Menschenrechte verstehen

Transcription

Menschenrechte verstehen
MENSCHENRECHTE
VERSTEHEN
HANDBUCH ZUR MENSCHENRECHTSBILDUNG
Menschenrechte
des Kindes
Religionsfreiheit
Menschenrechte
der Frau
Freiheit der
Meinungsäußerung
Verbot der
Folter
Demokratie
Freiheit
von Armut
Menschenrechte
in bewaffneten
Konflikten
Faires Verfahren
Medienfreiheit
Menschliche
Sicherheit
Entwicklung
Recht auf
Bildung
Menschenwürde
NichtDiskriminierung
Recht auf
Gesundheit
Arbeit
Rechtsstaatlichkeit
HUMAN
SECURI Y
Network
GRAZ AUSTRIA 2003
MENSCHENRECHTE
VERSTEHEN
HANDBUCH ZUR MENSCHENRECHTSBILDUNG
Herausgegeben von WOLFGANG BENEDEK
Europäisches Trainings- und Forschungszentrum
für Menschenrechte und Demokratie (ETC)
Gedruckt mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und
Kultur (BMUKK) und des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten
4
Ein Beitrag zum Netzwerk Menschliche Sicherheit auf Initiative des Bundesministeriums
für europäische und internationale Angelegenheiten (BMeiA)
Bibliografische Information der Deutschen
Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese
Publikation in der Deutschen
Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten
sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten.
Veröffentlichung in Deutschland
ISBN 978-3-8305-1608-8
BWV Berliner Wissenschafts-Verlag
Axel-Springer-Straße 54b
D-10117 Berlin
Tel.: +49 30 84 17 70-0
Fax: + 49 30 84 17 70-21
Veröffentlichung in Österreich
ISBN 978-3-7083-0582-0
Neuer Wissenschaftlicher Verlag GmbH Nfg KG
Argentinierstraße 42/6, A-1040 Wien
Tel.: +43 1 535 61 03-24, Fax: +43 1 535 61 03-25
E-Mail: office@nwv.at
Geidorfgürtel 20, A-8010 Graz
Internet: http://www.nwv.at
© NWV Neuer Wissenschaftlicher Verlag
Wien - Graz 2009
Impressum
Veröffentlicht mit finanzieller
Unterstützung des österreichischen
Bundesministeriums für Unterricht,
Kunst und Kultur.
Herausgeber
Wolfgang Benedek
© 2009, Europäisches Trainings- und
Forschungszentrum für Menschenrechte
und Demokratie (ETC), Graz
Layout
Werberaum.at
Druck
Széchenyi Nyomda Kft., H-9081 Gyorújbarát
5
VORWORT
Menschenrechtsbildung ist ein etablierter
Schwer­punkt der österreichischen Außenpolitik, der mir besonders am Herzen liegt. Denn
für das Menschenleben in Vorhersehbarkeit
und Sicherheit – unser oberstes Ziel – bedarf
es des garantierten Menschenrechtsschutzes
durch die staatlichen Autoritäten. Und es bedarf des Bewusstseins – des Selbstbewusstseins – des Einzelnen über seine Rechte.
Aufgabe der Menschenrechtsbildung ist es, den
Menschen ihre Rechte und Grundfreiheiten zu
erklären und das Bewusstsein der staatlichen
Autoritäten über die Bedeutung und Verpflichtung zur Achtung der Menschenrechte – dieses
Fundaments der Menschlichen Sicherheit – zu
schärfen. Durch gezielte Maßnahmen sollen
die Menschen ihre eigenen Rechte besser erkennen und in die Lage versetzt werden, aktiv
für die eigenen wie auch für die Rechte von
Mitmenschen einzutreten.
Kernanliegen des Konzepts der Menschlichen
Sicherheit ist es, jedem Menschen ein Leben in
Würde, frei von Angst und Not zu ermöglichen.
Der konkrete Auftrag, dem sich alle GestalterInnen internationaler und nationaler Politik verpflichtet fühlen sollten, ist es, Menschen vor
Verletzungen ihrer Rechte und Grundfreiheiten
zu schützen und alle Voraussetzungen dafür
zu schaffen, dass Unterdrückung, Willkür und
Ausbeutung keine Chance haben.
Aus dieser Ambition heraus wurde das Europäische Trainings- und Forschungszentrum
für Menschenrechte und Demokratie, das ETC
Graz, im Rahmen des österreichischen Vorsitzes des internationalen „Netzwerkes für
Menschliche Sicherheit“ 2003 vom Bundesministerium für europäische und internationale
Angelegenheiten beauftragt, das Handbuch
„Menschenrechte verstehen“ zu erarbeiten.
Dieses Menschenrechtshandbuch soll als Leit­
faden für konkrete Menschenrechtsarbeit
in Österreich und in aller Welt dienen. Polizistlnnen, RichterInnen, Militärangehörige,
VerwaltungsbeamtInnen sowie Bildungsverantwortliche und LehrerInnen, aber auch SozialarbeiterInnen und MitarbeiterInnen von
Nichtregierungsorganisationen müssen sich
ihrer Verantwortung bewusst sein und für die
Bedeutung der Menschenrechte sensibilisiert
werden. Dabei kommt dem Einsatz gegen besonders gravierende Formen von Menschenrechtsverletzungen, wie Gewalt gegen Frauen
und Kinder, besondere Bedeutung zu. Diskriminierung oder andere Formen der Missachtung der menschlichen Würde dürfen in
unserer Gesellschaft keinen Platz haben.
Menschenrechtsbildung ist eine integrale
Aufgabe der Friedensarbeit. Sie ist essentiell
für das Verstehen und die Förderung des Verständnisses für das Andere, für das Aufarbeiten von vermeintlichen Gegensätzen und das
Aufzeigen des Gemeinsamen, um Brücken
und schließlich belastbare Beziehungsgeflechte zwischen Menschen und Gemeinschaften
zu bilden.
Ich freue mich über die zunehmende internationale Verbreitung dieses Handbuchs, auch
anhand unserer Zusammenarbeit mit internationalen und regionalen Organisationen. In
meinen Kontakten mit KollegInnen anderer
Staaten spreche ich Fragen der Menschenrechte initiativ an und biete eine Zusammenarbeit
bei der Stärkung der Menschenrechte unter
Benutzung des Handbuchs „Menschenrechte
verstehen“ an. Dieses liegt in über einem Dutzend Sprachfassungen auf und kommt in zahlreichen Ländern und Regionen besonders in
„Train-the-Trainers-Workshops“ zum Einsatz.
Das Handbuch hat bereits in einer Reihe von
Staaten einen wichtigen Beitrag zur stärkeren
6
Verankerung der Menschenrechtsidee geleistet. Von BenutzerInnen aus aller Welt haben
wir positive Rückmeldungen bekommen. Der
Bericht der „Allianz der Zivilisationen“ aus
dem Jahr 2006 hebt das Handbuch als konkrete und erfolgreiche Initiative zur Förderung
des interkulturellen Dialogs hervor und empfiehlt es ausdrücklich.
Die zweite Auflage baut auf den bisherigen
Erfahrungen beim Einsatz des Handbuchs
auf und stellt ein authentisches und praktisches Trainingswerkzeug für Menschenrechte
dar. Ich begrüße, dass diese zweite Auflage
nunmehr auch in deutscher Sprache vorliegt
und bin überzeugt, dass das Handbuch für
Menschenrechtsbildung zur erfolgreichen
Bewältigung der vor uns liegenden Herausforderungen im Bereich der Menschenrechte
beitragen kann. Ich danke dem Europäischen
Trainings- und Forschungszentrums für Menschenrechte und Demokratie für sein Engagement im Dienste dieser wichtigen Publikation
und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit bei der Verbreitung und Nutzung des
Handbuchs.
Dr. Ursula Plassnik
Bundesministerin für europäische und internationale Angelegenheiten
VORWORT
Menschenrechte sind weltweit ständig ein
Thema und werden es auch bleiben, weil
sie immer wieder gegen Widerstände durchgesetzt werden müssen. Hier mitreden und
auch engagiert mitwirken zu können, interessiert viele junge Menschen. Die Schule
bietet jedem und jeder die Chance, nicht nur
das notwendige Wissen über Menschenrechte, sondern auch die Fähigkeit zu erwerben,
sich aktiv für Menschenrechte einzusetzen –
im Interesse anderer, die Hilfe brauchen, wie
auch im eigenen Interesse.
Das österreichische Schulwesen ermöglicht
Menschenrechtsbildung in vielfältiger Form:
Über das generell geltende Unterrichtsprinzip Politische Bildung, im gleichnamigen
Pflichtgegenstand oder im Pflichtgegenstand
Geschichte und Sozialkunde. Diese kontinuierliche Bildungsarbeit wird durch spezielle
Aktionen ergänzt und aufgelockert, wie bei-
spielsweise durch die jährlichen Aktionstage
Politische Bildung und die Vergabe eines Menschenrechtspreises für Schulen. Hinzu kommen
noch zahlreiche großangelegte internationale
Projekte und Programme, wie z.B. das von den
Vereinten Nationen getragene Weltprogramm
für Menschenrechtsbildung, welche die Universalität und weltumspannende Bedeutung
der Menschenrechte deutlich machen und die
Neugier wecken, mehr zu erfahren.
Angesichts des großen Umfangs der Menschenrechtsthematik und der vielen Zugänge
dazu spielt die Auswahl eines geeigneten didaktischen Konzepts und der richtigen Materialien eine wichtige Rolle. In Österreich haben
wir auf diesem Gebiet durchaus schon etliches vorzuweisen, das vorliegende Handbuch
„Menschenrechte verstehen“, das nunmehr in
einer aktualisierten deutschen Fassung vorliegt, ist eine wichtige und gut strukturierte
7
Hilfe: Verfasst von einem hochqualifizierten
ExpertInnenteam im Rahmen des Europä­
ischen Trainings- und Forschungszentrums
für Menschenrechte und Demokratie (ETC) in
Graz, richtet es sich nicht nur an Lehrkräfte,
sondern ist auch zum weiterführenden Selbststudium geeignet. Nach einer allgemeinen
Darstellung des Systems der Menschenrechte
bietet das Handbuch Module zu rund einem
Dutzend ausgewählter Menschenrechte sowie
zahlreiche wertvolle weitere Materialien und
Literaturhinweise. Auch grafisch sehr übersichtlich ist die Gliederung, insbesondere bei
Behandlung der einzelnen Menschenrechte.
Nach dem notwendigen Wissensstoff finden
sich Beispiele für gute Lösungen, Diskussionsfragen und ausgewählte Übungen.
Ich danke allen daran Beteiligten – insbesondere dem ETC – für diesen wertvollen Beitrag
zur Menschenrechtsbildung und wünsche
viel Gewinn beim Lesen und Benützen des
Handbuches.
Dr. Claudia Schmied
Bundesministerin für Unterricht, Kunst und
Kultur
VORWORT
Eine Welt, in der Menschen in Freiheit, Sicherheit und Würde leben können, frei von
Armut und Hoffnungslosigkeit, ist für viele
noch ein Traum. Doch nur in einer Welt des
Rechtes und der Freiheit von Angst und Not
können Menschen ihr individuelles Potential entwickeln. Die Schaffung Menschlicher
Sicherheit und die weltweite Stärkung der
Menschenrechte sind daher essentiell. Die
Menschenrechtsbildung leistet dazu einen
entscheidenden Beitrag.
Das Handbuch zur Menschenrechtsbildung
„Menschenrechte verstehen“, das nun in seiner
zweiten deutschsprachigen Auflage erscheint,
ist ein wichtiges Instrument zur Erreichung
dieser Ziele. Dieses Handbuch entstand im
Jahre 2003 in meiner Zeit als österreichische
Bundesministerin für auswärtige Angelegenheiten im Rahmen des von Österreich mitbegründeten Netzwerks Menschlicher Sicherheit
und wurde von einem engagierten Team österreichischer und internationaler ExpertInnen
unter der Leitung des Europäischen Trainingsund Forschungszentrums für Menschenrechte
und Demokratie (ETC) in Graz erstellt. Ihrem
Einsatz gilt mein besonderer Dank.
Die erste Auflage wurde bereits in 14 Sprachen übersetzt und erreicht somit einen
Großteil der Weltbevölkerung. Für die zweite
Auflage wurde dieses Handbuch nun weitgehend überarbeitet und aktualisiert. Es richtet
sich an MenschenrechtsbildnerInnen und -lernende und enthält eine Vielfalt pädagogischer
Materialien für Jugendliche und Erwachsene.
Menschliche Sicherheit, Demokratie und
menschliche Entwicklung können nur durch
eine Verbesserung der Menschenrechtssituation erreicht werden. Darüber hinaus ist die
Achtung der Menschenrechte keine bloß interne Angelegenheit, sondern auch ein we-
8
sentliches Element internationaler Stabilität.
Daher betreibt die Europäische Union seit
langem eine aktive und detaillierte Menschenrechtspolitik mit ihren internationalen
PartnerInnen, im Rahmen unseres politischen
Dialoges, in internationalen Foren und als integraler Bestandteil unserer EU-Hilfsprogramme, vor allem durch die Europäische Initiative
für Menschenrechte und Demokratie.
Menschenrechtsbildung ist somit eine besondere Priorität meines Mandates als EUKommissarin für Außenbeziehungen, für
die ich alle zur Verfügung stehenden EUInstrumente einsetze.
Ich bin sicher, dass das vorliegende Handbuch
auch weiterhin einen wesentlichen Beitrag zur
Erreichung unserer gemeinsamen Ziele leisten
und vor allem die wichtige und oft herausfordernde Arbeit von MenschenrechtsbildnerInnen in der Praxis unterstützen wird. Daher
wünsche ich seiner Verbreitung weltweit auch
in Zukunft großen Erfolg!
Dr. Benita Ferrero-Waldner
EU-Kommissarin für Außenbeziehungen und
Europäische Nachbarschaftspolitik
MENSCHENRECHTE ZU LERNEN
IST EINE REISE, DIE WIR ALLE
UNTERNEHMEN MÜSSEN
Ihnen liegt ein hervorragendes Lern- und
Lehrbuch vor, das mit dem Vokabular der
Hoffnung den Weg für Frauen und Männer
zur Erfüllung der uralten Forderung nach
wirtschaftlicher und sozialer Gerechtigkeit
beschreibt. Die Erkenntnis der Unteilbarkeit
der Menschenrechte und ihrer gegenseitigen
Abhängigkeit, die auf den folgenden Seiten
deutlich sichtbar wird, ist entscheidend, um
Menschenrechte als „way of life“, als Lebensweise, zu begreifen.
Wenn Sie nun eine Reise durch diese Seiten
unternehmen, lernen Sie von vielen Menschen aus der ganzen Welt, die ihre Erfahrungen und ihr Wissen weitergeben. Sie
lernen über die moralischen und politischen
Implikationen der Menschenrechte und dar-
über, welch starkes Schutzinstrumentarium
den Menschenrechten durch das Recht an die
Seite gestellt wird.
Dies ist nicht alles: Eine Verantwortung
kommt auf Sie zu. Sie werden zu einer Mentorin für die Menschenrechte, zu einem Überwacher ihrer Einhaltung in Ihrem Haushalt,
Ihrer Nachbarschaft, Ihrer Organisation. Mit
fortschreitender Lektüre werden Sie sehen,
auf welche Art sich Menschenrechte in Normen und Standards manifestieren und die
Menschenwürde schützen. Sie werden sich
zu jenen gesellen, die gelernt haben, ihr Leben mit Respekt vor anderen und Vertrauen in
andere zu führen – und Sie werden das Ihnen
innewohnende gesellschaftliche Änderungspotenzial erwecken.
9
Das Gefühl, was Menschenrechte sind, ist jedem Menschen eingeschrieben: Jeder von uns
weiß, wann eine Ungerechtigkeit vorliegt und
ist sich darüber im Klaren, dass Menschenrechte nur in einem Zustand der Gerechtigkeit ihren Ausdruck finden können. Spontan
suchen wir uns Demütigungen zu entziehen
– und doch erniedrigen wir, oft in Angst, andere. Dieser Teufelskreis kann unterbrochen
werden, wenn die Menschen lernen, einander zu vertrauen, sich zu respektieren und die
Menschenrechte als Lebensweise internalisieren und in ihren Beziehungen, ihrem sozialen
Kontext anwenden. Dies setzt voraus, Menschenrechte zu lernen und zu dem Verständnis zu gelangen, dass sie auf gegenseitigem
Respekt beruhen. Machen Sie sich bewusst,
dass alle Konflikte mit einem Blick auf die
Menschenrechte der Beteiligten gelöst werden müssen.
Die Menschenrechte und ihr Schutzsystem
stellen die Richtschnur jedes Zukunftsentwurfes dar – wenn die Rechte bekannt sind
und die Schutzinstrumente genutzt werden.
Das Menschenrechtssystem ist ein kraftvolles
Werkzeug gegen soziale Desintegration, Armut und Intoleranz, die weltweit anzutreffen
sind. Im Kern beruhen alle Menschenrechte
auf Gleichheit und Nicht-Diskriminierung.
Wir leben in einer Welt, in der das patriarchalische System vorherrscht, wo Gerechtigkeit Ungerechtigkeit ist und Frauen wie auch
Männer ihre Gleichheit aufgeben müssen,
um zu überleben.
In Ihren Händen liegt das Wunder der Menschenrechte, das von den Vereinten Nationen
geformt wurde. Es ist ein Geschenk, das der
Menschheit von vielen Staaten gemacht wurde, die sich zur Umsetzung der Menschenrech-
te bekannt haben. Gerade deswegen stimmt
es traurig, dass Millionen von Menschen geboren werden, leben und sterben, ohne zu
wissen, dass ihnen Menschenrechte zustehen.
Daher sehen sie sich auch außer Stande, von
ihrer Regierung die Erfüllung der übernommenen menschenrechtlichen Verpflichtungen
einzufordern. Erzwungene Unwissenheit, wie
wir daher richtig sagen, ist schon in sich eine
Menschenrechtsverletzung.
Das vorliegende Werk zielt darauf ab, diese
Menschenrechtsverletzung und viele andere,
die aus der Unwissenheit über die Bedeutung
der Menschenrechte erwachsen, zu beenden.
Schritt für Schritt sollen die Leserinnen und
Leser an die Menschenrechte herangeführt
werden, ihre Entwicklung erkennen, sie in
ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang begreifen und auf diese Weise zur Sicherstellung
aller Menschenrechte für alle beizutragen.
Wenn Sie sich auf diese Reise begeben, versuchen Sie sich die Menschenrechte als die
Böschung eines Flusses vorzustellen, in dem
das Leben frei fließen kann. Wenn die Flut
kommt, werden jene unter uns, die über ihre
Menschenrechte Bescheid wissen, die Ufer befestigen, um ihre Gemeinschaft zu schützen.
Es gibt keine Alternative.
Shulamith Koenig wurde 2003 mit dem Menschenrechtspreis der Vereinten Nationen geehrt.
Shulamith Koenig
Gründungspräsidentin von PDHRE – The
People’s Movement for Human Rights Learning (www.pdhre.org).
10
DANKSAGUNG
Schöfer (ETC Graz)
Recht auf Gesundheit: Gerd Oberleitner (Universität Graz), Kathleen Modrowski (PDHRE
New York)
Menschenrechte der Frau: Susana Chiarotti,
(PDHRE/CLADEM,
Argentinien),
Anke
Sembacher (ETC Graz)
Rechtsstaatlichkeit und faires Verfahren: Klaus
Kapuy (Universität Graz), Leo Zwaak (SIM Utrecht), Hatice Senem Ozyavuz (SIM Utrecht),
Angelika Kleewein (ETC Graz), Catrin Pekari
(ETC Graz)
Religionsfreiheit: Yvonne Schmidt (Universität
Graz), Otto König (Universität Graz), Verena
Lahousen (ETC Graz)
Recht auf Bildung: Wolfgang Benedek (Universität Graz), Petra Sulovska (ETC Graz)
Menschenrechte des Kindes: Helmut Sax (BIM
Wien)
Menschenrechte in bewaffneten Konflikten:
Anke Sembacher (ETC Graz), Alexandra
Boivin (IKRK), Antoine Bouvier (IKRK)
Recht auf Arbeit: Klaus Kapuy (Universität
Graz), Martin Ölz (IAO), Angelika Kleewein
(ETC Graz)
Meinungs- und Medienfreiheit: Wolfgang
Größter Dank für ihre außerordentlich enga- Benedek (ETC und Universität Graz)
gierte Arbeit gilt den Hauptautorinnen und Demokratie: Christian Pippan (Universität
-autoren und Hauptmitwirkenden der ersten Graz), Satya Das (John Humphrey Center für
Peace and Human Rights, Edmonton)
und zweiten englischen Auflage:
Christoph Weritsch (ETC Graz), Angelika
Einführung in das System der Menschenrechte: Kleewein (ETC Graz), Minna Nikolova-Kress
Wolfgang Benedek (ETC und Universität Graz (ETC Graz), Catrin Pekari (ETC Graz)
Verbot der Folter: Renate Kicker (ETC und Univer- Zusätzliche Materialien: Angelika Heiling, Evesität Graz), Minna Nikolova-Kress (ETC Graz)
lin Kammerer, Angelika Kleewein, Gerlinde
Freiheit von Armut: Anke Sembacher (ETC Kohlroser, Verena Lahousen, Claudia Pekari,
Graz), Alpa Vora (YUVA), Minar Pimple Ursula Prinzl, Petra Sulovska (alle ETC Graz)
(PDHRE Nagpur, Indien)
Allgemeine Anmerkungen zur Methodik der
Nicht-Diskriminierung: Klaus Starl (ETC Menschenrechtsbildung: Barbara Schmiedl
Graz), Anke Sembacher (ETC Graz), Eva (ETC Graz), Claudia Pekari (ETC Graz)
Vom österreichische Bundesministerium für
auswärtige Angelegenheiten (nun: Bundesministerium für europäische und internationale
Angelegenheiten) betraut begann das ETC im
August 2002 mit der Ausarbeitung des Handbuchs „Menschenrechte verstehen“. Nach der
Entwicklung des Konzepts wurden PartnerInnen aus dem Netzwerk für Menschliche Sicherheit und darüber hinaus eingeladen, an dessen
Fertigstellung bis zur MinisterInnenkonferenz
des Netzwerks Menschliche Sicherheit vom 8.
bis zum 10. Mai 2003 in Graz mitzuarbeiten. Im
Verlauf zweier ExpertInnentreffen, veranstaltet
durch das österreichische Bundesministerium
für auswärtige Angelegenheiten, wurden eine
große Zahl von MenschenrechtsexpertInnen
und MenschenrechtsaktivistInnen aus den
Netzwerkstaaten eingeladen, zu dieser interkulturellen und generationenübergreifenden
Anstrengung auf dem Gebiet der Menschenrechtsbildung beizutragen.
Das Handbuch „Menschenrechte verstehen“
entstand durch den Einfallsreichtum, die große Professionalität und die endlose Energie
vieler dieser Menschen.
11
ministerium von Thailand für die Übersetzung
und Veröffentlichung in Thai. Das österreichische Bundesministerium für europäische
und internationale Angelegenheiten hat die
Veröffentlichung in Russisch unterstützt, die
vom ODIHR der OSZE übersetzt wurde. Die
kroatische Übersetzung wurde vom Research
and Training Centre for Human Rights and
Democratic Citizenship an der Universität in
Zagreb vorgenommen. Die serbische Übersetzung wurde vom Minderheitenministerium
von Serbien und Montenegro in Zusammenarbeit mit dem österreichischen Ministerium
für Bildung, Wissenschaft und Kultur und mit
dem Belgrade Centre for Human Rights vorgenommen. Die albanische Version des Handbuchs wurde vom Finnish Human Rights
Programme in Prishtina/Kosovo übersetzt und
veröffentlicht. Die chinesische Version wurde
vom Institute of Law of the Chinese Academy of Social Sciences mit Finanzierung vom
Raoul Wallenberg Institute of Human Rights
and Humanitarian Law in Schweden erstellt.
Als bislang letzte Übersetzungen sind jene ins
Thailändische, Mazedonische und Vietnamesische erschienen, die japanische und die portugiesische Fassung sind in Arbeit. Nur digital
Das Handbuch ist auf breite Unterstützung verfügbar ist die arabische Version, erstellt von
und enthusiastische Resonanz gestoßen. In der UNESCO in Paris. Die meisten Sprachvernur fünf Jahren wurde das Handbuch in sionen können auf der Homepage des Europävierzehn Sprachen übersetzt. Diese Über- ischen Trainings- und Forschungszentrums für
setzungen sind großteils den Bemühungen Menschenrechte und Demokratie unter http://
der Mitglieder des Netzwerks Menschliche www.manual.etc-graz.at abgerufen werden.
Sicherheit zuzuschreiben, insbesondere dem
Außenministerium von Mali mit der Unter- Neue Entwicklungen und die ermutigende Restützung von UNDP Mali und PDHRE Mali für aktion auf die erste Auflage haben eine zweite
die französische Übersetzung und Veröffentli- deutsche Auflage notwendig gemacht, zu der
chung, dem Außenministerium von Chile für eine Reihe an zusätzlichen ExpertInnen beidie spanische Übersetzung und dem Außen- getragen hat.
Ausgewählte Übungen – Unterstützung und
Beratung: Barbara Schmiedl, Claudia Pekari,
Verena Lahousen (alle ETC Graz)
Forschungsassistenz: Klaus Kapuy (Universität
Graz), Ursula Prinzl (ETC Graz), Maddalena
Vivona (ETC Graz)
Lektorat/Korrektorat: Elisabeth Ernst-McNeil
(Universität Graz), Suzanne Marlow (Universität Graz), Matthias C. Kettemann (Universität Graz)
Designkonzept: Markus Garger, Robert
Schrotthofer, Wolfgang Gosch (Kontrapart
Graz), Gerhard Kress
Projektkoordination der ersten Auflage:
Wolfgang Benedek (ETC und Universität Graz),
Minna Nikolova-Kress (ETC Graz)
Projektkoordination der zweiten Auflage:
Wolfgang Benedek (ETC und Universität
Graz)
Herausgeber der ersten Auflage: Wolfgang
Benedek (ETC und Universität Graz) und
Minna Nikolova-Kress (ETC Graz)
Herausgeber der zweiten Auflage: Wolfgang
Benedek (ETC und Universität Graz)
Assistenz des Herausgebers der zweiten Auflage:
Matthias C. Kettemann (Universität Graz)
12
Deutsche Übersetzung und Bearbeitung der
ersten und zweiten Auflage
Für ihr außerordentliches Engagement bei der
deutschen Übersetzung gilt größter Dank auch:
Einführung in das System der Menschenrechte: Wolfgang Benedek (ETC Graz und Universität Graz)
Verbot der Folter: Renate Kicker (ETC Graz und
Universität Graz), Claudia Pekari (ETC Graz)
Freiheit von Armut: Veronika Bauer (ETC Graz),
Matthias C. Kettemann (Universität Graz),
Ursula Prinzl (ETC Graz)
Nicht-Diskriminierung: Klaus Starl, Anke Sembacher, Sarah Kumar (alle ETC Graz)
Recht auf Gesundheit: Gerd Oberleitner (Universität Graz), Barbara Schmiedl (ETC Graz)
Menschenrechte der Frau: Anke Sembacher
(ETC Graz)
Rechtsstaatlichkeit und faires Verfahren:
Angelika Kleewein, Ursula Prinzl (ETC Graz)
Religionsfreiheit: Yvonne Schmidt (Universität
Graz), Verena Lahousen (ETC Graz)
Recht auf Bildung: Wolfgang Benedek (ETC
Graz und Universität Graz)
Menschenrechte des Kindes: Veronika Bauer,
Astrid Messner, Daniela Ramsbacher (alle
ETC Graz)
Menschenrechte in bewaffneten Konflikten:
Anke Sembacher (ETC Graz)
Recht auf Arbeit: Angelika Kleewein, Claudia
Pekari, Anke Sembacher (alle ETC Graz)
Meinungs- und Medienfreiheit: Wolfgang
Benedek (ETC und Universität Graz)
Recht auf Demokratie: Matthias C. Kettemann
(Universität Graz), Christian Pippan (Universität Graz), Ursula Prinzl (ETC Graz)
Zusätzliche Materialien: Veronika Bauer,
Ursula Prinzl, Sarah Kumar, Barbara Schmiedl
(alle ETC Graz)
Allgemeine Anmerkungen zur Methodik der
Menschenrechtsbildung: Barbara Schmiedl
(ETC Graz)
Ausgewählte Übungen: Barbara Schmiedl,
Claudia Pekari, Veronika Bauer, Anke Sembacher, Simone Philipp (alle ETC Graz)
Lektorat/Korrektorat: Barbara Schmiedl (ETC
Graz), Veronika Bauer (ETC Graz), Lisa Heschl
(Universität Graz), Matthias C. Kettemann
(Universität Graz), Simone Philipp (ETC Graz),
Manuela Ruß (Universität Graz)
Projektkoordination der ersten Auflage: Wolfgang Benedek (ETC und Universität Graz), Verena Lahousen (ETC Graz)
Projektkoordination der zweiten Auflage: Wolfgang Benedek (ETC und Universität Graz),
Veronika Bauer (ETC Graz), Matthias C. Kettemann (Universität Graz)
Herausgeber der ersten Auflage: Wolfgang
Benedek (ETC und Universität Graz) und
Minna Nikolova-Kress (ETC Graz)
Herausgeber der zweiten Auflage: Wolfgang
Benedek (ETC und Universität Graz)
Assistenz des Herausgebers der zweiten Auflage: Veronika Bauer (ETC Graz), Matthias C.
Kettemann (Universität Graz)
Speziellen Dank sprechen wir dem Netzwerk
PDHRE für seine inhaltlichen Beiträge bei der
Ausarbeitung des Handbuches aus.
Den folgenden ExpertInnen, BeraterInnen,
FreundInnen und Institutionen gilt für ihre fortdauernde Unterstützung, ihre wertvollen Kommentare und ihre Vorschläge für die Vollendung
dieses Handbuches unsere Dankbarkeit:
Shulamith Koenig (Peoples’ Movement for
Human Rights Learning (PDHRE), New York),
Adama Samassekou und das Team von
PDHRE Mali, Renate Kicker (Universität Graz),
Manuela Ruß und das Team des Instituts für
Völkerrecht und Internationale Beziehungen
der Universität Graz, Anton Kok (Menschenrechtszentrum der Universität Pretoria), Yannis Ktistakis (Marangopoulos Stiftung für
Menschenrechte, Athen), Otto König (Universität Graz), Debra Long und Barbara Bernath
(Association for the Prevention of Torture
13
(APT), Genf), Gerd Oberleitner (Universität
Graz), Christian Pippan (Universität Graz),
Yvonne Schmidt (Universität Graz), Manfred
Nowak (Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte (BIM), Wien), Monique Prinzedis
(CIFEDHOP, Genf), Anti-Defamation-League
(New York), Internationales Komitee vom Roten Kreuz (Genf).
Unser Dank gilt auch dem Team der Menschenrechtsabteilung im österreichischen
Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten, im Besonderen
Georg Mautner-Markhof, Ursula WertherPietsch, Engelbert Theuermann, Stefan Scholz,
Georg Heindl und Eva Schöfer.
WIE MAN DIESES
HANDBUCH BENÜTZT
Das Handbuch zur Menschenrechtsbildung für
alle als Beitrag zum österreichischen Vorsitz
des Netzwerkes für Menschliche Sicherheit
wurde auf Einladung der seinerzeitigen österreichischen Außenministerin Benita FerreroWaldner vom Europäischen Trainings- und
Forschungszentrum für Menschenrechte und
Demokratie (ETC) Graz erarbeitet. Das Team
entwickelte das Rahmenkonzept des Buches
und wurde vom österreichischen Bundesministerium für auswärtige Angelegenheiten mit
seiner Ausarbeitung betraut.
Das Handbuch „Menschenrechte verstehen“
ist als Unterstützung für Lernende und Lehrende auf dem Gebiet der Menschenrechtsbildung in den Partnerländern des Netzwerkes
für Menschliche Sicherheit und darüber hinaus gedacht.
Das Handbuch kann als hilfreiche Grundlage
für das Verständnis der Menschenrechte und
ihrer Verletzungen, für das Training zukünftiger MenschenrechtsbildnerInnen und für
die Eröffnung eines Diskussionsforums für
interkulturelle Bewusstseinsbildung und Austausch verwendet werden.
„Menschenrechte verstehen“ beinhaltet eine
ausgewählte Sammlung von theoretischem
Wissen, das durch praktische Beispiele mit
kulturell sensiblem Hintergrund angereichert
wurde, und bietet zusätzlich Anregungen für
die Entwicklung von Wissen, Einstellungen
und Fertigkeiten. Die Themenauswahl soll es
ermöglichen, nach einem gemeinsamen Verständnis der Menschenrechte zu suchen sowie
strittige Themen von einem kulturell feinfühligen Standpunkt aus zu beleuchten.
Das Handbuch besteht aus drei Teilen: einer
allgemeinen Einführung in die Menschenrechte, einem besonderen Teil mit ausgesuchten
Themen in der Form von Modulen, die das
Verständnis für die Umsetzung der Menschenrechte im Alltag unterstützen sollen, und
einem dritten Teil mit „Zusätzlichen Materialien“, worin nützliche Informationen zu relevanten Institutionen, Hinweise auf zusätzliche
Literatur und Online-Quellen enthalten sind.
14
Für das bessere Zurechtfinden im Text, sollen
die folgenden „Maxis“ beitragen:
Was man wissen muss
Good Practices
Diskussionsfragen
Ausgewählte Übungen
Interkulturelle Perspektiven und
strittige Themen
Mehr Information bei/im
Das Handbuch kann von verschiedenen BenutzerInnen in mehrfacher Weise verwendet
werden. Durch seine flexible und benutzerfreundliche Modulstruktur möchten wir ein
kritisches Lesen und aktives Verstehen durch
Lehrende und Lernende unterstützen.
Wenn Sie nach einer generellen Einführung in
die Basiskonzepte und Grundsätze der Menschenrechte suchen, können Sie mit dem ersten Teil des Handbuches, der Einführung in
das System der Menschenrechte, beginnen.
Suchen Sie nach Beispielen für spezifische
Menschenrechte als Schlüssel zur Menschlichen Sicherheit, beginnen Sie mit dem Teil
„Was man wissen sollte“ der einzelnen Module. Wenn Sie nach einer systematischen,
tiefergehenden, analytischen Untersuchung
einzelner Menschenrechte suchen, können
Sie mit dem Teil „Was man wissen muss“
beginnen. Wer am Unterricht von Menschenrechtsthemen mit Hilfe unterschiedlicher
Lehrmethoden für Jugendliche und Erwachsene interessiert ist, findet ihren/seinen Schwerpunkt in den „Ausgewählten Übungen“ oder
in den „Allgemeinen Bemerkungen zur Methodik der Menschenrechtsbildung“.
Das Handbuch ist dazu gedacht, es mit weiteren Materialien zu ergänzen, und spricht
absichtlich nur einen ausgewählten Kreis der
Menschenrechte an. Wir möchten Sie einladen, durch Beispiele, Geschichten, Fragen und
Erfahrungen aus Ihrem lokalen Umfeld zur
Weiterentwicklung dieses Handbuches beizutragen. Zu diesem Zweck hat das ETC auf
seiner Homepage unter http://www.manual.
etc-graz.at eine Feedback-Seite eingerichtet.
Auf der Homepage sind auch die meisten der
derzeit 15 Sprachversionen verfügbar. Zudem
wurden auch Powerpoint-Präsentationen zu
allen Modulen entworfen, die auf Deutsch
und Englisch von der Homepage heruntergeladen werden können. Sie betreffen die Teile: „Was man wissen muss“ und „Was man
wissen sollte“ jedes Moduls. Unter „Zusätzliche Materialien“ zu den Modulen finden Sie
online weitere nützliche Trainingsmaterialien
und Updates.
Im Manual werden an manchen Stellen die
Begriffe „Rasse“ und „Rassismus“ verwendet. Der Herausgeber und die AutorInnen dieses Werkes weisen sämtliche Theorien über
die Existenz von „Rassen“ zurück, die eine
Überlegenheit oder Unterlegenheit einer bestimmten Gruppe implizieren. Diese Theorien
widersprechen der menschlichen Würde, die
allen Menschenrechte zugrunde liegt, jedem
Menschen kraft seines Menschseins zukommt
und in allen menschenrechtlichen Verträgen
geschützt wird. Wenn im Folgenden die Wendung „Rasse“ oder „Rassismus“ verwendet
wird, geschieht dies im Rahmen von Zitaten
aus einschlägigem Material oder im Hinblick
auf die Definitionen in einschlägigen Dokumenten der Vereinten Nationen, denen dasselbe Verständnis des Begriffs zugrunde liegt.
15
Wir sind dankbar für jede Art von Rückmeldung an office@etc-graz.at, da nur Ihr Feedback uns helfen kann, das Handbuch als
Grundlage für Lernende und Lehrende mit
verschiedenen kulturellen Hintergründen und
mit unterschiedlichem Wissen über die Menschenrechte weiter zu entwickeln.
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
ACHPR – African Commission on Human and
Peoples’ Rights (Afrikanische Kommission für
Menschenrechte und die Rechte der Völker)
ACP – African, Caribbean and Pacific States (Afrikanische, Karibische und Pazifische Staaten)
ADL – Anti-Defamation League
AEMR – Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
AI – Amnesty International
AIDS/HIV – Acquired Immune Deficiency
Syndrome/Human Immunodeficiency Virus
(Erworbenes Immundefektsyndrom/Humanes Immundefizienz-Virus)
AKP – Afrikanische, Karibische und Pazifische
Staaten
ALRC – Asian Legal Resource Centre (Asiatisches Rechtsquellenzentrum)
ANC – African National Congress (Afrikanischer Nationalkongress)
APT – Association for the Prevention of Torture (Vereinigung zur Verhütung der Folter)
ASEF – Asia-Europe Foundation (Asien-Europa-Stiftung)
AU – African Union (Afrikanische Union)
ASEM – Asia-Europe Meeting (EuropäischAsiatisches Gipfeltreffen)
BIM – Ludwig Boltzmann-Institut für Menschenrechte, Wien
BIP – Bruttoinlandsprodukt
CCW – Convention on Prohibitions or Restrictions on the Use of Certain Conventional
Weapons (Übereinkommen über das Verbot
oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen)
CDDRL – Centre on Democracy, Development
and the Rule of Law (Zentrum für Demokratie, Entwicklung und Rechtsstaatlichkeit)
CEDAW – Convention on the Elimination of
All Forms of Discrimination Against Women
(Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form
von Diskriminierung der Frau)
CERD – Committee on the Elimination of All
Forms of Racial Discrimination (Ausschuss
zur Beseitigung jeder Form von rassischer
Diskriminierung)
CESCR – Committee on Economic, Cultural
and Social Rights (Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte)
CHR – Commission on Human Rights (Menschenrechtskommission)
CIM – Inter-American Commission of Women
(Interamerikanische Frauenkommission)
CJ – Citizens’ Juries (BürgerInnenpanels)
CLADEM – Latin American and Caribbean
Committee for the Defence of Women’s Rights
(Lateinamerikanisches und karibisches Komitee zur Verteidigung der Rechte der Frau)
CONGO - Conference of NGOs in Consultative
Relationship with the United Nations (Konferenz der NGOs in Konsultativbeziehung mit
den Vereinten Nationen)
CPT – European Committee for the Prevention
of Torture (Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter)
16
CRA – Communication Regulation Agency
(Kommunikationsregulierungsbehörde)
CRC – Convention on the Rights of the Child
(Übereinkommen über die Rechte des Kindes)
CRIN – Child Rights Information Network (Informationsnetzwerk Kinderrechte)
CSW – Commission on the Status of Women
(Kommission zum Status der Frau)
CSCE – Conference for Security and Cooperation in Europe (Konferenz für Sicherheit und
Zusammenarbeit in Europa)
CWC – The Concerned for Working Children
(Organisation zum Schutz arbeitender Kinder)
ECHO – European Community Humanitarian
Office (Büro für humanitäre Angelegenheiten
der Europäischen Gemeinschaft)
ECOSOC – Economic and Social Council
(Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen)
ECPAT – End Child Prostitution, Child Pornography and Trafficking of Children for Sexual
Purposes (Netzwerk zur Beendigung von Prostitution, Pornographie und Menschenhandel)
EFA – Education for All (Bildung für alle)
EMRK – Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
ENAR – European Network Against Racism
(Europäisches Netzwerk gegen Rassismus)
ENOC – European Network of Ombudsmen
for Children (Europäisches Netzwerk der Ombudsmänner für Kinder)
EPZ – Export Processing Zone (Sonderwirtschaftszone)
ETC – Europäisches Trainings- und Forschungszentrum für Menschenrechte und Demokratie, Graz
EU – Europäische Union
EUMC – European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (Europäische Stelle zur
Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit)
EURONET – European Children’s Network
(Europäisches Kindernetzwerk)
FAO – Food and Agriculture Organization
(Welternährungsorganisation)
FARE – Football against Racism in Europe
(Fussball gegen Rassismus in Europa)
FDC – Freedom from Debt Coalition (Koalition
für Schuldenfreiheit)
FGM – Female Genital Mutilation (weibliche
Genitalverstümmelung)
FIFA – Fédération Internationale de Football
Association (Weltföderation der Fußballvereinigungen)
FLO – Fairtrade Labelling Organizations International (Internationale Vereinigung von Organisationen für Fairtrade-Gütesiegel)
FWCW – Fourth World Conference on Women
(Vierte Weltfrauenkonferenz)
GATS – General Agreement on Trade in Services (Allgemeines Abkommen über Handel mit
Dienstleistungen)
GV – Generalversammlung der Vereinten Nationen
GC – Global Compact
GPF – Global Policy Forum (Forum für globale politische Fragen)
HDR – UNDP Human Development Report
(Bericht über die menschliche Entwicklung
des Entwicklungsprogramms der Vereinten
Nationen)
HIPC – Heavily Indebted Poor Countries
(schwer verschuldete arme Länder)
HR – Human Rights (Menschenrechte)
HRC – Human Rights Council (UNO-Menschenrechtsrat)
HREL – Human Rights Education and Learning (Menschenrechtsbildung und -lernen)
HSN – Human Security Network (Netzwerk
Menschliche Sicherheit)
IAO – Internationale Arbeitsorganisation
ICC – International Criminal Court (Internationaler Strafgerichtshof)
ICERD – International Convention on the Eli-
17
mination of All Forms of Racial Discrimination
(Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung)
ICPD – International Conference on Population and Development (Internationale Konferenz für Bevölkerung und Entwicklung)
ICTR – International Criminal Tribunal for
Rwanda (Internationales Tribunal für Ruanda)
ICTY – International Criminal Tribunal for the
Former Yugoslavia (Internationales Tribunal
für das ehemalige Jugoslawien)
ICVA – International Council of Voluntary
Agencies (Internationaler Rat von Freiwilligenorganisationen)
IDB - Inter-American Development Bank (Interamerikanische Entwicklungsbank)
IDEA – International Institute for Democracy
and Electoral Assistance (Internationales Institut für Demokratie und Wahlhilfe)
IEC – International Executive Committee (Internationales Exekutivkomitee)
IFEX – International Freedom of Expression
Exchange (Internationales Netzwerk von Initiativen für Meinungsäußerungsfreiheit)
IHL – International Humanitarian Law (Humanitäres Völkerrecht)
IIDH – Inter-American Institute for Human
Rights (Interamerikanisches Institut für Menschenrechte)
IJC – International Commission of Jurists (Internationale Juristenkommission)
IKRK – Internationales Komitee vom Roten
Kreuz
IMF – International Monetary Fund (Internationaler Währungsfonds)
IPA – International Publishers Association (Internationale Vereinigung der Verleger)
IPBPR – Internationaler Pakt über bürgerliche
und politische Rechte (Zivilpakt)
IPEC – International Programme for the Elimination of Child Labour (Programm zur Eliminierung der Kinderarbeit)
IPI – International Press Institute (Internationales Presseinstitut)
IPWSKR – Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt)
IWF – Internationaler Währungsfonds
KSZE – Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa
MDGs – Millennium Development Goals
(UNO-Millenniumsentwicklungsziele)
MNCs – Multinational Corporations (Multinationale Unternehmen)
MSF – Médecins sans Frontières (Ärzte ohne
Grenzen)
NGO – Non-Governmental Organisation
(Nichtregierungsorganisation)
NPA – National Plan of Action (nationaler Aktionsplan)
OAS – Organization of American States (Organisation amerikanischer Staaten)
OAU – Organization of African Unity (Organisation der afrikanischen Einheit)
OCHA – UN Office of the Coordination for Humanitarian Affairs (UNO-Büro für die Koordination humanitärer Angelegenheiten)
ODIHR – Office for Democratic Institutions
and Human Rights (OSZE-Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte)
OECD – Organization for Economic Cooperation and Development (Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)
OHCHR – Office of the UN High Commissioner for Human Rights (Büro des Hochkommissars/der Hochkommissarin der Vereinten
Nationen für Menschenrechte)
OIC – Organization of the Islamic Conference
(Organisation der Islamischen Konferenz)
OMCT – Organisation mondiale contre la torture (Weltorganisation gegen Folter)
OSCE – Organization for Security and Cooperation in Europe (Organisation für Sicherheit
18
und Zusammenarbeit in Europa)
OVN – Organisation der Vereinten Nationen
PAHO – Pan American Health Organization
(Pan-Amerikanische Gesundheitsorganisation)
PDHRE – People’s Movement for Human
Rights Learning (Bewegung der Menschen für
Menschenrechtslernen)
PLCPD – Philippine Legislators’ Committee
on Population and Development Foundation
Inc. (Stiftung des philippinischen Komitees
von Gesetzgebern für die Bevölkerung und
Entwicklung)
PRODEC – Decennial Development Program
on Education (Zehnjähriges Entwicklungsprogramm für Bildung)
PRSPs – Poverty Reduction Strategy Papers
(Strategiepapiere zur Armutsbekämpfung)
Res. – Resolution
SAPs – Structural Adjustment Programmes of
the World Bank (Strukturanpassungsprogramme der Weltbank)
SARS – Severe Acute Respiratory Syndrome
(Schweres akutes respiratorisches Syndrom)
SEE – South-Eastern Europe (Südosteuropa)
SEEMO - South East Europe Media Organisation (Südosteuropäische Medienorganisation)
SIM – Netherlands Institute of Human Rights
(Niederländisches Institut für Menschenrechte)
sog. – sogenannt(e)
TASO – The AIDS Support Organization
(AIDS-Unterstützungsorganisation)
TM – Traditionelle Medizin
TNCs – Transnational Corporations (Transnationale Unternehmen)
TRIPs – (Agreement on) Trade-Related Aspects
of Intellectual Property Rights (Abkommen
über handelsbezogene Aspekte der Rechte des
geistigen Eigentums)
u.a. – unter anderem
UDHR – Universal Declaration of Human
Rights (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte)
UEFA – Union of European Football Associations (Vereinigung europäischer Fußballverbände)
UNCAT – United Nations Convention Against
Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (Übereinkommen gegen Folter und andere grausame,
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe)
UNCED – United Nations Conference on Environment and Development (Konferenz der
Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung)
UNDP – United Nation Development Programme (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen)
UNESCO – United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation (Organisation
der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur)
UNEP – United Nations Environment Programme (Umweltprogramm der Vereinten Nationen)
UNICEF – United Nations Children’s Fund
(Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen)
UNIFEM – United Nations Development Fund
for Women (Frauenentwicklungsfonds der
Vereinten Nationen)
UNMIK – United Nations Interim Administration Mission in Kosovo (Übergangsverwaltungsmission der Vereinten Nationen im
Kosovo)
UNMISET – United Nations Mission of Support in East Timor (Unterstützungsmission
der Vereinten Nationen in Osttimor)
UNO – United Nations Organization (Organisation der Vereinten Nationen)
UNTAET – United Nation Transitional Administration in East Timor (Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen in Osttimor)
VN – Vereinte Nationen
19
VOICE – Voluntary Organisations in Cooperation in Emergencies (Kooperation von Freiwilligenorganisationen in Notfällen)
WB – Weltbank
WCAR – World Conference Against Racism,
Racial Discrimination, Xenophobia and Related
Intolerance (Weltkonferenz gegen Rassismus,
Rassendiskriminierung, Fremdenfeindlichkeit
und verwandte Formen der Intoleranz)
WCRP – World Conference on Religion and
Peace (Weltkonferenz für Religion und Frieden)
WFIRC – World Fellowship of Inter-Religious
Councils (Weltgemeinschaft der interreligiösen Räte)
WFP – United Nations World Food Program
(Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen)
WHO – World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation)
WIDE – Netzwerk Women in Development
Europe (Netzwerk Frauen in Entwicklung Europa)
WMA – World Medical Association (Weltmedizinorganisation)
WSIS – World Summit on the Information Society (UNO-Weltgipfel zur Informationsgesellschaft)
WSSD – World Summit on Sustainable Development (UNO-Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung)
WTO – World Trade Organisation (Welthandelsorganisation)
WUK Kinderkultur – Werkstätten und Kulturhaus Kinderkultur
YAP – Young Rights Action Plan (Aktionsplan
für die Rechte von Kindern und Jugendlichen)
z.B. – zum Beispiel
ZUM – Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht
20
Ü berblick
Überblick
Vorwort
5
Arbeit
317
Danksagungen
10
Meinungs- und Medienfreiheit
343
Wie man dieses Handbuch benützt
13
Demokratie
365
Abkürzungsverzeichnis
15
III. ZUSÄTZLICHE MATERIALIEN
391
Der andauernde Kampf für die Menschenrechte – Zeittafel
392
Literatur zu den Menschenrechten
397
I. EINFÜHRUNG IN DAS SYSTEM
DER MENSCHENRECHTE
29
II.MODULE ZU AUSGEWÄHLTEN
MENSCHENRECHTSTHEMEN
71
Verbot der Folter
71
Kontakte
Freiheit von Armut
97
Ausgewählte Human Security Network- 425
Partnerorganisationen Materialien zur Menschenrechtsbildung 406
Nichtdiskriminierung
121
Recht auf Gesundheit
149
Rechte der Frau
173
Rechtsstaatlichkeit und faires Verfahren
416
Allgemeine Anmerkungen zur Methodik der Menschenrechtsbildung
430
442
197
Grazer Deklaration zu den Prinzipien
der Menschenrechtsbildung und der
Menschlichen Sicherheit
221
Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte
447
Religionsfreiheit
Recht auf Bildung
243
Glossar
451
Rechte des Kindes
269
Index
461
Menschenrechte in bewaffneten Konflikten
291
I nhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Danksagungen
Wie man dieses Handbuch benützt
Abkürzungsverzeichnis
Überblick
Inhaltsverzeichnis
5
10
13
15
20
21
I. EINFÜHRUNG IN DAS SYSTEM DER MENSCHENRECHTE
29
A.Menschenrechte verstehen
B.Menschenrechte und Menschliche Sicherheit
C. Geschichte und Philosophie der Menschenrechte
D. Konzept und Idee der Menschenrechte
E. Internationale Menschenrechtsstandards
F. Umsetzung universeller Instrumente der Menschenrechte
G. Menschenrechte und die Zivilgesellschaft
H. Regionale Systeme des Menschenrechtsschutzes und
deren Förderung
I. Universelle Gerichtsbarkeit und 60
das Problem der Straflosigkeit
J. Internationale Strafgerichtsbarkeit
61
K. Menschenrechtsinitiativen 62
in den Städten
L. Weltweite Herausforderungen und 64
Möglichkeiten für die Menschenrechte
M. Hinweise/Links
66
II.MODULE ZU AUSGEWÄHLTEN MENSCHENRECHTSTHEMEN
69
39
VERBOT DER FOLTER
Geschichte zur Illustration
71
72
41
Was man wissen muss
31
34
Der Fall Selmouni gegen Frankreich
44
46
49
50
I. Europa: Europäische Menschenrechtsinstrumente – 1. Das Menschenrechtssystem des
Europarates: a. Überblick – Europäische Menschenrechtsinstitutionen – b. Der Europäische
Gerichtshof für Menschenrechte – 2. Das Menschenrechtssystem der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)
– 3. Die Menschenrechtspolitik der Europäischen
Union – II. Amerika: Interamerikanisches Menschenrechtssystem – III. Afrika/Asien
73
1. Eine Welt ohne Folter: Verbot der Folter und
Menschliche Sicherheit – 2. Definition und Beschreibung des Themas: Was ist Folter? – Foltermethoden
– Wie passiert Folter? – Motive für Folter – Warum
wird Folter praktiziert? – Opfer und Täter von Folter
oder erniedrigender Behandlung. – 3. Interkulturelle Perspektiven und strittige Themen – 4. Durchsetzung und Überwachung: Neuere Entwicklungen
Was man wissen sollte
82
1. Good Practices: Der Österreichische Menschenrechtsbeirat – Aktivitäten Internationaler Organisationen – SonderberichterstatterIn zur Folter – Ziele,
Mandate, Aktivitäten – Das Europäische Komitee
zur Verhütung von Folter oder anderer unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und Strafe
(CPT) – ... weil ich vierzehn bin – Aktivitäten von
Nichtregierungsorganisationen (NGOs) – Amnesty
International: 12-Punkte-Programm zur Verhütung
von Folter – Ethikkodex: Erklärung über Richtlinien
für Ärzte betreffend Folter und anderer grausamer,
21
22
I nhaltsverzeichnis
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung
oder Bestrafung in Bezug auf Anhaltung und Gefängniswesen – 2. Trends: Handel mit Folderinstrumenten – Mehr Frauen und Jugendliche in Haft – 3.
Zeittafel
Ausgewählte Übungen
90
C. NICHTDISKRIMINIERUNG
121
Geschichte zur Illustration
122
„E.S. ‚Nigger‘ Brown Stand“: Ein Fall für CERD
Was man wissen muss
123
1. Diskriminierung: Der endlose und andauernde
Übung I: Folter von TerroristInnen? – Übung II: Pla- Kampf um Gleichbehandlung – Diskriminierung
und Menschliche Sicherheit – 2. Definition und Bekate gegen die Folter
Bibliographie
94 schreibung des Themas: Überzeugung oder Handeln
– Täter der Diskriminierung – Staat oder Einzelperson – Diskriminierung – Rassismus – RassendiskriB. FREIHEIT VON ARMUT
97 minierung – Fremdenfeindlichkeit (Xenophobie)
– Verwandte Formen: Intoleranz und Vorurteile – InGeschichte zur Illustration
98 ternationale Standards – 3. Interkulturelle Perspektiven und strittige Themen: Roma – Anisemitismus
Hungertod in einem Land des Überflusses
Was man wissen muss
99 – 4. Durchsetzung und Überwachung: Diskriminie1. Einleitung: Armut und Menschliche Sicherheit – rung zwischen Nichtstaatlichen Akteuren – UNO2. Definition und Beschreibung des Themas: Was System – Was können WIR tun?
ist Armut – Dimensionen der Armut – Für Armut Was man wissen sollte
138
empfängliche Gruppen – Warum bleibt Armut be- 1. Good Practices: Freiwillige Verhaltensregeln im
stehen? – 3. Interkulturelle Perspektiven und stritti- privaten Sektor – Anti-Diskriminierungsklauseln in
ge Themen: Relative und absolute Armut – Soziale öffentlichen Beschaffungsverträgen – InternationaAusgrenzung – 4. Umsetzung und Überwachung: le Städtekoalition gegen Rassismus – Der Kampf geDie UNO-Millenniumsentwicklungsziele – Über- gen Rassismus innerhalb der UEFA – Abschaffung
wachung der Armut durch Organisationen – Son- der Apartheid – 2. Trends: Die Beziehung zwischen
derberichterstatter und unabhängige ExpertInnen Armut und Rassismus/Fremdenfeindlichkeit – Ras– Entwicklung und Beseitigung der Armut
sismus im Internet – Anti-Islamismus: Die NachweWas man wissen sollte
109 hen des 11. September 2001 – 3. Zeittafel
1. Good Practices: Die Armen sind kreditfähig – Ausgewählte Übungen
142
Malis Initiative 20–20 – Poverty Reduction Stra- Übung I: Alle Menschen sind gleich an Rechten getegy Papers (PRSPs) – Unser Wasser steht nicht boren – Übung II: Die kulturelle Brille
zum Verkauf – Eine nachhaltige Zukunft – Freiheit Bibliographie
145
von Hunger – Wirtschaftliche Gerechtigkeit – Abkommen von Cotonou – 2. Trends: Fortschritte
auf dem Weg zum Erreichen der Millenniumsent- D. RECHT AUF GESUNDHEIT
149
wicklungsziele – Wie viele Länder sind auf Kurs? –
3. Zeittafel
Geschichte zur Illustration
150
Ausgewählte Übungen
115 Maryams Geschichte
Übung I: Die ganze Welt in einem Dorf – Übung II: Was man wissen muss
152
Absolute und relative Armut
1. Das Recht auf Gesundheit in einem weiteren
Bibliographie
118 Kontext: – Menschliche Sicherheit und Gesundheit – 2. Definition und Beschreibung des Themas:
Gesundheit und Menschenrechte – Verfügbarkeit,
Zugänglichkeit, Akzeptanz und Qualität – Nicht-
I nhaltsverzeichnis
diskriminierung – Das Recht auf Nutzung der Errungenschaften wissenschaftlichen Fortschritts
– Globalisierung und das Menschenrecht auf Gesundheit – Gesundheit und Umwelt – 3. Interkulturelle Perspektiven und strittige Themen: Traditionelle
Medizin – Gesundheit und Machtverhältnisse – 4.
Durchsetzung und Überwachung: Das Menschenrecht auf Gesundheit: Achtung, Schutz und Verwirklichung – Einschränkungen des Rechtes auf
Gesundheit – Überwachungsmechanismen
Was man wissen sollte
168
Übung I: Schaffung eines optimalen physischen,
mentalen und sozialen Gesundheitszustandes –
Übung II: Zugang zu Medikamenten
Bibliographie
171
E. RECHTE DER FRAU
173
Geschichte zur Illustration
174
Die Geschichte von Maria da Penha Maia Fernandes
Was man wissen muss
Ausgewählte Übungen
191
Übung I: Die CEDAW für Normalsterbliche – Übung
II: Körpersprache von Frauen und Männern
Bibliographie
194
F. RECHTSSTAATLICHKEIT UND FAIRES VERFAHREN
197
Geschichte zur Illustration
198
161
1. Good Practices: HIV/AIDS-Prävention – BürgerInnenpanels und Strategien im öffentlichen
Gesundheitswesen – Der Eid von Malicounda –
Gedächtnisbücher – 2. Trends: Strategien für das
Zusammenspiel von Menschenrechten und Menschlicher Entwicklung – 3. Statistiken – 4. Zeittafel
Ausgewählte Übungen
1. Good Practices: Inter-Amerikanisches Übereinkommen über die Prävention, Bestrafung und Beseitigung von Gewalt gegen Frauen von Belém do
Pará – Passport to Dignity – 2. Trends: Internationaler Strafgerichtshof – Nationale Frauen-NGOs –
3. Zeittafel
175
Die Festnahme und das Verfahren von Herrn A.
