Verletzungen von Ehre und Persönlichkeitsrecht im Prozess

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Verletzungen von Ehre und Persönlichkeitsrecht im Prozess
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Aufsätze
Verletzungen von Ehre
und Persönlichkeitsrecht
im Prozess
anspruch, der nicht auf Tatsachenbehauptungen beschränkt
ist und sich auch gegen Werturteile richten kann, ist im Antrag konkret zu bezeichnen. Dabei muss nicht ausgeführt
werden, gegenüber wem eine bestimmte Behauptung zu unterlassen ist.
Anwälte als Täter und Opfer
2. Widerrufsanspruch
Über die Unterlassung künftig drohender Äußerungen hinaus kann auch die Beseitigung bereits eingetretener und als
„Störungsquelle“ weiterhin fortwirkender Beeinträchtigungen verlangt werden, und dies unter bestimmten Voraussetzungen auch im Wege des Widerrufs4. Der Widerruf setzt indessen die Fortwirkung unwahrer Tatsachenbehauptung
voraus; gegen Meinungsäußerungen und Werturteile kann
also mit dem Widerrufsanspruch nichts ausgerichtet werden5.
Der uneingeschränkte Widerruf setzt voraus, dass das
Gericht im Streitfall die Unwahrheit der persönlichkeitsrechtsverletzenden Äußerung – ggf. im Wege der Beweisaufnahme – feststellt6. Wenn die Unwahrheit nicht zur vollen
Überzeugung des Gerichts festgestellt werden kann, aber
auch keine ernstlichen Anhaltspunkte für die Wahrheit der
angegriffenen Tatsachenbehauptung bestehen, besteht in der
Regel ein Anspruch auf eingeschränkten Widerruf, also etwa
die Erklärung, die Behauptung nicht aufrecht zu erhalten7.
Der Widerrufsanspruch geht dahin, dass der Angreifer seine
Behauptungen gegenüber all denen widerruft, vor denen er
sie geäußert hat. Diese Personen sind im Antrag/Tenor namentlich aufzuführen, weil sonst keine Vollstreckung
möglich ist.
Rechtsanwalt Dr. Bernd Hirtz, Köln
Wie hält es der Anwalt, die Anwältin mit der Wahrheit im
Prozess? „Der Umgang mit der Wahrheit im Zivilprozess“
hatte den Autor im Dezember-Heft 2006 des Anwaltsblatts
(AnwBl 2006, 780) beschäftigt. Der Folgebeitrag lotet die äußerungsrechtlichen Grenzen des Anwalts im Prozess aus.
Wo liegt die Grenze, ab der – immer wieder dem Anwalt angedrohte – Strafanzeigen sowie Unterlassungs- oder Widerrufsklagen Erfolg haben können?
I. Einführung
Verletzungen von Ehre und Persönlichkeitsrecht können Unterlassungs-, Widerrufs- und Schadenersatzanprüche auslösen. In der mitunter aufgeladenen Atmosphäre eines Prozesses mögen Neigung und/oder Notwendigkeit bestehen, den
Streit mit überspitzten Äußerungen zu führen. Der prozessualen Auseinandersetzung über Tatsachen, die bei rechtlicher Erheblichkeit in eine Beweisaufnahme münden kann,
ist es geradezu immanent, dass (mindestens) eine Seite unwahr vorträgt. Es kann vorkommen, dass auch solche Tatsachen vorgetragen werden, die für die Entscheidungsfindung
nicht erheblich sind, jedoch den Prozessgegner in den Augen
des Gerichts diskreditieren sollen1. In der Hitze des Gefechts
kann es zu persönlichen Schmähungen des jeweiligen Prozessgegners kommen. Solcher „Prozessvortrag im weitesten
Sinne“ ist gelegentlich Teil des anwaltlichen Vortrags in
Schriftsätzen und mündlichen Verhandlungen. Er kann sich
– im Einzelfall – auch gegen sonstige unmittelbar oder mittelbar am Prozessrechtsverhältnis Beteiligte (z. B. Zeugen,
Sachverständige, Richter) wenden. Und oft genug ist der
Rechtsanwalt Ziel von ihn unmittelbar betreffenden unwahren Äußerungen, Verunglimpfungen oder Beleidigungen.
