Leseprobe: Kapitel 1
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Leseprobe: Kapitel 1
Tim Wiegers The Indie Revolution Independentfilm Finanzierung & Distribution 1 Kapitel 1 Independentfilm U nabhängigkeit definiert sich nicht allein darin, auf niemanden angewiesen zu sein. Unabhängigkeit bezieht das Recht mit ein, der Beeinflussung von außen zu widerstehen. Welchen Stellenwert hat dieser Gedanke in der hart umkämpften Filmindustrie? Was genau macht einen Independentfilm aus und welche Phasen hat er in seiner Geschichte durchlaufen? Im Verlauf dieses Kapitels werden diese und weitere Aspekte aufgegriffen. Begriffsdefinition Independentfilme, auch Indie-Filme oder »Indies« genannt, definieren sich dadurch, dass sie zu mindestens 51 Prozent5 unabhängig von den sechs größten US-amerikanischen Filmstudios produziert worden sein müssen. So erklärt es die »Independent Film and Television Alliance«. Independentfilme unterscheiden sich in der Regel durch eine unkonventionelle Erzählstruktur und ihre künstlerische Ästhetik von dem mitunter stilistisch eher konservativen Aussehen und Erzählmuster der Filme der großen Hollywood Studios. Sehr oft werden Independentfilme mit einem deutlich geringereO Budget produziert, als die Mainstream-Produktionen des Studiosystems.6 5 6 FAQs der Independent Film & Television Alliance (IFTA) http://www.americanfilmmarket.com/sites/www.americanfilmmarket.com/files/ IFTA%20FAQs%20071612.pdf, letzter Zugriff am 16.03.2013, Seite 1 McDonald, Paul / Wasco, Janet: The Contemporary Hollywood Film Industry, Malden, MA, USA, 2008, S. 31, Blackwell Publishing Independentfilm | 15 Bei den sechs größten US-amerikanischen Studios, im weiteren auch »Major-Studios« oder »Big Six« genannt, handelt es sich um 20th Century Fox (News Corporation), The Walt Disney Company, Paramount Pictures (Viacom), Sony Pictures Studios (Sony), Warner Bros. (Time Warner) und den Universal Studios (NBC Universal).7 Die Grenzen zwischen Independent- und Mainstream-Filmen sind mit der Zeit immer undeutlicher geworden. In den 1990er Jahren erkannten die Major-Studios das große Potential des Indie-Genres und kauften entweder Independent-Studios auf oder gründeten eigene Tochterunternehmen, die weniger kommerziell anmutende Filme für den wachsenden Arthouse-Markt8 produzieren sollten. Inzwischen hat der Begriff »Independent« für viele an Bedeutung verloren. Nach der Definition der Independent Film and Television Alliance, zählt z.B. der Film »Lost in Translation« als Independentfilm. Dieser Film wurde von Sofia Coppola, der Tochter der Hollywood-Legende Francis Ford Copolla und Ehefrau von Regisseur Spike Jonze, produziert. Weil hinter diesem Film also quasi eine komplette Dynastie von Filmemachern mit großem Einfluss und finanziellen Ressourcen steht, weigern sich viele, eine Produktion wie diese, als »echten« Independentfilm anzuerkennen. Weitere Beispiele dafür sind unter anderem die Filme »American Beauty«, »Shakespeare in Love« und die »Herr der Ringe-Trilogie«. »Independent Film and Television Alliance« produziert. Viele weitere Filme sind durch Nominierungen geehrt worden, wie z.B. »Milk« und »Der Vorleser«. Somit wird deutlich, dass Independentfilme in allen Budgetleveln produziert werden. Der Zuschauer ist oft geneigt, zu denken, dass hinter einem erfolgreichen Film, wie »Der mit dem Wolf tanzt« oder den »Twilight«-Filmen, große und namhafte Studios stehen müssen. Nicht selten ist es aber so, dass die großen Studios nur den Release oder die Distribution bei diesen Filmen übernommen haben. Die Rechte bleiben somit weiterhin bei den unabhängigen Filmstudios. Immer mehr der großen Filmstudios gehen den Schritt, weniger selbst zu produzieren, sondern sich eher auf die Verwertung und das Marketing von extern produzierten Filmen zu konzentrieren. In der nachfolgenden Tabelle liste ich einige erfolgreiche Independentfilme der letzten 40 Jahre auf. Die von mir zusammengestellten Zahlen habe ich aus den derzeitig mir zur Verfügung stehenden Quellen entnommen und kann nicht im Einzelnen für die exakte Genauigkeit garantieren. Trotzdem geben die Zahlen einen groben Überblick über Budgets und Verwertung. Die Angabe »P&A« bedeutet dabei »Prints & Advertising«. Seit 1980 wurden so ca. die Hälfte der Gewinnerfilme des »Academy Awards«, den legendären »Oscars«, im Bereich »Best Picture« von Mitgliedern der 7 8 vgl. http://filmlexikon.uni-kiel.de/index.php?action=lexikon&tag=det&id=4380, letzter Zugriff am 16.03.2013 Arthouse-Markt ist ein Begriff für das soziale Milieu, das an künstlerischen, anspruchsvollen, nicht kommerziellen Autorenfilmen interessiert ist, wie z. B. dem Independent- und Undergroundfilm. 16 | Independentfilm Independentfilm | 17 Filmtitel Jahr Budget US Box Office International Box Office Worldwide Box Office Studio Distribution (Auswahl) Midnight in Paris 2011 $30.000.000 $56.816.662 + 11 Mio. DVD $98.000.000 $154.816.662 Gravier Productions / Mediapro / Televisió de Catalunya (TV3) / Versátil Cinema Sony Pictures Classic (US) / Concorde Home Entertainment (DE) The King's Speech 2010 $15.000.000 $138.797.449 + 32 Mio. DVD $288.576.690 $427.374.139 UK Film Council / See-Saw Films / Bedlam Productions Momentum Pictures (UK)/ The Weinstein Company (US) Ca$h 2010 $7.000.000 $5.512.027 $5.512.027 Inglourious Basterds 2009 $70.000.000 $120.831.050 + 61 Mio. DVD $195.311.542 $316.142.592 The Weinstein Company / A Band Apart / Studio Babelsberg Universal Pictures Slumdog Millionaire 2008 $14.000.000 $141.391.928 + 33 Mio. DVD $234.483.061 $375.802.989 Celador Films / Film4 Productions Pathé (UK) / Eros Entertainment / Warner