Was man wissen muss
199
1. Einführung: Rechtsstaatlichkeit – Historische Entwicklung – Das faire Verfahren als Kernelement der
Rechtsstaatlichkeit – Exekutionen minderjähriger
Straftäter seit 1990 – 2. Definition und Beschreibung des fairen Verfahrens: Mindeststandards der
Rechte von Beschuldigten – Internationale Normen
– Gleichheit vor dem Gesetz und vor Gericht – Zugang zu wirksamen und fairen Rechtsmitteln – Unabhängigkeit und Unparteilichkeit – Öffentlichkeit
der Verhandlung – Recht der Unschuldsvermutung
– Das Recht auf eine angemessene Verfahrensdauer
– Das Recht auf angemessene Verteidigung und das
Recht auf Anwesenheit bei der Urteilsverkündung
– Das Recht zur Bekanntgabe und Befragung von
ZeugInnen – Das Recht auf Beiziehung einer/s Dolmetschers/Dolmetscherin – Das Nulla poena sine
lege-Prinzip – Mauerschützenfälle – Das Recht auf
Haftentlassung gegen Kautionserlag – 3. Interkulturelle Aspekte und strittige Themen: Rechtsverweigerung für Ehrendelikte – 4. Durchsetzung und
Überwachung: Beschwerdemechanismus
1. Menschenrechte der Frau: Gender und das weit
verbreitete Missverständnis der Menschenrechte der
Frau – Menschliche Sicherheit und Frauen – 2. Definition und Beschreibung des Themas: Ein Rückblick
auf die Geschichte – Pekinger Aktionsplattform –
Frauen und Armut – Frauen und Gesundheit – Frauen und Gewalt – Frauen und bewaffneter Konflikt
– Frauen und natürliche Ressourcen – Mädchen –
3. Interkulturelle Perspektiven und strittige Themen: Was man wissen sollte
212
Universalität – 4. Durchsetzung und Überwachung: 1. Good Practices: Entwicklungshilfe zur Errichtung
Einfordern von Verpflichtungen – Frauenanwältin- eines funktionierenden Rechtssystems – Büro für
nen – Sonderberichterstatterin zur Gewalt gegen demokratische Institutionen und Menschenrechte
Frauen
(BDIMR) – Die Empfehlung über die Achtung und
Was man wissen sollte
188 Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz (Afrika) –
23
24
I nhaltsverzeichnis
243
2. Trends: Internationale Tribunale – Schiedsgerichts- H. RECHT AUF BILDUNG
verfahren und Mediation – Erhöhte Publizität von
Gerichtsverhandlungen – Der (Wieder-)Aufbau von Geschichte zur Illustration
244
rechtsstaatlichen Strukturen in postkonfliktuellen Mayas Geschichte
Gesellschaften – Die Erklärung der Außenminister Was man wissen muss
245
der G8 zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit – 1. Einleitung: Warum überhaupt ein (Menschen-)
3. Zeittafel
Recht auf Bildung? – Bildung und Menschliche SiAusgewählte Übungen
215 cherheit – Geschichtliche Entwicklung – 2. Definition und Beschreibung des Themas: Inhalt des Rechts
Übung I: Sich Gehör verschaffen? – Übung II:
auf Bildung und Staatenverpflichtung – Stan„Wie können sie nur so jemanden verteidigen?“
Bibliographie
219 dards, die erfüllt werden müssen – Verfügbarkeit
– Zugänglichkeit – Geeignetheit – Anwendbarkeit –
G. RELIGIONSFREIHEIT
221 3. Interkulturelle Perspektiven und strittige Themen:
Das Beispiel Uganda – Alphabetisierungsdekade der
Geschichte zur Illustration
222 UNO – Die Weltkonferenz über das Recht auf Bildung und die Rechte in der Bildung – Der Zugang
Dhabihullah Mahrami, Gewissensgefangener
Was man wissen muss
223 benachteiligter Gruppen zum Recht auf Bildung –
1. Religionsfreiheit: Noch ein langer Weg: Religions- Menschenrechte in Schulen – 4. Durchsetzung und
freiheit und Menschliche Sicherheit – 2. Definition Überwachung: Weltkonferenz über Bildung für Alle
und Beschreibung des Themas: Was ist Religion? – Probleme der Umsetzung
– Was ist Glaube? – Was ist Religionsfreiheit? – Was man wissen sollte
258
Internationale Standards – Das Prinzip der Gleich- 1. Good Practices: Konzept der „mädchenfreundbehandlung – Bildung/Erziehung – Bekundung des lichen Schulen“ – Heimschulen in Afghanistan
Glaubens – Grenzen der Religionsfreiheiten – 3. In- – Decennial Development Program on education
terkulturelle Perspektiven und strittige Themen: Staat im Mali – 2. Trends: Dakar Framework for Action:
und Glaube – Apostasie – Die Freiheit der Wahl und Education for All – Kommerzialisierung der Bildung
des Wechsels des Glaubens – Proselytismus – Das – Fortschritte hinsichtlich von Bildung für Alle: geRecht auf Verbreitung des Glaubens– Aufwiege- mischte Ergebnisse – 3. Zeittafel
lung zu religiösem Hass und Meinungsfreiheit – Ausgewählte Übungen
263
Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen Übung I: Verfügbar? Zugänglich? Geeignet? An– 4. Durchsetzung und Überwachung: Vorbeugende wendbar? – Übung II: Bildung für Alle?
Maßnahmen und Zukunftsstrategien – Was können Bibliographie
266
wir tun?
Was man wissen sollte
232
1. Good Practices: Interreligiöser Dialog für religiöse
Vielfalt – „Religionen für den Frieden“ durch Bildung – 2. Trends: Kulte, Sekten und neue religiöse
Bewegungen – Frauen und Religion – Religiöser Extremismus und seine Folgen – 3. Zeittafel
Ausgewählte Übungen
236
Übung I: Worte die verletzen – Übung II: Der Glaube meiner NachbarInnen und mein eigener
Bibliographie
239
I. MENSCHENRECHTE DES KINDES
269
Geschichte zur Illustration
270
Körperliche Züchtigung von Kindern – Kinder in bewaffneten Konflikten
Was man wissen muss
271
1. Der Kampf für den Schutz der Rechte des Kindes – Die Rechte des Kindes und Menschliche Sicherheit/Sicherheit des Kindes – 2. Definition und
Beschreibung des Themas: Natur und Inhalt der
I nhaltsverzeichnis
Menschenrechte der Kinder – Hauptkonzepte der haltung – Repressive Maßnahmen
Konvention über die Rechte des Kindes – Befähi- Was man wissen sollte
301
gung des Kindes, Generationen- und Geschlechter- 1. Good Practices: Schutz der Zivilbevölkerung –
perspektiven – Eine ganzheitliche Betrachtung des Schutz der Gefangenen – Wiederherstellung von
Kindes – Das Verhältnis von Kind, Eltern und Staat Familienkontakt – Ein Wort zum Emblem – Die Prin– Nicht-Diskriminierung von Kindern – Das Wohl zipien humanitärer Handlungen – Die Grundprinzides Kindes – Die Definition des „Kindes“ gemäß pien der Rotkreuz- und Roter Halbmond-Bewegung
KRK – Konventionsrechte: Mitwirkung – Schutz – 2. Trends: Das Verbot der Anti-Personen-Landmi– Vorsorge – Zusammenfassung: Warum wird ein nen – Ein paar IKRK-Zahlen zu den Hilfsaktionen
auf Kinderrechten basierender Ansatz verwendet? – aus dem Jahr 2006 – 3. Zeittafel – Die Hauptinstru3. Interkulturelle Perspektiven und strittige Themen mente humanitären Völkerrechts und andere ver– 4. Durchsetzung und Überwachung
wandte Instrumente
Was man wissen sollte
279
1. Good Practices: „Connecting People (Menschen
verbinden)“ – Recht hat jede/r – „Schattenberichte“
von NGOs – 2. Trends: Fakten und Zahlen – Statistische Information über Kinderrechte – 3. Zeittafel
Ausgewählte Übungen
309
Übung I: Warum soll man humanitäres Völkerrecht
achten? Übung II: Die Ethik humanitärer Einsätze
Bibliographie
313
Übung I: Runder Tisch über Aktionen zur Reduktion von Kinderarbeit – Übung II: Vernachlässigung
und Misshandlung von Kindern
K. ARBEIT
317
Geschichte zur Illustration
318
Bibliographie
286
Schreckliche Arbeitsbedingungen in Exportproduktionszonen
J. MENSCHENRECHTE IN BEWAFFNETEN KONFLIKTEN
291
Geschichte zur Illustration
292
1. Die Arbeitswelt im 21. Jahrhundert: Arbeit und
Menschliche Sicherheit – Ein Blick in die Geschichte – 2. Definition und Beschreibung des Themas: Internationale Arbeitsgesetzgebung – Die wichtigsten
Konvention der IAO – Arbeitsbezogene Menschenrechte in der internationalen Charta der Menschenrechte – AEMR – IPBPR – Welche Arten von
Sklaverei existieren heute? – IPWSKR – Das Recht
auf Arbeit – Arbeit: Recht oder Verpflichtung – Das
Recht auf gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen – Das Recht, Gewerkschaften zu bilden und
ihnen beizutreten – Gleichbehandlungs- und NichtDiskriminierungsrechte – Verpflichtungsgrade –
3. Interkulturelle Perspektiven und strittige Themen
– Parabel: Der Fischer – 4. Durchsetzung und Überwachung
Ausgewählte Übungen
284
Was man wissen muss
Zum Töten ausgebildet
Was man wissen muss
293
319
1. Geschichtliche Entwicklung: Humanitäres Völkerrecht und Menschliche Sicherheit – Humanitäres
Recht als Völkerrecht – Humanitäres Völkerrecht und
Menschenrechte – Wann wird humanitäres Völkerrecht angewandt? – 2. Definition und Beschreibung
der geschützten Rechte: Was sind die Grundregeln
humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten? – Was und wie beschützt humanitäres Völkerrecht? – Wer muss humanitäres Völkerrecht
respektieren? – 3. Interkulturelle Perspektiven und
strittige Themen: Widersprüchliche Ansichten zur Was man wissen sollte
330
Anwendbarkeit von humanitärem Völkerrecht – 1. Good Practices: Internationales Programm zur
4. Durchsetzung und Überwachung: Präventivmaß- Beseitigung von Kinderarbeit (IPEC) Rote Karte für
nahmen – Maßnahmen zur Überwachung der Ein- Kinderarbeit – Verhaltenskodices für Unternehmen
25
26
I nhaltsverzeichnis
im Zusammenhang mit Arbeit und Menschenrechten – Etikettierung von Gütern – Fair Trade – Global Compact – 2. Trends: Exportproduktionszonen
– Rückgang von Gewerkschaften – Zunehmende
internationale Mobilität: Migration von ArbeiterInnen – Jugendarbeitslosigkeit – HIV/AIDS und die
Welt der Arbeit
Ausgewählte Übungen
336
Übung I: Frauen – Kinder – Arbeit – Übung II:
Wirtschaftliche Fairness
Bibliographie
340
L. MEINUNGSÄUSSERUNGS- UND MEDIENFREIHEIT
343
Geschichte zur Illustration
344
M. DEMOKRATIE
365
Geschichte zur Illustration
366
Demokratisierung in Ost-Timor – Gerichtigkeit und
Versöhnung
Was man wissen muss
Was man wissen sollte
Nur Schweigen wird Sie schützen
Was man wissen muss
345
Was man wissen sollte
355
367
1. Ist die Demokratie weltweit auf dem Vormarsch
– Demokratie und menschliche Sicherheit – 2. Definition und Beschreibung des Themas: Was ist
Demokratie und wie hat sie sich entwickelt? –
Kernelemente der modernen Demokratie – Demokratietheorien – Formen der Demokratie – Formen
der Demokratie in Realität – 3. Interkulturelle Perspektiven und strittige Themen: Die Debatte um
„asiatische Werte“ – Demokratie und Islam: eine
Herausforderung – Weitere Denkanstöße – 4. Durchsetzung und Überwachung
379
1. Good Practices: Auf dem Weg zur Demokratie –
1. Bedeutung in Vergangenheit und Gegen- 2. Trends: Demokratien im Aufwind – Politische
wart: Menschliche Sicherheit, Meinungsäu- Beteiligung von Frauen – Frauen im Parlament
ßerungs- und Medienfreiheit – Alte und Neue – Demokr@tie online – Demokratische HerausforHerausforderungen – 2. Inhalte und Bedrohungen: derungen – Globalisierung und Demokratie – DeHauptelemente des Rechts der freien Meinungsäuße- mokratiedefizite in Internationalen Organisationen,
rung – Verstöße gegen dieses Recht, Bedrohungen und multinationalen Unternehmen und NGOs
Risiken – Legitime Einschränkungen dieses Rechts – Ausgewählte Übungen
384
3. Durchführung und Überwachung: Die Rolle von Übung I: Positionierung im Raum – Übung II:
Berufsvereinigungen und anderen NGOs – 4. In- Ein Minarett in unserer Gemeinde
terkulturelle Perspektiven und strittige Themen – Bibliographie
388
5. Zeittafel
1. Rolle der freien Medien in einer demokratischen
Gesellschaft – 2. Medien und Minderheiten – 3. Freiheit der Medien und wirtschaftliche Entwicklung –
4. Kriegspropaganda und Befürwortung von Hass –
5. Good Practices – 6. Freiheit der Medien und Menschenrechtsbildung – 7. Trends: Medien und das
Internet – Auf dem Weg zu Wissensgesellschaften
im Süden
Ausgewählte Übungen
359
Übung I: Das Hütchenspiel – Übung II: Der Einfluss
des Internets
Bibliographie
362
III. ZUSÄTZLICHE MATERIALIEN
391
A. Der andauernde Kampf für die Menschenrechte – Zeittafel
B. Empfohlene Literatur zu den
Menschenrechten
C. Materialien zur Menschenrechtsbildung
Hintergrundinformation
Handbücher und Unterrichtsmaterial
392
- Kinder
397
406
406
407
407
I nhaltsverzeichnis
- Jugendliche
- Erwachsene
409
411
Menschenrechtsbildung im Internet
413
- Unterrichtsmaterialien
- Online-Bibliotheken
413
415
D.Nützliche Kontakte
Internationale Organisationen
Regionale Organisationen
416
416
418
- Afrika
- Amerika
- Europa
418
418
419
NGOs
Menschenrechtsmasterprogramme
E.Ausgewählte Human Security Network-Partnerorganisationen
420
424
425
425
425
426
426
426
426
- Chile
- Costa Rica
- Griechenland
- Irland
- Jordanien
- Kanada
- Mali
- Niederlande
- Norwegen
- Österreich
- Schweiz
- Slowenien
- Südafrika
- Thailand
426
426
427
427
428
429
429
430
F. Allgemeine Anmerkungen zur Methodik der
Menschenrechtsbildung
G.Die Grazer Deklaration zu den Prinzipien der
Menschenrechtsbildung und
der Menschlichen Sicherheit
H.Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
I. Glossar
430
Index
461
442
447
451
27
28
N OT I Z E N
einführung
I. EINFÜHRUNG
IN DAS SYSTEM DER
MENSCHENRECHTE
Menschenwürde
Menschenrechte
Menschenrechtsbildung
Menschliche sicherheit
„Die Kultur der Menschenrechte erlangt ihre größte Stärke durch die begründeten Erwartungen jeder/jedes Einzelnen. Die Hauptverantwortung
für den Schutz der Menschenrechte liegt bei den Staaten. Aber das Verständnis und die Achtung für sowie die Erwartung an die Menschenrechte jeder Einzelperson gibt den Menschenrechten erst ihre Struktur, ihre
Belastbarkeit im täglichen Leben.“ (Übersetzung)
Sérgio Vieira de Mello, ehemaliger Hochkommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte. 2003.
29
30
einführung
A.Menschenrechte verstehen
Das Streben nach dem Schutz der Menschen- der Diskriminierung im Genuss aller Menwürde aller ist der Grundgedanke des Konzepts schenrechte, einschließlich der vollen Gleichder Menschenrechte. Es stellt die Person in das berechtigung von Mann und Frau.
Zentrum des Interesses. Dieses Konzept basiert
auf einem gemeinsamen universellen Werte- Solidarität steht für wirtschaftliche und sosystem, das der Unverletzbarkeit des Lebens ziale Rechte, wie etwa das Recht auf soziale
gewidmet ist und so einen Rahmen für den Sicherheit, auf gerechte Bezahlung, das Recht
Aufbau eines Menschenrechtssystems mit inter- auf einen angemessenen Lebensstandard,
national anerkannten Normen und Standards auf Gesundheit und auf Zugang zur Bildung,
bietet. Im Laufe des 20. Jahrhunderts haben welche integrale Bestandteile des Menschensich die Menschenrechte zu einem ethischen, rechtssystems sind. Die Menschenrechte sind
politischen und rechtlichen System entwickelt in fünf Bereiche gegliedert, und zwar in poliund dienen heute als Richtlinie zur Entwick- tische und bürgerliche sowie wirtschaftliche,
lung einer Welt frei von Angst und Not.
soziale und kulturelle Menschenrechte, die
rechtlich in zwei parallelen Pakten zusammen
Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Men- mit der AEMR als „Bill of Human Rights“ beschenrechte (AEMR), die von den Vereinten zeichnet werden.
Nationen 1948 verabschiedet wurde, bezieht
sich auf die Säulen des Systems der Men„Alle Menschenrechte für alle“
schenrechte, vor allem Freiheit, Gleichheit
und Solidarität. Freiheiten wie die Gedan- war der Slogan der Wiener Weltkonferenz
ken-, Gewissens- und Religionsfreiheit sowie über Menschenrechte 1993.
die Meinungsäußerungsfreiheit werden durch
die Menschenrechte geschützt. Ebenso ga- Menschenrechte ermächtigen sowohl Indivirantieren die Menschenrechte Gleichheit, wie duen als auch Gemeinschaften, nach sozialem
etwa den gleichen Schutz vor allen Formen Wandel zwecks voller Verwirklichung aller
Menschenrechte zu streben. Konflikte sollen
mit friedlichen Mitteln und auf der Grundlage
der Rechtsstaatlichkeit und des Systems der
„Alle Menschen sind frei und
Menschenrechte gelöst werden.
gleich an Würde und Rechten
geboren. Sie … sollen einander
im Geiste der Brüderlichkeit
begegnen.“
Art. 1, Allgemeine Erklärung
der Menschenrechte.
Dennoch kann die Ausübung von Menschenrechten die Rechte anderer beinträchtigen;
Menschenrechte sind beschränkt durch die
Rechte und Freiheiten anderer oder durch
Anforderungen der Moral, der öffentlichen
Ordnung und des Gemeinwohls in einer
demokratischen Gesellschaft (Art. 29 AEMR).
einführung
„Kein einziger Ausdruck in der jüngeren Menschheitsgeschichte ist besser
geeignet, die Mission und die Last des menschlichen Schicksals zu tragen
als der Ausdruck ‚Menschenrechte’ ... – das größte Geschenk der
klassischen und zeitgenössischen Geistesgeschichte ist der Begriff der
Menschenrechte. Tatsächlich ist uns die Sprache der Menschenrechte
viel eher geläufig als jede andere Sprache der Ethik.“ (Übersetzung)
Upendra Baxi. Inhuman Wrongs and Human Rights. 1994.
Die Menschenrechte anderer müssen geach- Es trägt zur Konfliktlösung und zu einer durch
tet, nicht nur geduldet werden. Menschen- Menschenrechte geleiteten Friedenssicherung
rechte dürfen nicht dazu verwendet werden, bei und stellt so eine brauchbare Strategie für
um andere Menschenrechte zu verletzen (Art. eine menschenzentrierte soziale und wirt30 AEMR); daher müssen alle Konflikte unter schaftliche Entwicklung dar.
Beachtung der Menschenrechte gelöst werden, wobei in öffentlichen Notsituationen und Menschenrechtsbildung und -lernen ist eine
in extremen Fällen gewisse Beschränkungen Aufgabe aller AkteurInnen und Interessensauferlegt werden können.
gruppen: der Zivilgesellschaft ebenso wie
von Regierungen und transnationalen UnDeshalb sollen alle, Frauen und Männer, Kin- ternehmen. Durch Menschenrechtsbildung
der und Jugendliche, ihre Menschenrechte kann eine wahre „Kultur der Menschenrechte“
kennen und verstehen, dass diese für ihre entwickelt werden, die auf Achtung, Schutz,
Anliegen und Bestrebungen von Bedeutung Erfüllung, Durchsetzung und Anwendung der
sind. Das kann durch Menschenrechtsbildung Menschenrechte aufbaut.
und -lernen erreicht werden, wobei dies auf
formellem, informellem und nichtformellem Das Recht auf Menschenrechtsbildung kann
Weg geschehen kann. Das Verständnis men- aus Art. 26 AEMR abgeleitet werden: „Jeder
schenrechtlicher Prinzipien und Verfahren hat das Recht auf Bildung ... Bildung muss auf
ermöglicht es Menschen, an den Entscheidun- die volle Entfaltung der menschlichen Persöngen, die ihr Leben bestimmen, mitzuwirken. lichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor
„Menschenrechtsbildung, -lernen und Dialog hat das kritische Denken
und eine systematische Analyse in einer geschlechtergerechten Weise
über politische, bürgerliche, wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Belange im Rahmen der Menschenrechte zu fördern.“ (Übersetzung)
Shulamith Koenig, PDHRE
31
32
einführung
den Menschenrechten und Grundfreiheiten
gerichtet sein ...“
Recht auf Bildung
Die Resolution 49/184 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 23. Dezember 1994 verkündete die UNO-Dekade
der Menschenrechtsbildung, umzusetzen im
Rahmen des Aktionsplans der Dekade der
Menschenrechtsbildung 1995-2004. Dort findet sich eine detaillierte Definition der Inhalte
und Methoden der Menschenrechtsbildung.
Die Resolution 49/184 der UNOGeneralversammlung von 1994 rief die
UNO-Dekade der Menschenrechtsbildung aus: „Menschenrechtsbildung soll
mehr umfassen als die bloße Bereitstellung von Information und soll einen
lebenslangen Prozess bilden, durch den
Menschen auf allen Entwicklungsstufen
und in allen Schichten der Gesellschaft
die Achtung vor der Würde anderer und
die Mittel und Methoden zur Sicherung
dieses Respekts lernen.“
Der Aktionsplan der UNO-Dekade der
Menschenrechtsbildung (1995-2004)
hebt hervor:
„Menschenrechtsbildung soll als das Bemühen definiert werden, durch Training
und Verbreitung von Information auf
die Bildung einer universellen Kultur der
Menschenrechte hinzuwirken, die die Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten und
die Formung von Einstellungen beinhaltet
und auf folgende Ziele gerichtet ist:
a) die Stärkung der Achtung für Menschenrechte und Grundfreiheiten;
b) die volle Entfaltung der menschlichen
Persönlichkeit und der Bedeutung ihrer
Würde;
c) die Förderung des Verständnisses, der
Toleranz, der Geschlechtergleichheit und
der Freundschaft zwischen allen Nationen, den indigenen Völkern und rassischen, nationalen, ethnischen, religiösen
und sprachlichen Gruppen.“ (Übersetzung)
Federführend für diese Entwicklung war
Shulamith Koenig, die Begründerin der People’s
Movement for Human Rights Learning
(PDHRE). Diese Organisation hat sich nichts
Geringeres zum Ziel gesetzt als die langfristige
Vision, Menschenrechte für alle auf der Welt
zugänglich zu machen, „damit die Menschen
sie kennen und einfordern können“. Demnach
ist das Ziel der Menschenrechtsbildung das
„Verständnis der Menschenrechte für alle“
oder mit den Worten Nelson Mandelas „die
Entwicklung einer neuen politischen Kultur
auf der Basis der Menschenrechte“.
„Menschenrechtsbildung ist jedes Lernen, das das Wissen,
die Fertigkeiten und die Werte der Menschenrechte entwickelt und
Gerechtigkeit, Toleranz und Würde sowie die Achtung für die Rechte
und die Würde der anderen fördert.“ (Übersetzung)
Nancy Flowers, Menschenrechtszentrum der Universität von Minnesota.
einführung
Am 10. Dezember 2004 verkündete die Generalversammlung der Vereinten Nationen ein
neues Weltprogramm für Menschenrechtsbildung (GV Res. 59/113A), das durch für jeweils
drei Jahre angenommene Aktionspläne verwirklicht werden soll. Der Aktionsplan für die
erste Phase (2005-2007, verlängert bis 2009)
setzt den Schwerpunkt im Bereich des Primärund Sekundärschulsystems. Am 18. Dezember
2007 hat die UNO-Generalversammlung das
Jahr 2009 zum Internationalen Jahr des Menschenrechtslernens erklärt (GV REs. 62/171).
Die Eröffnung fand am 10. Dezember 2008,
dem 60. Jahrestag der Verabschiedung der
AEMR, statt.
Allgemeine Bemerkungen zur Methodik
der Menschenrechtsbildung
Aktionsplan für die Erste Phase
(2005-2009) des Weltprogramms
für Menschenrechtsbildung
Die Implementierungsstrategie sieht vier
Phasen vor:
Phase 1: Analyse der gegenwärtigen
Situation der Menschenrechtsbildung
Phase 2: Prioritätensetzung und Entwick­
lung einer nationalen Implementierungsstrategie
Phase 3: Implementierung und
Überprüfung
Phase 4: Evaluierung
B.Menschenrechte unD
Menschliche Sicherheit
Der Entwurf der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte war die Antwort auf die schwerwiegendsten Verletzungen der Menschenwürde,
im Besonderen die Erfahrungen des Holocaust,
während des Zweiten Weltkrieges.
Deshalb steht im Mittelpunkt dieser Erklärung
der Mensch. Die Präambel bezieht sich auf die
„Freiheit von Furcht und Not“. Derselbe Ansatz findet sich auch im Konzept der Menschlichen Sicherheit.
„Die meisten Bedrohungen
der Menschlichen Sicherheit
enthalten eine direkte
oder indirekte
Men­schen­rechtsdimension.“
(Übersetzung)
Zweites MinisterInnentreffen des Netzwerks
für Menschliche Sicherheit. Luzern. Mai 2000.
33
34
einführung
„Menschenrechte liefern ein Fundament, auf welchem
menschliche Entwicklung und Menschliche Sicherheit aufgebaut
werden können.“ (Übersetzung)
Viertes MinisterInnentreffen des Netzwerks für Menschliche Sicherheit. Santiago de Chile. Juli 2002.
Beim Internationalen Workshop über Mensch­­­­ Es gibt einige Verbindungen zwischen Menliche Sicherheit, Menschenrechte und mensch- schenrechten und Menschlicher Sicherheit:
liche Entwicklung in Graz im Juli 2000 wurde „Sicherheit“ in Form von persönlicher Sicherfestgestellt, dass die Menschliche Sicherheit den heit (z.B. Schutz vor willkürlicher FestnahSchutz der Menschenrechte zum Ziel hat, wie me), sozialer Sicherheit (z.B. Bereitstellung
etwa bei der Prävention von Konflikten und bei der Grundbedürfnisse wie Nahrungssicherheit)
der Behandlung von Grundursachen der Unsi- und internationaler Sicherheit (das Recht, in
cherheit und der Verletzbarkeit.
einer sicheren internationalen Ordnung zu
leben) deckt sich mit bestehenden MenschenDie Strategie der Menschlichen Sicherheit hat rechten. „Sicherheitspolitik muss viel mehr in
die Errichtung einer weltweiten politischen Strategien zur Förderung der Menschenrechte,
Kultur auf Grundlage der Menschenrechte zum Demokratie und Entwicklung integriert werden.
Ziel. In diesem Zusammenhang ist die Men- Menschenrechte, humanitäres Völkerrecht und
schenrechtsbildung eine Strategie zur Erlangung Flüchtlingsrecht liefern den rechtlichen Rahder Menschlichen Sicherheit, da sie Menschen men, auf dem der Ansatz zur Menschlichen Sibefähigt, auf der Grundlage eines gemeinsamen cherheit aufgebaut ist.“ (Quelle: Kanadisches
weltweiten Wertesystems, eines regelorientier- Ministerium für äußere Angelegenheiten
ten und auf dem Recht beruhenden Ansatzes und Welthandel. 1999. Human Security: Safeanstatt eines auf Macht basierenden Systems ty for People in a Changing World.)
Lösungen für ihre Probleme zu finden.
Die kanadische Regierung hat auch mit Hilfe
Menschliche Sicherheit wird quer durch die Ge- des Berichts einer Kommission eine Doktrin
sellschaft in dezentraler Form gefördert, begin- der responsibility to protect (Verantwortung
nend mit den Grundbedürfnissen der Menschen, zu schützen) als Teil der menschlichen Sivon Frauen und Männern gleichermaßen, wie cherheit entwickelt, die auch Eingang in das
etwa Problemen der persönlichen Sicherheit, Schlussdokument des Gipfeltreffens der Geder Armut, der Diskriminierung, sozialer Ge- neralversammlung der Vereinten Nationen im
rechtigkeit und Demokratie. Die Freiheit von Jahr 2005 gefunden hat. (Quelle: Independent
Ausbeutung oder Korruption beginnt damit, International Commission on Intervention
dass Menschen die Verletzung ihrer Rechte nicht and State Sovereignty. 2001. The Responsibilänger akzeptieren. Institutionen der Zivilgesell- lity to Protect.)
schaft (wie Transparency International) unterstützen diesen Prozess der Emanzipation, der
auf der Kenntnis der Menschenrechte beruht.
einführung
„(Menschliche Sicherheit) ist im Grunde ein Bestreben zur
Errichtung einer weltweiten Gesellschaft, in der die Sicherheit des
Individuums im Mittelpunkt der internationalen Prioritäten steht ...
in der internationale Menschenrechtsstandards und Rechtsstaatlichkeit hoch entwickelt und in einem kohärenten Netz
verwoben sind, um das Individuum zu schützen …“ (Übersetzung)
Lloyd Axworthy, ehemaliger Außenminister Kanadas.
Menschenrechtsverletzungen enthüllen Bedrohungen der Menschlichen Sicherheit und werden daher als Indikatoren für Frühwarnsysteme
zur Konfliktvermeidung herangezogen. Ebenso
spielen Menschenrechte eine Rolle im Konfliktmanagement, in der Konflikttransformation
und der Friedensbildung in Postkonfliktsituationen. Durch die Vermittlung von Wissen, den
Aufbau von Fertigkeiten und die Formung von
Einstellungen trägt die Menschenrechtsbildung
zu einer echten Kultur der Prävention bei.
„Es wird niemals weltweiten
Frieden geben, solange die
Menschen nicht Sicherheit im
täglichen Leben haben.“
Governance-building besteht aus zwei ein­
ander ergänzenden Formen des „capacitybuilding“, der Entwicklung von Fähigkeiten:
der Entwicklung des Staates und der Förderung der gesellschaftlichen Entwicklung. Die
Entwicklung des Staates („state-building“)
ermöglicht demokratische Sicherheit, was in
den Bemühungen um die Wiederherstellung
und den Wiederaufbau in Postkonfliktsituationen am Besten zum Ausdruck kommt.
Gesellschaftliche Entwicklung („societal development“) beinhaltet Menschenrechtsbildung
auf breiter Basis, um es „Menschen zu ermöglichen, ihre Rechte zu beanspruchen und die
Rechte anderer zu achten.“ (Walther Lichem,
PDHRE.)
Die Erklärung von Graz über die Prinzipien der Menschenrechtsbildung und
der Menschlichen Sicherheit, die durch
(Übersetzung)
das
5. MinisterInnentreffen des Netzwerkes
UNDP. Human Development Report. 1994.
Menschliche Sicherheit in Graz am 10. Mai
2003 unterstützt wurde, bezweckt die Stärkung der Menschlichen Sicherheit durch
Menschenrechte sind nicht nur ein unerläss- Menschenrechtsbildung. Aufgrund des Rechts
liches Instrument der Konfliktprävention, sie auf Kenntnis der Menschenrechte wird eine
sind auch ein Schlüsselkonzept für Gover- Verantwortlichkeit aller einschlägigen Akteunance-building und für Demokratie. Sie liefern rInnen für die Menschenrechtsbildung festdie Grundlage für die Lösung sozialer und gestellt und das Handbuch „Menschenrechte
globaler Probleme durch aktive Mitgestaltung, verstehen“ begrüßt. Die „Erklärung von Graz“
hält auch fest, dass Menschenrechte und
erhöhte Transparenz und Verantwortlichkeit.
35
36
einführung
Menschliche Sicherheit unlösbar miteinander
verbunden sind, da die Förderung und Umsetzung der Menschenrechte Ziel und integraler
Bestandteil der Menschlichen Sicherheit sind
(Art. 1).
Die Erklärung von Graz. 2003.
Zusätzliche Materialien, III
Die Beziehung zwischen Globalisierung und
Menschlicher Sicherheit behandelt der Millenniumsbericht des damaligen UNO-Generalsekretärs Kofi Annan aus dem Jahr 2000,
der ebenfalls zwischen Freiheit von Furcht
und Freiheit von Not unterscheidet, eine Unterscheidung, die auf die vier Freiheiten zurückgeht, die von US-Präsident Roosevelt 1941
proklamiert wurden und während des Zweiten Weltkrieges als Vision für die Nachkriegsordnung galten. Der Bericht von Kofi Annan,
„In Larger Freedom“ („In größerer Freiheit“),
von 2005 setzt einen Schwerpunkt auf die
Perfektion des Dreieckes von Entwicklung,
Freiheit und Frieden (Abs. 12). Das daraufhin
von der Generalversammlung angenommene
Schlussdokument des Weltgipfels der Vereinten Nationen von 2005 lädt zu Beiträgen zu
einer Definition des Konzeptes der menschlichen Sicherheit ein.
Bereits 2001 wurde eine Kommission für
Menschliche Sicherheit unter dem Vorsitz
von Sadako Ogata (Ex-Hochkommissarin
der Vereinten Nationen für Flüchtlinge) und
Amartya Sen (Nobelpreisträger für Wirtschaft)
gebildet. Zusammen mit dem Institut für
Menschenrechte und der University for Peace
(Costa Rica) wurde im Dezember 2001 in San
José, Costa Rica, ein Workshop über die Beziehung zwischen den Menschenrechten und der
Menschlichen Sicherheit abgehalten, bei dem
eine „Erklärung über Menschenrechte als wichtiger Bestandteil der Menschlichen Sicherheit“
erarbeitet wurde (http://www.humansecurity- Der Kampf gegen die Armut und für wirtchs.org/doc/sanjosedec.html). Der Bericht der schaftliche, soziale und kulturelle Rechte ist
Kommission mit dem Titel „Human Security ebenso maßgeblich für die Sicherheit wie der
Now“ („Menschliche Sicherheit jetzt“) spricht Kampf für politische Freiheiten und Grundeine Reihe von Menschenrechtsanliegen an. rechte. Das eine kann vom anderen nicht
Gemäß Bertrand G. Ramcharan, ehemaliger getrennt werden, alle Menschenrechte sind
geschäftsführender Hochkommissar der Ver- voneinander abhängig, aufeinander bezogen
einten Nationen für Menschenrechte, wird und unteilbar.
der Inhalt der Menschlichen Sicherheit vom
Freiheit von Armut, Recht auf Gesundinternationalen Recht und Menschenrechts- heit, Recht auf Arbeit
normen definiert.
Gemäß dem UNDP-Bericht über die MenschArt. 3 der AEMR und Art. 9 des Internatio- liche Entwicklung vom Jahr 2000 teilen Mennalen Paktes über bürgerliche und politische schenrechte und Menschliche Entwicklung
Rechte schützen das Recht und die Sicherheit eine gemeinsame Vision und einen gemeinder Person, was sich vor allem auf die Freiheit samen Zweck. Der im UNDP-Bericht vervon Furcht bezieht. Dazu anerkennen Art. 22 wendete Human Development Index enthält
AEMR und Art. 9 des Internationalen Paktes zahlreiche Indikatoren, wie Zugang zur Bilüber wirtschaftliche, soziale und kulturelle dung, Nahrungsmittelsicherheit, GesundheitsRechte das Recht auf soziale Sicherheit, das dienstleistungen, Geschlechtergleichheit und
zusammen mit anderen wirtschaftlichen und politische Mitbestimmung, die sich direkt mit
sozialen Rechten der Freiheit von Not ent- den Menschenrechten decken. Zusammenfassend überschneiden und bekräftigen sich die
spricht.
einführung
„Die erste ist die Freiheit der Rede – überall in der Welt. Die zweite ist die
Freiheit jeder Person, Gott in ihrer Weise zu würdigen – überall in der Welt.
Die dritte ist die Freiheit von Not – was in ihre weltliche Bedeutung
übersetzt ein wirtschaftliches Grundverständnis bedeutet, dass jede Nation
ein gesundes und friedliches Leben für seine EinwohnerInnen sichert,
überall in der Welt. Die vierte ist die Freiheit von Furcht …“ (Übersetzung)
Franklin D. Roosevelt, 32. Präsident der USA. 1941.
Konzepte der Menschlichen Sicherheit, der
Menschenrechte und der Menschlichen Entwicklung gegenseitig und bedingen einander.
Schwerpunkt auf gewalttätigen Bedrohungen der Menschlichen Sicherheit und sollte
jährlich erscheinen. Er zeigt das Bestehen
der Wechselbeziehung zwischen KonflikAuch die UNESCO hat einen Schwerpunkt im ten und demokratischer Regierungsführung
Bereich der Menschlichen Sicherheit gesetzt, („governance“) auf, wonach die Zunahme
der den Fragen von Gewalt und Entwicklung demokratischer Regierungen weltweit zu eigleiche Bedeutung zukommen und sich von ner Abnahme gewalttätiger Konflikte geführt
einem regionalen Ansatz der Menschlichen hat. Seit der terroristischen Zerstörung des
World Trade Centers am 11. September 2001
Sicherheit inspirieren lässt.
2005 wurde erstmals ein „Bericht über die kam es wieder zu einer stärkeren Betonung
Menschliche Sicherheit“ („Human Secu- von nationaler Souveränität und Sicherheitsrity Report“) veröffentlicht. Er hat seinen interessen.
„Die Nachgiebigkeit gegenüber eng verstandenen nationalen
Sicherheitsinteressen und eine sture Anhängerschaft kurzsichtiger
Vorstellungen staatlicher Souveränität haben Anliegen
menschlicher Sicherheit der Opfer übertrumpft, obwohl, in einer
verdrehten Ironie, die Sicherheit seiner Menschen – nicht nur
kollektiv, sondern auch, wesentlich, individuell –
die Sicherheit des Staates ausmacht.“ (Übersetzung)
Louise Arbour, Hochkommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte. 2005.
37
38
einführung
C.Geschichte und Philosophie der Menschenrechte
Die Idee der Menschenwürde ist so alt wie
die Geschichte der Menschheit selbst und
besteht in unterschiedlichen Formen in allen
Kulturen und Religionen. Der hohe Stellenwert des menschlichen Lebens kann z.B. in
der afrikanischen Philosophie des „ubuntu“
oder dem Schutz von Fremden im Islam nachgewiesen werden. Die „goldene Regel“, dass
man andere nur so behandeln sollte, wie man
selbst behandelt werden will, existiert in allen
bedeutenden Religionen. Das Gleiche gilt für
die Verantwortung der Gesellschaft gegenüber
den Armen und die grundlegenden Begriffe
der sozialen Gerechtigkeit.
Dennoch ist die Idee der „Menschenrechte“
ein Ergebnis des philosophischen Denkens
der Neuzeit, das auf der Grundlage des Rationalismus und der Aufklärung, auf Liberalismus und Demokratie, aber auch auf dem
Sozialismus aufbaut. Obwohl das moderne
Konzept der Menschenrechte hauptsächlich
aus Europa stammt, muss festgehalten werden, dass die Begriffe der Freiheit und sozialen Gerechtigkeit, die grundlegend für die
Menschenrechte sind, in allen Kulturen enthalten sind.
Die Vereinten Nationen unter der Führung von
Eleanor Roosevelt, René Cassin and Joseph
Malik erarbeiteten die Allgemeine Erklärung
der Menschenrechte, an der 80 ExpertInnen
weltweit beteiligt waren, um ihre Sprache und
Ideen zu gestalten. Menschenrechte wurden
zu einem weltweiten Konzept mit starken Einflüssen der Länder der südlichen Hemisphäre
und des Ostens, wie z.B. das Konzept der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte,
das Recht auf Selbstbestimmung und das Recht
auf Entwicklung, die Freiheit von „rassischer“
Diskriminierung und Apartheid zeigen.
Während im Laufe der Geschichte StaatsbürgerInnen als Ergebnis ihres Kampfes für
Grundfreiheiten und wirtschaftliche und soziale Rechte ihre verfassungsmäßig gewährleisteten Rechte erhielten, konnten Fremde nur
in Ausnahmefällen oder auf der Grundlage
zwischenstaatlicher Übereinkommen Rechte
innehaben. Sie waren auf den Schutz ihres
Heimatstaates angewiesen, der seine Staatsangehörigen im Ausland vertrat.
Das afrikanische Konzept
der Menschenwürde:
“Ich bin ein menschliches
Wesen, weil Deine Augen mich
als solches sehen.“
Afrikanisches Sprichwort aus Mali.
Für die Entwicklung des Rechts zum Schutz
von Fremden war das humanitäre Völkerrecht von großer Bedeutung. Es zielte darauf
ab, Regeln für die Behandlung von feindlichen
Soldaten, aber auch der Zivilbevölkerung, in
bewaffneten Konflikten zu etablieren.
Menschenrechte in bewaffneten Konflikten
Frühe Vorgänger der aktuellen Menschenrechte findet man in den Vereinbarungen über die
einführung
Religionsfreiheit, wie etwa im Vertrag von
Westfalen von 1648, dem Verbot der Sklaverei,
z.B. in der Erklärung über den Sklavenhandel
am Wiener Kongress von 1815, der Gründung
der Amerikanischen Anti-Sklaverei-Gesellschaft von 1833 und dem Internationalen
Übereinkommen gegen Sklaverei von 1926.
Der Schutz der Rechte der Minderheiten
hat eine ebenso lange Geschichte und war
eines der Hauptthemen im Friedensvertrag
von Versailles 1919 sowie im Völkerbund, der
im selben Jahr gegründet wurde.
Der
andauernde Kampf für die Menschenrechte –
Zeittafel, Teil III: Zusätzliche Materialien
Die Französische Revolution, die durch die
Amerikanische Unabhängigkeitserklärung und
die Proklamation der Virginia Bill of Rights
von 1776 beeinflusst war, erklärte im Jahr
1789 die Rechte des Menschen und des Bürgers. Sie wurden in die Kategorien Freiheit,
Gleichheit und Brüderlichkeit (Solidarität)
eingeteilt, eine Gliederung, die die Charta
der Grundrechte der Europäischen Union von
2000 wieder aufnimmt.
Dennoch wurde das Konzept der universellen Menschenrechte für alle erst nach den
Schrecken des Zweiten Weltkrieges von den
Staaten akzeptiert, als von damals 48 Staaten
eine Einigung über die Allgemeine Erklärung
der Menschenrechte als unentbehrlicher Bestandteil des Systems der Vereinten Nationen
erzielt werden konnte, wobei sich acht sozialistische Staaten sowie Südafrika der Stimme
enthielten. Seitdem ist der Mitgliederstand der
Vereinten Nationen auf 192 Staaten gestiegen.
Kein Staat hat jedoch jemals die Erklärung abgelehnt. So können weite Teile der Erklärung
heute als internationales Gewohnheitsrecht
angesehen werden.
Das internationale Recht der Menschenrechte beruht auf den im Rahmen der Vereinten
Nationen vereinbarten und geteilten Werten,
die Elemente einer globalen Ethik darstellen.
Philosophen wie Jean-Jacques Rousseau,
Voltaire und John Stuart Mill haben für die
Existenz von Menschenrechten argumentiert.
Die vorherrschenden „Vertragstheorien“ gewährten Rechte im Austausch für Loyalität
gegenüber der herrschenden Macht, während
Immanuel Kant, in seinem kosmopolitischen
Ansatz, gewisse Rechte für den „Weltbürger“ forderte. Das internationale Projekt über
eine „Weltethik“ unter der Leitung von Klaus
Küng hält fest, dass alle bedeutenden Religionen gemeinsame Kernwerte teilen, die den
grundlegenden Menschenrechten weitgehend
entsprechen.
Religionsfreiheit
Im Hinblick auf die mit der Globalisierung
verbundenen Herausforderungen wurden eine
„Ethik der Verantwortlichkeit“ (Hans Jonas)
und eine „globale Ethik zur Unterstützung der
Menschenrechte“ (Georg Ulrich) vorgeschlagen.
39
40
einführung
D.K onzept und Idee
der Menschenrechte
Heute gilt das Konzept der Menschenrechte
grundsätzlich als universell anerkannt, was
sich sowohl in der von der Wiener Weltkonferenz 1993 verabschiedeten Erklärung als auch
in den UNO-Resolutionen, die zum Anlass des
50. Jahrestages der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte 1998 beschlossen wurden, zeigt. Skeptiker, welche die Universalität
der Menschenrechte in Frage stellen, könnten
daran erinnert werden, dass so unterschied­
liche Staaten wie China, Libanon oder Chile
am Entwurf des Konzepts in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre mitgearbeitet hatten.
Seit damals haben viele Staaten ihre Unterstützung für die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte erklärt sowie den Internationalen
Pakt über bürgerliche und politische Rechte
(IPBPR, Zivilpakt) und den Internationalen
Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Rechte (IPWSKR, Sozialpakt) ratifiziert, die beide auf der Grundlage der Allgemeinen Erklärung
ausgearbeitet wurden. Auch die Konvention zur
Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der
Frau (CEDAW) haben bis 2008 185 Staaten ratifiziert, wenn auch viele mit Vorbehalten. Die
Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen
weist sogar 193 Ratifikationen auf.
Der Ausgangspunkt des Konzepts der Menschenrechte ist das Konzept der jedem Menschen innewohnenden Würde, wie es in der
Allgemeinen Erklärung 1948 und den Internationalen Pakten 1966 enthalten ist, die ebenso
das Ideal des freien Menschen, frei von Angst
und Not und mit gleichen und unveräußerlichen Rechten ausgestattet, anerkennen. Die
Menschenrechte sind unveräußerlich, was be-
deutet, dass sie überall in Geltung stehen und
der menschlichen Person nicht einmal mit
deren Zustimmung entzogen werden können.
So wurde auch in der Wiener Weltkonferenz
über Menschenrechte 1993 vom damaligen
UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali
festgehalten: „Menschenrechte sind Geburtsrechte“. Menschenrechte sind darüber hinaus
unteilbar und bedingen einander.
Verschiedene Dimensionen oder Kategorien
von Menschenrechten können unterschieden
werden: bürgerliche und politische Rechte
einerseits, wie die z.B. Meinungsfreiheit, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
anderseits, wie das Menschenrecht auf soziale
Sicherheit, die „schrittweise“ realisiert werden
können, da sie dem Staat Leistungspflichten
auferlegen (vgl. Art. 2 (1), Sozialpakt).
In der Vergangenheit haben einige Staaten oder
Gruppen von Staaten, vor allem die kommunistischen, ihre Präferenz für wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Rechte im Gegensatz zu
den politischen und bürgerlichen Rechten ausgedrückt. Anderseits zeigten die USA und die
Mitgliedsstaaten des Europarates eine Präferenz
für die bürgerlich-politischen Rechte. In den
beiden Weltkonferenzen über Menschenrechte
in Teheran und Wien wurden beide Kategorien
oder Dimensionen von Menschenrechten als
gleichwertig anerkannt. In Teheran 1968 wurden die Menschenrechte als unteilbar und interdependent erklärt, weil der volle Genuss der
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte kaum ohne den Genuss der politisch-bürgerlichen Rechte möglich ist und umgekehrt.
Mitte der 1980er-Jahre erfuhr eine weitere
einführung
Kategorie der Menschenrechte Anerkennung,
darunter das Recht auf Frieden, das Recht auf
Entwicklung und das Recht auf eine saubere Umwelt. Diese Rechte geben den notwendigen Rahmen für den Genuss aller anderen
Rechte. Das bedingt sinngemäß aber nicht,
dass eine Kategorie der Menschenrechte
eine Vorbedingung für eine andere darstellt.
Diese jüngste Kategorie kann am besten als
Solidaritätsrechte bezeichnet werden, weil
sie internationale Kooperation erfordern
und auf Gemeinschaftsbildung abzielen. Die
Menschenrechte sind von „Tierrechten“ und
„Rechten der Erde“, wie sie von verschiedenen Interessensgruppen propagiert werden,
zu unterscheiden.
Während Menschenrechte die Rechte aller Einzelpersonen unabhängig von ihrer Nationalität darstellen, sind Staatsbürgerschaftsrechte
Grundrechte, die nur Staatsangehörigen eines
bestimmten Landes zustehen. Dazu gehören
etwa das Wahlrecht sowie das Recht, gewählt
zu werden, oder auch der Zugang zum öffentlichen Dienst des betreffenden Staates.
Menschenrechte müssen auch von Minderheitenrechten unterschieden werden, welche die Rechte einer Gruppe mit bestimmten
ethnischen, religiösen oder sprachlichen
Merkmalen darstellen. Allein oder in der Gemeinschaft der Gruppe haben die Mitglieder
das Menschenrecht auf den Genuss ihrer
eigenen Kultur, sich zu ihrer eigenen Religion zu bekennen und diese auszuüben oder
ihre eigene Sprache zu verwenden (Art. 27
IPWSKR). Speziellere Regeln sind in der
Deklaration der Vereinten Nationen über
Minderheiten von 1993 sowie in den europäischen regionalen Menschenrechtsinstrumenten enthalten.
Besondere Aufmerksamkeit haben die Menschenrechte von indigenen Völkern erfahren.
Seit 1982 diskutierte eine UNO-Arbeitsgruppe
zu indigenen Völkern Wege und Mittel zur
Förderung und zum Schutz ihrer Menschenrechte, besonders in Bezug auf ihre spezielle
Beziehung zu Grund und Boden. Im Jahr 2007
wurde schließlich eine Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte der indigenen
Völker verabschiedet.
Schon 1989 nahm die IAO das „Übereinkommen Nr. 169 über eingeborene und in
Stämmen lebende Völker in unabhängigen
Ländern“ an. 2001 wurde ein UNO-Sonderberichterstatter für die Menschenrechte und
Grundfreiheiten indigener Völker ernannt.
Einer Empfehlung der Wiener Weltkonferenz
über Menschenrechte 1993 folgend wurde
ein „Ständiges Forum für indigene Angelegenheiten“ als ein Unterorgan des ECOSOC
eingerichtet, das 2002 das erste Mal zusammentrat. Auch die Afrikanische Kommission
für die Rechte des Menschen und der Völker
hat eine Arbeitsgruppe zu indigenen Völkern
eingerichtet.
Die im Rahmen der UNESCO abgeschlossenen
Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen
von 2005 und über den Schutz des immateriellen kulturellen Erbes von 2003 ergänzen die
Menschen- und Minderheitenrechte hinsichtlich der Erhaltung der kulturellen Identität.
Das Konzept der Menschenrechte wird heute
weltweit geteilt und bildet so eine Basis für die
Internationale Staatengemeinschaft, internationale Organisationen und soziale Bewegungen
sowie NGOs, die alle Mitglieder der Internationalen Gemeinschaft sind. Menschenrechte
können auch ein Mittel zum sozialen Wandel
auf nationaler oder regionaler Ebene sein. Insofern sind die Menschenrechte eng mit dem
Konzept der Demokratie verbunden.
Demokratie
41
42
einführung
Die Voraussetzungen der Europäischen Union
und des Europarates für die Zulassung neuer
Mitglieder weisen in dieselbe Richtung. Letztlich hängt es aber vom Wissen und Verständnis über Menschenrechte durch die Menschen
selbst und deren Bereitschaft ab, diese als Instrument des sozialen Wandels einzusetzen,
damit Menschenrechte ihre Transformationswirkung entfalten können.
Das traditionelle Konzept der Menschenrechte
wurde von FrauenrechtlerInnen kritisiert, da
es die Geschlechtergleichheit nur unzulänglich
und ohne Feingefühl behandelt. Die Weltfrauenkonferenzen und die Ausarbeitung der UNOKonvention zur Beseitigung jeder Form von
Diskriminierung der Frau haben unter anderem zu einem geschlechtergerechteren Ansatz
der Menschenrechte der Frau beigetragen.
Dieser findet sich auch in der UNO-Erklärung
zur Gewalt gegen Frauen von 1993 und in dem
Zusatzprotokoll zur Afrikanischen Charta der
Rechte der Menschen und Völker über die
Rechte der Frau wieder. Die Menschenrechtsinstrumente stehen für ein neues soziales und
politisches Konzept, in dem Frauen erstmals
rechtlich als gleichwertig anerkannt werden.
Die immer wiederkehrenden Debatten über
die Priorität einzelner Rechte und über Universalität versus Kulturrelativismus waren
Thema von zwei Weltkonferenzen über Menschenrechte, die in Teheran und Wien stattfanden. Einige Staaten argumentieren auf Grund
ihrer historischen, religiösen und kulturellen
Besonderheiten dafür, dass bestimmte Menschenrechte für sie nicht gleichermaßen wie
für andere gelten. Dazu stellte die Konferenz in
Teheran im Jahr 1968 klar, dass alle Menschenrechte unteilbar sind und einander bedingen.
Obwohl der kulturelle Kontext in Betracht gezogen werden muss, können kulturelle oder
religiöse Unterschiede nicht als Entschuldigung für die Nichtdurchsetzung von Menschenrechtsstandards dienen. Der aktuell von
den Vereinten Nationen geführte Dialog der
Kulturen hat den Zweck, die Verschiedenheit
der Kulturen als positiv anzuerkennen, ohne
damit aber eine Entschuldigung für die Nichteinhaltung der Verpflichtungen zu liefern.
Eines der strittigsten Themen ist die Position
der Frau in bestimmten Kulturkreisen, die bedeutende Menschenrechtsverletzungen zur
Folge haben kann, was Gegenstand jedes Dialoges sein muss.
Die Konferenz in Wien im Jahr 1993 kam übereinstimmend zu folgendem Schluss:
“Während die nationalen und regionalen Besonderheiten sowie unterschiedliche historische, kulturelle und religiöse Hintergründe
berücksichtigt werden müssen, ist es die Pflicht der Staaten, unabhängig
von ihren politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Systemen, alle
Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern und zu schützen.“
Wiener Erklärung und Aktionsprogramm. 1993.
einführung
E.Universelle Menschen-
rechtsstandards
Die jüngere Geschichte der Setzung von Standards auf globaler Ebene begann mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
(AEMR), die im Gefolge des Zweiten Weltkriegs mit den schwersten Menschenrechtsverletzungen aller Zeiten am 10. Dezember 1948
als Resolution der Generalversammlung der
Vereinten Nationen verabschiedet wurde. Einen
Tag vor der AEMR war die „Konvention über
die Prävention und Bestrafung des Verbrechens
des Völkermordes“ verabschiedet worden, als
erstes Rechtsinstrument gegen Völkermord wie
jenem, der während des Holocaust an Jüdinnen und Juden verübt worden war.
Um die Bestimmungen der AEMR in gesetzlich
verbindliche Verpflichtungen zu übertragen,
erarbeitete die UNO-Menschenrechtskommission zwei Pakte, einen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR)
und einen über bürgerliche und politische
(IPBPR). Wegen des Kalten Krieges wurden
sie erst im Jahr 1966 verabschiedet und traten
1976 in Kraft. Am 1. Juli 2008 hatten sie 159
bzw. 162 Vertragsparteien. Der IPWSKR wurde zuerst verabschiedet, ein Hinweis auf die
Bevorzugung der wirtschaftlichen, sozialen
und kulturellen Rechte durch die damals neue
Mehrheit der sozialistischen und Entwicklungsländer in den Vereinten Nationen.
Die AEMR und die beiden Pakte werden zusammen als die internationale „Bill of Rights“
bezeichnet. Sie wurde durch eine Reihe weiterer Konventionen ergänzt.
In den Sechzigerjahren des 20. Jahrhunderts
trat der Kampf gegen „Rassen“diskriminierung
und Apartheid in den Vordergrund, was zwei
Konventionen, gegen „Rassen“diskrimi­nier­
ung und die Unterdrückung des Verbrechens
der Apartheid, zur Folge hatte. Weiters wurden Konventionen zur Beseitigung aller Formen der Diskriminierung der Frau, gegen
Folter und andere grausame, unmenschliche
und erniedrigende Behandlung oder Strafe,
über die Rechte des Kindes, über die Rechte
und Würde von Menschen mit Behinderungen und zum Schutz aller Personen vor dem
Verschwindenlassen verabschiedet. Diese
Konventionen erläutern und spezifizieren die
Bestimmungen der Pakte oder widmen den Bedürfnissen bestimmter Zielgruppen besondere
Aufmerksamkeit. Im Falle der Frauenkonvention aus dem Jahr 1979 gewann das Problem
der Vorbehalte – ein generelles Problem von
Menschenrechtsabkommen – besondere Bedeutung, da eine Anzahl von Ländern auf diesem Weg die grundlegenden Menschenrechte
der Frauen einzuschränken versuchte.
Überblick über die wichtigsten
UNO-Menschenrechtskonventionen
• Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (1948 – Resolution)
• Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
(1966)
• Internationaler Pakt über bürgerliche
und politische Rechte (1966)
• Konvention über die Verhütung und
Bestrafung des Verbrechens des Völkermordes (1948)
• Internationale Konvention über die
Beseitigung aller Formen rassischer
43
44
einführung
•
•
•
•
Diskriminierung (1965)
Konvention über die Beseitigung aller
Formen der Diskriminierung der Frau
(1979)
Konvention gegen Folter und andere
grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe
(1984)
Konvention über die Rechte des Kindes (1989)
Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung (2006)
Gemäß dem Prinzip der Nichtdiskriminierung müssen Staaten innerhalb ihres Territoriums alle Menschenrechte ohne jegliche
Diskriminierung aufgrund von „Rasse“ oder
ethnischer Herkunft, Hautfarbe, Geschlecht,
Sprache, Religion, politischer oder anderer
Einstellung, nationaler oder sozialer Herkunft,
Vermögen, Geburt oder sonstigem Status achten und sie für alle Personen gewährleisten
(Art. 2, Zivilpakt und Sozialpakt).