Innerhalb eines solchen – meist durchaus unerfreulichen –
Szenarios wird die Drohung mit einem Gegenangriff durch
Strafanzeige, Unterlassungs- oder Widerrufsklage zum
Rechtsalltag. Dieser Beitrag geht der Frage nach den Grenzen des Prozessäußerungsrechts der Rechtsanwältin/des
Rechtsanwalts nach.
3. Strafrecht
Die strafrechtlichen Äußerungsdelikte, vor allem üble Nachrede (§ 186 StGB), aber auch Beleidigung (§ 185 StGB) und Verleumdung (§ 187 StGB) sind grundsätzlich geeignet, ausgedehnte prozessuale Äußerungsfreiheiten zu begrenzen.
Besonders problematisch ist das Verbot der üblen Nachrede,
weil hier die strafrechtlichen Risiken der Beweisbarkeit auf
den Schultern des Behauptenden lasten, wodurch jede Prozessführung erschwert oder sogar verhindert werden könnte,
wenn die Grundsätze einschränkungslos anzuwenden wären8.
II. Grundlagen des Äußerungsrechts
1. Unterlassungsanspruch
Äußerungen eines Menschen über einen anderen Menschen
können dessen Ehre, soziale Geltung und Persönlichkeitsrecht verletzen. Drohende (rechtswidrige) Verletzung begründet einen Unterlassungsanspruch des Betroffenen, dessen Voraussetzung also eine rechtswidrige Verletzung oder
Gefährdung seiner Rechte ist.2 Insoweit sind Erstbegehungsoder Wiederholungsgefahr (nach ganz überwiegender Auffassung) materielle Anspruchsvoraussetzung3. Verlangt werden kann grundsätzlich nur die Unterlassung der (konkret –
nochmals – drohenden) Äußerung. Der UnterlassungsVerletzungen von Ehre und Persönlichkeitsrecht im Prozess, Hirtz
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Zu dieser Problematik neuerdings: Kiethe MDR 2007, 625 ff.
Erman-Ehmann, BGB, 11. Aufl., Anh. § 12 Rn. 317 ff., Palandt-Sprau, BGB, 66.
Aufl., Einf v § 823 Rn. 18 ff.
BGH NJW 2005, 594, 595; NJW 1987, 3251, 3253.
Erman-Ehmann, Anh. § 12 Rn. 333 ff.; Palandt-Sprau, Einf v § 823 Rn. 28 ff.
BGH NJW 1989, 774; NJW 1982, 2246; Erman-Ehmann, Anh. § 12, Rn. 335.
BGH NJW 1977, 1681; NJW 1962, 1438; Erman-Ehmann, Anh. § 12 Rn. 344; Palandt-Sprau Einf v § 823 Rn. 32.
BGH NJW 1966, 647; NJW 1962, 1438; NJW 1960, 72; Erman-Ehmann, Anh. § 12
Rn. 346; Palandt-Sprau, Einf v § 823 Rn. 32.
Salditt, BRAK-Mitteilungen 2001, 150, 154.
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Aufsätze
III. Äußerungen in einem Rechtsstreit
1. Anspruchsschranken
Nach gefestigter Rechtstradition gelten die vorstehend unter
II. knapp dargestellten allgemeinen Regeln nicht für solche
Äußerungen, die während eines schwebenden Rechtsstreits
im Zusammenhang mit dem Gegenstand dieses Rechtsstreits gemacht werden. Äußerungen in rechtlich geordneten
Verfahren können also grundsätzlich nicht zum Gegenstand
von Unterlassungs- und Widerrufsansprüchen gemacht werden. Auch wenn in Randbereichen die Grenzen im Einzelfall
schwierig auszuloten sind, so wird doch der Betroffene gegenüber einem der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienenden Vorbringen einer Partei oder eines Zeugen
im Zusammenhang mit einem schwebenden Verfahren weder Widerruf noch Unterlassung fordern können9. Nach der
gefestigten Rechtsprechung können z. B. ehrenkränkende
Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in einem förmlichen Verfahren (oder dessen konkreter
Vorbereitung) dienen, in aller Regel nicht mit Ehrenschutzklagen abgewehrt oder im Rahmen der Äußerungsdelikte
strafrechtlich verfolgt werden. Der aktuelle Stand der Rechtsprechung lässt sich in 10 Grundsätzen zusammenfassen
a) Grundsatz 1:
Ehrenkränkende oder Persönlichkeitsrechte verletzende Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder -verteidigung in einem Gerichtsverfahren oder dessen konkreter Vorbereitung
dienen, können in aller Regel äußerungsrechtlich nicht abgewehrt werden10.
