildete sich v.a. zur Entstehungszeit in den frühen 1980er Jahren der Zirkel 53 als wichtigste Produktionseinheit heraus. Gleichgesinnte fanden sich zusammen und übernahmen verschiedene Aspekte der Produktion, da diese von einer Person alleine nicht bewältigt werden konnten. Die Parallelen zu den so genannten fanzines 54 , Fanpublikationen, die zuallererst von US-amerikanischen Science Fiction-Fans herausgegeben wurden, sind nicht zu leugnen. Dies trifft ebenso auf die Vertriebswege zu. Zwar werden dôjinshi teilweise auch in spezialisierten Läden verkauft (Azuma 1998), der eigentliche Verkauf findet aber auf großen, regelmäßigen Treffen, den speziellen dôjinshi sokubaikai55 oder allgemeiner auch den conventions56 statt. Diese Art von Zusammentreffen ist ebenso im US-amerikanischen Science Fiction-fandom wieder zu finden. Diese conventions im Speziellen, aber auch der fandom im Allgemeinen stellen Jenkins zufolge eine alternative soziale Gemeinschaft dar (Jenkins 1992: 213). Ähnliche Beobachtungen machte Matthew Thorn auf den dôjinshi sokubaikai: “Those who flock to these events […] find alternatives to mainstream publications and also discover – or rather create – a powerful, if sometimes fragmented, experience of community” (Thorn 2004: 170ff). Dabei bedeutet alternative soziale Gemeinschaft einen möglichen Gegenentwurf zur postmodernen Gesellschaft und den Problemen, die diese mit sich bringt, an vorderster Stelle die Entfremdung und Atomisierung des Individuums: „a felt need to participate within a cultural community and to adopt an identity which is larger than the type of isolated individual demanded by the alienated workplace“ (Jenkins 1992: 213). Ob dies aber soweit reicht, um von einer Gegenkultur sprechen zu können, ist fraglich, denn zumindest im Bereich der dôjinshi wäre dies allein aufgrund der schieren Größe dieser „community“ unangebracht57 (Thorn 2004: 170ff). Thorn spricht von den sokubaikai als Foren der freien Meinungsäußerung, gegründet zu einer Zeit, als sich japanische Kultur durch Homogenität und einen Mangel an Veröffentlichungsmöglichkeiten für "alternative media“ auszeichnete (Thorn 2004: 174f). Sie wurden letztlich zu einem Ort "where participants could shed many of the restraints of mundane society” (Thorn 2004: 174f). Ähnlichkeiten zu Diskussionen über fandom werden deutlich, wenn Jenkins von dem Eintritt 52 Zum Begriff der Subkultur siehe 2.1.5 Otaku und Subkultur „an individual or group of people who publish something to be sold at an event“ (Thorn 2004: 171) 54 Ein Portmanteau der englischen Wörter fan und magazine. Für eine Geschichte von Fanzines siehe auch http://www.lundwood.u-net.com/fandissy/fdhist.html 55 Jap. für dôjinshi Verkaufsausstellung 56 Die größte Convention dieser Art, der Comiket (comic market), findet halbjährlich auf dem Messegelände der Tôkyô Big Sight statt und zieht jedes Mal mehre hunderttausend Besucher an. So zählte der Comiket des Sommers 2001 beispielsweise alleine 36.000 Zirkel und 148.000 Teilnehmer, reine Besucher nicht mitgerechnet (Thorn 2004: 174f) 57 Für eine Diskussion bezüglich Otaku-Kultur, Subkultur und Gegenkultur siehe auch 2.1.5 Otaku und Subkultur 53 17 in diese Gemeinschaft als einen Akt der Loslösung von existierendem sozialen Status beschreibt (Jenkins 1992: 213). Im fandom gehe es dabei nicht darum, wer man sei, sondern darum, was man in diese neue Gemeinschaft einbringe. Die conventions bieten hierbei das Mittel, den Anderen den eigenen Beitrag, das eigene Schaffen in Form von dôjinshi o.ä. zu kommunizieren, wie es Jean-Jacques Beineix in seiner Dokumentation Otaku58 folgerichtig erkennt (Beineix 1993). Grundlage für die Bildung einer solchen neuen Gemeinschaft namens fandom bildet dabei der Konsum und die Aneignung derselben medialen Texte, die einen „ready body of common references that facilitates communication with others scattered across a broad geographic area” schaffen (Jenkins 1992: 213). Im Falle der dôjinshi bedeutet dies natürlich auch, dass ein Genuss der Parodie eines beliebten Textes ohne Kenntnis des Originals nicht möglich ist. Neben den dôjinshi gibt es noch ein weiteres Feld der Otaku-Kultur der Anschlüsse zum Fandiskurs zulassen würde. Es handelt sich hierbei um den so genannten aidoru-Kult, der Grassmuck zufolge ebenso eine Konsequenz aus der „Verschiebung vom passiven Konsum zu einer größeren Eigenaktivität der Fans“ ist (Grassmuck 1999: 257ff). Hierbei handelt es sich um künstlich aufgebaute Popsternchen, die aidoru 59 , und ihre Anhänger, die sich diesen Idolen voll und ganz verschrieben haben. Das Nomura Research Institute bietet hier auch die etwas weiter gefasste Kategorie des geinôjin- oder Star-Otaku60 an (Nomura 2005: 87ff) und unterscheidet dabei zwei Subkategorien. So gibt es einerseits die Anhänger, die so oft wie möglich zu den Bühnenshows ihrer Stars kommen, die basho-kei, und andererseits die Otaku, die in bereits beschriebener Art und Weise61 jedes noch so kleine und erdenkliche Informationsschnipselchen über ihren erwählten Star sammeln, die korekutâ-kei. Beineix erwähnt zudem noch den Typus des kamera kozô oder ‚Kamera-Burschens’, der darauf aus ist, möglichst viele Fotos von seinem aidoru zu machen (Beineix 1993). Dabei gehe laut Grassmuck die Faszination der in der Regel weiblichen aidoru für männliche Fans vom geweckten Beschützerinstinkt62 aus, für weibliche biete es die Figur einer idealen Freundin. Für beide jedoch ist das aidoru „eine sakrale Figur zur Anbetung”63 (Grassmuck 1999: 157ff). Es lassen sich also durchaus Vergleiche zum auch im Westen bekannten Starkult anstellen. Die letztlich dennoch vorhandenen Bedeutungsunterschiede zwischen Fan und Otaku lassen sich je nach Vertreter des Otaku-Diskurses an Verschiedenem festmachen. Allein der 58 Zu dieser Dokumentation siehe auch 2.2.1.2 Beineixs’ Otaku Abgeleitet von dem englischen idol. 60 Für das Institut fungiert dabei geinôjin als Überbegriff für Künstler, tarento, aidoru und Schauspieler, wobei aber (Pop-) Musiker, also eben aidoru klar die Mehrheit bilden. 61 Siehe 2.1.3 Otaku, Information und Kommunikation 62 Siehe hierzu auch 3.2.5 Otaku, Sexualität und moe 63 Wie es ja auch die Etymologie des Begriffs nahe legt. 59 18 Umstand, dass die Abgrenzung zum Fan innerhalb des Diskurses Gegenstand so vieler Diskussionen ist, lässt darauf schließen, dass zumindest eine Art von Konsens über die Andersartigkeit des Otaku besteht. So ist zum Beispiel innerhalb des japanischen Diskurses die Unterscheidung von fan oder auch mania auf der einen Seite und Otaku auf der anderen Seite gängig64. Für Okada zeichnet sich der Fan durch die Beschränkung auf ein einziges Gebiet oder Genre wie beispielsweise Anime aus, während dies für den Otaku eine Einengung darstellen würde (Okada 1996: 42). Zudem zeige ein Fan nicht denselben Grad an Hingabe, wie ihn ein Otaku aufweise65. Morikawa pflichtet bei und führt zudem die Dichotomie des Materiellen gegenüber dem Virtuellen an (Murakami 2005: 170). Mania würden ersteres bevorzugen, Otaku letzteres 66 . Des Weiteren fügt Morikawa der Diskussion eine soziale Komponente hinzu, spricht von mania als „obsessives who are socially well adjusted” während die Otaku „socially inept“, ihre Leidenschaften „self-indulgent“ seien, was sich auch in der unterschiedlichen Herangehensweise hinsichtlich eines Interessengebietes zeigte. So mag der mania beispielsweise Anime, obwohl ihm bewusst ist, dass eine solche Leidenschaft in der Gesellschaft nicht besonders hoch angesehen ist67, wohingegen der Otaku es gerade für diese deviante Qualität liebe. Grassmuck wiederum spricht vom Fan als einem anthropologischen Grundmuster, das in dem Moment zum Otaku übergehe in dem es monomanische Züge aufweist und sich „auf einen winzigen Weltausschnitt“ beschränkt (Grassmuck 1999: 157ff). Damit ist seine Position letztendlich konträr zu der Okadas, macht er doch die Monomanie als definierendes Charakteristikum des Otaku und nicht des Fans aus. So lässt sich also erkennen, dass die Grenzen zwischen fandom und Otakutum durchaus fließend sein können. Beispielsweise spricht Jacqueline Berndt von Otaku auch als „extreme Fans“ (Berndt 2006: 28), um sie dem unbedarften Leser begreifbarer zu machen, und Grassmuck sieht die in Eigenleistung produzierten Kulturgüter der Fans als ein Anzeichen von einer Leidenschaft, die „mit einer Otaku-Intensität betrieben wird“. Die vorgestellte Analyse der Eigenproduktivität der Fans und die daraus folgende Bildung eigener Gemeinschaften ist sicherlich am ehesten auf die Otaku-Kultur mit seinen dôjinshi-Zirkeln zu übertragen. In der Betrachtung von Densha Otoko wird neben dieser These aber auch der Stellenwert der aidoru zu bewerten sein. 64 Wenn auch, wie oben erwähnt mittlerweile eine Überlappung und Verschmelzung der Bedeutungen zu beobachten ist. Siehe hierzu 2.1.1 Etymologie 65 „精進足りないやつ“ (Okada 1996: 42). 66 Meines Erachtens dürften die Grenzen hier aber durchaus fließend seien. 67 Es ist dame, d.h. wörtl. „zu nichts nutze“. 19 2.1.5 Otaku und Subkultur Die Frage, ob und inwieweit Otaku-Kultur mit Subkultur im westlichen Sinne gleichzusetzen ist, ist ebenso wie die bereits behandelte Frage nach den Parallelen zwischen Otakutum und fandom eine im Diskurs häufig geführte Diskussion. Im Zusammenhang mit fandom fielen dabei ja bereits auch die Begriffe Subkultur und Gegenkultur, so dass ersichtlich sein sollte, dass diese Thematiken ebenso mit dem hier behandelten Diskurs verschränkt sind. Dem Soziologen Stanley Cohen zufolge zeichne sich Subkultur im westlichen Sinne dabei als eine “compromise solution between two contradictory needs: the need to create and express autonomy and differences from parents […] and the need to maintain the parental identifications” aus (Hebdige 1999: 444). Einerseits wollen sich die Jugendlichen also von ihren Eltern abgrenzen, andererseits können sie das Bedürfnis nach Kontakt und Nähe zu ihren Eltern dabei aber nicht vollends ablegen. Berndt dazu weiter: „Subkulturen sind Gruppen in modernen Gesellschaften, die aus gemeinsamen Erfahrungen, Stilen und (auch virtuellen) Orten eine Nation und Gesellschaft, Klasse und Masse unterlaufenden Identität beziehen“ (Berndt 2006: 33). Im Diskurs Subkultur fällt dabei auch immer wieder der Begriff Gegenkultur. Die Vertreter der Subkultur sind jedoch deutlich ambivalenter als die der Gegenkultur, sie „entziehen sich dem, was dominiert, und affirmieren es zugleich“ (Berndt 2006: 33). Sharon Kinsella spricht in diesem Sinne von der japanischen Jugendkultur68 allgemein als einen „magic cooking pot“ für Individualismus in der japanischen Nachkriegszeit, der insbesondere von japanischen Intellektuellen mit Sorge gesehen wurde (Kinsella 1998). Jugendkultur stelle für diese Intellektuellen die Bedrohung des Individualismus gegenüber dem japanischen Kollektiv dar. Ähnliches findet sich auch bei Manfé, der aber speziell auf die OtakuKultur eingeht. Er sieht diese als „eine Subkultur, die […] gegen die dominante Ideologie einer hegemonialen Uniformiertheit der japanischen Gesellschaft auf- bzw. antritt“, was sie aber auch wieder in die Nähe einer Gegenkultur rücken würde (Manfé 2005: 19). Insofern trifft also auch auf die Otaku-Kultur eine prägenden Eigenschaft von Subkultur zu, der Versuch eine „Lösung für ganz bestimmte (historische) Umstände […], für ganz bestimmte Probleme und Widersprüche“ zu sein (Hebdige 1983: 8ff). Sawaragi gibt uns Anhaltspunkte über die Entstehungsgeschichte der japanischen Subkultur und nennt dabei in erster Linie die modernen Medien als treibende Kraft (Sawaragi 2005: 187f). Durch sie schwand in der Nachkriegszeit das Informationsgefälle zwischen Stadt und Land, Kinder wuchsen überall mit denselben popkulturellen Nennern auf, die das Fernsehen vermittelt. Dabei bezeichnet er mit japanischer Subkultur im engeren Sinne „widespread 68 wakamono bunka 20 elements of Japanese popular culture including manga, anime, and tokusatsu (special effects)” (Sawaragi 2005: 187f). Die Eltern dieser Nachkriegsgeneration fanden jedoch keinen Zugang mehr zu den Interessen ihrer Kinder, eine Art Generationenkonflikt entstand: „The word otaku came to epitomize this conflict.“ (Sawaragi 2005: 187f). Dies scheint aber kein bewusst von den Kindern herbeigeführtes Auflehnen gewesen zu sein, wie es in einer Gegenkultur im eigentlichen Sinne der Fall wäre, sondern vielmehr eine „regressive, unauffällige oder gar unfreiwillige“ Subkultur (Berndt 2006: 34). Da Kinder in Japan nicht wie im Westen als unvollendete Erwachsene69, sondern als prinzipiell ideales Menschenbild70 angesehen werden, wäre ein Generationenkonflikt und eine damit einhergehende Entstehung einer Gegenkultur Okada zufolge auch nicht denkbar (Okada 1996: 350). So erkennt auch Azuma Hiroki: „das Problem mit den Otaku ist nicht, dass sie ein Underground wären, vielmehr sind sie ein weit verbreitetes Phänomen und gleichzeitig vollständig geschlossen, 'anti-sozial' und isoliert“ (Grassmuck 1999: 257ff). Dieser Moment der Unfreiwilligkeit scheint in der Tat einer der wesentlichen Unterschiede zu Subkultur im herkömmlichen westlichen Diskurs zu sein. Grassmuck schreibt hierzu: „Trotz aller Bemühungen um eine Öffnung sind die Otaku bis heute wesentlich eine 'Subkultur'“ [kursiv von mir] (Grassmuck 1999: 257ff). Auch Morikawa weist daraufhin, dass der Otaku-Kultur ein „anti-establishment“-Gedanke als solcher abgehen würde, selbst wenn sich die Otaku gezielt Interessengebiete suchten, die in der Gesellschaft verpönt, d.h. dame, sind (Murakami 2005: 166): “they choose to love these things [Manga, Anime] in part as a means of making themselves unacceptable” (Murakami 2005: 172). Murakami führt einen subtilen aber bedeutenden Unterschied zwischen beiden Kulturen an. Demnach verstehe man Subkultur als „cool culture from abroad”, dem hingegen Otaku aber der „uncool indigenous Japanese culture“ zugewandt seien (Murakami 2005: 132ff). Gerade in Hinblick auf die unmittelbare Nachkriegszeit bestätigt Okada diese Ansicht und bemüht dieselbe Dichotomie von „cool“ und „uncool“71 (Okada 1996: 348). Jaqueline Berndt gibt diesbezüglich weiterhin zu bedenken, dass das englische subculture und die im Japanische lexikalisierte Version sabukaru in ihrer Bedeutung nicht deckungsgleich seien (Berndt 2006: 34). Vielmehr bedeute sabukaru eher das Zugetansein zu einem bestimmten Lebensstil, der sich noch am ehesten mit alternativ, abseits vom Mainstream beschreiben lasse, im Gegensatz zur Otaku-Kultur aber deutlich mehr Wert auf Äußeres und Profilierung legen würde. So führt Okada über japanische Subkultur aus, dass sie aufgrund ihrer Oberflächlichkeit 69 mikanzen no otona kongenteki na ningenzô 71 kakkô ii bzw. kakkô warui 70 21 weltweit wenig Beachtung findet72 (Okada 1996: 349). Seiner Meinung nach bildet hier die Otaku-Kultur die einzige Ausnahme, da sie in die Tiefe gehen würde. Gerade sie sei aber eben nicht als Subkultur zu bezeichnen. Stattdessen sieht er die Otaku-Kultur als den legitimen Nachfolger der Handwerker-Kultur der Edo-Zeit, was besonders auf das fundierte Hintergrundwissen der Otaku als Kenner und Connaisseure anspielt (Okada 1996: 353ff). In letzter Konsequenz könne man die Otaku sogar die „die rechtmäßigen Nachfolger der japanischen Kultur [der Edo-Zeit]“ 73 nennen (Okada 1996: 358), was sie endgültig aus dem Bereich der Subkultur herausheben würde. Es sollte also deutlich geworden sein, dass die Otaku-Kultur durchaus bestimmte Qualitäten mit der Subkultur gemeinsam hat. So ist ein gewisses subversives Potential nicht von der Hand zu weisen. Anders als bei der Subkultur geschehe dies jedoch unbewusst, keinesfalls würde sich die Otaku-Kultur als Gegenkultur verstehen. Da japanische Forscher dabei Subkultur vor allem als eine Spielart der durch die Verbreitung der Medien entstandene Populärkultur verstehen, macht diese wiederum für die gegenwärtige Diskussion relevant. 2.1.6 Otaku und Gesellschaft Die Gründe und Ursachen für das Entstehen der Otaku in der japanischen Gesellschaft zu suchen, ist ein nahe liegender Ansatz. Schließlich wurde bereits in 2.1.1 aufgezeigt, dass ein Zusammenhang zwischen Sozialisation und Entstehung der Otaku besteht. Hierfür sei zunächst eine allgemeine soziologische Betrachtung der japanischen Nachkriegsgesellschaft und insbesondere des unmittelbaren Sozialisationsumfelds der Jugendlichen, d.h. hauptsächlich Familie und Schule, vorangestellt, die bereits erste Anhaltspunkte liefern kann. Besonders die japanische Familienstruktur findet in soziologischen Abhandlungen erhöhte Aufmerksamkeit. Dabei verabschiedete sich das Nachkriegsjapan vom Modell der Großfamilie und ging zur so genannten Kernfamilie über, die idealtypisch aus den zwei Elternteilen samt Kindern besteht. Diese Kernfamilie wurde jedoch leider allzu oft zur „’unvollständige[n] Familie’ aus Mutter und Kind oder Kindern“, da der Vater, bedingt durch den enormen Wirtschaftsboom der Nachkriegsjahre, nur selten zu Hause war (Neuss-Kaneko 72 So nennt er etwa japanische Heranwachsende, die sich wie Afroamerikaner geben, dabei jedoch nur oberflächlich deren Stil kopieren ohne eine eventuell tiefer liegende Bedeutung um die Entstehung dieses Stils begriffen zu haben (Okada 1996: 349). 