Es gibt allerdings auch die Möglichkeit von
Ausnahmen und den Gebrauch von Vorbehaltsklauseln. Sollte ein öffentlicher Notstand
sein Bestehen bedrohen, kann ein Staat seine
menschenrechtlichen Verpflichtungen einschränken. Voraussetzung dafür ist, dass der
Ausnahmezustand offiziell verhängt wurde
und die Maßnahmen strikt innerhalb des von
der Situation gebotenen Rahmens bleiben. Das
Prinzip der Nichtdiskriminierung darf durch
die Maßnahmen nicht verletzt werden (Art. 4
(1), Zivilpakt). Die anderen Vertragsparteien
sind über den Generalsekretär der Vereinten
Nationen zu informieren.
Keinesfalls eingeschränkt werden dürfen sog.
„notstandsfeste Rechte“, wie das Recht auf Leben, das Verbot von Folter und Sklaverei, das
Rückwirkungsverbot für Strafrechtsnormen
oder das Recht auf Gedanken-, Gewissensund Religionsfreiheit (Art. 4 (2), Zivilpakt).
Notstandsbestimmungen haben im Kampf
gegen den Terrorismus größere Bedeutung
gewonnen und sind auch in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthalten
(Art. 15). Der UNO-Ausschuss für bürgerliche
und politische Rechte erläuterte die Verpflichtungen des Staates in einer Allgemeinen Anmerkung (Nr. 29 von 2001) über „Staaten im
Ausnahmezustand“ (Art. 4). Weiters haben
die Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission sowie der Leitungsausschuss für
Menschenrechte des Europarats einen Bericht
und Richtlinien in Bezug auf „Terrorismus
und Menschenrechte“ verabschiedet.
Bestimmte Rechte können so genannte „Vorbehaltsklauseln“ enthalten, welche ihre
Einschränkung erlauben, wenn dies für die
nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung,
Gesundheit oder Moral oder die Rechte und
Freiheiten anderer „notwendig“ ist. Eine solche Möglichkeit existiert etwa in Bezug auf
die Bewegungsfreiheit in einem Land und
das Recht, jedes Land einschließlich seines
eigenen zu verlassen, die Bekundung der
Freiheit der Religion oder Weltanschauung,
das Recht auf freie Meinungsäußerung sowie
die Versammlungs- und die Vereinigungsfreiheit. Einschränkungen müssen gesetzlich
vorgesehen sein, was bedeutet, dass sie vom
Parlament verabschiedet werden müssen. Institutionen, wie zum Beispiel Gerichte, welche
die entsprechenden Gesetze auslegen, haben
die Verpflichtung, jeglichen Missbrauch dieser Bestimmungen zu kontrollieren. So wurden einige Fälle hinsichtlich der Anwendung
von Notstandsgesetzen oder Vorbehaltsklauseln vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und der Inter-Amerikanischen
Menschenrechtskommission bzw. dem Gerichtshof überprüft.
einführung
F.Umsetzung universeller Menschenrechtsstandards
Staaten haben die Pflicht, Menschenrechte
zu achten, zu schützen und zu erfüllen. In
vielen Fällen bedeutet Umsetzung, dass der
Staat und seine Behörden anerkannte Rechte,
wie zum Beispiel das Recht auf Privatleben
oder auf Meinungsfreiheit, respektieren müssen. Dies gilt vor allem für die bürgerlichen
und politischen Rechte, während die Umsetzung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller
Rechte bedeutet, dass der Staat Aktivitäten
setzen muss, zum Beispiel bestimmte Dienstleistungen wie Gesundheitsversorgung oder
Bildung garantiert und gewisse Mindeststandards erfüllt. In diesem Zusammenhang muss
allerdings auch die Leistungsfähigkeit eines
Staates berücksichtigt werden. Beispielsweise enthält Art. 13 IPWSKR das Recht jeder
Person auf Bildung, schränkt jedoch gleichzeitig ein, dass nur die Grundschulbildung
kostenlos sein muss. Höhere Schulbildung
und Hochschulbildung müssen zwar generell
verfügbar und für alle zugänglich sein, aber
nicht kostenlos – dies sollte erst schrittweise
eingeführt werden. Das Konzept der graduellen Verwirklichung je nach Leistungsfähigkeit
des Staates ist auf etliche wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte anzuwenden.
Die Schutzpflicht verlangt vom Staat, Gewalt
und andere Menschenrechtsverletzungen
durch den Staat sowie zwischen den Menschen auf seinem Territorium zu verhindern.
Demzufolge haben Menschenrechte auch
eine horizontale Dimension, die gerade im
Zeitalter der Globalisierung an Bedeutung
gewinnt, indem sie zum Beispiel die soziale
Verantwortung transnationaler Unternehmen
zum Thema macht.
Eine weitere Entwicklung ist die zunehmende Betonung der Prävention von
Menschenrechtsverletzungen durch Strukturmaßnahmen, zum Beispiel durch nationale Menschenrechtsinstitutionen oder die
Berücksichti­gung der Menschenrechtsdimension in friedenserhaltenden Einsätzen. Das
Ziel der Prävention hat auch im Themenbereich von Menschenrechten und Menschlicher
Sicherheit Vorrang.
Menschenrechte und Menschliche
Sicherheit
Menschenrechte müssen in erster Linie auf nationaler Ebene umgesetzt werden. Allerdings
kann es dabei Hindernisse wie Mängel einer
verantwortlichen Regierungsführung (good
governance) geben, etwa durch eine korrupte
oder ineffiziente Verwaltung oder Gerichtsbarkeit. Um sicherzustellen, dass der Staat seinen
Verpflichtungen nachkommt, enthalten die
meisten internationalen Menschenrechtskonventionen ein Überprüfungsverfahren in Form
eines internationalen Monitoring. Dieses
kann verschiedene Formen annehmen.
So sehen die meisten internationalen Konventionen Berichtssysteme vor. Dementsprechend müssen Staaten in regelmäßigen
Abständen über ihre Aktivitäten zum Menschenrechtsschutz Bericht erstatten. Üblicher­
weise überprüft ein ExpertInnenkomitee die
Berichte und verfasst Empfehlungen zur besseren Umsetzung. Das Komitee kann auch
Allgemeine Anmerkungen zur richtigen Interpretation der Konvention machen. Unter
bestimmten Umständen, beispielsweise in
Bezug auf den Internationalen Pakt über bür-
45
46
einführung
gerliche und politische Rechte, wird der Ausschuss für bürgerliche und politische Rechte
über ein Fakultativprotokoll autorisiert, Individualbeschwerden von Einzelpersonen über
vermeintliche Verletzungen ihrer Menschenrechte zu behandeln. Dies gilt allerdings nur
für BürgerInnen jener 111 Staaten, die das
Fakultativprotokoll ratifiziert haben (Stand 1.
Juli 2008). Einige Konventionen treffen auch
Vorkehrungen für zwischenstaatliche Beschwerden. Diese Möglichkeit wird jedoch
nur selten genützt. Ein Gerichtsverfahren ist
nur im Fall der Europäischen und der InterAmerikanischen Menschenrechtskonvention
möglich, wobei Urteile des Europäischen und
des Inter-Amerikanischen Gerichtshofs für
Menschenrechte für die betroffenen Staaten
verbindlich sind. Nach dem 2003 erfolgten
Inkrafttreten seines Statuts wurde auch ein
Afrikanischer Gerichtshof für die Rechte des
Menschen und der Völker eingerichtet.
Neben den Verfahren, die in Menschenrechtsinstrumenten wie den Menschenrechtskonventionen vorgesehen sind, gibt es auch
Verfahren auf Grundlage der Charta oder
Sonderverfahren, die auf der Basis der Charta der Vereinten Nationen entwickelt wurden,
um weltweit gegen Menschenrechtsverletzungen vorgehen zu können. Eines davon ist das
vertrauliche 1503-Verfahren auf der Grundlage der ECOSOC-Resolutionen 1503 von 1970
bzw. 2000/3 von 2000, das es ermöglicht, Petitionen an das Büro der UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte in Genf zu schicken,
wo sie dann von einer ExpertInnengruppe des
Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen
überprüft werden. Dieses Verfahren zielt vor
allem auf gravierende Menschenrechtsverletzungen ab. Als Ergebnis kann die Situation
in einem bestimmten Land vom Menschenrechtsrat erörtert werden.
In der Arbeit der von 1947-2006 tätigen Menschenrechtskommission und ihrer Unterkommission gewannen Sonderverfahren
– das sind Aktivitäten von SonderberichterstatterInnen und SondervertreterInnen der
Menschenrechtskommission oder des UNOGeneralsekretärs – zunehmend an Bedeutung.
Aus diesem Grund gibt es sowohl LänderberichterstatterInnen als auch thematische
BerichterstatterInnen, wie zum Beispiel die
SonderberichterstatterInnen bzw. unabhängigen ExpertInnen für die Menschenrechte
im Sudan, in Haiti und Myanmar sowie der
demokratischen Republik Kongo und die SonderberichterstatterInnen über Folter oder Gewalt gegen Frauen. Insgesamt gibt es über 40
solcher spezieller Institutionen, die in ihrem
länder- oder themenbezogenen Arbeitsbereich
Informationen sammeln und jährliche Berichte vorlegen. Sie spiegeln die gesteigerten Aktivitäten der Vereinten Nationen im Bereich der
Menschenrechte wider und sorgen auch in jenen Fällen, wo keine Durchführungsmaßnahmen vorgesehen sind oder diesen die Effizienz
fehlt, für Nachhaltigkeit und Überwachung.
Beispiele hiefür finden sich in der Deklaration über MenschenrechtsverteidigerInnen von
1998 oder im Fall einiger wirtschaftlicher und
sozialer Rechte, zum Beispiel der Menschenrechte auf Bildung, Nahrung, angemessene
Wohnversorgung, Gesundheit und Strukturanpassungsmaßnahmen. Darüber hinaus gibt es
auch unabhängige ExpertInnen für Themen,
wie zum Beispiel zum Recht auf Entwicklung,
und Arbeitsgruppen, zum Beispiel zum erzwungenen Verschwinden von Menschen.
Als Teil der Reform der Vereinten Nationen
wurde im Jahr 2006 ein Menschenrechtsrat
eingerichtet, der alle Aufgaben der Menschenrechtskommission übernommen hat und direkt
der Generalversammlung der Vereinten Natio-
einführung
nen berichtet. Der Menschenrechtsrat (MRR)
soll die Effizienz des Menschenrechtssystems
der Vereinten Nationen verbessern. Zu diesem
Zweck wurde die Zahl der Sessionen auf drei
pro Jahr erhöht und dem Menschenrechtsrat
die Aufgabe übertragen, die Situation der Menschenrechte in allen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen regelmäßig auf Grundlage der
AEMR und der ratifizierten Menschenrechtsverträge zu überprüfen (Universal Periodic
Review). Beschwerden aufgrund des 1503-Verfahrens werden durch zwei Ausschüsse (für
Mitteilungen und für Situationen) behandelt,
bevor sie an den Menschenrechtsrat gehen.
Der Menschenrechtsrat kann durch Sondersitzungen
rascher
auf
gravierende
Menschenrechtsprobleme reagieren. Die Unterkommission für Menschenrechte wurde
durch einen „Beratungsausschuss für Menschenrechte“ ersetzt, der dem MRR zuarbeiten soll. Die Sonderverfahren werden nach
Überprüfung fortgeführt. Die ersten Erfahrungen mit dem MRR waren gemischt, da zwar
die Intensität der Sitzungen zunahm, aber
die Mehrheit der Entwicklungsländer, vor allem die islamischen Länder, ihre Prioritäten
eher in den besetzten Gebieten Palästinas als
im am Rande eines Völkermordes stehenden
Sudan sahen und auch die Mandate einzelner Länderberichterstatter, etwa zu Kuba und
Weißrussland, nicht fortgeführt wurden.
Zusätzlich errichtete das UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte Missionen in
Ländern mit einer problematischen Menschenrechtssituation, etwa Afghanistan, Bosnien
und Herzegowina, Kambodscha, Kolumbien,
Guatemala, Haiti, Kosovo, Sierra Leone, Sudan
etc. Sie sammeln Informationen und fördern
die Menschenrechte, beispielsweise durch
Beratung bei Gesetzesreformen oder durch
Teilnahme an der Arbeit der Internationalen
Gemeinschaft. Sie sind in der Regel nicht auf
Dauer vorgesehen.
Die Aktivitäten dieser Spezialinstitutionen
dienen sowohl Schutz- als auch Förderzwecken. Sie fördern das Bewusstsein für Menschenrechte und deren Berücksichtigung in
allen Aktivitäten, um die gefundenen Lösungen sicher im Boden der Menschenrechte zu
verankern. Tatsächlich ist die Förderung der
Menschenrechte aber eine weitaus größere
Aufgabe, die internationale Institutionen und
Organisationen nicht alleine erfüllen können.
Menschenrechtsförderung bedeutet zuallererst, Menschen mit ihren Rechten bekannt
zu machen, das Bewusstsein für diese zu
wecken und Menschen den Gebrauch ihrer
Menschenrechte zu lehren. Zu diesem Zweck
können verschiedene AkteurInnen, wie zum
Beispiel Universitäten, das Bildungswesen im
Allgemeinen, aber auch Nichtregierungsorganisationen (NGOs), eingebunden werden.
Auf nationaler Ebene empfahlen die Vereinten Nationen mit GV-Res. 48/134 (1993)
die Einrichtung von nationalen Institutionen
zur Förderung und zum Schutz von Menschenrechten, wie zum Beispiel nationale
Menschenrechtskommissionen oder Ombudspersonen. Zu diesem Zweck verabschiedete
die UNO-Generalversammlung eine Reihe
von Prinzipien hinsichtlich Kompetenz und
Verantwortung, Garantien für Unabhängigkeit
und Pluralität sowie Arbeitsmethoden.
47
48
einführung
G.Menschenrechte
und Zivilgesellschaft
Für die Entwicklung des Menschenrechtssystems war der Einfluss der Zivilgesellschaft,
vertreten vor allem durch NGOs, von entscheidender Bedeutung. Rechtsgrundlage von
NGOs ist die Versammlungsfreiheit, geschützt
durch Art. 22 IPBPR. In den Vereinten Nationen bilden sie eine Art „Weltgewissen“. Oft
verfolgen sie spezifische Schutzinteressen,
wie zum Beispiel den Schutz der Meinungsäußerungs- oder Medienfreiheit (Article
19-Kampagne) oder die Verhütung von Folter
und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Association for the Prevention of
Torture, APT). NGOs wie Amnesty International setzen Regierungen mit Sonderverfahren
wie zum Beispiel dringlichen Handlungsaufrufen unter Druck. Die Strategie der “Mobilisierung von Schande“ kann, vor allem mit
Unterstützung unabhängiger Medien, sehr
effektiv sein. NGOs wie die Internationale
Helsinki-Föderation (IHF), die International Crisis Group (ICG) oder Human Rights
Watch beeinflussen Regierungen und die Internationale Gemeinschaft durch qualitativ
hochwertige Berichte auf der Basis von Untersuchungen und Überwachung. Ein weiteres
effektives Mittel von NGOs ist die Erstellung
von Schattenberichten parallel zu den offiziellen staatlichen Berichten an internationale
Monitoringinstitutionen.
Gemäß einer Resolution der UNO-Generalversammlung aus dem Jahr 1998, der Deklaration über MenschenrechtsverteidigerInnen,
müssen Einzelpersonen und NGOs, welche
für die Menschenrechte arbeiten, in ihrer Tätigkeit frei und unbehindert sein und vor jeder
Verfolgung geschützt werden. In einigen Staa-
ten waren Organisationen wie Amnesty International oder Helsinki-Komitees aufgrund
ihrer Arbeit Kritik und in einigen Fällen sogar
Verfolgung ausgesetzt. Weltweit gibt es zahlreiche Fälle, in denen MenschenrechtsaktivistInnen wegen ihrer legitimen Arbeit inhaftiert
wurden. Der Staat hat die Verpflichtung, diese
AktivistInnen nicht nur vor seinen eigenen RepräsentantInnen wie der Polizei, sondern auch
vor gewalttätigen Gruppen wie Todesschwadronen zu schützen. Der UNO-Generalsekretär
hat im Jahr 2000 eine Sonderbeauftragte für
die Lage von MenschenrechtsverteidigerInnen
ernannt, um die Durchsetzung dieser UNODeklaration zu unterstützen.
NGOs spielen auch für Menschenrechtsbildung und -lernen eine wesentliche
Rolle, indem sie, oft in Kooperation mit den
Vereinten Nationen, der UNESCO, dem Europarat oder anderen zwischenstaatlichen
Institutionen, Lehrpläne entwickeln, Unterrichtsmaterialien produzieren und Trainingsprogramme organisieren. Auf globaler
Ebene konzentriert sich People’s Movement
for Human Rights Learning (PDHRE), die
Initiatorin der UNO-Dekade der Menschenrechtsbildung, auf die Länder des Südens, wo
sie beispielsweise in Indien, Argentinien, Mali
und Ghana die Schaffung von Institutionen
zur Menschenrechtsbildung ermöglichte. Auf
dem Gebiet der Schulungen gegen Rassismus
und Diskriminierung ist die Anti-Defamation
League (ADL) weltweit aktiv.
Besondere Bedeutung gewannen Netzwerke
von NGOs im Kampf um die Gleichberechti-
einführung
gung von Frauen. Bei UNIFEM, CLADEM oder
WIDE hat jeweils Menschenrechtsbildung und
-lernen höchste Priorität, um Frauen bei der
Überwindung von Hindernissen auf dem Weg
zu voller Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung zu unterstützen. In Afrika treffen
sich NGOs regelmäßig vor den Sessionen der
Afrikanischen Kommission für die Rechte des
Menschen und der Völker, nehmen an den
öffentlichen Sitzungen teil und organisieren
gemeinsame Trainingsaktivitäten. Die österreichische NGO Europäisches Trainings- und
Forschungszentrum für Menschenrechte und
Demokratie (ETC) kooperiert bei der Organisation von lokalen und regionalen Programmen
zur Menschenrechtsbildung mit Menschenrechtszentren in Südosteuropa und organisiert
unter anderem eine Internationale Sommerakademie zu Menschenrechten und Menschlicher Sicherheit. Das Balkan Human Rights
Network (BHRN) ist eine Vereinigung von
Menschenrechts-NGOs zum Zweck des Informationsaustausches und gemeinsamer Aktivitäten, die auch ein Jahrbuch herausgibt.
„Zivilgesellschaftliche
Organisationen
helfen die Stimme der wirtschaftlich
und politisch Machtlosen zu verstärken.
Durch themenspezifische Kampagnen in
Bezug auf fairen Handel, Gewalt gegen
Frauen, Menschenrechte und Umweltsünden, um nur wenige zu nennen, hat
die internationale Zivilgesellschaft die
Welt auf Bedrohungen der Menschlichen
Sicherheit aufmerksam gemacht. NGOs
können eine Reihe von Organisationen
der Zivilgesellschaft in ihren Ländern befähigen und mobilisieren, durch eine auf
Rechte bezogene Bildung die Beteiligung
der BürgerInnen an den wirtschaftlichen
und politischen Prozessen zu stärken und
dafür zu sorgen, dass die institutionellen
Abmachungen den Bedürfnissen der
Menschen entsprechen.“ (Übersetzung)
Commission on Human Security.
2003. Human Security Now. Abs. 88.
H.Regionale Systeme des
Menschenrechtsschutzes und der Förderung von
Menschenrechten
Zusätzlich zu den universellen Instrumenten
des Menschenrechtsschutzes wurden etliche
regionale Schutzsysteme entwickelt, welche im Allgemeinen einen höheren Standard
in Bezug auf die Menschenrechte und ihre
Durchsetzung bieten.
Der Vorteil regionaler Systeme ist ihre Fähigkeit, Klagen effizienter zu behandeln. Gerichte können rechtskräftige Entscheidungen mit
Entschädigungszahlungen fällen, und auch
Empfehlungen von Menschenrechtskommissionen werden von den Staaten üblicherweise
ernst genommen. Das Resultat von Urteilen
49
50
einführung
und Empfehlungen ist nicht nur die Schaffung
von „Präzedenzfällen“, welche die Bestimmungen von Menschenrechtsinstrumenten
interpretieren und erläutern, sondern hat
auch Änderungen der nationalen Gesetzgebung zur besseren Konformität mit internationalen menschenrechtlichen Verpflichtungen
zum Ziel. Zusätzlich tendieren regionale Systeme zu mehr Sensibilität in kulturellen und
religiösen Fragen, wo diese berechtigt sind.
I. Europa
Das europäische Menschenrechtssystem besteht aus drei Schichten: dem System des
Europarats (2008: 47 Mitglieder), der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in
Europa (2008: 56 Mitglieder) und der Europäischen Union (2008: 27 Mitglieder).
Das europäische Menschenrechtssystem als
das am besten ausgearbeitete regionale System wurde als Reaktion auf die massiven Menschenrechtsverletzungen im Zweiten Weltkrieg
entwickelt, mit Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und pluralistischer Demokratie als
Ecksteinen der europäischen Rechtsordnung.
Europäische
Menschenrechtsinstrumente
• Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK, 1950) und 14
Zusatzprotokolle
• Europäische Sozialcharta (1961), revidiert 1991 und 1996 und Zusatzprotokolle 1988 und 1995
• Europäische Konvention zur Verhütung der Folter und unmenschlicher
oder erniedrigender Behandlung oder
Strafe (1987)
• Helsinki-Schlussakte (1975) und
Folgeprozess der KSZE/OSZE sowie
Pariser Charta für ein neues Europa
(1990)
• Europäische Charta für Regional- und
Minderheitensprachen (1992)
• Europäisches Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten (1994)
• Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2000)
1.Das Menschenrechtssystem des Europarats
Überblick
Das Hauptinstrument ist die Europäische
Menschenrechtskonvention (EMRK) aus
dem Jahr 1950 mit ihren 14 Zusatzprotokollen.
Hervorzuheben sind die Zusatzprotokolle Nr.
6 and Nr. 13 über die Abschaffung der Todesstrafe, die den europäischen Zugang zu den
Menschenrechten von jenem der Vereinigten
Staaten unterscheiden, und die Zusatzprotokolle Nr. 11 und Nr. 14, die die Europäische
Menschenrechtskommission und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
durch einen permanenten Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ersetzten und
sein Verfahren beschleunigten, wobei Nr. 14
nur mangels Ratifikation durch Russland noch
nicht in Kraft treten konnte. Die Europäische
Menschenrechtskonvention umfasst vor allem bürgerliche und politische Rechte, enthält
aber auch das Recht auf Bildung.
Die Europäische Sozialcharta aus dem Jahr
1961 sollte die wirtschaftlichen und sozialen
Rechte hinzufügen, gewann aber mangels
Zuständigkeit des Gerichtshofes nie dieselbe
Bedeutung wie die Europäische Menschenrechtskonvention. Von Anfang an litt sie an
einführung
dem schwachen und ineffizienten System ihrer Umsetzung. Parallel zu der auf universeller
Ebene wachsenden Bedeutung der wirtschaftlichen und sozialen Rechte seit den späten
Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts fand die
Europäische Sozialcharta jedoch neue Aufmerksamkeit. Sie wurde in den Jahren 1988
und 1995 ergänzt und bietet auf der Basis eines Zusatzprotokolls nun auch die Möglichkeit von Sammelklagen.
Eine bedeutende Innovation bildete die Europäische Konvention für die Verhütung der
Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe aus dem
Jahr 1987, mit der das Europäische Komitee
für die Verhütung der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder
Strafe eingerichtet wurde. Das Komitee beauftragt Delegationen mit regelmäßigen oder
außertourlichen („Ad hoc-“) Besuchen von
Haftanstalten, Anhaltezentren und psychiatrischen Kliniken in allen Mitgliedsstaaten der
Konvention. Demzufolge ist die Logik des Systems ein präventiver Effekt im Gegensatz zu
dem ex post facto-Schutz, der nach wie vor
von der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem Gerichtshof wahrgenommen
wird. Im Dezember 2002 verabschiedete die
Generalversammlung der Vereinten Nationen
ein Fakultativprotokoll zur UNO-Konvention
gegen Folter, das einen ähnlichen Mechanismus weltweit vorsieht und 2006 in Kraft getreten ist.
Verbot der Folter
Das Europäische Rahmenübereinkommen
zum Schutz nationaler Minderheiten (1995)
wurde als Reaktion auf die steigenden Probleme mit Minderheitenrechten in Europa
nach dem Gipfeltreffen des Europarates 1993
in Wien ausgearbeitet. Diese Probleme sind
ein Ergebnis der Auflösung der Sowjetunion und der Sozialistischen Bundesrepublik
Jugoslawien, allgemeiner gesehen des Prozesses der Selbstbestimmung im Europa der
Neunzigerjahre des 20. Jahrhunderts. Gemäß
der Konvention haben Staaten die Pflicht, die
individuellen Rechte von Mitgliedern nationaler Minderheiten zu schützen, aber auch
für Bedingungen zu sorgen, welche es den
Minderheiten erlauben, ihre Kultur und Identität zu wahren und weiterzuentwickeln. Der
Durchsetzungsmechanismus beschränkt sich
allerdings auf ein Berichtssystem und einen
beratenden ExpertInnenausschuss, welcher
die Berichte prüft und auch Missionen vor Ort
durchführt.
Die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI)
ECRI wurde durch den Wiener Europaratsgipfel 2003 ins Leben gerufen, um die Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit,
Antisemitismus und Intoleranz zu verstärken.
Zu diesem Zweck erarbeitet die Kommission
in Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten Berichte über die Situation in diesem Bereich und gibt allgemeine Empfehlungen. Ein
Schwerpunkt ist die Einbindung der Zivilgesellschaft in den Kampf gegen Rassismus und
Intoleranz sowie die Vertiefung des interkulturellen Dialogs.
Der Europarat richtete im Jahr 1999 auch ein
Menschenrechtskommissariat ein, das unter
anderem Länderbesuche durchführt und über
seine Aktivitäten in jährlichen Berichten Rechenschaft ablegt. Darüber hinaus überwacht
ein dem MinisterInnenrat unterstelltes vertrauliches Monitoringsystem die Praxis der
Mitgliedsstaaten auf verschiedenen Gebieten
der Menschenrechte auf der Basis von Berichten, die das Sekretariat vorlegt.
51
52
einführung
Europäische Menschenrechtsinstitutionen
Europarat:
• Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (als ständiger Gerichtshof seit 1998)
• Europäisches Komitee für Soziale
Rechte (revidiert 1999)
• Europäisches Komitee für die Verhütung der Folter und unmenschlicher
oder erniedrigender Behandlung oder
Strafe (CPT, 1989)
• Beratungskomitee des Rahmenübereinkommens für den Schutz nationaler Minderheiten (1998)
• Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI, 1993)
• Europäische/r KommissarIn für Menschenrechte (1999)
• MinisterInnenkomitee des Europarats
OSZE:
• Büro für Demokratische Institutionen
und Menschenrechte (ODIHR, 1990)
• HochkommissarIn für Nationale Minderheiten (OSZE, 1992)
• Beauftragte/r für Medienfreiheit
(OSZE, 1997)
Europäische Union:
• Europäischer Gerichtshof
• Grundrechteagentur der EU (FRA,
2007), aufbauend auf der Europäischen Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit
(EUMC, 1998)
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
Das Hauptinstrument des Menschenrechtsschutzes in Europa ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg,
dessen bindende Rechtsprechung heute von
allen Mitgliedsstaaten des Europarates anerkannt wird. Bei jedem Fall wird ein/e so
genannte/r nationale/r RichterIn beigezogen,
um das Verständnis der nationalen Rechtsordnung zu erleichtern. Einmal ernannte RichterInnen üben ihr auf neun Jahre begrenztes
Amt allerdings nur in ihrer persönlichen
Funktion aus.
Für die Zulässigkeit einer Klage müssen vier
wesentliche Vorbedingungen erfüllt sein:
a.Verletzung eines Rechts, das durch die EMRK
und ihre Zusatzprotokolle geschützt ist.
b.Die KlägerInnen sind Opfer dieser Rechtsverletzung.
c.Alle nationalen Rechtsmittel sind ausgeschöpft.
d.Die Klage muss innerhalb von sechs Monaten nach Ausschöpfen der nationalen
Rechtsmittel eingebracht werden.
Wenn die Klage zugelassen wird, entscheidet
eine Kammer von sieben RichterInnen über
den sachlichen Gehalt des Falles. Ihr Urteil
ist endgültig, außer der Fall wird als von besonderer Wichtigkeit oder als neue Linie der
Rechtsprechung angesehen. In diesem Fall
entscheidet eine Berufungskammer von 17
RichterInnen endgültig. Die Urteile sind bindend und können auch Schadenersatz vorsehen. Das MinisterInnenkomitee überwacht die
Vollstreckung der Urteile. Das Hauptproblem
dieses Systems ist die große Zahl eingebrachter Klagen, die von etwa 1.000 im Jahr 1998
auf mehr als 50.000 im Jahr 2007 angestiegen
ist und somit das System überlastet. Dem sollte das 14. Zusatzprotokoll durch verschiedene
einführung
2.Das Menschenrechtssystem der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE)
Die OSZE, die im Jahr 1994 die 19 Jahre zuvor in Helsinki ins Leben gerufene „Konferenz
für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ ersetzte, weist einige Besonderheiten auf.
Sie besitzt weder eine verbindliche rechtliche
Basis noch eine internationale Rechtspersönlichkeit, ihre Deklarationen und Empfehlungen sind politischer Natur und für Staaten
juristisch nicht verbindlich. Nichtsdestotrotz
stellen die oft sehr detaillierten Verpflichtungskataloge, die in verschiedenen Nachfolgekonferenzen oder ExpertInnentreffen beschlossen
wurden und durch den Delegiertenrat der
Mitgliedsstaaten überwacht werden, ebenso
wie die regelmäßigen Nachfolgekonferenzen
einen ziemlich erfolgreichen Monitoringmechanismus dar. Der sog. „Helsinki-Prozess“
spielte eine wesentliche Rolle im Aufbau der
Zusammenarbeit zwischen Ost und West
während des Kalten Krieges und bildete die
Kooperationsbasis für heute 55 Länder zuzüglich USA und Kanada.
Unter dem Titel der Menschlichen Dimension
unternimmt die OSZE zahlreiche Aktivitäten
auf dem Gebiet der Menschenrechte im Allgemeinen und der Minderheitenrechte im
Besonderen. Diese spielen auch eine wesentliche Rolle in den unterschiedlichen Feldmissionen, wie zum Beispiel im Fall von Bosnien
und Herzegowina, Serbien und Montenegro
oder dem Kosovo. Zu diesem Zweck verfügen
die OSZE-Missionen über Menschenrechtsabteilungen, weiters werden MenschenrechtsbeobachterInnen in den jeweiligen Ländern
stationiert, um die Menschenrechtssituation
zu überwachen und Bericht zu erstatten, aber
auch um Menschenrechte zu fördern und in
bestimmten Fällen am Menschenrechtsschutz
mitzuwirken. Die OSZE unterstützt auch nationale Menschenrechtsinstitutionen in den
Ländern, in denen sie eine Mission unterhält,
wie zum Beispiel die Ombudspersonen in
Bosnien und Herzegowina oder im Kosovo.
Besondere Mechanismen wurden in Form des
Hochkommissariats für nationale Minderheiten und der/des Sonderbeauftragten für
die Freiheit der Medien (
Freiheit der
Meinungsäußerung und der Medien) mit ihren Büros in Den Haag beziehungsweise Wien
entwickelt. Die/der HochkommissarIn für nationale Minderheiten ist eine Einrichtung für
Konfliktprävention und besitzt das Mandat,
sich zum frühestmöglichen Zeitpunkt mit
ethnischen Spannungen zu befassen. Der
OSZE kam auch eine wesentliche Rolle in der
Überwachung von demokratischen Wahlen
im Zuge der Transformation etlicher europäischer Länder zu pluralistischen Demokratien
zu. Der Prozess der Demokratisierung und die
Förderung der Menschenrechte werden heute
vom Büro für Demokratische Institutionen
und Menschenrechte (ODIHR) mit Sitz in
Warschau unterstützt. Des Weiteren spielt die
OSZE bei der Konfliktbewältigung und beim
Wiederaufbau nach den Konflikten eine wichtige Rolle in Europa und befasst sich unter
dem Titel auch mit Menschenrechtsbildung,
deren Förderung sie in eigenen Projekten und
in Vernetzung mit anderen regionalen und internationalen Organisationen sowie NGOs unter dem Sammelbegriff Education for mutual
respect and understanding betreibt.
3.Die Menschenrechtspolitik der
Europäischen Union
Während sich die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft nach ihrer Gründung im Jahr 1957
ursprünglich nicht mit politischen Themen
wie den Menschenrechten befasste, wurden
Menschenrechte und Demokratie im Zuge der
politischen Einigung Europas in Richtung Europäischer Union seit den Achtzigerjahren des
53
54
einführung
20. Jahrhunderts zu Schlüsselkonzepten der
gemeinsamen europäischen Rechtsordnung.
Eine wesentliche Rolle spielte dabei der Europäische Gerichtshof, der in Sachen Menschenrechte eine Rechtsprechung entwickelte,
die von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedsstaaten und den von diesen
ratifizierten Abkommen wie der Europäischen
Menschenrechtskonvention, abgeleitet wurde.
Mehrere Grundrechte wurden auf diese Weise als „allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts“ konstruiert, wie z.B. das Recht
auf Eigentum, die Vereinigungs- und Religionsfreiheit sowie der Gleichheitsgrundsatz,
der im Gemeinschaftsrecht von besonderer
Bedeutung ist.
Seit den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts
entwickelte die Europäische Gemeinschaft zudem eine Menschenrechtspolitik in ihren Beziehungen mit Drittstaaten, welche sich auch
in den so genannten Kopenhagener Kriterien
für die Anerkennung neuer Staaten in Südosteuropa widerspiegelte. Der Vertrag über die
Europäische Union aus dem Jahr 1995 bezieht
sich in Art. 6 und 7 ausdrücklich auf die Europäische Menschenrechtskonvention aus dem
Jahr 1950, und nach Inkrafttreten des Reformvertrages von Lissabon soll die Europäische
Union dieser Konvention auch beitreten.
Im Jahr 2000 wurde ein Konvent einberufen,
um die Grundrechtscharta der Europäischen Union zu verfassen, die im selben Jahr
beim Gipfel in Nizza verabschiedet wurde.
Zurzeit ist diese Charta das modernste Menschenrechtsdokument in Europa; sie umfasst
bürgerliche und politische ebenso wie wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte,
ähnlich der AEMR. Mit Inkrafttreten des Reformvertrages von Lissabon wird sie einen
rechtlich verbindlichen Charakter erlangen.
Seit 1995 nimmt die EU Menschenrechtsklauseln in ihre bilateralen Abkommen auf, wie
zum Beispiel das Abkommen von Cotonou,
das Euromed-Abkommen oder die Stabilitätsund Assoziierungsabkommen mit Ländern
Südosteuropas.
Die Europäische Union hat sowohl für ihre
internen als auch für ihre internationalen
Beziehungen eine Menschenrechtspolitik
entwickelt, die einen Teil der Gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik bildet. Der vom
Rat der Europäischen Union veröffentlichte
Jahresbericht über Menschenrechte spiegelt die Bedeutung dieser Menschenrechtspolitik für die Europäische Union wider. Der
Rat nimmt öffentlich Stellung, wird aber auch
hinter den Kulissen in einer fallorientierten
Menschenrechtsdiplomatie aktiv und führt
zusammen mit der Europäischen Kommission Menschenrechtsdialoge mit vielen Ländern
wie etwa mit China und dem Iran. Das Europäische Parlament hat eine Führungsrolle
bei der Berücksichtigung von Menschenrechten in der Tätigkeit der EU und veröffentlicht
seit Anfang der 1990er-Jahre Jahresberichte über die Lage der Menschenrechte in der
Welt und in der EU. Auf seine Initiative hin
können NGO-Projekte auf dem Gebiet von
Menschenrechten und Demokratie durch die
Europäische Initiative für Demokratie und
Menschenrechte (EIDHR) finanziell unterstützt werden. Die operative Durchführung
liegt bei EuropeAid, im Auftrag der Europäischen Kommission, welche die politische
Strategie festlegt. Schwerpunkte der Menschenrechtspolitik bilden der Kampf gegen die
Folter und die Todesstrafe sowie die Kampagne für den Internationalen Strafgerichtshof.
Im Jahr 2007 wurde die Europäische Agentur für Grundrechte (FRA) in Wien eröffnet.
Sie baut auf der Europäischen Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC) auf, die von der Europäischen
Union als Antwort auf die wachsenden Pro-
einführung
bleme mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit bereits 1998 in Wien eingerichtet wurde.
Seither überwachte sie mit Hilfe von NGOs
die Situation in Europa und förderte Aktivitäten gegen Rassismus und Fremdenhass. Die
an ihre Stelle tretende Grundrechteagentur
(Fundamental Rights Agency) hat darüber
hinaus die Aufgabe eines Monitoring aller in
der EU-Grundrechtscharta enthaltenen Rechte
in allen EU-Mitgliedsstaaten. Sie tut dies jedoch nicht regelmäßig und umfassend, sondern nach thematischen Schwerpunkten. Zu
diesem Zweck werden aufgrund eines Mehrjahresprogrammes thematische Berichte und
Studien erstellt und ein enger Austausch mit
der Zivilgesellschaft über Plattformen und
Netzwerke gesucht. Auch ein wissenschaftlicher Ausschuss wurde eingerichtet. Die Tätigkeit der neuen Agentur für die EU-Organe
schließt derzeit allerdings die polizeiliche und
justizielle Zusammenarbeit (noch) aus. Das
Mandat wird aber 2009 überprüft.
Prinzip der gleichen Bezahlung für Männer
und Frauen anwenden und Maßnahmen zur
Sicherung der Chancengleichheit beschließen.
Dieses Prinzip wurde durch Verordnungen
und Richtlinien des Europäischen Rates, wie
z.B. die aktualisierte Gleichbehandlungsrichtlinie 2002/73/EG, weiterentwickelt.
Nichtdiskriminierung
Im Jahr 1998 wurde in den Vertrag über die
Europäischen Gemeinschaften der Artikel 13
eingefügt, welcher die Gemeinschaft zum
Kampf gegen Diskriminierung aufgrund von
„Rasse“ oder ethnischer Herkunft, Religion
oder Glaubensbekenntnis, Alter, Behinderung
oder sexueller Orientierung ermächtigt. Im
Jahr 2000 nahm der Rat die Richtlinie 2000/43/
EC über die Implementierung des Prinzips der
Gleichbehandlung ungeachtet der „Rasse“
oder ethnischen Herkunft insbesondere auf
den Gebieten von Beschäftigung, Zugang zu
Schulbildung und Weiterbildung sowie sozialen Begünstigungen an, die sowohl auf den
öffentlichen als auch auf den privaten Sektor
innerhalb der EU anzuwenden ist.
1978 trat die 1969 verabschiedete Amerikanische Menschenrechtskonvention in Kraft.
Sie wurde seither durch zwei Zusatzprotokolle ergänzt, eines über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte und eines über die
Abschaffung der Todesstrafe. Die Vereinigten
Staaten sind der Konvention nicht beigetreten, obwohl die Kommission ihren Sitz in Washington hat. Die Konvention sieht auch einen
Inter-Amerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte vor, der 1979 mit Sitz in Costa
Rica, wo auch das Inter-Amerikanische Institut für Menschenrechte angesiedelt ist, eingerichtet wurde.
Auf ähnliche Weise legt die Europäische Union einen Schwerpunkt auf Gleichheit. Gemäß
Art. 141 des Vertrags der Europäischen Gemeinschaft müssen die Mitgliedsstaaten das
II.Amerika
Das Inter-Amerikanische Menschenrechtssystem hat seinen Ausgangspunkt in der Amerikanischen Deklaration über die Rechte und
Pflichten des Menschen, die 1948 zusammen
mit der Charta der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verabschiedet wurde. Die
Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission, mit sieben Mitgliedern 1959 von der
OAS eingerichtet, ist das Hauptgremium des
Systems.
Es gibt mehrere Rechtsinstrumente, welche
Frauenrechte festschreiben, doch die InterAmerikanische Konvention über die Prävention, Bestrafung und Beseitigung von
Gewalt gegen Frauen (Konvention von Belém do Pará), die 1995 in Kraft trat, verdient
55
56
einführung
besondere Erwähnung. Sie wurde bis 2008 bereits von 32 der 35 Mitgliedsstaaten der OAS
ratifiziert. Gemäß dieser Konvention müssen
der bereits 1928 eingerichteten Inter-Amerikanischen Frauenkommission regelmäßig
nationale Berichte übermittelt werden. Seit
1994 gibt es auch eine Sonderberichterstatterin über die Rechte von Frauen.
Menschenrechte der Frau
Das Inter-Amerikanische
Menschenrechtssystem
• Amerikanische Deklaration über die
Rechte und Pflichten des Menschen
(1948)
• Inter-Amerikanische Menscherechtskommission (1959)
• Amerikanische Menschenrechtskon­
vention (1969, in Kraft getreten 1978)
• Zusatzprotokoll über wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Rechte (1988)
• Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe (1990)
• Inter-Amerikanischer Gerichtshof für
Menschenrechte (1979)
• Inter-Amerikanische Frauenkommission (1928)
• Inter-Amerikanische Konvention über
die Prävention, Bestrafung und Beseitigung von Gewalt gegen Frauen
(1994)
• Inter-Amerikanische Konvention für
die Beendigung aller Formen der Diskriminierung von Personen mit Behinderung (1999)
Individuen, Gruppen oder NGOs können
Beschwerden, genannt „Petitionen“, bei der
Inter-Amerikanischen Menschenrechtskommission einbringen, die von den Staaten auch
Informationen über getroffene Maßnahmen
verlangen kann. Der Inter-Amerikanische
Gerichtshof kann nicht direkt, sondern nur
über die Kommission angerufen werden, die
entscheidet, welche Fälle dem Gerichtshof
vorzulegen sind. Der Gerichtshof kann auch
Rechtsgutachten erstellen, zum Beispiel zur
Interpretation der Konvention. Wie die Kommission hat er sieben Mitglieder und arbeitet
auf nicht-ständiger Basis.
Die Inter-Amerikanische Kommission kann
auch Untersuchungen vor Ort durchführen
und gibt Sonderberichte über Themenbereiche von besonderem Interesse heraus. Es
gibt mehrere NGOs, die Opfer von Menschenrechtsverletzungen dabei unterstützen, ihre
Fälle vor die Inter-Amerikanische Menschenrechtskommission und den Gerichtshof zu
bringen.
III. Afrika
Das afrikanische Menschenrechtssystem wurde im Jahre 1981 mit der Verabschiedung der
Afrikanischen Charta der Rechte des Menschen und der Völker durch die damalige
OAU begründet, die 1986 Rechtskraft erlangte.
Es sieht die Afrikanische Kommission für die
Rechte des Menschen und der Völker vor, die
aus elf Mitgliedern besteht und ihren Sitz in
Banjul, Gambia, hat. Heute haben alle 53 Mitgliedsstaaten der Afrikanischen Union (AU),
der Nachfolgeorganisation der OAU seit 2001,
die Afrikanische Charta ratifiziert, welche gemäß dem Ansatz der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte alle Kategorien von Menschenrechten in einem Dokument vereint.
Ihre Präambel bezieht sich auf die Werte der
afrikanischen Kultur, die das afrikanische
Konzept der Menschenrechte inspirieren sollen. Neben individuellen Rechten verkündet
sie auch Rechte der Völker. Darüber hinaus
enthält sie auch Pflichten, zum Beispiel ge-
einführung
genüber der Familie und der Gesellschaft, denen allerdings in der Praxis wenig Bedeutung
zukommt.
Die Kommission hat ein weitreichendes Mandat auf dem Gebiet der Förderung der Menschenrechte, kann aber auch Beschwerden
von Einzelpersonen oder Gruppen sowie von
Staaten (was bisher noch nicht vorgekommen ist) annehmen. Die Zulassungskriterien
sind weit und erlauben auch NGOs oder Individuen, im Namen von Opfern von Menschenrechtsverletzungen aufzutreten. Die
Kommission kann jedoch keine rechtlich bindenden Entscheidungen fällen; dies ist einer
der Gründe, warum ein Protokoll zur Charta
über die Einrichtung des Afrikanischen Gerichtshofs für die Rechte des Menschen und
der Völker, bestehend aus elf RichterInnen,
verabschiedet wurde, welches 2003 in Kraft
trat. Der Gerichtshof, der 2006 erstmals zusammentrat und seinen Sitz in Arusha, Tansania, hat, kann allerdings von Individuen
nur dann direkt angerufen werden, wenn
die Staaten dies in einer eigenen Deklaration
ausdrücklich festgehalten haben. Wenn dies
nicht geschieht, können Klagen wie im InterAmerikanischen System nur durch die Kommission eingebracht werden.
Das Afrikanische Menschenrechtssystem
• Afrikanische Charta für die Rechte
des Menschen und der Völker (1981,
in Kraft getreten 1986)
• Afrikanische Kommission für die
Rechte des Menschen und der Völker
(1987)
• Afrikanische Charta über die Rechte und das Wohlergehen des Kindes
(1990, in Kraft getreten 1999)
• Protokoll über die Einrichtung eines
Afrikanischen Gerichtshofs für die
Rechte des Menschen und der Völker
(1997, in Kraft getreten 2003)
• Zusatzprotokoll über die Rechte von
Frauen (2003, in Kraft getreten 2005)
Ein regelmäßiges Monitoring der nationalen
Menschenrechtssituation sollte auf Basis der
Überprüfung periodischer Staatenberichte
durch die Kommission stattfinden. Die Staatenberichte sind jedoch oft unregelmäßig und
unzureichend. Gemäß der Praxis der Vereinten Nationen hat die Kommission auch SonderberichterstatterInnen ernannt, etwa für
außergerichtliche, willkürliche und Schnell­­­
exekutionen, für Gefängnisse und Haftbedingungen und für Frauen. Auch wurde von
der Afrikanischen Union (AU) im Jahr 2003
ein Zusatzprotokoll über die Rechte von
Frauen angenommen, das 2005 in Kraft trat
und bis Juli 2008 21 Ratifikationen aufwies.
Die Kommission beauftragt weiters Fact-finding-Missionen und hält in speziellen Fällen,
zum Beispiel nach dem unfairen Prozess und
der Exekution von neun Mitgliedern der Bewegung für das Überleben des Ogoni-Volkes
im Jahr 1995, außerordentliche Sitzungen
ab. Ein wichtiger Teil der Impulse für die Kommission kommt von NGOs aus Afrika und der
restlichen Welt, die nach einer Registrierung
an allen öffentlichen Sitzungen der Kommission teilnehmen können. Die NGOs bringen
häufig Fälle von Menschenrechtsverletzungen
vor und unterstützen die Arbeit der Kommission und ihrer SonderberichterstatterInnen.
Wichtig ist auch, dass Regierungen für die direkte Anwendbarkeit der Charta in ihren nationalen Rechtssystemen sorgen. Dies geschah
unter anderem im Fall von Nigeria, mit dem
Ergebnis, dass nigerianische NGOs wie zum
Beispiel das Constitutional Rights Project Fälle
57
58
einführung
von Verletzungen der Charta erfolgreich vor
nigerianische Gerichte bringen konnten.
Nach der Verabschiedung der UNO-Konvention über die Rechte des Kindes im Jahr 1989
wurde 1990 eine Afrikanische Charta über
die Rechte und das Wohlergehen des Kindes verabschiedet. Sie trat allerdings erst im
Jahr 1999 in Kraft und wurde bis Juli 2008
von 38 Mitgliedsstaaten der AU ratifiziert.
Auf ihrer Grundlage wurde ein Afrikanisches
ExpertInnenkomitee für die Rechte und das
Wohlergehen des Kindes eingerichtet, das zumindest einmal jährlich tagen soll.
IV. Andere Regionen
Für die islamischen Länder ist die Kairoer
Erklärung der Menschenrechte im Islam von
1990 zu erwähnen, die von den Außenministern der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) ausgearbeitet, aber niemals offiziell
verabschiedet wurde. Alle Rechte in dieser Erklärung sollten der Islamischen Scharia unterliegen, was völkerrechtlich bedenklich ist.
Darüber hinaus wurde im Jahr 1994 eine
Arabische Menschenrechtscharta von arabischen MenschenrechtsexpertInnen ausgearbeitet und vom Rat der Liga der arabischen
Staaten verabschiedet – mangels Ratifikationen ist sie allerdings nie in Kraft getreten.
Trotz etlicher Versuche wie der Konvention
über regionale Vereinbarungen für die Förderung des Wohlergehens des Kindes, die 2002
durch die South Asian Association for Regional
Cooperation lanciert wurde, war es nicht zuletzt
aufgrund der Vielgestaltigkeit der Region bislang nicht möglich, ein regionales Menschenrechtsinstrument in Asien zu verabschieden
oder eine Asiatische Menschenrechtskommission einzurichten. Anstrengungen innerhalb der regionalen Integrationszone ASEAN
führten jedoch im Jahr 2007 zu einer neuen
„Charta der Vereinigung südostasiatischer
Nationen“, die in Art. 14 auch ein Menschenrechtsgremium der ASEAN vorsieht.
Auf der Ebene der Zivilgesellschaft erarbeiteten im Jahr 1998 anlässlich der Fünfzigjahrfeier der AEMR mehr als 200 asiatische NGOs
unter der Leitung des Asian Legal Resources
Centre in Hongkong eine Asiatische Menschenrechtscharta als Charta der Völker. Weiters
gibt es einen Euro-Asiatischen Dialog über
Menschenrechte zwischen der Europäischen
Union und zehn asiatischen Staaten, darunter
China. Ein ähnlicher Dialog besteht zwischen
der Europäischen Union und China.
Als interregionale Vereinbarung ruft das Partnerschaftsabkommen von Cotonou zwischen
78 afrikanischen, karibischen und pazifischen
(AKP) Staaten und den 27 Mitgliedern der Europäischen Union aus dem Jahr 2000 in Art. 9
(2) in Erinnerung, dass „Achtung für die Menschenrechte, demokratische Prinzipien und
Rechtsstaatlichkeit … wesentliche Elemente dieser Vereinbarung darstellen“. Bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen können
Leistungen nach einem erfolglosen Konsultationsverfahren ausgesetzt werden.
einführung
I. Das Problem
der Straflosigkeit
Der Kampf gegen die Straflosigkeit und für Rechenschaftspflicht ist zu einem breiten globalen
Anliegen geworden. Eine Hauptüberlegung dabei ist die Prävention künftiger Verbrechen, die
üblicherweise in Form schwerwiegender Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts auftreten. Trotz gravierender
Menschenrechtsverletzungen Straflosigkeit zuzusichern war bislang weltweit Praxis, um un­
demo­kratische Herrscher, oft Generäle, zur
Übergabe der Macht an demokratisch gewählte
Regierungen zu überreden. Straflosigkeit darf
nicht mit „Amnestien“ für geringere Übertretungen nach Kriegen oder Regimeänderungen
verwechselt werden. Sie steht im Widerspruch
zum Prinzip der Verantwortlichkeit, im Sinne
einer Rechenschaftspflicht, das auf nationaler
und internationaler Ebene, beispielsweise mit
der Einrichtung von besonderen und allgemeinen internationalen Strafgerichtshöfen, zunehmende Verwirklichung findet.
Zur Verhütung von Menschenrechtsverletzungen
sehen bestimmte internationale Konventionen,
wie zum Beispiel die UNO-Konvention gegen
Folter aus dem Jahr 1984, die Verpflichtung zu
einer universellen Verfolgung der VerletzerInnen vor. Im Fall des Generals Augusto Pinochet,
des früheren chilenischen Diktators, verlangte
1998 ein spanischer Richter dessen Auslieferung
von Großbritannien. Diesem Begehren wurde
in einer bemerkenswerten Entscheidung des
Oberhauses schließlich stattgegeben. Die Auslieferung fand allerdings wegen des schlechten
Gesundheitszustands von Pinochet nicht statt.
Das Prinzip der universellen Gerichtsbarkeit
wird vom Internationalen Strafgerichtshof und
auf nationaler Ebene angewandt.
Es bedeutet, dass ein bestimmter gravierender
Menschenrechtsverletzungen Beschuldigter entweder selbst vor Gericht gestellt oder ausgeliefert werden muss. Im Fall von Charles Taylor,
des früheren Präsidenten von Sierra Leone, wurde ihm zuerst ein Exil in Nigeria ermöglicht. Im
März 2006 wurde er jedoch nach Sierra Leone
zurückgebracht, um vor Gericht gestellt zu werden. Für sein Verfahren ist der Sondergerichtshof für Sierra Leone, in dem auch internationale
RichterInnen mitwirken, zuständig, der zu diesem Zweck in außerordentlichen Sessionen in
Den Haag zusammentritt, um jeden lokalen
Einfluss auf das Verfahren zu vermeiden.
Andere Formen der Herstellung von Verantwortlichkeit, die nicht notwendigerweise zur
Bestrafung der TäterInnen führen muss, sind die
Wahrheits- und Versöhnungskommissionen, die
in Südafrika und anderen Ländern als eine Form
von nicht-vergeltender Gerechtigkeit eingerichtet wurden. Sie geben den Opfern die Chance,
wenigstens die Wahrheit zu erfahren, und der
Gesellschaft die Möglichkeit, aus den Erfahrungen der Vergangenheit zu lernen. Im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen wird in diesem
Zusammenhang an der Konzeptualisierung eines
neuen „Rechts auf Wahrheit“ gearbeitet.
Im Fall von Argentinien urteilte die InterAmerikanische Menschenrechtskommission, dass die Gewährung von Straflosigkeit
durch die Amnestiegesetze das Recht auf gerichtlichen Schutz und faires Verfahren verletze. Es gab eine internationale Kampagne
gegen die Straflosigkeit, in der lokale NGOs
die Hauptrolle spielten. Schließlich wurden
die Amnestiegesetze 1998 aufgehoben.
59
60
einführung
J.Internationale
Strafgerichtsbarkeit
Gemäß dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), das 1998 in Rom verabschiedet wurde und 2002 in Kraft getreten
ist, wurde der ICC in Den Haag als ständiges
Tribunal eingerichtet. Seine Rechtsprechung
umfasst die Verbrechen des Völkermordes,
Verbrechen gegen die Menschlichkeit „begangen als Teil eines breit gefächerten systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung“,
was Fälle von Vergewaltigung, sexueller Versklavung, erzwungener Schwangerschaft und
jede andere Form schwerwiegender sexueller
Gewalt einschließt (
Menschenrechte der
Frau), weiters das erzwungene Verschwinden
von Menschen oder ähnliche unmenschliche
Akte, die großes Leid verursachen, beispielsweise ernste Verletzungen der geistigen oder
physischen Gesundheit, Kriegsverbrechen, und
das Verbrechen der Aggression, über dessen
Definition noch Einigkeit erzielt werden muss.
Das Internationale Straftribunal für das Frühere Jugoslawien (ICTY) wurde 1993 vom
UNO-Sicherheitsrat in Den Haag als Ad-hocTribunal eingerichtet, um sich mit den massiven Verletzungen der Menschenrechte und
des humanitären Völkerrechts auf dem Gebiet
des früheren Jugoslawien zu befassen. Demgemäß umfassen seine Kompetenzen schwere
Verletzungen der Genfer Konventionen von
1949 über den Schutz von Opfern bewaffneter
Konflikte, von Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie Mord, Folter, Vergewaltigung oder
andere unmenschliche Akte, die in einem bewaffneten Konflikt begangen werden, sowie
Völkermord. Als Folge des Völkermordes in
Ruanda von 1994, wurde in Arusha, Tansania,
das Internationale Straftribunal für Ruanda
(ICTR) eingerichtet. Im Falle Kambodschas
kam es bei der Umsetzung des Übereinkommens zwischen den Vereinten Nationen und
der Regierung Kambodschas von 2003 über
die Einrichtung eines kambodschanischen
Tribunals für Kriegsverbrechen zu Verzögerungen, so dass dieses erst Jahre später eingerichtet werden konnte.
Anders als die vorrangige Gerichtsbarkeit des
ICTY und des ICTR ist die Rechtsprechung
des ICC komplementär zu den nationalen
Rechtsprechungen. Nur wenn ein Staat nicht
willens oder in der Lage ist, VerbrecherInnen
zu verfolgen, übernimmt der ICC den Fall. Alle
Tribunale basieren auf dem Prinzip der individuellen Verantwortung, ohne Rücksicht auf
die öffentliche Funktion der/s Angeklagten.
Der teilweise mit internationalen RichterInnen besetzte Sondergerichtshof
für Sierra Leone arbeitet seit 2002 und
hat dabei auch mit der Wahrheits- und
Versöhnungskommission für Sierra Leone zusammengearbeitet, die inzwischen
ihre Tätigkeit beendet hat. Er untersucht
Mord, Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei,
Auslöschung, Terrorakte, Versklavung,
Plünderung und Brandschatzung. Er hat
die Verfolgung derjenigen Personen zum
Ziel, die die größte Verantwortung für das
Leiden der Menschen von Sierra Leone
tragen.
einführung
K.M enschenrechts­
initiativen in den Städten
Programme zur Stärkung der Menschenrechte
auf Gemeindeebene sind ein neuer Zugang,
der die Menschenrechte als Richtlinien für soziale und wirtschaftliche Entwicklung nützt.
Auf Initiative der PDHRE, People’s Movement
for Human Rights Learning, die Menschenrechtsbildung als eine Strategie für gesellschaftliche Entwicklung sieht, erklärten sich
mehrere Städte des Südens, darunter Rosario
(Argentinien), Thies (Senegal), Korogocho
(Kenia), Kati (Mali), Dinapur (Bangladesch),
Bucuy (Philippinen), Porto Alegre (Brasilien)
sowie im Norden Graz (Österreich) und Edmonton (Kanada) zu „Menschenrechtsstädten“ oder „Menschenrechtsgemeinden“.