Bros. Pictures / Fox Searchlight Pictures (US) Tödliches Kommando - The Hurt Locker 2008 $15.000.000 $17.017.811 $32.660.965 $49.678.776 Voltage Pictures / Grosventor Park Media / Film Capital Europe Funds / First Light Production / Kingsgate Films / Summit Entertainment Warner Bro. (Italy) / Summit Entertainment / Universal Studios (US) / Optimum Releasing / Lionsgate (UK) Twilight - Bis(s) zum Morgengrauen 2008 $37.000.000 $205.154.080 $397.923.934 Temple Hill Entertainment / Temple Hill Entertainment / Maverick Films / Imprint Entertainment Summit Entertainment (US) / Concorde Film (DE) Juno 2007 $7.500.000 $143.495.265 + 58 Mio. DVD $87.954.837 $231.450.102 Mandate Pictures / Mr. Mudd Fox Searchlight Pictures Paranormal Activity 2007 $15.000 $107.918.810 + 17 Mio. DVD $85.957.593 $193.876.403 Blumhouse Productions Paramount Pictures Little Miss Sunshine 2006 $8.000.000 $59.891.098 + 55 Mio. DVD $40.659.879 $100.550.977 Big Beach Films, Bona Fide Productions, Deep River Productions, Third Gear Productions Fox Searchlight Pictures Once 2006 $150.000 $9.445.857 $9.551.317 $18.997.174 Bórd Scannán na hÉireann / Samson Films / Summit Entertainment / RTE Fox Searchlight Pictures Facing the Giants 2006 $100.000 $10.178.331 + 20 Mio. DVD $64.828 $10.243.159 Sherwood Pictures Samuel Goldwyn Films Brokeback Mountain 2005 $13.900.000 $83.043.761 + 31 Mio. DVD $91.054.040 $174.097.801 River Road Entertainment / Good Machine Focus Features Primer 2004 $7.000 $424.760 $141.086 $565.846 Shane Carruth ThinkFilm Supersize Me 2004 $65.000 + 1 Mio. P&A $11.529.368 $18.000.000 $29.529.368 Morgan Spurlock Samuel Goldwyn Films / Roadside Attractions Napoleon Dynamite 2004 $400.000 + 3 Mio. P&A $44.540.956 $1.303.031 $45.843.987 MTV Films / HH Films Fox Searchlight Pictures (US) / Pramount Pictures (Int.) Saw 2004 $1.200.000 $55.185.045 $41.192.657 $96.377.702 Evolution Entertainment / Twisted Pictures Lionsgate Fahrenheit 9/11 2004 $6.000.000 + 12 Mio. P&A $119.114.517 $103.300.000 $222.414.517 Michael Moore Lions Gate Films / IFC Films / Dog Eat Dog Films / Miramax Films Die Passion Christi 2004 $25.000.000 +10 Mio. P&A $370.782.930 + 3 Mio. DVD $241.116.490 $611.899.420 Icon Productions Icon Productions / Newmarket Films Million Dollar Baby 2004 $30.000.000 $100.492.203 $114.524.572 $215.016.775 Lakeshore Entertainment / Malpaso Productions Warner Bros. Pictures Tarnation 2003 $218 $592.014 $570.000 $1.162.014 Indigo Wellspring Media 18 | Independentfilm $192.769.854 +200 Mio. DVD Roadside Attractions Independentfilm | 19 Filmtitel Jahr Budget US Box Office International Box Office Worldwide Box Office Studio Distribution (Auswahl) Lost in Translation 2003 $4.000.000 $44.585.453 $67.965.232 $112.550.658 American Zoetrope / Tohokushinasha-Film Focus Features Open Water 2003 $500.000 $30.500.882 $24.616.100 $55.116.982 Lions Gate Films / Plunge Pictures / Eastgate Pictures Lionsgate Kill Bill - Volume 1 2003 $55.000.000 $70.098.138 + 40 Mio. DVD $110.000.000 $180.098.138 A Band Apart Productions Miramax Films My Big Fat Greek Wedding - Hochzeit auf griechisch 2002 $5.000.000 + 19 Mio. P&A $241.438.208 $110.804.314 $352.242.522 Playtone / Gold Circle Films / MPH Entertainment / HBO Pictures IFC Films Herr der Ringe: Die Gefährten 2002 $109.000.000 + 40 Mio. P&A $315.544.750 + 14 Mio. DVD $553.845.516 $869.390.266 WingNut Films / The Saul Zaentz Company New Line Cinema Der Pianist 2002 $35.000.000 + 10 Mio. P&A $32.519.322 $87.480.678 $120.000.000 Studio Canal+ / Canal+ / Studio Babelsberg Forcus Features / Universal Studios Memento 2000 $5.000.000 $25.544.867 $14.121.083 $39.665.950 Newmarket Films / Team Todd Summit Entertainment (US) / Pathé (UK) Blair Witch Project 1999 $600.000 + 6,5 Mio. P&A $140.539.099 $107.760.901 $248.300.000 Haxan Films Artisan Entertainment Good Will Hunting 1997 $10.000.000 $138.433.435 $87.500.000 $225.933.438 A Band Apart / Lawrence Bender Productions Miramax Films Das Leben ist schön 1997 $57.598.247 $171.801.753 $229.400.000 Cecchi Gori Group Miramax Films Boogie Nights 1997 $15.000.000 + 16 Mio. P&A $26.410.771 $16.700.954 $43.111.725 Ghoulardi Film Company / Lawrence Gordon Productions New Line Cinema (US) / Arthaus Filmverleih (DE) / Entertainment Film Distributors (UK) Trainspotting 1996 $3.100.000 + 4,1 Mio. P&A $16.501.785 $7.499.000 $24.000.785 Channel Four Films PolyGram Filmed Entertainment (UK) / Miramax Films (US) Braveheart 1995 $72.000.000 $75.545.647 $133.454.353 $209.000.000 Icon Productions / The Ladd Company Paramount Pictures (USA) / 20th Century Fox (Int) Die üblichen Verdächtigen 1995 $6.000.000 $23.341.568 $11.107.788 $34.449.356 Bad Hat Harry Productions / Blue Parrot Spelling Films International / Gramercy Pictures / Polygram Filmed Entertainment Sieben 1995 $30.000.000 $100.125.643 $228.000.000 $328.125.643 Cecchi Gori Pictures / New Line Cinema New Line Cinema (USA) / Constantin Film (DE) Pulp Fiction 1994 $8.000.000 $107.928.762 $105.000.000 $212.928.762 Miramax Films / A Band Apart / Jersey Films Miramax Films (USA) / Scotia International (DE) Das Schweigen der Lämmer 1991 $20.000.000 $130.726.716 $145.000.000 $275.726.716 Orion Pictures / Strong Heart/Demme Production Orion Pictures Corp. (USA) / Alamonde Film (DE) / 20th Century Fox (DE - DVD) Der mit dem Wolf tanzt 1990 $19.000.000 + 7,5 Mio P&A $184.208.842 $239.991.158 $424.200.000 Tig Productions Orion Pictures Terminator 1984 $6.400.000 $38.019.031 $40.000.000 $78.019.031 Hemdale Film Corporation / Pacific Western Productions Orion Pictures Das Boot 1981 $12.000.000 $11.487.676 $73.482.661 $84.970.337 Bavaria Film / PSO International Columbia Pictures Rocky 1976 $1.000.000 $117.235.147 $107.764.853 $225.000.000 United Artists / Chartoff-Winkler Productions United Artists (USA / DE) 20 | Independentfilm Independentfilm | 21 Die Geschichte des Independentfilms Die Geschichte des Independentfilms ist in ihrem Verlauf geprägt von Aufständen und Unabhängigkeitskämpfen. Sie ist gespickt mit bedeutenden Persönlichkeiten, deren Namen heute im Allgemeinen eher nicht mit der Entwicklung des Independentfilms in Verbindung gebracht werden. Einige von ihnen waren jedoch epochale Kämpfer in diesem Feldzug. Man kann wirklich behaupten, dass sich die Geschichte des Independentfilms nahezu selbst als filmreifes Abenteuer erweist. Also einsteigen in die »Wayback-Machine« und schnallen Sie sich an. Es wird turbulent. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts lag das Hauptzentrum der Filmwirtschaft im Osten Nordamerikas und konzentrierte sich vorwiegend auf die Bundesstaaten New York und New Jersey. Im Jahre 1908 gründeten elf der derzeit führenden Unternehmen der Filmindustrie die »Motion Picture Patent Company« (MPPC). Dieser Zusammenschluss war auch als Edison-Trust bekannt9, da Thomas Alva Edison, amerikanischer Erfinder und erfolgreicher Unternehmer aus New Jersey, einer der tragenden Mitbegründer war. Schon 20 Jahre vorher meldete er ein Patent für die Idee an, ein Gerät zu entwickeln, das »dieselben Dienste für das Auge leisten solle, wie der Phonograph für das Ohr«.10 Zusammen mit einem seiner Ingenieure baute er schließlich das »Kinetoskop«. Das war ein Holzkasten, indem eine Endlosschleife eines Filmes lief, den sich ein Zuschauer durch ein Okular ansehen konnte. Ange9 Edisons Kinetoskop, 1895 (Foto: Creative Commons - Library of Congress) 22 | Independentfilm Edison, Biograph, American Vitagraph Company, Essanay Studios, Selig Polyscope Company, Lubin, Kalem Company, Star Film Company, American Pathé Pictures, Kleine Company und Eastman Kodak vgl. http://www.filmsite.org/pre20sintro3.html, letzter Zugriff am 16.03.2013 10 Library of Congress: vgl. http://www.loc.gov/collection/edison-company-motion-pictures-and-sound-recordings/articles-and-essays/history-of-edison-motion-pictures/, letzter Zugriff am 05.03.2014 Independentfilm | 23 trieben wurde die Film-Spur mit einer Handkurbel und später mit einem Elektromotor. Dieser neuartige »Filmbetrachter« sorgte auf der Weltausstellung von 1893 in Chicago für großes Aufsehen. Edison ließ diese Boxen in öffentlichen Spielhäusern, den sogenannten »Penny Arcades« aufstellen. Durch den Münzeinwurf, also mit der Investition eines Pennys, starte der Film und entführte den Betrachter in eine bis dahin neue Welt des Entertainments. Mit seinem Freund und Geschäftspartner Ludwig Stollwerck, dem bekannten deutschen Schokoladenproduzenten, gründete Edison die »Deutsch Oesterreichische Edison Kinetoskope Compagnie«. Dieses Unternehmen brachte kurze Zeit später den ersten Kurzfilm der Welt heraus. Alles in allem wird die Rolle Edisons als Filmproduzent und Distributor oft übersehen. Dabei produzierte Edison legendäre Filme, wie »Der große Eisenbahnraub«11, den ersten Western, der je gedreht wurde und die erste Verfilmung von »Frankenstein«12, die große Diskussionen auslöste. Vielen Zuschauern war der Film zu schaurig und so fand die womöglich erste Zensur der Filmgeschichte statt. Die grundlegende Absicht hinter der MPPC, also dem Edison-Trust, lässt sich in einigen Punkten ansatzweise mit der Bestimmung der heutigen »Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte« (GEMA) vergleichen. Die MPPC hatte nämlich das Ziel, die Nutzungsrechte von Patenten ihrer Mitglieder zu schützen. 4JF wollten ihre Energien bündeln und eine ausgeprägte Machtstellung, unter anderem im Kampf gegen die aufkeimende Independent Filmindustrie und Filmpiraterie, demonstrieren. 11 »The Great Train Robbery«, 1903 »Frankenstein«, 1910 - der Film galt lange Zeit als verschollen, bis er in den 70er Jahren in der Privatkollektion eines Filmsammlers auftauchte. Inzwischen ist er Public Domain. 12 24 | Independentfilm Die Initiatoren dieses Zusammenschlusses hielten damals einen Großteil der Patente an Filmequipment und Filmmaterial, aber sie konnten nicht genug Material herstellen, um der steigenden Nachfrage der Independent Filmemacher, -verleiher und -vorführer gerecht zu werden. So beschafften, bauten und nutzten viele Independent Filmemacher, -verleiher und -vorführer einfach eigenes Equipment. Um dieser Bewegung entgegenzuwirken und weiterhin die Vormachtstellung zu halten, verhängte die MPPC strikte Auflagen zur Nutzung von Filmequipment. Zum Einen verlangte sie von jedem Kinobetreiber wöchentlich eine Lizenzgebühr in Höhe von 2 US$ als Pauschale für die generelle Erlaubnis, Filme des Distributionsarms der MPPC, der General Film Company, kaufen, bzw. mieten und vorführen zu dürfen. Die Miete für den eigentlichen Film errechnete die MPPC nach der jeweiligen Länge des Filmes. Filmproduzenten wurden mit Gebühren und Auflagen belegt und benötigten die Genehmigung der MPPC, um überhaupt einen Film mit dem »geliehenen Equipment« produzieren zu dürfen. Es wurde eine Zensur eingeführt; %ie MPPC behielt sich sogar das Recht inne, über den Inhalt der Filme mitzubestimmen. Es gab keinerlei Veröffentlichung der Namen von Schauspielern und Produzenten. Zudem limitierte die MPPC die Länge der Filme auf maximal 20 Minuten und begründete diesen Schritt mit der Annahme, dass die amerikanische Gesellschaft nur eine kurze Aufmerksamkeitsspanne für Feature-Filme habe.13 Dann blockierte sie auch noch den Filmimport aus dem Ausland und demonstrierte auch dadurch ihre Machtstellung. So ging die MPPC als 13 Klein, Christopher: The Renegade Roots of Hollywood Studios, History Channel vom 30.04.2012 http://www.history.com/news/the-renegade-roots-of-hollywood-studios, letzter Zugriff am16.03.2013 Independentfilm | 25 mächtiges Oligopol in die Filmgeschichte ein.14 Die MPPC oder der Edison-Trust, war in der Tat »darauf ausgelegt, nicht nur Independent Film-Produzenten zu eliminieren, sondern auch die 10.000 Independent Filmverleiher und -vorführer des Landes.