73 „オタクは日本文化の正統継承者である“ 22 1990: 115)74. Durch diese permanente Abwesenheit der Väter war es für die Kinder, insbesondere die Söhne, schwierig eine nennenswerte Beziehung zu diesen aufzubauen, die Väter waren „Fremdkörper“ statt Rollenvorbilder (Manfé 2005: 27f). So führe das Fehlen der väterlichen Identifikationsfigur zu einer „mangelnde[n] Selbständigkeit der Jugendlichen“, letztlich auch „zu den verschiedensten Formen abweichenden Verhaltens […]“, da ein Autorität gebietendes Gegengewicht zur fürsorglichen Mutter fehlen würde (Neuss-Kaneko 1990: 132f). Demgegenüber stehe eine starke Mutterbindung, die durch „Erziehungseifer und […] Fixiertheit [der Mutter] auf das Kind“ (Neuss-Kaneko 1990: 132) noch verstärkt werde. So ist die Mutter in der Regel die Alleinverantwortliche für Erziehungsfragen (Manfé 2005: 27f). Arne Albrot hierzu: „In Japan spielt die Mutter eine überaus wichtige Rolle. Sie hat den prägendsten Einfluss auf die Kinder. Diese Mutterbindung wird leicht zum Hindernis, zur unüberwindlichen Hürde, die der Emanzipation der Kinder und ihrem Reifungsprozess im Wege steht, vor allem im Fall der Otakus.“ (Albrot o.J.) All dies ließe letztendlich eine „vaterlose Gesellschaft“ entstehen, mit der Folge, dass sich die Generationen untereinander weiter entfremden und die Meinung aufkommt, die „Familie erfülle ihre eigentliche Erziehungsfunktion nicht mehr“ (Neuss-Kaneko 1990: 133). Wer jedoch alleinig die Kernfamilie als Ursache für die „Missständen unter den Jugendlichen“ zitiert, vernachlässige laut Neus-Kaneko andere, ebenfalls bestehenden „Lebensumstände und […] gesellschaftliche[n] Zusammenhänge“ (Neuss-Kaneko 1990: 118). So stehen die Jugendlichen auch noch heutzutage bis zum Berufseintritt in starker Abhängigkeit zu ihren Eltern, wohnen häufig auch noch lange im Elternhaus75. Wahre Selbstständigkeit kann sich so nur schwer und relativ langsam entwickeln. Manfé zufolge ist eine solche Verlängerung des Moratoriums76 für fortschrittliche industrielle Gesellschaften aber charakteristisch. Diese Gesellschaften „generieren eine Generation von Jugendlichen, die das Erwachsenwerden ablehnt“ (Manfé 2005: 29). Aufwachsend in einem Elternhaus, das durch den Wirtschaftsaufschwung der 1960er- und 1980er Jahre abgesichert war, lebten sie in einer geschützten Umwelt, die gerade im Hinblick auf die Rezession im Japan der 1990er Jahre wenig Anlass gegeben habe, sie allzu früh zu verlassen (Manfé 2005: 29). Jedoch beobachtet Manfé trotz oder gerade wegen dieser langen Nähe zu den Eltern ein „Versickern der Ver74 So sind die Väter oft nur am Wochenende zuhause, da sie in der Woche erst sehr spät von der Arbeit kommen, demgegenüber aber wieder sehr früh das Haus verlassen. Doch selbst am Wochenende sind sie durch Geschäftsessen oder Geschäftsgolf häufig verhindert. Fälle, in denen sie von der Firma an andere Standorte versetzt und so von ihrer Familie getrennt werden, sind ebenfalls keine Seltenheit (Neuss-Kaneko 1990: 132). 75 So ist der Anteil der Jugendlichen die bei ihren Eltern wohnen im Zeitraum von 1976 bis 1997 sogar von 60% auf 75% gestiegen (Kadowaki 2002: 59). 76 Im soziologischen Sinne des „psychosozialen Moratorium“, also der Aufschub vor dem endgültigen Schritt ins Leben eines Erwachsenen, den die Jugendphase bietet. 23 bindlichkeit von Sozialisationsumgebungen“ (Manfé: 2005: 25). So würde zwischen Eltern und Kindern keine wirkliche Kommunikation mehr stattfinden (Grassmuck 2002: 74), da die Kinder sich dem Zugang der Eltern bewusst entzögen: „The parents of otaku are from the sixties generation, very democratic and tolerant. They want to understand their children […] [b]ut the kids purposely look for things their parents can't understand” (Grassmuck in Greenfeld 1993). Andererseits laste in einer „Bildungsgang-Gesellschaft“ (Grassmuck 1993: 276ff), der so genannten gakurekishakai, ein extremer Leistungsdruck auf den Heranwachsenden, der zudem „wenig Raum […] für echtes Kindsein und freie Entfaltung kindlicher Phantasie und Energie“ lasse (Neuss-Kaneko 1990: 130). Dieser Druck entlade sich dann teilweise in verschiedensten Formen devianten Verhaltens77. Zu beachten ist dabei, dass der Anspruch an Jungen, Kariere zu machen, und damit der auf ihnen lastenden Druck größer sei als für Mädchen, da diese traditionell früher oder später heiraten und Hausfrauen werden würden (NeussKaneko 1990: 131f). Dabei sähen sich die Jugendlichen einem „rücksichtslosen Ausleseprinzip“ gegenüber, das die zukünftige Karriere bestimmt (Manfé 2005: 32). Manfé bringt es explizit auf den Punkt: „Japan ist ein Land, dessen Bildungssystem den Schülern die Kindheit raubt und in dem das Motto freiwilliger Bildungszwang vorzuherrschen scheint“ (Manfé 2005: 35). Jene, die diesem Druck nicht mehr standhalten (wollen), „machen keine Karriere, sondern Jobs“78 (Grassmuck 2002: 74), sie „verzichten darauf, Mitte Zwanzig eine Familie zu gründen oder in einer Firma zu dienen“ (Manfé 2005: 18). Zu ihnen zählen laut Grassmuck eben auch die Otaku 79 . Sie verweigern sich den Anforderungen der Leistungsgesellschaft, ziehen sich aus diesem „Raum […] ohne Außen und ohne Freiräume“ zurück anstatt frontal dagegen anzugehen und schaffen sich ihre eigene Umwelt (Grassmuck 1993: 276ff). Grassmuck hierzu: “Derart aus dem abstrakten Gebilde Gesellschaft wie aus den konkreten Anwesenheitszusammenhängen von Familie, Freundschaftsgruppen und Arbeit herausgefallen, richtet sich der Otaku in einer medialen Diaspora ein“ (Grassmuck 1999: 157ff). Diese Form des zurückgezogenen Lebens in seiner extremsten Ausprägung wird in jüngster Zeit hikiko- 77 Wie z.B. das Auftreten anomischer Erscheinungen, also von Zuständen, in denen die Stabilität der sozialen Beziehungen gestört ist, wie etwa Schulverweigerung, Gewalttätigkeit gegen Eltern und Lehrer, Mitschülerschikane (ijime), Selbstmord etc. (Neuss-Kaneko 1990: 131ff) 78 Die sog. furîtâ, vom engl. free und dt. Arbeiter. Sie leben in einem Zustand ständiger prekärer Beschäftigung. 79 Diesem verbreiteten Kanon widerspricht allein Okada, der die Otaku allgemein hin als gutsituierte (kanemochi) und hochqualifizierte Mitglieder der Gesellschaft beschreibt. Er spricht von einem durchschnittlichen Monatesgehalt von ca. 227.000 Yen für Otaku in ihren 20ern (gegenüber einem Bevölkerungsdurchschnitt von ca. 166.000 Yen) (Okada 1996: 56f). 24 mori80 genannt. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie keine tiefe Beziehungen zu Anderen eingehen, ein starkes Misstrauen gegenüber Erwachsenen hegen und generell kein Interesse an der Gesellschaft aufbringen. Sie wollen „weder andere verstehen, noch verstanden werden wollen […]“ (Kadowaki 2002: 53). Das wichtigste Charakteristikum des hikikomori ist also der „social disconnect“ (De la Pena 2006: 17ff)81. Sie sehen sich zu einer Existenz innerhalb der Gesellschaft nicht in der Lage und klinken sie sich einfach aus dieser aus. Der allgemeine Kanon des Otaku-Diskurses lässt darauf schließen, dass Otaku dabei zumindest eine Teilmenge dieser Lebensform darstellen. So stellt beispielsweise Azuma Hiroki die Otaku nicht als anti-, sondern konkret asozial dar: “Instead of rousing and expressing their discontent with society as a whole, they refuse any behavior involving any kind of participation in the social network at all. There is no doubt that the notion of social withdrawal as a conscious choice, and the expression itself, “otaku” are deeply connected.“ (Japan Society 2005: 21f) Laut Azumas früheren Ausführungen werden die Otaku in einem sehr ähnlichen Licht wie die hikikomori gesehen, und das bereits seit den 1970er Jahren (Azuma 2001). Das vorherrschende Vorurteil laute dabei, dass Otaku keinerlei Wert auf „any real communication or social activities” legen, sich eben lieber in ihrer selbst geschaffenen Welt aus Computer, Anime und Comics zurückziehen. Teils auch als Schutzmechanismus weisen Otaku Azuma zufolge tatsächlich eine introvertierte Abgeschlossenheit auf, aufgrund einer „strong collective hostility towards those who cannot or do not share their behaviors” (Azuma 2001). Diese neue Lebensform stellt für einige Vertreter des Diskurses nur die ersten Anzeichen einer zukünftigen Entwicklung dar. Wolfram Manzenreiter spricht beispielsweise von einem „Prototyp des sozialen Autismus“ (Manzenreiter 2002: 197f). Jüngere Forschungsergebnisse scheinen dafür zu sprechen, dass hikikomori und Otaku nur den Anfang eines gesellschaftlichen Wandels darstellen, da eine allgemeine Tendenz japanischer Jugendlicher, sich „in ihren Wertvorstellungen […] von Beziehungen zu anderen Menschen und zur Gesellschaft“ abzuwenden, zu erkennen sei (Kadowaki 2002: 61). Demgegenüber stärker werde der Wille, selbstbestimmt zu handeln: „Das Wertesystem wird im weitesten Sinne nach eigenen Standards aufgebaut, die durchaus unabhängig von der Logik und Ethik der Erwachsenenwelt sein können.“ (Kadowaki 2002: 61). Dabei konstatiert Grassmuck sogar, dass der Lebensentwurf Otaku „als Strategie zur Bewältigung der sozialen und 80 Die nüchterne Definition des japanischen Gesundheitsministeriums liest sich folgendermaßen: “an individual who refuses to leave their parent’s house, and isolates themselves way from society and family in a single room for a period exceeding six months” (zitiert in De la Pena 2006: 17ff). 81 Wobei jedoch durchaus fraglich ist, in wie weit nicht doch eine Kommunikation mit der Außenwelt in Form von CMC (computer mediated communication, sie hierzu auch 3.2.4 Kommunikationsform Onlineforum) stattfindet. 25 wurf Otaku „als Strategie zur Bewältigung der sozialen und psychologischen Unsicherheiten unserer Zeit […] äußerst erfolgreich“ sei (Grassmuck 1999: 157ff). Der Diskurs führt demzufolge einerseits die Defizite in der Kernfamilie, namentlich den fehlenden Einfluss des Vaters sowie damit einhergehend den übermächtigen Erziehungsdrang der Mutter, als ein Erklärungsmodell an. Hinzu kommt der enorme Leistungsdruck in Schule und Beruf, dem sich die Heranwachsenden mehr und mehr verweigern und sich stattdessen ihre eigene Umwelt mit eigenem Wertehorizont schaffen. Es wird zu verhandeln sein wie sehr sich diese Umstände auch in der von Densha Otoko dargestellten Welt wieder finden lassen beziehungsweise inwieweit sie zu den hier dargestellten Thesen konträr laufen. 26 2.2 In den Medien „Otaku sind ein Medien-Phänomen in mehrerlei Hinsicht. Die Medien haben zuallererst ihre Möglichkeitsbedingung geschaffen. Die Medien haben ihnen den Namen gegeben, mit denen sie sich gegenseitig ansprachen. Die Otaku leben im Medium der Medien wie Fische im Medium Wasser. Und die Suche nach ihnen ist eine Recherche in der Mediengeschichte.” (Grassmuck 1993: 276ff) Obiges Zitat sollte klar werden lassen, welche Schlüsselrolle die Medien bei der Identitätsbildung der Otaku und dem vorherrschenden Bild der Otaku in (nicht nur) der japanischen Öffentlichkeit einnehmen. Wie Dick Hebdige treffend erkennt, geben die Medien dem Menschen die Werkzeuge an die Hand, um seine Erfahrungen einzuordnen: „They provide us with the most available categories for classifying out the social world“ (Hebdige 1999: 448). Daher kann eine Analyse des Otaku-Diskurses nicht ohne eine Analyse des in den Medien geführten Diskurses auskommen. Hierbei sollte ein kurzer Überblick über die Mediengeschichte der Otaku seit den 1980er Jahren bis heute ausreichend sein. Besonderes Augenmerk verdienen jene Ereignisse und die diesbezügliche Berichterstattung, die Schlagzeilen machten und maßgeblich dazu beitrugen, das öffentliche Bild des Otaku zu prägen. Im zweiten Teil des Kapitels erfolgt dann eine genauere Betrachtung von Dokumentationen, die sich speziell dem Thema Otaku widmen. Da Densha Otoko schließlich auch ein Produkt der Medien ist, sind die im Folgenden hier gemachten Beobachtungen umso wichtiger für die inhaltliche Analyse des Stoffes. 2.2.1 Prägende Medienereignisse Wie weiter oben bereits beschrieben82, trugen die Medien von Anfang an maßgeblich dazu bei, den Begriff Otaku zu prägen und ihn mit bestimmten Bedeutungen zu füllen. Blieb es zu Beginn der 1980er Jahren noch bei den Bemühungen, ein neuartiges soziales Phänomen zu erkennen und zu deuten, so führte erst ein einschneidendes Ereignis im Jahre 1989 dazu, dass der Begriff in der breiten Öffentlichkeit bekannt wurde. Gleichzeitig führte dieses Ereignis aber auch zu einer deutlichen Negativierung der Berichterstattung und damit einhergehend der öffentlichen Meinung. Die Rede ist von dem Serienmörder Miyazaki Tsutomo, der im Juli 1989 verhaftet wurde. Er hatte vier Mädchen entführt und danach ermordet. Sein Lebenswandel wies Überschneidungen zu dem der Otaku auf. So jobbte er als Druckereigehilfe und zeichnete Comics 82 Siehe 2.1.1 Etymologie 27 (Grassmuck 1993: 267ff). In seinem Zimmer im Haus seiner Eltern stapelten sich über 6000 Videokassetten, darunter Kinderpornographie und Horrorfilme, die in ihren Plots, den von Miyazaki begangenen Verbrechen ähnelten (Manfé 2005: 24). Kriminologieprofessor Ishii Akira attestierte Miyazaki, dass er „völlig in seiner Welt eingeschlossen“ gewesen sei und nicht mehr zwischen Realität und Fiktion zu unterscheiden vermochte (Beineix 1993). Was ihn nach Ishii dann endgültig als Otaku identifizieren ließ, war seine sehr spezielle Form der Sammlung. Er sammelte nämlich die Knochen seiner Opfer, also Dinge, die nur er exklusiv besaß83. Die Fernsehsender taten ihr Übriges, das Negativbild vom Otaku zu kolportieren, indem sie Miyazakis Zimmer die volle Aufmerksamkeit ihrer Berichterstattung zuteil werden ließen. Hinzu kam, dass Miyazaki nur selten das Haus verließ und die meiste Zeit mit seiner Videosammlung verbrachte (Okada 1996: 13). Waren die Parallelen zwischen dem Lebenswandel Miyazakis und dem der Otaku auch schwer von der Hand zu weisen, so war die im Folgenden von den Medien inszenierte Hysterie sicherlich nicht gerechtfertigt. Jedoch führte der Vorfall dazu, dass Otaku überhaupt erst in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit rückten, und das unter deutlich negativen Vorzeichen (Manfé 2005: 24): „Bis zu diesem Tag fand der Term Otaku vor allem in Insiderkreisen Verwendung. Die Berichterstattung über M. führte zu einer Flut von Beiträgen über die verlorene Generation, die ein Monster entstehen hat lassen“. Dabei sah die Öffentlichkeit eine Hauptursache für Miyazakis Verbrechen in den HorrorVideos und ganz allgemein der Medienkultur (Grassmuck 1993: 267ff), Dinge also, die eng mit der Otaku-Kultur verknüpft sind. Auch das nächste Ereignis, das mit den Otaku assoziiert wurde, trug nicht zu einer Verbesserung des Bildes der Otaku in den Medien bei. Am 20. März 1995 setze die Aum Shinrikyô-Sekte im U-Bahnsystem von Tôkyô das Giftgas Sarin frei, tötete 12 Menschen, verletzte über 1000, und bestätigte damit den „vague sense of repulsion toward otaku felt by mainstream society” (Sawaragi 2005: 190ff). Schließlich bestanden durchaus Berührungspunkte zwischen der Otaku-Kultur einerseits sowie Ansichten und Struktur der Sekte andererseits. Ein weiterer negativer medialer backlash war somit unvermeidlich. Denn die Mitglieder der Sekte entstammten demselben (sub-)kulturellen Hintergrund wie die Otaku (Sawaragi 2005: 190ff). Sie bedienten sich einer Terminologie, die denselben Anime-Serien entlehnt waren, die auch unter Otaku Anklang fanden. Sie kleideten sich gar in Phantasieuniformen, die denen ihrer Serienhelden nachempfunden worden waren84. Zudem wiesen sie eine ähnliche Geschlossenheit und Exklusivität auf, wie dies unter Otaku-Zirkeln der Fall ist, und fielen 83 Vergleiche hierzu auch 2.1.3 Otaku, Information und Kommunikation für eine Diskussion über die Neigung zur exklusiven Sammlung 84 Parallel zu dem in Otaku-Kreisen beliebten cosplay, oder costume play 28 durch eine Entrücktheit von der Wirklichkeit auf (Azuma 1998). De la Pena führt dazu weiter aus, dass die Mitglieder der Aum Shinrikyô ebenso wie Otaku zumeist junge Männer waren, die dem Leistungs- und Erfolgsdruck der Gesellschaft nicht mehr standhielten und sich deshalb aus ihr zurückgezogen hatten85 (De la Pena: 2006: 16f). Dabei bot ihnen die Sekte ein neues Gefühl von Identität: “This is very much comparable to the process of adopting the otaku identity, as the cult of Aum Shinrikyo shares many characteristics with the otaku” (De la Pena: 2006: 16f). Aber Aum ging letztlich über eine bloße Abkapslung von der Gesellschaft, wie sie Otaku betreiben, hinaus, als sie beim Versuch ihre Visionen von einem unvermeidlichen Armageddon 86 wahr zu machen, die Grenze zwischen Phantasie und Realität überschritten. Diese Grenzüberschreitung stellt für De la Pena auch den Hauptunterschied zwischen Otaku und Aum oder auch Mördern wie Miyazaki dar: “Instead of bringing fantasy into the world of reality, otaku tend to bring reality into the realm of fantasy, creating a ‘virtual world’ where they can exist without having to deal with the social pressures of the real” (De la Pena 2006: 20f). 