Eine andere Initiative unternahm Barcelona, wo 1998 in Kooperation mit Saint Denis
eine „Europäische Charta für den Schutz der
Menschenrechte in der Stadt“ ausgearbeitet
wurde. 2003 hatten bereits mehr als 300 Städte, vor allem im mediterranen Europa, diese
Charta unterzeichnet. Sie enthält politische
Verpflichtungen, die auf den internationalen
Menschenrechten aufbauen, beispielsweise in
Hinblick auf die Rechte von MigrantInnen. Die
Charta empfiehlt die Einrichtung von lokalen
Institutionen und Verfahren zum Schutz der
Menschenrechte, wie zum Beispiel Ombudspersonen oder Menschenrechtsbeiräte oder
eine menschenrechtliche Budgetierung. In
regelmäßigen Treffen, etwa in Venedig (2003)
und Nürnberg (2005) tauschen die Signatarstädte und -gemeinden Erfahrungen „guter
Praxis“ aus.
Die von der UNESCO initiierte „Internationale Städtekoalition gegen Rassismus“ befasst
sich mit Problemen des Rassismus und der
Fremdenfeindlichkeit in Städten, um diese
bei der Berücksichtigung der wachsenden
kulturellen Vielfalt ihrer EinwohnerInnen zu
unterstützen. Derartige Koalitionen bestehen
auch auf regionaler Ebene, wie die 2004 gestartete „Europäische Städtekoalition gegen
Rassismus“ (siehe: http://www.unesco.org/
shs/citiesagainstracism). Mehrere Städte verfügen über Menschenrechtskommissionen und
Ombudspersonen oder andere Institutionen,
die in der Verhütung oder Beseitigung von
Menschenrechtsverletzungen tätig sind.
Die Strategie der Förderung der Menschenrechte quer durch die Gemeinden, also ausgehend
von der lokalen Ebene, hat den Vorteil, Menschenrechtsprobleme im Alltag ansprechen
zu können. Die Methode, welche von PDHRE
vorgeschlagen und in der Praxis erfolgreich angewandt wird, beginnt mit einer gemeinsam
durchgeführten Bestandsaufnahme, welche
die Verwirklichung und Verletzung von Menschenrechten in der Stadt festhält und zur Erarbeitung einer Strategie führt, die letztlich in
ein Arbeitsprogramm übersetzt werden muss.
In diesem Prozess überprüfen BürgerInnen
Rechtsakte und Politik hinsichtlich der Verwendung der Ressourcen der Stadt. Sie entwickeln
Pläne, wie die Verwirklichung der Menschenrechte gestärkt und menschenrechtliche Probleme in ihrer Stadt überwunden werden können.
Zusammen mit den Behörden verpflichten sie
sich dazu, die Menschenrechte als Richtlinien
für die Politik und für alle dabei notwendigen
Entscheidungen oder Strategien anzuerkennen.
Zu diesem Zweck wird ein ganzheitlicher Zugang zu den Menschenrechten verfolgt, was
61
62
einführung
bedeutet, dass alle Menschenrechte, bürgerliche und politische, wirtschaftliche, soziale
und kulturelle einschließlich einer Genderperspektive als ein Ganzes behandelt werden.
Um die Menschen über ihre Menschenrechte
aufzuklären, sind Menschenrechtslernen und
Trainingsaktivitäten von großer Bedeutung.
Diese umfassen „Train-the-Trainers“-Programme für Lehrkräfte, Verwaltungspersonal, Polizei, Gesundheits- und SozialarbeiterInnen,
Nachbarschaftsvereine und NGOs. Ein Monitoringsystem, geführt durch einen Leitungsausschuss, der alle gesellschaftlichen Bereiche
einschließt, überwacht den Prozess, der üblicherweise langfristig angelegt sein wird (siehe: http://www.pdhre.org).
Auf internationaler Ebene ist eine Vereinigung
der Menschenrechtsstädte in Gründung, welche die notwendige Selbstkontrolle und die
Ernsthaftigkeit ihrer Mitglieder gewährleisten
soll. PDHRE hat eine globale Kampagne für
Menschenrechtsstädte gestartet, die vor allem
das Menschenrechtslernen auf lokaler Ebene
zum Ziel hat. Die Erfahrungen der Menschenrechtsstädte wurden 2008 mittels einer PDHREPublikation und eines österreichischen Filmes
im Rahmen der HABITAT-Konferenz der Vereinten Nationen in China vorgestellt. (siehe
http://www.menschenrechsstadt.at).
Beispiel:
Erste Menschenrechtstadt weltweit:
Rosario, Argentinien
Juli 1997:
35 Institutionen unterzeichnen eine Selbstverpflichtung im Rathaus unter Anwesenheit des Bürgermeisters und von Shulamit
Koenig (PDHRE)
seither:
• Aufbau eines Leitungsgremiums von
NGOs und Regierungsinstitutionen;
Koordination durch Institut für Gender, Recht und Entwicklung (INSGENAR)
• Menschenrechtslernen und Trainingsprogramme für Polizei und
Sicherheitskräfte, LehrerInnen, LehramtsstudentInnen, etc.
• Bewusstseinsbildung durch Seminare, Filmproduktionen, z.B. über die
Situation der Frauen in Rosario, Wettbewerbe, Publikationen, etc.
• Integration der Urbevölkerung (Quom)
2005:
Unterstützung des Aufbaus der Menschenrechtsstadt Porto Alegre, Brasilien
Beispiel:
Menschenrechtsstadt Kati, Mali
April 2000:
Beginn des Prozesses
Februar 2001:
Generalversammlung der Beteiligten:
Einrichtung von Orientierungs- und Koordinationskomitee und Büro
Dezember 2001:
Beirat wichtiger Persönlichkeiten
2002/2003:
Curriculumentwicklung und Trainingsseminare zur Menschenrechtsbildung
März 2004:
Internationales
„Train-the-Trainers“Seminar zur Menschenrechtsbildung;
Ausarbeitung und Umsetzung eines
Curriculums für Menschenrechte in den
Volksschulen; regionale Vernetzung mit
anderen Menschenrechtsstädten
einführung
Beispiel: Erste Menschenrechtsstadt
Europas: Graz, Österreich
September 2000:
Ankündigung durch die österreichische
Außenministerin Benita Ferrero-Waldner
bei der UNO-Millenniumsversammlung
Februar 2001:
Einstimmiger Beschluss des Grazer Gemeinderates
Mai 2001:
Formelle Inaugurationszeremonie an der
Universität Graz in Gegenwart von Shulamith Koenig, PDHRE
Juni 2002:
Präsentation der Bestandsaufnahme und
eines Aktionsprogramms, ausgearbeitet mit Unterstützung von mehr als 100
Personen und Organisationen im Grazer
Gemeinderat
Oktober 2003:
Projekt: Kultur der Menschenrechte;
Konferenz über die Ergebnisse der ersten
Implementierungsphase
März 2004:
Errichtung einer Integrationsstelle
Juni 2006:
Beitritt der Stadt Graz zur Europäischen
Städtekoalition gegen Rassismus
April 2007:
Einrichtung des Menschenrechtsbeirates
der Stadt Graz
September 2007 bis Jänner 2008: Menschenrechtliches Monitoring des
Gemeinderatswahlkampfes durch den
Menschenrechtsbeirat
Dezember 2007:
Erstmalige Vergabe des Menschenrechtspreises der Stadt Graz
Oktober 2008:
Präsentation des ersten Jahresberichtes
über die Situation der Menschenrechte
in der Stadt Graz
Der Prozess wird vom Europäischen
Trainings- und Forschungszentrum für
Menschenrechte und Demokratie (ETC)
in Graz als Geschäftsstelle des Menschenrechtsbeirats koordiniert.
l.G lobale Heraus­
forderungen und Chancen
für die Menschenrechte
Nach mehreren Dekaden erfolgreicher Entwicklung von Standards liegt nun die größte
Herausforderung für die Menschenrechte in der
Umsetzung der eingegangenen Verpflichtungen. Etliche neue Methoden zur Stärkung der
Implementierung von Menschenrechten sind
auf lokaler und nationaler ebenso wie auf internationaler Ebene im Einsatz. Dazu gehört eine
aktivere Haltung der internationalen Gemeinschaft gegenüber Menschenrechtsverletzungen
weltweit, der Einbezug von Menschenrechtsbeauftragten in internationale Friedensmissionen
63
64
einführung
und die Institutionalisierung von Menschenrechtsangelegenheiten vor Ort, wovon ein
wichtiger Präventionseffekt zu erwarten ist.
Die Achtung vor den Menschenrechten muss
auf lokaler und nationaler Ebene durch den
Aufbau menschenrechtlicher Kapazitäten
(„capacity-building“) im Rahmen lokaler Institutionen gefördert werden, zum Beispiel
durch Menschenrechtsstädte und durch die
Einrichtung nationaler Institutionen für die
Förderung und Überwachung von Menschenrechten, in denen NGOs als VertreterInnen der
Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle spielen.
Noch immer besteht Bedarf, in neuen Bereichen Standards zu setzen, wie man an den
Konventionen über den Schutz der Rechte
und Würde von Menschen mit Behinderungen und den Schutz aller Personen vor dem
Verschwindenlassen oder an Themenbereichen wie kulturelle Vielfalt, Biotechnologie,
Gentechnik oder Handel mit menschlichen
Organen sieht.
Gleichzeitig können bestehende Menschenrechte durch Schwerpunktsetzung auf „Kernrechte“ sichtbarer gemacht werden, wie dies
im Fall der IAO-Deklaration über die fundamentalen Arbeitsrechte von 1998 erfolgte.
Neue Herausforderungen stellen sich auch
durch das Bedürfnis, den Verbindungen zwischen Menschenrechten und humanitärem
Völkerrecht, wie den grundlegenden Standards der Menschlichkeit, mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Menschenrechte in bewaffneten
Konflikten
Dasselbe gilt für das Verhältnis zwischen
Menschenrechten und Flüchtlingsrecht,
das sowohl auf der Ebene der Prävention von
Flüchtlingsproblemen als auch auf jener der
Rückkehr von Flüchtlingen besteht. In beiden Fällen ist die Menschenrechtssituation im
Herkunftsland entscheidend. Dies wirft auch
die Frage der Beziehung zwischen Menschenrechten und Konfliktprävention sowie die
Frage der postkonfliktuellen Wiederherstellung und des Wiederaufbaus auf, welche auf
der Basis von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit erfolgen müssen.
Rule of Law, Recht auf Demokratie
Die Verantwortlichkeit (Rechenschaftspflicht) für Menschenrechtsverletzungen und
die Achtung der Menschenrechte ist zu einem
globalen Thema geworden. Diese wird nicht
nur von Staaten, sondern auch von nichtstaatlichen AkteurInnen wie Einzelpersonen und
transnationalen Unternehmen (Multis) sowie
von zwischenstaatlichen Organisationen wie
der Weltbank, dem IWF oder der WTO verlangt. In diesem Zusammenhang wird auch
eine „extraterritoriale Verantwortlichkeit“ für
Menschenrechtsverletzungen in anderen Ländern diskutiert. Zugleich gewann das Thema
des Schadenersatzes nach schwerwiegenden
und systematischen Menschenrechtsverletzungen an Bedeutung. Die Unterkommission
der Vereinten Nationen für den Schutz und die
Förderung der Menschenrechte hat dazu im
Jahr 2003 „Normen für die Verantwortlichkeiten transnationaler Unternehmen und anderer
Wirtschaftsunternehmen im Hinblick auf die
Menschenrechte“ ausgearbeitet, die jedoch in
der Menschenrechtskommission aufgrund des
Widerstands mehrerer Regierungen nicht verabschiedet wurden.
Im Jahr 2000 wurde auf Vorschlag des seinerzeitigen Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Kofi Annan, der Global Compact für
international tätige Unternehmen als neuer,
innovativer Zugang zur Globalisierung auf
dem Gebiet der Menschenrechte gestartet.
Die teilnehmenden Firmen akzeptieren zehn
Grundprinzipien auf den Gebieten der Menschenrechte, der Arbeitsstandards, der Um-
einführung
welt und der Korruptionsbekämpfung und
engagieren sich in einem ergebnisorientierten
Dialog mit Bezug auf globale Probleme, zum
Beispiel die Rolle der Unternehmen in Konfliktzonen.
Recht auf Arbeit
Eine besondere Herausforderung für die
Menschliche Sicherheit ist die Aufrechterhaltung der Menschenrechte im Kampf gegen die
Bedrohungen durch den Terrorismus. Kein
Mensch darf außerhalb des Rechts gestellt
oder seiner unveräußerlichen Menschenrechte entkleidet werden. Gleichzeitig muss der
Schutz der Opfer krimineller oder terroristischer Akte verbessert werden. Der Europarat
hat Richtlinien für „Menschenrechte und der
Kampf gegen den Terrorismus“ sowie für den
„Schutz der Opfer terroristischer Akte“ angenommen, um diesen neuen Herausforderungen zu begegnen. Der Generalsekretär und
die Hochkommissarin der Vereinten Nationen
für Menschenrechte haben klargestellt, dass
der Schutz der Menschenrechte ein Teil des
Kampfes gegen den Terrorismus sein muss.
„Ich glaube, dass es keinen Abtausch
zwischen Menschenrechten und Terrorismus geben kann. Die Aufrechterhaltung
der Menschenrechte steht nicht im Gegensatz zur Bekämpfung des Terrorismus:
Im Gegenteil, die moralische Vision der
Menschenrechte – der tiefe Respekt für
die Würde jeder Person – ist die mächtigste Waffe gegen den Terrorismus.
Kompromisse im Hinblick auf den Schutz
der Menschenrechte zu machen würde
den Terroristen einen Sieg bescheren,
den sie selbst nicht erreichen können.
Die Förderung und der Schutz der Menschenrechte, wie auch die strikte Einhaltung des humanitären Völkerrechts sollte
daher im Zentrum von Anti-Terrorismusstrategien stehen.“ (Übersetzung)
Kofi Annan, ehemaliger UNO-Generalsekretär. 2003.
BIBLIOGRAPHIE
Alfredson, Gundumur et al. (Hg.). 1999. The Universal Declaration of Human Rights. Oslo: Scandinavian
University Press.
Alston, Philip (Hg.). 1999. The EU and Human Rights.
Oxford: Oxford University Press.
Amnesty International. 2007. Jahresbericht 2007.
Frankfurt: Fischer.
Asia-Europe Foundation (ASEF). 2000. The Third
Informal ASEM Seminar on Human Rights. Singapur:
ASEF.
Baum, Gerhart, Eibe Riedel und Michael Schaefer
(Hg.). 1998. Menschenrechtsschutz in der Praxis der
Vereinten Nationen. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft.
Bayefsky, Anne F. 2002. How to Complain to the UN
Human Rights Treaty System. New York: Transnational
Publishers.
Baxi, Upendra. 1994. Inhuman Wrongs and Human
Rights: Unconventional Essays. Delhi: Har-Anand Publications.
65
66
einführung
Baxi, Upendra. 2002. The Future of Human Rights.
Oxford: Oxford University Press.
Benedek, Wolfgang (Hg.). 1999. Menschenrechte in
Bosnien und Herzegowina: Wissenschaft und Praxis.
Wien: Böhlau.
Benedek, Wolfgang, Esther M. Kisaakye und Gerd
Oberleitner (Hg.). 2002. The Human Rights of Women: International Instruments and African Experiences. London: Zed Books.
Benedek, Wolfgang und Alice Yotopoulos-Marangopoulos (Hg.). 2003. Anti-Terrorist Measures and
Human Rights. Leiden: Martinus Nijhoff Publishers.
Benedek, Wolfgang, Koen de Feyter und Fabrizio
Marella (Hg.). 2007. Economic Globalisation and Human Rights. Cambridge: Cambridge University Press.
Bielefeldt, Heiner. 1998. Philosophie der Menschenrechte. Grundlagen eines weltweiten Freiheitsethos.
Darmstadt: Primus Verlag.
Binder, Johannes. 2001. The Human Dimension of
the OSCE: From Recommendation to Implementation.
Wien: Verlag Österreich.
Buergenthal, Thomas und Diana Shelton. 1995. Protecting Human Rights in the Americas – Cases and Materials. 4. Aufl. Kehl: Engel.
Buergenthal, Thomas, Diana Shelton und David Stewart. 2002. International Human Rights in a Nutshell.
3. Aufl. St. Paul: West Group.
Department of Foreign Affairs and International Trade, Canada. 1999. Human Security: Safety for People
in a Changing World, http://www.cpdsindia.org/globalhumansecurity/changingworld.htm.
Deutsches Institut für Menschenrechte/Europarat
(Hg.). 2005. Kompass: Ein Handbuch zur Menschenrechtsbildung für die schulische und außerschulische
Bildungsarbeit. Bonn: Bundeszentrale für politische
Bildung.
Deutsches Institut für Menschenrechte (Hg.). 2007.
Jahrbuch Menschenrechte 2008. Frankfurt am Main:
Suhrkamp. http://www.jahrbuch-menschenrechte.de.
Donnelly, Jack. 2003. Universal Human Rights in
Theory and Practice. 2. Aufl. Ithaca: Cornell University
Press.
Drinan, Robert F. 2001. The Mobilization of Shame. A
World View of Human Rights. New Haven: Yale University Press.
Evans, D. Malcolm und Rachel Murray. 2002. The
African Charter on Human and Peoples’ Rights. The
System in Practice, 1986-2000. Cambridge: Cambridge
University Press.
Forsythe, David P. 2000. Human Rights in International Relations. Cambridge: Cambridge University Press.
Freeman, Michael. 2002. Human Rights. Oxford: Polity Press.
Fritzsche, Karl P. 2004. Menschenrechte. Eine Einführung mit Dokumenten. Stuttgart: UTB.
Cassese, Antonio. 2001. International Criminal Law.
A Commentary on the Rome Statute for an International Criminal Court. Oxford: Oxford University Press.
Galtung, Johan. 1998. Menschenrechte anders gesehen. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Commission on Human Security. 2003. Human Security Now. Protecting and Empowering People. New
York: Oxford University Press.
Galtung, Johan. 2000. Die Zukunft der Menschenrechte. Vision: Verständigung zwischen den Kulturen.
Frankfurt: Campus.
Davidson, Scott. J. 1997. The Inter-American Human
Rights System. Aldershot: Ashgate Publishing.
Gareis, Sven B. 2007. Internationaler Menschenrechtsschutz. Wiesbaden: VS Verlag.
De Benoist, Alain. 2004. Kritik der Menschenrechte.
Berlin: Junge Freiheit.
Ghai, Yash. 1998. Human Rights and Asian Values.
Public Law Review Bd. 9 Nr. 3, 168-182.
De Feyter, Koen. 2005. Human Rights: Social Justice in
the Age of the Market. London: Zed Books.
Ghai, Yash. 1999. Human Rights, Social Justice and
Globalisation. In: Bell, Diane R. und Joanne R. Bauer (Hg.). The East Asian Challenge to Human Rights.
Cambridge: Cambridge University Press, 241-263.
einführung
Gomien, Donna. 2005. Short Guide to the European
Convention on Human Rights. 3. Aufl. Straßburg:
Council of Europe.
Gradner, Margarete, Wolfgang Schmale und
Michael Weinzierl (Hg.). 2002. Grund- und Menschenrechte – Historische Perspektiven – Aktuelle Problematiken. Wien: Verlag für Geschichte und Politik.
Hanski, Raija und Markku Suksi (Hg.). 1999. An
Introduction to the International Protection of Human
Rights. A Textbook. 2. Aufl. Turko/Abo: Institute for
Human Rights/Abo Akademi University.
Haratsch, Andreas. 2001. Die Geschichte der Menschenrechte. Potsdam: MenschenRechtsZentrum der
Universität Potsdam.
Janz, Nicole und Thomas Risse. 2007. Menschenrechte – Globale Dimensionen eines universellen Anspruchs. Baden-Baden: Nomos.
Jones, John R.W.D. 2000. The Practice of the International Criminal Tribunals for the Former Yugoslavia and
Rwanda. 2. Aufl. Irvington-on-Hudson, NY: Transnational Publishers.
Kälin, Walter und Jörg Künzli. 2005. Universeller
Menschenrechtsschutz. Basel: Helbing & Lichtenhan.
Kälin, Walter, Lars Müller und Judith Wyttenbach.
2007. Das Bild der Menschenrechte. Baden: Lars Müller
Publishers.
Koenig, Matthias. 2005. Menschenrechte (Campus
Einführungen). Frankfurt: Campus Verlag.
Lenhart, Volker. 2006. Pädagogik der Menschenrechte.
Wiesbaden: VS Verlag.
Levin, Leah. 1996. Menschenrechte – Fragen und Antworten. Wien: Löcker Verlag.
Lohrenscheit, Claudia. 2004. Das Recht auf Menschenrechtsbildung – Grundlagen und Ansätze einer
Pädagogik der Menschenrechte. Frankfurt: IKO-Verlag.
Mack, Andrew (Hg.). 2005. Human Security Report.
Oxford: Oxford University Press.
Maddex, Robert. L. 2000. International Encyclopedia
of Human Rights. Washington: Congressional Quarterly Press.
Marks, Stephen P., Kathleen Modrowski und Walther Lichem (Hg.). 2008. Human Rights Cities. Civic Engagement for Societal Development. New York:
PDHRE.
McRae, Rob und Don Hubert (Hg.). 2001. Human Security and the New Diplomacy. Protecting People, Promoting Peace. Montreal: McGill-Queen’s University Press.
Menke, Christoph und Arnd Pollmann. 2007. Philosophie der Menschenrechte zur Einführung. Hamburg:
Junius.
Newman, Edward und Oliver P. Richmond (Hg.).
2001. The United Nations and Human Security. New
York: Palgrave.
Nowak, Manfred. 2002. Einführung in das internationale Menschenrechtssystem. Wien: Neuer Wissenschaftlicher Verlag.
Oberleitner, Gerd. 2007. Global Human Rights Institutions, Between Remedy and Ritual. Cambridge: Polity.
Opitz, Peter J. 2002. Menschenrechte und Internationaler Menschenrechtsschutz im 20. Jahrhundert. Stuttgart: UTB.
ORF. 2008. Menschenrechtsstädte dieser Welt. Graz/
Wien: ORF.
Ramcharan, Bertrand G. 2002. Human Rights and
Human Security. Den Haag: Martinus Nijhoff Publishers.
Rat der EU. 1999ff. Jahresbericht zur Menschenrechtslage. Brüssel: Rat der Europäischen Union (Jahresbericht 2007: http://www.consilium.europa.eu/uedocs/
cms_data/librairie/PDF/2007DE_EU_annual_report_
on_human_rights.pdf)
Report of the International Commission on Intervention and State Sovereignty. 2001. The Responsibility to
protect, http://www.iciss.ca/report-en.asp
Robertson, Geoffrey. 2002. Crimes Against Humanity.
The Struggle for Global Justice. London: Penguin.
Schilling, Theodor. 2004. Internationaler Menschenrechtsschutz. Universelles und Europäisches Recht. Tübingen: Mohr Siebeck.
67
68
einführung
Sicilianos, Linos-Alexander und Christiane Bourloyannis-Vrailas (Hg.). 2001. The Prevention of Human
Rights Violations. The Hague: Martinus Nijhoff Publishers.
Smith, Rhona. 2003. Textbook on International Human Rights. Oxford: Oxford University Press.
Steiner, Henry J., Philip Alston und Ryan Goodman.
2008. International Human Rights in Context. Law, Politics, Morals, Text and Materials. 3. Aufl. New York:
Oxford University Press.
Symonides, Janusz (Hg.). 2000. Human Rights: Concept and Standards. Ashgate: UNESCO.
Symonides, Janusz und Vladimir Volodin (Hg.).
2001. A Guide to Human Rights, Institutions, Standards, Procedures. Paris: UNESCO.
Todorovic, Mirjana (Hg.). 2003. Culture of Human
Rights. Belgrad: Human Rights Centre.
Tudyka, Kurt P. 2002. OSZE-Handbuch. Wiesbaden:
Leske + Budrich.
Ulrich, George. 2006. Towards a Theory of Global
Ethics in Support of Human Rights. In: Wolfgang
Benedek, Koen de Feyter und Fabrizio Marella (Hg.).
2006. Economic Globalisation and Human Rights.
Cambridge: Cambridge University Press, 39-66.
Umozurike, U. Oji. 1997. The African Charter on Human and Peoples’ Rights. Den Haag: Martinus Nijhoff
Publishers.
United Nations General Assembly. 2005. In Larger
Freedom: Towards Development, Security and Human
Rights for All. Report of the Secretary-General, http://
www.un.org/largerfreedom/contents.htm.
Willets, Peter (Hg.). 1996. The Conscience of the
World. The Influence of Non-Governmental Organizations in the UN System. London: Hurst.
Siehe auch III.B. Empfohlene Literatur
zu den Menschenrechten
ZUSÄTZLICHE INFORMATIONEN
Europarat. 2002. Guidelines on Human Rights and the
Fight against Terrorism. http://www.coe.int/T/E/Human_rights/h-inf(2002)8eng.pdf
Europarat. 2005. Guidelines on the Protection of
Victims of Terrorist Acts. http://www.coe.int/t/E/Human_Rights/5694-8.pdf
Europäisches Trainings- und Forschungszentrum
für Menschenrechte und Demokratie:
http://www.etc-graz.at
Grazer Deklaration der Prinzipien der Menschenrechtsbildung und der Menschlichen Sicherheit:
5. MinisterInnentreffen des Netzwerkes Menschlicher
Sicherheit, Graz, 10.5.2003, http://www.etc-graz.at/
typo3/fileadmin/user_upload/ETC-Hauptseite/human_security/declaration.pdf
Human Security Network:
http://www.humansecuritynetwork.org
Human Security Centre:
http://www.humansecurity centre.org
UNESCO:
http://www.unesco.org
United Nations. 2007. Declaration on the Rights of
Indigenous Peoples, http://www.un.org/esa/socdev/
unpfii/en/declaration.html
Welch Jr., Claude E. 2000. NGOs and Human Rights:
Promise and Performance. Philadelphia: University of
Pennsylvania Press.
United Nations. 2005. World Summit Outcome Document. VN Dok. A/RES/60/1 of 16 September 2005
Weschke, Katrin. 2001. Internationale Instrumente
zur Durchsetzung der Menschenrechte. Berlin: Berliner
Wissenschaftlicher Verlag.
United Nations. 1993. Erklärung der Vereinten Nationen über Minderheitenrechte. http://www1.umn.edu/
humanrts/instree/d5drm.htm
V erb ot D er F o lter
II. M ODULE ZU
AUSGEWÄHLTEN
MENSCHENRECHTSTHEMEN
UNIVERSALITÄT
GLEICHHEIT
UNTEILBARKEIT UND INTERDEPENDENZ
„Die Internationale Gemeinschaft tritt gerade aus der Phase der Verpflichtungen. Sie muss nun eine Phase der Durchsetzung erreichen,
in der sie den politischen Willen und die notwendigen Ressourcen mobilisiert, um die Versprechen zu halten, die sie gegeben hat.“
Kofi Annan, ehemaliger UNO-Generalsekretär. 2001.
69
70
N otizen
V erb ot D er F o lter
VERBOT
DER FOLTER
Menschenwürde und Persönliche Integrität
Unmenschliche und Erniedrigende Behandlung
Folter
„Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder
ernie­drigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“
Art. 5, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. 1948.
71
72
V erb ot D er F o lter
GESCHICHTE ZUR ILLUSTRATION
Am 25. November 1991 um etwa neun Uhr Meter vor meinen Füßen, an denen ich keine
früh wurde ich auf der Straße von der Polizei Schuhe mehr hatte. Gleichzeitig schlugen sie
angehalten. Da gab es noch keine Probleme mich. Nach dieser Misshandlung drohten sie,
... Ich wurde dennoch zur Polizeiwache Bobig- mir eine Spritze zu injizieren. Als ich diese
ny gebracht. Man brachte mich in den ersten sah, riss ich meinen Hemdsärmel auf und sagStock, wo etwa acht Leute begannen, mich te: „Los doch, ihr traut euch doch nicht!“ Wie
zu schlagen. Ich musste niederknien. Ein Po- ich es vorausgesehen hatte, machten sie ihre
lizeibeamter zog mich an den Haaren nach Drohung nicht wahr.
oben. Ein anderer Polizeibeamter schlug mich Die Polizeibeamten ließen mich daraufhin
wiederholt mit einem Gegenstand, der einem etwa 15 Minuten lang in Ruhe, dann sagte
Baseballschläger ähnelte. Ein dritter trat und einer von ihnen: „Ihr Araber werdet gerne in
schlug mich unentwegt in den Rücken. Die Be- den Arsch gefickt.“ Sie ergriffen mich, zwanfragung verlief ohne Unterbrechung etwa eine gen mich dazu mich auszuziehen, und einer
Stunde lang ...
von ihnen führte einen kleinen schwarzen
Am 26. November 1991 wurde ich wieder von Schlagstock in meinen Anus ein.
mehreren Polizeibeamten – drei oder vier – befragt, irgendwann an diesem Tag. Diesmal (Als Herr Selmouni diese Szene berichtet, bezogen sie mich an den Haaren, verprügelten ginnt er zu weinen.)
mich und schlugen mich mit einem Stock ...
Sie fuhren mit den Angriffen bis etwa ein Uhr Ich bin mir bewusst, wie ernst das, was ich Ihnachts fort. Ich glaube, dass diese Phase der nen erzähle, ist. Aber es ist die reine Wahrheit,
Misshandlungen um etwa sieben Uhr abends ich habe wirklich unter diesen Misshandlunbegonnen hatte. Irgendwann ließen sie mich gen gelitten ...
auf den langen Korridor hinaus gehen, wo
der Beamte, den ich für den Befehlshaber hielt, Der Europäische Gerichtshof für Menschenmich bei den Haaren packte und mich den rechte hat nach Prüfung der Fakten und BeGang hin und her laufen ließ während sich weise des Falles Selmouni gegen Frankreich
die anderen auf beiden Seiten aufstellten, um am 28. Juli 1999 einstimmig entschieden, dass
mich zu Fall zu bringen ...
Art. 3 (Verbot der Folter) der Europäischen
Danach wurde ich in ein Büro gebracht, und Konvention zum Schutz der Menschenrechte
man drohte mir mit Verbrennungen, wenn ich und Grundfreiheiten verletzt wurde.
nicht sprechen sollte. Als ich mich dennoch
weigerte, entzündeten sie zwei Lötlampen, die Quelle: Europäischer Gerichtshof für Menmit zwei kleinen blauen Gasflaschen verbun- schenrechte. 1999. Fall Selmouni gegen
den waren. Sie zwangen mich, mich hinzuset- Frank­reich. Urteil vom 28. Juli 1999. Strasszen und platzierten die Lötlampen etwa einen burg, Frankreich.
V erb ot D er F o lter
Diskussionsfragen
1. Wie würden Sie beschreiben, was Herrn 3.Wie kann die Gesellschaft Ihrer Meinung
nach Opfer wie Herrn Selmouni unterstütSelmouni widerfahren ist? Welche Gefühle
zen und ihnen beistehen?
und Gedanken hat diese Geschichte in Ih4.Hätten Sie eine andere Meinung, wenn
nen wachgerufen?
Sie wüssten, dass Herr Selmouni ein
2.Was, denken Sie, kann getan werden, um
Drogendealer ist? Warum?
ähnlichen Vorfällen vorzubeugen? Kennen
Sie bereits bestehende Schutzmechanismen auf lokaler, regionaler oder internationaler Ebene?
WAS MAN WISSEN MUSS
1. Eine Welt ohne Folter
Am Beginn des 21. Jahrhundert ist eine Welt
frei von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung noch immer eine
unerfüllte Sehnsucht. Menschenrechtsorganisationen und Medien berichten vermehrt von
Folterfällen und Misshandlungen und versuchen, das Bewusstsein für die anerkannten
Standards und deren unterschiedlichen Einhaltung durch die Staaten zu schärfen.
Schwere Formen von grober Misshandlung
werden oft nur mit Gesellschaften und Staaten, in denen Menschenrechtsverletzungen
an der Tagesordnung stehen, in Verbindung
gebracht. Tatsächlich kommt Folter in zwei
Dritteln aller Länder der Welt vor. Folter ist
nicht nur, wie verbreitet angenommen wird,
ein Phänomen armer und „unzivilisierter“
Gesellschaften, sondern passiert auch in hoch
industrialisierten und entwickelten Ländern.
Obwohl Folter oder andere Formen grober
Misshandlung weltweit existieren, unterscheiden sie sich doch in der Art und Weise, in der
sie begangen werden, wie auch im Ausmaß
und der Häufigkeit, mit der sie auftreten.
Das Verbot der Folter ist ein absolutes, es
gilt uneingeschränkt und wurde in vielen internationalen wie auch regionalen Verträgen
festgehalten. Es gehört zu den unveräußerlichen Menschenrechten, was bedeutet, dass
es unter allen Umständen Gültigkeit hat, beachtet werden muss und dem Staat keinerlei
Außerkraftsetzung erlaubt ist. Folter und grobe Misshandlung sind darüber hinaus gemäß
internationalem Gewohnheitsrecht verboten;
das Folterverbot gilt daher auch für Staaten,
die keine Menschenrechtsverträge unterzeichnet haben. Dennoch und trotz dieses Verbotes
werden sowohl Folter als auch unmenschliche und erniedrigende Behandlung nach wie
vor wiederholt praktiziert: vielleicht gerade in
diesem Moment an Menschen, die ihrer Freiheit beraubt wurden, an Menschen, die einer
anderen ethnischen, sozialen und kulturellen
Gruppe angehören, an jungen und alten Menschen, an Frauen und Männern. Niemand ist
vor Folter geschützt, jeder Mensch kann Opfer
von Folter werden – jederzeit!
Über einen langen Zeitraum hinweg wurden
Folter und unmenschliche und erniedrigende
Behandlung ausschließlich als Charakteristika von Sklaverei und Krieg wahrgenommen,
während ihr Vorkommen in Zeiten des Frie-
73
74
V erb ot D er F o lter
dens schlichtweg außer Acht gelassen wurde.
Mittlerweile ist man sich aber dank genauerer Untersuchungen von Fällen der Folter
und unmenschlicher oder erniedrigender Be­
handlung darüber im Klaren, dass schwere
Formen grober Misshandlung keineswegs der
Vergangenheit angehören und sich nicht auf
Kriegssituationen beschränken. Im Laufe der
menschlichen Entwicklung und mit zunehmendem Fortschritt wurden altertümliche
und mittelalterliche Foltermethoden durch
ausgeklügeltere, aber keineswegs weniger
grausame, ersetzt. Die Ziele und Wirkungen
dieser Methoden haben sich nicht geändert,
Folter und andere schwere Formen grober
Misshandlung sind nach wie vor eine ernste
Bedrohung, sowohl für die Menschliche Sicherheit als auch für die physische und psychische Integrität von Menschen. Es bedarf
gemeinsamer Anstrengungen, um ihren Einsatz von vornherein zu verhindern.
Aktuelle Entwicklungen vor allem im Bereich
des Völkerrechts, aber auch eine schnellere
und umfassendere Verbreitung von Informationen, haben ein Bewusstsein für das Problem der Folter und andere Formen grober
Misshandlung geweckt und zu weltweiter
Aufmerksamkeit für das Thema beigetragen.
Sowohl staatliche als auch nichtstaatliche
Vertretungen und Organisationen haben damit begonnen, nicht nur die Auswirkungen
von groben Misshandlungen zu identifizieren
und zu behandeln, sondern auch die ihnen
innewohnenden Beweggründe zu untersuchen. Eindeutige internationale Standards
für den Schutz vor und die Prävention von
Folter wurden eingeführt und weitgehend
angenommen. Darüber hinaus hat sich eine
große Anzahl von Mechanismen für Untersuchung, Überwachung und Beobachtung
sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene herausgebildet. Deren Ziel ist
es, diese Präventionsstandards und die Beachtung des unveräußerlichen Verbots von
Folter und anderer Formen grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und Bestrafung zu wahren.
Verbot der Folter und
Menschliche Sicherheit
Die Bedrohung, die von Folter und grober
Misshandlung ausgeht, ist eine direkte
Bedrohung der Menschlichen Sicherheit
und der Sicherheit jeder einzelnen Person. Demnach sind der Schutz menschlichen Lebens und die Bewahrung der
physischen und psychischen Integrität
der Menschen zu einem wesentlichen
Anliegen des Ansatzes der Menschlichen
Sicherheit geworden. Die Unverletzlichkeit des Lebens eines jeden Menschen zu
schützen, steht in engem Zusammenhang
mit dem absoluten Verbot der Folter und
jeder anderen Form grober Misshandlung.
Die volle Verwirklichung des Rechts auf
Leben und persönliche Integrität sowie
das absolute Verbot der Folter und anderer Formen von grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung oder
Strafe gehören zu den vordringlichen Bestrebungen der Menschlichen Sicherheit.
Es ist nicht zu bestreiten, dass Bewusstseinsbildung über Menschenrechte mittels Menschenrechtsbildung und -lernen
sowie verbesserte gesetzliche Rahmenbedingungen für den Schutz vor und die
Verhütung von Folter und grober Misshandlung die Eckpfeiler für ein erweiter-
„Ein Mensch, der einen Menschen
foltert, ist ein Scheusal, das jeder
Beschreibung spottet.“ (Übersetzung)
Henry Miller, amerik. Schriftsteller (1891-1980).
V erb ot D er F o lter
tes Konzept der Menschlichen Sicherheit
und des Wohls der Menschheit darstellen
werden. Das Statut des Internationalen
Strafgerichtshofes, dessen Errichtung seitens des Netzwerks für Menschliche Sicherheit stark befürwortet wurde, erkennt
Folter klar als ein Verbrechen gegen die
Menschlichkeit und als Kriegsverbrechen
an und legt demnach besondere Betonung
auf den Schutz des menschlichen Lebens
und der Menschlichen Sicherheit.
2. Definition und Beschreibung
des Themas
Was ist Folter?
Obwohl die Ächtung der Folter und ihr Verbot
allgemein als Völkergewohnheitsrecht anerkannt sind (das heißt: für alle Staaten gelten),
war es lange Zeit eine Herausforderung, das
Phänomen von Folter und grober Misshandlung in einer allgemein gültigen Form zu
definieren. Die international anerkannten Bestimmungen für ein absolutes Verbot der Folter, welche in einer Reihe von internationalen
Rechtsvorschriften niedergelegt wurden, stellen bis zum heutigen Tag keine ausreichende
Garantie gegen das Auftreten von Folter dar.
Offensichtlich gab und gibt es hier immer wieder Definitionsspielräume, die eine Bandbreite
von Interpretationsmöglichkeiten für staatliche Autoritäten offen lassen, auch wenn diese
im Prinzip ihre Akzeptanz der internationalen
Vorschriften zum Ausdruck gebracht haben.
Eine Legaldefinition von Folter, die von allen
Unterzeichnerstaaten bekräftigt wurde, nahm
das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (CAT) der
Vereinten Nationen 1984 vor (angenommen
durch die Resolution 39/46 der Generalversammlung vom 10. Dezember 1984, in Kraft
getreten am 26. Juni 1987). Die Definition bezeichnet Folter im Art. 1 des CAT als:
„… jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder
seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel, um von ihr
oder einem Dritten eine Aussage oder
ein Geständnis zu erlangen, um sie für
eine tatsächlich oder mutmaßlich von
ihr oder einem Dritten begangene Tat zu
bestrafen oder um sie oder einen Dritten
einzuschüchtern oder zu nötigen, oder
aus einem anderen, auf irgendeiner Art
von Diskriminierung beruhenden Grund,
wenn diese Schmerzen oder Leiden von
einem Angehörigen des öffentlichen
Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person,
auf deren Veranlassung oder mit deren
ausdrücklichem oder stillschweigendem
Einverständnis verursacht werden. Der
Ausdruck umfasst nicht Schmerzen oder
Leiden, die sich lediglich aus gesetzlich
zulässigen Sanktionen ergeben, dazu gehören oder damit verbunden sind.“
Typische Merkmale der Folter sind gemäß dem
Antifolterkomitee der UNO (UNCAT):
• ein vorsätzlicher Akt, der schweres physisches oder psychisches Leiden verursacht;
• auf einen bestimmten Zweck gerichtet ist;
und
• von einem staatlichen Organ oder einer
Person mit offizieller Befugnis (oder in
deren Auftrag) durchgeführt wird.
Es ist wichtig festzuhalten, dass diese völkerrechtliche Definition, obwohl sie keineswegs allumfassend ist und die Unterschiede
zwischen Folter und anderer grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung
nicht näher im Detail ausführt, sowohl die
75
76
V erb ot D er F o lter
psychische als auch die physische Dimension litationsrat für Folteropfer, dass „Folter einer
der grausamsten Akte ist, den ein Mensch
von Misshandlungen in Betracht zieht.
Das Übereinkommen geht allerdings nicht nä- einem anderen Menschen antun kann. Das
her auf gesetzliche Sanktionen ein, die durch Ziel von Folter ist es, soviel Schmerzen wie
ein nationales Gesetz vorgeschrieben werden. möglich zuzufügen, ohne das Opfer sterben
Das kann in bestimmten Fällen zur Frage füh- zu lassen ...“ Die absichtliche Zufügung von
ren, inwieweit solche Sanktionen im Wider- Schmerz und Leid, physischer oder psychispruch zu den Zielen und der übergeordneten scher Art, ist ein Merkmal von Folter und von
Idee (dem Geist des Übereinkommens) stehen unmenschlicher und erniedrigender Behandkönnen. Dennoch trägt diese Definition jeden- lung. In gesetzlichen Bestimmungen sind
falls zu einem allgemeinen Verständnis bei, die Unterscheidungsmerkmale – wenngleich
wie es von der UNO-Menschenrechtskommis- subtiler Art – aufgezählt. Man unterscheidet
sion, der Vorgängerin des Menschenrechtsra- zwischen Akten der Unmenschlichkeit und
tes, festgehalten wurde: „Keine Form der Folter der erniedrigenden Behandlung und jenen der
oder anderer grausamer, unmenschlicher oder Folter nach der Natur des begangenen Aktes
erniedrigender Behandlung oder Strafe, […] selbst, der dahinter stehenden Absicht, dem
jemals und unter irgendwelchen Umständen Schweregrad wie auch der angewendeten
gerechtfertigt werden.“ Der Sonderberichter- grausamen Methoden. Anders ausgedrückt
statter zur Folter bestätigte, dass „die rechtli- ist ein Gericht desto eher geneigt, einen Akt
che und moralische Basis für das Verbot von als Folterfall zu behandeln, je grausamer,
Folter und anderer grausamer, unmenschlicher schmerzhafter und vorsätzlicher dieser ist.
oder erniedrigender Strafe oder Behandlung
absolut und zwingend ist und unter keinen Foltermethoden –
Umständen anderen Interessen, Politiken oder Wie passiert Folter?
Im Prinzip kann alles, angefangen von WasPraktiken untergeordnet werden darf“.
Aus Anlass des Internationalen Tages der ser bis zu Haushaltsgeräten, als FolterwerkUNO zur Unterstützung von Folteropfern am zeug verwendet werden. Auch heute sind
26. Juni bestätigte der Internationale Rehabi- Folterwerkzeuge und -methoden nicht auf
„Folter stellt eine grausame Verletzung der menschlichen Würde dar. Sie
entmenschlicht sowohl das Opfer als auch die Täter. Der Schmerz und die
Angst, die absichtlich von einem Menschen einem anderen zugefügt
werden, hinterlassen lebenslange Narben: Wirbelsäulen, die durch Schläge
verkrümmt sind, Schädel, die durch Gewehrläufe eingedrückt sind,
wiederkehrende Alpträume, die das Opfer in ständigem Angstzustand
halten. Freiheit von Folter ist ein grundlegendes Menschenrecht, das unter
allen Umständen geschützt werden muss.“ (Übersetzung)
Kofi Annan, ehemaliger UNO-Generalsekretär, 2001.
V erb ot D er F o lter
dem Rückzug, sondern haben sich weiter
entwickelt, und ihre Grausamkeit und Unmenschlichkeit hat sich damit gesteigert. Eine
beträchtliche Anzahl der heute verwendeten
Foltermethoden hinterlässt keine oder kaum
noch sichtbare Spuren am Körper, hat aber
statt dessen schädliche Auswirkungen auf die
inneren Organe des Opfers und auf seine psychische Gesundheit. Generell lassen sich Foltermethoden in zwei große Gruppen einteilen:
physische und psychische Methoden.
Physische Folter: Sie verursacht extreme
Schmerzen und exzessives Leiden beim Opfer.
In ihrer grausamsten Form kann sie zu Verstümmelung, Verunstaltungen oder dauerhaften Verletzungen führen. Die am häufigsten
angewandten Foltermethoden sind Schläge mit
der Peitsche, mit metallenen Objekten, Steinen, Kabeln und Schlagstöcken sowie Treten
und gegen die Wand Stoßen. Die so genannte „falaka“- oder „phalange“-Methode (das
brutale Schlagen der nackten Fußsohlen des
Opfers) wird fast genauso häufig angewandt
wie die Elektroschockmethode, Bedrohung
mit Erstickung, Verbrennen mit glühenden Zigaretten, oder das Opfer wird extremer Hitze
oder Kälte ausgesetzt.
Psychische Folter: Sie beinhaltet zum einen
Entzugs- und Erschöpfungstechniken, wie
zum Beispiel den Entzug von Nahrung, Wasser, Schlaf und Zugang zu sanitären Einrichtungen oder den Entzug von Kommunikation
durch Einzelhaft oder das Abschneiden jeglichen Kontaktes zu anderen Häftlingen bzw.
der Außenwelt. Des weiteren gibt es Zwangsund Einschüchterungstechniken – so ergänzen
Methoden wie die erzwungene Anwesenheit
bei der Folter anderer Personen, die Androhung der Exekution oder sogar die simulierte
Exekution, andauernde Demütigungen und
Terrorisierungen, die Bandbreite psychischer
Folter. Darüber hinaus wird sehr oft sexuelle
Gewalt als Mittel der physischen und psychischen Entmündigung des Opfers angewandt.
Alle diese Foltermethoden stellen jedenfalls
gravierende Verletzungen der menschlichen
Würde und Verletzungen der Menschenrechte
des Opfers dar. Eine Welt frei von Folter würde eine Welt frei von bewusster Zufügung von
Schmerz und frei von der Verwendung dieser
grausamen Mittel durch Menschen anderen
Menschen gegenüber bedeuten.
Motive für Folter –
warum wird Folter praktiziert?
Die Motive für Folter unterscheiden sich im
Allgemeinen stark, aber der Ausgangspunkt
ist häufig ein vorsätzlicher und zielgerichteter
Antrieb. Der Wunsch, Macht zu demonstrieren oder Schwächen zu verbergen, führt sehr
oft zu Folter oder ernsten Formen von grober
Misshandlung. In verschiedensten Epochen
der Geschichte wurde Folter zur Machterhaltung und Kontrolle eingesetzt, sowie um Stärke zu demonstrieren gegenüber Gegnern und
jenen, die progressive Ideen vertraten und damit implizit die Autorität und das herrschende Regime bedrohten. Demnach wurde und
wird Folter häufig als Werkzeug politischer
Unterwerfung und Unterdrückung, als Strafe,
als Rache sowie zur Ruhigstellung politischer
Gegner angewandt. Traditionellerweise wird
Folter und grobe Misshandlung darüber hinaus eingesetzt, um Informationen zu erhalten
und Geständnisse zu erzwingen, wohl wissend, dass Geständnisse, die unter Nötigung
und physischem Zwang zustande kommen,
einen – falls überhaupt – fragwürdigen Wahrheitsgehalt aufweisen. Grausame und erniedrigende Behandlungen werden auch praktiziert,
um Menschen einzuschüchtern, zu ängstigen,
zu bedrohen und zu entmenschlichen, in der
Absicht sie zu demütigen, ihnen ein Gefühl der
Nutzlosigkeit und der Minderwertigkeit zu vermitteln und um letztlich ihre Persönlichkeit zu
zerstören. All diese Akte, denen verschiedene
Motive zu Grunde liegen, haben jedenfalls eine
tiefgehende und lang anhaltende Auswirkung
77
78
V erb ot D er F o lter
auf die Persönlichkeit des Opfers. Die physi- artigen Praktiken sein, wenn eine schlechte
sche Rehabilitation und Erholung braucht oft materielle Versorgung auf Grund von unzuJahre, und die Folgen und Nachwirkungen der reichenden Ressourcen weder einen angeFolter können nicht immer gänzlich behandelt messenen Lebensstandard noch adäquate
und aufgehoben werden. Darüber hinaus sind medizinische Versorgung und damit auch kein
es vor allem die psychischen Wunden, die Op- Altern in Würde gewährleistet.
fer ein Leben lang zeichnen und sie oft daran Kinder, Männer und Frauen, Alte und Junhindern, zu einem normalen und erfüllten Da- ge – jeder Mensch kann ein Opfer von Folter
werden. Niemand ist vor den Auswirkungen
sein zurück zu finden.
von ernsten Formen grober Misshandlung und
Folter gefeit – selbst die TäterInnen sind daOpfer und TäterInnen von Folter oder
von betroffen. Sie sind zumeist PolizistInnen
erniedrigender Behandlung
Jede/r kann Opfer von Folter werden, vor al- oder Angehörige des Militärs, die in Ausübung
lem in jenen Gesellschaften, in denen das ihres Amtes agieren. In den meisten Fällen
Prinzip der Rechtsstaatlichkeit keine Tradition von grober Misshandlung oder Folter handeln
hat, oder in Gesellschaften, die den ihnen auf- die TäterInnen gemäß ihrer Befehle oder in
erlegten Gesetzen und Verpflichtungen nicht Ausübung ihrer Aufgaben innerhalb von Spefolgen bzw. sie nicht implementiert haben. zialeinheiten, in denen Folterpraktiken zum
Misshandlungen kommen besonders häufig täglichen Erscheinungsbild gehören. Darüber
in Gefängnissen, Polizeistationen und anderen hinaus können auch medizinisches Personal
Anhaltezentren vor, darüber hinaus sind sol- und Sicherheitskräfte in Einrichtungen für
che Vorkommnisse in privaten Heimen oder Menschen mit besonderen Bedürfnissen zu
in medizinischen Spezialeinrichtungen für un- TäterInnen werden – gewollt oder ungewollt –,
durch Vernachlässigung, das Fehlen von Konheilbar oder geistig Kranke keine Seltenheit.
Eine besonders gefährdete Gruppe für grobe trolle und Beaufsichtigung sowie das Fehlen
Misshandlungen sind Untersuchungshäftlinge von Ressourcen oder notwendigem Training.
und verurteilte Kriminelle, da sie selbst für die
Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse vom Gefängnispersonal abhängig sind. Haftanstalten sind
„Sie baten immer darum,
per Definition geschlossene Einrichtungen,
getötet zu werden. Folter ist
was bedeutet, dass die in Haft gehaltenen Personen dem Einblick durch die Öffentlichkeit
schlimmer als der Tod.“
entzogen sind und im Regelfall eine Gruppe
Jose Barrera, honduranischer Folterer.
darstellen, für die die Allgemeinheit wenig Interesse, Verständnis und Sympathie aufbringt.
Minderheiten, seien sie sozialer, religiöser
oder ethnischer Art, sowie Flüchtlinge sind 3.Interkulturelle Perspektiven
ebenfalls oft Opfer von groben Misshandlun- und strittige Themen
gen und überdies dem Risiko der RetraumatiVon einander abweichende kulturelle Praksierung ausgesetzt.
Ältere und geistig behinderte Personen, die tiken und Sichtweisen beeinflussen unzweiin speziellen Einrichtungen oder Kranken- felhaft das Verständnis von völkerrechtlichen
häusern leben, oft vernachlässigt und sogar Normen und Standards und prägen häufig
vergessen, können ebenfalls Opfer von folter- deren Interpretation mittels spezifischer kul-
V erb ot D er F o lter
tureller Prismen. So sind zum Beispiel körperliche Strafen wie das Zufügen von Schmerzen
durch Stock oder Peitsche eine weit verbreitete Form von Misshandlung im Sinne einer
korrektiven Maßnahme. Innerhalb der islamischen Scharia-Rechtstradition sind körperliche Strafen und sogar Amputationen
nicht nur akzeptierte Praxis, sondern durch
eine Anzahl von religiösen Gerichten, die
Ehe- und Erbschaftsangelegenheiten sowie
andere Bereiche des physischen und spirituellen Lebens von Moslems regeln, gesetzlich
erlaubt. So werden zum Beispiel im Strafgesetzbuch der Provinz Zamfara in Nigeria
(vom Jänner 2000), das auf den Grundsätzen
der Scharia beruht, Stockschläge, Amputation
und Todesstrafe als vom Gesetz zugelassene
Bestrafungen beschrieben. Auch die Gerichtsentscheidungen der religiösen Gerichtshöfe in
Saudiarabien, im Iran, in Libyen und in Afghanistan beruhen auf der Scharia.
Die israelischen Sicherheitskräfte wurden
zum Beispiel bereits wiederholt für ihren
Gebrauch von mäßiger körperlicher Gewalt
bei Befragungen kritisiert. Die Annahme der
Vorschläge der Landau-Untersuchungskommission aus dem Jahre 1987, denen zu Folge
der Gebrauch einer mäßigen Anwendung von
körperlicher Gewalt während einer Befragung
auf Basis der gegebenen Notwendigkeiten
als gerechtfertigt angesehen wird, hat hitzige
Debatten hervorgerufen. Bedenklich war vor
allem, dass der Empfehlung keinerlei Klarstellungen hinsichtlich des Limits von mäßiger
körperlicher Gewalt und des Beginns von Folter folgten. Einzig im Fall Public Committee
against Torture in Israel vs. the State of Israel entschied der Oberste Gerichtshof Israels,
dass die Verwendung von mäßiger körperlicher Gewalt illegal sei, da sie den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Schutz des Rechtes
auf Würde des Einzelnen verletze. Tatsächlich
betont das UNO-Antifolterkomitee in seinem
Schlusswort und in den Empfehlungen zu Is-
rael vom 23. November 2001, „… dass das
Komitee keinesfalls überzeugt ist und seine
Besorgnis darüber ausdrücken möchte, dass
Folter, wie im Übereinkommen definiert, noch
nicht als Verbotstatbestand in die nationale
Rechtsordnung übernommen wurde“.
Die beiden Beispiele zeigen, dass, obwohl die
Standards für das Verbot von Folter international anerkannt sind, die tatsächliche Interpretation und die Implementierung von Land zu
Land variieren können. Es ist jedenfalls eine
offene Frage, inwieweit diese Auffassungsunterschiede das absolute und universelle Verbot von Folter in einem kulturell sensitiven
Kontext bekräftigen, oder inwieweit sie den
Zielen und dem Geist des völkerrechtlichen
Gewohnheitsrechts wie auch des Völkervertragsrechts widersprechen.
Eine Anzahl von strittigen Fragen und Antworten kann in diesem Zusammenhang
ebenfalls erhoben werden. Im Moment wird,
vor allem in den USA, eine hitzige Debatte
darüber geführt, ob Terrorismus sich von
anderen Formen der Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen unterscheidet und
ob demzufolge zusätzliche Standards geschaffen werden müssen, um Terrorismus
zu verhindern und zu bekämpfen. Einige wenige Länder wie Irland, die Türkei und die
USA haben Anti-Terror-Gesetze eingeführt,
die ein, verglichen mit der üblichen nationalen Strafverfolgung, beschleunigtes Verfahren ermöglichen, mit der Konsequenz, dass
Menschenrechte und Grundfreiheiten beschnitten werden. Nach den Ereignissen des
11. September 2001 konnte man ein Wiederaufleben der uralten Debatte beobachten, ob
es akzeptabel sei, TerroristInnen zu foltern,
um das Leben anderer zu schützen. In engem Zusammenhang damit steht die Frage,
ob Opfer von Folter einen höheren Anspruch
auf Schutz ihrer Menschenrechte haben als
Kriminelle, und ob das Leben eines Verbrechers oder einer Terroristin gleich viel wert
79
80
V erb ot D er F o lter
ist wie das Leben jedes anderen Menschen.
Es gibt keine einfachen Antworten inmitten
dieses komplizierten Gefüges von Widersprüchen und ungelösten moralischen Dilemmata.
Allerdings vertreten VölkerrechtlerInnen konsequent die Ansicht, dass eine Dualität von Standards nicht akzeptabel ist und internationale
rechtliche Standards nicht selektiv angewandt
werden dürfen. Nur auf diese Art und Weise,
meinen viele, kann der Geist und die Funktion
des Völkerrechts als ein Hüter von Weltfrieden,
Menschlicher Sicherheit und dem Verständnis
der Staaten untereinander bewahrt werden.
4.Durchsetzung und Überwachung
drei Wochen lang in Genf. Seine Aufgabe besteht
in der Prüfung der Staatenberichte der Vertragsstaaten (der Erstbericht wird ein Jahr nach Inkrafttreten fällig, danach besteht Berichtspflicht
alle vier Jahre). UNCAT kann Befragungen
durchführen, Klarstellungen und zusätzliche
Informationen beantragen, die sich aus offenen
Fragen in diesen Staatenberichten ergeben. Sodann entscheidet der Ausschuss über Individualbeschwerden gegen jene Staaten, welche das
Individualbeschwerdeverfahren gemäß Art. 22
anerkannt haben. Bis zum 1. September 2007
hat der Ausschuss über rund 240 Beschwerden entschieden. Das UNO-Antifolterkomitee
kooperiert eng mit dem neuen Unterkomitee
zur Verhütung von Folter (SPT) und dem UNOSonderberichterstatter zur Folter (
Was
man wissen sollte), dem Europä­ischen Komitee
zur Verhütung von Folter (CPT) und dem UNOFonds für Folteropfer. Ein ausführlicher Bericht
über die Arbeit des Ausschusses wird jährlich
herausgegeben und veröffentlicht.
Seit 1948 wurden die internationalen Regelungen bezüglich des Verbots der Folter und anderer Formen grausamer, unmenschlicher und
erniedrigender Behandlung wesentlich weiter
entwickelt und verbessert. Eine ständig wachsende Zahl von Staaten hat die völkerrechtlichen Verpflichtungen unterzeichnet, ratifiziert
und in ihre innerstaatliche Gesetzgebung und Neuere Entwicklungen:
Praxis übernommen. Starke regionale Systeme Eine neue Entwicklung brachte die 57. UNOfür die Verhütung von und den Schutz vor Fol- Generalversammlung in New York 2002
ter wurden entwickelt (zum Beispiel in Europa), mit der Verabschiedung eines fakultativen
und nationale Inspektions- und Überwachungs- Zusatzprotokolls zum Übereinkommen
mechanismen sind entstanden.
gegen Folter und andere unmenschliche,
Auf internationaler Ebene überwachen das UNO- grausame und erniedrigende Behandlung
Antifolterkomitee (UNCAT) und der UNO- oder Bestrafung (OPCAT) von 1984. Ziel des
Sonderberichterstatter für Folter, zur Zeit der Protokolls ist es, auf universeller Ebene Folter
Österreicher Manfred Nowak, gemeinsam mit und andere Formen grober Misshandlungen
einer großen Anzahl an NGOs die Durchsetzung zu verhindern, indem ein regelmäßiges Beder Staatenverpflichtung, Folter bzw. folterähn- suchssystem in Haftanstalten durch internatiliche Praktiken zu verbieten.
onale und nationale ExpertInnen eingerichtet
Die Überwachung des Übereinkommens gegen wird. Dementsprechend wurde nach InkraftFolter und andere grausame, unmenschliche treten des Zusatzprotokolls ein internationaund erniedrigende Behandlung vom 10. Dezem- les ExpertInnengremium als Unterkomitee
ber 1984 (CAT) ist gemäß dessen Art. 17 einem des UNO-Antifolterkomitees (SPT) eingerichAusschuss von zehn unabhängigen ExpertInnen tet. Das Protokoll fordert die Staaten auch auf,
übertragen. Das Antifolterkomitee begann seine nationale ExpertInnenbesuchsgremien, sog.