«15 Dem stellten sich jedoch viele der damaligen »Independents« entgegen, rebellierten und starteten die Gegenoffensive. Sie nutzten eigenmächtig beschafftes Film- und Vorführequipment und setzten sich einfach über die von der MPPC verlangten Auflagen und Gebühren hinweg. Die allgemeine Begeisterung für den Film war da, und so gab es passionierte und unkonventionelle Filmvorführer, die sich Projektoren beschafften und damit Filme z.B. öffentlich Hauswände projizierten. Man nannte die Vorläufer der späteren Kinos »Nickelodeons«. Es war eine Wortschöpfung aus dem Eintrittspreis - einer 5-Cent Münze16, auch »Nickel« genannt - und dem griechischen Ausdruck für ein überdachtes Theater; »Odeion«. Die Anfänge dieser Nickelodeons gehen jedoch in gewisser Weise schon zurück bis in das Jahr 1896. In den Penny Arcades17 bot man zu dieser Zeit schon neben Spielautomaten zur Unterhaltung hin und wieder kurze Stummfilme verschiedener Genres an, die dann auf dem Klavier oder Akkordeon musikalisch untermalt wurden. Götz von Olenhausen, Irmtraud: Vorlesungsmanuskript der Heinrich-Heine-Universität - Filmgeschichte 1895-1945, SS 2005, Seite 1 www.phil-fak.uni-duesseldorf.de%2Ffileadmin%2FRedaktion%2FInstitute%2FHistorisches_Seminar%2FAbteilungVII%2Fvl-filmhist%2FVLFilmgeschichteHollywood. doc, letzter Zugriff am 16.03.2013 15 Hirschhorn, Seite 9 16 Encyclopedia Britannica: Nickelodeon http://www.britannica.com/EBchecked/topic/414336/nickelodeon, letzter Zugriff am 16.03.2013 17 The Nickelodeon‘s History, http://www.essortment.com/nickelodeons-history-21268. html, letzter Zugriff am 16.03.2013 14 26 | Independentfilm Unterbrechungen während der Vorführung, z.B. bedingt durch das Wechseln der Filmrollen, wurden durch musikalische, tänzerische oder schauspielerische Einlagen überbrückt.18 Im Mittelpunkt stand immer das Publikum, das zum Mittanzen und Mitsingen aufgefordert wurde. In der Regel übernahm ein Familienmitglied eines Nickelodeon#FTJU[FST die Aufgabe eines Entertainers. Jack L. Warner, der spätere Vorsitzende von Warner Brothers, war z.B. für die musikalische Anleitung im Nickelodeon seiner Familie zuständig19. Unter dem späteren Einfluss der MPPC stiegen die Verleihgebühr und damit auch die Eintrittspreise. Um wirtschaftlich bleiben zu können, mussten Nickelodeons aufwendiger und attraktiver werden; was das Ende der Nickelodeons und den Beginn der Filmtheater und späteren Kinos einleitete. Diese Kinos wurden mit über 1.000 Sitzplätzen bestückt20. Die Besitzer dieser großen Kinosäle warben mit Neuheiten, wie z.B. Klimaanlagen, um die Gunst des Publikums. Es wird geschätzt, dass gegen 1910 ca. 26 Millionen Amerikaner wöchentlich ein Nickelodeon besucht haben.21 Im Jahre 1909 begann dann seitens der MPPC eine regelrechte Hetzjagd gegen unlizenzierte Independents, die man als »Gesetzlose« bezeichnete und eine rasch aufkeimende Form von »Filmpiraterie«. Edison hatte EB[V Detektive engagiert, die an Filmsets das nichtlizensierte Filmequipment aufspüren sollten. Diese Kampagne richtete sich auch gegen Filmvorführer, die nichtlizensiertes Equipment verwendeten. So initiierte man ein rigoroses Vorgehen gegen die gesamte »illegale« Filmindustrie der damaligen Independents. 18 Grieveson, Lee: The Silent Cinema Reader, New York, 2004, S. 82, Routledge http://particle.physics.ucdavis.edu/bios/Warner.html, University of California, 13.03.2013 20 Grieveson, Lee: The Silent Cinema Reader, New York, 2004, S. 80 f., Routledge 21 Bowser, Eileen: The Transformation of Cinema, 1907-1915, Berkeley, 1991, S. 4 ff., University of California Press 19 Independentfilm | 27 Eigens dafür angeheuerte Schlägertrupps demolierten nichtlizensiertes Produktions- und Vorführequipment und zwangen Zuschauer unsanft, die Kinosäle zu verlassen.22 Viele der betroffenen Independents schlossen sich nun um Carl Laemmle, einem Nickelodeon-Besitzer, Filmvorführer und Filmverleiher, zusammen. Er galt als Abtrünniger seiner Branche und gründete die Independent Moving Pictures Company (IMP), aus der später die Universal Studios hervorgingen. Wichtige Personen um Carl Laemmle im Kampf gegen die MPPC waren z.B. William Fox, späterer Gründer der Fox Film Corporation und Adolph Zukor, späterer Gründer von Famous Players, dem Vorläufer von Paramount. Filme, die Laemmle damals an Nickelodeons verlieh, kosteten die Filmvorführer nur einen Bruchteil von dem, was der Edison Trust ihnen abverlangte. In einer Werbung, die er in einem Magazin für Theaterbesitzer platzierte, schrieb er voll Ironie den Slogan: »Hast du diese Woche schon zwei Dollar für die Lizenz gezahlt, um deine eigene Pfeife zu rauchen?«23 Carl Laemmle war ein Visionär des Filmgeschäfts und schuf schon damals den Star-Kult, in einer Form, die noch heute existiert. Damals war Schauspielerei vor einer Filmkamera nicht als Kunst angesehen und große Bühnendarsteller wollten mit diesem Medium nicht in Verbindung gebracht werden. Allerdings waren die Zuschauer sehr daran interessiert, die Namen der Personen zu erfahren, die sie auf der Leinwand bewunderten. Laemmle erkannte dieses Verlangen und revolutionierte das Showbusiness, indem er das erste »Filmsternchen« aufsteigen ließ. Die Kanadierin Florence Lawrence war eine 22 Chapman, Jane: Comparative Media History: An Introduction: 1789 to the Present, 2005, S. 132, Polity 23 vgl. http://www.history.com/news/the-renegade-roots-of-hollywood-studios »Have you paid your $2.00 for a license to smoke your own pipe this week?