2.2.2 Die Berichterstattung heute In den letzten Jahren ist eindeutig ein Wandel im Rahmen der Berichterstattung zu beobachten. Kolumnen wie die von Morinaga Takurô in der Nikkei Shinbun87 oder TV-Sendungen wie Cool Japan88 gehen auf Aspekte der Otaku-Kultur ein und begreifen diese als einen Teil moderner japanischer Kultur. Auffällig ist dabei, dass der Fokus häufig stark wirtschaftlich geprägt ist. So wird beispielsweise die Kaufkraft der Otaku thematisiert89 oder aber auch das Potential des inländischen Marktes, mit Tôkyôs Stadtteil Akihabara90 als einer Art Zentrum der Otaku-Wirtschaft. Zudem werden Otaku auch als early adapters und Meinungsmacher im Bereich der Elektronik von der Industrie geschätzt91. Demgegenüber erscheinen aber auch Artikel, die schon den drohenden Ausverkauf der Otaku-Kultur im Allgemeinen und Akihabaras im Besonderen thematisieren92. 85 Vergleich 2.1.6 Otaku und Gesellschaft Ein wesentlicher Bestandteil der Ideologie der Sekte. 87 http://bizplus.nikkei.co.jp/colm/morinaga.cfm 88 NHK, http://www.nhk.or.jp/cooljapan/ 89 Japan's shy geeks boast huge financial clout, Reuters October 07, 2005 http://www.financialexpress.com/old/latest_full_story.php?content_id=104873 90 Siehe hierzu auch. 3.2.6 Akihabara und Matsubara, Tomoki: Jidai ni binkan – “moeru machi”. Yomiuri Online 02/08/05 http://www.yomiuri.co.jp/net/feature/20050802nt02.htm?from=goo 91 Siehe beispielsweise Stout, Kristie Lu: Otaku: Japan's gadget geeks dictate tech future http://edition.cnn.com/2001/BUSINESS/asia/07/12/tokyo.otaku/ 92 So die von E. Barral (bezeichnenderweise ein ‚Ausländer’) verfasste Kolumne in der Asahi Shinbun Kûru Japan: Otaku no okage. Asahi Shinbun 13/07/07. Zu Akihabara siehe auch 3.2.6 Akihabara 86 29 Auch die Globalisierung japanischer Popkultur findet häufige Beachtung in Presse und Rundfunk. Dies geschieht sowohl unter kulturellen, wie auch unter wirtschaftlichen und sogar außenpolitischen Aspekten93. So lassen sich immer wieder Artikel über den ‚Boom’ der so genannten Maid Cafes94 und ihrem Erfolg über die Grenzen Japans hinaus finden95 oder aber auch allgemein über die Verbreitung von japanischer Popkultur wie Manga und Anime in der gesamten Welt96. 2.2.3 Otaku-Dokumentationen Dokumentationen, die sich ausschließlich mit dem Thema Otaku befassen, sind nach wie vor spärlich gesät. Umso mehr Gewicht besitzen daher die vorhandenen. Sie prägen aufgrund ihrer medialen Form auf nicht unerhebliche Weise das Bild der Otaku in der Öffentlichkeit, zumeist über Jahre hinweg. 2.2.3.1 Otaku no Video Im Jahre 1992 erschien die ca. 50-minütige (Pseudo-) Dokumentation, englisch auch mockumentary, Otaku no Video der Produktionsfirma Gainax97. Sie besteht zur Hälfe aus der fiktiven Geschichte des Studenten Kubo, erzählt als Animationsfilm. In diese Geschichte eingebettet sind gestellte Interviews mit realen Personen, alle Otaku, sowie statistische Ergebnisse fiktiver Umfragen. Gesicht und Stimme der Otaku sind verfremdet, es wird aber angenommen, dass es sich samt und sonders um damalige Mitarbeiter von Gainax handelt98. Kubo ist ein durchschnittlicher Student und Mitglied im Tennisclub. Zufällig trifft er seinen alten Schulfreund Tanaka, der Mitglied im Manga Research Club an derselben Univer93 Beispielsweise der bereits in der Einleitung angesprochene Versuch der Regierung mit der “soft power” der japanischen Popkultur im Rahmen der “Visit Japan”-Kampagne 94 Eine Geschäftsidee, die aus der japanischen Manga/Comic-Kultur entstanden ist. Die Kellnerinnen sind in der Regel als viktorianische Hausmädchen (maids) verkleidet, und begrüßen und behandeln die (zumeist) männlichen Gäste auch so als wenn sie „Herr des Hauses“ (goshujinsama) wären. Neben Speise und Getränke gibt es häufig zusätzliche Dienstleistungen, wie ein gemeinsames Foto mit der Bedienung, Handlesen, gemeinsames Videospielen mit der Bedienung und vieles mehr, je nach Cafe. Das Maid Cafe ist letztlich die erfolgreichste Variante des Cosplay Cafes (vom Engl. costume und play). Hierbei schlüpfen die Bedienungen in die Rollen berühmter Comiccharaktere. Mittlerweile hat sich das Modell des Maid Cafes im Zuge eines allgemeinen internationalen Booms japanischer Popkultur auch in andere südostasiatische Länder (z.B. Südkorea, Taiwan, Thailand) und sogar bis nach Kanada und die USA ausgebreitet. Offensichtlich also ein Erfolgsmodell 95 Connell, Ryann: Otaku-boom opportunists have businesses buried in wave of frilly petticoats. Mainichi Japan 19/03/07 http://mdn.mainichi.jp/culture/waiwai/archive/news/2007/03/20070319p2g00m0dm020000c.html 96 Oikawa, Tomohiro: Nihon no manga wo sekai ni hasshin. Asahi Shinbun, 23/06/07 oder auch Sawamura, Watari: Otaku bunka gaikô ni hitoyaku? Asahi Shinbun, 14/07/07 97 1981 gegründet von Okada Toshio (siehe 2.1), Anno Hideaki u.a., produzierte Gainax zunächst noch unter dem Namen Daicon Films die Eröffnungsanimationen der Daicon Conventions in Ôsaka, und schuf schließlich Mitte der 1990er Jahre die immens populäre Anime-Serie Shinseki Evangelion (international als Neon Genesis Evangelion bekannt). 98 Otaku no Video – Liner Notes, http://www.animeigo.com/Liner/ONV.t 30 sität ist. Tanaka führt Kubo in eine bis dato für diesen unbekannte Welt ein, die der Otaku. Kubo ist fasziniert und trifft sich fortan mit Tanaka und seinen Freunden. Sie bleiben die ganze Nacht wach, schauen Anime oder fachsimpeln beispielsweise über die technischen Daten von Militärfahrzeugen. Demgegenüber verändert sich sein Äußeres, er wird blass und nimmt zu, da er nun nicht mehr zum Tennisclub geht und sich ungesund ernährt. Schließlich verliert er auch seine Freundin, aber, wie Tanaka sagt „normale Menschen verstehen uns einfach nicht“. Dieses Unverständnis, auf das Kubo als Otaku stößt, macht ihn schließlich so wütend, dass er beschließt, der „Otaking“99 zu werden und so allen zu zeigen, wozu Otaku fähig sind. Er gründet eine eigene Produktionsfirma für Zeichentrickfilme und baut letztlich sogar einen Otaku-Freizeitpark. Während Manfé die eindeutig selbstironischen Untertöne dieser Parabel erkennt (Manfé 2005: 13), stellt sie für Arne Albrot sogar ein Versprechen dar, die Möglichkeit einer nächsthöheren Daseinsform des Otaku-Seins (Albrot o.J.). Denn Kubo hat letztendlich den Sprung vom „bloßen Konsumenten zum Mitgestalter der Szene“ vollzogen. So stellt Otaku no Video einerseits die allgemein bekannten, negativen Klischees über Otaku dar, wie den Rückzug auf den Zirkel oder das ungepflegte Äußere. Andererseits bestärkt es aber auch die Otaku in ihren Obsessionen. Wie Kubo sollen sie diesen vollends nachgeben und so zur Stärkung der gesamten Otaku-Kultur beitragen. Die Interviews mit den „realen“ Otaku konterkarieren dagegen ein wenig diese Aussage. Die zögerliche Erzählweise der Sprecher, sowie die Tatsache, dass sie allesamt unkenntlich gemacht sind, verdeutlicht das Bewusstsein für den schlechten Ruf, den sie in der (damaligen) Öffentlichkeit innehatten. So sprechen die Otaku teils von ihren Leidenschaften in der Vergangenheit, als würden sie versuchen, ihr Otakutum als eine Art Jugendsünde aus der Studentenzeit darzustellen, während sie nun hart arbeitende sarariman100 geworden seien und ein ‚richtiges’ Leben führten. Doch finden sich unter ihnen auch Universitätsabbrecher, die die Zeit im Club als die beste ihres Lebens beschreiben, nun aber keinerlei richtige Freunde besitzen. Zwischen die Interviews eingestreut sind Kuchendiagramme und Statistiken, die den pseudo-realen Anschein noch erhöhen und vorhandene Klischees vermeintlich bestärken. So haben etwa nach angeblichen Untersuchungen laut ‚Statistik’ 100% der männlichen befragten Otaku und 96% der weiblichen keinen Sex vor der Ehe gehabt. Diese allzu eindeutigen fiktiven Zahlen verstärken jedoch eher den augenzwinkernd selbstironischen Charakter des Films, der so womöglich auch dazu beiträgt, Klischees aufzubrechen und den Diskurs in eine lockerere und heiterere Richtung zu lenken. 99 Parallelen zu Okada Toshios eigener Person sind hier offenkundig. Siehe 2.1 In der Wissenschaft Jap. Angestellter, Büroangestellter (Herk.: von jap.-engl. "salary man") 100 31 2.2.3.2 Beineixs’ Otaku Den (selbst-) ironischen Unterton von Otaku no Video sucht man in der 1993 unter der Regie von Jean-Jacques Beineix entstandenen Dokumentation Otaku zumeist vergebens. In seiner 170-minütigen Dokumentation lässt er Vertreter verschiedenster Otaku-Spielarten von mehr oder minder extremer Ausprägung zu Wort kommen. So stellt er neben dem eher harmlosen Godzillafan oder Modellflugzeugnarr auch einen enthusiastischen Pornofilmliebhaber vor, der durch eine lang anhaltende Krankheit zum Stubenhocker wurde. Für ihn wurden die Medien zum Freundesersatz, seine Identitätsbildung fand über die Sammlung statt. Dabei dienten ihm laut eigener Aussage die Pornofilme auch zur Aufklärung, realen sexuellen Kontakt hatte er indes noch nie. So bleibt die dargestellte Sexualität letztendlich etwas aus einer virtuellen Welt. Folglich richtet der Pornofilm-Otaku seine Libido ebenso auf etwas Künstliches, ein aidoru, das ihm dabei helfen würde, seine Triebe abzureagieren. Zwar bewegen sich nicht alle von Beineix behandelten Themen im halbseidenen oder schlüpfrigen Bereich, jedoch nehmen solche Beiträge einen relativ großen Raum ein. So geht Beineix im Weiteren auf Otaku mit Lolita-Komplex ein, die Schulmädchen deren Unterwäsche abkaufen oder sie gegen Sex mit Sachgeschenken vergüten101. In wie weit dieses Phänomen auf Otaku beschränkt ist, sei fraglich, so treffen beispielsweise interviewte Schulmädchen die Distinktion zwischen Otaku, die die Schlüpfer der Mädchen „nur sammeln“, und „Perversen“. Auch in anderen Bereichen ist nicht ganz klar, was die Betreffenden nun genau als Otaku qualifiziert. So stellt Beineix unter Anderem auch eine Bondage-Liebhaberin vor, was die Frage aufkommen lässt, ob alles was in Japan absonderlich ist und nicht der Norm entspricht, als Otaku zu klassifizieren sei, oder ob Beineix vielmehr um eine effekthascherische Berichterstattung bemüht war. Auch Manfé kommt daher letztlich zu dem Schluss, dass es sich bei Beineix’ Dokumentation um eine sehr populistische Darstellung handele, die Otaku in erster Linie als „obsessive Mediennutzer“ und „beängstigende Lebensform“ darstelle und so wenig Raum für Positives lasse (Manfé 2005: 13). 101 Diese Praxis ist in Japan auch als enjo kôsai, wörtlich in etwa „gesellschaftlicher Umgang gegen Unterstützung“, bekannt. Dadurch, dass die Mädchen von den Männern in der Regel. nicht direkt bezahlt, sondern stattdessen mit teuren Handtaschen oder Ähnlichem beschenkt werden, können sich die Beteiligten der Illusion hingeben, es handele sich nicht um Prostitution. 32 2.2.3.3 Japanorama Ein Beispiel für die westliche Rezeption des Phänomen Otaku in jüngerer Zeit bietet eine Episode der Dokumentarreihe Japanorama der BBC. Diese Reihe scheint in etwa das Pendant zur bereits erwähnten Cool Japan der NHK zu sein, indem sie ebenso die gegenwärtige Popularität japanischer Kultur erkennt und in jeder Episode einen Aspekt auf ‚typisch britische’ Weise behandelt. So lautet der Titel der Episode über Otaku dann auch „Otaku – people of many special interests”102. Diese knapp 30-minütige Betrachtung beschäftigt sich in erster Linie mit der neu aufgekommenen Popularität der Otaku und ihrer Kultur. O-Ton: „[Otaku] “emerged from their bedrooms to become an important social group in 21st century Japan” (Japanorama 2006: 0:03:29). Dabei kommt durchaus auch Skurriles zum Vorschein, wie etwa ein Kissen, das dem weiblichen Schoß nachempfunden ist, aber auch die omnipräsenten maids. Letztere werden als ein „new brand of female“ beschrieben, das auf die „strangely platonic desires“ der „sexually and socially inept otaku“ eingehe (Japanorama 2006: 0:16:15). Jedoch trägt Moderator Jonathan Ross all dies mit einem Augenzwinkern vor, das die Sympathie für ein gewisses Maß an Exzentrik nicht verhehlen kann (und will). So nimmt der Moderator selber an ‚Otaku-Aktivitäten’ wie beispielsweise dem Besuch eines Maid Cafes oder dem Verkleiden als eine mediale Lieblingsfigur, dem cosplay, teil. Gerade in Hinblick auf Beineix’ düstere Studie entsteht hier ein deutlich helleres Porträt der Otaku-Kultur im beginnenden 21. Jahrhundert. Otaku gelten nun als cool, was die Sendung mit fröhlichen, öffentlichen Bekenntnissen selbiger unterstreicht. Letztendlich sollte aber nicht außer Acht gelassen werden, dass eine Sendung wie Japanorama in erster Linie natürlich auch von dem Exotismus seiner Themen lebt. 2.2.4 Das Bild in den Medien zusammengefasst Der obige kurze Überblick sollte gezeigt haben, wie unterschiedlich das Phänomen Otaku im Laufe der Jahre in den Medien verhandelt wurde. Angefangen von einer hysterischen Berichterstattung, die primär dazu beitrug, negative Vorurteile zu verbreiten und zu festigen, wurde in jüngerer Zeit auch das positive Potential dieser kulturellen Strömung erkannt. Dass dabei wirtschaftliche Aspekte eine nicht unerhebliche Rolle spielen, sollte dabei nicht weiter verwundern. Im Bezug auf mediale Texte, die sich speziell der Thematik Otaku widmen, ist erkennbar, dass es verschiedene Formen der Annäherung gegeben hat. Wurden einerseits Stilmittel der Überzeichnung und Ironie gezielt eingesetzt, um bestehende Vorurteile zu unterminieren und zu entkräften, so wurden diese andererseits im Dienste einer spektakulären 102 Japanorama 2006, Season 2, Episode 2.Otaku.BBC 33 Berichterstattung ganz gezielt aufgegriffen und womöglich noch übertrieben. Unter diesem Gesichtspunkt wird auf die Darstellung der Otaku in der TV-Serie Densha Otoko in der nachfolgenden Analyse besonders zu achten sein. 34 3. Das Bild des Otaku in Densha Otoko 3.1 Entstehungsgeschichte, Erfolgsgeschichte, Mediengeschichte Das Phänomen Densha Otoko ist in aller erster Linie ein mediales Phänomen. Dabei hat die Geschichte über die Liebe eines schüchternen Otaku zu einer feinen Dame im Laufe ihrer Entwicklung den Sprung vom elektronischen zum Print- und dann schließlich zum visuellen Medium beinahe mühelos vollbracht. Bezeichnenderweise hat sie ihren Ursprung im Jahr 2004 als Forumseintrag in einem Internetforum103, gemeinhin auch als newsgroup oder BBS (Bulletin Board System) bezeichnet. Dies ist insofern von Bedeutung, als solche Formen der Online-Kommunikation schon per se Qualitäten inhärent sind, die sie zu einem OtakuMedium machen104. Dieser Eintrag, englisch auch thread genannt, stellt die angeblich105 wahre Geschichte des Densha Otoko, des Zug-Mannes106 dar, der sich Hilfe suchend an die anderen Forumsmitglieder wendet. Auf seiner Heimfahrt aus Akihabara steht er einer Frau bei, die von einem alkoholisierten Lüstling belästigt wird. Aus Dankbarkeit lässt diese ihm später ein teures Teeservice zukommen. Unerfahren in sozialer Interaktion mit dem anderen Geschlecht und ratlos, wie er nun weiter vorgehen soll, wendet sich Densha daher an das Forum, eines von vielen auf der in Japan immens populären Seite 2channeru107. Mit Hilfe gut gemeinter Tipps und Ratschläge der Forumsbesucher nimmt die Romanze zwischen Densha und Hermes108 ihren Lauf und der thread109 gewinnt an Popularität. Dieser thread wird schließlich so populär, dass er im Jahre 2004 in Buchform erscheint. Autor ist ein gewisser Nakano Hitori, was in etwa soviel heißt wie „einer unter (ihnen)“ und die Vermutung nahe legt, es handele sich bei dem Autor um eines der Forumsmitglieder. Dabei ist das Buch kein Roman im herkömmlichen Sinne, sondern nichts anderes als die gesammelten Forumseinträge in chronologischer Reihenfolge. Nichtsdestotrotz kletterte es 103 Siehe beispielsweise http://www.yomiuri.co.jp/book/news/20041228bk04.htm Da besagtes BBS auch innerhalb der TV-Serien-Adaption einen nicht unerheblich Raum einnimmt, folgt eine detaillierte Besprechung in 3.2.4 Kommunikationsform Onlineforum 105 Aufgrund der anonymen Natur solcher Onlineforen ist es leider unmöglich, die Authentizität gemachter Einträge zu überprüfen. 