Arbeit am 1. Januar 1988 und trifft sich jährlich „Nationale Präventionsmechanismen“ (NPM),
V erb ot D er F o lter
einzurichten. Diese internationalen und nationalen Gremien sollen auf regulärer Basis
Anstalten, wo Personen gegen ihren Willen
festgehalten werden, besuchen und Empfehlungen sowie Verbesserungsvorschläge für die
Aufenthaltsbedingungen abgeben. Diese Art
der Prävention nach dem Muster der Arbeit
des Europaratskomitees gegen Folter (CPT)
stellt eine innovative Entwicklung innerhalb
des UNO-Menschenrechtssystems dar, da die
bisher bestehenden Institutionen nur dann
eingreifen konnten, wenn bereits Verletzungen bzw. Verstöße stattgefunden haben.
Der Besuch von Haftanstalten ist eines der effektivsten Mittel, wenn es um die Verhütung
von Folter und die Verbesserung von Haftbedingungen geht. Das Zusatzprotokoll sieht
erstmals ein universelles Instrument für ein
effektives Vorbeugesystem durch nationale
ExpertInnengremien vor.
Dementsprechend wird das Protokoll auch
als ein echter Schritt in Richtung der Stärkung der internationalen und nationalen
Verhütungsmechanismen gegen Folter und
unmenschliche und erniedrigende Behandlung verstanden. Es ist unbedingt notwendig,
dass nationale gesetzliche Bestimmungen mit
internationalen Standards harmonisiert und
nationale Systeme für deren Überwachung
und zur Berichterstattung geschaffen werden.
Die universelle Abschaffung von Folter kann
nur dann Wirklichkeit werden, wenn die mittlerweile ausgearbeiteten internationalen Standards in ein wirksames und unabhängiges
nationales Implementierungs- und Überwachungssystem der Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen sowohl auf der nationalen als
auch auf der lokalen Ebene Eingang gefunden
haben. Darüber hinaus ist eine unabdingbare
Voraussetzung für eine angemessene und faire nationale Rechtsordnung, dass den Opfern
von Folter die Möglichkeit der Rehabilitation,
der Kompensation, der Reintegration und der
Rechtshilfe zur Verfügung gestellt wird.
Drei Hauptaspekte für die effektive Verhütung
von Folter können ausgemacht werden:
1. Errichtung eines effektiven rechtlichen
Rahmens und Sicherstellung seiner vollen
Implementierung. Darüber hinaus müssen
angemessene Schutzmaßnahmen zur Verhütung von Folter zur Anwendung kommen
– zum Beispiel elementare Schutzbedingungen in der Haft (Zugang zu AnwältInnen,
RichterInnen, ÄrztInnen) und das Verbot
von Isolationshaft.
2. Einrichtung von Kontrollmechanismen und
im Besonderen eines nationalen Besuchsmechanismus für Haftanstalten sowie den
Aufbau von unabhängigen Beobachtungsund Berichtssystemen durch NGOs.
3. Fortlaufendes Training für die beteiligten
Personen, wie zum Beispiel PolizistInnen,
Gefängnispersonal, AnwältInnen, RichterInnen, ÄrztInnen, Personal in psychiatrischen Anstalten, usw.
Jede/r kann an Aktivitäten zur Verhütung
von Folter mittels Aktionen und Kampagnen
„Man öffne die Zeitung an irgendeinem Tag und man wird einen Bericht
über irgendjemanden irgendwo in der Welt finden, der auf Grund seiner
Meinungen oder seiner Religion, die für seine Regierung unakzeptabel
sind, inhaftiert, gefoltert oder hingerichtet wurde.“
Peter Benenson, Gründer von Amnesty International.
81
82
V erb ot D er F o lter
teilnehmen. Auch kann jede/r Einzelne sich
für die Ratifikation von internationalen Instrumenten und deren nationale Implementierung
einsetzen. Durch die ehrenamtliche Arbeit in
NGOs kann jede/r zum Prozess der Bewusstseinsbildung und Erziehung beitragen, sowohl
innerhalb der Familie als auch auf lokaler und
regionaler Ebene. Darüber hinaus kann man
nicht zuletzt auch die Opfer von Folter dadurch
unterstützen, dass man ihren Problemen aufgeklärt begegnet und so zur Verbesserung und
künftigen Verhütung beiträgt. Indem man Folteropfern die Möglichkeit gibt, ihre Schicksale
zu dokumentieren und darüber zu berichten
sowie Möglichkeiten schafft, die es ihnen erlauben, auf rechtlicher Grundlage gegen die
TäterInnen vorzugehen, hilft man ihnen, das
Trauma der Folter zu verarbeiten.
WAS MAN WISSEN SOLLTE
1. Good Practices
Heutzutage gibt es eine große Anzahl an • Aufbau von Institutionen und Kapazitäten,
Einflussnahme auf bereits bestehende
weltweiten Aktivitäten, deren Ziel es ist, BeStrukturen und Institutionen durch Reform
wusstseinsprozesse zu starten, zur Verhütung
oder Aufbau neuer Institutionen mit lokaunmenschlicher Behandlung beizutragen und
len Problemlösungskapazitäten.
gesetzliche Unterstützung sowie physische
und psychische Rehabilitation für Folteropfer
anzubieten.
Österreichischer Menschenrechtsbeirat
Viele dieser Praktiken zeichnen sich durch (MRB)
aktives Handeln aus, andere wiederum zielen Der österreichische Menschenrechtsbeirat
darauf ab, lokale Kapazitäten und lokales Wis- wurde im Jahr 1999 auf Grundlage von Empsen aufzubauen, um Folter zu vermeiden und fehlungen des Europäischen Komitees für
davor zu schützen. Nicht zuletzt spielen der die Verhütung der Folter eingerichtet, um
Aufbau von institutionellen Kapazitäten und das Innenministerium zu beraten. Der Mendie Verbesserung der bestehenden Rechtssys- schenrechtsbeirat produziert Berichte und
teme eine bedeutende Rolle in diesem Prozess. Empfehlungen, in denen strukturelle MenAlle diese Ebenen sind miteinander verbunden schenrechtsprobleme in allen Bereichen der
und bedingen einander, Initiativen werden auf österreichischen Polizei adressiert werden. Der
jeder dieser Ebenen gesetzt.
Menschenrechtsbeirat überwacht sechs regionale Kommissionen, die das Recht haben, alle
Good practices zur Vermeidung von Folter und Orte der Anhaltung ohne Vorankündigung zu
besuchen. Dies hat zu merklichen Verbessegrober Misshandlung können folgende sein:
rungen etwa in Polizeianhaltezentren geführt.
• Basisarbeit, Aktionskampagnen, Lobbying, Quelle: Menschenrechtsbeirat.
http://www.menschenrechtsbeirat.at
Bewusstseinsbildung, Bildungsmaßnahmen auf lokaler Ebene.
V erb ot D er F o lter
Aktivitäten internationaler
Organisationen
Der UNO-Sonderberichterstatter zur
Folter – Ziele, Mandate, Aktivitäten
Die Menschenrechtskommission der
UNO entschied in der Resolution
1985/33, eine/n SonderberichterstatterIn
zur Folter zu ernennen, die/der die Aufgabe hat, relevanten Fragen zur Folter
nachzugehen, verlässliche und glaubhafte Informationen zu solchen Fragen
zu suchen und zu erhalten und effektiv
auf diese Informationen zu reagieren.
Die/der SonderberichterstatterIn legt der
Kommission jedes Jahr einen umfassenden Bericht über ihre/seine Aktivitäten
vor, der einen Überblick über das Auftreten und das Ausmaß von Folter geben
soll und darüber hinaus Empfehlungen
an die Staaten richtet, wie Folter verhindert werden kann. Das Mandat des Sonderberichterstatters umfasst alle Länder
weltweit, unabhängig davon, ob ein
Staat die Konvention gegen Folter und
andere grausame, unmenschliche und
erniedrigende Behandlung oder Strafe
unterzeichnet hat oder nicht.
Das Mandat fasst drei Hauptaktivitäten zusammen: Die Übermittlung von
Communiqués, die sich auf dringende
Anfragen und Anschuldigungsbriefe
(mutmaßliche Fälle von Folter) beziehen, die Organisation von Fact FindingMissionen (Länderbesuchen) in Länder,
wo Informationen zufolge Folter nicht
nur vereinzelt auftritt sowie die Übermittlung von jährlichen Berichten über
Aktivitäten, Mandat und Arbeitsmethoden des Sonderberichterstatters an die
Menschenrechtskommission und die Generalversammlung.
Anders als andere Überwachungskörper
nach internationalem Recht kann die/der
SonderberichterstatterIn auch schon vor
Ausschöpfung der nationalen Instanzen
angerufen werden, um gegen Einzelfälle
mit Folterrisiko („dringende Anfragen“)
oder gegen mutmaßliche Fälle von Folter
(„Anschuldigungen“) vorzugehen.
Seit 2004 ist Manfred Nowak aus Österreich der UNO-Sonderberichterstatter
zur Folter. Er hat bereits Nepal und China besucht, ein Besuch in Guantánamo
mit vier anderen Sonderberichterstattern
wurde jedoch abgesagt, da die US-Behörden den freien Zugang zu den Gefangenen verweigert hatten.
Um Informationen über den Sonderberichterstatter zur Folter zu bekommen,
schreiben Sie an:
Special Rapporteur on Torture
Office of the High Commissioner for
Human Rights
8-14 Avenue de la Paix
1211 Geneva 10, Switzerland
Quelle: UNO-Sonderberichterstatter.
2002. Fact Sheet No. 4. http://
www.unhchr.ch/html/menu6/2/fs4.htm
Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und anderer unmenschlicher oder erniedrigender
Be­handlung oder Strafe (CPT)
Gründung
Das CPT wurde auf Grund des Europäischen Übereinkommens für die Verhütung von Folter und unmenschlicher oder
erniedrigender Behandlung oder Strafe
(angenommen 1987) errichtet.
83
84
V erb ot D er F o lter
Mitgliedschaft
Außer Mitgliedern des Europarats besteht
seit März 2002 auch für Nicht-Mitglieder
des Europarats, die Möglichkeit auf Einladung des MinisterInnenkomitees der
Konvention beizutreten. Im Komitee sind
ÄrztInnen, JuristInnen, Gefängnis-, Poli­
zei- sowie MenschenrechtsexpertInnen
vertreten. Die Anzahl der Mitglieder
des Komitees hängt von der Anzahl der
das Übereinkommen unterzeichnenden
Staaten ab. Seit März 2007 ist der italienische Menschenrechtsexperte Mauro
Palma Präsident des Komitees und die
österreichische Völkerrechtlerin Renate
Kicker Vizepräsidentin.
Aufgabenbereich
Das Komitee führt Untersuchungen über
die Behandlung von Gefangenen durch.
Es inspiziert und begutachtet Polizeistationen, Gefängnisse, psychiatrische
Anstalten und generell Orte, an denen
Menschen festgehalten werden, wie zum
Beispiel Unterbringungseinrichtungen
für Asylwerber im Transitbereich von internationalen Flughäfen. Die Mitglieder
des Komitees haben das Recht, mit den
festgehaltenen Personen unter vier Augen in privater Atmosphäre zu sprechen.
Arbeitsmethoden
Das Komitee führt zum einen periodische Besuche in den Vertragsstaaten
durch und kann zum anderen auch Adhoc-Besuche, falls diese nötig scheinen,
vornehmen. Die Befunde und Ergebnisse
werden in einem vertraulichen, für die
Regierungen bestimmten Bericht festgehalten, in denen Besorgnis und Empfehlungen zum Ausdruck gebracht werden.
Die Vertraulichkeit der Arbeit ist eine
wichtige Grundlage für die Glaubwürdigkeit des Komitees, und der permanente
konstruktive Dialog mit den Regierungen hat die internationale Bedeutung
des CPT gestärkt. Die Berichte des CPT
können gemeinsam mit den Stellungnahmen von Seiten der betroffenen Staaten
veröffentlicht werden, wenn die Staaten
dazu ihre Zustimmung geben, was in der
Praxis zur Regel geworden ist.
Mögliche Sanktionen
Falls die betroffene Regierung sich zu kooperieren weigert bzw. die vom Komitee
gemachten Empfehlungen ignoriert und
die Situation nicht verbessert wird, kann
das CPT politischen Druck ausüben, indem es eine öffentliche Stellungnahme
zur Situation abgibt. Bis zum heutigen
Tag hat das Komitee von dieser Möglichkeit fünfmal Gebrauch gemacht: 1992
und 1996 in Bezug auf die Türkei, und
2001, 2003 sowie 2007 in Bezug auf die
Tschetschenische Republik der Russischen Föderation.
CPT – Besuche und Berichte
Bis zum 1. September 2007 hat das CPT
233 Besuche (periodische Besuche und
Ad-hoc-Besuche) ausgeführt und 186 Berichte veröffentlicht.
Quelle: CPT. 2007.
http://www.cpt.coe.int/en/about.htm
„... weil ich vierzehn bin“
„Es ist schwierig für mich, über Folter zu
schreiben, weil ich erst vierzehn Jahre alt
bin. Ich möchte nicht über Folter nachdenken, weil ich erst vierzehn Jahre alt
V erb ot D er F o lter
bin. Ich muss aber darüber nachdenken,
weil meine Stadt und ihre Einwohner gefoltert wurden. Das ist der Grund, warum wir weltweit bekannt wurden. Meine
Stadt wurde gefoltert, aber nicht getötet.
Sie versuchten die Donau und die Vuka
zu töten, aber es ist ihnen nicht gelungen.
Wie könnten sie die Herzen meiner Stadt
töten? Zwei Flüsse, wie Schwestern: eine
alt, eine jung. Sie folterten sie mit Bomben und Kugeln. Aber sie strömen noch
immer dahin, und ihre Herzen schlagen
noch immer. Sie versuchten, die Bäume
und das Gras zu töten, aber sie waren
dazu nicht in der Lage. Wie könnten
sie die Lungen meiner Stadt töten? Sie
folterten sie mit Feuer und schwarzem
Rauch, aber sie atmet immer noch. Ich
bin zurückgekehrt nach Vukovar, nach
all diesen Jahren. Ich kann noch immer gefolterte Straßen, Häuser, Schulen,
Kirchen ... sehen. Ich empfinde Freiheit
und Frieden, aber tief in meinem Herzen,
kann ich nicht vergeben, weil ich erst
vierzehn bin ...“
Quelle: Ein Aufsatz, verfasst von einem
Kind aus Vukovar, am 26. Juni 2001,
der im Zentrum für seelische Gesundheit
und Menschenrechte in Zagreb, Kroatien,
präsentiert wurde.
Aktivitäten von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs)
1997 erklärten die Vereinten Nationen den 26.
Juni zum Internationalen Tag zur Unterstützung von Folteropfern. Seitdem haben sich
weltweit internationale Netzwerke für die Verhütung von und den Schutz vor Folter, wie
zum Beispiel die CINAT, die Koalition internationaler Nichtregierungsorganisation (NGOs)
für die Ausrottung
von Folter eingesetzt.
Viele Personen nahmen an diesen Ereignissen teil.
Die Aktivitäten von Amnesty International
(AI) sind ein weltweit hervorragendes Beispiel für den Versuch einer ganzheitlichen Annäherung an das Problem der Folter - sowohl
durch Basisarbeit als auch beim Aufbau von
Kapazitäten (capacity-building). Am 28. Mai
1961 veröffentlichte der britische Anwalt Peter Benenson den Artikel „Die vergessenen
Gefangenen“ in der Zeitung „The Observer“
(London), der letztlich zur Gründung von
Amnesty International führte.
Amnesty International heute, mit einem internationalen Sekretariat in London, hat mehr
als eine Million Mitglieder, AbonnentInnen
ihrer Publikationen und SpenderInnen in insgesamt über 140 Ländern. Die Organisation
verfügt über mehr als 7.800 lokale, Jugend-,
Spezial- und professionelle Gruppen in
ungefähr 100 Ländern und Regionen.
Amnesty International ist eine demokratische Organisation,
autonom bestimmt durch ein neun Personen
umfassendes Internationales Exekutivkomitee,
dessen Mitglieder alle zwei Jahre von einem
Internationalen Rat gewählt werden.
Campaign­ing, Berichte über menschenrechtliche Belange sowie die Zusammenarbeit mit
Regierungen zu bestimmten menschenrechtlichen Themen gehören zu den jährlichen Aktivitäten und Aufgabenbereichen von AI.
85
86
V erb ot D er F o lter
2001 führte AI die Kampagne „Take a step to
stamp out torture“ („Tu
etwas, um Folter auszurotten“) durch. Sie richtete sich gegen Folter und
grobe Misshandlung von Frauen, Kindern,
ethnischen Minderheiten, Homo-, Bi- und
Transsexuellen.
Mit Ende des Jahres hatten über 35.000 Menschen aus 188 Ländern auf der Homepage der
Folter-Kampagne, www.stoptorture.org unterzeichnet, um bei besonders dringenden Fällen
durch Appelle via E-Mail Zeichen zu setzen.
Im Oktober 2000 nahm AI das 12-PunktePro­gramm zur Verhütung von Folter an, das
zu einer weltweiten Plattform für internationale Aktionen zur Verhütung von Folter und
zur Stärkung von Mechanismen wurde, die
vor dem Auftreten und der Institutionalisierung von Folter schützen.
12-Punkte-Programm
zur Verhütung von Folter
Amnesty International forderte alle
Regierungen auf, das 12-Punkte-Programm zur Verhütung der Folter zu
implementieren.
1. Offizielle Verurteilung der Folter
Die höchsten Behörden eines jeden
Landes sollten ihre völlige Ablehnung der Folter deutlich zu erkennen
geben. Sie sollten Folterhandlungen,
wo immer sie verübt werden, uneingeschränkt verurteilen und allen
Angehörigen von Polizei, Militär
und anderen Sicherheitsdiensten
unmissverständlich klar machen,
dass Folter unter keinen Umständen
geduldet wird.
2. Keine Haft ohne Kontakt
zur Außenwelt
Folter findet oft statt, während sich die
Opfer in Isolationshaft befinden, also
keine Möglichkeit haben, zu Menschen
außerhalb Kontakt aufzunehmen, die
ihnen helfen oder herausfinden könnten, was mit ihnen geschieht. Die Praxis der Isolationshaft sollte eingestellt
werden. Die Regierungen sind aufgerufen sicherzustellen, dass sämtliche
Gefangenen unverzüglich nach ihrer
Festnahme einer unabhängigen richterlichen Instanz vorgeführt werden
und Familienangehörige, AnwältInnen und ÄrztInnen sofort und regelmäßig Zugang erhalten.
3. Keine geheime Haft
In einigen Ländern findet die Folter an
geheimen Haftorten statt, oftmals nachdem man die Opfer “verschwinden“
ließ. Regierungen müssen sicherstellen, dass Gefangene ausschließlich an
öffentlich bekannten Orten in Haft gehalten werden und Familienangehörige,
RechtsanwältInnen und Gerichte unverzüglich exakte Informationen über ihre
Festnahme und ihren Verbleib erhalten.
Den Familien und RechtsanwältInnen
müssen effektive Rechtsbehelfe zur
Verfügung stehen, die es ihnen jederzeit ermöglichen, in Erfahrung zu bringen, an welchem Ort und von welcher
Behörde ein/e Gefangene/r in Haft gehalten wird. Es müssen gleichermaßen
effektive Rechtsbehelfe bereitstehen,
um die Sicherheit einer/s Gefangenen
zu gewährleisten.
4. Schutzvorkehrungen für Verhör und
Haft
Alle Gefangenen sollten unverzüglich
über ihre Rechte belehrt werden. Dazu
V erb ot D er F o lter
zählen die Rechte, Beschwerde gegen
ihre Behandlung einzulegen sowie
eine zügige richterliche Entscheidung
über die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung herbeizuführen. RichterInnen
sind aufgerufen, jedem Hinweis auf
Folterungen nachzugehen und die
Haftentlassung von Gefangenen anzuordnen, deren Freiheit unrechtmäßig
entzogen wurde. Während der Vernehmungen sollte ein Rechtsanwalt/
eine Rechtsanwältin zugegen sein.
Regierungen müssen gewährleisten,
dass die Bedingungen in den Hafteinrichtungen internationalen Standards
für die Behandlung von Gefangenen
entsprechen und dass den Bedürfnissen inhaftierter Angehöriger besonders wehrloser Bevölkerungsgruppen
Rechnung getragen wird. Es sollte eine
Trennung der behördlichen Zuständigkeit für Haft und Verhör vorgenommen
werden. Darüber hinaus sollten in allen
Haftanstalten regelmäßig unabhängige
und unangekündigte Inspektionsbesuche stattfinden, die keinerlei Einschränkung unterliegen dürfen.
5. Gesetzliches Verbot der Folter
Regierungen sind aufgerufen, nach
Maßgabe der wesentlichen Bestimmungen des UNO-Übereinkommens
gegen Folter und andere grausame,
unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung oder Strafe sowie sonstiger relevanter internationaler Standards Gesetze zu erlassen, die Folter
verbieten und verhüten. Sämtliche
Körperstrafen – ob von Gerichten verhängt oder auf dem Verwaltungsweg
angeordnet – müssen abgeschafft werden. Das Verbot der Folter wie auch
Mechanismen zur Verhütung von Fol-
terhandlungen dürfen unter keinen
Umständen außer Kraft gesetzt werden, auch nicht in Kriegszeiten oder
in anderen Notstandssituationen.
6. Untersuchung von Foltervorwürfen
Sämtliche Beschwerden und Berichte
über Folterungen müssen unverzüglich, konsequent und unparteiisch untersucht werden, und zwar durch eine
von den mutmaßlichen TäterInnen
unabhängige Behörde. Die Methoden
und Ergebnisse solcher Untersuchungen sollten öffentlich gemacht werden.
Während der laufenden Ermittlungen
sollten der Folter verdächtige AmtsträgerInnen vom Dienst suspendiert
werden. BeschwerdeführerInnen, Zeug­
Innen und andere gefährdete Personen sind vor Einschüchterungen und
Racheakten zu schützen.
7. Strafverfolgung mutmaßlicher Folterer
Für Folterungen verantwortliche Personen müssen vor Gericht gebracht
werden. Dieser Grundsatz hat uneingeschränkt Anwendung zu finden,
ganz gleich, wo sich die/der mutmaßliche TäterIn gerade aufhält oder wo
das Verbrechen verübt worden ist,
welche Staatsangehörigkeit TäterIn
und Opfer besitzen oder wie lange die
Folterhandlung zurückliegt. Regierungen sind aufgerufen, gegenüber mutmaßlichen Folterern die universelle
Gerichtsbarkeit auszuüben oder sie an
andere Staaten auszuliefern. Sie sollten
bei der Strafverfolgung der TäterInnen
miteinander kooperieren. Gerichtsverfahren gegen der Folter beschuldigte
Personen müssen den Standards der
Fairness entsprechen. Das Argument
des Befehlsnotstandes darf unter kei-
87
88
V erb ot D er F o lter
nen Umständen als Rechtfertigung für
Folterungen akzeptiert werden.
8. Keine Verwendung von unter Folter
erzwungenen Aussagen
Regierungen müssen sicherstellen, dass
Geständnisse und andere Beweise, die
durch Folter erlangt wurden, in keinem
Gerichtsverfahren verwendet werden,
es sei denn gegen eine Person, die der
Anwendung der Folter angeklagt ist.
9. Ausbildung von Beamten mit Polizeibefugnissen
Bei der Ausbildung aller Beamten, die
für die Bewachung, Vernehmung und
medizinische Behandlung von Gefangenen zuständig sind, sollte unmissverständlich klar gemacht werden,
dass die Folter eine Straftat darstellt.
Sie sollten darüber belehrt werden,
dass sie das Recht und die Pflicht haben, sich jedweder Aufforderung zur
Folter zu widersetzen.
10.Entschädigung und Wiedergutmachung
Folteropfer und ihre Familien sollten
gegenüber dem Staat einen Anspruch
auf sofortige Wiedergutmachung haben. Es ist unter anderem dafür Sorge
zu tragen, dass sie in fairer und angemessener Weise finanziell entschädigt
werden, dass sie medizinische Versorgung erhalten und Rehabilitationsmaßnahmen in Anspruch nehmen können.
11.Ratifizierung internationaler Abkommen
Alle Regierungen sind aufgerufen, internationale Abkommen, die Schutzvorkehrungen gegen Folter enthalten,
vorbehaltlos zu ratifizieren, beispielsweise die Anti-Folter-Konvention der
Vereinten Nationen. Sie sollten die in
der Konvention vorgesehenen Mög-
lichkeiten der Individual- und der
Staatenbeschwerde durch entsprechende Erklärungen anerkennen. Die
Regierungen sind ferner aufgerufen,
den Empfehlungen internationaler
Gremien und Sachverständiger zur
Verhütung von Folter Folge zu leisten.
12.Internationale Verantwortung
Regierungen sollten alle ihnen zur
Verfügung stehenden Möglichkeiten
nutzen, bei Bekanntwerden von Berichten über Folterungen aus einem
Land bei der dortigen Regierung zu
intervenieren. Sie müssen sicherstellen, dass der Transfer von Waffen,
Ausrüstung und Know-how für Polizei, Militär oder Sicherheitskräfte
nicht der Anwendung von Folter Vorschub leistet. Regierungen dürfen keine Person zwangsweise in ein Land
zurückführen, in dem diese Gefahr
läuft, gefoltert zu werden.
Das obige 12-Punkte-Programm wurde im Oktober 2000 von amnesty
international verabschiedet. Es stellt
einen Maßnahmenkatalog dar, der geeignet ist, Folterungen und Misshandlungen an Menschen zu verhüten,
die sich in staatlichem Gewahrsam
oder in anderer Weise in der Gewalt
eines Vertreters des Staates befinden.
amnesty international fordert von
den Regierungen der Welt die Einlösung ihrer internationalen Verpflichtung ein, Folterungen zu verhüten
und zu bestrafen, ganz gleich ob sie
von AmtsträgerInnen oder anderen
Personen verübt werden. Darüber
hinaus wendet sich amnesty international gegen die Anwendung der Folter
durch bewaffnete politische Gruppen.
V erb ot D er F o lter
2. Trends
Ethikkodex: Die World Medical Association (WMA) verabschiedete in Tokio die
Erklärung über Richtlinien für Ärzte
betreffend Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung oder Bestrafung in Bezug
auf Anhaltung und Gefängniswesen
(1975). Die WMA drückte deutlich die
Position der MedizinerInnen bezogen auf
Folter und Misshandlung aus, indem sie
verkündete, dass „ÄrztInnen Folter oder
andere Formen grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung weder unterstützen, stillschweigend dulden
oder praktizieren dürfen, egal welcher
Art das Vergehen, dessen das Opfer verdächtigt, angeklagt oder für schuldig befunden wurde, ist, oder welcher Art auch
immer die Einstellungen oder Motive des
Opfers sein mögen, als auch in allen anderen Situation einschließlich bewaffneter Konflikte und ziviler Unruhen“.
Quelle: World Medical Association.
http://www.wma.net
• Der Handel mit Folterinstrumenten, wie
Fesseln, Fußketten, Daumenschrauben,
Peitschen und Elektroschockgeräten ist in
den letzten 20 Jahren dramatisch angestiegen. Gemäß dem 2001 erschienenen
AI-Bericht „Stopp dem Folterhandel“ ist
die Zahl der Länder, die dafür bekannt
sind, Elektroschockausrüstungen zu produzieren und zu vertreiben, von 30 in den
1980ern auf über 130 im Jahr 2000 angestiegen. Eine Möglichkeit, diesem Trend
zu begegnen, ist das Verbot von Folterwerkzeugen. Die EU ist mit gutem Beispiel
vorangegangen und hat im Juli 2006 eine
Verordnung über das Verbot des Handels
mit bestimmen Folterwerkzeugen erlassen.
• Derzeit steigt die Zahl der inhaftierten Personen in fast allen Ländern der Welt, insbesondere steigt die Zahl der inhaftierten
Frauen und Jugendlichen dramatisch. Im
letzten Welt-Gefangenenbericht des britischen Innenministerium wurde ein Anstieg
der GefängnisinsassInnen in insgesamt 200
unabhängigen Ländern und Territorien innerhalb der letzten zehn Jahre um 69%
registriert. Dieser Anstieg stellt naturgemäß eine hohe Belastung für das Gefängnispersonal und die Gefängnisführung dar
und macht zusätzliches Training und ein
gesteigertes Menschenrechtsbewusstsein
notwendig.
89
90
V erb ot D er F o lter
3. Zeittafel
Verbot von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und Strafe – die
Entwicklungsschritte
• 1948 Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte
• 1949Die vier Genfer Konventionen
• 1957UNO-Minimalstandards für die
Behandlung von Gefangenen
• 1966Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte
• 1979UNO-Verhaltenskodex für
Exekutivorgane
• 1982Prinzipien medizinischer Ethik
bezogen auf das Personal im Gesund­­
heitswesen, insbesondere ÄrztInnen,
für den Schutz von Gefangenen und
Angehaltenen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder er-
niedrigende Behandlung oder Strafe
• 1984UNO-Übereinkommen gegen Fol­­
ter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung
oder Strafe (CAT)
• 1990UNO-Regeln für den Schutz von
Jugendlichen in Anhaltesituationen
• 1998Statut des Internationalen
Strafgerichtshof
• 2002Zusatzprotokoll zum UNOÜbereinkommen gegen Folter und
andere grausame, unmenschliche
und erniedrigende Behandlung oder
Strafe von der Generalversammlung
angenommen
• 2006Inkrafttreten des universellen
präventiven Mechanismus und Einrichtung des Unterkomitees zur Prävention (SPT) nach der CAT
AUSGEWÄHLTE ÜBUNGEN
Übung I: Folter von TerroristInnen?
Teil I: Einleitung
Nach dem 11. September 2001 entbrannte eine
heiße Diskussion über Terrorismus im Allgemeinen und Folter an TerroristInnen im Besonderen.
Viele haben sowohl ihre Meinungen als auch
ihre Befürchtungen zum Thema geäußert. Im
Rahmen der hier vorgeschlagenen Übung sollen
die Teilnehmenden innerhalb des Diskussionsprozesses sowohl Argumente für als auch gegen
die aufgeworfenen Fragen finden, sie im Lichte
der gegebenen Menschenrechtsprinzipien hinterfragen und andere mit den Fragestellungen
verwandte Themenbereiche diskutieren.
Teil II: Allgemeine Information
Art der Übung: Diskussion
Ziele: Meinungsbildung, Meinungen teilen
und vertreten, Aneignung von Wissen und
Bewusstseinsschaffung für den Umgang mit
folterbezogenen Fragestellungen, Zeigen,
dass Menschenrechte, Rechtsgrundsätze und
rechtsstaatliche Normen ein hilfreiches Rahmenwerk für das Verständnis dieses komplizierten Themas bilden können.
Zielgruppe: Jugendliche, Erwachsene
Gruppengröße: ungefähr 20
Zeit: 90 Minuten
Materialien: farbige Kärtchen, Kopien der vorbereiteten Materialien, Flipchart, Stifte
V erb ot D er F o lter
Vorbereitung: Sammeln von aktuellen lokalen
und internationalen Zeitungsartikeln und Fotos sowie von Äußerungen von PolitikerInnen/
MeinungsmacherInnen. Vorbereitung einer
Kopie der internationalen und regionalen Menschenrechtsstandards zum Verbot der Folter.
TeilnehmerInnen sollen selbst Gegenstände
zum Thema sammeln und mitbringen
Fertigkeiten: Aufbau von argumentativen und
kritischen Fähigkeiten, Kommunikation, Konfliktmanagement
Diskussionsfrage: Ist es vertretbar TerroristInnen und VerbrecherInnen zu foltern, um das
Leben anderer Menschen zu retten?
Diskussionsregeln:
Bevor man mit der Diskussion beginnt, sollen
die Teilnehmenden ihre eigenen Diskussionsregeln erstellen, denen alle vorab zustimmen
und an die sich auch alle halten. Danach werden die vereinbarten Regeln für alle gut sichtbar befestigt, so dass sie in Problem- oder
Streitfällen jederzeit zu Rate gezogen werden
können. Die/der DiskussionsleiterIn sollte im
Vorfeld allerdings sicherstellen, dass die folgenden beiden Regeln jedenfalls in der von
den TeilnehmerInnen vorgeschlagenen Liste
vorkommen.
• Nur jeweils eine Person spricht
• Die Gruppe einigt sich auf ein Zeichen,
mit dem es Meinungsunterschiede oder
Unzufriedenheit auf eine respektvolle Art
ausdrücken kann.
Teil III: Spezifische Information
Beschreibung der Übung/Anleitung: Zu Beginn werden die TeilnehmerInnen dazu aufgefordert, der Gruppe in einem Satz oder
einem Wort mitzuteilen, aus welchem Grund
sie den von ihnen mitgebrachten Gegenstand
ausgewählt haben. Anschließend werden als
Einführung in das Thema die vorbereiteten
Zeitungsausschnitte, soweit sie sich auf widersprüchliche Äußerungen öffentlicher Personen, diverse Menschenrechtsdokumente
und Abmachungen zum Thema beziehen,
vorgestellt. Die TeilnehmerInnen teilen sich in
zwei kleinere Gruppen auf und bekommen jeweils 45 min Zeit, um sowohl Argumente FÜR
als auch Argumente GEGEN die Folterung von
TerroristInnen in Hinblick auf die Prinzipien
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte sowie moralische und ethische Erwägungen etc. zu suchen.
Anschließend werden die Argumente in der
Großgruppe vorgestellt und auf einem Flipchartpapier stichwortartig festgehalten: rechts
die Argumente FÜR Folter und links die Argumente GEGEN Folter. Danach werden alle
TeilnehmerInnen gefragt, ob sie mit der Anordnung der vorgeschlagenen Argumente einverstanden sind. Die/der DiskussionsleiterIn
versucht nun, anhand der Liste eine Diskussion über die unterschiedlichen Annäherungen
zum Thema und hinsichtlich eines unterschiedlichen Verständnisses desselben anzuregen (Dauer ca. 45-60 min).
Diese Diskussion in der Großgruppe muss so­
wohl mit Respekt als auch mit Sensibilität geführt werden. Keiner/keinem sollte jemals das
Gefühl vermittelt werden, dass ihr/sein Argument unangebracht oder sogar dumm sei.
Feedback: Nach der Diskussion bekommen
alle TeilnehmerInnen eine rote und eine grüne
Karte ausgeteilt. Sie werden nun aufgefordert,
ihre positiven wie auch ihre negativen Gefühle
zum Thema, der Art und Weise der Diskussion und auch der Organisation der Diskussion
niederzuschreiben. Am Ende werden die Karten laut vorgelesen und reflektiert. Natürlich
können die Teilnehmenden ihre Karten auch
an der Tafel oder an der Wand befestigen oder
einfach für sich behalten.
Praktische Hinweise: Es ist sinnvoll und nützlich, immer dann fünf Minuten Pause einzulegen (Cooling-down-Momente), wenn die
Diskussion außer Kontrolle zu geraten droht
oder die Debatte zu hitzig und emotional
wird. Es ist auch hilfreich, immer wieder Zeit
91
92
V erb ot D er F o lter
für Reflexionen einzuräumen, vor allem wenn
Verwirrung oder Ärger sich unter den Teilnehmenden aufzubauen beginnen. Die/der DiskussionsleiterIn sollte immer versuchen, die
verschiedenen Argumente objektiv zu sammeln, eventuell zu klären und bei Bedarf zu
entschärfen. Niemals sollte sie/er offensichtlich für eine Position Stellung beziehen.
Variationsvorschläge: Wenn man dem angesprochenen Inhalt mehr Struktur geben
möchte, besteht die Möglichkeit, den Teilnehmenden ein Handout – die so genannten „Stufen der Folter (Folterleiter)“– auszuteilen:
Stufen der Folter (Folterleiter):
Jemand gibt zu, eine Bombe versteckt
zu haben. Um Leben zu retten, muss gefoltert werden.
• Jemand steht im Verdacht, eine Bombe versteckt zu haben. Um mehr darüber in Erfahrung zu bringen, muss
gefoltert werden.
• Jemand kennt jemanden, der im Verdacht steht, eine Bombe versteckt zu
haben. Um die Pläne des Bombenlegers aufzudecken, muss der Freund/
Verwandte gefoltert werden.
• Jemand hat die gleichen politischen
Ansichten wie der Bombenleger.
Dieser Gesinnungsgenosse des Bombenlegers muss gefoltert werden, um
mehr über denjenigen, dessen Ansicht er teilt und die ihn unterstützen,
zu erfahren.
• Jemand hat sich geweigert, der Polizei das Versteck einer verdächtigen
Person zu nennen. Diese Person muss
gefoltert werden, um sicher zu stellen, dass andere nicht dasselbe tun.
Falls man dieses Handout verwendet, wirft
es unweigerlich die Frage nach den zu zie-
henden Grenzen von Folter auf. Wann – falls
überhaupt jemals– ist es vertretbar jemanden
zu foltern?
Alternativ können die einzelnen Stufen der
„Folterleiter“ lediglich schrittweise vorgelesen werden, nachdem sich die Teilnehmer
in einer Reihe nebeneinander aufgestellt haben. Wer in einem der vorgelesenen Punkte
der Anwendung von Folter noch zustimmt,
geht einen Schritt nach vorne, wer die Anwendung von Folter ablehnt, bleibt stehen.
Quelle: Nancy Flowers et al. 2000. The Human Rights Education Handbook. Effective
Practices for Learning, Action and Change.
Minneapolis: Human Rights Resource Center
of the University of Minnesota.
Teil IV: Follow-up
Verwandte Rechte und Themen: Recht auf
Leben, Todesstrafe, Menschliche Sicherheit
Übung II:
Plakate gegen die Folter
Teil I: Einleitung
Die Formen von Folter und anderer grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung und Strafe sind nicht immer auf den
ersten Blick offensichtlich. Dennoch verfügen
die meisten Menschen über ein gutes Gefühl
hinsichtlich dessen, was als unmenschlich,
grausam oder erniedrigend angesehen werden kann.
Mit Hilfe der folgenden Übung sollen die TeilnehmerInnen dazu ermutigt werden, ihr Wissen in Aktion umzusetzen.
Teil II: Allgemeine Information
Art der Übung: kreativer Akt
Ziele: Entwickeln von kreativen Annäherungsmöglichkeiten an komplexe Probleme,
Sichtbarmachen der Komplexität des Themas
V erb ot D er F o lter
Zielgruppe: Jugendliche, Erwachsene
Gruppengröße: 10 bis 20 in Gruppen zu jeweils 4 oder 5
Zeit: 2 Stunden
Materialien: Flipchart- und Plakatpapier,
Stifte, Farben, schockierende Bilder und Fotografien sowie Geschichten von Folteropfern,
GefängnisinsassInnen, Verurteilten etc.
Vorbereitung: Sammeln von Bild- und Textmaterial zum Thema, Vorbereiten von Kopien der
relevanten internationalen und regionalen Menschenrechtsstandards zum Verbot der Folter
Fertigkeiten: kreatives Denken, Umsetzungsfähigkeit kreativer Ideen
tes verwenden möchte. Zusätzlich können die
TeilnehmerInnen natürlich auch eigene Texte
verfassen oder selbst Bilder kreieren. Schließlich werden die fertigen Plakate den anderen
TeilnehmerInnen vorgestellt, und jede Gruppe
berichtet von ihren Gedanken und Gefühlen
während der Arbeit an ihrem Plakat.
Feedback: Die TeilnehmerInnen werden jede/r
für sich aufgefordert, die Erfahrungen, die sie
in der Übung gemacht haben, in einem Wort
oder in einem Satz zu charakterisieren. In einer zweiten Runde werden sie gefragt, was
sie am Besten fanden und ob sie etwas in
der Gruppenarbeit gestört oder irritiert hat.
Teil III: Spezifische Information
Beschreibung der Übung/Anleitung: Die TeilnehmerInnen werden aufgefordert, in einem
Brainstorming ihre Gedanken, Vorstellungen
und Meinungen zum Thema Folter darzulegen. Die wichtigsten Begriffe werden auf einem Flipchartpapier notiert und für alle gut
sichtbar aufgehängt. Anschließend finden
sich die TeilnehmerInnen in Gruppen zu jeweils vier oder fünf Personen zusammen und
die/der GruppenleiterIn breitet das gesammelte Material zum Thema aus. Die TeilnehmerInnen erhalten ausreichend Zeit, um sich
die Bilder, Fotographien und Erfahrungsberichte anzusehen und durchzulesen. Dann erhält jede Gruppe ein großes Plakatpapier und
wählt aus dem vorhandenen Material dasjenige aus, das sie für die Gestaltung ihres Plaka-
Praktische Hinweise: Prinzipiell sollte man
bei der Verwendung von schockierenden Fotos
oder Berichten sehr vorsichtig und umsichtig
sein, in jedem Fall sollte man einen eventuellen Einsatz aber immer von der Gruppenkonstellation abhängig machen.
Teil IV: Follow-up
Gerade für Jugendliche kann es sehr interessant und bereichernd sein, AI oder eine andere in dieser Richtung lokal aktive Gruppe
einzuladen, um ihre Tätigkeiten und Erfahrungen kennen zu lernen. Unter Umständen
ergibt sich daraus die Möglichkeit, eine neue
Gruppenkampagne zu starten.
Verwandte Rechte und Themen: Recht auf
Leben, Todesstrafe, Menschliche Sicherheit
93
94
V erb ot D er F o lter
BIBLIOGRAPHIE
Amnesty International 1999. Israel Supreme Court to
Rule on Torture and the Holding of Hostages. News Service 102/99. AI Index: MDE 15/39/99, 25 May 1999.
Amnesty International. 2001. Creating a Torture Free World. London: Amnesty International.
http://web.amnesty.org/library/index/
engPOL320022001?open&of=eng-326
Association for the Prevention of Torture (APT) und
Centre for Justice and International Law (CEJIL).
2008. Torture in International Law. A Guide to Jurisprudence. Geneva/Washington: APT/CEJIL.
Association for the Prevention of Torture (APT). August 2002. Torture under International Law - Compilation of Standards. Geneva: APT.
Association for the Prevention of Torture (APT) und
Inter-American Institute for Human Rights (IIHR).
2004. Optional Protocol for the United Nations Convention against Torture. A Manual for Prevention.
San José/Geneva: APT/IIHR. http://www.hrea.org/
erc/Library/display.php?doc_id=2243&category_
id=9&category_type=3&group
Bank, Roland. 1996. Die internationale Bekämpfung
von Folter und unmenschlicher Behandlung auf den
Ebenen der Vereinten Nationen und des Europarates.
Max Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Strafrecht.
Burgers, J. Herman und Hans Danelius. 1988. The
United Nations Convention against Torture – A Handbook on the Convention against Torture and Other Cruel, Inhuman and Degrading Treatment or Punishment.
Dordrecht: Martinus Nijhoff Publishers.
Council of Europe (Hg.). 2007. Guantánamo: Violation of Human Rights and International Law? Straßburg:
Council of Europe Publishing.
Coyle, Andrew. 2002. A Human Rights Approach to
Prison Management – A Handbook for Prison Staff.
London: International Center for Prison Studies.
http://www.kcl.ac.uk/depsta/rel/icps/human_rights_
prison_management.pdf
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte.
1999. Rechtssache Selmouni gegen Frankreich vom
28. Juli 1999: http://www.coe.int/T/D/Menschenrechtsgerichtshof/Dokumente_auf_Deutsch/Pressemitteilungen/Urteile_Gro%DFe_Kammer/Frankreich/
Selmouni%20gegen%20Frankreich%20411-1999.asp
European Committee for the Prevention of Torture
and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT). 2007. Annual General Reports. 17th
General Report on the CPT’s Activities (2006-2007),
Straßburg: CPT. http://www.cpt.coe.int
Evans, Malcolm D. und Rod Morgan. 2002. Bekämpfung der Folter in Europa – Die Tätigkeit und Standards
des Europäischen Ausschusses zur Verhütung der Folter.
Berlin/Heidelberg: Springer Verlag.
Giffard, Camille. 2000. The Torture Reporting Handbook. Essex: Human Rights Centre of the University
of Essex.
Kriebaum, Ursula, Hannes Tretter und Manfred
Nowak (Hg.). 2000. Folterprävention in Europa – Die
Europäische Konvention zur Verhütung von Folter und
unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder
Bestrafung (Studienreihe des Ludwig Boltzmann-Instituts für Menschenrechte, Band 3). Wien: Verlag Österreich.
Levinson, Sanford (Hg.). 2004. Torture. A Collection.
New York: Oxford University Press.
Menschenrechtsbeirat im Bundesministerium für
Inneres (Hg.). 2007. Die Polizei als Täter? Eine Analyse des Umgangs staatlicher Institutionen mit Misshandlungsvorwürfen. Wien/Graz: Neuer Wissenschaftlicher
Verlag.
Murdoch, Jom. 2006. The Treatment of Prisoners – European Standards. Straßburg: Council of Europe Publishing.
Office of the United Nations High Commissioner for
Human Rights. 2002. Fact Sheet No. 4 “Combating Torture“ of the Human Rights Fact Sheet series. Geneva:
OHCHR.
V erb ot D er F o lter
OSCE Office for Democratic Institutions und Human
Rights. 1999. Preventing Torture – A Handbook for
OSCE Field Staff. Warsaw: ODIHR. http://www.osce.
org/odihr/documents/guidelines/preventing_torture/
th_index.htm
Popovic, Sabina. 1999. Torture, Consequences and Rehabilitation – Bosnia and Herzegovina: Manual. Sarajevo: CTV.
Roth, Kenneth, Minky Worden und Amy D. Bernstein (Hg.). 2005. Torture: A Human Rights Perspective. New York: Human Rights Watch.
The Redress Trust (Hg.). 2004. Taking Complaints of
Torture Seriously. Rights of Victims and Responsibilities
of Authorities. London: Redress Trust.
Wendland, Lene. 2002. A Handbook on State Obligations under the UN Convention against Torture. Geneva: Association for the Prevention of Torture
Zamfara State of Nigeria Shari’a Penal Code Law
from January 2000. Online unter: http://www.zam
faraonline.com/sharia/introduction.html.
ZUSÄTZLICHE INFORMATIONEN
Amnesty International USA:
http://www.amnestyusa.org/stoptorture
Amnesty International Deutschland:
http://www.amnesty.de
UN Doc. A/55/290 vom 11. August 2000. Interim Report of the Special Rapporteur of the Commission on
Human Rights on the Question of Torture and Other
Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment.
Association for the Prevention of Torture:
http://www.apt.ch
UN Doc. CAT/C/XXVII/Concl.5 (Concluding observations/comments) vom 23. November 2001. Conclusions and Recommendations of the Committee against
Torture: Israel.
Canadian Centre for Victims of Torture:
http://www.icomm.ca/~ccvt/about.html
UN Doc. E/CN.4/2006/6 vom 23. Dezember 2005. Report of the Special Rapporteur of the Commission on Human Rights on the Question of Torture and Other Cruel,
Inhuman or Degrading Treatment or Punishment.
UN Doc. A/HRC/4/33 vom 15. Januar 2007. Report of
the Special Rapporteur of the Commission on Human
Rights on the Question of Torture and Other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment.
Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung
oder Strafe. 1984. Online unter: http://www.humanrights.ch/cms/pdf/020607_text_antifolter_d.pdf
Walmsley, Roy. 2006. World Prison Population List. 7.
Auflage. London: International Centre for Prison Studies.
http://www.kcl.ac.uk/depsta/law/research/icps/
downloads/world-prison-pop-seventh.pdf
Vereinigung für die Verhütung der Folter (APT):
http://karaart.com/apt/deutsch.html
Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter:
http://www.cpt.coe.int/allemand.htm
International Rehabilitation Council for Torture Victims: http://www.irct.org
Österreichischer Menschenrechtsbeirat:
http://www.menschenrechtsbeirat.at
Special Rapporteur of the Commission on Human
Rights on the Question of Torture:
http://www.unhchr.ch/html/menu2/7/b/mtor.htm
United Nations Committee against Torture (UNCAT):
http://www.unhchr.ch/html/menu2/6/cat.htm
World Organisation against Torture:
http://www.omct.org
95
96
N OT I Z E N
F reiheit
DISCR
vo
I MnI NAAT
rmut
ION
FREIHEIT
VON ARMUT
MINDERUNG VON UNGERECHTIGKEITEN
GESICHERTE EXISTENZ
ZUGANG ZU RESSOURCEN
PARTIZIPATION
ANGEMESSENER LEBENSSTANDARD
„Jeder Mensch … hat Anspruch darauf … in den Genuss der für seine
Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlichen
wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen ...
Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit …
Jeder Mensch hat Anspruch auf eine Lebenshaltung, die seine und seiner
Familie Gesundheit und Wohlbefinden einschließlich Nahrung, Kleidung,
Wohnung, ärztlicher Betreuung und der notwendigen Leistungen der
sozialen Fürsorge gewährleistet ...
Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung.“
Art. 22, 23, 25, 26, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. 1948.
97
98
F reiheit vo n A rmut
GESCHICHTE ZUR ILLUSTRATION
Hungertod in einem Land des Überflusses zusammengebrochen. Der örtliche Sarpanch
Als die Ernte ausblieb und es keine Arbeit mehr (Dorfoberhaupt) hatte alle Rationskarten an
gab, begannen die Dorfbewohner von Mun- Freunde und Mitglieder der eigenen Kaste
diar im Dschungel nach Nahrung zu suchen. ausgegeben, sagten die DorfbewohnerInnen.
Sie fanden keine. Stattdessen fanden sie Gras. Er strich auch die Namen der Witwen, die
Und so mussten die 60 Haushalte des Dorfes zu einer staatlichen Pension berechtigt waren.
die meiste Zeit des Sommers über Sama-Gras Inzwischen weigerten sich die Regierungsbeessen, das normalerweise an Rinder verfüttert triebe, das billige Getreide den Sahariyas, den
wird. Aber Menschen sollten nicht Gras essen, Unberührbaren, zu verkaufen, sondern setzen
und bald wurden die Dorfbewohner schwä- es am Schwarzmarkt um. Als die Sahariyas
cher, ihre Wangen immer mehr eingesunken. zu sterben begannen, füllten die BesitzerInnen
Sie klagten über Verstopfung und Lethargie. der Betriebe die Rationskarten der UnberührSchließlich begannen sie zu sterben.
baren aus, um ihren Betrug zu verschleiern.
Ein Dorfbewohner, Murari, musste seine ganze Das Niveau der Unterernährung in Indien – eiFamilie langsam der Schwäche erliegen sehen. nem Land mit über einer Milliarde Menschen
Zuerst starb sein Vater Ganpat, danach seine Frau – ist eines der höchsten der Welt. Etwa die Hälfte
Bordi. Vier Tage später verlor er seine Tochter.
aller indischen Kinder ist unterernährt, während
etwa 50% der indischen Frauen unter Anämie
Überall in diesem abgelegenen Teil Indiens, (Blutarmut) leiden. Und dennoch wird der Großder einst von dichtem grünem Wald bedeckt teil des riesigen indischen Getreideberges entwewar, aber heute von der Dürre unfruchtbar ge- der weggeworfen oder von Ratten gefressen.
macht wird, geschah das Gleiche. Innerhalb
von zwei Monaten verhungerten 40 Mitglie- Es sind die Menschen auf der untersten Stufe
der des Stammes der Sahariya. Etwa 60 Mil- des indischen hierarchischen Kastensystems,
lionen überschüssige Tonnen Getreide lagen die am meisten leiden. Die Stammesgemeingleichzeitig in Lagerhäusern der Regierung. den, die 30% der Bevölkerung des Distriktes
Das ist nach jedem Standard jedenfalls ein Baran ausmachen, sind außerdem die Opfer
riesiger Berg Nahrung. Leider erreichte keine einer historischen Ungerechtigkeit. Vor der Undieser Tonnen Mundiar oder irgendeines der abhängigkeit von 1947 schlugen sich die Sahaanderen entlegeneren Dörfer von Südostraj- riyas mit Jagen und dem Anbau von ein wenig
asthan.
Getreide durchs Leben. Nach der Unabhängigkeit wurden sie aus dem Dschungel verbannt
Offiziell hungert in Indien niemand. Gemäß und ihr Land konfisziert. Die Sahariyas mussdem öffentlichen Verteilungssystem haben ten als LandarbeiterInnen anheuern. Als die
LandbewohnerInnen, die unter die Armuts- Ernte einen Sommer ausblieb, hatten sie keine
grenze fallen, das Recht auf Rationskarten, Arbeit und daher auch nichts zu essen.
mit denen sie subventioniertes Getreide von
Regierungsbetrieben kaufen können. Aber in „Die PolitikerInnen interessieren sich nicht für
Bhoyal ist, wie auch anderswo, das System uns“, sagt Nabo, eine 50-jährige Frau, während
F reiheit vo n A rmut
sie das Abendessen zubereitete – Chapattis, 2. Was ruft diese Geschichte bei Ihnen hervor?
zubereitet aus den Samen des Sama-Grases.
Was, denken Sie, sollte dagegen getan werden?
3.Vergleichen Sie die Situation der Armut in
Baran mit Armut in Ihrem Land/Kontext.
Quelle: Luke Harding. 2002. Auszüge aus DyWas sind die Bilder der Armut nach Ihren
ing from hunger in a land of surplus: caste and
Erfahrungen?
corruption connive to keep food from India’s
4. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen
poor. The Guardian, 15. November 2002.
steigender Armut und Menschlicher Sicherheit? Glauben Sie, dass die Behandlung von
Diskussionsfragen
Menschen wie in dieser Geschichte Auswir1. Welchen Entbehrungen und Verwundbarkungen auf die Menschliche Sicherheit hat?
keiten sind die Armen in Baran ausgesetzt?
Wenn ja, welche?
Formulieren Sie diese als „Verletzungen des
Menschenrechts auf … “.
WAS MAN WISSEN MUSS
1. Einleitung
Obwohl Armut als ein historisches Phänomen
angesehen wurde, werden ihre heutigen Formen zunehmend komplexer. Diese Komplexität resultiert aus einer Vielzahl an Faktoren,
unter anderem der Veränderung der Beziehungen zwischen den Menschen oder dem
Wandel der Gesellschaft, dem Fortschritt der
Produktion und der Prognose von Regierungen und internationalen Organisationen wie
der Weltbank, dem IWF oder der UNO, sowie
deren Einfluss auf die verschiedenen Dimensionen von Armut.
Politik, Wirtschaft, Geographie, Geschichte,
Kultur und gesellschaftlichen Besonderheiten
ableitet und eng mit diesen verknüpft ist. In
Entwicklungsländern ist sie überall vorhanden und gekennzeichnet durch Hunger, das
Fehlen von Eigentum und Unterhalt, durch
ineffiziente Verteilungspolitik, Arbeitslosigkeit, Analphabetismus, Epidemien, das Fehlen von Gesundheitsfürsorge und Trinkwasser.
In Industrieländern zeigt sich Armut als Form
sozialer Ausgrenzung, in wachsender Arbeitslosigkeit und niedrigen Gehältern. In beiden
Fällen existiert Armut auf Grund von fehlender Gleichheit, Gerechtigkeit, Menschlicher
Sicherheit und fehlendem Frieden.
Das Konzept der Armut hat sich im Laufe
der Zeit entwickelt. Armut, die bisher nur Armut bedeutet den fehlenden Zugang zu
als vom Einkommen abhängiges Phänomen Chancen in einer Welt voll von Möglichkeiten.
betrachtet wurde, wird nun als ein multidi- Arme haben keine Möglichkeit, ihre Situation
mensionales Konzept gesehen, das sich von zu verändern, da ihnen die Mittel zur Befähi-
99
10 0
F reiheit vo n A rmut
gung durch fehlende politische Freiheit, fehlende Teilnahme an Entscheidungsprozessen,
fehlende persönliche Sicherheit, die Unfähigkeit am Gemeinschaftsleben teilzunehmen
und Bedrohungen einer nachhaltigen und
intergenerationellen Gleichheit vorenthalten
werden. Armut ist das Vorenthalten von wirtschaftlichem, sozialem und politischem Einfluss und von Ressourcen, das die Armen in
der Armut festhält.
Armut und Menschliche Sicherheit
Armut, die zu ernstlichen Nahrungs- und
sozialen Unsicherheiten führt, ist eine
direkte Verletzung Menschlicher Sicherheit. Sie bedroht nicht nur eine große
Zahl an Menschen, sondern trägt auch
zu deren Verwundbarkeit durch Gewalt
und Misshandlung sowie zu sozialer,
politischer und wirtschaftlicher Sprachlosigkeit bei.
Armut ist beschämend, wie eine arme
Frau aus Weißrussland sagte, und sie
verletzt die menschliche Würde.
Amartya Sen betonte die Notwendigkeit
des Kampfes für globale Gerechtigkeit
und Menschliche Sicherheit: „Die vordringlichen Aufgaben beinhalten sowohl
eine konzeptuelle Abklärung als auch die
Förderung der öffentlichen Diskussion
zusätzlich zur Identifizierung konkreter
Projekte für Aktivitäten, die institutionelle Änderungen in Bezug auf Gerechtigkeit
und den Schutz grundlegender menschlicher Sicherheit anstreben. Ein besseres
Verständnis von Konflikten und Werten
muss verbunden werden mit der Untersuchung der Ansprüche an Gesundheit,
Bildung, Armutsbeseitigung und Reduzierung von Geschlechterungleichheiten
und Unsicherheit.“
(Quelle: Commission on Human Security. 2001. Bericht zum Zweiten Treffen.)
Armut ist sowohl ein Zustand des Mangels als auch der Verletzbarkeit. Die sich
daraus ergebende Ungleichheit und Diskriminierung zwischen den Nationen
verletzt das Recht der Armen, in Sicherheit und Würde zu leben.