b) Grundsatz 2:
Tatsachenfeststellung und Rechtsprüfung des so genannten
Ausgangsverfahrens dürfen nicht durch eine Beschneidung
der Äußerungsfreiheit der daran Beteiligten beeinträchtigt
werden11. Ob das Vorbringen wahr und erheblich ist, soll nur
in dem seiner eigenen Ordnung unterliegenden Ausgangsverfahren geprüft werden.
rend eines noch laufenden Zivilprozesses, in welchem die
Wahrheit oder Unwahrheit bestimmter Tatsachenbehauptungen Gegenstand des Streits ist oder von den Parteien zumindest dazu gemacht werden kann, eine Unterlassung dieser
Tatsachenbehauptungen sowie auf ihnen aufbauender ehrkränkender Werturteile grundsätzlich nicht zum Gegenstand
eines gesonderten Prozesses gemacht werden kann; denn im
kontradiktorischen Zivilprozess ist der Gegner gegenüber
Äußerungen, auf die er erwidern kann, nicht schutzlos gestellt15. Es ist verfassungsrechtlich nicht bedenklich, die Zulässigkeit einer Ehrenschutzklage bei Äußerungen, die der
Rechtsverfolgung oder verteidigung in einem schwebenden
Gerichtsverfahren oder dessen konkreter Vorbereitung dienen, allenfalls bei bewusst oder erwiesen unwahren Tatsachenbehauptungen oder bei Schmähungen ohne sachlichen
Bezug zu bejahen16.
g) Grundsatz 7:
Werden Äußerungen sowohl innerhalb eines Rechtsstreits
als auch außerhalb verbreitet, nimmt das Äußerungsprivileg
im Rechtsstreit der Ehrenschutzklage das Rechtsschutzbedürfnis nur, soweit es um Äußerungen im Rechtsstreit
geht; der Anzeigeerstatter einer Straftat hat also unbewiesene
Tatsachenbehauptungen außerhalb des Ermittlungs- und
Strafverfahrens zu unterlassen17. Insoweit kann dem Äußernden geboten werden, die Verbreitung seiner Anschuldigungen mit Ausnahme seiner Anzeige im Ermittlungsverfahren zu unterlassen.
h) Grundsatz 8:
Der strafrechtliche Ehrenschutz darf nicht dazu zwingen,
eine rechtserhebliche Tatsachenbehauptung in einem Prozess aus Furcht vor Bestrafung zu unterlassen, nur weil offen
ist, ob die behauptete Tatsache bewiesen werden kann; die
mögliche Grenze verläuft erst dort, wo wider besseres Wissen vorgetragen wird18.
c) Grundsatz 3:
Die Parteien und die von Ihnen bevollmächtigten Rechtsanwälte dürfen in einem Gerichtsverfahren all das vortragen,
was sie zur Wahrung ihrer Rechte bzw. zur Wahrung der
Rechte der von ihnen vertretenen Parteien für erforderlich
halten, auch wenn dadurch Ehre und Persönlichkeitsrecht eines anderen berührt werden12.
d) Grundsatz 4:
Für Klagen gegen Äußerungen, die der Rechtsverfolgung
oder Rechtsverteidigung in einem Gerichtsverfahren oder einem Verfahren vor Verwaltungsbehörden dienen, fehlt
grundsätzlich das Rechtsschutzbedürfnis13.
e) Grundsatz 5:
Die Grundsätze für den Ausschluss von Ehrenschutzklagen
im Gerichtsverfahren gelten nicht, wenn ehrverletzende Äußerungen in einem Rundschreiben oder Artikel außerhalb
der prozessualen Rechtsverfolgung aufgestellt werden14.
f) Grundsatz 6:
Der durch die Verfassung gebotene Schutz des allgemeinen
Persönlichkeitsrechts wird nicht dadurch verletzt, dass wäh164
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Erman-Ehmann, Anh. § 12 Rn. 100 m. w. N.; zuletzt BGH NJW 2005, 279 ff.; kritisch
hierzu: Kiethe, MDR 2007, 625 ff.
BGH NJW 2005, 279, 280.
BGH NJW 1992, 1314; NJW 2005, 280.
Vgl. BGH NJW 2005, 279, 281.