106 Dabei bezieht sich sein Namen nicht auf eine seine Leidenschaften, sondern bezeichnet vielmehr den Ort seiner Heldentat und des Beginns der Romanze. Im Folgenden werde ich die abgekürzte Version Densha benutzen. 107 2ch.net, in der TV-Serie findet diese ihr Pendant als aladdin channeru, kurz a_ch. Siehe hierzu auch 3.2.4 Kommunikationsform Onlineforum 108 Benannt nach dem von ihr geschenkten Teeservices der Marke Hermes. 109 Im Internet unter http://www.geocities.co.jp/Milkyway-Aquarius/7075/trainman.html 104 35 mit über einer Millionen verkaufter Exemplare rasch auf die Liste der 20 meistverkauften Bücher in Japan im Jahre 2004110. Auf der Welle dieses Erfolges mitschwimmend erschienen rasch insgesamt vier verschieden Manga-Adaptionen111. Im Jahre 2005 folgten als letzte Konsequenz dann die Aufbereitungen des Stoffes für Film und Fernsehen, die wiederum eine beachtliche Beliebtheit erlangten. So besuchten über zwei Millionen Besucher die Kinoversion des Stoffes, was zusammen mit der nachfolgenden DVD-Vermarktung zu Gesamteinnahmen von ca. 3,7 Mrd. Yen führte112. Die drei Monate nach Kinostart von Fuji TV produzierte und ausgestrahlte elfteilige TV-Serie konnte beachtliche Quoten von durchschnittlich über zwanzig Prozent aufweisen113 und verkaufte sich als DVD-Version mit über 600.000 Einheiten114 ebenfalls außerordentlich gut. Bleibt noch zu erwähnen, dass die Serie auch den Preis des Best Drama bei den 64. Television Drama Academy Awards der japanischen Zeitschrift The Television115 gewann. Diese Zahlen sollten vom kulturellen Impact des Densha Otoko im Allgemeinen und der TV-Adaption im Besonderen einen ersten Eindruck geben können. Da letztere meines Erachtens als wöchentliches Format des Massenmediums Fernsehen die größte Zahl von Rezipienten erreichen kann, werden sich die Untersuchungen im Folgenden auf diese konzentrieren. Zumal anzumerken ist, dass der Kinofilm letztlich nur eine anderthalbstündige Stauchung des Stoffes, den die TV-Serie behandelt, bietet und sich dabei weder filmisch noch erzählerisch nennenswert von dieser unterscheidet. Die TV-Version bietet aber aufgrund ihrer zeitlichen Länge eine größere Detailtiefe, die sich besser zur Analyse einzelner Teilaspekte eignet. 3.2 Densha Otoko im Medium TV-Drama Im diesem Abschnitt soll auf die Bedeutung des Fernsehens im Sinne der Cultural Studies eingegangen und die Densha Otoko-TV-Serie sodann in den so herausgearbeiteten Diskurs eingebettet und ihre Relevanz deutlich gemacht werden. 110 http://www.yomiuri.co.jp/book/news/20051221bk07.htm Hara, Hidenori: Densha Otoko - Net Hatsu, Kakueki Teisha no Love Story. Shogakukan: Tôkyô 2005 Watanabe, Wataru: Densha Otoko - Demo, Ore Tabidatsuyo. Akita Shoten: Tôkyô 2005 Dôke, Daisuke: Densha Otoko - Ganbare Doku Otoko!. Akita Shoten: Tôkyô 2005 Ocha, Machiko: Densha Otoko - Bijo to Junjou Otaku Seinen no Net Hatsu Love Story. Kodansha: Tôkyô 2005 112 http://ja.wikipedia.org/wiki/%E9%9B%BB%E8%BB%8A%E7%94%B7#.E6.98.A0.E7.94.BB 113 http://wiki.d-addicts.com/Densha_Otoko 114 http://www.fujitv.co.jp/b_hp/denshaotoko/index.html 115 http://www.television.co.jp/ 111 36 Der britische Kulturwissenschaftler John Fiske definiert einerseits Fernsehen als einen „bearer/provoker of meanings and pleasures“ und andererseits Kultur als die „generation and circulation of this variety of meanings and pleasures within society“ (Fiske 1987: 1). So fungiere das TV als kultureller Agent, indem es Bedeutungen in Umlauf bringt und hält. Hierbei handele es sich Fiske zufolge besonders um solche Bedeutungen, die dazu beitragen, die in einer Gesellschaft jeweils dominante Ideologie zu kommunizieren und zu festigen. Jedoch versteht Fiske Fernsehen und Fernsehsendungen immer auch als „potentials of meaning“, die mehr als nur eine Lesart zulassen (Fiske 1987: 13f). Diese „polysemy“ oder Vieldeutigkeit sei eines der entscheidenden Charakteristiken des Fernsehens, da diese erst die Beliebtheit des Mediums bei einem möglichst breiten Publikum aus den unterschiedlichen Teilen der Gesellschaft zuließe (Fiske 1987: 15f). Horace Newcomb und Paul Hirsch, Vertreter der Television Studies, kritisieren die Idee, das Fernsehen sei in erster Linie ein Kommunikationsmedium, das durch das Verbreiten von Botschaften der dominanten Ideologie eine Art politischer Kontrolle darstellte (Newcomb et al.: 2000: 162f). Ebenso lehnen sie aber einen rein ästhetischen Ansatz ab, der das Fernsehen als die neue Form des Rituals ansehe, und ihm somit die Funktion der „maintenance of society in time” und der „representation of shared beliefs” zusprechen würde116. Ihr Modell sieht das TV vielmehr als einen zentralen Bestandteil für das Entstehen von „public thought“ (Newcomb et al: 163). Das Fernsehe bilde dabei eine ‘Metasprache’ aus, die den Zuschauern einen “way of understanding who and what we are, how values and attitudes are adjusted, how meaning shifts” (Newcomb et al. 2000: 164) bietet. Dabei sei in der Populärkultur im Allgemeinen und im Fernsehen insbesondere das Aufwerfen und Beantworten von Fragen gleichermaßen wichtig. Das Fernsehen bringe demzufolge durchaus Problematiken der herrschenden Ideologie zur Sprache, liefere in der Regel aber hierauf Antworten, die innerhalb gesellschaftlicher Normen und Werte bleiben würden (Newcomb et al. 2000: 166). Es werde also nicht kritisiert, sondern höchstens kommentiert und diskutiert. Dabei mache die Gegenüberstellung unterschiedlicher Ansichten letztlich gerade die Struktur der meisten Sendungen aus. Die Densha Otoko-TV-Serie ist nun ein so genannter Vertreter des terebi dorama, japanisch für TV-Drama117. Dieses Format läuft zumeist über eine festgelegte Anzahl von neun bis elf circa 45-minütigen Episoden. Dorama verfügen also anders als beispielsweise 116 Für einer Diskussion der sozialen Funktion des Ritual siehe beispielsweise auch Durkheim, Emile: Die elementaren Formen des religiösen Lebens. Suhrkamp: Frankfurt/M. 1981 117 Siehe auch http://en.wikipedia.org/wiki/Dorama und Clements, Jonathan; Tamamuro, Motoko: The Dorama Encyclopedia: A Guide to Japanese TV Drama Since 1953. Stone Bridge Press: Albany 2003 37 soap operas über ein absehbares Ende. Dabei wird das eine Ende des Spektrums von dorama gebildet, die sich jeweils zu Beginn und zum Ende einer Episode in einem gewissen Status quo wieder finden. Auf der anderen Seite stehen dorama, in denen Hauptcharaktere und Plot von Episode zu Episode eine graduelle Entwicklung durchmachen, die absehbar auf einen letztendlichen Abschluss der Geschichte hinsteuert. Thematiken wie Romanze und Liebe können häufig einen großen Stellenwert einnehmen, dies ist aber nicht zwingend. Zudem besitzen dorama zumeist auch ein gehöriges Maß an Humor. Die von Andreas Hepp herausgearbeiteten zentralen Merkmale von TV-Serien (Hepp 2004: 172ff) lassen sich dabei zum Teil auch in den dorama wieder finden: Sie besitzen ein festes Kernset von Charakteren, greifen Alltagsthemen auf und besitzen eine Art emotionalen Realismus, das heißt es werden Situation und Gefühle behandelt, die den Zuschauern so oder so ähnlich aus dem eigenen Alltagsleben bekannt sind. Densha Otoko ist dabei ein dorama, das von Anfang an einem Klimax und damit einem Abschluss entgegenarbeitet, in diesem Fall dem Zusammenkommen von Densha und Hermes. Darüber hinaus reiht es sich in die obige Definition des dorama ein, der Plot ist auf elf je 48-minütige Episoden verteilt. Sowohl Situationskomik wie auch melodramatische Elemente bilden einen Bestandteil der Serie. Im Folgenden sollen nun Teilaspekte, die für den Otaku-Diskurs relevant und somit maßgeblich zur Bildung des Bildes vom Otaku in Densha Otoko beitragen, einer genaueren Einzelbetrachtung unterzogen werden. Dabei wird ebenfalls aufzuzeigen sein, ob das dorama verschiedene Lesarten zulässt oder hauptsächlich bestehende Ideologien transportiert. Aber auch inwieweit es Bestandteil des oben angesprochenen „public thought“ ist oder zur Prägung desselben beiträgt wird zu verhandeln sein. 3.2.1 Verhalten und Auftreten Bei einer Untersuchung des in Densha Otoko kommunizierten Bildes des Otaku ist die Betrachtung des Verhaltens von Densha und seinen Freunden wohl ein wichtiger erster Ansatzpunkt. Besondere Beachtung soll dabei zunächst der erste Eindruck finden, da dieser gerade im Medium TV-Serie zur Charakterisierung dient, die abgehandelt werden muss, bevor sich der Plot überhaupt entwickeln kann. Denshas Auftritt zu Anfang der ersten Episode bietet dann sogleich viele aus dem Otaku-Diskurs bekannte Klischees. Über seinen Gameboy gekrümmt wandelt er durch die Straßen, ohne seiner Umwelt Beachtung zu schenken. Auch seine Kleidung bedient dabei gängige Vorstellungen: eine knöchelhohe, ausgewaschenen Jeans in Kombination mit einem 38 unmodischen, karierten Hemd118, weißen Turnschuhen und dem obligatorischen Rucksack. Darüber hinaus ist er selbstverständlich Brillenträger. Dieses Erscheinungsbild deckt sich fast hundertprozentig mit dem im Diskurs häufig beschworenen Bild, wie es etwa De la Pena zusammenfasst: „Their hair is long or not styled, their clothes are out of fashion, they sport large backpacks bringing them whenever they go shopping. My friend tells me that since their obsession is all-encompassing, they have no time for fashion or grooming.” (De la Pena 2006: 12) Ein Straßenverkäufer spricht Densha schließlich an und reißt ihn aus seiner Traumwelt. Er spricht das aus, was der Zuschauer sich wohl bereits dachte: Densha sei einsam, allein119 und sehe ungesund aus. Zudem sei er bestimmt ein schlechter Sohn, da er sein Geld offensichtlich lieber für Spiele ausgebe statt seinen Eltern Geschenke zu machen120. Auch weitere (erste) Begegnungen zwischen Densha und seinen Mitmenschen machen den Eindruck, den andere von ihm haben, deutlich. Da ist die Frau121, die im Bahnhof mit ihm zusammenprallt und angewidert zurückweicht, als sie seine mit Anime-Figuren und Videospielen122 gefüllte Einkaufstüten sieht. In ihre Augen mischen sich Entsetzen und Ekel, als er sich dann anschickt, ihr beim Zusammensammeln ihrer fallengelassenen Schminkutensilien zu helfen. Dahingegen begegnen ihm zwei Jungen aus seiner Nachbarschaft eher freundlich, denn er kann ihnen immer Hilfestellung bei Problemen mit ihren Videospielen geben. Jedoch sehen sie in ihm letztlich auch nicht mehr als den Otaku, der nie eine Freundin haben wird123, wobei sie sich offensichtlich auf die im Diskurs und der Öffentlichkeit gängige Meinung beziehen. Dabei ist Denshas Verhalten in solchen Situationen grundsätzlich defensiv, er entschuldigt sich immer als erster und auch dann, wenn es eigentlich keiner Entschuldigung bedarf124. Generell verhält er sich Anderen gegenüber eher unterwürfig und verbeugt sich am tiefsten, selbst am Telefon. Darüber hinaus verfügt er über eine relativ geringe Toleranzschwelle gegenüber Stress und ist leicht den Tränen nahe125. Direkt in der ersten Episode wird 118 Im Laufe der Serie wird dieses auch mal gegen eine Fan-Shirt von Denshas Lieblingsserien ersetzt. „only lonly“ (Ep 1, 0:03:08) 120 In diesem Fall natürlich in Form von Haushaltsgeräten, die der Straßenhändler verkauft. 121 Kaho, zufällig eine Arbeitskollegin und Freundin von Hermes. 122 Allesamt von Denshas Lieblingsanime, dem fiktiven Getsumen To Heiki Mîna (Lunar Rabbit Weapon Mina), das seit Beginn 2007 jedoch aufgrund allgemeiner Popularität auch als eigenständige Anime-Serie produziert wird. 123 Ep 2 124 Beispielsweise bei den kleinen Jungen, die eigentlich ihm in den Weg gelaufen sind (Ep 1) oder auch bei einem herrenlosen Fahrrad, dass er versehentlich umwarf (Ep 5). Selbst bei einem Stalker, der Hermes nachstellt, entschuldigt er sich noch dafür, gemeinsam mit der Polizei in seine Wohnung eingedrungen zu sein, und spricht diesen sogar als Stalker-san an (Ep 5). 125 Obwohl für ihn in genrespezifischer Übertreibung ein Unglück oft selten allein kommt. 119 39 dieser Charakterzug nach einem besonders schlimmen Tag bis zum Nervenzusammenbruch mit Heulkrämpfen ausgereizt. Auch wird schnell deutlich, dass Densha nicht besonders viel Wert auf sozialen Umgang legt. So geht er weder mit seinen Arbeitskollegen nach der Arbeit noch etwas trinken, noch trinkt er überhaupt Alkohol 126 . Stattdessen verbringt er seine Feierabende in seinem Zimmer vor dem PC und kommuniziert in Onlineforen127. Dabei ist er immer umgeben von seiner Sammlung; Figuren 128 seiner Lieblingsanime, von Kampfrobotern bis hin zu knapp bekleideten Mädchen, die sein kleines Zimmer noch enger erscheinen lassen und jede freie Nische ausfüllen. Sie scheinen ihm Trost zu spenden und Kraft zu geben, sieht er doch in Momenten der Not zu ihnen oder berührt sie gar. In besagten Onlineforen liefert Densha dankenswerterweise gleich zu Beginn eine Selbstbeschreibung, die wenig Fragen nach seinem Selbstbild offen lassen. Er sei ein gewöhnlicher Anime- und Videospiele-Otaku, ein „Rucksack-tragender-Akiba-chan“ 129 . Er ist 23 Jahre alt und noch Jungfrau. Seine ungewollte Unbeflecktheit führt er selbst vor allem auf die Tatsache zurück, dass er dame130, ein doku-otoko sei. Letzteres bedeutet wörtlich „giftiger Mann“ und spielt darauf an, dass keine Frau sich freiwillig einem solchen nähern würde. So schreibt er sich also Eigenschaften zu, die auch gemeinhin mit Otaku in Verbindung gebracht werden. Geht er im Internet unter dem Schutz eines anonymen Alias freimütig mit seiner Otaku-Natur um, so ist er im alltäglichen Leben normalerweise darauf bedacht, diese möglichst zu verbergen. Schließlich ist er sich des gemeinhin negativen Bildes nur allzu bewusst, bekommt er es doch immer wieder auf mehr oder weniger direkte Art zu verstehen gegeben. So eröffnet ihm beispielsweise seine Untergebene Jinkama, an ihm hefte der ota-shû, der Gestank des Otaku131. Dementsprechend bringt ihn auch eine Frage von Hermes nach seinen Freizeitbeschäftigungen in Verlegenheit, vor seinem geistigen Auge ziehen dabei Maid Cafés, der Kauf von bishôjo-Spielen132, und seine nächtlichen Ausflüge ins World Wide Web vor- 126 Dabei gehören in japanischen Firmen gemeinsame Kneipenbesuche allgemein zum guten Ton, ja sind regelrecht so etwas wie eine Institution, die zur Verbesserung des Betriebsklimas und des Stressabbaus dienen sollen. Sich dem zu versagen zieht nicht selten die Konsequenz nach sich im Kollegenkreis verpönt zu sein. 127 Siehe hierzu 3.2.4 Kommunikationsform Onlineforum 128 Den so genannten figyâ 129 Ep 1, 0:44:26. Akiba-chan nach seinem Lieblingsaufenthaltsort außerhalb seines Zimmers, Akihabara. Siehe hierzu auch 3.2.6 Akihabara. 130 Jap. nutzlos 131 Episode 2, 1:16:51 132 Wörtlich „schönes Mädchen“, handeln diese Spiele von Charakteren, die nicht den Eindruck machen schon volljährig zu sein. Aufgabe des Spielers ist es zumeist, eine Beziehung zu diesen aufzubauen. Siehe auch 3.2.5 Otaku, Sexualität und moe 40 bei133, so dass er sich schließlich mit einer halben Notlüge retten muss. Als Hermes dann zu einem gemeinsamen Date mit ihren Freundinnen lädt, treibt Densha wieder die Angst um, dass er als Otaku ‚entlarvt’ werden könnte134. In manchen Momenten, wenn ihn seine Leidenschaft zu sehr mitreißt, vergisst Densha jedoch, seine ‚Tarnung’ aufrechtzuerhalten, dann sprudelt sein geballtes Otaku-Wissen ungezügelt aus ihm heraus. So klärt er bei einem Geschäftessen den Firmenchef über eine AnimeSerie auf, da dieser die Ausführungen seiner eigenen 5-jährigen Tochter nicht versteht. So ‚outet’ Densha sich vor seinem ebenfalls anwesenden Abteilungsleiter als Otaku135. Die Reaktionen bestehen aus befremdeten Blicken, in die sich auch Abscheu zu mischen scheint. Daraufhin bemerkt auch Densha seinen Lapsus und verstummt abrupt. Eine ähnlich Reaktion zeigt er, als er, von Hermes nach seinem Lieblingsfilm gefragt, in einen Redeschwall über Matrix136 verfällt. In ihren Augen steht dabei aber eher Erstaunen und Unverständnis ob der von Densha an den Tag gelegten Euphorie, Abscheu findet sich dort jedoch nicht137. Dahingegen braucht es bei Hermes’ Freundin Kaho noch nicht einmal das Wissen um Denshas Otakutum, um ihn als „NG“, „no good“, abzustempeln138. Denshas Auftreten alleine reicht schon, um bei ihr dieses diffuse Gefühl der Ablehnung hervorzurufen. Er sei zwar ernsthaft, aufrichtig und nett139, habe aber keine starke Präsenz und strahle irgendwie die Aura eines Nichtsnutzes aus140 . Spätestens als er zu einem gemeinsamen Date mit Hermes und ihren zwei Freundinnen seine beiden Otaku-Freunde Kawamoto und Matsunaga mitbringt141, bestätigt er den negativen ersten Eindruck von Hermes’ Freundinnen. Obwohl ihm vorher sogar von seinen Online-Freunden geraten wurde, auf keinen Fall Otaku mitzubringen, taucht er mit ebensolchen auf. Er bittet sie jedoch bewusst im Vorfeld, ihr Otaku-Sein zu verbergen, schließlich ist er doch besorgt, was für einen Eindruck dies bei Hermes und ihren Freundinnen hinterlassen könnte. Man merkt seinen Freunden an, dass sie diese Bitte kränkt, dennoch versuchen sie ihr bestes. Letztendlich sind aber alle drei derart unbeholfen und verkrampft in ihren Versuchen, als Shibuya-kei 142 durchzugehen, dass Hermes’ Freundinnen die Enttäu- 133 Ep 3 Ep 3 135 Ep 2 136 Science Fiction-Film aus dem Jahre 1999 der Brüder Larry und Andy Wachowski 137 Ep 5. Zum Verhältnis zwischen Densha und Hermes siehe auch 3.2.3 Denshas Entwicklung und seine Beziehung zu Hermes 138 Ep 4, 0:55:23. An den Zusammenprall mit Densha am Bahnhof kann sie sich dabei jedoch nicht erinnern. 