2. Definition und Beschreibung
des Themas
Es gibt zahlreiche Definitionen der Armut und
ihrer Erscheinungsformen:
• Aus der Einkommensperspektive ist eine
Person dann als arm zu bezeichnen, wenn
ihr/sein Einkommen unter dem definierten
Existenzminimum liegt. Viele Länder haben dieses Existenzminimum eingeführt,
um den Fortschritt der Armutsverringerung
zu überwachen. Das Existenzminimum
wird dadurch definiert, dass genügend
Einkommen vorhanden ist, um eine bestimmte Menge an Nahrungsmitteln kaufen
zu können. Laut UNDP-Bericht über die
Menschliche Entwicklung von 1997 „bedeutet Armut, dass die Möglichkeiten und
die Entscheidungsmöglichkeiten, die der
menschlichen Entwicklung zugrunde liegen,
nicht vorhanden sind – um ein langes, gesundes, kreatives Leben zu leben und um
einen angemessenen Lebensstandard, Freiheit, Würde, Selbstachtung und den Respekt
für andere aufrecht zu erhalten.“
• Der Human Poverty Index (UNDP-Report
über die menschliche Entwicklung 1997)
benutzt grundlegende Indikatoren des
Mangels – geringe Lebenserwartung, das
Fehlen von grundlegender Bildung und das
Fehlen von Zugang zu öffentlichen und privaten Mitteln – und erkennt dadurch an,
F reiheit vo n A rmut
dass menschliche Armut mehr ist als über
das Einkommen definierte Armut.
• Das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte sieht Armut aus der menschenrechtlichen Perspektive als „einen
menschlichen Zustand, der gekennzeichnet
ist durch einen dauerhaften Mangel an Alternativen und Sicherheit sowie durch einen
Mangel an Möglichkeiten, einen adäquaten
Lebensstandard und andere grundlegende
zivile, kulturelle, wirtschaftliche, politische
und soziale Rechte zu genießen“.
• Im Richtlinienentwurf „A Human Rights
Approach to Poverty Reduction Strategies“
des Hochkommissars für Menschenrechte,
publiziert von der Weltbank 2003, wird Armut als eine „extreme Form des Mangels“
gesehen. Der Bericht empfiehlt, dass nur
jene fehlenden Möglichkeiten als Armut
zählen sollen, die in irgendeiner Form als
prioritär erachtet werden können. Diese
können natürlich in verschiedenen Gesellschaften abweichend definiert sein, jedoch
sind ausreichende Ernährung, ein langes
Leben, eine angemessene Unterbringung,
grundlegende Bildung, Sicherheit, Zugang
zur Justiz und das Teilnehmen am Gemeinschaftsleben in allen Gesellschaften als prioritär zu werten.
voranzukommen, sollten wir nun versuchen,
die Wörter, die in den Definitionen der Armut
verwendet werden (z.B. Justiz, Verletzbarkeit,
Würde, Sicherheit, Möglichkeiten, etc.), in Beziehung zu Themen des realen Lebens zu setzen. Das hilft die verschiedenen Dimensionen
der Armut zu erklären.
Existenz – Verweigerung des Zuganges zu
Land, Wäldern, Wasser – z.B. erlauben es
staatliche Forstgesetze indigenen Völkern in
ländlichen Gebieten nicht, die ihnen rechtmäßig zustehenden Nahrungsmittel und das
Futter zu sammeln. Im urbanen Kontext benötigt die Stadt ArbeiterInnen vom Land,
übernimmt aber keine Verantwortung für
deren Unterkunft, Gesundheitsfürsorge und
Bildungsbedürfnisse und drängt sie so weiter
in die Verwundbarkeit und Unsicherheit. Diskriminierungen auf Grund von Gesellschaftsklasse, ethnischer Zugehörigkeit und „Rasse“
waren auch dafür maßgeblich dafür, Gruppen
den Zugang zu natürlichen Ressourcen, die
für ihren Lebensunterhalt und damit für ihr
Menschenrecht auf ein Leben in Würde notwendig sind, zu verweigern.
Recht auf Arbeit
Grundbedürfnisse – Verweigerung von Nahrung, Bildung, gesundem Leben und UnterDebatten über die Bewertung der Armut hal- kunft. So treibt z.B. die Kommerzialisierung
ten an, aber die Komplexität des menschli- von Wasser, Elektrizität, Schulen und Krankenchen Lebens bedeutet, dass Armut immer häusern die Preise von notwendigen Dienstauf der Suche nach einer Definition bleiben leistungen über die Möglichkeiten von Armen
wird. Verletzlichkeit und Mangel, als extrem hinaus in die Höhe und zwingt diese, ihre wesubjektive Begriffe, können nicht auf einen nigen Besitztümer zu verkaufen und ein ununiversell anwendbaren, starren Rahmen be- menschliches Leben zu leben, was sie letztlich
schränkt werden.
des Rechts auf ein Leben in Würde beraubt.
Recht auf Gesundheit, Recht auf Dimensionen der Armut
Bildung
Das Phänomen der Armut wird abhängig von
den verschiedenen wirtschaftlichen, sozialen, Gerechtigkeit – Verweigerung von Gerechtigkulturellen und politischen Bedingungen un- keit an sich oder zeitgemäßer Gerechtigkeit,
terschiedlich verstanden. Um einen Schritt z.B. können Arme in vielen Ländern keinen
101
10 2
F reiheit vo n A rmut
Zugang zum Justizsystem erlangen, da damit großen Teil der Besitzlosen oder Kleingrundzu hohe Kosten verbunden sind. Jugendliche besitzer darstellen, gezwungen, ihre Würde
aus Slums, aus ethnischen, „rassischen“ oder für schlechte Bezahlung aufzugeben. Kinder
religiösen Minderheiten sind die ersten, die werden, anstatt in die Schule zu gehen, in
bei Verbrechen als Verdächtige aufgegriffen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse wie zum
werden, ob sie sie begangen haben oder nicht, Beispiel Müllaufbereitung, Lederindustrie oder
desgleichen das Problem von Frauen, die bei Landwirtschaft gepresst.
häuslicher Gewalt keine Hilfe von der Polizei
bekommen, da diese den Vorfall als Privatan- Für Armut anfällige Gruppen
gelegenheit abtut. Oft passiert es, dass Gerich- Obwohl Armut ein weit verbreitetes, weltweite Fälle, die sich mit Kompensationszahlungen tes Phänomen ist, betrifft sie vor allem Frauen
für ArbeitnehmerInnen oder mit der Rehabili- und Kinder.
tierung vertriebener Personen beschäftigen,
auf Grund von Einfluss des Staates oder an- Die Verweiblichung der Armut wurde in
derer Lobbys verzögern, und so die Menschen Ländern, wo sich die Wirtschaft auf Grund
ihrer Existenz berauben.
von wachsender Migration von Männern,
Arbeitslosigkeit und der starken Zunahme
Rechtsstaatlichkeit
exportorientierter Wirtschaft, mit unterbeOrganisation – Verweigerung des Rechts auf zahlten Arbeitskräften wandelt, zu einem weOrganisation, Macht und die Möglichkeit, Un- sentlichen Problem. Die meiste Frauenarbeit
gerechtigkeiten zu widerstehen, z.B. behin- ist undokumentiert und unbezahlt. Frauen
dert Armut das Recht der ArbeiterInnen sich werden in vielen Wirtschaftssparten männlizu organisieren, um für bessere Arbeitsbedin- chen Arbeitnehmern vorgezogen, da sie als
„fügsame Arbeitskräfte“ angesehen werden.
gungen zu kämpfen.
In vielen Gemeinschaften besitzen oder kontPartizipation – Verweigerung der Teilnahme rollieren Frauen kein Land, Wasser, Eigentum
an Entscheidungen, die das Leben betreffen, und andere Ressourcen und sehen sich mit soz.B. verringert die wachsende Übereinstim- zialen und kulturellen Barrieren für die Realimung zwischen politischen und unternehme- sierung ihrer Menschenrechte konfrontiert.
rischen Interessen den Raum für die Teilnahme
Menschenrechte der Frau
von BürgerInnen an öffentlichen Angelegenheiten wie zum Beispiel der Bereitstellung Armut nimmt Kindern die Möglichkeit, ihr
von grundlegenden Dienstleistungen. An- volles menschliches Potenzial auszuschöpfen
alphabetismus und Informationsmangel auf und macht sie verwundbar für Gewalt, MenGrund ihrer Vertreibung nehmen Flüchtlingen schenhandel, Ausbeutung und Misshandlung.
das Recht, über ihre Zukunft zu bestimmen. Höhere Kindersterblichkeit wird oft durch
Die meisten Roma sind auf Grund ihrer Wan- Mangelernährung verursacht; eine große Kinderbewegungen nicht einmal in Wahlregistern derzahl ist oft ein zusätzlicher Grund für Arregistriert und dürfen nicht wählen.
mut. Durch die rapide Urbanisierung wächst
die Zahl der Straßenkinder. Um die 113 MilMenschliche Würde – Verweigerung des lionen Kinder weltweit (davon 97% in den
Rechts in Würde zu leben, z.B. werden in Entwicklungsländern) waren niemals in der
ländlichen Gebieten „rassische“, ethnische, Schule und werden leicht zu Opfern von Ausreligiöse und andere Minderheiten, die einen beutung oder Kinderarbeit. Darüber hinaus
F reiheit vo n A rmut
lichen Verantwortung in den Bereichen von
Gesundheitsfürsorge, Bildung, Nahrung und
Unterkunft und das Fehlen von Sicherheitsnetzen setzen die Armen unter Druck, und
auch Inflation, Rückgang bei der Beschäftigung und Erosion der Reallöhne durch die Liberalisierung und die Privatisierung betreffen
Warum bleibt Armut bestehen?
Regierungen im Norden, welche die Weltwirt- vor allem die Armen.
schaft kontrollieren, begnügen sich damit,
Handels- und Finanzstrukturen zu tolerieren Der UNDP-Report über die Menschliche Entund beizubehalten, die den Reichtum in den wicklung 2002 weist auf das starke wirtschaftIndustriestaaten konzentrieren und die ärms- liche Wachstum in den ohnehin schon reichen
ten Länder und Völker vom globalen Reichtum westeuropäischen Ländern, den USA und Ozeausschließen. Dies führt zu einer ungerechten anien hin, in Verbindung mit dem langsamen
Verteilung zwischen Nord und Süd. Interes- Wachstum am Indischen Subkontinent und
santerweise gibt es sowohl in den Industrie- dem gleichbleibend langsamen Wachstum in
ländern als auch in den Entwicklungsländern Afrika. Dies trägt zum Wachstum globaler
eine größer werdende Lücke zwischen reich Ungerechtigkeit in der zweiten Hälfte des 20.
Jahrhunderts bei. Sogar in den Ländern der
und arm.
OECD (Organisation für wirtschaftliche ZuDie Strukturanpassungsprogramme (SAPs) sammenarbeit und Entwicklung) machten die
der Weltbank und die Stabilisierungspakete Reichsten die Gewinne: die Einkommen im
des Internationalen Währungsfonds verspra- Spitzensegment (1% der Familien) wuchsen
chen die Schaffung von erweiterten Möglich- um 140%, was dem dreifachen Durchschnitt
keiten in den Bereichen von Beschäftigung, entspricht und zu einem dramatischen AnEinkommen, Wohlstand und wirtschaftlicher stieg der Einkommensungerechtigkeit und zur
Entwicklung durch die Integration der natio- Entstehung der „neuen Armen“ führt.
nalen Wirtschaftsordnungen in ein globales
System. SAPs, die versuchen, Armut durch • Die reichsten 5% der Weltbevölkerung erzielen Einkommen, die 114-mal höher sind
steuerliche Disziplin auszurotten, ohne die
als die der ärmsten 5%.
Ungleichheiten in den Verteilungssystemen zu
bedenken, können Armut verstärken, da die • Das Einkommen der reichsten 25 Millionen
AmerikanerInnen ist gleich hoch wie das
Länder mehr Geld darauf verwenden, Schulvon beinahe zwei Milliarden der Ärmsten
den zu bezahlen und den Geldaufwand für
weltweit.
grundlegende Leistungen für Gesundheit, Bildung und Unterkunft vernachlässigen.
Heute lebt ein Viertel der Weltbevölkerung in
Good Practices – Strategiepapiere
tiefer Armut und an den Rand der Gesellschaft
zur Verringerung der Armut
gedrängt. Gemäß dem Report über die MenschDie neoliberale Globalisierung betont die liche Entwicklung von 2002 müssen etwa 1,2
exportorientierte Produktion und ignoriert Milliarden Menschen mit ca. 1 US-Dollar pro
die Grundrechte von Menschen, ihre eigenen Tag überleben. Dazu hält der Report über die
Bedürfnisse zu befriedigen und ein Leben in Menschliche Entwicklung von 2005 fest, dass
Würde zu führen. Die Zurücknahme der staat- diese Bemessungsmethode nicht mehr volle
beraubt die wachsende Kommerzialisierung
der Bildung und der Gesundheitsfürsorge die
Kinder in vielen Ländern ihrer verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte.
Rechte des Kindes
10 3
10 4
F reiheit vo n A rmut
Anerkennung findet, stattdessen sind spezifischere Daten nötig, um den Fortschritt auf
dem Weg zu Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele zu überwachen. Daraus folgend führt die Überwachung der Entwicklung
in diesem Prozess zu alarmierenden Daten,
wie z.B. zur Vorhersage, dass bei Beibehaltung
der geltenden Politiken das Ziel der Verringerung der Kindersterblichkeit verfehlt werden
wird und auch das Ziel der Garantie von primärer Schulbildung nicht erreicht werden
wird, sodass 47 Millionen Kinder im Jahr 2015
keinen Zugang zur Bildung haben werden.
Während im Bereich von Zugang zu Trinkwasser ebenso wie in Bezug auf Verfügbarkeit
von grundlegenden Impfungen Fortschritte
erzielt wurden, mangelt es z.B. in Bezug auf
die Erreichung von Alphabetisierung noch an
wirksamer Umsetzung. Laut dem Report über
die Menschliche Entwicklung 2005 sind noch
immer 800 Millionen Menschen weltweit AnalphabetInnen. Ein anderes wichtiges Thema
bleibt der Kampf gegen Kindersterblichkeit;
dies wurde im Report über die Menschliche
Entwicklung von 2005 hervorgehoben, der angibt, dass 2002 alle drei Sekunden ein Kind
unter 3 Jahren starb. Es muss mehr getan werden, z.B. im Kampf gegen HIV/AIDS und in
den Politiken mancher der meistbetroffenen
Länder, die das Thema leugnen oder missachten oder sogar Stereotypen bestärken, die
sicherlich nicht zu einer Verwirklichung der
Millenniumsentwicklungsziele beitragen.
3. Interkulturelle Perspek­tiven
und strittige Themen
Relative und absolute Armut
Relative Armut bedeutet, dass eine Person
oder Gruppe arm ist im Verhältnis zu anderen oder im Verhältnis zu dem, was in einer
bestimmten Gesellschaft als fairer Standard
angesehen wird. Absolute Armut bedeutet,
dass Menschen im Verhältnis zu dem als arm
angesehen werden, was als Minimalstandard
gilt. Ein Mensch, der nach amerikanischen
Standards als absolut arm angesehen wird,
könnte etwa im afrikanischen Verständnis nur
als relativ arm angesehen werden.
Jim Harvey, wohnhaft in Possilpark,
Glasgow, einem der ärmsten Bezirke in
Großbritannien, spricht von seiner Erfahrung mit Armut, die als relative Armut
bezeichnet werden kann: „Armut! Was
heißt das für mich? Nun, ich bin ein 48
Jahre alter Mann, verheiratet, mit einer
nicht von mir abhängigen Familie. Ich
lebe in Possilpark, nördlich von Glasgow.
Ich gehöre jedenfalls zur Arbeiterklasse.
Nun, darüber könnte man diskutieren,
da ich seit vielen Jahren ohne Job bin
und von Unterstützungen abhängig. Was
ist also Armut? Für mich bedeutet Armut,
‚pleite zu sein’, nicht fähig zu sein, meinen Lebensstil zu erhöhen und nicht an
Freizeitaktivitäten teilnehmen zu können. Weiters ist da das Stigma der Armut. Außerdem ist da diese Apathiefalle,
sich kraftlos, bedrückt, wertlos und ausgeschlossen zu fühlen ... Warum, warum
ich? ...“ (Übersetzung)
Quelle: Lothian Anti-Poverty Alliance.
F reiheit vo n A rmut
Obwohl den grundlegenden wirtschaftlichen Krankheitsrate von Frauen und Kindern deutBedürfnissen von Jim entsprochen wird, er- lich gesenkt werden könnte, und schließlich
lebt er Ausgrenzung und Stagnation und ist wachsende Konflikte und Kriege über die Konunglücklich mit seiner zertrümmerten Exis- trolle über Ressourcen, die politische, soziale
tenz und Machtlosigkeit. Letzteres zeigt, dass und wirtschaftliche Instabilität verursachen.
Jim im Verhältnis zu anderen seiner Gesellschaft, die sozial und politisch aktiv sind, re- Das Argument, dass die schiere Zahl an armen
lativ arm ist.
Menschen dem Fortschritt eines Landes im
Wege, steht ist nicht zulässig, da es in WahrSoziale Ausgrenzung
heit die Umverteilungsstrategien vieler RegieSoziale Ausgrenzung wird of synonym mit rungen sind, die für für die gerechte Verteilung
„relativer Armut“ verwendet, jedoch sind die der Erträge der Entwicklung verantwortlich
Konzepte nicht identisch. Soziale Ausgren- wären. Ebenso ist die Ansicht diskussionszung kann zu Armut führen, jedoch kann würdig, dass die Armen für den Verbrauch
soziale Ausgrenzung genauso ein Resultat der Rohstoffe und für die Verschlechterung
der Armut sein. In Jims Fall hat die soziale der Umweltsituation verantwortlich sind, da
Ausgrenzung zu einer Lähmung seiner poli- tatsächlich die Reichen ein höheres Konsumtischen Existenz geführt, während im Fall der niveau haben als die Armen.
Sahariya-Gemeinde von Rajasthan deren wirtschaftliche Armut und Not Grund für deren Wird nachhaltige Entwicklung zu einer Reduksoziale Ausgrenzung gewesen sind.
tion der Armut führen?
Armut zwingt die Armen dazu, ihr Leben
Diskussionsfragen
nicht nachhaltig zu leben. Das Fehlen von saFührt eine größere Bevölkerungszahl automa- nitären Einrichtungen und Entsorgungssystetisch zu mehr Armut?
men zum Beispiel, wie auch das Fehlen von
Es ist ein weit verbreiteter Glaube, dass das Brennmaterial kann die Armen dazu bringen,
hohe Bevölkerungswachstum in den am we- Gewohnheiten zu entwickeln, die zu einer
nigsten entwickelten Ländern und den Ent- Verschlechterung der Umweltsituation führen.
wicklungsländern für die umfassende Armut Nur wenn sich die Industrieländer dazu entin diesen Ländern verantwortlich ist. Dieses schließen, ihre Verpflichtungen der Welt geArgument wird von den Regierungen des genüber einzuhalten und die Emissionen von
Südens und des Nordens vertreten, um die Treibhausgasen zu verringern, effizientere
Aufmerksamkeit von den zentralen Proble- Energiestandards zu entwickeln und den Kamen abzuwenden, welche die tatsächlichen pitaltransfer über Grenzen zu besteuern, kann
Gründe für die Armut in diesen Regionen dar- eine nachhaltige Entwicklung erreicht werden,
stellen. Diese Probleme sind die fortgesetzte die zu einer Reduktion der Armut führt.
Entnahme und Ausbeutung von Rohstoffen auf
Grund kommerzieller Interessen der Industrie- Kann die Beseitigung der Armut finanziert
länder, wodurch den Gemeinschaften das Ver- werden?
fügungsrecht über diese Ressource entzogen Ja. Der zusätzliche Kostenaufwand, um allen
wird, ebenso die fehlende Vergabe von Geld- Menschen in Entwicklungsländern grundlemitteln für grundlegende Bedürfnisse wie zum gende Sozialleistungen zukommen zu lassen,
Beispiel Bildung, Gesundheit und Wasser Be- beträgt ca. 40 Milliarden US-Dollar pro Jahr,
stimmungen, wodurch die Sterblichkeits- und dies entspricht ungefähr einem Zehntel des
10 5
10 6
F reiheit vo n A rmut
US-Verteidigungsbudgets für 2002-2003 oder ist sundheit von Müttern, Gewährleistung von
um 8 Milliarden US-Dollar weniger als das Net- Nachhaltigkeit und die Schaffung einer welttoeinkommen des reichsten Mannes im Zeit- weiten Entwicklungspartnerschaft.
raum von 2001-2002. Die meisten dieser Mittel
könnten auch durch eine Umstrukturierung
bestehender Spenden von nationalen Regierun- Die UNO-Millenniumsentwicklungsziele
gen, multilateralen Banken (Weltbank, Asian
Development Bank und andere) und anderen
Ziel 1:
Hilfsorganisationen aufgebracht werden.
Den Anteil der Weltbevölkerung, der unter extremer Armut und Hunger leidet,
Die Beseitigung der Armut wäre viel einfacher
halbieren.
zu finanzieren, wenn sich internationale InZiel 2:
stitutionen wie die Weltbank, der InternatiAllen Kindern eine Grundschulausbilonale Währungsfonds oder die Regierungen
dung ermöglichen.
der OECD-Staaten dazu entschließen würden,
Ziel 3:
die Länder zu entschulden und im Gegenzug
Die Gleichstellung der Geschlechter und
konkrete Verpflichtungen der Regierungen
die politische, wirtschaftliche und sozieinzufordern, dass sie die Finanzmittel in die
ale Beteiligung von Frauen fördern, beArmutsbeseitigung auf Grund lokaler sozialer
sonders im Bereich der Ausbildung.
Anforderungen investieren.
Ziel 4:
Die veranschlagten Kosten würden weiter
Die Kindersterblichkeit verringern.
reduziert werden, wenn die jeweiligen StaaZiel 5:
ten sich dazu entschließen könnten, radikale
Die Gesundheit der Mütter verbessern.
Reformen in der Umverteilung von Reichtum
Ziel 6:
und Ressourcen vorzunehmen und ihre AusHIV/AIDS, Malaria und andere übertraggaben für Entwicklung über die für Verteidibare Krankheiten bekämpfen.
gungsausgaben stellen würden.
Ziel 7:
Den Schutz der Umwelt verbessern.
Ziel 8:
4. Durchsetzung und Überwachung
Eine weltweite Entwicklungspartnerschaft aufbauen.
Während der UNO-Millenniumsversammlung
im Jahr 2000 haben Staatsoberhäupter und
Regierungen ihre kollektive Verantwortung
Quelle: UNO-Millenniumsentwicklungszur Aufrechterhaltung der Prinzipien der
ziele. 2000. http://www.undp.org/mdg
menschlichen Würde, Gleichheit und Fairness auf der globalen Ebene anerkannt. Sie
haben acht Ziele für die Entwicklung und Die Globalisierung und ihre widersprüchliArmutsbeseitigung gesetzt, die bis 2015 er- chen Auswirkungen haben neue Formen von
reicht werden sollen. Diese Ziele beinhalten: Armut hervorgebracht. Außerdem manifestiedie Beseitigung von extremer Armut und Hun- ren sich diese neuen Formen in Gesellschafger, Verwirklichung weltweiter Grundschulbil- ten, die sich auf unterschiedlichen Ebenen der
dung, Förderung von Geschlechtergleichheit gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen
und Ermächtigung von Frauen, Verringerung Entwicklung befinden und aus Menschen unvon Kindersterblichkeit, Verbesserung der Ge- terschiedlichen Glaubens, unterschiedlicher
F reiheit vo n A rmut
Überzeugungen und Kulturen bestehen. Zum nicht protektionistischen Systemen multilateraBeispiel entspricht der Einfluss der Globalisie- len Handels, für angemessene finanzielle Unrung auf Völker in Afrika nicht dem in Indien, terstützung und um sicherzustellen, dass die
dies resultiert daraus, dass in Afrika und In- Armen ihren Anteil am Entwicklungsprozess in
dien verschiedene gesellschaftspolitische und dieser globalisierten Welt bekommen.
wirtschaftliche Verhältnisse herrschen. Diese
deutlichen Unterschiede zwischen Kulturen Diese Werte finden sich in politischen Stateund Regionen haben auch Einfluss darauf, wie ments wie zum Beispiel der Deklaration von
die Menschen die Bedrohungen durch Verar- Rio, der Agenda 21, der Erklärung von Kopenmung und soziale Ausgrenzung wahrnehmen. hagen, der Aktionsplattform von Peking und
der Habitat-Agenda, gestaltet von den Staaten
Das Hauptaugenmerk muss deshalb darauf als internationale „Entwicklungsarchitektur“,
liegen, die Rahmenbedingungen für die um die Armut zu beseitigen und die unabÜberwachung der verschiedenen Formen dingbaren Voraussetzungen für eine nachhalder Armut auf globaler und lokaler Ebene tige Entwicklung zu schaffen.
weiter zu entwickeln und auch die Menschen
in ihrem Widerstand und Kampf gegen aus- UNO-Organisationen zur Überwachung der
Armut
beuterische Kräfte zu bestärken.
Die UNO-Überwachungsorgane überprüfen in
Die UNO-Charta und die Allgemeine Erklä- regelmäßigen Abständen die Staatenberichrung der Menschenrechte wollten in der Nach- te, nehmen Beschwerden entgegen, machen
kriegszeit einen moralischen Rahmen zum Beobachtungen und geben Empfehlungen
Aufbau eines neuen Systems von Rechten und an Länder, wirtschaftliche Organisationen,
Pflichten schaffen, mit der Gewichtung auf die UNO-Behörden und andere, um die Mender Garantie der Würde, des Friedens und der schenrechtssituation, inklusive der Armutsverminderung, zu verbessern.
Menschlichen Sicherheit für alle Menschen.
Dieser umfassende Ansatz der Menschenrechte Die abschließenden Betrachtungen des UNOermöglicht eine Antwort auf die multidimensi- Komitees für wirtschaftliche, soziale und
onale Natur der Armut. Dieser Ansatz geht über kulturelle Rechte zu den verschiedenen StaaWohltätigkeit hinaus und erkennt an, dass eine tenberichten zeigen die fehlende Klarheit über
Freiheit von Armut nur möglich ist, wenn die den Status des Paktes im nationalen Recht;
Menschen durch Menschenrechtsbildung be- das Fehlen der Umsetzung von internationastärkt sind. Dieser Ansatz bekräftigt, dass die len Menschenrechtsverpflichtungen im natioArmen rechtliche Ansprüche und dass staatli- nalen Recht und die fehlende Information über
che und nichtstaatliche AkteurInnen Verpflich- die im Vertrag festgelegten Instrumente sind
tungen zu erfüllen haben. Während ein Staat die hindernde Faktoren. Die Berichte betrachten
Verantwortung dafür trägt, die Menschenrechte die Schuldenlast, das Fehlen von Daten, weitfür die in seinem Land lebenden Menschen zu reichende Korruption im öffentlichen Sektor,
verwirklichen, haben andere staatliche und Militärregimes, welche die Gerichtsbarkeit unnichtstaatliche AkteurInnen die Verpflichtung, terlaufen und fest verwurzelte religiöse Einzu diesem Prozess beizutragen und diesen zu flüsse als Hindernisse, die einer Umsetzung
unterstützen. Dies ist von wesentlicher Bedeu- von Strategien zur Verringerung der Armut im
tung für den Aufbau von gerechten, fairen und Weg stehen.
10 7
10 8
F reiheit vo n A rmut
Obwohl die Zahl jener Staaten, welche die nern, die in extremer Armut leben, und sie/
Konventionen ratifiziert haben, seit dem Jahr er gibt auch Empfehlungen und Vorschläge
1990 drastisch angestiegen ist, gibt es in der im Bereich der technischen Assistenz und anPraxis eine große Kluft zwischen den Ver- deren Gebieten, um die Armut zu verringern
pflichtungen, den politischen Zielen und der oder sogar zu beseitigen.
Umsetzung. Die größten Bedrohungen sind
der fehlende politische Wille von Regierun- In ihrem Bericht vor der Menschenrechtskomgen, widersprüchliche Verpflichtungen auf mission (E/CN.4/2001/54, 16. Februar 2001)
internationaler Ebene wie der Welthandels- präsentierte die unabhängige Expertin wichtiorganisation WTO (z.B. könnte TRIPS, das ge Erkenntnisse, wie die Situation der Armen
Übereinkommen über handelsbezogene As- verändert werden könnte. Um diese Anfordepekte der Rechte des geistigen Eigentums, zu rungen zu erfüllen, ist Menschenrechtsbildung
einer Erhöhung der Medikamentenpreise füh- erforderlich – um die Armen zu bestärken
ren, und dadurch den Menschen ein Leben in und ihnen dabei zu helfen, ihr Schicksal zu
Gesundheit und Würde streitig machen) und ändern. Der Prozess der Menschenrechtsinadäquate Mittelverteilung zur Verwirkli- bildung fördert und verbessert die kritische
Analyse aller Umstände und Gegebenheiten,
chung der verschiedenen Verpflichtungen.
mit denen die Armen konfrontiert werden.
Menschenrechtsbildung stellt ihnen angemesSonderberichterstatter und
senes Wissen, Fähigkeiten und Leistungen
unabhängige ExpertInnen
Die Menschenrechtskommission hat zwei un- zur Verfügung, um sich mit jenen Kräften
abhängige ExpertInnen ausgewählt – die/der auseinanderzusetzen, die sie arm halten. Sie
eine hat das Mandat, über die Fortschritte ermächtigt zum Aufbau von Organisationen
der Arbeitsgruppe zur Umsetzung des Rechts und zur Schaffung von Selbsthilfenetzwerken,
auf Entwicklung (Resolution 1998/72) zu be- so dass sie die fortschreitende Realisierung
richten, während die/der andere das Recht aller Menschenrechte bis zur endgültigen Behat, über den Einfluss extremer Armut auf seitigung der Armut beanspruchen und vordie Menschenrechte zu berichten und Un- antreiben können. In ihrem Bericht aus dem
tersuchungen durchzuführen. (Resolution Jahr 2004 weist die unabhängige Expertin
1998/25). Die/der Unabhängige Experte/ Anne-Marie Lizin aus Belgien darauf hin, dass
Expertin zur Extremen Armut beurteilt die „das gesamte weltweite Militärbudget für 2003
auf nationaler und internationaler Ebene un- alleine die Kosten zur Errichtung aller in Afternommenen Schritte, um den vollen Genuss rika benötigten Schulen für junge Menschen
der Menschenrechte für jene Menschen zu zwischen 0 und 18 Jahren decken würde und
sichern, die in extremer Armut leben; sie/er man ihre LehrerInnen 15 Jahre lang bezahlen
untersucht die aufgetretenen Hindernisse und könnte“.
den erzielten Fortschritt bei Frauen und Män-
F reiheit vo n A rmut
Entwicklung und Beseitigung der Armut
Ziel: Halbierung des Anteils der Weltbevölkerung, dessen Einkommen weniger
als einen Dollar pro Tag beträgt und Halbierung des Anteils der Menschen, die
Hunger leiden, bis zum Jahr 2015.
Zukunftsgerichtete Strategien
Einkommensarmut
• Unterstützung von wirtschaftlichen
und sozialen Länderinitiativen, deren
Fokus die Armutsreduktion ist;
• Stärkung von Ressourcen, um elementare Sozialleistungen zu ermöglichen;
• Unterstützung von Capacity-Building,
um Armut zu beurteilen, zu beobachten und Gegenmaßnahmen festzulegen.
Hunger
• Eine Bestandsaufnahme der Aktivitäten seit dem Welternährungsgipfel
von 1996 und Vorschläge neuer Pläne auf nationaler und internationaler
Ebene, um die „Hunger-Ziele“ zu erreichen.
• Sicherstellung, dass Nahrungs-, landwirtschaftliche und andere Handelspolitiken die Sicherheit der Nahrung
für alle durch ein faires und gerechtes
Welthandelssystem fördert.
• Kleinen LandwirtInnen den Vorzug
geben und deren Anstrengungen zur
Förderung des Umweltbewusstseins
und billiger, einfacher Technologien
zu unterstützen. (Übersetzung)
Quelle: UNO-Generalversammlung. 2001.
Road map towards the implementation
of the United Nations Millennium Declaration.
WAS MAN WISSEN SOLLTE
Basierend auf den Erfahrungen von NGOs und wenn zum Beispiel Wasser für das Getreide
anderen Hilfsorganisationen entsteht Kon- benötigt wird, oder KinderarbeiterInnen flesens darüber, dass fundamentale Schritte wie xible Schulen zur Verfügung zu stellen, statt
Landreformen, Kontrolle von Lebensunterhalt die Anwesenheit in normalen Schulen zu konund Ressourcen durch die Armen, Alphabe- trollieren, sind Ansätze, die nicht funktioniert
tisierung und Bildung, Gesundheitsfürsorge haben. Sie haben nur zu einem Fortdauern
sowie Unterkunft und Nahrung garantiert der Armut geführt. Die Hauptprobleme sind
werden müssen, um mit der Entwicklung die fehlender politischer Wille und Umverteilung.
Armen zu erreichen. Den Besitzlosen anstelle
von Land hoch gezüchtete Hybridkühe anzu- Effektive Beseitigung der Armut war immer
bieten, Darlehen ohne Miteinbeziehung der dann erfolgreich, wenn sie auf lokaler, deinfrastrukturellen Bedürfnisse zu gewähren, zentralisierter Ebene stattgefunden hat. Sie
10 9
110
F reiheit vo n A rmut
ist nur dann zielführend, wenn die Armen
als Subjekte und nicht als Objekte am Entwicklungsprozess teilnehmen, um so die
menschliche Entwicklung mit Gerechtigkeit
voranzutreiben.
Allgemeine und spezifische Erfahrungen von lokalen, nationalen und internationalen Initiativen im Gebiet der
Armutsbekämpfung
• Armut ist ebenso eine soziale, kulturelle und politische Angelegenheit
wie auch eine wirtschaftliche.
• Politische und wirtschaftliche Befähigung (empowerment) der Armen bedeutet Armut zu beseitigen.
• Der Zugang zu Information und Menschenrechtsbildung ermöglicht es den
Randschichten, sich ihrer Menschenrechte bewusst und aktiv zu werden,
um ihre Lebenssituation zu verändern.
• Die Sicherung von lebenswerten Löhnen für Arbeit und der Zugang zu
existenzsichernden Ressourcen gehören zu den wichtigsten Mitteln, um
Armut zu reduzieren.
• Die Reduktion von Armut sollte mit
der Reduktion von Ungleichheit einhergehen. Priorität muss sowohl auf
die Eliminierung aller Formen der
Diskriminierung von Frauen als auch
auf Diskriminierungen aufgrund der
Klasse oder Schichte, der „Rasse“ und
ethnischer Zugehörigkeit gelegt werden.
• Höhere Ausgaben für Bildung, Gesundheit, Wohnungen, Wasser, Sanitäreinrichtungen und das Bereitstellen
erschwinglicher Lebensmittel reduzieren Armut.
• Der Staat und seine Behörden haben
•
•
•
•
besonders im Zeitalter der Globalisierung eine bedeutende Rolle in der
Armutsbekämpfung.
Größere Verantwortlichkeit in der
internationalen und nationalen Entwicklungshilfe würde zu einem fairen
und gerechten Wirtschaftswachstum
führen.
Viele Länder sind nicht in der Lage,
Armut sofort zu beseitigen. Ihre eigenen Anstrengungen bedürfen der
Unterstützung und müssen durch
internationale Hilfe und Kooperation
ergänzt werden.
Auch Schuldabschreibungen haben
einen direkten Bezug zur Armutsbekämpfung. Wären Schuldabschreibungen an Investitionen in Bildung,
Gesundheit und anderen sozialen
Sektoren gebunden, würden sie direkt
zur Armutsreduktion beitragen.
Krieg und Konflikte steigern Armut.
Bemühungen, Armut zu beseitigen,,
ohne dabei Frieden und Menschliche
Sicherheit zu schaffen, können nicht
funktionieren.
1. Good Practices
Arme sind kreditwürdig
Die Grameen-Bank in Bangladesch begann als
Kreditgesellschaft in der Kleinstadt Jobra im
Jahr 1976. 2002 hatte sie bereits 2,4 Millionen
KreditnehmerInnen. Mit 1.175 Filialen bietet
sie Dienstleistungen in 41.000 Ortschaften an
und deckt somit mehr als 60% der Bevölkerung Bangladeschs ab.
Die Grameen-Bank ist bestrebt, die Armen
zu mobilisieren und sie durch lokale Kapitalanhäufung und Vermögensbildung voran
F reiheit vo n A rmut
zu bringen. Ziel der Bank ist es, ihr Service Strategiepapiere zur Verringerung der Arauf Frauen und Männer im ländlichen Bang- mut (Poverty Reduction Strategy Papers –
ladesch auszudehnen, die Ausbeutung durch PRSPs)
GeldverleiherInnen zu beseitigen, Selbstän- Im Jahr 1999 kam es zu der Übereinkunft,
digkeit anstelle von Arbeitslosigkeit zu fördern dass nationale partizipatorische Armutsverund benachteiligten Menschen eine Organisa- ringerungsstrategien die Basis aller Weltbanktionsform zu bringen, die sie verstehen und und IWF-Anleihen und der Entschuldung
mit der sie im Sinne von autonomer sozial- unter der erweiterten Initiative der schwer
ökonomischer Entwicklung durch gegenseiti- verschuldeten armen Länder (Heavily Indebted Poor Countries/HIPC Initiative) sein
ge Unterstützung umgehen können.
sollten. Dieser Ansatz spiegelt sich in der EntDurch die Konzentration auf jene, die als die wicklung von PRSPs durch nationale Behörrisikoträchtigsten KreditnehmerInnen galten, den wieder. Im Jänner 2003 haben dreizehn
hat die Bank bewiesen, dass die Armen kredit- Länder in Afrika (darunter Mali), vier Länder
würdig sind. Dadurch, dass sich die Grameen- in Lateinamerika, zwei Länder in Europa und
Bank mit der doppelten Last von Gender und Zentralasien, ein Land in Asien und ein Land
Armut, der sich arme Frauen gegenübersehen, im Nahen Osten der Weltbank und dem IWF
befasst, konnte sie signifikante Veränderun- PRSPs präsentiert.
gen beim Eigentum an Produktionsmitteln
und bei den Produktionsbedingungen im Alle PRSPs wurden unter Berücksichtigung
ländlichen Bereich erreichen. Diese Verände- der fünf Kernprinzipien entwickelt, die der
rungen sind wesentlich, nicht nur weil sie es Entwicklung und Umsetzung von Armutsverschafften, die Armen über die Armutsgrenze ringerungsstrategien zu Grunde liegen:
zu heben, sondern auch, weil sie mit sensib- • gesteuert durch die Länder selbst – auf
breiter Basis durch Einbindung der Zivilgeler Unterstützung eine Welle an Kreativität in
sellschaft und des privaten Sektors in alle
den Dörfern auslösten. Eine Übernahme der
operativen Schritte
Vorgangsweise der Grameen-Bank wird auch
in Nachbarstaaten angedacht. 2006 wurde das • ergebnisorientiert – Konzentration auf jene
Resultate, die den Armen nützen
Engagement der Grameen-Bank mit dem Friedensnobelpreis für ihren Gründer Mohammed • Verständnis für die Multidimensionalität
der Armut
Yunus gewürdigt.
• partnerschaftsorientiert – Einbindung und
http://www.grameen-info.org/bank
koordinierte Teilnahme von Entwicklungspartnern (bilateral, multilateral, und durch
Malis Initiative 20-20
NGOs)
Nach dem Weltsozialgipfel in Kopenhagen
1995 hat Mali die Initiative 20-20 angenom- • basierend auf einer Langzeitperspektive zur
Reduzierung der Armut
men, die besagt, dass 20% des Gesamtbudgets und 20% der internationalen Hilfe zur Quelle: http://www.worldbank.org/poverty/
Finanzierung der grundlegendsten sozialen strategies/overview.htm
Dienstleistungen im Land verwendet werden
sollten. Ebenfalls seit 1995 ist der Oktober der Die PRSPs waren der Kritik durch Gruppen der
„Monat der Solidarität und des Kampfes gegen Zivilgesellschaft ausgesetzt, da sie bestimmte
entscheidende Mängel aufweisen, wie zum
Ausgrenzung“.
Beispiel, dass die Finanzierungsstruktur stark
111
11 2
F reiheit vo n A rmut
von externer Hilfe und fremdländischer Di- Um die wachsende Opposition gegen die weltrektfinanzierung abhängt. Die Teilnahme von weite Privatisierung und die Entwendung des
InteressenvertreterInnen von Randgruppen Allgemeingutes Wassers anzuerkennen und
bleibt fraglich, da es oft keinen Mechanismus diesen Widerstand als neue Vision für die
für deren Teilnahme gibt dafür aber andere Zukunft des Planeten aufzuzeigen, lancierten
Hindernisse bestehen, etwa dass die Infor- das Council of Canadians und viele andere Ormationen und Dokumente nicht in der für sie ganisationen einen weltweiten Wasservertrag
verständlichen lokalen Sprache zur Verfügung beim Weltsozialforum in Porto Alegre, Brasistehen. Diese und andere Einschränkungen lien, im Februar 2002. Im August 2002 wurde
dieser Vorschlag beim Weltgipfel für Nachhalmüssen in Zukunft angedacht werden.
tige Entwicklung in Südafrika präsentiert. Die
Arbeit des Council wurde sich auch auf karitaUnser Wasser steht nicht zum Verkauf
Das Council of Canadians ist Kanadas wich- tive öffentliche Leistungen wie Gesundheitstigste zivile Kontrollinstanz, mit über 100.000 vorsorge und Bildung, ebenso wie Handel und
Mitgliedern in über 70 Ortsverbänden im gan- Investitionen ausgeweitet.
zen Land. Streng unparteiisch unterstützt das Siehe dazu: http://www.canadians.org
Council Parlamentsangehörige, führt Recherchen durch und macht landesweite Kampag- Eine nachhaltige Zukunft
nen, um die wichtigsten nationalen Probleme Die niederländische Praxis der Bewertung
in den Blickpunkt zu rücken: Zu nennen wä- von Ausmaß und Auswirkungen des „ökoloren das Aufrechterhalten sozialer Programme, gischen Fußabdrucks“ in Schlüsselsektoren,
Demokratiereform, wirtschaftliche Gerechtig- inklusive Energie- und Landwirtschaft und die
keit, die Durchsetzung der kanadischen Sou- Selbstverpflichtung, bestimmte zeitlich festveränität, die Entwicklung von Alternativen gelegte Ziele zu erreichen, um die negativen
zum unternehmensorientierten Freihandel Auswirkungen ihrer Fußabdrücke zu reduzieren, ist ein positives Beispiel der Begrenzung
und die Erhaltung der Umwelt.
von Umweltschäden durch die Regierung ei1999 lancierte das Council eine erfolgreiche nes Industriestaates. Der Staat liefert außerKampagne, um KanadierInnen und ihre Um- dem regelmäßig Berichte über die Fortschritte
welt vor den Auswirkungen von Wassermas- an die UNO-Kommission für nachhaltige Entsenexport und Privatisierung zu schützen. wicklung, zusammen mit Berichten über die
Die Kampagne entstand aus der Überzeugung, Durchsetzung der Agenda 21.
dass Wasser ein öffentliches Gut ist, das allen
gehört und von dem keiner finanziell profi- Freiheit von Hunger
tieren dürfe. In Anerkennung der erworbenen NGOs wie Food First mit Sitz in Kalifornien,
Rechte von Firmen und Investoren, die Ka- USA, oder das weltweit präsente Food First
nadas Frischwasserseen, Flüsse und Grund- Information and Action Network (FIAN) hawasserreserven als Quellen zur Erschließung ben sich der Beseitigung der Ungerechtigkeineuer Ressourcen sahen, mobilisierte die ten verschrieben, die Hunger verursachen. Ihr
Kampagne die öffentliche Meinung und Akti- Credo ist es, dass alle Menschen das Grundonen gegen die Aneignung und Privatisierung recht auf Nahrung haben, und dass sie die
demokratische Kontrolle über die Ressourcen
dieses unbezahlbaren Gutes.
haben sollten, die sie brauchen, um sich und
ihre Familien zu erhalten. Die Organisationen
F reiheit vo n A rmut
arbeiten darauf hin, die Menschen aufzurütteln, ihre eigenen Kräfte zu erkennen, um
soziale Veränderungen durch Forschung, Analyse, Bildung und Lobbying voranzutreiben,
um Mythen sprengen und die Grundprobleme
aufzuzeigen, Hindernisse zu identifizieren,
um sie zu ändern und zu beseitigen sowie viel
versprechende Alternativen zu evaluieren und
zu publizieren.
Siehe dazu: http://www.foodfirst.org, http://
www.fian.org
Wirtschaftliche Gerechtigkeit
Die NGO Freedom from Debt Coalition
(FDC) mit Sitz auf den Philippinen arbeitet
für die menschliche Entwicklung: für Gleichheit (Gendergleichheit eingeschlossen), wirtschaftliche Rechte und Gerechtigkeit, gleiches
und nachhaltiges Wachstum, Druck, um Regierungen zum ordnungsgemäßen Funktionieren zu bewegen und den Kampf um für
alle vorteilhafte globale Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Ländern. Die Bemühungen
der FDC unterstützen die weltweite Kampagne, die ärmsten Länder zu entschulden. Die
Coalition hat sich auch einer Vielzahl anderer
Probleme angenommen, wie z.B. Nahrungssicherheit, öffentliche Ausgaben und Einfluss
der Wirtschaftspolitik auf Frauen. Die Arbeit
des FDC inkludiert maßgebliche Funktionen
in der Bildung und der öffentlichen Information, der Massenmobilisierung, Politikforschung
und Analyse, der Bildung von Allianzen und
der Arbeit von provinziellen Netzwerken.
Siehe dazu: http://www.freedomfromdebtco
alition.org
rantie Menschlicher Sicherheit und menschlichen Wohlergehens spielt. Das Abkommen
zeigt auch die Entwicklung der Prioritäten
in den aktuellen Entwicklungshilfestrategien
der EU in Verbindung mit der Aufwertung der
Menschlichen Sicherheit.
2. Trends
Fortschritte auf dem Weg zum Erreichen
der Millenniumsentwicklungsziele – Wie
viele Länder sind auf Kurs?
Viele Länder haben signifikante Fortschritte
erzielt, aber für andere, generell die ärmsten
Länder, scheint es unwahrscheinlich, die Ziele
zu erreichen. Die Analyse von fünf der acht
Millenniumsentwicklungsziele – Kindersterblichkeit, Schuleinschreibung, Gendergleichheit
in der Bildung, Zugang zu Wasser und Hygiene – führten zu folgenden Ergebnissen im
Kinderspezifische
Entwicklungsziele
ZIEL:
Reduktion der Kindersterblichkeit
um zwei Drittel
ZIEL:
Grundschulbildung für alle Kinder
Anzahl von Ländern
Abkommen von Cotonou
Das Partnerschaftsabkommen zwischen den
AKP-Staaten und der EU, das am 23. Juni
2000 in Cotonou abgeschlossen wurde, betont die Nahrungssicherheit. Art. 54 betrifft
allein die Nahrungssicherheit und hebt so die
bedeutende Rolle hervor, die sie in der Ga-
Ziel erreicht
Ziel nicht erreicht
Quelle: UNDP. 2005. Bericht über die Menschliche Entwicklung.
11 3
11 4
F reiheit vo n A rmut
UNO-Bericht zur Menschlichen Entwicklung
von 2005: 50 Länder mit einer Bevölkerung
von mindestens 900 Millionen – davon 24 in
Afrika südlich der Sahara – gehen rückwärts
statt vorwärts in Bezug auf mindestens ein
Millenniumsentwicklungsziel. Noch schlimmer – 65 Länder werden nicht einmal eines
der Millenniumsentwicklungsziele bis nach
2040 erreichen. Dies betrifft hauptsächlich,
aber nicht ausschließlich, deren 1,2 Milliarden
Einwohner.
Quelle: UNDP. 2005. Bericht über die Menschliche Entwicklung.
3. Zeittafel
1979
1981
1988
Freiheit von Armut – die wichtigsten
Bestimmungen in internationalen Dokumenten
1948 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Art. 22, 23, 25, 26)
1961 Europäische Sozialcharta, überwacht durch das Europäische Komitee für Soziale Rechte
1965 Internationales Übereinkommen
zur Beseitigung jeder Form von
Rassendiskriminierung (Art. 5,
überwacht durch den Ausschuss
für die Beseitigung der Rassendiskriminierung)
1966 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (Art. 6, 7, 9, 11, 12, 13,
überwacht durch den Ausschuss
1989
1998
2000
2005
für wirtschaftliche, soziale und
kulturelle Rechte)
Übereinkommen zur Beseitigung
jeder Form von Diskriminierung
der Frau (Art. 10, 11, 12, 13, 14,
überwacht durch den Ausschuss
für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau)
Afrikanische Charta der Rechte
des Menschen und der Völker
(Banjul-Charta) (Art. 14-17, 2022, überwacht durch die Afrikanische Kommission für die Rechte
des Menschen und der Völker)
Zusatzprotokoll von San Salvador
über wirtschaftliche, soziale und
kulturelle Rechte in der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (überwacht durch die
Inter-Amerikanische Kommission
für Menschenrechte)
Übereinkommen über die Rechte
des Kindes (Art. 27, überwacht
durch den Ausschuss für die
Rechte des Kindes)
Unabhängige/r Experte/-in zur
extremen Armut
Annahme der Millenniumsentwicklungsziele durch die UN Generalversammlung
Das Schlussdokument des Weltgipfels bestätigt das Bekenntnis
der Staaten der Welt zu den Millenniumsentwicklungszielen und
zur Beseitigung der Armut
F reiheit vo n A rmut
AUSGEWÄHLTE ÜBUNGEN
Übung I: Die ganze Welt
in einem Dorf?!
Teil I: Einleitung
Diese Übung beschäftigt sich – in Hinblick auf
die internationalen Menschenrechtsinstrumente – mit den Ungleichheiten und Entbehrungen, mit denen sich die Armen dieser Welt
konfrontiert sehen.
Teil II: Allgemeine Information
Art der Übung: Arbeitsauftrag
Ziele: Die Übung zielt darauf ab, junge
Menschen auf die ungleiche Verteilung von
Ressourcen und Reichtümern in der Welt aufmerksam zu machen. Sie hilft ihnen, ihre eigene Lebenssituation mit der Armut auf der
Welt und den Menschenrechten in Beziehung
zu setzen. Sie gibt ihnen außerdem die Möglichkeit zu erkennen, dass Ungleichheiten und
Ungerechtigkeiten, denen sich die Armen der
Welt gegenübersehen, geändert werden müssen, um letztlich Entwicklung für alle sicher
zu stellen.
Zielgruppe: Jugendliche
Gruppengröße: ungefähr 20
Zeit: 90 Minuten
Vorbereitung: genügend Kopien des Arbeitsblattes
Materialien: Kopien des Arbeitsblattes, Tafel/
Flipchart, Stifte, Textmarker
Fertigkeiten: analytische und reflektierende
Fähigkeiten, Diskussionsfähigkeit
Teil III: Spezifische Information
Beschreibung der Übung/Anleitung: Austeilen des Arbeitsblattes an die TeilnehmerInnen,
sie sollen den in Folge vorgelesenen Anweisungen folgen und sie auf dem Arbeitsblatt
eintragen.
Die TeilnehmerInnen sollen …
… sich vorstellen, dass die ganze Weltbevölkerung (6 Mrd.) auf die 10 BewohnerInnen eines
Dorfes zusammengeschrumpft ist.
1. in der ersten Zeile jene Figur einkreisen,
von der sie meinen, dass sie ihrer persönlichen finanziellen Situation entspricht (erste Figur = reichste Person der Welt; letzte
Figur = ärmste Person der Welt)
2. die letzten fünf Schüsseln in der zweiten
Reihe ausstreichen. Sie verdeutlichen die
50% der Weltbevölkerung (= fünf der
DorfeinwohnerInnen), die in der Welt an
Hunger und Unterernährung leiden.
3.die letzten acht Häuser ausstreichen. 80%
der Weltbevölkerung (= acht der DorfeinwohnerInnen) leben in armseligen Behausungen, sind obdachlos oder auf der
Flucht.
4.die letzten sieben Bücher der vierten Reihe
wegstreichen. 70% der Weltbevölkerung (=
sieben EinwohnerInnen) sind nicht in der
Lage zu lesen, haben nie oder kaum Unterricht erhalten.
5.die ersten sechs Geldbündel in der fünften
Reihe ausstreichen und die erste Person in
der ersten Reihe mit der Zahl 6 kennzeichnen. Eine Person im Dorf hält 60% des gesamten Reichtums, was bedeutet, dass sich
die restlichen EinwohnerInnen 40% teilen
müssen.
6.in der sechsten Reihe die Nase des ersten
Mannes am Computer rot anmalen. Nur
1% der Menschen besitzt einen eigenen
Computer (das entspricht einem Zehntel
des ersten Computers in dieser Reihe).
7. einen Kreis um eine der Quasten zeichnen.
Nur 1% der gesamten Weltbevölkerung hat
Zugang zu höherer Bildung.
8.noch einmal das Arbeitsblatt betrachten
11 5
11 6
F reiheit vo n A rmut
und sich überlegen, ob sie sich selbst und
ihre Einschätzung bezüglich ihres eigenen
Reichtums neu positionieren wollen.
Folgende Aussagen werden den TeilnehmerInnen nun vorgelesen:
• Wenn Sie Nahrung für Ihre nächste Mahlzeit zur Verfügung haben, Kleidung, ein
Dach über dem Kopf und einen Platz zum
Schlafen, gehören Sie zu den „Top drei“ der
reichsten Menschen der Welt.
• Wenn Sie (oder Ihre Eltern) Geld auf der
Bank haben, etwas Geld in Ihrer Brieftasche und Kleingeld auf Ihrem Nachttisch,
repräsentieren Sie bereits eine der reichsten
Personen auf diesem Arbeitsblatt.
In diesem Teil der Übung können:
• die deutlich sichtbaren Ungerechtigkeiten
und Unterschiede, welche die Daten enthüllen diskutiert werden.
• ein Bezug zur eigenen Lebenswirklichkeit
gesetzt werden.
• die Verletzung von Menschenrechten in Relation zur Armut gestellt werden.
• Ziele und Prioritäten für eine Entwicklung
zum Besseren hin erarbeitet werden.
•
Praktische Hinweise: Während sich die TeilnehmerInnen das Material erarbeiten und
durcharbeiten, sollten sie bereits dazu ermuntert werden, sich darüber auszutauschen.
Die Aufgabe des Übungsleiters/der Übungsleiterin ist es, den TeilnehmerInnen Daten zur
Verfügung zu stellen und Gespräche darüber
anzuregen.
Die/der ÜbungsleiterIn teilt nun aktuelle Statistiken über die Höhe der finanziellen Ausgaben für Bildung, Gesundheitsversorgung,
Wasserressourcen, Hygiene und Militär für Teil IV: Follow-up
entweder ein Land oder eine Gruppe von Die TeilnehmerInnen können weitere AktiviLändern (abhängig von der Gruppe) aus. Die täten (nach dem hier aufgeführten Muster) für
notwendigen Informationen dazu findet man Menschenrechtsbildung erarbeiten, um die
im Report über die menschliche Entwicklung Menschen in ihrer Umgebung für menschender UNDP und/oder im „World Development rechtsbezogene Themen zu sensibilisieren.
Report“ der Weltbank.
Feedback: Die Gruppe wird nun aufgefordert,
ihre Gedanken und Gefühle bezüglich der zuvor erhaltenen Informationen auszutauschen.
Die Übung wurde dem Media Education Curriculum (Abhivyakti/Indien) entnommen
und adaptiert. http://www.abhivyakti.org.in
Arbeitsblatt
F reiheit vo n A rmut
Übung II: Absolute und relative Armut
Teil I: Einleitung
Armut scheint oftmals weit entfernt, als ob sie
lediglich in Entwicklungsländern beheimatet
wäre. Dennoch sind auch in Industrienationen
viele Menschen von Armut bedroht oder gar
betroffen. Welches sind die Unterschiede zwischen absoluter und relativer Armut und wie
äußert sich Armut auf lokaler Ebene im nahen
Umkreis der TeilnehmerInnen?
Teil II: Allgemeine Information
Art der Übung: Collage gestalten
Ziele: Bewusstsein über die Unterschiede
zwischen absoluter und relativer Armut entwickeln, Sensibilisierung für Armut im unmittelbaren Umfeld der TeilnehmerInnen
erreichen
Zielgruppe: Jugendliche und Erwachsene
Gruppengröße: 20 oder weniger, die Arbeitsgruppen sollten nicht mehr als 4-5 TeilnehmerInnen umfassen
Zeit: 90 Minuten
Materialien:
• Plakatpapier, Stifte, Filzstifte, Farben, Textmarker, Kleber
• Zeitungen, Zeitschriften, Internetseiten,
Plakate und Ähnliches mit Bildern und Artikeln von Menschen, die in Armut leben;
irgendwo auf der Welt, aber auch in unmittelbarer Nähe
• Aussagen/Zitate von Personen, die in Armut leben
Vorbereitung: Sammeln von Materialien, welche die Lebenssituationen von Menschen in
Armut darstellen, Handout über die Unterschiede zwischen absoluter und relativer Armut in ausreichender Stückzahl vorbereiten
Fertigkeiten: Kreativität, empathische Fähigkeiten
Teil III: Spezifische Information
Beschreibung der Übung/Anleitung: Zunächst
wird das Handout über die Unterschiede zwischen absoluter und relativer Armut laut vorgelesen. Anschließend sollte sich die/der TrainerIn
versichern, dass alle TeilnehmerInnen den Inhalt
des Textes richtig verstanden haben.
Bei der Einteilung der Gruppen sollte möglichst darauf geachtet werden, dass sich maximal fünf TeilnehmerInnen zu einer Gruppe
zusammenfinden. Jede Gruppe entscheidet
nun für sich, ob sie lieber eine Collage zu absoluter oder eine zu relativer Armut gestalten
möchte. Die Gruppen erhalten ausreichend
Plakatpapier, Stifte, Farben und Kleber. Anschließend wählen die TeilnehmerInnen aus
den aufliegenden Zeitungen, Zeitschriften, Internetseiten und Plakaten jene Materialien aus,
die ihnen für die Gestaltung ihrer Collage geeignet erscheinen und platzieren sie auf einem
ausreichend großen Plakatpapier. Daneben ist
es ihnen freigestellt, auch eigene Texte und
Bilder zu verfassen und zu einem Gesamtwerk
zu vereinen.