« 28 | Independentfilm Stummfilm-Darstellerin der Biograph-Company. Das Publikum liebte die 20-jährige Brünette und gab ihr den Kosenamen »Biograph-Girl«. Laemmle warb sie geschickt von Biograph ab, indem er ihr das Versprechen gab, ihren Namen bekannt zu machen. Er war sich schon damals über den Wert von guter Publicity im Klaren und darüber, wie effektiv Gerüchte um Stars genutzt werden können, um die Begeisterung der Zuschauer zu wecken und zu halten. Laemmle legte EBNJUpraktisch den Grundstein für den heutigen Star-Kult. #FJTQJFMTXFJTF veröffentlichte er in Zeitungen und Magazinen das für damalige Zeiten ungeheuer hohe Gehalt, das er seinem Starlet zahlte. Sein nächster Coup war an Dreistigkeit kaum zu übertreffen. Er erfand das Gerücht, Florence Lawrence sei bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ganz Amerika verfolgte mit Entsetzen jede Meldung dazu in der Presse. Nur einen Tag später tauchte die junge Miss Lawrence dann unversehrt wieder auf und die Welt war in Ordnung. Laemmle schob dieses Gerücht geschickt seinen Konkurrenten in die Schuhe. Ganz nebenbei teilte er der Presse noch mit, dass Florence in seinem nächsten Film, »The Broken Oat«, mitspielen würde. Geschickt eingefädelt. Florence Lawrence soll bei einem Auftritt in Saint Louis im Jahr 1910 sogar eine größere Menschenmenge angezogen haben, als der Besuch des damaligen US-Präsidenten William Howard Taft, der eine Woche zuvor dort war. Durch den Druck, den die MPPC auf die Filmindustrie ausgeübt hatte, suchte man 1910/ 11 in einer Art Flucht eine möglichst große räumliche Entfernung zum Edison-Trust. So verlagerte sich das Filmgeschäft der Indies von der Ostküste - von New York und New Jersey - zur Westküste; an einen kleinen Ort namens Hollywood. Carl Laemmle schloss sich in Los Angeles mit weiteren Independent Studios zusammen und gründete 1912 die Universal Studios. „Das erste Major- Independentfilm | 29 Studio war im Geschäft.“24 Trotz Laemmles ungeheuren Ideenreichtums in Bezug auf ausgefallene Marketingstrategien, ging seine Rechnung nicht ganz auf. Durch das von ihm hervorgerufene Starsystem, stiegen die Forderungen der Schauspieler rapide an. So verlor Laemmle langsam seinen Spaß an der Filmproduktion und wollte schon mehrfach aufgeben. Er strickte die Universal Studios in dieser Zeit zu einem Studio um, das fast ausschließlich Horrorfilme produzierte. Eine Mumie oder ein zum Monster verkleideter Schauspieler war einfacher zu ersetzen, sollten die Ansprüche zu hoch werden. 1915 hatten die Independent-Filmemacher um Carl Laemmle den eigentlichen Durchbruch im Kampf gegen die MPPC. Der Edison-Trust hatte sich soweit vor gewagt, dass er vor dem Supreme Court als Monopol für illegal erklärt und aufgehoben wurde.25 Die Independents gewannen den Kampf in einer legendären Weise, wie David gegen Goliath. Diejenigen, die einmal seitens der MPPC als geächtet galten, stehen teils bis heute noch an der Spitze der Filmindustrie. Doch damit blieb der Weg der Independents noch nicht wirklich unabhängig. Die in Hollywood geformten Studios der einstigen Independents wuchsen rasant und begannen nun selbst, großen Druck auf die nachwachsenden Independent Filmemacher sowie Schauspieler und Regisseure auszuüben. Früher wurden Schauspieler nicht von Agenten vertreten, die sich um passende Arrangements kümmerten. Stattdessen wurden sie quasi wie das »Eigentum« der Unterzeichnung des Gründungsvertrags von United Artists, 1919 D.W. Griffith, Mary Pickford, Charlie Chaplin (sitzend) und Douglas Fairbanks mit Anwalt und Notar (Foto: Creative Commons - Library of Congress) jeweiligen Filmgesellschaft angesehen, für die sie spielten. Eine Rolle in einem Film einer anderen Filmgesellschaft anzunehmen, wurde ihnen untersagt.26 Aufgrund dieser erneuten »Unterdrückung« seitens der jetzigen großen Studios, wie Paramount und Universal, wurde 1919 von Charles Chaplin, D. W. Griffith und weiteren Schauspielern die unabhängige Produktionsgesellschaft »United Artists« gegründet. Zu dieser Zeit waren »Mary Pickford, Douglas Fairbanks, Charlie Chaplin und D. W. Griffith Filmgrößen, wie Julia 24 Hirschhorn 1983, Seite 11 Gil, Alexandra: Breaking the Studios: Antitrust and the Motion Picture Industry, New York, 2008, S. 94 f., NYU Journal of Law & Liberty 25 30 | Independentfilm 26 vgl. http://www.hsse.nie.edu.sg/staff/blackburn/studiosystem.htm, National Institute of Education, Singapore, letzter Zugriff am 16.03.2013 Independentfilm | 31 Roberts, Will Smith, Brad Pitt und Tom Hanks von heute.