139 majime, seijitsu und yasashii 140 sonzaikan usui und dekisokonai 141 Ep 5. Ein sog. gôkon, ein Treffen das gemeinhin dem Verkuppeln der Freunde der jeweils zwei organisierenden Parteien/Personen dient. Zu Denshas Freunden siehe auch 3.2.2 Soziales Umfeld 142 In etwa „Shibuya-Strömung, in Anlehnung an den schicken Stadtteil Tôkyô, der mit seinen teuren Kleidungsund Lifestyle-Geschäften wohl für all das steht, was die Otaku nicht sind. Dabei bezeichnet Shibuya-kei nicht 134 41 schung ob dieser gänzlich unpassenden Datingpartner deutlich ins Gesicht geschrieben steht. Denn ebenso wie Densha sind sie auf Otaku-Thematiken festgelegt. So können sie sich im Gespräch mit den drei Frauen in Ermangelung anderer Themen auch nicht zurückhalten, was bei ihren Gegenübern stark ablehnende Reaktionen hervorruft. Dabei ist es aber zumeist noch nicht einmal die Referenz auf otaku-spezifische Themen, die Densha schnell als einen solchen identifizieren lassen, sondern vor allem seine Art, Aufgaben und Probleme anzugehen. In erster Linie steht dabei das sammeln, kategorisieren und analysieren von Daten. Hier legt er ein Verhaltensmuster an den Tag, das durchaus dem gängigen Diskurs über das Verhältnis zwischen Otaku und Information entspricht 143 . So reagiert er auf den von Hermes geäußerten Wunsch, einen neuen PC zu erwerben, indem er eine Unzahl von Prospekten anhäuft144. Diese versieht er sodann mit handschriftlichen Anmerkungen und PostIt-Lesezeichen, was Hermes sichtlich überfordert. Als diese bei anderer Gelegenheit von einem Stalker heimgesucht wird, versorgt er sie mit einer Vielzahl elektronischer Abwehrhilfen, natürlich allesamt aus Akihabara bezogen145. Bei soviel geballter praktischer Hilfe darf auch ein „Anti-Stalker-Manual“ nicht fehlen, wiederum versehen mit den Ergebnissen von Denshas eigener Datenauswertung. Eine Affinität zu elektrischem und technischem Gerät zeigt sich auch, als Densha sich bei einem Besuch in Hermes’ Haus zunächst einmal um ihren defekten PC kümmert und ihr später dann auch noch bei der Bedienung des Videorekorders behilflich ist146. So ist also erkennbar, dass Densha und seine Freunde als Figuren im klassischen Sinne des Otaku-Diskurses und des allgemeinen Bildes des Otaku in der Öffentlichkeit angelegt zu sein scheinen. Mangelndes Sozialverhalten, Beschränkung auf ihre Leidenschaften, eine ausgeprägte Neigung zur Sammlung und zu Informationen scheinen alle in diese Richtung zu deuten. Differenzierter wird dieses Bild nur im Kontrast zu den anderen Figuren des dorama147. Als völliges Gegenteil Denshas kann hierbei sicherlich Sakurai, Denshas Nebenbuhler um die Gunst Hermes’, angeführt werden148. Dieser entspricht eher dem prototypischen Bild eines starken Mannes. Er ist stets braun gebrannt, bedient sich einer harten Macho-Sprache149 und fährt Sportwagen. Im Gegensatz zu Densha ist er beruflich erfolgreich, er leitet ein Restaurant, und macht vor allem einen guten Eindruck auf Hermes’ Freundinnen. Anders als nur eine bestimmte Art sich zu kleiden, sondern damit einhergehend auch ein bestimmtes Auftreten samt Sprachverhalten, der in dieser Szene von den drei Otaku-Freunden mehr schlecht als recht imitiert wird. 143 Siehe hierzu 2.1.3 Otaku, Information und Kommunikation 144 Ep 4 145 Ep 5. Zu Akihabara siehe auch 3.2.6 Akihabara 146 Ep 6 147 Siehe hierzu auch das folgende Kapitel 3.2.2 über das soziale Umfeld Denshas 148 Sakurai tritt ab Episode 7 auf. 149 Er spricht beispielsweise von sich immer als ore, der stärksten Form des männlichen „Ich“ im Japanischen. 42 Densha behandelt er Hermes nicht immer übervorsichtig, sondern auch schon mal etwas forscher. Selbst Densha muss über ihn einräumen, dass er ein ikemen150, ein gut aussehender Mann sei. Dem etwas objektiveren Blicks des Zuschauers dürfte dabei jedoch nicht entgehen, dass Sakurai sich zwar gegenüber Hermes und ihren Freundinnen immer von seiner besten Seite präsentiert, letztlich aber einige negativen Seiten vorzuweisen hat. So raucht er, hört geschmacklose Musik151, und sein inflationärer Gebrauch von gebrochenem Englisch oder auch waseieigo 152 trägt zu einer Charakterisierung bei, die ihn als oberflächlichen Gecken dastehen lässt. Seine Rolle als Antagonist Denshas wird spätestens klar, wenn er nicht davor zurückschreckt gemeine Tricks oder gar Gewalt anzuwenden, um seinen Rivalen auszustechen. Ein Kontrast ganz anderer Art, der als eine Gegenüberstellung innerhalb des OtakuDiskurses gewertet werden kann, stellt die Begegnung zwischen Densha und dem Stalker153, der Hermes nachstellt, dar. Denn auch der Stalker weist eindeutige Otaku-Charakteristika auf. Er besitzt eine teure Fotoausrüstung und hat in seiner Wohnung eine Fotowand voller Schnappschüsse von Hermes installiert. Im Gespräch mit Densha eröffnet der Stalker diesem dann seine tragische Geschichte. Er habe keinerlei Erfahrungen mit Frauen und wisse daher nicht, wie er sich ihnen nähern solle. So hätte er damit, dass er Hermes nachstellte, nur erreichen wollen, dass ihm Frauen auch einmal Beachtung zu teil werden lassen. Nun schäme er sich dafür und bereue es. Erstaunlicherweise bringt ihm Densha sogar Verständnis entgegen, da ja auch er noch nie mit einer Frau zusammen gewesen sei154. Sodann ist es an Densha, dem Stalker sein Herz auszuschütten. Er berichtet von der Behandlung, die er zu Hause und im Beruf erfährt 155 , der Nichtbeachtung und dem Spott, und der Unsicherheit und Nervosität gegenüber Hermes156. Er geht sogar so weit, sein Verhalten mit dem des Stalkers gleichzusetzen, da er befürchtet, dass seine Annäherungsversuche gegenüber Hermes von dieser auch nur als Belästigung empfunden werden könnten. Der Stalker widerspricht ihm aber, schließlich mache Densha Hermes glücklich, während er, der Stalker, ihr nur Angst einjage. Dieses Aufeinandertreffen scheint wie die Gegenüberstellung zweier Seiten einer Medaille, wobei der 150 Ep 8, 1:08:23. Japanischer Neologismus aus iketeru イケてる„cool/ lässig sein“ und dem engl. men oder auch dem jap. men 面 151 Der Titel Dragostea Din Tei der rumänischen Popgruppe Ozone 152 Zu übersetzen mit „in Japan geprägtes Englisch“, bezeichnet es japanische Wortneuschöpfungen mit aus dem Englischen entnommenen Elementen ebenso wie Hybridwörter mit sowohl englischen als auch japanischen Elementen. Die Bezeichnung der Schein- bzw. Pseudoentlehnungen ist ebenso gebräuchlich. 153 Ep 5 154 Ep 5, 0:34:39. “Ich verstehe deinen Gefühle so gut, dass es schmerzt.” („あなたの気持ちは痛いほどよく 分かるんです。”) 155 Siehe hierzu auch 3.2.2 Soziales Umfeld 156 Ep 5, 0:33:25. O-Ton: „Egal was ich mach, es ist vergeblich“ („何をやっても、ダメダメで。“). 43 Stalker wie die Verkörperung einer dunkleren Seite des Otaku wirkt. Gerade durch diesen Kontrast gewinnt die Figur Denshas an Positivität und Hoffnung. Der Zuschauer erkennt, dass die Gefühle, die Densha von seinen Mitmenschen entgegengebracht werden, und die Zurückweisung, die offensichtlich auch der Stalker erfährt, sich zwar stark zu ähneln scheinen, Densha aber nichtsdestotrotz einen deutlich anderen Weg als der Stalker eingeschlagen hat. Schließlich hat er sich doch trotz ähnlich negativer Erfahrungen seinen Ängsten zumindest zum Teil gestellt und ist auf Hermes zugegangen anstatt sich wie der Stalker weiter zurückzuziehen und aus dem Verborgenen zu agieren. Das Bild des Otaku ist also letztlich nicht so einseitig wie es der erste Eindruck vielleicht vermuten lassen würde. Es dürfte aber offensichtlich geworden sein, dass die aus dem allgemeinen Diskurs bekannten Thematiken sehr wohl auch in Densha Otoko behandelt werden. Densha scheint dem generellen gesellschaftlichen Druck nicht wirklich gewachsen, sein Selbstbild entspricht dem schlechten Image, das seine Umwelt von ihm zu haben scheint. Des Weiteren sind ihm seine Leidenschaft und Sammlung überaus wichtig und bilden für ihn einen Zufluchtsort, was seiner sozialen Entwicklung aber eher hinderlich gegenübersteht. 3.2.2 Soziales Umfeld Wie schon eingangs in der Diskussion des Otaku-Diskurses erwähnt 157 spielt das soziale Umfeld eine nicht unerheblich Rolle in den Erklärungsversuchen des Phänomen Otaku. Daher soll hier untersucht werden, inwieweit das dorama den Thesen des Diskurses folgt oder sie hinterfragt. 3.2.2.1 Die Familie Erster Ansatzpunkt ist dabei – wie im allgemeinen Diskurs auch – das engste soziale Umfeld, die japanische Kernfamilie. Dabei tritt direkt ein signifikanter Unterschied zum gängigen Diskurs auf. Denn in Densha Otoko ist es nicht der Vater, der durch ständige Abwesenheit glänzt, sondern die Mutter. Selbst das Publikum bekommt sie erst in der allerletzten Episode zu sehen. Der Vater besitzt zwar ein Geschäft für Fahrräder, Densha und der Zuschauer treffen ihn aber grundsätzlich nur in den eigenen vier Wänden an, zumeist mit Hausarbeiten beschäftigt. Die Gründe für die ständige Abwesenheit der Mutter sind indes mannigfaltig. Mal ist sie auf Nachbarschaftspatrouille, nimmt gerade ein Bad, oder ist in ein Konzert gegangen. 157 Siehe 2.1.6 Otaku und Gesellschaft 44 Zumindest scheint sie vielerlei Dinge als wichtiger zu erachten als Zeit mit ihrer Familie zu verbringen. Eine interessante Karikatur gängiger japanischer Familienverhältnisse und wider die These, Otaku entstünden durch fehlende Autorität des Vaters und einer starken Fixiertheit auf die Mutter. Dabei bleibt festzuhalten, dass der Vater gegenüber Densha weder die Rolle eines Vaters noch die der Mutter einnimmt, vielmehr straft er ihn in der Regel mit völliger Nichtbeachtung, ja, er vergisst sogar Denshas Geburtstag158. Dass der Vater aber dennoch einen gewissen Einfluss auf Denshas Entwicklung gehabt haben könnte, wird durch seine Charakterisierung angedeutet. So trägt der Vater gerne auch mal die BHs der Mutter. In seiner Jugend war er nach eigenen Worten ein „shy boy“159. So habe er auch seine jetzige Ehefrau und Denshas Mutter dadurch kennen gelernt, dass er sie unentwegt mit Anrufen behelligte, vor ihrem Elternhaus auf sie wartete und zu guter letzt auch ihren damaligen Freund belästigte. Parallelen zum bereits besprochenen Stalker160 drängen sich zwangsläufig auf und legen die Vermutung nahe, Denshas Vater sei in seiner Jugend auch eine Art Otaku gewesen. Ein weiteres Indiz dafür, dass Denshas Otaku-Natur so etwas wie Vererbung wäre, lässt sich im ersten und einzigen Auftritt der Mutter161 finden. Sie eröffnet der Familie, dass sie erneut schwanger ist und das Kind Matilda nennen möchte. Densha ist von dieser Idee sofort angetan und das aus gutem Grund. Schließlich ist Matilda doch der Name einer Hauptfigur aus dem von ihm verehrten Anime, Gundam, deren Figur auch sein Regal ziert. Die Kernfamilie wird komplett durch Denshas jüngerer Schwester Aoi, einer Oberschülerin. Sie macht von Anfang an, ebenso wie der Vater, keinerlei Hehl aus ihrer Abneigung gegenüber ihrem Bruder. So begrüßt sie ihn mit den Worten: „Man erkennt Dich schon aus hundert Meter Entfernung, kannst Du nicht mit dieser total uncoolen Otaku-Mode aufhören?! Schon Deine Anwesenheit ist eine Belästigung für die Nachbarschaft“162. Sie kann ihn „nicht mehr ertragen“163 und fordert daher von ihm, dass er es nicht wagen solle ins Esszimmer zu kommen, bevor sie nicht das Haus verlassen habe. Als sie jedoch später merkt, wie sehr er sich für seine Treffen mit Hermes bemüht164, beginnt sie, ihn in einem anderen Licht zu sehen, gibt ihm Tipps und legt letztendlich sogar ein gutes Wort für ihn bei Hermes ein. Laut Aoi habe er sich in jüngster Zeit hin zum Positiven gewandelt und das dank Hermes165. 158 Ep 1 Ep 3, 0:17:28 160 Siehe oben 161 Ep 11 162 Ep 1, 0:22:54: „100メトル先からでも分かる。その究極にださい オタクファッションを止めてくれる?もう存在が近所迷惑なの!” 163 „nanka muka tsuku“ 164 Siehe hierzu auch 3.2.3 Denshas Entwicklung und seine Beziehung zu Hermes 165 Ep 8 159 45 Insofern präsentiert sich die Familie als eine Art Zerrspiegel der im Diskurs herausgearbeiteten Form der japanischen Kernfamilie. Der Vater ist physisch anwesend, straft Densha aber mit Nichtbeachtung und Ablehnung. Die Mutter fehlt vollends, so dass die gängigsten These des Diskurses nicht greifen können. Nichtsdestotrotz erkennt der Zuschauer, dass die Verhältnisse in Denshas Familie alles andere als optimal sind und durchaus zu seinem jetzigen Zustand beigetragen haben könnten. 3.2.2.2 Seine Freunde Als nächste wichtige Einflussgröße und vor allem als Anhaltspunkt dafür, wie Densha seine sozialen Kontakte behandelt, sind seine Freunde Kawamoto und Matsunaga zu nennen, mit denen er seine Otaku-Leidenschaften teilt. Von Auftreten, Kleidung und Verhalten sind sie durchaus vergleichbar, jedoch scheint Densha unter ihnen der ‚gemäßigste’ zu sein. So sind die beiden Freunde immer eine Spur fanatischer und mehr auf ihre Leidenschaften konzentriert. Beispielsweise ist Densha der einzige mit einer Einwegkamera unter circa fünfzig mit Profikameras ausgerüsteten Otaku, die an einem Fotoshooting ihres aidoru teilnehmen166. Sie sind es auch, die mehr Einsatz zeigen als Densha. So kommt Matsunaga beispielsweise extra aus Nagoya nach Tôkyô, um dem Auftritt seines aidoru zu erleben167. Ebenso sind die beiden Freunde die treibende Kraft, wenn es darum geht, beim Comiket einen Verkaufsstand für ihre selbstproduzierten Figuren zu mieten168. Die größte Leidenschaft der Drei ist dabei ohne Zweifel die bereits erwähnte169 fiktive Anime-Serie Getsumen To Heiki Mîna. Sie treffen sich, um gemeinsam Episoden der Serie zu schauen und gehen zu Events von Auftritten der Synchronsprecherin170 der Hauptfigur Mîna. Darüber hinaus drehen sich ihre Gespräche immer wieder um Produktionsdetails der Serie oder auch die Möglichkeit einer baldigen Kinoversion des Stoffes. Dabei tun sich unter den drei Freunden jedoch durchaus Unterschiede in der Gewichtung verschiedener Aspekte auf. Für den einen ist die technische Raffinesse der Produktion wichtiger, der andere bewertete die Ausstrahlung der Stimme der seiyû höher171. Letztlich schafft aber der gemeinsame Bezugsrahmen dieses Anime das, was Ishikawa Satomi ein „clearly bounded field of interest“ nennt (Ishikawa 2005: 49). Dabei findet die Kommunikation nur in diesem und über diesen statt. 166 Ep 1 Ep 3 168 Ep 6 169 Siehe 3.2.1 Verhalten und Auftreten 170 Im japanischen seiyû. Um diese machen Animefans ein ebensolches Aufheben, wie es sonst allgemein nur von Hollywood-SchauspielerInnen bekannt ist. Sie heben sie in den Status eines aidoru. 171 Ep 4 167 46 Densha und seine Freunde besprechen keine alltäglichen Probleme miteinander172. So schauen sie zwar alle neidisch auf ein küssendes Pärchen, als sie dieses entdecken173, gehen jedoch nicht weiter darauf ein, sondern lenken schnell wieder mit einem Gespräch über Anime ab, bevor einer von ihnen auf die Idee kommen könnte, seine Gefühle zu äußern. Ein weiterer entscheidender Anhaltspunkt für die Distanz, die Densha und seine Freunde untereinander pflegen, ist die Tatsache, dass sie sich in der Regel bei Gesprächen nur sehr höflichen Formen der japanischen Sprache bedienen, die eher in den Bereich der Arbeitswelt gehören, unter engen Freunden aber sehr untypisch sind174. Gegenseitig nennen sie sich dabei nicht beim Vornamen, was im Japanischen zwar nicht so ungewöhnlich ist, jedoch hängen sie ein shi an, was in etwa der Bedeutung des deutschen „Herr“ oder dem englischen „Mister“ gleich kommen würde. Dass in einem solchen Umfeld soziale Kompetenzen, besonders gegenüber den Mitmenschen, die den Bezugsrahmen der gemeinsamen Leidenschaft nicht teilen, eher verkümmern als entwickelt werden, wird offenbar. Die Art und Weise in der Denshas Freunde und der Umgang der Drei untereinander präsentiert werden, scheint die vorherrschende Meinung des Diskurses über die distanzierte soziale Interaktion der Otaku innerhalb eines klar definierten Bezugsrahmens zu bestätigen. Es bleibt aber festzuhalten, dass ihr Umgang miteinander keinesfalls einer gewissen Wärme entbehrt, die auf sprachlicher Ebene wohl nicht wahrzunehmen ist. 3.2.2.2 Der Arbeitsplatz Densha ist in einer Zeitarbeitsfirma angestellt. Dabei besteht seine Aufgabe in der Vermittlung von Arbeitskräften an die Unternehmen. Seine Firma trägt den bezeichnenden Namen Wâkahoriku175 und befindet sich in einem heruntergekommenen Bürogebäude. Schnell wird dem Publikum klar, dass Densha so etwas wie ein ‚Prügelknabe’ unter den Angestellten ist. So wird er ständig von seinem Chef gescholten und schikaniert. Dabei benutzt dieser gegenüber Densha gerne ein rüdes, herablassendes Umgangsjapanisch 176 , was besonders stark auffällt, als der Chef gegenüber seinem ‚Lieblingsmitarbeiter’ einen völlig anderen, ja beinahe unterwürfigen Tonfall anschlägt. Darüber hinaus bekommt Densha die unliebsamsten Aufträge aufgehalst und muss häufig auch noch die Arbeiten anderer miterledigen. 