Danach werden die verschiedenen Collagen
der gesamten Gruppe präsentiert.
Wo liegen die Unterschiede in der Darstellung
von absoluter und relativer Armut? Gibt es auch
Gemeinsamkeiten? Welches könnten mögliche
Kritikpunkte an relativer Armut sein?
Teil IV: Follow-up
Eine passende Follow-up-Übung könnte eine
Diskussion über das Vorkommen von relativer
Armut in der unmittelbaren Umgebung der TeilnehmerInnen sein. Wie kommt es zu relativer
Armut in einer Gesellschaft des Überflusses?
Auf welche Weise äußert sich relative Armut?
Welche Verantwortung trägt der Staat? Mit
welchen Vorurteilen und Schwierigkeiten sind
Menschen konfrontiert, die in relativer Armut
leben? Welche eigenen Erfahrungen bringen
die TeilnehmerInnen diesbezüglich mit sich?
11 7
11 8
F reiheit vo n A rmut
Handout: Absolute Armut –
Relative Armut
Absolute Armut
Der Begriff der absoluten Armut wurde von Robert Strange McNamara, dem
ehemaligen Präsidenten der Weltbank,
eingeführt. Er definierte dabei „absolute
Armut“ wie folgt:
„Armut auf absolutem Niveau ist Leben am äußersten Rand der Existenz.
Die absolut Armen sind Menschen, die
unter schlimmen Entbehrungen und in
einem Zustand von Verwahrlosung und
Entwürdigung ums Überleben kämpfen,
der unsere durch intellektuelle Phantasie
und privilegierte Verhältnisse geprägte
Vorstellungskraft übersteigt.“
So sieht die Weltbank Menschen, die weniger als 1 US-Dollar pro Tag zur Verfügung haben, als „absolut arm“ an. Mit
dieser geringen Summe können nicht
einmal mehr die existentiellsten Dinge
zum Überleben geleistet werden, so dass
der Hunger(-tod) das Leben jener Personen unmittelbar begleitet oder bedroht.
Weitere Indikatoren absoluter Armut
nach der International Development
Association (IDA):
Pro-Kopf-Einkommen (PKE) < 150 US
$/Jahr
Kalorienverbrauch je nach Land
< 2.160 - 2.670/Tag
Durchschnittliche Lebenserwartung
< 55 Jahren
Kindersterblichkeit > 33/1.000
Geburtenrate > 25/1.000
Absolute Armut kommt vor allem in
Entwicklungsländern vor, aber auch in
Industrienationen gibt es immer wieder
vereinzelt Menschen, die durch das soziale Netz fallen.
Relative Armut
Im Gegensatz zur absoluten Armut stellt
der Begriff der relativen Armut die Armut in den Vergleich zum jeweiligen
staatlichen, sozialen und kulturellen
Umfeld eines Menschen. Die WHO definiert für die OECD-Länder diejenigen
Personen als relativ arm, die monatlich
weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens ihres jeweiligen Heimatlandes zur Verfügung haben. Relative Armut
bedeutet meist aber nicht nur beengte
und mangelhaft geheizte Wohnverhältnisse, schlechte Ernährung und der Verzicht auf jegliche Konsumgüter, sondern
darüber hinaus auch eine soziale und
kulturelle Verarmung, da die Teilhabe
an bestimmten sozialen Aktivitäten als
Folge des finanziellen Mangels erschwert
ist, beispielsweise Theater- oder Kinobesuch, Klassenfahrten.
Quelle: Beisenherz, Heinz Gerhard.
2002. Kinderarmut in der Wohlfahrtsgesellschaft. Wiesbaden: Leske + Budrich.
F reiheit vo n A rmut
Bibliographie
Berg-Schlosser, Dirk. 2000. Armut und Demokratie.
Frankfurt am Main: Campus.
Böhnke, Petra. 2002. Armut und soziale Ausgrenzung
im europäischen Kontext. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 29-30, 2002. Frankfurt am Main: Frankfurter Societätsdruck.
Pernia, Ernesto M. 1999. Urban Poverty in Asia: A Survey of Critical Issues. Beijing: Oxford University Press.
Pinger, Winfried. 1998. Armutsbekämpfung. Bad
Honnef: Horlemann.
SAARC. 1992. Report of the Independent South Asian
Commission on Poverty Alleviation: Meeting the challenge.
Focus on the Global South. 2001. Profiting from Poverty: The ADB, Private Sector and Development in Asia.
Bangkok: Focus on the Global South.
Sainath, Palagummi. 1996. Everybody Loves A Good
Drought. London: Penguin Books.
Haq, Mahbub-ul. 1995. Reflections on Human Development. New York: Oxford University Press.
Subramanian, S. 1998. Measurement of Inequality
and Poverty. Bangkok: Oxford University Press.
Harris, John. 1994. Poverty and Anti-Poverty Policy: A
Perspective for SCF in the South Asian Region. London:
Save the Children.
United Nations Development Programme (UNDP).
1997. Human Development Report 1997. New York:
Oxford University Press.
Holm, Karin und Uwe Scholz. 2002. Kindheit in Armut weltweit. Wiesbaden: Leske + Budrich.
United Nations Development Programme (UNDP).
1998. Training Manual on Human Rights and Sustainable Human Development. New York: UNDP.
International Human Rights Internship Programme,
Asian Forum for Human Rights and Development.
2000. Circle of Rights: Economic Social and Cultural
Rights Activism: A Training Resource.
Kamensky, Jutta und Helmuth Zenz. 2001. Armut
– Lebenslagen und Konsequenzen. Ulm: Kelm und Ölschläger.
Khan, Azizur Rahman und Carl Riskin. 2001. Inequality and Poverty in China in the Age of Globalization. New York: Oxford University Press.
United Nations Development Programme (UNDP).
2002. Human Development Report 2002: Deepening
Democracy in a fragmented World. New York: Oxford
University Press.
Watkins, Kevin, 1995. The Oxfam Poverty Report. London: Oxfam UK & Ireland.
World Bank. 2000. World Development Report 2000/
2001: Attacking Poverty. New York: World Bank.
Müller, Siegried und Ulrich Otto. 1997. Armut im Sozialstaat. Neuwied: Luchterhand.
Yunus, Muhammad et al. 1999. Banker to the Poor:
Micro-Lending and the Battle against World Poverty.
Public Affairs.
Nayyar, Rohini. 1992. Rural Poverty in India - An Analysis of Inter-State Differences. Bombay: Oxford University Press.
ZUSÄTZLICHE INFORMATIONEN
People’s Decade for Human Rights Education
(PDHRE). 2002. Passport to dignity. www.pdhre.org/
passport.html
People’s Movement for Human Rights Education
(PDHRE). 2000. A Call for Justice: Resource Packet.
www.pdhre.org/justice.html
50 Years Is Enough:
http://www.50years.org
Armutskonferenz:
http://www.armutskonferenz.at
Child Rights:
http://www.unicef.org/crc
11 9
120
F reiheit vo n A rmut
Combat Poverty Agency:
http://www.cpa.ie
Jubilee South:
http://www.jubileesouth.org
Commission on Human Rights:
http://www.unhchr.ch
Office of the High Commissioner for Human Rights
(UNHCHR):
http://www.ohchr.org
Development Gateway:
http://www.developmentgateway.org
OneWorld International:
http://www.oneworld.net
Division for the Advancement of Women:
http://www.un.org/womenwatch/daw/beijing/platform/poverty
Our World is Not For Sale:
http://www.ourworldisnotforsale.org
ELDIS:
http://www.ids.ac.uk/eldis/poverty
PovertyNet:
http://www.povnet.org
Eliminating World Poverty and Making Globalization Work for the Poor:
http://www.dfid.gov.uk/pubs/files/whitepaper2000.
pdf
Sub-Commission on the Promotion and Protection
for Human Rights:
http://www.unhchr.ch/html/menu2/2/sc.htm
Focus on the Global South:
http://www.focusweb.org
Friends of River Narmada:
http://www.narmada.org
International Labour Organization (ILO):
http://www.ilo.org
International Monetary Fund:
http://www.imf.org/external/deu/index.htm
United Nations Children’s Fund (UNICEF):
http://www.unicef.org
United Nations Development Programme (UNDP):
http://www.undp.org
World Bank:
http://www.worldbank.org/poverty
F reiheit
DISCR
vo
I MnI NAAT
rmut
ION
NICHTDISKRIMINIERUNG
DAS RECHT AUF NICHT-DISKRIMINIERUNG
RASSISMUS UND FREMDENFEINDLICHKEIT
INTOLERANZ UND VORURTEILE
„Jedermann hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte
und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe,
Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Status“.
Art. 2, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. 1948.
1 21
122
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
GESCHICHTE ZUR ILLUSTRATION
Im Jahr 1960 wurde die Tribüne eines sehr bekannten Sportplatzes in Toowoomba, Queensland, Australien, „E.S. ‚Nigger’ Brown Stand“
benannt, zu Ehren einer berühmten Persönlichkeit des Sports, Mr. E.S. Brown. Das Wort „Nigger“ („der beleidigende Ausdruck“) erschien
auf einer großen Anzeigetafel auf der Tribüne.
Mr. Brown, der 1972 starb, war von weißer
angelsächsischer Abstammung und hatte sich
den beleidigenden Ausdruck als seinen Spitznamen angeeignet. Dieser Ausdruck wurde
außerdem in öffentlichen Ankündigungen den
Sportplatz betreffend und in Kommentaren bei
Spielen mündlich wiedergegeben.
Im Jahr 1999 ersuchte Mr. S., ein Australier
von Aboriginalherkunft, die Verantwortlichen
des Sportplatzes, den von ihm als beleidigend
und herabwürdigend empfundenen Ausdruck
zu entfernen. Daraufhin wurde die Meinung
mehrerer Gemeindemitglieder über dieses Gesuch eingeholt. Diese hatten keine Einwände
gegen die Verwendung des rassistischen Ausdrucks auf dem Sportplatz, weshalb die Verantwortlichen dem Antragsteller mitteilten,
dass nichts weiter unternommen werde. In
einer öffentlichen Versammlung, deren Vorsitz
ein prominentes Mitglied der lokalen Aboriginalgemeinschaft leitete und welche von einem
Teil der örtlichen Aboriginalgemeinde besucht
wurde, erließen der Bürgermeister und der
Vorsitzende des Sportplatzes den Beschluss „...
dass der Name ‚E.S. ‚Nigger‘ Brown’ zu Ehren
eines großen Sportlers am Gelände bleibt und
dass im Interesse der Aussöhnung rassistischherabwürdigende oder beleidigende Ausdrücke
in Zukunft nicht verwendet oder dargestellt
werden“.
Auf Grundlage des bundesstaatlichen Racial
Discrimination Act von 1975 brachte der Antragsteller anschließend eine Klage beim Bun-
desgericht ein. Er begehrte die Beseitigung des
rassistischen Ausdrucks vom Areal und eine
Entschuldigung der Verantwortlichen. Das
Bundesgericht wies die Klage jedoch ab. Es
befand, der Antragsteller habe nicht nachgewiesen, dass der Beschluss eine Handlung darstellte, die „unter allen Umständen geeignet
war, einen indigenen Australier oder indigene
Australier im Allgemeinen anzugreifen, zu beleidigen, zu demütigen oder einzuschüchtern“.
Der Beschluss sei darüber hinaus keine „aufgrund der ‚Rasse’ vorgenommene“ Handlung.
Auch das australische Höchstgericht wies die
Klage ab.
In einer Individualbeschwerde an das CERD
(Committee on the Elimination of Racial
Discrimination) begehrte der Antragsteller die
Beseitigung des beleidigenden Ausdrucks von
der Anzeigetafel, eine Entschuldigung sowie
Änderungen im australischen Recht, um ein
effektives Rechtsmittel zur Unterbindung rassistischer Aussagen oder Ankündigungen zu
schaffen.
Das Komitee befand in seiner Entscheidung,
dass das Andenken eines angesehenen
Sportlers auf anderem Wege als durch die
Darstellung einer als rassistisch erachteten
öffentlichen Anzeigetafel geehrt werden solle.
Daher empfahl es den Verantwortlichen, die
nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Beseitigung dieses beleidigenden Ausdrucks von
der besagten Anzeigetafel sicherzustellen und
das Komitee von einer diesbezüglich erfolgten
Handlung zu informieren.
Quelle: UNO-Komitee gegen Rassendiskriminierung. 14. April 2003. UN-Doc. CERD/
C/62/D/26/2002.
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
Diskussionsfragen
1. Was sagt die Geschichte aus?
2.Welche Rechte sind verletzt worden?
3.Was hat Mr. S. unternommen, um seine
Rechte zu verteidigen?
4.Warum sind die nationalen Gerichte seinem Begehren nicht nachgekommen?
5.Warum hat ihn die lokale Aboriginalgemeinde nicht unterstützt?
6.Kommen Stereotypen oder Vorurteile gegen
eine bestimmte Personengruppe vor? Wenn
ja, welche?
7. Haben Sie von ähnlichen Vorkommnissen
in Ihrem Land gehört?
8.Welche Ursachen für rassistisches Verhalten kennen Sie?
WAS MAN WISSEN MUSS
1. Geschichtliche Entwicklung: Diskriminierung – der endlose und andauernde
Kampf um Gleichbehandlung
als Juden, als Aborigines oder als Roma. Diskriminierung zielt auf ArbeitsmigrantInnen,
Flüchtlinge und AsylwerberInnen sowie auf
Menschen dunkler Hautfarbe ab. Kinder werden misshandelt und schikaniert, Frauen als
Kennen Sie eine einzige Person, die noch
minderwertige Menschen behandelt, HIV-Infinie in ihrem Leben Opfer von Diskrimizierte, Menschen mit Behinderungen oder einer
nierung geworden ist? Sie werden sehen,
anderen sexuellen Orientierung werden Opfer
dass Sie keine finden werden!
von Diskriminierung. Selbst in unserer Sprache
grenzen wir uns bewusst oder unbewusst vom
anderen ab. Diskriminierung kommt in einer
Dass alle Menschen dieselben Rechte ha- derartigen Vielfalt vor, dass angenommen werben und gleich behandelt werden sollen, ist den kann, dass jede/jeder in unterschiedlichem
grundlegend für die Idee der Menschenrechte Ausmaß von ihr betroffen ist. Um sich mit dem
und hat seine Begründung in der angeborenen Thema befassen zu können, muss jeder/jedem
und gleichen Würde eines jeden Menschen. diese Tatsache bewusst werden.
Dieses natürliche Recht auf Gleichbehandlung
wird jedoch bis heute nicht allen Menschen Dieses Modul konzentriert sich auf jene Forgleichermaßen zugestanden.
men der Diskriminierung, die die schwersten
und verheerendsten Folgen mit sich brinDiskriminierung in der einen oder anderen gen – Diskriminierung aufgrund von „Rasse“,
Form stellt ein Problem der gesamten Mensch- Hautfarbe oder ethnischer Herkunft, somit
heitsgeschichte dar. Überall erfuhren indige- Rassismus und Rassendiskriminierung sowie
ne Völker und Minderheiten Diskriminierung, die verwandten Haltungen Fremdenfeindlichin den Wäldern von Ecuador, auf den Inseln keit und Intoleranz.
Japans und in den Reservaten South Dakotas,
123
124
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
Historisch gesehen wurden physiognomische
Unterschiede schon seit der frühen Menschheitsgeschichte fälschlicherweise dazu verwendet, zwischen „Herrenrassen“ und
„minderwertigen Rassen“ zu unterscheiden
und damit Menschen aufgrund ihrer vermeintlich biologischen „Rassenzugehörigkeit“ zu
klassifizieren. Eine wissenschaftliche Rechtfertigung für die Theorie der Überlegenheit
einer „Rasse“ wurde unter anderem aus der
Evolutionstheorie von Charles Darwin herzuleiten versucht. Formen von Diskriminierung
und Rassismus sind im indischen Kastensystem ebenso wie im antiken Griechenland oder
der chinesischen Auffassung von kultureller
Überlegenheit zu finden. Im Mittelalter war
Rassismus durch die Verfolgung der Jüdinnen
und Juden geprägt. Im 16. und 17. Jahrhundert führte die spanische Kolonialherrschaft
ein modernes, rassistisches Kastensystem
in den südamerikanischen Kolonien ein, in
dem Blutreinheit zum obersten Prinzip erklärt
wurde. Opfer dieses Systems waren die Native
Americans und die Sklaven und Sklavinnen
aus Afrika. Andere Kolonialmächte übernahmen diese Strukturen und machten sie zur
Basis ihrer eigenen kolonialen Gesellschaften.
In der „Neuen Welt“ wurde „Neger“ zu einem
Synonym für ein Sklaven-Mitglied der untergeordneten „Rasse“ im Kontrast zur weißen
„Herrenrasse“. Am Ende des 18. Jahrhunderts
und dem Anfang des 19. Jahrhunderts erreichte die Ideologie des Rassismus neue Dimensionen. Dem amerikanischen Bürgerkrieg
folgten Rassenunruhen und die Terrorisierung
der Schwarzen durch den Ku-Klux-Klan in
den US-Südstaaten. Europäische Kolonialisten
zogen ebenfalls Vorteile aus dieser Ideologie
und der weit verbreiteten Akzeptanz des Sozial-Darwinismus im 19. Jahrhundert, um sich
zu etablieren und ihre dominante Machtposition auf dem afrikanischen Kontinent aufrecht
zu erhalten. Das 20. Jahrhundert sah extreme
Formen des Rassismus, den Rassenhass des
Nazi-Regimes in Europa, die institutionalisierte Rassendiskriminierung des südafrikanischen Apartheid-Systems oder den ethnisch
motivierten Völkermord in Ex-Jugoslawien
oder in Ruanda.
Aufgrund dieser Erfahrungen ist das Verbot
der Diskriminierung heute in vielen nationalen Rechtsordnungen und internationalen Verträgen geregelt. Trotzdem ist Diskriminierung
aufgrund von „Rasse“, Hautfarbe, ethnischer
Zugehörigkeit, Religion, Geschlecht sowie sexueller Orientierung etc. noch immer eine der
am häufigsten begangenen Menschenrechtsverletzungen weltweit.
Menschenrechte der Frau und Religionsfreiheit
Diskriminierung und Menschliche Sicherheit
Einer der wichtigsten Aspekte Menschlicher Sicherheit ist die Sicherung entsprechender Bedingungen, damit Menschen
ihre Chancen, Wahlmöglichkeiten und
Fähigkeiten ohne jede Gefahr ausüben
und erweitern können. Diskriminierung
jeder Art behindert Menschen bei der
gleichberechtigten Ausübung ihrer Rechte und Möglichkeiten und resultiert nicht
nur in wirtschaftlicher und sozialer Unsicherheit, sondern wirkt sich auch auf
katastrophale Weise auf das Selbstwertgefühl, die Selbstbestimmung und die
menschliche Würde der diskriminierten
Person aus. Rassistische Diskriminierung,
die Verletzung der Rechte von Angehörigen verletzlicher Gruppen, Minderheiten
oder ImmigrantInnen ist aber auch als
Ursache für ernste Konflikte und für die
Gefährdung von Frieden und Stabilität
zu sehen. Die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen Rechte
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
Täter der Diskriminierung – Staat oder Einzelperson:
Eine weitere wichtige Frage stellt sich bezüglich des Angreifers oder Täters. Im internationalen System des Menschenrechtsschutzes
und im Nicht-Diskriminierungsrecht geht es
grundsätzlich um den Schutz des Individuums
vor Eingriffen des Staates. Deshalb wurden
Staaten immer als die Hauptakteure gesehen,
während Diskriminierung durch Einzelpersonen mehr oder weniger unbeachtet und ungeregelt blieb. Diese Auffassung hat sich erst in
letzter Zeit geändert, was vor allem auf neue
Entwicklungen im internationalen Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung zurückzu2. Definition und
führen ist und ein ganzheitliches Verständnis
Beschreibung des Themas
des Diskriminierungsbegriffes zur Folge hatte.
Es gibt eine Reihe von Fachbegriffen wie Ras- Hierbei wurde in Betracht gezogen, dass viesismus, Fremdenfeindlichkeit, Vorurteil und le diskriminierende Übergriffe durch private,
Intoleranz. Diskriminierung umfasst Elemente nichtstaatliche AkteurInnen geschehen.
all dieser Phänomene.
Bevor eine Definition geboten werden kann, Als Beispiel kann die weit verbreitete Einmüssen zwei wichtige Aspekte des Themas sorg- stellung privater VermieterInnen, Wohnungen nicht an MigrantInnen, Flüchtlinge oder
fältig beleuchtet und unterschieden werden:
Personen dunkler Hautfarbe zu vermieten,
genannt werden. Die Einbindung von AntiÜberzeugung oder Tat:
Es gibt einen deutlichen Unterschied zwi- Diskriminierungsregelungen in den privaten
schen Überzeugung und persönlicher Mei- Sektor bildet wie alle drittwirkenden Grundnung auf der einen Seite und der Ausübung rechte eine Quelle großer Kontroversen.
dieser durch eine Handlung auf der anderen Die jüngste Entwicklung, die an dieser Stelle
Seite. Während eine Überzeugung nur in der erwähnt werden sollte, ist die Anti-DiskrimiPrivatsphäre der/des Einzelnen Auswirkun- nierungs-Richtlinie der EU gegen Diskrimigen zeigt, sind von einer Handlung immer nierung im privaten Sektor. Sie betrifft den
andere Personen betroffen, u.a. durch Beleidi- Arbeitsmarkt und den Zugang zu Waren und
gung, Schmähung, Erniedrigung oder gar kör- Dienstleistungen. Ihre Umsetzung ist für alle
perliche Gewalt. Solche Handlungen können Mitgliedsstaaten verpflichtend.
klar als Diskriminierung charakterisiert werden und sind unter bestimmten Bedingungen Definition von Diskriminierung:
Generell wird Diskriminierung als jegliche
durch rechtliche Sanktionen strafbar.
Unterscheidung, Ausschluss, Abgrenzung
Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit
oder Bevorzugung abzielend auf die Aberkennung oder Verneinung gleicher Rechte
und deren Schutz gesehen. Sie bildet daher
eine Verneinung des Gleichheitsgrundsatzes
aller Mitglieder der Menschenfamilie ist,
wie in der Präambel zur AEMR angeführt, die Basis für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden auf der Welt. Deshalb
muss die Überwindung von tatsächlicher
Ungleichheit aufgrund von „Rasse“, Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Religion, Sprache oder jeglicher anderer
sozialer Bedingung höchste Dringlichkeit
auf der Tagesordnung der Menschlichen
Sicherheit haben.
125
126
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
und stellt einen Angriff auf die menschliche
Würde dar. Abhängig von den Gründen dieser
Ungleichbehandlung sprechen wir von Diskriminierung auf Basis von „Rasse“, ethnischer
Zugehörigkeit, Hautfarbe, Geschlecht, Religion,
sexueller Orientierung etc.
Jedoch kann nicht jede Unterscheidung automatisch als Diskriminierung im Sinne einer
Menschenrechtsverletzung definiert werden.
Solange die Unterscheidung auf vernünftigen und objektiven Kriterien basiert, könnte
sie gerechtfertigt sein. Beispiel: In fast allen
Staaten ist der Zugang zu Arbeitsplätzen beim
Militär, der Polizei oder anderen öffentlichen
Einrichtungen auf StaatsbürgerInnen des jeweiligen Landes beschränkt, ohne dass dies
gegen das Diskriminierungsverbot verstößt.
• Handlungen, die als diskriminierend zu
qualifizieren sind, wie Unterscheidung,
Ausschluss, Einschränkung und Bevorzugung.
• Ursachen der Diskriminierung, oft persönliche Charakteristika wie „Rasse“, Hautfarbe, Abstammung, nationale oder ethnische
Zugehörigkeit, Geschlecht, Alter, Behinderung etc.
• Zweck und/oder Konsequenzen von Diskriminierung, welche zum Ziel oder zum
Ergebnis haben, dass die Opfer ihre Menschenrechte und fundamentalen Freiheiten
nicht ausüben und/oder genießen können.
Davon ausgehend muss eine Unterscheidung
zwischen unmittelbarer und mittelbarer Diskriminierung getroffen werden. Bei unmitWas sind jedoch „vernünftige und objekti- telbarer Diskriminierung wird eine Person
ve Kriterien“? Können sie in verschiedenen gegenüber einer anderen Person in einer
Gesellschaften gleichermaßen gelten? Diese vergleichbaren Situation benachteiligt. Bei
Unklarheiten zeigen, warum das Prinzip der mittelbarer Diskriminierung bevorzugt oder
Gleichbehandlung eines der umstrittensten benachteiligt eine scheinbar neutrale RegePrinzipien der Menschenrechte ist, denn for- lung in ihrer Auswirkung eine Einzelperson
male Gleichbehandlung muss noch lange oder eine bestimmte Gruppe.
nicht zu tatsächlicher Gleichstellung führen.
Unterricht in der Erstsprache ist ein Beispiel
Beispiel einer mittelbaren Diskrimieiner solchen Diskrepanz, denn jede Schünierung: Die neutrale Bekleidungsvorlerin und jeden Schüler im rechtlichen Sinn
schrift, eine Kopfbedeckung zu verbieten,
gleich zu behandeln, würde Schulen daran
kann in der Praxis Mitglieder bestimmter
hindern, spezielle Sprachkurse anzubieten,
Gruppen verhältnismäßig benachteiligen
was wieder eine Ungleichbehandlung von
oder bevorzugen.
SchülerInnen bedeuten würde, die die Unterrichtssprache der Mehrheit nicht (so gut)
sprechen. Unterstützende Vorkehrungen wie
diese sind erwünscht, nicht diskriminierend Weitere wichtige Merkmale von Diskrimiund notwendig, um die kulturelle Bildung al- nierung: Im Normalfall diskriminiert eine
ler SchülerInnen zu fördern, auch derjenigen, dominante Mehrheit eine weniger mächtige
Minderheit. Vorherrschaft kann sich auf ein
die Minderheiten angehören.
Zahlenverhältnis (Mehrheit gegen MinderDrei Elemente von Diskriminierung: Generell heit) oder ein Machtverhältnis („Oberschicht“
können drei Elemente identifiziert werden, gegen „Unterschicht“) stützen. Eine Gruppe
welche allen Formen der Diskriminierung ge- behandelt die andere als minderwertig und
spricht dieser oft grundlegende Menschenmeinsam sind:
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
rechte ab. Nach Betty A. Reardon von der
Columbia University bedeutet dies, dass „Diskriminierung eine Verneinung der menschlichen Würde und der gleichen Rechte den
Diskriminierten gegenüber ist“.
• Was bedeutet der Ansatz der Chancengleichheit? Diskutieren Sie den Gesichtspunkt, dass Chancengleichheit
dazu führen kann, Menschen in gleichen Situationen ungleich zu behandeln, damit Ungleichheiten aus der
Vergangenheit kompensiert werden
können.
• Welche Arten von Maßnahmen sind
gerechtfertigt – sowohl behindernd als
auch begünstigend?
Ein weiterer Aspekt ist jener der positiven Diskriminierung oder „Affirmative Action“, wie
die Politik zur Erzielung von Gleichstellung in
den USA genannt wird. Sie beschreibt besondere, vorübergehende Maßnahmen, welche auf
die tatsächliche Gleichstellung und die Überwindung institutionalisierter Formen der Diskriminierung abstellen. Als institutionalisierte
Diskriminierung werden Gesetze, Strategien und Rassismus
Gewohnheiten bezeichnet, die in einer Gesell- Rassismus verursacht Schaden durch Ausschaft, einer Organisation oder einer Institution schluss und Herabsetzung von Personen
systematisch zu Ungleichbehandlung und Dis- sowie die Spaltung von Gemeinschaften. Sokriminierung führen. Maßnahmen der Affirma- wohl aktiver Rassismus als auch die passive
tive Action sind umstritten, da sie, wenn auch Akzeptanz von rassistisch motivierter Ungevorübergehend, eine Gruppe gegenüber einer rechtigkeit und Privilegien beeinträchtigen die
anderen bevorzugen, um vergangene Ungleich- mentale Gesundheit von Tätern und Opfern.
behandlungen zu kompensieren. Damit will Die Ursachen für und Folgen von Rassismus
man der Zielgruppe (Frauen, ethnische Minder- und der damit verbundenen Intoleranz sind
heiten etc.) in der Gegenwart die Möglichkeit komplex. Sie beinhalten Gesetzeslücken und
geben, dieselben Chancen bei der Ausübung Diskriminierung, wirtschaftliche und schuihrer fundamentalen Rechte und Freiheiten, vor lische Nachteile, soziale und politische Ausallem auf den Gebieten der Bildung, der Arbeit grenzung sowie psychische Stigmatisierung.
Es ist erwiesen, dass Diskriminierung Langund der Wirtschaft, zu genießen.
Positive Maßnahmen dürfen immer nur für ei- zeitwirkungen auf die Gesundheit hat, da Disnen bestimmten, begrenzten Zeitraum gelten, kriminierungsopfer unter Dauerstress stehen.
solange, bis de facto Gleichheit hergestellt ist. Psychosomatische und autoaggressive KrankNur dann können diese Maßnahmen nicht als heiten sind häufig.
Diskriminierung, sondern als Strategien zur
Bekämpfung von Diskriminierung angesehen Überraschend mag sein, dass es keine universell anerkannte Definition von Rassismus
werden.
gibt, da die Meinungen über Bedeutung und
Tragweite weit auseinander gehen. Rassismus
kann als bewusste oder unbewusste ÜberzeuWas denken Sie über
gung von angeborener Überlegenheit einer
diese Maßnahmen?
„Rasse“ über eine andere oder als eine Ein• Bedeutet das Verbot der Diskriminiestellung und ein Handlungssystem, das etwa
rung die ausschließliche Verpflichtung
„vorschlägt, eine ‚rassische’ Ordnung, eine
zu formaler Gleichbehandlung?
permanente Gruppenhierarchie zu etablieren,
127
128
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
„Man kann keine Person, die jahrelang in Ketten gefangen war,
frei lassen, sie an die Startlinie stellen und sagen: „Du kannst
jetzt in den freien Wettbewerb mit den anderen treten“, und
glauben, absolut fair gehandelt zu haben. Es ist deshalb nicht
genug, die Türen zu öffnen. Alle unsere StaatsbürgerInnen müssen sie auch durchschreiten können … Wir streben nicht nur
nach Gleichberechtigung in Recht und Theorie, sondern nach
Gleichberechtigung als Tatsache und als Resultat.“ (Übersetzung)
Lyndon B. Johnson, ehemaliger US-Präsident. 1965.
welche die Gesetze Gottes reflektieren soll“, gestellt werden. Rassistische Ideen können
gesehen werden. Diese Definition von Ras- für sich also nicht als Menschenrechtsverletsismus liegt zwischen der Betrachtungsweise zungen angesehen werden. Die Freiheit der
von Rassismus als Konzept der Moderne, das Meinung und der Überzeugung sind selbst
aus vermeintlich wissenschaftlichen „Ras- fundamentale Menschenrechte, die bis zu eisentheorien“ entstand, und dem Verständnis nem gewissen Grad in Konkurrenz zum Disvon Rassismus als Manifestierung archaischer kriminierungsverbot stehen. Freilich stellt sich
Stammessysteme. Jedenfalls verursacht der sofort die Frage, wie eine menschenrechtsBegriff „Rassismus“ viel Diskussion. Der Be- widrige Einstellung durch Menschenrechte
griff selbst ist insofern richtig, als er eine Ein- geschützt sein kann. Diese Frage wurde von
stellung von Personen bezeichnet, welche die verschiedenen Gerichten höchst unterschiedExistenz verschiedener „Rassen“ voraussetzt. lich entschieden, häufig wurde die MeinungsBiologisch und genetisch gibt es „Menschen- freiheit als höheres Gut eingestuft. Nur wenn
rassen“ nicht.
diese Haltungen zu diskriminierenden PolitiHeute wird Rassismus als soziales Konstrukt ken, sozialen Gewohnheiten oder zur kultugesehen. Die Betonung wird auf kulturelle rellen Teilung ganzer Gesellschaften führen,
Unterschiede und weniger auf biologische kann von strafbaren diskriminierenden HandMerkmale gelegt, sodass von einem neu ent- lungen oder rassistischer Diskriminierung gestandenen „kulturellen Rassismus“ gespro- sprochen werden. Diese Maßnahmen können
chen werden muss. Unter diesen Begriff sind entweder von einer dominierenden „Rasse“,
die meisten Einstellungen der heutigen Rassis- die eine hierarchische Ordnung schafft oder
tInnen einzuordnen. Tatsächlich ist allein der von Individuen, die über andere Kontrolle
Begriff „Rasse“ schon rassistisch, Rassismus ausüben, ausgeführt werden.
im Sinne der Definition einer Einstellung wird
hier getrennt vom Begriff „Rasse“ gesehen.
Rassismus existiert, abhängig von der ausgeübRassismus kann schon als Haltung gefährlich ten Macht und der Beziehung zwischen Opfern
sein, ohne eine aktive Handlung kann Rassis- und TäterInnen, auf verschiedenen Ebenen:
mus jedoch nicht unter rechtliche Sanktionen
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
• Persönliche Ebene (eigene Einstellungen, Auswüchse speziell im Zweiten Weltkrieg auf
dem Gebiet des Dritten Reichs und seiner SaWerte, Überzeugungen)
• Zwischenmenschliche Ebene (Verhalten tellitenstaaten die Welt nachhaltig schockiert
hatten.
anderen gegenüber)
• Kulturelle Ebene (Werte und Normen eines
sozialen Gebildes)
„Rassengewalt“ ist eine besonders schwerwie• Institutionelle Ebene (Gesetze, Gewohnhei- gende Auswirkung von Rassismus, bestehend
ten, Traditionen und Praktiken).
aus einer bestimmten Handlung – Gewalt oder
Belästigung – gegenüber einer Einzelperson
Das Apartheid-System in Südafrika oder einer Gruppe aufgrund von „Rasse“, Hautstellte eine institutionalisierte Form des Rassis- farbe, Herkunft oder nationaler/ethnischer Zumus und der rassistischen Diskriminierung dar, gehörigkeit. Die Bewertung dieser Gruppe als
da Apartheid-Gesetze Schwarze von Weißen Bedrohung ist ein bedeutender Teil des sozialen und politischen Umfelds, in dem Gewaltakisoliert haben.
Was man wissen sollte
te basierend auf Rassenhass geschehen.
Rassendiskriminierung: Das UNO- Rassismus und rassistisch motivierte Gewalt
Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form sind durch eine Vielzahl von Nachrichten
von Rassendiskriminierung (ICERD) aus dem auf der ganzen Welt bekannt. Aus den USA
Jahr 1965 enthält eine umfassende, rechtliche etwa sind die „Rassenunruhen“ aufgrund des
Definition von Rassendiskriminierung, die als Rodney-King-Urteils und die Kontroversen um
Basis für zahlreiche andere Definitionen und den Prozess gegen O. J. Simpson bekannt.
Instrumente der Diskriminierung dient.
In den letzten Jahrzehnten wurde im Kampf
gegen Rassismus und Rassendiskriminierung
„In diesem Übereinkommen bezeichnet
ein breiteres Verständnis des Rassismusbeder Ausdruck ‚Rassendiskriminierung’
griffes entwickelt. Dies schließt die Erkenntjede auf der ‚Rasse’, der Hautfarbe, der
nis, dass alle Gesellschaften davon betroffen
Abstammung, dem nationalen Ursprung
und dadurch behindert sind, mit ein. Die inoder dem Volkstum beruhende Unterscheiternationale Gemeinschaft verpflichtete sich,
dung, Ausschließung, Beschränkung oder
die Grundursachen von Rassismus zu ermitBevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge
teln und die entsprechenden Reformen einhat, dass dadurch ein gleichberechtigtes
zuleiten, um dem Ausbruch von Konflikten
Anerkennen, Genießen oder Ausüben
aufgrund von Rassismus und rassistischer
von Menschenrechten und GrundfreiheiDiskriminierung vorzubeugen. Leider existieten im politischen, wirtschaftlichen, soren diese Theorien und Praktiken trotz aller
zialen, kulturellen oder jedem sonstigen
Bemühungen, sie auszulöschen weiter, geBereich des öffentlichen Lebens vereitelt
winnen AnhängerInnen und nehmen immer
oder beeinträchtigt wird.“
neue Formen an, wie etwa die grausamen
Art. 1, ICERD.
„ethnischen Säuberungen“, bekannt aus den
Konflikten im ehemaligen Jugoslawien, in
Mit der Erarbeitung dieses Übereinkommens Darfur im Sudan und Ruanda, um nur die be(
Internationale Standards, Umsetzung und kanntesten Beispiele zu nennen.
Überwachung) reagierte die UNO-Generalversammlung auf den Antisemitismus, dessen
129
130
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
Fremdenfeindlichkeit
(Xenophobie)
Ist die Fremdenfeindlichkeit oder Xenophobie einmal als Angst vor dem Fremden oder
fremden Ländern definiert, so bezeichnet sie
auch die Einstellungen, Vorurteile und Verhaltensweisen, die Personen zurückweisen,
ausschließen und oft auch herabwürdigen.
Es wird von der Auffassung ausgegangen,
dass diese AußenseiterInnen oder Fremde in
der Gemeinschaft, der Gesellschaft, der nationalen Identität sind. Mit anderen Worten
bezeichnet Xenophobie ein Gefühl, welches
auf nicht rationalen Vorstellungen und Ideen
gründet, und zu einem stark vereinfachten
„Gut-Böse-Szenario“ führt. Fremdenfeindlichkeit ist eine Einstellung oder Überzeugung. Deshalb werden nur Manifestationen
von Fremdenhass in Form von diskriminierendem Verhalten vom nationalen und internationalen Recht sanktioniert.
Die Unterscheidung zwischen Rassismus
und Fremdenfeindlichkeit ist rechtlich nicht
von Bedeutung, auch ihre Auswirkungen auf
die Opfer sind meist dieselben. Menschen
werden ihres Potenzials und ihrer Möglichkeiten, ihre Pläne und Träume zu verfolgen,
beraubt. Ihr Selbstwertgefühl wird zutiefst
verletzt und in Millionen von Fällen kosten
Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Leben.
Besonders schwer sind die Auswirkungen
von Rassismus und „Rassendiskriminierung“
auf Kinder. Als ZeugInnen oder direkt Betroffene von Rassismus sind sie starken Angstgefühlen und Verstörung ausgesetzt. Rassismus
ruft Ängste hervor, die das Selbstvertrauen
eines Kindes und das Vertrauen in andere
Personen zerstören. Wenn ein Kind selbst
Opfer von Rassismus geworden ist, öffnen
diese Ängste die Tür für rassistische Untertöne, Aussagen und Stereotypen und haben
Einfluss darauf, wie es über sich und seine
Gruppe denkt.
In einer UNO-Podiumsdiskussion in
New York, in der die Auswirkungen von
Rassismus auf Kinder diskutiert wurden,
erzählte eine Frau aus dem Kongo den
Anwesenden über ihre ersten Erfahrungen mit Rassismus. Dieser widerfuhr ihr
noch vor der Geburt, als die Krankenschwester sich weigerte, bei der schwierigen Geburt zu helfen, da ihre Mutter
aus einem anderen Teil des Landes kam.
Während sie aufwuchs, lernte sie sehr
schnell, dass ihre Familienverhältnisse
– das Volk, von dem sie kam, die Sprache, die sie sprach, die Region, in der sie
lebte – jeden Aspekt ihres Lebens beeinflussten und dass sie sich nutzlos, unsicher und unfähig fühlte, und das vom
Beginn ihrer Kindheit an.
Verwandte Formen:
Intoleranz und Vorurteile
Intoleranz: Die Penn State University erklärt
in ihrer Grundsatzerklärung, dass Intoleranz „eine Einstellung, ein Gefühl oder eine
Überzeugung sei, durch die ein Individuum
seine Geringschätzung anderer Individuen
oder Gruppen basierend auf Merkmalen wie
„Rasse“, Hautfarbe, nationaler Herkunft, Geschlecht, sexueller Orientierung oder politischer oder religiöser Überzeugung zeigt“.
Vorurteil: Die klassische Definition stammt
vom bekannten Harvard-Psychologen Gordon
Allport: „Ein Vorurteil ist eine Antipathie, die
auf einer falschen und unflexiblen Generalisierung basiert; es kann gefühlt oder ausgedrückt
werden; es kann gegen eine Gruppe oder eine
Einzelperson gerichtet sein.“
Beide Begriffe können als Motivation für jegliche Art diskriminierender Handlungen bezeichnet werden. Intoleranz und Vorurteile
werden oft als Ursache und Ausgangspunkt
für andere, „speziellere“ Verhaltensweisen
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
„Sollten wir eines Morgens aufwachen und herausfinden, dass alle
Menschen derselben ‚Rasse’ und derselben Hautfarbe angehören und
denselben Ursprung haben, dann hätten wir spätestens zu Mittag
andere Gründe für Vorurteile gefunden.“ (Übersetzung)
George Aitken
wie Rassismus und Fremdenhass betrachtet.
Der Ansatz des ethnischen Vorurteils ist erst
vor kurzem entstanden und beschreibt das
kulturelle Überlegenheitsgefühl einer Gruppe
gegenüber einer anderen. Im europäischen
Zusammenhang können als Beispiele etwa
antitürkische, antipolnische oder antirussische Vorurteile genannt werden. Sobald typische kulturelle oder religiöse Eigenschaften
einer bestimmten Gruppe attackiert werden,
haben diese Vorurteile starke Ähnlichkeit mit
„kulturellem Rassismus“.
Diese beiden Phänomene, Vorurteile und Intoleranz, sind am schwersten zu benennen und
zu bekämpfen. Warum? Vorurteile sind oft
nicht gleich erkennbar, da sie im Laufe der Zeit
anerzogen oder erlernt werden. Dabei kann es
schwierig sein, zwischen Erziehung zu selbstbestimmtem Denken und Erziehung zu vorurteilsbehaftetem Denken oder Indoktrinierung
zu unterscheiden.
Auch der Begriff der Toleranz schafft Probleme.
Toleranz ist nicht als Duldung der/des anderen,
sondern als deren/dessen gleichberechtigtes
Anerkennen zu verstehen. Wie weit muss man
aber Intoleranz gegenüber tolerant sein? Es ist
wichtig zu wissen, dass man intolerantes Verhalten nicht dulden und schon gar nicht tolerieren muss. Intoleranz soll man mit Zivilcourage
begegnen, was bedeutet, dass man sich von
Diskriminierung aufgrund von intolerantem
Verhalten abgrenzen und dagegen nach seinen/
ihren Möglichkeiten auftreten muss.
Sensible Fragen
• Wer entscheidet, wie weit Toleranz gehen darf?
• Gibt es bereits anerkannte Normen
oder Standards zur Unterscheidung
von Toleranz und Intoleranz? Wenn
nein, kann man diese überhaupt aufstellen?
• Gibt es regionale oder kulturelle Unterschiede in der Auffassung solcher
Normen?
Die im internationalen System der Menschenrechte entwickelten Grenzwerte und Standards stellen ein Mindestmaß dar.
Niemand wird als RassistIn geboren,
sondern entwickelt sich erst im Laufe
des Lebens dazu. Wer sich der Angst
vor Fremdem nicht stellt, ignoriert sie.
Ignoranz ist somit eine elementare Ursache von Rassismus. Der frühere UNOGeneralsekretär Kofi Annan sagte aus
Anlass des Internationalen Tages zur
Beseitigung von Rassendiskriminierung
am 21. März 1999: „Ignoranz und Vorurteile sind die Diener der Propaganda ...
Unsere Mission ist, Ignoranz mit Wissen,
Fanatismus mit Toleranz und Isolation
mit den ausgestreckten Händen der Großzügigkeit zu begegnen. Rassismus kann,
wird und muss besiegt werden.“
1 31
132
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
Internationale Standards
Die durch die Erfahrungen der Sklaverei, des
Kolonialismus und des Zweiten Weltkriegs gelernten Lektionen führten zur Aufnahme des
Prinzips der Anti-Diskriminierung in zahlreiche nationale Verfassungen und internationale Verträge. Der wohl wichtigste internationale
Vertrag zu Rassendiskriminierung ist das UNOÜbereinkommen zur Beseitigung jeder Form
von Rassendiskriminierung vom 21. Dezember 1965. Es basiert auf den Prinzipien der
Würde und Gleichberechtigung und verurteilt
jegliche Form der Rassendiskriminierung. Außerdem werden die Staaten angewiesen, alle
angemessenen Maßnahmen zur Eliminierung
von Rassendiskriminierung zu setzen. Das
Übereinkommen erwies sich als maßgebliches
Werkzeug zur Bekämpfung von Rassendiskriminierung und wurde bislang von 173 Staaten
ratifiziert (Stand: 1. Juli 2008).
Verpflichtungen in Bezug auf das Prinzip der
Nicht-Diskriminierung müssen auf verschiedenen Ebenen von Staaten, der Privatwirtschaft
und in manchen Fällen auch von Individuen
beachtet werden. Das fundamentale Prinzip
der Nicht-Diskriminierung garantiert Individuen ein bestimmtes „Verhalten“ der Staaten und ihrer Behörden. Daher besteht für
die Staaten die Verpflichtung, das Prinzip der
Nicht-Diskriminierung zu respektieren, zu
schützen und zu verwirklichen:
Verpflichtung zur Achtung: Es ist Staaten verboten, gegen anerkannte Rechte und Grundfreiheiten zu verstoßen. Staaten haben somit
die Verpflichtung, die Rechte ihrer BürgerInnen zu achten und nur dann in diese einzugreifen, wenn es dafür einen ausdrücklichen
und legitimen Grund gibt. Das bedeutet, dass
Staaten die Gleichwertigkeit von Individuen
respektieren müssen und rassistische oder
diskriminierende Organisationen weder finanziell unterstützen noch tolerieren dürfen.
Verpflichtung zum Schutz: Staaten müssen
alle Menschen vor einer Verletzung ihrer
Rechte schützen. In Bezug auf Diskriminierung bedeutet das auch, dass der Staat aktiv
Rassendiskriminierung unter Einzelpersonen
zu bekämpfen hat. Da davon auch die Privatsphäre betroffen ist, ist diese Verpflichtung
jedoch umstritten. Bislang konnte über die
EU hinaus keine Übereinstimmung darüber
gefunden werden, wie weit diese staatliche
Verpflichtung reicht.
Verpflichtung zur Gewährleistung: Der
Staat muss die effektive Umsetzung der garantierten Rechte durch adäquate rechtliche, verwaltungstechnische, gerichtliche und
schützende Maßnahmen gewährleisten. Artikel 5 der ICERD verlangt von seinen Mitgliedsstaaten, die Gleichbehandlung aller Menschen
vor dem Gesetz zu garantieren.
Verpflichtungen auf dem privaten Sektor
(NGOs, Medien, etc.): Abgesehen vom Staat
hat auch der private Sektor einige Bedeutung
für die Bekämpfung von Rassismus und Rassendiskriminierung. Seine AkteurInnen bilden
den größten Teil der Gesellschaft, und normalerweise kann Rassismus und „Rassendiskriminierung“ am effektivsten von der Basis der
Zivilbevölkerung aus entgegengetreten werden.
Good Practices
Trainingsprogramme und Bildung: Rassismus,
Fremdenfeindlichkeit und ähnliche Haltungen
kommen häufig in hintergründigen und raffinierten Formen vor und sind deshalb schwierig zu identifizieren. Dies kann sehr leicht zu
der gefährlichen Auffassung führen, dass Rassismus nur von anderen ausgeübt wird und
daher auch in der Verantwortung anderer liegt.
Um solche Meinungen erfolgreich widerlegen
zu können, muss Rassismus als Herausforderung betrachtet werden, der man nur durch
die Stärkung einer Kultur der Menschenrechte
auf allen Ebenen der Gesellschaft begegnen
kann. Menschenrechtslernen soll den Respekt
und das Verständnis für die Vielfalt der Menschen und Kulturen fördern.
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
ckende Anzahl an bestehenden Lehrplänen,
die auf allen Ebenen des Bildungswesens
eingesetzt werden, sowie geschichtliche und
interkulturelle Herangehensweisen zur Förderung des Verständnisses der Menschenrechte
zu würdigen und zu unterstützen.
Die entscheidende Rolle der Medien: Leider
propagieren verschiedene Radio- und Fernsehsender auf der ganzen Welt Hass, ethnische Diskriminierung sowie Diskriminierung
aufgrund von „Rasse“. Die Macht der Medien
wird deutlich am Fall des „Radio Mille ColliIn vielen Ländern werden Trainings- nes“ aus Ruanda, das die Hutus benutzten,
programme für LehrerInnen angeboten, um um zum Massaker an Tutsis während des Bürsie beim Umgang mit rassistischen Vorfällen gerkrieges im Jahr 1994 aufzuhetzen. Nicht
in der Schule zu unterstützen. Die Europäi- zu vergessen ist auch die gewichtige Rolle des
sche Kommission gegen Rassismus und In- Internet bei der Verbreitung von Information
toleranz (ECRI) legte in einer Untersuchung und Meinungen.
dar, dass in den Mitgliedsstaaten vermehrt der
Trends, Meinungsfreiheit
Ausschluss vom Unterricht von Schülern, die
einer Minderheit angehören, beobachtet wird.
ECRI forderte die lokalen Schulbehörden auf, 3. Interkulturelle Perspektiven
sich diesen Problemen, wo immer sie existieund strittige Themen
ren, zu widmen.
Während der Vorbereitungen zur Dritten Welt- Rassismus und Rassendiskriminierung sind ein
konferenz gegen Rassismus kamen weitere weltweites Problem, das in verschiedensten Forinteressante Anregungen zur Menschenrechts- men auftritt. Obwohl Rassismus meist spontan
bildung zu Tage. So beinhalten Lehrpläne und mit der Diskriminierung durch Weiße verbunSchulbücher in Teilen Afrikas Material zur Be- den wird, gibt es keine Gesellschaft, die frei von
kämpfung von Vorurteilen. In Europa verbrei- Rassismus ist. Antisemitismus, „Rassendiskrimitet sich eine Initiative für Schulnetzwerke, die nierung“ oder eingebildete Überlegenheit finden
einen Verhaltenskodex mit der Aufnahme des sich konzentriert in den durch weiße europäPrinzips der Nicht-Diskriminierung in das Er- ischstämmige Menschen dominierten Regionen,
ziehungsleitbild der Schulen erstellen soll. In aber auch in Asien, Afrika oder Südamerika.
vielen Ländern existieren Schulaustauschpro- Die Beispiele aus dem asiatischen Raum sind
gramme, durch die SchülerInnen aus unter- vielfältig. KoreanerInnen dürfen in Japan weschiedlichen Ländern motiviert werden, ihre gen ihres koreanischen Ursprungs zum BeiKulturen vorzustellen und andere Sprachen spiel kein öffentliches Amt bekleiden. Bis vor
zu lernen. Regierungen und NGOs beziehen kurzem durfte die chinesische Minderheit
Trainingsprogramme zur kulturellen Vielfalt in Indonesien ihr traditionelles chinesisches
und Sensibilisierung in die Menschenrechts- Neujahrsfest nicht öffentlich feiern. Das hisbildung mit ein, wodurch das Verständnis torische Kastensystem Indiens diskriminiert
für den Beitrag jeder Nation und jeder Kultur nicht nur die Dalits (Menschen im hinduisgefördert wird. Es ist wichtig, die beeindru- tischen Sozialsystem ohne Zugehörigkeit zu
Rassismus ist ein vielschichtiges Phänomen
und muss daher mit einer Reihe von Maßnahmen auf allen Ebenen bekämpft werden. Dies
beinhaltet auch die systematische Umsetzung
interkultureller Werte sowie Respekt und Verständnis für ethnische und kulturelle Vielfalt
in der Erziehung Jugendlicher, da vor allem
durch Bildung von Kindern und Jugendlichen
die Prinzipien der Menschenrechte effektiv
vermittelt und in der Gesellschaft verankert
werden können.
133
134
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
einer Kaste). Es gibt Berichte über Massen- nicht die Gelegenheit bekommen, durch eine
vergewaltigungen und organisierte Massaker Streichung des Begriffes die Geschichte unter
den Teppich zu kehren.
durch die oberen Kasten.
Auch in afrikanischen Ländern gehört RassisEin anderer, auf der Konferenz ebenmus zum Alltag: Tausende AsiatInnen wurden
durch rassistische Bewegungen aus Ost- und so emotional diskutierter Aspekt war die
Zentralafrika vertrieben. Der „Trade Licensing Meinungsverschiedenheit darüber, ob man
Act of Kenya, Uganda and Zambia“ etwa behielt Antisemitismus als eine Form des Rassismus
bestimmte Wirtschaftszweige den Staatsbür- bezeichnen könne, wobei dies von der DefinigerInnen dieser drei Länder vor und erlaubte tion des Judentums als religiöse oder als ethAsiatInnen, ausschließlich Geschäfte zu füh- nische Gruppe abhängig ist. Dieses Dilemma
ren, für die sie jährlich zu erneuernde Lizenzen blieb, wie viele andere, ungelöst.
erhielten. Schließlich darf man die Diskriminierung zwischen einzelnen Völkern nicht vergessen: Angehörige von Völkern, die nicht an
Antisemitismus hat einen traurig proder Macht sind, erfahren Schikanen aufgrund
minenten Platz in der europäischen
ihrer „Rasse“, Diskriminierung und lebensbeGeschichte. Hass und immer wieder
drohende Nachteile in ihrem täglichen Leben.
auftretende gewalttätige Feindseligkeit
gegenüber Jüdinnen und Juden als reIn Europa bildet heute die Diskriminierung
ligiöse oder ethnische Minderheit exisder Roma, einer Gruppe von ca. 8 Millionen
tieren auch heute noch, nur manchmal
über den ganzen Kontinent verstreuten Menversteckt oder geschickt getarnt. Mit dem
schen, einen der gröbsten Fälle von VernachAufstieg des Faschismus zu Beginn des
lässigung und Menschenrechtsverletzungen.
20. Jahrhunderts wurde der AntisemitisObwohl sie seit Anbeginn nicht sesshaft wamus Teil dieser Ideologie. Durch den Horen, wurden sie immer wieder gezwungen,
locaust wurden sechs Millionen Jüdinnen
sich zu assimilieren. Ihre Sprache wurde in
und Juden systematisch umgebracht, nur
einigen Ländern verboten und Kinder ihren
weil sie jüdisch waren. Auch heutzutage
Eltern entzogen. Heutzutage erfährt die Gedauern die Angriffe auf jüdische Gemeinmeinschaft der Roma noch immer Diskrimiden und jüdisches Kulturgut an, und eine
nierung in vielen Aspekten des Lebens wie
große Zahl von neo-nazistischen GrupArbeit, Unterkunft, Ausbildung, Zugang zu
pen verkündet ihre antisemitische HalBehörden und Gesundheitseinrichtungen.
tung öffentlich. Leider ist Antisemitismus
Während der Dritten Weltkonferenz genicht nur in Neonazikreisen, sondern
gen Rassismus in Durban 2001 drang ein
auch in der Gesamtbevölkerung als Einweiterer interessanter Aspekt ans Licht: die
stellung tief verwurzelt. Daneben existiert
unterschiedliche Auffassung des Wortes „Raseine immer größer werdende Zahl von
sismus“ in Afrika einerseits und Europa sowie
Internetseiten und Literatur, welche NaNordamerika andererseits. Viele europäische
zipropaganda glorifiziert und damit eine
Länder wollten das Wort „Rasse“ aus dem
Besorgnis erregende, weltweite EntwickProtokoll streichen, da es wissenschaftlich
lung darstellt.
falsch ist. Die Delegationen aus Afrika und der
Seit einigen Jahren wird vermehrt AntiKaribik wiesen dies jedoch vehement zurück.
semitismus beobachtet, welcher eine beDer Westen sollte sich ihrer Ansicht nach
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
sondere Form des Rassismus ist und sich
in einer steigenden Zahl an Vorfällen
manifestiert. Dies wurde von der OSZEKonferenz über Antisemitismus und andere Formen der Intoleranz, die im Juni
2005 in Córdoba, Spanien, abgehalten
wurde, angesprochen.
Die Europäische Stelle zur Beobachtung
von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit
in Wien stellte eine Zunahme von Antisemitismus in den EU-Staaten in ihren
2004 und 2005 veröffentlichten Studien
fest. Ihre Nachfolgerin, die Europäische
Grundrechteagentur, nahm ihre Tätigkeit
2007 auf.
4. Durchsetzung und Überwachung
Die Tatsache, dass Diskriminierung eine der am
häufigsten vorkommenden Menschenrechtsverletzungen ist, zeigt, dass noch ein großes Stück
Arbeit auf diesem Gebiet zu leisten ist. Im Prinzip liegt die Durchsetzung der internationalen
Menschenrechtsinstrumente in der Verantwortung der Staaten, weshalb die entsprechenden
Instrumente zur Bekämpfung von Rassendiskriminierung von den Staaten ratifiziert und umgesetzt werden müssen.
Eine wirksame Umsetzung der internationalen
Standards kann aber nur gewährleistet werden,
wenn funktionierende Überwachungssysteme
und starke Durchsetzungsmechanismen existieren. Neben der Festlegung der Verpflichtungen
der Staaten richtete das UNO-Übereinkommen
zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung im Jahre 1969 den Ausschuss für
die Beseitigung der Rassendiskriminierung
ein, der als erste UNO-Vertragsinstitution die
Umsetzung des Übereinkommens überwachen,
vorantreiben und überprüfen sollte.
Es gibt im Wesentlichen drei Verfahrensweisen in diesem System:
• Berichtssystem: Alle Mitgliedsstaaten haben zu berichten.
• Staatenbeschwerde: Es existiert ein System
für Beschwerden von Staaten über Staaten.
• Individualbeschwerde: Einzelne oder Gruppen, welche in einem Mitgliedsstaat Opfer
von Diskriminierung geworden sind, haben
ein Petitionsrecht an den Ausschuss.
Da Rassismus und Rassendiskriminierung
in den letzten Jahrzehnten verstärkt auftreten, hat die internationale Gemeinschaft
ihre Anstrengungen zur Bekämpfung dieser Phänomene verstärkt. Die UNO-Menschenrechtskommission ernannte einen
Sonderberichterstatter über zeitgenössische
Formen des Rassismus, der Vorfälle von
Rassismus und Rassendiskriminierung untersucht. Diese Position hat zurzeit Githu
Muigai aus Kenia inne.