«27 Als der Leiter von Metro Pictures, Richard A. Rowland, von der Gründung von United Artists hörte, soll er die Aussage gemacht haben: »Die Insassen übernehmen die Irrenanstalt«.28 Auch von Seiten der Kinobesitzer erwuchs jetzt erneuter Widerstand. Die großen Filmstudios hatten ein Verfahren eingeführt, das Independent-Kinobetreiber und -filmvorführer dazu verpflichtete, im sogenannten »Block Booking« Filmpakete zu kaufen. Diese Pakete beinhalteten gewöhnlich alle zwei Wochen einen Blockbuster und dazu weitere Filme, die als weniger erfolgsversprechend galten. Die Filme konnten vor dem Kauf vom Kinobesitzer nicht eingesehen werden. Er hatte keinerlei Einfluss auf die Filmauswahl in diesen Paketen.29 In den 20er Jahren profitierten Paramount und besonders Warner Brothers vom Block Booking. Dieses Verfahren spitzte sich zu, als Adolph Zukor, der Leiter von Paramount Pictures, Theaterbesitzer dazu zwang, jährlich einen Block von 104 Filmen zu kaufen und davon jeweils zwei Filme pro Woche zu zeigen.30 Daraus entwickelten sich in den Kinos die damals üblichen »Double Features«. Als Motto galt: Schau zwei Filme zum Preis von einem. Der Kinobesucher konnte mit dem Kauf einer einzigen Eintrittskarte ein Double Feature, zusammengestellt aus entweder einem A-Film und einem Low-Budget B-Film oder 27 vgl. http://artsedge.kennedy-center.org/arts-days/february/05.aspx, letzter Zugriff am 13.03.2013 28 Robinson, David: Carlie Chaplin: Comic Genius, 1996, S. 57 f., Harry Abrams 29 Koszarski, Richard: An Evening‘s Entertainment: The Age of the Silent Feature Picture, 1915-1928 (History of the American Cinema), 1994, S. 71 f. 30 Torre 2009, S. 503 32 | Independentfilm Nickelodeon in Toronto, in den frühen 20er Jahren (Foto: Creative Commons - Library of Congress) aus zwei B-Filmen, anschauen.31 Mitunter wurde beim Programmwechsel im Kino auch der auslaufende und der neu anlaufende A-Film als Double Feature angeboten. Der Vorteil, der sich daraus für die großen Filmstudios errechnete, war offensichtlich. Sie konnten davon ausgehen, dass selbst die schlechteste Filmproduktion einen Abnehmer fand. Das finanzielle Risiko der Filmstudios im Bereich der Filmproduktionen minimierte sich bis zum Nullpunkt und die einstigen Independents und Revolutionäre gegen die Monopolstellung der MPPC, hatten sich nun mit dem Block Booking ihren Erfolg selbst auf einem Monopol aufgebaut. 1948 wurde Block Booking vom US Supreme Court für 31 Schatz 1998, S. 39 Independentfilm | 33 illegal erklärt und rechtlich untersagt.32 Alle Major Studios nutzten seinerzeit das Block Booking als lukrative Vermarktungsstrategie, bis auf einen Außenseiter, die »United Artists« - eben diese unabhängige Produktionsgesellschaft, auf die Schauspieler wie Charles Chaplin und D. W. Griffith Einfluss nahmen. Nach dem Verbot von Block Booking sahen sich die großen Filmstudios veranlasst, die Produktionskosten zu senken, um im nun aufkeimenden Wettbewerb konkurrenzfähig zu sein. Hierzu entließen sie einige ihrer Schauspieler, Produzenten und Regisseure. Diese wiederum suchten sich Jobs im damals immer populärer werdenden Fernsehen. Ein taktisch kluger Zug, denn die Fernsehzuschauer kannten viele Schauspieler bereits von der Kinoleinwand. Gerne folgten sie ihren »Stars« und wechselten immer häufiger zum Medium Fernsehen. 1951 verzeichneten fast alle Städte, die über eine Fernsehstation verfügten, einen Anstieg an Insolvenzen bei Kinobetreibern. Das Popularitätswachstum des Fernsehens in den 1950ern kann nach Aussage des Medienhistorikers Erik Barnouw der Entscheidung des Supreme Courts gegen das Block Booking zugeschrieben werden.33 So, wie die ersten Independents, die vor dem Edison-Trust flohen und das »Alte Hollywood« formten, flohen nun die jungen Filmschulabsolventen vor dem großen Studiosystem, um möglichst unabhängig ihren eigenen Stil zu verwirklichen. Doch auch sie ersetzten später mitunter die Tyrannen, die sie in deren Stellung einst so sehr verachtet hatten. 32 Barnouw, Erik: Tube of plenty: the evolution of American Television, New York, 1990, S. 303 ff., Oxford University Press 33 Barnouw, Erik: Tube of plenty: the evolution of American Television, New York, 1990, S. 303 ff., Oxford University Press 34 | Independentfilm Im Jahr 1969 erschien dann eine andere interessante Indepentent-Produktionsgesellschaft auf der Bildfläche. Zwei derzeit unbekannte Regisseure, Francis Ford Coppola und George Lucas, strebten nach der größtmöglichen Unabhängigkeit im Filmbusiness und gründeten »American Zoetrope«.34 Coppola schrieb Independent-Filmgeschichte mit Filmen wie beispielsweise »Der Pate« und »Apocalypse Now«. George Lucas ging unter anderem mit der »Indiana Jones Trilogie« und »Star Wars« in die Geschichte ein. Seine spätere Firmengruppe, »Lucas-Film«, wurde im Oktober 2012 für über vier Milliarden US-Dollar an die Walt Disney Company verkauft.35 Zwei der wichtigsten Meilensteine für den Erfolg von Independentfilmen in der neuzeitlichen Geschichte wurden zwanzig Jahre nach Coppola und Lucas gelegt; mit der Produktion »Sex, Lügen und Video« von Regisseur Steven Soderbergh und der Gründung des Independent-Filmstudios »Miramax« von Bob und Harvey Weinstein. Durch sie erhielt das Bild der »Unabhängigen« im Jahre 1989 eine erneute Prägung. 1992 brachte Miramax mit Quentin Tarantino als Regisseur den Film »Reservoir Dogs« heraus und machte damit den Independent Film uneingeschränkt wieder bei der breiten Masse populär. Das war der Anstoß für viele Major Studios, sich ebenfalls im Genre »Independentfilm« einen Marktanteil zu sichern. So gründete »Sony Pictures« 1992 ihren Ableger »Sony Pictures Classics« als erstes Pseudo-Indipendent-Filmstudio. Es war ein Studio, das sich darauf spezialisierte, den Stil des Indie-Genres zu emulieren aber trotz34 Patterson, John: American Zoetrope: In a galaxy not from Hollywood ..., 17.11.2011, http://www.guardian.co.uk/film/2011/nov/17/zoetrope-coppola-lucas-star-wars, letzter Zugriff am 16.03.2013 35 wal/dpa/Reuters, Spiegel Online: Star Wars: Disney kauft Lucasfilm von George Lucas für 4 Milliarden, 30.10.2012, http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/starwars-disney-kauft-lucasfilm-von-george-lucas-fuer-4-milliarden-a-864378.html, letzter Zugriff am 16.03.2013 Independentfilm | 35 dem den Rückhalt des großen Mutterkonzerns hatte. Mit ähnlichem Blickwinkel kaufte auch