BGH NJW 2005, 279, 281; NJW 1995, 397; NJW 1992, 1314; NJW 1971, 284.
BGH NJW 2005, 279, 281; NJW 1992, 1314; NJW 1981, 2117, 2118; BVerfG NJW
1991, 2074, 2075.
BVerfG, NJW 1991, 2074, 2075; Beschluss vom 25.9.2006 1 BvR 1898/03 (in diesem Heft).
BVerfG Beschluss vom 25.9.2006 1 BvR 1898/03 (in diesem Heft).
OLG Frankfurt NJW-RR 1996, 1113; Erman-Ehmann, Anh. § 12 Rn. 100 und 319.
BVerfG StV 2000, 416; Salditt BRAK-Mitteilungen 2001, 150, 154.
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i) Grundsatz 9:
Die durch Artikel 12 Abs. 1 Satz 1 GG geschützte Berufsfreiheit gewährt dem Rechtsanwalt insoweit keinen weitergehenden Schutz, als er der Partei selbst zukommt19.
j) Grundsatz 10:
Soweit der Rechtsanwalt sich im Interesse seines Mandanten
äußert, wird er nicht als Privatperson tätig, sondern in seiner
Funktion als Rechtsanwalt und Vertreter seines Mandanten.
Regelmäßig macht er sich den Sachverhalt, den ihm sein
Mandant schildert, nicht als persönliche Behauptung zu Eigen und stellt, indem er diesen wiedergibt, keine eigene
persönliche Behauptung auf. Materiellrechtlich ist in diesen
Fällen ggf. nicht er, sondern sein Mandant als Störer anzusehen20.
2. Dogmatische Begründung der Anspruchsblockierung
Die gefestigte Rechtspraxis, die in den vorstehend aufgelisteten Grundsätzen zusammengefasst werden kann, hat sich
über Jahrzehnte hinweg entwickelt. Die dogmatischen Begründungsansätze haben sich gewandelt. Ursprünglich bezog sich auf die zivilrechtliche Rechtsprechung auch § 193
StGB (Wahrnehmung berechtigter Interessen); später wurde
äußerungsrechtlichen Klagen das Rechtsschutzbedürfnis versagt. Allerdings verkürzt die Bewertung, nur die ältere Rechtsprechung habe zur Begrenzung des Ehrenschutzes für Äußerungen, die in einem rechtsstaatlichen Verfahren getätigt
wurden, auf § 193 StGB zurückgegriffen21, die Problematik.
Denn jedenfalls im strafrechtlichen Bereich ist mit § 193
StGB zu arbeiten. Der prozessualistische Ansatz (vgl. Grundsatz 7) des BGH22, wonach Klagen gegen Äußerungen in einem förmlichen Verfahren das Rechtsschutzbedürfnis fehlt,
so dass solche Klagen unzulässig sind, ist letztlich Ausdruck
der verfahrensrechtlichen Typizität desselben Gedankens.
Beide Ansätze sind zunächst nur Plattform für die eigentliche Begründung.
Die tragenden Gründe sind die effektive Gewährleistung
rechtlichen Gehörs23 einerseits und der Schutz der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Rechtskraft andererseits. Jede Prozesspartei hat nur dann die Chance bei Gericht durchzudringen, wenn sie mit ihrem Prozessvortrag
zunächst einmal – unbehindert durch Störungen des Ausgangsverfahrens infolge von Ermittlungsverfahren und Ehrenschutzklagen – gehört wird. Das förmliche Verfahren
muss um der Effektivität des rechtlichen Gehörs willen einen
Schutzraum bilden, in welchem sich folgerichtig auch Zeugen befinden. Außerdem würde eine wesentliche Voraussetzung der Rechtskraftwirkung beschädigt, wenn parallel oder
im Nachhinein sich andere Gerichte mit der Wahrheit des
Prozessvortrages der am Ausgangsverfahren Beteiligten auseinandersetzen dürften. Denn Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung ist originäre Aufgabe des Ausgangsgerichts,
das schließlich zu einer rechtskraftfähigen Entscheidung
kommt. Deshalb kann es für die Zulässigkeit einer Ehrenschutzklage nicht darauf ankommen, ob der Erstprozess
zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Ehrenschutzklage
bereits rechtskräftig abgeschlossen ist oder nicht24. Es wäre
mit der rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbar, wenn Parteien oder Zeugen in einem anderen Rechtsstreit verurteilt
werden könnten, Erklärungen zu widerrufen oder zu unterlassen, die sie im Ausgangsverfahren abgegeben haben25.