172 Dafür wendet sich Densha an die Nutzer des Onlineforums, siehe 3.2.4 Kommunikationsform Onlineforum Ep 1 174 So nutzen sie den desu/masu-Stil bis hin zu keigo. 175 Aus dem engl. workaholic. 176 So nutzt dieser beispielsweise die Anrede omae und ähnliches mehr. 173 47 Ist eine schlechte Behandlung durch den eigenen Vorgesetzten wohl noch nicht als allzu ungewöhnlich anzusehen, so fällt es doch auf, dass Denshas einzige Untergebene, eine Office Lady (OL) namens Jinkama Misuzu ihn ebenfalls alles andere als freundlich behandelt. Im Gegenteil verhält sie sich ihm gegenüber durchweg respektlos, lässt ihn für gemeinsame Mittagessen zahlen und zeigt ihm deutlich, dass sie von seiner Otaku-Natur angewidert ist. So benutzt sie gegenüber Densha sogar manchmal die Anrede „Otaku-yarô“177. Generell bezweifelt sie ernsthaft den Sinn seiner Existenz, wirft ihm gleich zu Beginn ein „Du bist es nicht wert, zu leben“ an den Kopf178. So ist es nicht verwunderlich, dass Densha eine deutliche Aversion seiner Arbeit gegenüber verspürt. Seine Aufgaben erledigt er dabei nur von Pflichtgefühl getrieben. Bemerkenswert ist trotzdem, dass er damit der These, Otaku hielten dem von der Arbeitswelt an sie heran getragenen Druck nicht stand und zögen sich daher aus dieser weitest möglich, eindeutig widerspricht. Densha gehört weder zu der Sorte Otaku, die sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hält, noch zu derer, die ihre Leidenschaft auf die ein oder andere Weise zu ihrem Beruf gemacht haben und damit erfolgreich sind. Allerdings ist sein Freund Matsunaga ein Vertreter letzterer Kategorie und das mit einem Jahresgehalt, das ihn letztendlich sogar für Hermes’ Freundinnen attraktiv macht. 3.2.3 Denshas Entwicklung und seine Beziehung zu Hermes Densha Otoko handelt von der Liebegeschichte, die sich zwischen Densha und Hermes entwickelt. Diese Romanze ist auch der entscheidende Faktor, der das Bild des Otaku in Densha Otoko letztlich von dem des allgemeinen Diskurses und der bis dato vorherrschenden öffentlichen Meinung unterscheidet. Allein dadurch, dass die Möglichkeit eingeräumt wird, ein Otaku kann sein Glück in der Liebe zu einer ‚normalen’ Frau finden, betritt Densha Otoko beinahe revolutionäres Neuland. Die Konstellation dieser Romanze dürfte letztlich auch den großen Erfolg der Geschichte begründet haben. Nicht von ungefähr wird auch innerhalb des dorama von dieser Beziehung zwischen „Otaku und Dame“179 als „Die Schöne und das Biest“ gesprochen180. 177 Ep 5, 0:00:58. Wörtlich in etwa „Otaku-Kerl“. Ep 1, 0:39:59. „あんた生きてる価値ないんじゃないの。 “ 179 ojôsama 180 So Jinkama in Ep 10, 1:00:32 178 48 Da ist auf der einen Seite der doku-otoko181, die männliche Jungfrau, der privat und im Beruf der klassische Verlierer zu sein scheint. Und andererseits die distinguierte Dame von Welt, die Romane auf Englisch liest182, an Sektempfängen mit kosmopolitischem Publikum teilnimmt und einem Bürojob in einem eleganten Bürogebäude nachgeht183. Sie stammt aus gutsituiertem Hause, ihre Familie residiert in einem vornehmen Anwesen in Kichijôji184. Von vornherein scheinen also die Chancen für ein Zusammenkommen eher schlecht zu stehen. Hinzu kommt noch Denshas soziale Unbeholfenheit. So tut er sich bei seinem ersten Telefongespräch mit Hermes deutlich schwer185. Er ist aufgeregt und stottert, entschuldigt sich für jede Kleinigkeit, krümmt und windet sich dabei unentwegt. Sich seiner Otaku-Natur bewusst, hatte es ihn überhaupt einiges an Überwindung gekostet, zum Hörer zugreifen. Bei Treffen von Angesicht zu Angesicht nimmt diese Unsicherheit dann noch zu, so bringt er es nicht fertig, sich für ein zweites Date zu verabreden186, geschweige denn Hermes seine Liebe zu gestehen. So muss diese schließlich den ersten Schritt tun, und nach seiner Hand greifen187. Hingegen Denshas Vermutungen und Befürchtungen hinterlässt er aber bei Hermes allgemein einen positiven Eindruck. So ist sie durchaus bereit, sich nochmals mit ihm zu treffen188. Allein schon der Anlass für ihr Zusammentreffen, Denshas heldenhaftes Eingreifen im Zug, hat bei ihr einen so guten Eindruck und gar Bewunderung für Densha hinterlassen, dass sie wohl bereitwilliger über seine Defizite hinwegzusehen vermag als dies sonst der Fall gewesen sein könnte. So hält sie ihn für majime189, und fühlt sich neben ihm in der Bahn sicher190. Hermes scheint auch die einzige Nicht-Otaku in der Serie zu sein, die gegenüber diesen keine grundweg negativen Vorurteile pflegt. So diskutiert sie schon vor ihrem ersten Zusammentreffen mit ihren Freundinnen, ob ein Otaku in Frauen nicht eher einen Mutterinstinkt anstatt Ekel hervorrufen würde191. Zwar bestätigt sie so einerseits gängige Vorurteile, andererseits lässt sie so jedoch auch die Bereitschaft erkennen, ein Treffen mit einem Otaku zumindest in Betracht zu ziehen. Selbst als sie mit dem vollen Ausmaß von Denshas Otaku- 181 Wörtlich „giftiger Mann“ (毒男), kann es auch als Abkürzung von dokushin dansei (独身男性), „allein stehender Mann“ gelesen werden 182 Eher ungewöhnlich in Japan, das lange Zeit ein Defizit im Bereich der Fremdsprachenbildung, d.h. in erster Linie der Englischsprachausbildung zu verzeichnen hatte. 183 Ep 1 184 Stadtteil von Tôkyô, das als hippes Wohnviertel gilt. 185 Ep 2 186 Ep 3 187 Ep 4 188 Ep 3 189 Ep 3, 0:10:43. „ernst, ehrlich, aufrichtig“ 190 Ep 3 191 Ep 1 49 Identität konfrontiert wird192 ist sie eher erstaunt und voller Neugier als entsetzt. Als er sich dann schließlich dazu durchringt, ihr sein Zimmer zu präsentieren, sieht sie in seiner Sammelleidenschaft mehr den Ausdruck seiner Individualität als ein Anzeichen für soziale oder psychische Defizite193. Ganz anders jedoch ihre Bekannten und Freunde. So macht Denshas Arbeitskollegin Jinkama diesem keinerlei Hoffnungen, indem sie aussagt, dass eine normale Frau niemals mit einem Otaku wie Densha zum Essen ausgehen würde194. Stärker noch bringt Hermes’ Bruder es zum Ausdruck, der Densha direkt ins Gesicht sagt, dass er und Hermes in anderen Welten leben würden195. Einzig und allein die Mitglieder des Onlineforums aladdin_channeru (a_ch)196 glauben von Anfang an ihn und sind letztlich auch der Katalysator für die Veränderung, die Densha im Verlauf der Handlung durchläuft. Das Forum ist sein Ansprechpartner und Rettungsanker in allen Fragen betreffend seiner Beziehung zu Hermes. Ohne die Ermutigung seiner Chat-Partner hätte er Hermes wohl niemals angerufen. Und so unterstützen sie ihn auch bei seinem Bemühen, den „Otaku-Gestank“197 abzulegen, um so Hermes auf Augenhöhe gegenüber treten zu können. Die Forumsmitglieder stellen den „Densha Otoko-Umbauplan“198 auf. Dieser führt Densha zunächst einmal nach Shibuya, was bei seinen Otaku-Freunden Matsunaga und Kawamoto bereits Entsetzen auslöst. Sie weigern sich strikt, Densha an diesen Ort zu begleiten, der für sie mit seinen Modeboutiquen und Schönheitssalons die Antithese zu all dem darstellt, was einen Otaku ausmacht. So geht Densha diese Aufgabe alleine an. Er besorgt sich einen neuen Haarschnitt, Kontaktlinsen, Parfüm und neue Kleidung. Danach fühlt er sich nach eigenen Angaben direkt viel reifer und für ein Rendezvous gewappnet. Die Metamorphose seines Sohnes bleibt auch dem Vater nicht verborgen. Dieser versteht dies aber vielmehr als eine Art Protest oder Kritik, auch wenn er sich nicht sicher ist, gegen was. So fragt er Densha, als er dessen verändertes Äußeres erblickt: „Weswegen bist Du eigentlich unzufrieden?!“199. Doch für Densha ist dies erst der Anfang. Kontinuierlich angespornt durch die Resonanz und den Rückhalt aus dem Onlineforum beschließt er sogar, Surfen zu lernen, um Her192 Ep 6. Denshas unfreiwilliges ‚Coming Out’ (ota-zenkai), als er mit Hermes zufällig aufeinander trifft während er und seine Freunde den Comiket besuchen und sich mit kindlicher Begeisterung über erworbene AnimeDevotionalien und dôjinshi freuen. 193 Ep 8, 1:30:43 . O-Ton Hermes: „individualistisch, großartig“ (kojinteki, suteki) 194 Ep 2: 1:26:47. “オタクのあんたが普通の女と食事なんか行けるわけない。“ 195 Ep 10, 0:48:46. „姉貴とお前にじゃ住む世界が違うんだよ。“ 196 Siehe hierzu auch 3.2.4 Kommunikationsform Internetforum 197 s.o. 198 Ep 2. „Densha Otoko kaizô keikaku“ 199 Ep 2, 1:32:13. „お前一体何が不満なんだよ?“ 50 mes zu beeindrucken200. Endgültig über sich hinaus wächst er dann, als den Mut aufbringt, Hermes’ Stalker nachzuspüren201. Mit Fortschreiten der Romanze sehen er und die Forumsmitglieder schließlich nur noch einen Schritt, der zu tun ist. Will er wirklich mit Hermes zusammenkommen, müsse er seine Otaku-Natur vollkommen ablegen, er müsse von ihr „graduieren“202. Denn letztendlich deckt sich der Tenor des Forums mit dem der realen japanischen Öffentlichkeit: Otaku hätten selten Glück mit Frauen, da die „normale Frau“203 in der Regel Vorurteile204 hegen würde. Um sein Otakutum abzustreifen, muss Densha daher das loslassen, was seine Otaku-Identität mit am stärksten definiert, seine Sammlung. Er bringt es jedoch nicht übers Herz, diese zu zerstören, so dass er sie letztlich verkauft, an seine Freunde verschenkt oder im Fluss aussetzt. Bei einer feierlichen Abschlusszeremonie 205 im einem Maid Cafe, erhält er dann von seinen Freunden sogar eine richtige Urkunde sowie einige Zeitschriften für ‚normale’ Leute206. Auch wenn er danach sein Zimmer voller leerer Regale mit wehmütigen Blick betrachtet207, teilt er später Hermes tapfer mit, dass er nun ein „angemessener“208 Mann für sie sei. Allmählich merkt er jedoch, dass er einen so wichtigen Aspekt seiner selbst nicht ohne weiteres abstreifen und verleugnen kann. Letztendlich ermutigt ihn dann auch das Forum, seine „Otaku-Seele“ offen zu zeigen209. Daher entschließt er sich gegenüber Hermes zu einem vollständigen „Otaku-Coming Out“210 und offenbart ihr in einer Mischung aus Manifest und Geständnis seine Otaku-Sozialisation: Seit der Oberschule, als er begann sich für Anime, Videospiele und Figuren zu interessieren, sei er Otaku. In seinen Zeiten als Fachschüler dann begann er sich für seiyû zu interessieren und ging häufig auf deren Events. Dabei empfand er generell mehr Spaß darin, alleine Anime zu schauen oder Videospiele zu spielen anstatt mit Menschen zu reden. So wurde er schließlich als Otaku abgestempelt. Doch könne er nur so leben, auch wenn man in diskriminiere und schmähe. Dieses Geständnis wirkt für Densha wie eine Befreiung. Endlich muss er sich nicht mehr verstellen und kann sich Hermes gegenüber so geben wie er ist. Doch ist er nicht mehr derselbe verkrampfte, schüchterne Otaku wie zu Anfang. Seine Liebe zu Hermes und sicher- 200 Ep 4 Ep 5 202 Ep 7, 0:17:55 . “オタクを卒業します。” 203 Futsû na josei 204 henken 205 sotsugyôshiki 206 Beispielsweise das Lifestyle und Modemagazin an-an (http://anan.magazine.co.jp/) 207 Ep 8, 1:16:07. „片付けられた部屋を見て、物足りなさを感じた。“ 208 fusawashii 209 Ep 8, 1:17:07 . „オタク魂を見せてやれ!“ 210 Ep 8, 1:17:43 201 51 lich auch der Austausch mit seinen Chat-Partnern aus dem Onlineforum haben aus ihm eine neue Art Otaku entstehen lassen. So geht er nun auch Kompromisse ein und stellt seine Leidenschaften nicht mehr bedingungslos über alles, erst recht nicht über Hermes. Beispielsweise opfert er seinen Platz in der Warteschlange für eine neue Mîna-Sonderausgabe für ein Wiedersehen mit Hermes 211 . Auch sein Kleidungsstil drückt nun diesen Typus des ‚HybridOtaku’ aus. Er kombiniert seinen Rucksack mit einem Polohemd, das wohl den Boutiquen Shibuyas entstammt212. So bietet Densha Otoko im Laufe seines Plots ein Bild des Otaku, das nicht statisch festgeschrieben ist, sondern sich im Wandel befindet, und dabei durchaus auch mögliche Trends und Tendenzen innerhalb der Otaku-Kultur aufzuzeigen vermag. De la Pena bemerkt hierzu, dass die Otaku-Identität als eine Spielart des subkulturellen Selbst permanent in einem „state of self-determination“ (De la Pena 2006: 29f) befinde, ein Selbst, das „in communicative praxis“ fortwährend neu verhandelt und erschaffen werden müsste. Diese Notwendigkeit zur kontinuierlichen Neubestimmung der Identität sei der Otaku-Kultur als solchen inherent: “With the disposable nature of manga, the continual process of upgrading and progress of technology and the instability of fads and fashions, Otaku cannot help but redefine themselves at each and every moment.” (De la Pena 2006: 29f). 3.2.4 Kommunikationsform Onlineforum Eine Besprechung von Denshas Identität und Selbst-Bild darf die bereits angesprochene Bedeutung des Onlineforums für seine Persönlichkeitsentwicklung nicht außer Acht lassen. Da das Internet, oder präziser gesagt, das Onlineforum 2channeru (2ch), auch der eigentliche Entstehungsort des Densha Otoko ist, gebührt diesem überdies Beachtung. Das dorama zollt dieser Tatsache Tribut, indem es seinem eigenem, fiktiven Forum den Namen aladdin channeru, kurz a_ch, gibt. Dabei werden sowohl Foren wie 2ch in der realen Welt als auch a_ch in Densha Otoko häufig mit Otaku und deren Kultur assoziiert. Ist es im dorama Hermes’ Freundin, die a_ch für ein BBS für Otaku, für einen „dunklen, modrigen Ort“ 213 hält, so erklärt Manzenreiter über die reale Situation „Allzu schnell werden die Verwender der neuen Medien, die sich im virtuellen Kommunikationsraum den allgegenwärtigen Überwachungsinstanzen des `freundlich-autoritären´ Systems [gemeint ist der japanische Staat] entziehen, mit der otaku-Generation in einen Topf geworfen“ (Manzenreiter 2002: 197). Im dorama nehmen 211 Ep 11 Ep 9 213 Ep 7 „inshitsu na saito“ 212 52 die Szenen der Online-Unterhaltungen häufig gut dreißig Prozent einer gesamten Episode ein, ein deutliches Indiz dafür, wie wichtig die Darstellung des Forums sowie die in ihm verhandelten Thematiken und geführten Diskussionen für Densha Otoko sind. Densha meldete sich ursprünglich im Forum an, um Rat zu erhalten, wie er auf Hermes’ Avance in Form eines teuren Teeservices reagieren sollte. Dabei stellt sich zunächst die Frage, wieso er sich mit diesem Problem an ein anonymes Onlineforum wendet, anstatt Freunde im realen Leben zu konsultieren. Wie bereits erwähnt behandelt Densha mit seinen Otaku-Freunden Matsunaga und Kawamoto ausschließlich Themen, die durch den Referenzrahmen der gemeinsamen Leidenschaft vorgegeben sind. Das von Densha gewählte Forum wiederum richtet sich in erster Linie an doku-otoko 214 und verspricht Hilfestellung durch gegenseitigen Austausch. Insofern könnte man annehmen, dass Densha sich auch hier primär einen entsprechenden Referenzrahmen sucht und schafft, um sein Problem bezüglich zwischenmenschlicher Beziehungen adäquat verhandeln zu können. Jedoch dürften die speziellen Qualitäten, die ein Onlineforum – gerade im Vergleich auf den Begegnungsort ‚reale Welt’ – aufweist, nicht missachtet werden. Daher sollen hier wichtige Aspekte der Kommunikationsform Onlineforum, im Folgenden auch Computermediated Communication, kurz CMC, genannt und diskutiert werden, um so die Relevanz des a_ch in Densha Otoko verdeutlichen zu können. Dabei wird in diesen Foren und durch CMC eine neue Art von Gemeinschaft gebildet, die gerade in der Postmoderne einen möglichen Ausweg aus deren Problematiken, wie etwa der fortschreitenden Individualisierung oder der Fragmentierung der Gesellschaft, zu bieten scheint 215 . Heather Bromberg spricht von der Möglichkeit eines „potential ‚communal’ spiritual outlet“, das wieder Formen des Miteinander zulassen würde, wie sie in der Realität der postmodernen Gesellschaft so nicht mehr anzutreffen seien (Bromberg 1996: 146). Dabei könnte die CMC einem generell um sich greifenden Gefühl der Vereinsamung entgegenwirken, auch durch das Versprechen von „connectivity and community“. Betrachtet man unter diesem Gesichtspunkt nun die in Densha Otoko portraitierten a_ch-Teilnehmer, so fällt sehr wohl auf, dass es sich um Menschen zu handeln scheint, die auf die eine oder andere Weise in der realen Welt gescheitert sind und deren Zufluchtsort nun das Forum geworden ist. Viele trauern einer verlorenen Liebe nach, die sie durch eigenes Handeln oder Tatenlosigkeit verloren haben und wahrscheinlich durch Eigeninitiative auch wieder zurückgewinnen könnten. Da wäre zum Beispiel Kinoshita aus Hokkaidô, der durch die Rezession in der 1990er Jahren seinen Job verloren hat, danach von 214 215 Titel des BBS ist: „Alleinstehende Männer schimpfen“ dokushin otoko ga doku zuku Vergleiche auch die Diskussion über Fandom in 2.1.4 53 seiner Frau geschieden wurde und nun keine Worte findet, um sie zurück zu gewinnen216. Aber auch Individuen, die mit dem Druck der modernen japanischen Gesellschaft nicht klar kommen wie der Schüler, der sich schon das zweite Jahr in Folge auf die Aufnahmeprüfungen für die Universität vorbereitet, oder der furîtâ, der im Mangacafe zu leben scheint, kommen hier zur Sprache. All sie finden Bromberg zufolge Trost im Netz und besprechen dort „the most intimate details of their personal and emotional lives“ (Bromberg 1996: 147ff). Die These, dies würde einen weitere Abnabelung von der realen Welt vorantreiben, ist dabei sicherlich nicht ganz von der Hand zu weisen. Jedoch betont auch Steven Jones das Potential des Internets, Gemeinschaften zu erschaffen „as we had once known it” [kursiv von Autor] (Jones 1997: 9f). Dabei würde das Internet auch einen Ort des Seins, „being“, bereitstellen, jedoch bedeute Sein in dieser Hinsicht eine „near-stasis in social terms” (Jones 1997: 13). Bezogen auf die meisten a_ch-Mitglieder in Densha Otoko muss festgestellt werden, dass diese tatsächlich in einer Art sozialer Stase existieren. Sie befinden sich in einer Situation, in der sie unzufrieden sind, handeln dem aber nicht entgegen, sondern verlieren sich stattdessen in den Diskussionen des Forums. Jedoch tun sie dies gerade deshalb, weil sie innerhalb des Forums Bedeutung und Identität erfahren. Eine Identität innerhalb der Gruppe, der Gemeinschaft: “there is recognition, the understanding that, first, there are others like us, and, second, that others know we exist” (Jones 1997: 16f). Dass dieses Gemeinschaftsgefühl auf die virtuelle Welt beschränkt ist, wird deutlich, als sich die Forumsteilnehmer des dorama an einem, allen bekannten Ort in der realen Welt treffen, nur um sich dann geflissentlich zu ignorieren217. Manzenreiter schreibt zwar zu diesem Phänomen der so genannten ofu-kai oder offline meetings: „Ofu-kai sind eine Feature, das häufig bei Web Communities in Japan zu beobachten ist: Mit steigender Vertrautheit scheint die Neugier auf den physischen Körper zu wachsen“ (Manzenreiter 2002: 214f). Im Falle der a_ch-Mitglieder scheint es aber so, dass niemand bereit ist, seine ‚wahre’ Offline-Identität den anderen gegenüber preiszugeben. Denn es ist gerade das Spiel mit den Identitäten, die CMC für viele user erst so interessant macht. So würde Densha sicherlich nicht so freimütig über seine Defizite im Umgang mit Frauen sprechen, würde er nicht hinter der sicheren Anonymität seines Bildschirms sitzen. Dazu Manzenreiter: „[…] die Nabelschau von realen Problemen und Unsicherheiten wird natürlich durch die größere soziale Distanz im Kommunikationsraum erleichtert“ (Manzenreiter 2002: 213f). Dabei findet Densha nicht nur den Mut, diese Themen zu besprechen und sich so Fremden gegenüber zu offenbaren, wie er es im realen Leben wohl nicht fertig bringen würde. Vielmehr geht er auch sichtlich aus sich heraus, findet eine klarere, direktere Sprache, 216 217 Ep 1 Ep 5 54 die sehr von dem Umgangston entfernt ist, den er mit seinen Otaku-Freunden pflegt218. So benutzt er im a_ch, ebenso wie Sakurai 219 im normalen Leben, das stärkere ore als ‚ich’, obwohl er sonst immer von sich als boku spricht. So kann er Aspekte seiner Persönlichkeit ausloten, die ihm im realen Leben aufgrund von Fremd- oder Eigenzwängen bislang versagt blieben, und so ein möglicherweise idealisiertes Selbst schaffen, “ an avatar based on an ideal identity” (De la Pena 2006: 30). Auch Bromberg erkannte schon die Relevanz von CMC als ein „an outlet to explore more powerful personae” (Bromberg 1996: 146). Dabei muss laut Manzenreiter die Erfindung eines Pseudo-Ichs nicht unbedingt Weltflucht bedeuten, sondern „kann sogar eine konstruktive Hilfe sein, um sich mit den eigenen Ansichten und Absichten aus einer Perspektive der Differenz heraus auseinander zu setzen“ (Manzenreiter 2002: 213f). Turkle geht weiter auf diese potentiell therapeutische Wirkung ein, hätten doch „[…]OnlinePersonae eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Selbst, das im Verlauf einer psychoanalytischen Handlung zum Vorschein kommt“ (Turkle 1998: 417). Betrachtet man diesbezüglich Denshas Entwicklung im Handlungsverlauf des dorama, wird nur allzu deutlich, wie sehr diese Thesen auf ihn zutreffen. Sein Online-Alter Ego gesteht den anderen Forumsteilnehmern seine Liebe zu Hermes220 lange bevor er sich ihr gegenüber offenbart221. Häufig agieren die anderen Forumsmitglieder auch als verschiedene Stimmen seines eigenen Gewissens, bis Densha schließlich Entscheidungen fällt, nachdem erst ein grober Konsens innerhalb des Forums erreicht wurde. Nicht selten bedarf es auch gemeinsamer Überredungsanstrengungen aller a_ch-Mitglieder, bevor Densha letztendlich zur Tat schreitet. So wird er von den anderen Forumsbesuchern auch wiederholt für seine Zauderhaftigkeit und Furchtsamkeit im Handeln gegenüber Hermes gerügt222. Im Laufe des dorama wachsen die Forumsmitglieder immer mehr zu einer Gemeinschaft zusammen und nehmen immer stärker an Denshas Romanze Anteil. Manzenreiter zufolge ein allgemein zu beobachtendes Phänomen: „Mit fortgeschrittener Dauer vertiefen sich die Beziehungen zwischen den Teilnehmern, es entwickeln sich Formen der Anteilnahme, des Mitgefühls und der Ablehnung“ (Manzenreiter 2002: 200). Diese “intense feelings about their virtual communities and other members of those virtual communities” (Bromberg 1996: 146) sind in den Gesprächen der a_ch-Mitglieder spürbar und dank der Qualität des Mediums Fernsehserie für den Zuschauer auch direkt beobachtbar. Es wird hemmungslos geweint, gelacht und gejubelt. Der Wunsch, Densha zu helfen, hält das Forum zusammen. Andererseits 218 Siehe hierzu 3.2.2 Soziales Umfeld Siehe 3.2.1 Verhalten und Auftreten 220 Ep 3 221 Ep 11 222 Ep 3 219 55 drücken sie aber auch immer wieder ihre Vorliebe für das Forum aus. Sie erkennen es als einen Platz, den sie mögen und an dem sie sich in der Gemeinschaft wohl fühlen223. Hin und wieder müssen sie sich dennoch fragen, was ihrem Leben einen Sinn geben wird, nachdem sie Denshas Romanze zu einem erfolgreichen Ende geführt haben224. Für Jones ist eine solche Desintegration der Gemeinschaft früher oder später jedoch unvermeidlich, handele es sich doch um “groupings of people headed in the same direction, for a time” [kursiv von mir] (Jones 1997: 16f). Dabei gilt Densha den anderen auch als eine Art Leitfigur. Er ist einer von ihnen, nicht nur ein Mitglied des Forums, sondern ein doku-otoko und ein Otaku, wie die meisten von ihnen auch225. Sein Beispiel zeigt ihnen, dass für sie alle ebenso Hoffnung besteht und so nehmen sich auch andere Forumsmitglieder immer wieder ein Herz und versuchen sich an Dingen, die sie bereits aufgegeben hatten, sei es ihre Ehe oder sogar ihre Basketball-Karriere. Schließlich sind sie es sogar, die Densha, als er einmal besonders niedergeschlagenen ist, mit den eigenen Erfolgen ermutigen, die sie augrund seines Vorbilds erreicht haben226. Immer wieder wird so im Verlauf der Serie deutlich, dass Densha ohne das Forum wohl schon lange aufgegeben hätte. Ihm selber ist dies sehr wohl bewusst und so ergeht er sich immer wieder in Dankesbezeugungen und Beteuerungen seiner emotionalen Bande zum BBS. Letzten Endes kommt es dann jedoch trotz aller Nähe so, wie von Jones beschrieben. Sobald Densha erfolgreich mit Hermes zusammen kommt, geben ihm die a_ch-user zu verstehen, dass in diesem Forum nun kein Platz mehr für ihn sei, da er doch kein doku-otoko mehr wäre. Dass er dies mit Hilfe eines Mediums erreicht hat, dass untrennbar Teil seiner Identität als Otaku war, lässt Densha Otoko auch zu einem Plädoyer für eben diese Foren und ihre Besucher werden. Entgegen des schlechten Rufs im dorama und in der realen Welt als ‚Otaku-Medium’ werden hier die positiven Qualitäten einer neuen Art des Miteinanders und des gegenseitigen Beistands betont. Außerdem hat der Zuschauer die Gelegenheit, Seiten von Densha zu sehen, die dieser im ‚realen’ Leben zumeist eher zu verbergen sucht. Unverkrampft und offen diskutiert er im Forum und offenbart so ein Bild des Otaku wie er sein könnte, sähe er sich nicht permanent mit Vorurteilen und Ablehnung konfrontiert, die ihn zurückscheuen lassen. 223 Ep 5, 0:39:10. „ここが単純に好きだな。“ Ep 6 225 Leicht erkennbar an den Ausstattung ihrer Zimmer und/oder ihrer Kleidung. Vom Militaria-Otaku, über den Eisenbahn-Otaku bis hin zum Höschen-Otaku ist fast jede Spielart vertreten. 226 Ep 10 224 56 3.2.5 Otaku, Sexualität und moe Sexualität findet in Densha Otoko so gut wie nicht statt und das, obwohl es sich um eine Liebesgeschichte handelt. Der Körperkontakt zwischen Densha und Hermes beginnt beim Händchenhalten und endet schließlich in der letzten Episode mit einem mehr oder minder zaghaften Kuss. Doch sagt natürlich auch die Abwesenheit von Sexualität etwas über die der Otaku aus. Will die TV-Serie damit nahe legen, dass Otaku asexuell sind? Wie bereits besprochen gelten sie ja sowohl im dorama als auch im Diskurs häufig als doku-otoko oder auch kimomen 227 (Morinaga 2005: 10), mit wenig Aussicht, Sexualität zu erfahren. Laut Volker Grassmuck geht es aber primär nicht um einen, selbst wenn vorhandenen, Mangel an Möglichkeiten. Vielmehr vertritt er die Meinung „dass ein großer Teil des Sex- Lebens der otaku von Comic-Figuren in manga, Zeichentrickfilmen und Video-Spielen repräsentiert wird. Sex ist für sie nichts physisches, sondern etwas mediales. Sie haben keine Liebhaber, zum einen weil sie Angst voreinander haben und zweidimensionale Befriedung viel sicherer finden. […] 2-D Sex ist eine Reaktion auf den Druck des vorherrschenden männlichen Chauvinismus. Jungen weigern sich, zum üblichen Macho heranzuwachsen. Sie möchten nicht aggressiv sein. Es stimmt, in den Comics gibt es eine Menge Gewalt, SM, Peitschen und Bondage, aber in der wirklichen Welt könnten sie so etwas nicht tun, dazu sind sie zu schüchtern. (Grassmuck 1993: 276ff) Was Grassmuck hier anspricht, also die Kanalisierung sexueller Energien auf künstliche Konsumprodukte, wird in den letzten Jahren gerne mit dem populär gewordenen Begriff moe bezeichnet. Eine der aktuellsten Definitionen lautet dabei „eine emotional aufgeladene Interaktion mit Medienfiguren, vornehmlich Mädchengestalten aus Manga, Anime und Games“ (Berndt 2006: 39). Zu differenzieren ist, ob und in wie weit sich das Gefühl des moe von sexuellen Vorlieben oder Fetischen unterscheidet. Denn gängige moe-Kategorien würden wohl auch die Vorliebe für die Kellnerinnen der Maid Cafes, oder den miko, Dienerinnen japanischer Shintô-Schreine, mit einschließen228. Für viele Vertreter des Diskurses ist moe durchaus als Synonym zu Otaku-Sexualität zu verstehen, so spricht etwa Honda Toru229 von moe als einer Mischung aus „love, lust, affection“ (Japanorama 2006: 0:08:08). Okada Toshio ist da deutlicher, für ihn handelt es sich um einen Euphemismus für seiyoku, oder sexueller Begierde (Murakami 2005: 171). Besonders im Hinblick auf die bishôjo, „die schönen kleinen Mädchen“, wird die Frage der Sexualität bezüglich moe kontrovers diskutiert, handelt es sich doch um Spiele, Comics oder Manga, die als Hauptfiguren aufreizend gekleidete Lolitas 227 kimochi ga warui menzu, wörtl. „Männer, bei denen man sich unwohl fühlt“ Auch diese Spielart der Otaku-Leidenschaften hat sich mittlerweile kommerziell durchgesetzt. So besuchte der Autor dieser Arbeit im Mai 2006 ein Maid Cafe in Ôsaka, dessen Bedienstete just an diesem Tag nicht als maids sondern eben als miko verkleidet waren. 229 Der von sich selbst auch gerne als „King of Otaku“ spricht. Vgl. Okada Toshio. 228 57 vorzuweisen haben230. Wenig hilfreich ist es da, dass die bishôjo-Abteilungen der MangaLäden von Akihabara, dem des Japanischen nicht mächtigen Touristen den Weg mit der Aufschrift „adult“ weisen. So kommt auch Morikawa zu dem vernichtenden Urteil: “As far as society is concerned, today’s otaku taste for moe is more repugnant than watching porn“ (Murakami 2005: 175). Jedoch besagen Gegenstimmen, dass moe keinesfalls gleichzusetzen ist mit Pornographie oder auch mit den durch bishôjo eventuell aufkommenden Assoziationen zum Lolita-Komplex231 oder Pädophilie. Denn bei moe ginge es im Gegensatz zu den anderen genannten Kategorien nicht um Sex (De la Pena 2006: 9). Vielmehr stehe die Unschuld oder auch die Jungfräulichkeit, sowohl im übertragenen als auch im konkreten Sinne, des Objektes der Begierde im Vordergrund. So verwendet die heute gebräuchliche Schreibweise für moe das Kanji für „sprießen, Knospen treiben“. Daher bezeichne das Gefühl des moe eben den Wunsch, diese Unschuld zu bewahren232. Ist sie einmal verloren, so verliert auch der Otaku das Interesse. Inwieweit moe Relevanz für Densha Otoko hat, beweist allein die Tatsache, dass die Bonus-DVD der Densha Otoko-Box eine eigene Definition bietet, die jedoch die Beschränktheit von moe als rein dingliche Form der Zuneigung aufhebt: „Ein Gefühl, das man beim Erblicken einer niedlichen und liebenswürdigen Sache empfindet. Außerdem die starke Zuneigung gegenüber einem bestimmten Verhalten oder Worten“ 233 .Verdeutlichung erfährt diese Definition durch einen fünfminütigen Zusammenschnitt aller Szenen des dorama, die Hermes in ebensolchen Situationen oder Posen zeigen, die ein Gefühl von moe hervorbringen würden. So stellt Densha sich Hermes beispielsweise als maid vor. Welche Wirkung moe auf die Otaku hat erfährt auch eine besonders deutliche Illustration, als Hermes vor Densha und anderen Otaku dieses Wort in einem sehr unbedarften, naiven Tonfall ausspricht. Die Reaktion der Otaku verrät ihre Erregtheit, sie scheinen sich exaltiert zu winden. Die weiteren Szenen des Zusammenschnitts zeigen dann zumeist Densha und Hermes in Momenten der zärtlichen Annäherung, oder auch Hermes in mädchenhafter Pose. Der Einsatz des filmischen Stilmittels Weichzeichner unterstreicht dabei weiterhin die erotische Qualität der Szenen. Moe als Zuneigung zu einer künstlichen Figur findet im Densha Otoko primär Entsprechung in der Obsession von Densha und seinen Freunden für Mîna, Hauptfigur ihrer fiktiven Lieblingsserie Mîna Getsumen to Heiki. So steht eine Figur dieses Mädchens mit 230 Diese Spiele u.a. sind auch als eroge oder gyaruge, also erotic games bzw. girl games bekannt. Jap. rorikon 232 Dabei wurde dem Autor dieser Arbeit beispielsweise auch schon erklärt, dass selbst eine frisch geteerte Strasse [sic!] moe erzeugen könne, ob ihrer Unberührtheit und Unbeflecktheit. 233 Densha Otoko Tokuten Eizô, Erumesu „moe“ katto-shû. „可愛らしい、いじらしいものを目にした時に 起こる感覚。また、特定の仕草や言葉に強い愛着を抱くこと。