die Walt Disney Company 1994 Miramax auf. Schon kurze Zeit später, noch in 1994, brachte Miramax »Pulp Fiction« von Quentin Tarantino heraus, – ein großer Erfolg, der als Pseudo-Indie unter der Walt Disney Company lief. Die heutigen »Inhouse-Studios« oder »Pseudo-Indie-Studios« tragen dazu bei, dass gegenwärtig die Grenze zwischen Independent- und Mainstream-Filmen immer mehr verwischt. So wurde z.B. auch das Independent Filmstudio »United Artists« von »Metro-Goldwyn-Mayer« (MGM) aufgekauft und MGM gehört wiederum zu »Sony«.36 Die bekannten Indie Studios »New Line Cinema« und »Castle Rock Entertainment« gehören heute zum Major Studio »Warner Bros. Entertainment« und »Sony Pictures Entertainment« unterhält heute zu »Sony Pictures Classics« auch »Columbia Pictures« und »TriStar Pictures«. Die »Walt Disney Company« hat nicht nur »Lucas Film« gekauft, sondern unterhält mittlerweile auch »Touchstone Pictures«, die »Marvel Studios« und »PIXAR«. Zu »Universal Pictures« zählen derzeit z.B. auch »Working Title Films«, »Illumination Entertainment« und »Focus Features«. Auch »20th Century Fox« ist dem Beispiel der Konkurrenten gefolgt und hat »Fox Searchlight Pictures«, die »Blue Sky Studios« und »Paramount Pictures« sowie »Paramount Vantage«, »MTV Films« und »Nickelodeon« unter ihre Leitung gebracht. In gewisser Weise erinnern die Anfänge und große Phasen der Independent Filmgeschichte in ihrer Strategie tatsächlich an einen Unabhängigkeitskrieg. Zunächst erbitterter Kampf, dann »politische Hochzeiten«, um relativen Frieden zu bringen und letztendlich das »Vermischen der Völker«. Aus diesem Kampf für die Unabhängigkeit sind die »Big Six« hervorgegangen. Filme, die zwar mit den Geldern der »Big Six« und dem kostenintensiven Einsatz von Hollywood-Stars produziert werden, aber das Erscheinungsbild eines Independent Films haben, prägen heute das Genre »Indiewood«. Zwei Mitarbeiter von Metro-Goldwyn-Mayer bei den Aufnahmen des MGM-Markenzeichens, Leo dem Löwen, 1928 (Foto: Creative Commons - Library of Congress) Auch die deutsche Geschichte des Independentfilms ist grundsätzlich von Hollywood geprägt. In den 20er Jahren blühte das Filmgeschäft in Deutschland regelrecht auf. 36 vgl. Spiegel Online vom 22.04.2004, http://www.spiegel.de/wirtschaft/milliardendeal-sony-greift-nach-filmstudio-mgm-a-296444.html, letzter Zugriff am 16.03.2013 36 | Independentfilm Independentfilm | 37 1919 gab es hierzulande etwa 3.000 Kinos und Lichtspielhäuser, die von 350 Millionen Besuchern profitieren konnten. Der deutsche Film genoss Weltruhm. Auch deutsche Schauspielikonen, wie Henny Porten und Asta Nielsen, trugen ihren Teil dazu bei. 1917 wurde die »Universum Film AG« in Potsdam gegründet. Die »UFA» sollte als erster deutscher Global Player an die Erfolge der großen amerikanischen Studios anknüpfen. Gegründet wurde sie von einem Zusammenschluss aus der Leitung der Deutschen Bank mit verdeckter finanzieller Unterstützung des Deutschen Reiches. Dieser Boom endete jedoch jäh durch die Auswirkungen des 2. Weltkriegs. Die vielen, politisch geprägten Propagandafilme, die während dieser Zeit entstanden, waren ganz offensichtlich nicht als »unabhängig« zu bezeichnen. Die deutsche Filmwirtschaft lag schließlich 1937 komplett unter staatlicher Kontrolle. 1942 wurde die Universum Film AG verstaatlicht und durch die Nationalsozialisten mit allen Konkurrenten, wie z.B. »Tobis« und »Bavaria Film«, zusammengelegt. So entstand ein staatliches Filmmonopol: »Ufa-Film«. Nach Ende des Krieges beschlagnahmten die alliierten Besatzungsmächte die Ressourcen von Ufa-Film. Dies hatte drei Hauptgründe: Die Dekartellisierung der deutschen Wirtschaft: In diesem Zuge vergaben die Alliierten Produktionslizenzen an mittelständige und kleine Produktionsfirmen, die ihrer Kontrolle unterlagen. Um eine vertikale Konzentration zu unterbinden, also einen Zusammenschluss von Unternehmen mit vor-, bzw. nachgelagerten Produktionsstufen, wie sie z.B. im amerikanischen Studio-System entstanden war, wurden Produktion, Verleih und Filmtheater per Gesetz voneinander getrennt. Die Förderung der amerikanischen Filmwirtschaft: Durch den Vormarsch des Fernsehens geriet die amerikanische Filmbranche in ein finanzielles Loch. Diese Verluste sollten unter anderem durch Einnahmen aus dem Exportgeschäft aufgefangen werden. Die amerikanischen Studios spekulierten auf den Einbruch des deutschen EntertainmentSektors, aufgrund der Auswirkungen des 2. Weltkriegs. Interessanterweise ging diese Rechnung zunächst nicht auf. Die deutsche Bevölkerung nahm amerikanisches Filmgut nur zögerlich an. Obwohl doppelt so viele amerikanische Filme im Verleih waren, als deutsche, lag ihr Marktanteil nur bei 30%. Im Gegensatz dazu hatten die deutschen Produktionen, die hauptsächlich aus auf Grund Materialmangels eher minimalistisch produzierten »Trümmerfilmen« und Heimatfilmen bestanden, einen Marktanteil von 40%. Diese Verteilung änderte sich jedoch in den Folgejahren.37 Die Umerziehung und Neuorientierung der Bevölkerung im Westen des geteilten Deutschlands: Eine zentrale Aufgabe in der Agenda der amerikanischen Besatzungsmacht war es, eine absolute Unabhängigkeit von Medien und Staat zu schaffen, um eine freie Meinungsbildung zu fördern. »Es ist die grundlegende Politik der US-Militärregierung, daß der entscheidende Einfluß auf die Mittel der öffentlichen Meinungsbildung, wie Presse und Rundfunk, verteilt sein soll und von jeder Regierungseinwirkung freigehalten werden muß.