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3. Grenzen der Ausnahmen
Andererseits leuchtet ein, dass nicht die bloße Existenz eines
laufenden Verfahrens Freibrief für alle unwahren und ehrverletzenden Äußerungen sein kann. Es ist im Einzelfall
schwer zu entscheiden, wo die Grenzen liegen. So versagt
die Rechtsprechung (vgl. Grundsatz 6) das Privileg vor allem
in solchen Fällen, in denen die Äußerungen bewusst falsch
oder so leichtfertig gemacht sind, dass ihre Unhaltbarkeit
auf der Hand liegt26. Diese Erwägungen sind zutreffend, weil
entsprechende Einschränkungen auch bei der missbräuchlichen Ausnutzung rechtlichen Gehörs oder eines erschlichenen rechtskräftigen Titels gelten würden. Nicht abschließend
geklärt ist bislang die Frage, ob einem nicht am Verfahren
beteiligten Dritten Ansprüche aus Ehren- bzw. Persönlichkeitsrechtsverletzung unter Hinweis auf das Privileg versagt
werden können27. Leitet dieser Dritte seine Ansprüche letztlich aus seiner Rolle im früheren Verfahren ab (z. B. Zeuge
oder Prozessbevollmächtigter), wird es indessen bei den Einschränkungen bleiben müssen.
IV. Anwaltsspezifische Rechte und Pflichten
1. Anwälte als Opfer
Die jüngere Rechtsprechung bietet markante Fallbeispiele, in
denen Rechtsanwälte wegen ehrverletzender Äußerungen
Dritter Rechtsschutz suchten.
Keinen Erfolg hatte ein Rechtsanwalt mit seiner Ehrenschutzklage gegen einen Arzt, der behauptet hatte, der
Rechtsanwalt führte die Arzthaftungsklage gegen ihn ohne
Vollmacht und nur um Geld zu verdienen28. Diese Entscheidung ist aber richtig, weil es sich ausschließlich um eine Äußerung aus einem Prozessverfahren handelte, die noch einen ausreichenden inneren Zusammenhang mit dem
Streitgegenstand erkennen ließ. Wenn die (von dem Rechtsanwalt) vertretene Partei wegen der Äußerung der anderen
Seite keine Äußerungsrechtlichen Ansprüche durchsetzen
kann, so muss dies folgerichtig auch für den Rechtsanwalt
selbst gelten, weil er für die Partei im Verfahren als Organ
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BGH NJW 2005, 279, 280.
KG NJW 1997, 2390; ausdrücklich gebilligt von BGH NJW 2005, 279, 281.
Kiethe MDR 2007, 625, 627.
Seit BGH NJW 1962, 243.
Mit OLG Düsseldorf NJW 1987, 2522; zustimmend Erman-Ehmann Anh. § 12
Rn. 101.
Mißverständlich daher OLG Hamm NJW 1992, 1329, 1330.
BGH NJW 1986, 2502, 2503; Erman-Ehmann, Anh. § 12 Rn. 100.
Vgl. die Fallgestaltungen OLG Hamburg BGH NJW-RR 1999, 1251, ZUM 1996,
792, 797; OLG Bamberg NJW-RR 1999, 322 ff; BVerfG NJW 2000, 200; OLG
Hamm NJW-RR 2002, 1196, Erman-Ehmann, Anh. § 12 Rn. 100; einen Überblick
über die Grenzbereiche gibt: Kiethe MDR 2007, 625, 629.
Dafür wohl BVerfG 1 BVR 1898/03 (in diesem Heft); OLG Düsseldorf NJW 1987,
2522; unentschieden BGH NJW 1986, 2502, 2503; dagegen Kiethe MDR 2007,
625, 628, 630.
OLG Hamm NJW 1992, 1329.
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der Rechtspflege das rechtliche Gehör vermittelt. Insoweit ist
die These des BGH (Grundsatz 9)29 zutreffend, der Rechtsanwalt genieße auch im Lichte der durch Artikel 12 Abs. 1
Satz 1 GG geschützten Berufsfreiheit keinen weitergehenden
Schutz, als er der Partei selbst zukommt. Weil die Rechtsanwältin nicht als Privatperson tätig wird, sondern in ihrer
Funktion als Vertreterin ihres Mandanten, ist es sachgerecht,
den Ehrenschutz des Anwalts wegen Äußerungen im Verfahren denselben Schranken zu unterwerfen wie den Ehrenschutz der vertretenen Partei selbst.