“ 231 58 Hasenohren und Karottenminirock stets auf Denshas Schreibtisch. In Momenten des Glücks oder auch der (sexuellen) Erregung, wenn er sich ausmalt, wie er Hermes zu Hause besucht, neigt er dazu, diese Figur zu liebkosen. Ist er traurig oder verzweifelt, schaut er Hilfe suchend zu ihr. Als bisher offensichtlich einzige Projektionsfläche seiner Begierde, scheint sich diese nun, nachdem er sich zum ersten Mal mit einer realen Frau trifft, mit seiner Zuneigung zu Hermes zu vermischen. So speichert er Hermes’ Telefonnummer in seinem Handy unter einem Bild Mînas234. Bis dato fand eine solche Übertragung von dem von Densha und seinen Freunden Mîna entgegengebrachten Gefühl des moe in erster Linie auf deren Synchronsprecherin, ihrer seiyû, statt. So besuchen die Freunde häufig Veranstaltungen235, die einer Art Mischung von Fragestunde und Fotoshooting gleichen. Dabei interessieren sich die anwesenden Otaku zumeist für intime Details aus dem Privatleben der seiyû, etwa ob sie einen Pyjama trägt, wie ihre Morgentoilette aussieht und ähnliches mehr236. All dies wird sogleich akribisch notiert, wobei fraglich ist, inwieweit es hier um das Ergattern rarer Informationen237 einerseits und der Fütterung erotischer Phantasien andererseits geht. Spätestens wenn dann jedoch das Shooting beginnt und die Otaku dabei lautstark ihre Wünsche nach verschiedenen Posen, die die seiyû einnehmen solle, äußern, bekommt die Szene einen durchaus sexuellen Unterton. Dabei offenbaren sich die recht exklusiven Vorlieben der Otaku. So ist es beispielsweise für Denshas Freund Matsunaga das höchste Glück, Fotos von den Fußknöcheln seines Schwarms zu ergattern. In einem Gespräch offenbaren auch die anderen Zwei ihre „moe-Vorlieben“238. So erfreut sich Kawamoto besonders an Mädchen mit Brillen, während Densha beim Anblick von Frauenlippen schwach wird. Im Falle der seiyû ist es aber für Kawamoto in erster Linie die Stimme, die ihn anspricht. So starrt er bei einem Auftritt derselben lieber auf ein Konterfei Mînas als die Sprecherin eines Blickes zu würdigen. In solchen Szenen wird auch die humorvolle Erzählweise von Densha Otoko deutlich, eine Eigenschaft, die viele dorama besitzen. So bietet die TV-Serie einen ironischen Blick auf eine Thematik, die beim Rezipienten ja ebenso auch ein Gefühl der Ablehnung hervorrufen könnte. Im Densha Otoko ist die Grenze zwischen moe als bloßer Ausdruck der Verzückung und einer mehr oder weniger sexuell eindeutigen Konnotation dabei ebenso fließend wie der Versuch einer allgemein gültigen Definition. So entlocken Denshas Beschreibungen im a_ch über seine Treffen mit Hermes den anderen (männlichen) Teilnehmern immer wieder ein 234 Ep 2 Jap. ibento vom engl. event 236 Ep 1 237 Siehe hierzu auch 2.1.3 Otaku, Information und Kommunikation 238 Ep 8 235 59 entrücktes „moeee“, was je nach Situation die beschützenswerte Unschuld Hermes’ als auch die begeisterte Antizipation eines sexuellen Stelldicheins zwischen Densha und ihr ausdrücken mag. Im Hinblick auf den Diskurs bietet das dorama dabei eine sehr interessante Illustration des Umgangs der Otaku mit Sexualität beziehungsweise von moe, das für sie stellvertretend für ‚echte’ Sexualität eine Art Ventil darzustellen scheint. 3.2.6 Akihabara Akihabara, ein Stadtteil Tôkyôs, gilt als so etwas wie das Mekka der Otaku. Aufgrund der großen Ansammlung an Elektrofachgeschäften, die Einzelteile aller Art verkaufen, war Akihabara ursprünglich ein Anlaufpunkt für Elektronikbastler. Nicht umsonst trägt es auch den Beinamen Electric Town239. In den 1990er Jahren fand jedoch eine Veränderung Akihabaras hin zur Pilgerstätte der Otaku statt (Okada 1998: 203ff). Viele Elektronik- und PC-Hobbyisten waren ohnehin gleichzeitig auch Anime- und Manga-Fans. Andererseits begannen immer mehr Anime- und Manga-Fans, PCs und das Internet zu nutzen, so dass in Akihabara MangaLäden, Maid-Cafes oder auch Geschäfte für so genannte Retrogames florierten. Auf den Strassen stellten sich nun cosplayer zur Schau und Akihabara wurde zum Veranstaltungsort von ibento kleinerer und auch größerer aidoru240. Besonders aber der Umstand, dass sich in Akihabara ein Markt für Waren entwickelte, die nirgends sonst oder nur auf speziellen conventions erhältlich waren241, machte es endgültig zu einem Zentrum der Otaku-Kultur (Okada 1998: 211). Wie sehr Akihabara dabei zum Synonym für Otaku-Kultur insgesamt geworden ist, verdeutlicht die Tatsache, dass sich mittlerweile auch die Bezeichnung Akiba-kei als Bezeichnung für einen Otaku eingebürgert hat. ‚Akiba’ ist der Kosename der Otaku für Akihabara und ‚kei’ bezeichnet sie als Vertreter des dort geprägten Stiles. Dabei ist es auch eine selbstironische Bezeichnung, grenzt es doch die Otaku beispielsweise gegenüber den modebewussten Shibuya-kei242 ab (Okada 1998: 207). Daher liege laut Morikawa der Grund für die Beliebtheit Akihabaras bei den Otaku einfach darin, dass sie sich dort wohl fühlten, „because they 239 Japanisch denkigai Zudem sorgte mittlerweile die Errichtung großer Elektronik-Kaufhäuser wie Yodobashi-Camera oder auch Laox dafür, dass die alteingesessenen Kleinstläden und Hinterhofbetriebe eine starke Konkurrenz bekamen. Diese von den Otaku mit Sorge betrachtete Entwicklung sowie die gegenwärtige Veränderung des Viertels hin zu einer Touristenattraktion für Fans der Otaku-Kultur aus aller Welt führten in jüngster Zeit auch zu einer Infragestellung des Status von Akihabara. Schon weichen die Otaku in andere Subzentren Tôkyôs wie etwa Ikebukuro aus. 241 Wie etwa dôjinshi oder auch selbst produzierte Spielesoftware, den dôjin sofuto. 242 Siehe auch 3.2.1 Verhalten 240 60 know they’ll be surrounded by people who share their quirks and tastes“ (Murakami 2005: 168). Abseits von den zeitlich begrenzten conventions ist dies auch wohl einer der wenigen Orte, an dem Otaku ihre Natur nicht verbergen müssen. Densha Otoko betont die Relevanz dieses Ortes von der ersten Minute des dorama an. So erscheint das Opening der ersten Episode wie ein Loblied auf Akihabara. Zu den Klängen von Styx’ Mr Roboto bieten sich dem Zuschauer schnelle Schnitte des Bahnhofs Akihabaras, der PC-Geschäfte und Elektronikhändler, Manga-, dôjinshi-, figyâ-, und Videospiel-Läden, Straßenkonzerte von Sängerinnen in maid-Kostümen und letztlich natürlich den obligatorischen Maid-Cafes. All diese Orte sind dabei bevölkert von leicht identifizierbaren und begeisterten Otaku, von denen viele in der Folge auch als Besucher des a_ch wieder zu erkennen sein werden. Auch Densha ist hier und im Laufe der Serie soll Akihabara, seine Geschäfte und Maid-Cafes immer wieder zum Treffpunkt von ihm und seinen Freunden werden. Nach eigener Angabe der Drei halten sie sich hier pro Woche ungefähr viermal auf243, machen Einkäufe oder gehen zu ibento und Konzerten. Dabei wird klar, dass dieser Ort für Densha auch ein Zufluchtsort von seinem Alltag, seiner Arbeit und seiner Familie darstellt. Denn auch in Momenten seelischer Not kommt er hierhin, zu einem „geheimen Ort“: ein Dach, von dem er den gesamten Stadtteil überblicken kann. Dabei ist das nächtliche Akihabara dank per Computer nachbearbeiteter Neon-Reklamen in einen beinahe irreal anmutenden Glanz gehüllt, was den pseudo-sakralen Aspekt dieses Viertels betont. So nennen es die a_chForumsmitglieder auch das „Paradies der Otaku“, dessen alleinige Erwähnung bei ihnen schon Euphorie auslöst244. Doch diese Faszination erschließt sich eben nur den Eingeweihten, was offensichtlich wird, als Densha seinen Mut zusammennimmt und Hermes an diesen Ort bringt245. Diese ist über das hohe Aufkommen Rucksack tragender Besuchern erstaunt, während die anwesenden Otaku sie ihrerseits anstarren wie ein Wesen von einem anderen Stern. So dringen Densha und seine Freunde mit ihren begeisterten Erklärungen, was Akihabara ausmacht, wie etwa die zahlreichen ibento oder eben die eingangs schon erwähnten exklusiven Waren246 auch nicht zu ihr durch, sondern stoßen vielmehr auf hilfloses Unverständnis. So stellt sich Akihabara in Densha Otoko also als Teil des abgegrenzten Bezugsrahmen dar, den Otaku nur mit ihresgleichen kommunizieren können, und affirmiert damit die vorherrschende Meinung des Diskurses. Dieser Ort scheint ähnliche Qualitäten aufzuweisen, 243 Ep 9 Ep 9 245 Ep 9 246 Ep9, 0:07:32. Sie sprechen hier beispielsweise von den bereits erwähnten gyarugê. 244 61 wie die in 2.1.4 besprochenen conventions. Er biete den Otaku einen Ort der Begegnung, wo sie sich, frei von alltäglichen Zwängen, ihren Leidenschaften hingeben können. 62 4. Fazit und Ausblick Wie durch die Betrachtung deutlich geworden ist, greift das dorama vom Densha Otoko verschiedenste Facetten der Otaku-Kultur auf. Dabei bestätigt es Thesen des Otaku-Diskurses und gängige Klischees. Es trägt aber auch dazu bei, diese zu hinterfragen und möglicherweise neu zu bewerten. Die Geschichte scheint bekannte Annahmen zu präsentieren, um sodann mit ihnen zu spielen, sie abzulehnen oder zu affirmieren. Dabei ist es durchaus wichtig, dass die Serie ein Bild von Densha zeichnet, wie es dem in der Öffentlichkeit bekannten Bildes des Otaku entspricht. Nur auf diese Weise kann die sich vollziehende Wandlung Denshas und seine letzen Endes glückliche Liebe zu Hermes an Bedeutung gewinnen. So ist er zu Beginn der Erzählung ein sozialer Außenseiter, der dem an ihn herangetragenen Druck nur schwerlich standhält. Er sucht Zuflucht in seinen virtuellen Leidenschaften und den geschlossenen Gemeinschaften, die diese schaffen, seien es seine Otaku-Freunde, Akihabara oder das Internet. Sein dabei zu beobachtendes Kommunikationsverhalten entspricht dabei ebenfalls größtenteils der im Diskurs angeführten sozialen Distanz. Jedoch blitzen auch immer wieder, wie im Onlineforum, Momente auf, in denen Densha seine Schüchternheit zugunsten eine offeneren Verständigung aufgibt, was ihm sichtlich gut tut. Allzu akademische Thesen wie die besondere Rezeptionsfähigkeit der Otaku oder aber auch ihre etwaige subkulturelle Relevanz werden zwar ausgeklammert, dennoch ist Densha Otoko eindeutig Teil des Diskurses geworden. Dabei besteht der wertvollste geleistete Beitrag ohne Zweifel in dem Aufzeigen der Möglichkeit, dass Otaku nicht nur lernen können, sich in der Welt außerhalb ihrer Leidenschaften zurecht zu finden, sondern sogar in der Lage sind, erfolgreich Beziehungen zu anderen Menschen zu knüpfen. Densha Otoko scheint dabei die Aussage zu treffen, dass Otaku sich wandeln können und müssen, um gesellschaftliche Akzeptanz zu erfahren. So gelingt es Densha durchaus, sein Otaku-Selbst zu bewahren, gleichzeitig legt er aber die allgemein negativ mit Otaku assoziierten Eigenschaften weitestgehend ab. Dass diese ‚Öffnung’ 247 gegenüber den Mitmenschen und der Gesellschaft gerade durch die gegenseitige Unterstützung von Otaku in einem Otaku-Medium hervorgebracht wird, ist dabei um so bedeutender. So kann das dorama eventuell dazu beitragen, den bereits erwähnten „public thought“248 auf eine positive Art und Weise zu beeinflussen. Des Weiteren verleiht die Tatsache, dass Densha Otoko höchstwahrscheinlich auf einer wahren Begebenheit beruht, der Aussage der Geschichte zusätzlich Gewicht. Einerseits 247 Wider der im Diskurs häufig anzutreffenden These der exklusiven Schließung, siehe beispielsweise Grassmuck 1993, 1999, 2002 248 Siehe 3.2 63 werden so die Otaku möglicherweise angeregt, ihre abschottende Einstellung zu ihrer Umwelt zu überdenken, andererseits mag es auch dazu beitragen, bestehende Vorurteile in der Gesellschaft abzubauen. Käme es in der Folge zu einem wechselseitigen Effekt, das heißt würden Otaku vermehrt aus ihrem ‚Schneckenhaus’ hervorkommen und andererseits die Gesellschaft nicht von vorn herein ablehnend zurückweichen, wäre schon viel erreicht. Zumal es auch zeigen würde, wie selbst eine Botschaft des Massenmediums Fernsehen dazu beitragen könnte, wider bestehender Ideologien zu arbeiten und sogar bei einer Revision selbiger mitzuwirken. Es bestehen durchaus schon Anzeichen, die einen ebensolchen Trend belegen. Laut Aussage des Regisseurs der Kinoversion von Densha Otoko, Murakami Shôsuke, hätten Film und dorama tatsächlich bereits dazu beigetragen, die mehr oder minder selbst gewählte Isolation der Otaku zu überwinden „by reaching out to one another“249. Zudem werden sie im Zuge des bereits angesprochenen ‚Booms’ japanischer Populärkultur im Ausland letztlich auch in Japan gesellschaftlich anerkannt (Nomura 2005: 4). So hätten die Otaku ihr Negativimage teilweise abgelegt und dem gegenüber Kommunikationsfähigkeit gewonnen (Nomura 2005: 24). Sie wären auch nicht mehr so distanziert gegenüber der Gesellschaft, sogar „fashionable“250 im Vergleich zu den früheren oder „Original-Otaku“251. Auch Murakami Takashi führt hierzu aus: „The latest generation of otaku emerging in the post-Tsutomu Miyazaki era no longer exists in hermetic isolation. They have also ceased to attract social disdain. This is because otaku have proliferated so widely that they no longer form a minority. They are integrated so thoroughly into the mainstream that first-generation otaku have become difficult to distinguish from everyone else.” (Murakami 2005: 133) Es sollte also im Umkehrschluss auch gefragt werden, inwieweit Densha Otoko nicht Agens sozialer Veränderung sondern vielmehr Symptom einer bereits stattgefundenen Umwälzung sein könnte. Schließlich legt das obige Kommentar nahe, dass Otaku ihre Existenz als eine Randgruppe der japanischen Gesellschaft bereits abgelegt haben. Dies bedeutet aber auch eine Diffusion von Qualitäten, die zwar primär den Otaku zugesprochen werden, aber mittlerweile wohl schon eher Teil der japanischen Gesellschaft als Ganzem geworden sind. Allein die Tatsache, dass 2channeru als das größte Onlineforum der Welt252 gilt, sollte verdeutlichen, 249 Japanorama 2006, 0:05:10 fasshon-sei 251 tôsho-otaku 252 Die Seite http://stats.2ch.net/suzume.cgi?yes zählt beispielsweise die Anzahl der täglichen Einträge, die mit durchschnittlich 2,7 Millionen pro Tag weit über jedem anderen Forum liegt. Siehe hierzu auch http://ojr.org/japan/internet/1093543502.php oder http://www.wired.com/culture/lifestyle/news/2007/04/2channel 250 64 dass Otaku höchstens noch als Pioniere von Kommunikationspraktiken gelten können, die mittlerweile von der breiten Öffentlichkeit akzeptiert und übernommen wurden. Weiterhin hat die Beliebtheit der Serie auch generell zu einer Popularisierung der Thematik Otaku geführt. So nehmen mittlerweile auch andere dorama wie die erstmals 2007 ausgestrahlte Manga-Adaption Sekushî Boisu Ando Robo253 Stile und Figuren aus der OtakuKultur auf. Hier wird die Hauptfigur, Robo, benannt nach seiner (Sammel-) Leidenschaft für Roboter und ohne Zweifel ein Otaku, gar zu einer Art Held im Kampf gegen skrupellose Verbrecher stilisiert. Ihm zur Seite steht dabei eine hübsche Oberschülerin in Uniform, Sekushî Boisu, die ‚sexy Stimme’. Mit dieser wachsenden Popularität geht auch das wirtschaftlich Wachstum von Industrien einher, die mit der Otaku-Kultur verknüpft sind. Immerhin hat dieser Markt nach Ergebnissen des Nomura Research Institute 2004 einen geschätzten Marktanteil von circa 290 Milliarden Yen, umgerechnet circa 1,8 Milliarden Euro, erreicht (In Morinaga 2005: 31). So kommt Morinaga Takurô in seiner Analyse des ‚moe-Marktes’254 zu dem Schluss, das dieser in Zukunft durchaus zu einer Schlüsselindustrie Japans werden könnte (Morinaga 2005: 14). Er geht sogar soweit, zu prognostizieren, dass durch eine Ausweitung dieser Industrie eine grundlegende Veränderung in der japanischen Wirtschaft und Gesellschaft stattfinden werde (Morinaga 2005: 29ff). 253 Nihon Terebi 2007, http://www.ntv.co.jp/sexyvoice/index.html Morinaga fasst hierunter den Einfluss von moe-kyara, der sich von TV-Anime, über Devotionalien, ibento bis hin zu Maid Cafes erstreckt, und auch die Zirkel und Kleinstbetreiben, in denen dôjinshi oder Garagenbausätze (garêji kitto) von Otaku selbst produziert werden, zusammen (Morinaga 2005: 29f). 254 65 5. Literatur • 2channeru purojekuto: 2ten – 2channeru jiten. Bukkingu: Tôkyô2002 • Abe, Kenji: fuuin sareta „densha otoko”. Ôta Shuppan: Tôkyô 2005 • Agger, Ben: Cultural Studies As Critical Theory. 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Kommentiertes kanji-Glossar Akihabara [Stadtteil von Tôkyô] Aum Shinrikyô [religiöse Sekte] basho Ort bishôjo schönes Mädchen boku [männl.] ich Bôsôzoku Motorradrowdy bunka Kultur dame nutzlos dekisokonai Nichtsnutz Denkigai [Electric Town] dôjinshi selbstpublizierte Manga doku-otoko ‚giftiger Mann’ dokushin dansei alleinstehender Mann“ enjo kôsai Beziehung gegen, (finanzielle), Unterstützung futsû normal, gewöhnlich gakurekishakai Bildungsganggesellschaft geinôjin Künstler gen-otaku ursprünglicher Otaku gendai Gegenwart gôkon gemeinsame Studentenparty henken Vorurteil hikikomori Rückzug aus der Gesellschaft hôsô Rundfunk inshitsu vermodern, verrotten 73 kaizô Umbau kakkô ii cool, gut aussehend kakkô warui uncool, hässlich kanemochi Reicher kawaii süß, niedlich keikaku Plan Kichijôji [Stadtteil von Tôkyô] kindai Neuzeit, Moderne kojinteki individuell kongenteki grundlegend, prinzipiell kozô Bursche mondaiyôgo problematischer Ausdruck ningenzô ideales Menschenbild moe Sprießen; Brennen mikanzen unvollendet otona Erwachsener miko Tempelmädchen majime ernst mushoku arbeitlos Nakano Hitori [Pseudonym] ojôsama junge Dame omae du ore [männl.] ich Otakugaku Otakulogie ota-shû Otaku-Gestank sabetsuyôgo diskriminierender Ausdruck 74 seijitsu Aufrichtigkeit, Ehrlichkeit seiyoku Sexualtrieb seiyû Synchronsprecher/in shi [Anrede] Herr Shibuya-kei Shibuya-Strömung sokubai Verkauf auf der Stelle sonzaikan Präsenz sotsugyôshiki Graduierungsfeier suteki großartig, herrlich tamashî Seele tokusatsu Spezialeffekt usui dünn wakamono Jugendlicher waseieigo In Japan geprägtes Englisch yarô Kerl yasashii freundlich, nett zenkai vollständige Öffnung 75