«38 Die Alliierten, unter Leitung der amerikanischen Besatzungsmacht, sahen die Massenmedien als Instrument, ihren Drei-Stufen-Plan zur Umerziehung und Neuorientierung der Deutschen umzusetzen. Dabei ging es um das Verbot deutscher Medien, Verbreitung alliierter Medien und letztendlich den Übergang von alliierten Medien zu deutschen Medien unter alliierter Kontrolle. Dazu beriefen sie sich 37 Schneider: Film, Fernsehen & Co., S. 35, 42, 44 Zitat: Militärgouverneur General Lucius D. Clay 38 38 | Independentfilm Independentfilm | 39 auf das Gesetz Nr. 191, indem zunächst alle deutschen Filmproduktionen untersagt wurden. Filme durften ausschließlich mit einer Lizenz gedreht werden, die der amerikanischen Aufsicht unterlag. Das Gesetz untersagte das »... Vertreiben, Verkaufen und gewerbliche Verleihen von [...], Lichtspielen jeder Art; [...]; auch die Tätigkeit in oder den Betrieb von Theatern, Lichtspieltheatern, Opernhäusern, Filmateliers, Filmlaboratorien, Filmverleihanstalten, Jahrmärkten, Zirkusunternehmungen und Karnevalsveranstaltungen jeder Art.«39 Die durch die Zersplitterung der Filmwirtschaft im Nachkriegs-Deutschland entstandenen kleinen Studios waren meist nicht überlebensfähig. So setzten sich letztendlich doch wieder die großen Filmstudios, wie die UFA und Bavaria Film durch. Hieraus entstand eine wichtige deutsche Independentfilm-Bewegung. dem Film »Die Blechtrommel« von Volker Schlöndorff, verlor diese Bewegung jedoch wieder an Energie und kam Anfang der 80er Jahre komplett zum Erliegen. Heute, im wiedervereinten Deutschland, arbeiten nur noch wenige Filmemacher wirklich independent. Dank der digitalen Revolution und dem Zeitalter des Internets, vollzieht sich gerade ein Wandel. Da es für Filmemacher immer einfacher wird, ihr Projekt in eigener Sache und unabhängig zu realisieren, befindet sich der Independentfilm wieder in einem Aufschwung. Das Equipment ist erschwinglicher geworden und nahezu für jeden zugänglich. Die neuen Medien bieten einen überaus einflussreichen Kanal zwischen dem Produzenten und dem Zuschauer an. Im Endeffekt war es im Verlauf der Geschichte des Independentfilms noch nie so einfach, eine direkte Verbindung zum Zuschauer schaffen. Beim den 8. Westdeutschen Kurzfilmtagen von 1962 unterschrieben 26 deutsche Filmemacher das »Oberhausener Manifest« unter dem rotzfrechen Motto »Papas Kino ist tot!«. Ein Manifest, das eine gesellschaftspolitische Trendwende in der deutschen Filmkultur besiegeln wollte, um endlich einen neuen deutschen Spielfilm zu ermöglichen. Angestachelt durch dieses Manifest entstand die Bewegung »Neuer Deutscher Film«. Filmemacher wie Rainer Werner Fassbinder, Wim Wenders, Volker Schlöndorff und Alexander Kluge, wollten sich gegen das konventionelle deutsche Kino mit seinem klischeebehafteten, künstlerisch verstaubten Image auflehnen und suchten die ultimative Unabhängigkeit von kommerziell ausgerichteten großen Studios. Nach einigen bedeutenden Erfolgen, wie mit 39 Gesetz Nr. 191 - »Handbook for the Control of German Information Services« der »Psychological Warware Division« der anglo-amerikanischen Besatzer 40 | Independentfilm Independentfilm | 41 Die Auswirkungen der Digitalen Revolution Die Digitale Revolution kennzeichnet den Beginn des Informationszeitalters und wird bereits als dritte Industrielle Revolution bezeichnet.40 Entscheidende Faktoren auf dem Weg zur Digitalen Revolution sind die Erfindung und stetige Weiterentwicklung des Mikrochips, die Entfaltung des Internets als weltweites Kommunikationsnetzwerk und die weiterhin wachsende Verbreitung von Heimcomputern. Es etablierte und festigte sich ein Weg, digitale Informationen weltweit von einem Medium zum anderen zu transferieren. Dieses globale Netzwerk wurde 1992 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und weitete sich aus. Im Jahr 2005 waren bereits eine Milliarde Menschen im Internet unterwegs41. Schon drei Jahre zuvor, in 2002, konnten zum ersten Mal mehr Informationen digital als analog gespeichert werden.42 Diese Entwicklung wird oft als »Geburtsstunde« des Digitalen Zeitalters angeführt. Durch die Möglichkeit, verlustfrei Kopien von digitalen Medien zu erstellen und sie einfach und schnell über neue Kanäle zu verbreiten, wie z.B. das Internet, hat auch die Verbreitung von Raubkopien eine neue Dimension angenommen und damit ein kontroverses Thema aufgebracht. Internet wird heute oft als »rechtsfreier Raum« angesehen und es ist schwer, ihn in dieser Welt, wo geographische Grenzen und Entfernungen an Bedeutung verloren haben, effektiv zu regeln. Für Independent Filmemacher birgt die Digitale Revolution völlig neue und weitreichende Möglichkeiten. Durch sinkende Technologiekosten ist es im Gegensatz zu früher möglich, mit einem weitaus geringerem Budget qualitativ hochwertige Filme zu erstellen und sie über das Internet zu verbreiten. Das Internet hat sich im Laufe der Zeit zum wichtigsten Informationsund Kommunikationskanal ausgeweitet und ersetzt zusehends klassische Informationsmedien, wie Zeitung, Telefon und Fernsehen. Es ist zu einem hocheffektiven Netzwerk zur Distribution von Medien geworden. Zurückführen lässt sich dieser Wandel auf beständig steigende Transfergeschwindigkeiten, sinkende Verbreitungskosten und die wachsende Informationsvielfalt. 40 Balkhausen, Dieter: Die dritte industrielle Revolution. Wie die Mikroelektronik unser Leben verändert, 1995, S. 7 ff., Goldmann Wilhelm GmbH 41 Nielsen, Jakob: One Billion Internet Users, 19.12.2005, Nielsen Norman Group http://www.nngroup.com/articles/one-billion-internet-users/ 42 Hilbert, Martin / López, Priscila: The World‘s Technological Capacity to Store, Communicate, and Compute Information, 1. April 2011, S. 60 ff., Science Vol. 332 no. 6025 42 | Independentfilm Independentfilm | 43