Irritierend ist indessen die Behandlung des Falles, der
der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
25. September 200630 zugrunde lag. Ein Rechtsanwalt vertrat
als Prozessbevollmächtigter einen Kläger in einem Zivilprozess, der durch Prozessvergleich beendet wurde. Im Rahmen
eines Kostenfestsetzungsverfahrens nahm einer der Beklagten Stellung und bezichtigte den Rechtsanwalt der Begehung
mehrerer Straftaten (Urkundenfälschung, Betrug und Bildung einer kriminellen Vereinigung). Die gegen diese Äußerungen gerichtete Klage des Rechtsanwalts hatte in erster Instanz Erfolg; die Berufung führte jedoch zur Klageabweisung
durch das später mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Urteil des Oberlandesgerichts. Die Verfassungsbeschwerde hatte keinen Erfolg. Das Bundesverfassungsgericht
hält die (in diesem Beitrag unter III. 1. zusammengefassten)
Grundsätze für verfassungsgemäß (vgl. Grundsatz 6). Es sei
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Unzulässigkeit der Ehrenschutzklage auch im Hinblick auf die
vom Oberlandesgericht selbst als überzogen gekennzeichneten Äußerungen verneint wurde. Dies mag verfassungsrechtlich vertretbar sein; indessen begegnet die Auffassung des
Berufungsgerichts erheblichen rechtlichen Bedenken31. Zu
beachten ist nämlich, dass das Hauptsacheverfahren beendet
war und es nur noch um die Frage ging, ob angefallene Vollstreckungskosten gesondert festgesetzt werden konnten. In
diesem Zusammenhang kann es kein berechtigtes Interesse
einer Prozesspartei geben, nicht etwa den Prozessgegner,
sondern nur dessen Prozessbevollmächtigten der Urkundenfälschung, des Betrugs und der Bildung einer kriminellen
Vereinigung zu bezichtigen. Das rechtliche Gehör des dortigen Beklagten wäre in keiner Weise berührt, wenn er solche
Beschuldigungen nicht erhoben hätte. Er konnte ja außerhalb des Verfahrens entsprechende Strafanzeige formulieren
und so das Verhalten des Anwalts überprüfen lassen. Die
Rechtskraft der Hauptsacheentscheidung konnte nicht mehr
berührt werden. Die Rechtskraft des Kostenfestsetzungsbeschlusses ist, wenn nur sachfremde Erwägungen angestellt
wurden, ebenfalls unbeschädigt. Auch wenn es darauf ankommt, was die betroffene Partei im Rahmen des noch laufenden Verfahrens für die sachgerechte Verfahrensführung
für noch angemessen halten darf und auch wenn berücksichtigt wird, dass hier kleinliche Grenzen nicht gezogen werden
dürfen, so ist doch zu berücksichtigen, dass der gegen den
Anwalt gerichtete Prozessvortrag nicht nur nicht geeignet
war, den Anspruch des Beklagten zu begründen oder den
Anspruch der anderen Seite zu vernichten32, vielmehr trug
dieser Vortrag Ärger und Wut über den Verlauf des inhaltlich und formell eigentlich beendeten Verfahrens auf der
Stirn.
2. Anwälte als Täter
Werden Äußerungen einer Rechtsanwältin, die diese für ihre
Partei im Prozess tätigt, von der Gegenseite zum Anlass für
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eine äußerungsrechtliche Klage genommen, gelten sinngemäß die vorstehenden Grundsätze. Der Rechtsanwalt genießt für seine Äußerungen auch im Lichte der durch Artikel 12 Abs. 1 Satz 1 GG geschützten Berufsfreiheit
grundsätzlich keinen weitergehenden Schutz, als er der Partei selbst zukommt (Grundsatz 9)33. Der Rechtsanwalt stellt
im Zweifel keine eigene persönliche Behauptung auf. Greift
er zu einer Äußerung, die grundsätzlich äußerungsrechtliche Ansprüche des Prozessgegners nach sich ziehen
könnte, ist materiell-rechtlich grundsätzlich nicht der Rechtsanwalt, sondern sein Mandant als Störer anzusehen34. Ob
diese Erwägung nun dazu führt, dass eine entsprechende
Klage gegen den Rechtsanwalt als unzulässig (mangels
Rechtsschutzbedürfnis) oder als unbegründet (mangels Passivlegitimation und Störereigenschaft)35 abgewiesen wird, ist
für diese Fallkonstellation allenfalls von dogmatischem Interesse. Es sind aber auch (schriftliche oder mündliche) Äußerungen einer Rechtsanwältin denkbar, die außerhalb eines
Prozessverfahrens im Rahmen einer Mandatsbearbeitung für
den Mandanten abgegeben werden. Hier würde die prozessuale Schranke (fehlendes Rechtsschutzbedürfnis) nicht weiter helfen, wohl aber die Erwägung, dass die entsprechenden
Äußerungen keine eigentliche Rechtsverletzung durch die
Anwältin darstellen, sondern im Rahmen ihrer Funktion als
Vertreterin fremder Interessen gemacht wurden. Insoweit
gebietet es der Schutz der Berufsfreiheit des Anwalts, solche
Äußerungen, wenn sie nicht exzessiv erfolgen, im Zweifel
der vertretenen Partei zuzuordnen36.
3. Anwaltsrechtliche Äußerungsschranken
Auf berufsrechtlicher Grundlage gibt es einige Normen, die
anwaltlichen Äußerungen Schranken setzen können37. Die
Rechtsanwältin hat Verschwiegenheitspflichten des Mandanten ebenso zu beachten wie Schweigerechte des Mandanten
(z. B. Aussagefreiheit gemäß § 136 StPO und Schweigerecht
gemäß § 446 ZPO). Der Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit berechtigt und verpflichtet; § 203 StGB, 42 a Abs. 2
BRAO, 2 BORA. Für Äußerungsrechte und ihre Grenzen
von besonderer Bedeutung sind die Auswirkungen des Sachlichkeitsgebots und der damit verbundenen Wahrheitspflicht. Gemäß § 43 a Abs. 3 BRAO darf der Rechtsanwalt
sich bei seiner Berufsausübung nicht unsachlich verhalten:
„Unsachlich ist insbesondere ein Verhalten, bei dem es sich
um die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten oder solche
herabsetzenden Äußerungen handelt, zu denen andere Beteiligte oder der Verfahrensverlauf keinen Anlass gegeben
haben“. Damit begründet § 43 a Abs. 3 BRAO für den Bereich der Unsachlichkeit die Verpflichtung der Anwältin, die
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BGH NJW 2005, 279, 281.
BVerfG 1 BvR 1898/03 (in diesem Heft ab Seite 203).
So auch Kiethe MDR 2007, 625, 629.
Auf diese Eignung stellt entscheidend Kiethe MDR 2007, 625, 630 ab.
BGH NJW 2005, 279, 281.
BGH NJW 2005, 279, 281; KG NJW 1997, 2300.
In diese Richtung wohl BGH NJW 2005, 279, 281.
Tendenziell: BGH NJW 2005, 279, 281.
Hirtz AnwBl 2003, 464, 468.
Verletzungen von Ehre und Persönlichkeitsrecht im Prozess, Hirtz
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bewusste Verbreitung von Unwahrheiten zu unterlassen.
Diese Berufspflicht ist sanktionsbewehrt. Sie definiert sich
aus dem Kernbereich anwaltlicher Professionalität und verpflichtet den Anwalt im Zivilprozess zur Herstellung einer
praktischen Konkordanz zwischen der Achtung der Wahrheitspflicht der Partei, der Interessen der Partei und der Organstellung des Rechtsanwalts38. Diese Verpflichtung, die im
Zivilprozess neben die vom Anwalt zu achtende Wahrheitspflicht der Partei aus § 138 ZPO tritt, ist originäre Anwaltssache.
Mit der Anwendung des Sachlichkeitsgebots aus den alten Standesrichtlinien war viele Jahre die Versuchung einhergegangen, anwaltliche Äußerungen im Verfahren zu disziplinieren. Diese Tendenz ist indessen im Anschluss an die
Entscheidung
des
Bundesverfassungsgerichts
vom
14. Juli 198739 und durch die Formulierung des § 43 a Abs. 3
BRAO gebrochen. Zur Unabhängigkeit des Anwalts gehört,
dass er erforderlichenfalls im Kampf um das Recht laut und
deutlich wird und nicht aus Pietät, Kollegialität oder aus
Duckmäusertum notwendige Angriffe gegen die zurückstellt,
die dem Mandanten das Recht verwehren40.
Die Verpflichtung des Rechtsanwalts zur Sachlichkeit
und Wahrheit tritt so neben die Verpflichtung der Partei.
Fraglich ist, ob der Rechtsanwalt berufsrechtlich für solche
Äußerungen in einem rechtlich geordneten Verfahren zur
Verantwortung gezogen werden kann, die seiner Partei erlaubt wären. Dafür könnte zunächst sprechen, dass die Sachlichkeitsverpflichtung des Anwalts originärer Natur ist und
aus seiner eigenen Professionalität folgt. Andererseits würde
aber über die berufsrechtliche Schiene eine eigentlich privilegierte Äußerung zu einer unzulässigen. Daher sind die
Grenzen des Äußerungsrechts auch bei der Verfolgung angeblich unsachlicher oder unwahrer Äußerungen einer
Rechtsanwältin im Zusammenhang mit § 43 a Abs. 3 BRAO
zu achten. Hinzu kommt folgendes: Es ist nicht unprofessionell, sondern professionell, wenn eine Rechtsanwältin als
Vertreterin und Fürsprecherin ihres Mandanten bis an die
Grenzen geht, um dessen Rechte zu wahren. Ebenso, wie
nach dem Grundsatz 8 der strafrechtliche Ehrenschutz nicht
dazu zwingen darf, eine rechtserhebliche Tatsachenbehauptung aus Furcht vor Bestrafung zu unterlassen, darf das
berufsrechtliche Sachlichkeitsgebot die professionelle Ausübung des Anwaltsberufs nicht hindern. Die Äußerungsfreiheit des Anwalts stößt mithin an Grenzen; diese sind aber
aus gutem Grund im Schutzraum des rechtlich geordneten
Verfahrens nicht aufgestellt, sondern stehen entfernt41 von
ihm.
V. Ergebnis
1. Äußerungen, die während eines schwebenden Rechtsstreits im Zusammenhang mit dem Gegenstand dieses
Rechtsstreits gemacht werden, können grundsätzlich nicht
zum Gegenstand von Unterlassungs-, Widerrufs- und Schadenersatzansprüchen gemacht werden.
2. Solche Äußerungen sind auch strafrechtlich privilegiert; im Rahmen eines rechtlich geordneten Verfahrens erfolgen sie im Zweifel zur Wahrnehmung berechtigter Interessen im Sinne von § 193 StGB.
3. Diese Privilegien gelten auch für den Rechtsanwalt,
der einen Mandanten im rechtlich geordneten Verfahren vertritt.
4. Das hat umgekehrt zur Folge, dass auch eine Rechtsanwältin solche Äußerungen anderer Verfahrensbeteiligter,
die ihre Ehre oder ihre Persönlichkeitsrechte tangieren
können, nicht mit Aussicht auf Erfolg angreifen kann.
5. Auch über das Sachlichkeitsgebot (§ 43 a BRAO)
können dem Anwalt Äußerungen in rechtlich geordneten
Verfahren grundsätzlich nicht zur Last gelegt werden.
6. Ein gesondertes Privileg für anwaltliche Äußerungen
in rechtlich geordneten Verfahren gibt es nicht. Äußerungen, die der Partei verboten wären, sind im Zweifel auch
dem Anwalt nicht erlaubt.
7. Bewusst oder erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen oder Schmähungen ohne sachlichen Bezug sind vom
Schutzbereich des rechtlich geordneten Verfahrens ausgenommen.
8. Äußerungen, die der Rechtsanwalt außerhalb eines
rechtlich geordneten Verfahrens für seinen Mandanten abgibt, sind im Zweifel dem Mandanten zuzurechnen; dem
Anwalt fehlt insoweit die Störereigenschaft.
Dr. Bernd Hirtz, Köln
Der Autor ist Rechtsanwalt. Er ist Vorsitzender des
Zivilverfahrensrechtsausschusses des DAV.
Den Autor erreichen Sie unter autor@anwaltsblatt.de.
38 Vgl. hierzu im einzelnen Hirtz AnwBl 2006, 780 ff.
39 BVerfG E 76, 171 ff.
40 Busse in: DAV-Ratgeber für junge Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte, 11. Aufl.
2006, 59, 65.
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