Alle regionalen Menschenrechtsinstrumente
(zum Beispiel die Amerikanische Menschenrechtskonvention, die Banjul-Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker, die
Europäische Menschenrechtskonvention) beinhalten Regelungen gegen Diskriminierung. Diese Regelungen sind akzessorisch, das bedeutet,
dass sie nur in Verbindung mit einem anderen
in der jeweiligen Konvention gewährleisteten
Recht beanstandet werden können. Das Zusatzprotokoll Nr. 12 zur EMRK, das seit April 2005 in
Kraft ist, beinhaltet ein allgemeines Verbot der
Diskriminierung (Art. 1) und ermöglicht somit,
Beschwerde auf Grund verschiedener Formen
von Diskriminierung einzureichen, unabhängig
von der behaupteten Verletzung anderer Rechte. Der Europarat gründete 1993 ein ExpertInnengremium, die Europäische Kommission
gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI), um
die aktuelle Situation und die Bemühungen der
Staaten gegen Diskriminierung regelmäßig zu
überwachen. Die vierte Berichtsrunde über alle
47 Mitgliedsländer ist zurzeit im Gange.
135
136
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
Ein weiteres wichtiges Instrument des MonitoQuelle: Federal Bureau of Investigation.
rings sind Ombudsstellen zur Überwachung
U.S. Department of Justice. 2006. Univon Diskriminierung und Rassismus. Diese
form Crime Reports. Hate Crime Statiswerden üblicherweise auf nationaler Ebene
tics 2005.
eingerichtet und spielen eine große Rolle bei
der Dokumentation diskriminierender Vorfälle,
der Information über nationale und internationale Regelungen und der Inanspruchnahme Die Diskrepanz zwischen dem positiven
möglicher Rechtsbehelfe.
(gesetzten) Recht und seiner Umsetzung
in der Praxis: Ratifizierte Übereinkommen,
Die internationalen Instrumente und Me- Erklärungen und Aktionspläne sind nur die
chanismen sind in den letzten Jahrzehnten ersten Schritte in Richtung einer Strategie zur
immer stärker für die Überwachung und die Bekämpfung von Rassismus und DiskriminieUmsetzung des Anti-Diskriminierungsprin- rung. Nur wenn diese in der Praxis wirksam
zips genutzt worden. Die Bedeutung von vor- umgesetzt, angewendet und auch durchgebeugenden Maßnahmen und Strategien wie setzt werden, können sie ihre volle Wirkung
Frühwarnsystemen, Dringlichkeitsverfahren, entfalten. Für eine effektive Umsetzung, die in
Besuchssystemen sowie die Bedeutung der In- der Praxis oft verschiedenen politischen Inteformation der Zivilgesellschaft und der Men- ressen im Weg steht, ist ein starker politischer
schenrechtsbildung sind hingegen lange Zeit Wille notwendig. Aus diesem Grund darf die
unterschätzt worden, wodurch eine effekti- gewichtige Rolle von NGOs und lokalen Instivere Bekämpfung der Phänomene Rassismus tutionen nicht unterschätzt werden, da diese
und Rassendiskriminierung an ihrer Wurzel weitreichende Kampagnen, Projekte und wertvolles Lobbying durchführen. Darüber hinaus
verzögert worden ist.
üben sie auch Druck auf die Regierungen aus,
damit diese ihren nationalen und internationalen Verpflichtungen nachkommen.
Im Jahr 2005 wurden in den USA dem
FBI 7.160 (insgesamt rückläufig) durch
Diskriminierung zwischen nichtstaatlichen
Vorurteile motivierte kriminelle Vorfälle
AkteurInnen: Ein anderes Problem in Bezug
gemeldet:
auf effizienten Schutz vor Diskriminierung
• 54,7% durch Rassenvorurteile motiviert
ist der Umstand, dass die Prävention von
• 17,1% durch religiöse Intoleranz
Diskriminierung im privaten Bereich immer
• 14,2% motiviert durch Vorurteile
noch eine rechtliche „Grauzone“ darstellt.
wegen sexueller Orientierung
Wie dargestellt können nur diskriminierende
• 0,7% motiviert durch Vorurteile gegenHandlungen im öffentlichen Bereich (durch
über Menschen mit Behinderungen
staatliche Behörden verursacht) und von privaten Individuen, welche in der Öffentlichkeit
Für dasselbe Jahr berichten die Behörden
handeln, im Rahmen des Menschenrechtssys4.691 rassistische Übergriffe, wobei in
tems rechtlich sanktioniert werden.
68,2% Hass auf Schwarze und in
In den Jahren 2000 bis 2003 führte die Euro19,9% Hass auf Weiße
päische Union drei Anti-Diskriminierungsden Beweggrund bildeten.
richtlinien ein, die sich auf den privaten
Bereich beziehen. Richtlinie 2000/78/EG
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
„Es ist oft einfacher, sich über
Ungerechtigkeiten auf der
anderen Seite des Erdballs
aufzuregen, als über die Unterdrückung und Diskriminierung einen halben Block von
zu Hause entfernt.“ (Übersetzung)
Carl T. Rowan
schuf einen allgemeinen Rahmen für Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf, während die Richtlinie 2000/43/EC das Prinzip
der Gleichbehandlung von Personen ungeachtet ihrer „Rasse“ oder ethnischen Herkunft statuiert. Beide Dokumente erweiterten
das Konzept der Gleichbehandlung zwischen
Männern und Frauen, um einen umfassenderen Schutz zu bieten, der auf die Bedürfnisse
der heutigen Gesellschaft ausgerichtet ist.
Die Richtlinie 2002/73/EG stellt eine Entwicklung und Anpassung des Prinzips der Gleichbehandlung zwischen Männern und Frauen
im Beschäftigungsbereich des 21. Jahrhunderts dar. Schließlich wurde mit der Richtlinie
2003/109/EG eine Grundlage für den Diskriminierungsschutz von AusländerInnen mit
aufrechtem Aufenthaltsstatus geschaffen.
Alle genannten Richtlinien mussten bis Oktober 2005 bzw. Jänner 2006 in den staatlichen
Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten
umgesetzt werden. Gegen Verletzungen der
Rechte, die durch diese Gesetze garantiert
werden, kann vor Zivilgerichten Klage erhoben werden. Dies wird als Meilenstein in der
Entwicklung der Gesetzgebung im Bereich der
Antidiskriminierung gesehen.
Was können WIR tun?
Die wahre Herausforderung ist aber nicht der
Schutz oder die Bestrafung, sondern die Verhütung von Diskriminierung, bevor sie überhaupt passiert. Deshalb müssen Einstellungen,
Überzeugungen und entsprechende Handlungen und Verhaltensweisen angesprochen
werden. Diese heikle Aufgabe kann nur durch
institutionalisierte
Menschenrechtsbildung,
Information auf lokaler Ebene und die volle
Mitarbeit der nationalen Behörden in Zusammenarbeit mit den nichtstaatlichen Akteuren
gelöst werden.
Als BeobachterIn einer rassistischen oder diskriminierenden Handlung: Die Entwicklung
von Zivilcourage, um nötigenfalls einzugreifen, ist genauso wichtig, wie die Bereitschaft,
Vorfälle bei den verantwortlichen Behörden
und Stellen zu melden, um Zugang zu nationalen und internationalen Rechtsbehelfen,
wie Ombudsstellen, Gerichten oder der CERD
zu erhalten.
Im Allgemeinen kann jede/r Einzelne herausfinden, wie lokale Institutionen zusammenarbeiten können, um positive Beziehungen
zwischen den Menschen und den Dialog über
137
138
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
die Verhütung von Rassismus und den Schutz
der Menschenrechte in seinem/ihrem Umfeld
zu fördern. Besonders hervorzuheben ist dabei
das Europäische Netzwerk gegen Rassismus
(ENAR), ein von der EU geförderter Dachverband für über 600 NGOs in ganz Europa.
Was man wissen sollte
1. Good Practices
Freiwillige Verhaltensregeln im privaten
Sektor
Viele multinationale Unternehmen (wie Nike,
Reebok, Daimler Chrysler, Volkswagen, Hennes & Mauritz) haben sich und ihren Partnern
selbstverpflichtende Verhaltensregeln auferlegt, um unter anderem Rassendiskriminierung zu vermeiden.
Anti-Diskriminierungsklauseln in öffentlichen Beschaffungsverträgen
Die schwedische Regierung schuf ein Gesetz,
das von Privatfirmen vor Abschluss von öffentlichen Verträgen ein Zertifikat fordert,
dass sie alle Anti-Diskriminierungsgesetze befolgen und Gleichbehandlung in ihrer Firmenpolitik fördern. Werden diese Verpflichtungen
nicht eingehalten, kann der Vertrag gekündigt
werden. Inzwischen haben mehrere Städte
(zum Beispiel Graz, London, Galway) dieses
Konzept ebenfalls umgesetzt.
wird von der Stadt Nürnberg koordiniert.
Weitere Informationen finden sich unter
www.unesco.org/shs/citiesagainstracism
Der Kampf gegen Rassismus
innerhalb der UEFA
Die UEFA (Union of European Football Associations) brachte einen 10-Punkte-Aktionsplan
heraus, der eine Vielzahl an Maßnahmen enthält, welche die Klubs dazu anhalten, Anti-Rassismus-Kampagnen unter den Offiziellen, den
Spielern und den Fans zu fördern. Der Plan beinhaltet Maßnahmen wie die Verhängung von
Disziplinarstrafen gegen Spieler, die sich der
rassistischen Beschimpfung strafbar machen
oder aber auch öffentliche Verurteilungen von
rassistischen Sprechchören bei Spielen. Außerdem leistet die UEFA finanzielle Unterstützung
für das „FARE – Football against Racism in Europe Network“. Dieses Netzwerk unterstützt
und koordiniert Aktionen auf der lokalen und
der nationalen Ebene zur Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im europäischen Fußball.
Internationale Städtekoalition
gegen Rassismus
Abschaffung der Apartheid
2004 rief die UNESCO eine Initiative ins Leben, Im Fall AZAPO gegen den Präsidenten der
um Rassismus auf der kommunalen Ebene zu Republik Südafrika vor der südafrikanischen
bekämpfen. In einem Zehn-Punkte-Programm Wahrheitskommission bekannte der Vizepräverpflichten sich die Mitgliedsstädte, Initiati- sident des südafrikanischen Verfassungsgeven gegen Rassismus zu fördern bzw. umzu- richts, Richter Mahomed: „Jahrzehntelang
setzen. Dieses höchst erfolgreiche Netzwerk wurde die südafrikanische Geschichte geprägt
umfasst inzwischen mehr als 70 Städte und von dem tiefen Konflikt zwischen der weißen
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
Minderheit, die sich die gesamte Kontrolle über
die politischen Instrumente vorbehalten hatte,
und der schwarzen Mehrheit, die sich dieser
Vorherrschaft zu widersetzen versuchte. Fundamentale Menschenrechte wurden Opfer dieses
Konfliktes, da der Widerstand jener, die für
ihre Auflehnung bestraft wurden, auf Gesetze
stieß, die zur Bekämpfung dieses Widerstands
entwickelt worden waren ...“. Bald nach ihrer Machtergreifung im Jahr 1948 begann die
Nationalpartei mit der Verabschiedung von
Gesetzen, um die verschiedenen „Rassen“ Südafrikas zu trennen, und führte den Begriff der
„Apartheid“ ein. In jedem Aspekt des Lebens
verlangten die Weißen bessere Behandlung.
Bald nach der Legalisierung des Afrikanischen
Nationalkongresses (ANC) und anderer Befreiungsorganisationen sowie der Freilassung
ihrer Anführer wie dem späteren Präsidenten
Südafrikas, Nelson Mandela, begann der Demokratisierungsprozess in Südafrika. Nach
mehr als drei Jahrzehnten der Unterdrückung
wurden im April 1994 die ersten demokratischen Wahlen in Südafrika abgehalten. Auch
heute sind die Auswirkungen der Diskriminierung noch klar sichtbar, und es wird einige
Zeit dauern, bis sie verschwunden sind. Der
Grundstein dafür wurde in der Verfassung und
der Bill of Rights gelegt, wo Diskriminierung
ausdrücklich verboten worden ist.
2. Trends
Die Beziehung zwischen Armut und
Rassismus/Fremdenfeindlichkeit
Eine mögliche Verbindung von Armut einerseits und Rassismus und Fremdenfeindlichkeit andererseits kann aus verschiedenen
Blickwinkeln gesehen werden. Können Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Armut verursachen? Kann Armut außerdem zu aktiven
oder passiven Formen des Rassismus oder
der Fremdenfeindlichkeit führen? Widerspruchsfreie Antworten auf diese Fragen gibt
es nicht, die Interpretationen der Ergebnisse
verschiedener Studien und Beobachtungen
variieren extrem. Eine immer größer werdende Zahl von ExpertInnen bejaht aber eine
Verbindung zwischen diesen Phänomenen.
In vielen Teilen der Welt ist Armut eine Frage der ethnischen Zugehörigkeit. Gemäß dem
US-Landwirtschaftsministerium ist die Wahrscheinlichkeit, dass afroamerikanische und
hispanische Haushalte an Hunger leiden, dreimal höher als für weiße Haushalte. MigrantInnen, die erkennbar eine Minderheit in der
Bevölkerung darstellen, sind weltweit mit Bedürftigkeit konfrontiert. Häufig ist Rassismus
die Ursache dafür, zum Beispiel durch Barrieren zur Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt.
„Rassismus erniedrigt die Gehassten und die Hassenden, da RassistInnen
durch die Verneinung der Menschlichkeit anderer ihre eigene Menschlichkeit verlieren. Wie Stammesdenken, Fundamentalismus, Menschenfeindlichkeit und alle anderen oberflächlichen Reaktionen einer Person auf
eine andere, konzentriert sich Rassismus darauf, WAS man ist und ignoriert, WER man ist. Rassismus liebt das „wir“ und hasst „die anderen“,
ohne je deren Identität zu entdecken.“ (Übersetzung)
Timothy Findley
139
140
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
Sehr umstritten sind die Theorien über die und fremdenfeindlicher Art aus dem Jahr
Existenz von rassistischen Tendenzen in den 2003 wird die Verbreitung rassistischen Geärmeren Gesellschaftsschichten. Einige Exper- dankengutes im Internet zu einer RechtsvertInnen sehen in der armen Bevölkerung einen letzung. Dieses Protokoll macht rassistische
niedrigeren Ausbildungsgrad weiter verbreitet. und fremdenfeindliche Taten durch und über
Daraus ziehen sie den Schluss, dass Armut in Computersysteme strafbar und soll als VorzeiVerbindung mit niedriger Ausbildung zu einer gemodell dienen.
höheren Wahrscheinlichkeit von rassistischen
Einstellungen führt, obwohl Rassismus auch Islamfeindlichkeit:
in den „oberen Klassen“ existiert. Dieser Ras- Die Nachwehen des 11. September 2001
sismus kann seine Ursache in Konkurrenz- In der auf den 11. September 2001 folgenden
angst um Arbeitsplätze, Wohnraum und so Woche gab es auf dem Staatsgebiet der USA
540 gemeldete Angriffe auf AmerikanerInnen
weiter haben.
arabischer Herkunft und zumindest 200 auf
Sikhs indischer Abstammung, verglichen mit
Rassismus im Internet
Das Internet ist zum Forum für knapp 1,5 Mil- 600 Attacken auf AmerikanerInnen arabischer
liarden BenutzerInnen auf der ganzen Welt Herkunft im gesamten Jahr 2000.
geworden (Stand: Juli 2008) und bildet für Quelle: Amnesty International, 2001. Crisis
alle AkteurInnen der Gesellschaft ein wich- Response Guide.
tiges Medium. Das Informations- und UnterReligionsfreiheit
haltungspotential des Internet darf aber die
dunklen Seiten des Netzes nicht verdecken. Die Zahlen aus Europa sind ähnlich. Der folRassistische, gewalttätige und extremistische gende Ausschnitt aus einem Artikel der New
Gruppen lernten schnell und zogen rasch Vor- York Times kann als personalisiertes Beispiel
teile aus der verstärkten Vernetzung. Rassis- und Anfangspunkt einer Diskussion gesehen
mus im Internet stellt ein stetig wachsendes werden:
Problem dar. Der Jahresbericht des European „(...) Seema ist 18 und kommt frisch von der
Monitoring Centre on Racism and Xenopho- High School. Geboren in Bangladesch, verbia (EUMC) aus dem Jahr 1999 hebt hervor, brachte sie fast ihr halbes Leben in Woodsidass 1995 eine einzige Homepage existierte, de, Queens. Sie ist klein, ernst und als ältestes
auf der zu Rassenhass aufgestachelt wurde. dreier Kinder einer Einwandererfamilie nach
Im November 1997 zählte man bereits 600 ihrer eigenen Definition pessimistisch. Bei
Homepages, im Jänner 1999 1.429 bekannte jeder Bewegung, die sie macht, denkt sie an
Homepages und 2001 schon 4.000. Die Dun- die möglichen Konsequenzen für ihre Familie
kelziffer ist beträchtlich höher, aktuelle Zah- (...). Seemas Englisch ist aus Queens, aber ein
len sind kaum mehr zu ermitteln.
Hauch von Bengali ist zu hören. Sie ist Staatsbürgerin der USA. Aber um die Wahrheit zu
Die Bekämpfung des Online-Extremismus sagen, sieht sie sich selbst nicht als Amerikabirgt große technische und rechtliche nerin. „Zuerst bin ich Bengali“, sagt sie, um
Schwierigkeiten in sich. Durch das Zusatz- dann ihre Verwirrung kund zu tun, was denn
protokoll zum Übereinkommen über Com- nun einen Amerikaner ausmache. Fragen
puterkriminalität des Europarates betreffend darüber, was einen Amerikaner ausmacht,
die Kriminalisierung mittels Computersyste- schwebten schon immer über Mädchen wie
men begangener Handlungen rassistischer ihr. Der 11. September 2001 und seine Nach-
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
wirkungen brachten aber einschneidende Veränderungen. Wochen nach der Attacke gingen
muslimische Mädchen ohne Kopftuch in die
Öffentlichkeit. (Seema ist Muslimin, trägt aber
kein Kopftuch.) Die jungen Männer rasierten
ihre Bärte. Andere wurden zusammengeschlagen, da sie einen Turban trugen; sie waren
aber gar keine Muslime. Ihr Vater, ein Restaurantangestellter, fürchtete, seinen Job zu verlieren. Ihre Mutter traute sich nicht, in ihren
locker sitzenden Salwar Kameez von der UBahn heimzugehen. Am schlimmsten konnte
es aber in der Schule sein. Einmal bejubelte
ein Lehrer die Bombardements in Afghanistan,
und Seema zeigte auf, um etwas zum Schicksal
der Zivilbevölkerung in Afghanistan zu sagen
Ihre KlassenkameradInnen lachten sie aus. Ein
anderer Lehrer sagte etwas darüber, wie John
Walker Lindh, der Taliban-Sympathisant aus
Kalifornien, dem Bann des Islam verfallen war.
Seema erschauerte. ‘Der Islam ist keine Hexe
oder gar ein Zauberspruch’, sagte sie ...“
Quelle: Somini Sengupta, New York Times,
7. Juli 2002. Bearing the weight of the world,
but on such narrow shoulders. (Auszug)
Diskussionsfragen
• Welche Rechte wurden in dieser Geschichte verletzt?
• Was könnten die Opfer tun, um zu ihren Rechten zu kommen?
• Welche Fragen haben Sie sich nach
dem 11. September 2001 gestellt?
• Glauben Sie, dass die Ereignisse des
11. September 2001 einen Einschnitt in
bestehende Rechte erlauben?
• Wer entscheidet, wem welche Rechte
zustehen?
3. Zeittafel
1945 Charta der Vereinten Nationen,
Art. 1 Abs. 3
1948 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 1 und 2
1960 UNESCO-Erklärung gegen Diskriminierung in der Bildung
1965 Übereinkommen zur Beseitigung
aller Formen der Rassendiskriminierung (ICERD)
1973 Internationales Übereinkommen
über die Bekämpfung und Bestrafung des Verbrechens „Apartheid“,
Art. 1 Abs. 1
1978 UNESCO-Erklärung zu „Rasse“
und Rassenvorurteilen
1978 Erste Genfer Weltkonferenz zur
Bekämpfung von Rassismus und
rassistischer Diskriminierung
1983 Zweite Genfer Weltkonferenz zur
Bekämpfung von Rassismus und
rassistischer Diskriminierung
1998 Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit (EUMC)
2001 Dritte Weltkonferenz gegen Rassismus und rassistische Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit
und verwandte Formen der Intoleranz in Durban (Deklaration und
Aktionsprogramm)
2000-2005 Gem. Art. 13 des Amsterdamer Vertrags der EU treten in allen
Mitgliedsländern der EU Anti-Diskriminierungsgesetze in Kraft
2004 Europäisches Städtekoalition gegen Rassismus (ECCaR)
2005 Zusatzprotokoll Nr. 12 zur EMRK
über ein allgemeines Diskriminierungsgebot tritt in Kraft.
2007 Grundrechteagentur der Europäischen Union (FRA)
1 41
142
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
AUSGEWÄHLTE ÜBUNGEN
Übung I: Alle Menschen sind
gleich an Rechten geboren
Teil I: Einleitung
Über Diskriminierung zu sprechen kann Menschen über Ursprünge und Mechanismen aufklären, diese aber niemals so eindrucksvoll
und nachdrücklich vor Augen führen wie das
Gefühl, selbst ein Opfer von Diskriminierung
zu sein. Deshalb ermöglicht es diese Übung
den Teilnehmenden, Diskriminierung zu erkennen und gleichzeitig am eigenen Leib zu
erleben.
Teil II: Allgemeine Information
Art der Übung: Selbstreflexion
Ziele: Die TeilnehmerInnen bekommen die
Möglichkeit, Diskriminierung als Gefühl und
als Wissen zu erfahren.
Zielgruppe: Jugendliche und Erwachsene
Gruppengröße: 15-20 max.
Zeit: 45 Minuten
Fertigkeiten: Ehrlichkeit
Teil III: Spezifische Information
Beschreibung der Übung/Anleitung: Die TeilnehmerInnen stellen sich entlang einer Grundlinie auf, um zu verdeutlichen, dass ein/e
JedeR von ihnen gleich an Rechten geboren
wurde. Sowohl nach vorne als auch nach hinten sollte genügend Platz vorhanden sein. Nun
liest die/der TrainerIn langsam eine Liste mit
Aussagen zu verschiedenen Diskriminierungsgründen vor. Diejenigen TeilnehmerInnen, die
glauben, eine bestimmte Aussage treffe auf
sie zu, gehen entsprechend den Anweisungen der/des Trainerin/Trainers einen Schritt
nach vorne oder zurück. Am Ende der Liste
wird sich die Gruppe bereits weit auseinander
gezogen haben, und die/der TrainerIn sollte
die TeilnehmerInnen bitten, eine kurze Weile innezuhalten, damit jedeR seine Position
überblicken kann, ehe sich die Gruppe wieder
zusammenfindet.
Feedback: Die TeilnehmerInnen sammeln sich
im Sesselkreis und resümieren ihre Gefühle
und Gedanken während der Übung.
Praktische Hinweise: Diese Übung erfordert
ein hohes Maß an Vertrauen innerhalb der
Gruppe, weil die TeilnehmerInnen sich auch
zu einer Anzahl persönlicher und intimer Fragen vor den Augen der anderen positionieren
müssen, wenn die Übung erfolgreich sein soll.
Daher ist es unabdingbar, dass die/der TrainerIn darauf achtet, zuvor ein gewisses Vertrauensverhältnis innerhalb der Gruppe zu
schaffen, so fern dies nicht von vorne herein
besteht.
Fragenkatalog:
(+ ein Schritt vorwärts, - ein Schritt rückwärts)
„Rasse“/(ethnische) Herkunft:
+Wessen Muttersprache deutsch ist
- Wessen Familie ihr Heimatland verlassen
und flüchten musste
- Wer einer ethnischen Gruppe angehört, die
in Österreich eine Minderheit darstellt
+Wer sich auf ausreichende finanzielle Absicherung durch die Familie verlassen kann
+Wer Matura hat
+Wer eine Universitäts- oder Hochschulausbildung hat
- Wer einmal oder öfter eine Klasse wiederholen musste
+Wer aus einer Familie kommt, in der es viele Bücher gab
+Wer mindestens zwei der folgenden Sprachen gelernt hat: Englisch, Latein, Fran-
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
zösisch, Italienisch, Spanisch, Russisch, fahrungen beurteilt. Solch stillschweigende
Annahmen führen jedoch schnell zu einer
Portugiesisch
- Wer auf ein Stipendium, Sozialhilfe oder vorschnellen Interpretation des Fremden und
damit zur Entstehung von Vorurteilen. Die folArbeitslosengeld angewiesen ist oder war
gende Übung soll den TeilnehmerInnen dabei
- Wessen Eltern Arbeiter sind oder waren
helfen, solche Mechanismen zu durchschauGeschlecht:
en und vorgefasste Meinungen und Stereoty+Wer ein Mann
pe zu überdenken.
- Wer eine Frau ist
- Wer selbst Kinder hat
Teil II: Allgemeine Information
Art der Übung: Rollenspiel
Religion:
Ziele: eigene Vorurteile erkennen, vorgefasste
+Wer römisch-katholisch oder evangelisch
Meinungen überdenken
ist
- Wer einer nichtchristlichen Religionsge- Zielgruppe: Jugendliche, Erwachsene
Gruppengröße: bis max. 20
meinschaft angehört
Zeit: 90 Minuten
- Wer ohne Bekenntnis ist
Materialien: Schale mit Erdnüssen
Vorbereitung: Handout mit Beschreibung der
Behinderung, Krankheit, Gewalt:
- Wer selbst oder in der Familie ein Alkohol- Kultur auf der Insel Albatros
Fertigkeiten: Offenheit für andere Kulturen
oder Drogenproblem hat oder hatte
- Wer dauerhafte körperliche Schäden oder
Teil III: Spezifische Information
Behinderungen hat oder hatte
- Wer Voll- oder Halbwaise ist oder adoptiert Beschreibung der Übung/Anleitung: Die Teilwurde
nehmerInnen sind zu Besuch auf die Insel
- Wer Gewalt in der Familie erlebt hat
Albatros geladen. Da sie die Sprache der In- Wer längere Zeit in Heimen verbracht hat
selbewohnerInnen nicht verstehen, sind sie
- Wer straffällig geworden ist
darauf angewiesen, ihre Rückschlüsse auf deren Kultur lediglich aus den Handlungsweisen
Alter:
und Ritualen zu ziehen.
+Wer jünger ist als 45 Jahre
Eine Teilnehmerin und ein Teilnehmer erklären
- Wer älter ist als 45 Jahre
sich bereit, zwei InselbewohnerInnen darzu- Wer eine/n Angehörige/n bei sich Zuhause stellen. Nach einer kurzen Vorbereitungszeit,
pflegt
in der sie sich getrennt vom Rest der Gruppe
mit der Kultur auf Albatros vertraut gemacht
Sexuelle Orientierung:
haben, kommen sie wieder in den Raum hin- Wer homo-, bi- oder transsexuell ist
ein und spielen drei kleine Szenen vor:
+Wer in einer heterosexuellen Partnerschaft Begrüßung: Die beiden InselbewohnerInnen
lebt
gehen langsam durch den Sesselkreis von
einer/m zur/m anderen/m und achten daÜbung II: Die kulturelle Brille
rauf, dass niemand die Beine übereinander
geschlagen hat, sondern dass alle mit beiden
Teil I: Einleitung
Füßen auf dem Boden stehen. Dabei geht die
Verhaltensweisen und Rituale in anderen Frau stets hinter dem Mann, wobei der InselKulturen werden meist aufgrund eigener Er- bewohner allerdings lediglich andere Männer
143
144
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
berührt, die Inselbewohnerin hingegen Männer und Frauen.
Essen: Die InselbewohnerInnen lassen sich
zum Essen nieder, der Mann auf einem Stuhl,
die Frau kniet sich neben ihn auf den Boden.
Sie reicht ihm eine Schale mit Erdnüssen und
isst selbst erst, nachdem er gegessen hat.
Energieaufnahme: Der Mann legt der Frau die
Hand in den Nacken, während sie sich nach
vorne beugt und dreimal mit der Stirn den Boden berührt.
Anschließend nehmen auch die beiden InselbewohnerInnen wieder im Sesselkreis Platz.
Feedback:
Welche Empfindungen und Annahmen über
die Kultur und das Geschlechterverhältnis auf
Albatros sind den TeilnehmerInnen während
der drei kurzen Szenen gekommen?
Anschließend wird der Text „Die Kultur auf
Albatros“ vorgelesen und danach noch einmal
darüber gesprochen, welche Verhaltensweisen
der InselbewohnerInnen die BeobachterInnen
zu ihren (falschen) Annahmen verleitet hatten und weshalb.
Follow-up:
Anschließend an die Übung und das Feedback
können die TeilnehmerInnen überlegen, welche ähnlichen Situationen sie in ihrem Alltag
bereits erlebt haben und wann sie aufgrund
ihrer eigenen kulturellen Brille andere Kulturen oder Verhaltensweisen falsch beurteilt
haben.
Verwandte Rechte und Themen:
Religionsfreiheit, Minderheitenrechte
Handout: Die Kultur auf Albatros
Die Menschen auf Albatros sind ein äußerst friedliches und freundliches Volk.
Besonders verehrt wird bei ihnen die
Erdgöttin, zu der sie Kontakt halten, indem sie möglichst immer beide Füße
auf den Boden stellen oder sogar auf der
Erde sitzen. Daher sind auch Erdnüsse
eine heilige Speise auf Albatros.
Frauen genießen ein hohes Ansehen auf
der Insel, weil sie ebenso wie die Erdgöttin Leben hervorbringen. Sie haben
daher besondere Privilegien: Sie dürfen
direkt auf der Erde sitzen, wogegen die
Männer auf Stühlen Platz nehmen müssen. Um die Frauen zu schützen, müssen
die Männer stets vor ihnen hergehen und
aus demselben Grund auch jegliches Essen vorkosten. Männer dürfen lediglich
über Frauen Kontakt mit der Erdgöttin
aufnehmen, indem sie einer Frau, die ein
Ritual vollzieht, die Hand in den Nacken
legen. Damit fließt ein Teil der aufgenommenen Energie auf sie über. Abgesehen
davon dürfen Männer keine Frauen ohne
deren vorherige Erlaubnis berühren.
Übung adaptiert aus: Susanne Ulrich. 2001.
Achtung (+) Toleranz, Wege demokratischer
Konfliktregelung. Praxishandbuch für die politische Bildung. München: Bertelsmann.
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
BIBLIOGRAPHIE
Addy, David Nii. 2005. Rassistische Diskriminierung.
Internationale Verpflichtungen und nationale Herausforderungen für die Menschenrechtsarbeit in Deutschland. Berlin: Deutsches Institut für Menschenrechte.
Allport, Gordon. [1954] 1971. Die Natur des Vorurteils. Köln: Kiepenheuer & Witsch.
Burgmer, Christoph (Hg.). 1999. Rassismus in der
Diskussion. Berlin: Elefanten Press Berlin.
Capitanchik, David und Michael Whine. 1996. The
Governance of Cyberspace: Racism on the Internet.
http://www.media-awareness.ca/english/resources/
articles/online_hate/governance_cyberspace.cfm
Constitutional Court of South Africa. 1996. Case
AZAPO v. President of the Republic of South Africa.
http://www.constitutionalcourt.org.za/Archimages/2529.PDF
Danckwortt, Barbara, Thorsten Querg und Claudia
Schöningh (Hg.). 1995. Historische Rassismusforschung. Ideologien – Täter - Opfer. Hamburg: Argument Verlag.
Europäische Kommission (Hg.). 1998. Ich, Rassist?
Luxemburg: Europäische Gemeinschaften.
Europäische Kommission (Hg.). 2004. Die Situation
der Roma in der erweiterten Europäischen Union. Luxemburg: Europäische Gemeinschaften.
Europäische Kommission (Hg.). 2005. Das Diskriminierungsverbot nach dem Europäischen Menschenrechtsgesetz. Luxemburg: Europäische Gemeinschaften.
Europäische Kommission (Hg.). 2007. Chancengleichheit verwirklichen. Welche Rolle soll positiven
Maßnahmen zukommen? Luxemburg: Europäische
Gemeinschaften.
Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus
und Fremdenfeindlichkeit (EUMC). 2001-2007. Vielfalt und Gleichheit für Europa, EUMC Jahresberichte
seit 2000. Wien: EUMC.
Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus
und Fremdenfeindlichkeit (EUMC). 2005. Rassistisch
motivierte Gewalt in 15 EU-Mitgliedstaaten. Ein vergleichender Überblick über die Ergebnisse der Berichte
der nationalen Anlaufstellen des Raxen-Netzes für die
Jahre 2001–2004. Zusammenfassender Bericht. Wien:
EUMC.
Europäische Stelle zur Beobachtung von Rassismus
und Fremdenfeindlichkeit (EUMC). 2006. Auswirkungen der Bombenanschläge vom 7. Juli 2005 in London auf moslemische Gemeinschaften in der EU. Wien:
EUMC.
Europarat. 2005. KOMPASS, Handbuch zur Menschenrechtsbildung für schulische und außerschulische
Bildungsarbeit. Bonn: bpb, Deutsches Institut für Menschenrechte, Europarat.
European Commission against Racism and Intolerance (ECRI). 2006. ECRI General Policy Recommendation
No. 10 on Combating Racism and Racial Discrimination in and through School Education. Straßburg: Europarat.
European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia (EUMC). 2003 und 2004. Migrants, Minorities
and Employment: Exclusion, Discrimination and AntiDiscrimination in 15 Member States of the European
Union. Wien: EUMC.
European Network Against Racism (ENAR). 2003.
Europäische Strategien zur Bekämpfung von Rassismus
und Fremdenfeindlichkeit als Straftat. Brüssel: European Network Against Racism.
European Roma Rights Centre (ERRC), International Centre for Legal Protection of Human Rights
(INTERIGHTS) und Migration Policy Group (MPG)
(eds.). 2004. Strategic Litigation for Race Discrimination in Europe: From Principles to Practice. London:
ERRC, INTERIGHTS and MPG.
European Training and Research Centre for Human
Rights and Democracy (ETC). 2005. European Coalition of Cities against Racism. Study on Measures Taken by
the Municipalities and Recommendations for Further Action to Achieve Greater Vigilance against Racism: Commitment 1 of the Ten-Point Plan of Action. Graz: ETC.
145
146
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
Flatz, Christian, Sylvia Riedmann und Michael
Kröll. 1998. Rassismus im virtuellen Raum. Hamburg:
Argument Sonderband 259.
Forum Politische Bildung (Hg.). 2001. Dazugehören?
Fremdenfeindlichkeit Migration Integration. Innsbruck/
Wien: Studien Verlag.
Fredman, Sandra. 2005. Discrimination and Human
Rights. The Case of Racism. New York: Oxford University Press.
Geiss, Imanuel. 1988. Geschichte des Rassismus.
Frankfurt: Suhrkamp.
Jackson, Andrew. 2001. Poverty and Racism. Article
based on a presentation made to the Canadian Human Rights Commission’s Forum on Racism, 21 March.
http://www.ccsd.ca/perception/244/racism.htm
Jaichand, Vinodh, Anke Sembacher und Klaus
Starl. 2006. Anti-Discrimination for the Judiciary.
Wien/Graz: NWV.
Jusuf, Ester I. 2000. About Racism. Quoted in Jennie S. Bev. 2000. Human Rights Law and Issues.
http://www.suite101.com/article.cfm/human_rights/
43265
Kitching, Kevin (Hg.). 2005. Non-Discrimination in
International Law. A Handbook for Practitioners. London: Interights.
Klein, Eckert (Hg.). 2002. Rassische Diskriminierung
– Erscheinungsformen und Bekämpfungsmöglichkeiten. Berlin: Berlin Verlag.
Klein, Uta. 2006. Gleichstellung in der EU. Schwalbach: Wochenschau Verlag.
Kok, Anton. 2002. Human Rights Centre of University
of Pretoria, November 2002.Beitrag zum Modul über
„Apartheid in Südafrika“.
Kongidou, Dimitri, Evangelia Tressou-Mylona und
Georgios Tsiakalos. 1994. Rassismus und Soziale Ausgrenzung unter Bedingungen von Armut. Hrsg. von
Siegfried Jäger. Aus der Werkstatt: Antirassistische Praxen. Konzepte - Erfahrungen - Forschung. Duisburg:
DISS.
Lodenius, Anna-Lea für Save the Children Sweden.
2000. How to Fight Racism on the Internet. http://www.
rb.se/pdf/HowToFightRacismOnTheInternet.PDF
Markom, Christa und Heidi Weinhäupl. 2007. Die
Anderen im Schulbuch – Rassismen, Exotismen, Sexismen und Antisemitismus in österreichischen Schulbüchern. Wien: Braumüller Verlag.
Marschik, Nikolaus. 1999. Die UN-Rassendiskriminierungskonvention im Österreichischen Recht. Wien:
Verlag Österreich.
Niessen, Jan und Fiona Palmer. 2005. Entwicklung
des Antidiskriminierungsrechts in Europa. Ein Vergleich in den 25 EU-Mitgliedstaaten. Brüssel, Utrecht:
Europäisches Netz unabhängiger Sachverständiger im
Bereich der Nichtdiskriminierung.
Nowak Manfred. 2002. Einführung in das Internationale Menschenrechtssystem. Wien: NWV.
Rainer, Barbara und Elisabeth Reif. 2001. Du
Schwarz?! Ich weiß! Modulsystem zur Prävention von
Fremdenfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft bei 11- bis
14-Jährigen. Wien: Gesellschaft für bedrohte Völker.
Räthzel, Nora. 2000. Theorien über Rassismus. Hamburg: Argument Verlag.
Reardon, Betty A. 1997. Tolerance – The Threshold of
peace. vol.1. Paris: UNESCO Publishing.
Rudolf, Beate und Matthias Mahlmann (Hg.). 2007.
Gleichbehandlungsrecht. Baden-Baden: Nomos Verlag.
Servicestelle Menschenrechtsbildung (Hg.). 2005.
Diskriminieren verboten. Wien: Servicestelle Menschenrechtsbildung.
Schiek Dagmar, Lisa Waddington und Mark Bell
(Hg.). 2007. Cases, Materials and Text on National,
Supranational and International Non-Discrimination
Law. Oxford: Hart Publishing.
UNESCO und Office of the High Commissioner for
Human Rights. 2001. United to Combat Racism, Selected Articles and Standard-setting Instruments. Paris:
UNESCO Publishing.
Volf, Patrik und Rainer Bauböck (Hg.). 2001. Trennlinien - Wege zur Integration. Was man gegen Diskriminierung und Fremdenfeindlichkeit tun kann.
Klagenfurt: Drava Verlag.
Wolf, Andrea. 1997. Neue Grenzen – Rassismus am
Ende des 20. Jahrhunderts. Wien: Sonderzahl Verlagsgesellschaft.
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
ZUSÄTZLICHE INFORMATIONEN
Anti Defamation League:
http://www.adl.org
Anti Racism Network:
http://www.antiracismnet.org
Anti-Rassismus-Informationszentrum:
http://www.aric.de
Commission for Racial Equality:
http://www.cre.gov.uk
Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination:
http://www.unhchr.ch/html/menu3/b/d_icerd.htm
Committee on the Elimination of Racial Discrimination:
http://193.194.138.190/html/menu2/6/cerd.htm
ECRI – European Commission against Racism and
Intolerance:
http://www.coe.int/t/E/human_rights/ecri
ENAR – European Network against Racism:
http://www.enar-eu.org/de
European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia: seit 1.1.2007: Fundamental Rights Agency
Vienna:
http://eumc.europa.eu/fra
European Network of Independent Legal Experts in
the Non-Discrimination Field:
http://www.migpolgroup.com/topics/2077.html
European Roma Rights Centre:
http://www.errc.org
Football Against Racism in Europe:
http://www.vidc.org/fairplay/news/fairplay.htm
Für eine Welt ohne Rassismus:
http://www.no-racism.net
International Movement Against All Forms of Discrimination and Racism:
http://www.imadr.org
Menschenrechtsbüro der Stadt Nürnberg, Sekretariat der Städtekoalition gegen Rassismus:
http://www.menschenrechte.nuernberg.de
Netzwerk gegen Rassismus:
http://www.rassismus.at
South African Human Rights Commission:
http://www.sahrc.org.za
The Asia Foundation:
http://www.asiafoundation.org
Third World Network:
http://www.twnside.org.sg
United Nations High Commissioner for Human
Rights:
http://www.unhchr.ch
UNESCO-Städtekoalition gegen Rassismus:
www.unesco.org/shs/citiesagainstracism
United Nations World Conference against Racism,
Racial Discrimination, Xenophobia and Related Intolerance:
http://www.unhchr.ch/html/racism
Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit (ZARA).
Einzelfall-Berichte über rassistische Übergriffe und
Strukturen in Österreich (Jahresberichte):
http://www.zara.or.at/materialien/rassismus-report
147
148
N OT I Z E N
N I C H T- D I S K R I M I N I E RU N G
RECHT AUF
GESUNDHEIT
SOZIALE IMPLIKATIONEN
WISSENSCHAFTLICHER FORTSCHRITT
VERFÜGBARKEIT UND QUALITÄT
„Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard, der seine und seiner
Familie Gesundheit und Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung,
Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und notwendige soziale
Leistungen.“
Art. 25, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. 1948.
149
150
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
GESCHICHTE ZUR ILLUSTRATION
Maryam ist 36 Jahre alt und Mutter von sechs die Krankenschwester Maryams lokale Sprache
Kindern. Sie wuchs in einem Dorf weit weg zu verstehen schien, sprach sie lieber in der dovon urbanen Zentren auf. Sie beendete die minanten Sprache der Hauptstadt und der geSchule nach der zweiten Klasse. Ihre Eltern wa- bildeten Schicht. Die Krankenschwester flößte
ren arm, und der Schulweg bedeutete vier Kilo- Maryam Angst ein.
meter Fußmarsch. Ihr Vater war der Meinung,
dass Schulbildung für ein Mädchen Zeit- und Ihr Leben war eine lange Geschichte der Gewalt,
Energieverschwendung sei, weil Mädchen für Armut und Not. Maryam hatte Mühe, während
die Ehe bestimmt sind und nicht dazu, selbst ihrer vielen Schwangerschaften und der Erzieihren Lebensunterhalt zu verdienen.
hung ihrer Kinder Körper und Seele zusammen
zu halten. Sie bebaute eine kleine Parzelle Land,
Mit zwölf wurde Maryam nach den lokalen Tra- um ihre Kinder zu ernähren, denn ihr Mann
ditionen beschnitten. Als sie 16 wurde, verhei- gab ihr nie genug Geld. Sie bat ihre Eltern und
ratete man sie mit einem Mann Anfang 50. Ihr sogar die vorbeikommenden Missionare um
Vater verdiente eine beträchtliche Summe mit Hilfe. Doch alle rieten ihr, ihrem Ehemann zu
der Mitgift, die ihm der Bräutigam zahlte. Im gehorchen und erinnerten sie daran, dass ihr
darauf folgenden Jahr brachte sie einen Sohn Platz bei ihm und der Familie war.
zur Welt. Das Baby wurde tot geboren. Das örtliche Krankenhaus war zehn Kilometer entfernt Eines Tages beschuldigte sie ihr Ehemann, dass
und hatte keine Gebärstation. Maryam glaub- sie ihn mit einem anderem Mann betrogen
te, dass die vielen Prügel, die sie während der habe. Er warf ihr vor, dass er sie am Markttag
Schwangerschaft von ihrem Ehemann bekam, gesehen habe, wie sie mit einem Dorfbewohner
zur Totgeburt ihres Babys führten. Dennoch ga- lachte und sich unterhielt. Als sie schnippisch
ben ihre Eltern und viele Dorfbewohner ihr die antwortete, schlug er sie wiederholt, warf sie
Schuld an der Totgeburt.
zu Boden, nannte sie eine Hure und schwor,
seine verletzte Ehre zu rächen. Maryam war
Maryam hatte kein Verlangen nach Sex mit schwer verletzt, sie dachte, sie hätte gebrocheihrem Ehemann. Sie hatte Angst vor ihm und ne Rippen. Wochenlang konnte sie das Haus
Angst vor weiteren Schwangerschaften. Ihr Ehe- nicht verlassen. Sie hatte weder Geld noch die
mann hielt jedoch den ehelichen Geschlechtsver- Möglichkeit, das Gesundheitszentrum aufzukehr für sein Recht und zwang sie regelmäßig suchen. Niemand im Dorf half ihr, obwohl
dazu. Maryam wollte nicht wieder schwanger einige dachten, dass ihr Ehemann zu weit
werden, aber sie hatte kaum eine Wahl. Sie gegangen war. Eine Frau ist schließlich Sache
suchte den örtlichen Kräuterdoktor auf, nahm ihres Ehemanns. Da sie nicht in der Lage war,
Kräutermischungen ein und trug Amulette – zum Markt zu gehen oder sich um den Garten
ohne jeglichen Erfolg. Sie hatte selten Zeit, ein zu kümmern, verhungerten sie und ihre KinKrankenhaus aufzusuchen, und wenn sie dort der beinahe.
war, weil ihre Kinder krank waren, konnte sie
sich nicht dazu überwinden, mit der Kranken- Maryam spürte, dass es auch in der Zukunft
schwester über Verhütung zu sprechen. Obwohl Gewalt geben würde. Sie fürchtete um ihr Le-
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
ben und um das ihrer Kinder. Im Traum sah 2.Wie wurde sie von den Verantwortlichen
sie ihren eigenen Tod und wusste, dass sie gebehandelt (Vater, Ehemann, Krankenhen musste. Sobald sie wieder gehen konnte,
schwester und Missionar)? Warum?
nahm sie ihre beiden Jüngsten und verließ das 3.Welche Auswirkungen hatte die Armut auf
Dorf. Sie lebt heute in einem anderen Dorf, als
Maryams Leben und das ihrer Kinder? DenFlüchtling in ihrem eigenen Land, in der Angst,
ken Sie, dass Maryam und ihr Ehemann
von ihrem Mann gefunden und nach Hause
gleich arm waren?
gebracht zu werden.
4.Wie würden Sie die verschiedenen Gruppen
(Männer, Frauen, Kinder) in Maryams Umgebung nach ihrem Status und ihrer Macht
Quelle: adaptiert aus Weltgesundheitsorgain der Gemeinschaft reihen?
nisation. 2001. Transforming Health Systems:
5.Welche Informationen würde Maryam beGender and Rights in Reproductive Health.
nötigen, um ihre Lebensumstände und die
ihrer Kinder zu ändern?
Diskussionsfragen
Die Satzung der Weltgesundheitsorganisati- 6.Wie hilfreich war das Gesundheitszentrum
in ihrer Region für Maryam?
on (WHO) von 1946 definiert Gesundheit als
„ Zustand des vollständigen körperlichen, geis- 7. Betrachten Sie die untenstehende Abbildung: Dort sind Beispiele für die Verbindung
tigen und sozialen Wohlbefindens und nicht
von Gesundheit und Menschenrechten genur die Abwesenheit von Krankheit oder Gegeben. Welche Verbindungen beziehen sich
brechen“. Diskutieren Sie, auf der Basis dieser
direkt auf die Themen, die in Maryams GeDefinition, die folgenden Fragen:
schichte angesprochen werden?
1. Wann haben Maryams Probleme begonnen?
Beispiele für die Beziehungen zwischen Gesundheit und Menschenrechten
Folter
Sklaverei
Gewalt gegen Frauen
und Kinder
Schädliche traditionelle
Praktiken
Menschenrechtsverletzungen,
die Gesundheitsgefährdungen
zur Folge haben
Recht auf Partizipation
Recht auf Gesundheit
Gesundheit
und
Menschenrechte
Recht auf Bildung
Recht auf Nahrung
Freiheit von
Diskriminierung
Verringerung der Gefahr
von Gesundheitsgefährdungen durch
Menschenrechte
Zugang zu adäquater
Gesundheitsversorgung
Förderung oder
Verletzung von
Menschenrechten durch
Entwicklungen im
Gesundheitsbereich
Recht auf Information
Recht auf
Privatsphäre
1 51
152
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
WAS MAN WISSEN MUSS
„Als Lebewesen wünschen wir uns alle,
Glück zu finden und Leid zu vermeiden.
Unser Verlangen nach Gesundheit, nach
vollständigem körperlichem und geistigem Wohlbefinden ist Ausdruck dessen,
denn jeder Mensch möchte gesund, niemand krank sein. Infolgedessen ist Gesundheit nicht eine Angelegenheit von
rein persönlichem Interesse, sondern ein
universelles Anliegen, für das wir alle
Verantwortung tragen.“ (Übersetzung)
Dalai Lama.
1. Das Recht auf Gesundheit in
einem weiteren Kontext
Liebe und Zugehörigkeit zu Freunden, Familie
und Gemeinschaft.
Menschenrechte befassen sich mit der Verpflichtung von Staaten, zur Erfüllung dieser
Bedürfnisse beizutragen und Gruppen wie einzelnen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hielt
die Charta der Vereinten Nationen fest, dass
die Mitgliedsstaaten Verpflichtungen in Bezug
auf die Menschenrechte haben. Das Menschenrecht auf Gesundheit wurde 1948 in der
Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
(AEMR) festgeschrieben, die in Art. 25 festlegt:
„Jeder hat das Recht auf einen Lebensstandard,
der seine und seiner Familie Gesundheit und
Wohl gewährleistet, einschließlich Nahrung,
Kleidung, Wohnung, ärztliche Versorgung und
notwendige soziale Leistungen.“
Eine weit gefasste und visionäre Definition
von Gesundheit findet sich in der Präambel
zur Satzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO): „ein Zustand des vollständigen
körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von
Krankheit oder Gebrechen“. Diese ganzheitliche Sicht von Gesundheit unterstreicht die
Tatsache, dass ein Gutteil jener Politik, welche die Gesundheit bestimmt, außerhalb des
konventionellen Gesundheitssektors gemacht
wird und auf die sozialen Determinanten von
Gesundheit einwirkt.
Das Menschenrecht auf Gesundheit präsentiert
sich als ein umfassender Komplex miteinander vernetzter Themen, weil Gesundheit und
Wohlbefinden untrennbar mit allen Bereichen
und Aspekten des Lebens verbunden sind.
Spezielle gesundheitsbezogene Rechte finden
sich in den internationalen Menschenrechtsdokumenten. Grundsätzlich beziehen sich
alle Menschenrechte aufeinander und hängen
voneinander ab, was zur Folge hat, dass ihre
Verwirklichung ebenso wie ihre Vernachlässigung oder Verstöße gegen Menschenrechte
kaum jemals ein einzelnes, isoliertes Recht
betreffen, sondern vielmehr immer eine Anzahl von Rechten. Diese Vernetzung wird Die WHO beschäftigt sich heute zunehmend
dann augenscheinlich, wenn man bedenkt, mit der Operationalisierung des Rechts auf
dass menschliches Wohlbefinden (d.h. Ge- Gesundheit und legt dabei das Hauptaugensundheit) die Erfüllung aller menschlichen merk auf drei Bereiche: Unterstützung für
Bedürfnisse verlangt, seien diese nun phy- Regierungen bei der Entwicklung eines auf
siologischer Art wie das Bedürfnis nach Luft, Menschenrechten basierenden GesundheitsWasser, Nahrung und Sex oder sozialer und wesens; Stärkung der Fähigkeit der WHO,
psychologischer Art wie das Bedürfnis nach ihre Tätigkeit auf der Basis von Menschen-
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
rechten zu verfolgen; und Weiterentwicklung 2. Definition und Beschreibung
des Rechts auf Gesundheit als internationa- des Themas
les Menschenrecht. Die WHO hat zu diesem
Zweck ein Positionspapier zu Menschenrech- Gesundheit und Menschenrechte
ten und Gesundheit erarbeitet, um Menschen- Zwischen Gesundheit und Menschenrechten
rechte besser in die Arbeit der Organisation existieren wichtige Verbindungen und Überzu integrieren und um sicherzustellen, dass schneidungen, wie zum Beispiel Gewalt, Folter,
Menschenrechte als wesentlicher Bestandteil Sklaverei, Diskriminierung, Wasser, Nahrung,
nationaler Gesundheitssysteme wahrgenom- Wohnung und traditionelle Praktiken, um nur
men werden.
einige zu nennen.
Menschliche Sicherheit und
Gesundheit
Die steigende Zahl von bewaffneten Konflikten und Notfällen und die riesige Zahl
von Flüchtlingen, die Schutz vor Krieg
und Naturkatastrophen suchen, stellen
das Recht auf Leben in den Mittelpunkt
des Rechts auf Gesundheit. Organisationen wie das Internationale Komitee vom
Roten Kreuz, Ärzt ohne Grenzen und
Médecins du Monde motivieren Ärz­­
tInnen und andere MitarbeiterInnen im
Gesundheitswesen, menschenrechtliche
Maßstäbe anzulegen, um das Recht auf
Gesundheit in Krisenfällen und anderen
Situationen menschlicher Unsicherheit zu
bewahren. Ein wesentliches Problem des
öffentlichen Gesundheitswesens und ein
ernstes Hindernis für die Realisierung des
Rechts auf Gesundheit stellt Gewalt dar.
Jedes Jahr sterben Millionen Menschen
an den Folgen von Verletzungen, die sie
bei Gewalttaten erlitten haben. Andere
überleben zwar, aber mit körperlichen
und seelischen Beeinträchtigungen. Gewalt kann verhindert werden. Sie ist das
Resultat von komplexen sozialen und
Umweltfaktoren. Es ist belegt, dass die Erfahrung von kollektiver Gewalt, Krieg und
Bürgerkrieg in einem Staat das Gewaltniveau innerhalb dieses Staates anhebt.
Das Bekenntnis der AEMR zum Menschenrecht auf Gesundheit als Teil des Rechts auf
einen angemessenen Lebensstandard wurde in Art. 12 des Internationalen Pakts über
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPWSKR, Sozialpakt) von 1966 klarer
herausgearbeitet. Dieser Vertrag wurde zur
selben Zeit wie der Internationale Pakt über
bürgerliche und politische Rechte (IPBPR,
Zivilpakt) verabschiedet. Die Unterscheidung
in zwei Kategorien durch die beiden Pakte ist
symptomatisch für die Spannungen des Kalten Krieges, in denen die Staaten des Ostens
den Menschenrechte im Sozialpakt den Vorrang gaben, während die westlichen Staaten
die bürgerlichen und politischen Rechte im
Mittelpunkt der Menschenrechtsbemühungen sahen. Bis zum 1. August 2008 ist der
Sozialpakt von 159 Staaten ratifiziert worden,
der Zivilpakt von 162.
„Es ist mein Bestreben, dass
Gesundheit endlich nicht als Segen angesehen wird, den man sich
wünscht, sondern als ein Recht,
um das man kämpft.“
(Übersetzung)
Kofi Annan.
153
154
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
Der Text von Art. 12 des Sozialpaktes, die fundamentale Bestimmung über das Recht auf
Gesundheit, lautet wie folgt:
1. Die Vertragsstaaten anerkennen das
Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher
und geistiger Gesundheit.
2. Die von den Vertragsstaaten zu unternehmenden Schritte zur vollen Verwirklichung dieses Rechtes umfassen
die erforderlichen Maßnahmen:
a.zur Senkung der Zahl der Totgeburten
und der Kindersterblichkeit sowie zur
gesunden Entwicklung des Kindes;
b. zur Verbesserung aller Aspekte der
Umwelt- und der Arbeitshygiene;
c. zur Vorbeugung, Behandlung und Bekämpfung epidemischer, endemischer,
Berufs- und sonstiger Krankheiten;
d. zur Schaffung der Voraussetzungen,
die für jedermann im Krankheitsfall
den Genuss medizinischer Einrichtungen und ärztlicher Betreuung sicherstellen.
Regionale Menschenrechtsabkommen definieren das Recht auf Gesundheit ebenfalls, wie
etwa Art. 11 der Europäischen Sozialcharta
von 1961 in der revidierten Fassung von 1996,
Art. 10 des Zusatzprotokolls der Amerikanischen Menschenrechtskonvention über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte aus
dem Jahr 1988 und Art. 16 der Afrikanischen
Charta für der Rechte des Menschen und der
Völker aus dem Jahr 1981.
Regierungen kommen ihren Verpflichtungen
gemäß Art. 12 des Sozialpaktes auf verschiedene Weise nach, so dass das Gremium zur
Überwachung der Anwendung des Paktes die
Staatenverpflichtungen durch die Veröffentlichung eines interpretierenden Textes (Allge-
meine Bemerkungen Nr. 14, verabschiedet im
Mai 2000) zu klären versuchte. Diese Allgemeinen Bemerkungen betonen, wie sehr die Realisierung des Menschenrechts auf Gesundheit
auf der Verwirklichung anderer Menschenrechte beruht. Diese umfassen das Recht auf
Leben, Nahrung, Wohnung, Arbeit, Bildung
und Partizipation, den Genuss der Vorteile
des wissenschaftlichen Fortschritts und seiner
Anwendung, die Freiheit, Informationen aller
Arten zu suchen, zu erhalten und weiterzugeben, das Recht auf Nichtdiskriminierung, das
Verbot der Folter sowie Versammlungs-, Vereinigungs- und Niederlassungsfreiheit.
Verfügbarkeit, Zugänglichkeit,
Annehmbarkeit und Qualität
Die Allgemeinen Bemerkungen setzen auch
vier Kriterien zur Evaluierung des Rechts auf
Gesundheit fest:
Verfügbarkeit umfasst ein funktionierendes
öffentliches Gesundheitswesen und eine Gesundheitsversorgung sowohl mit medizinischen Gütern und Dienstleistungen als auch
mit Programmen, die in ausreichender Quantität verfügbar sein müssen.
Zugänglichkeit von Gesundheitswesen, medizinischen Gütern und Dienstleistungen erfordert Nicht-Diskriminierung, tatsächliche
Erreichbarkeit, Leistbarkeit und angemessene
Information.
Annehmbarkeit erfordert, dass das Gesundheitswesen sowie alle medizinischen Güter und Dienstleistungen der medizinischen
Ethik entsprechen müssen. Darüber hinaus
sind kulturelle Angemessenheit und Sensibilität in Fragen von Gender und des jeweiligen
Lebensalters sicherzustellen, das Prinzip der
Vertraulichkeit ist zu respektieren, und die
Maßnahmen müssen tatsächlich zu einer Verbesserung der Gesundheit und des Gesundheitszustandes der Betroffenen führen.
Qualität erfordert, dass Gesundheitswesen,
medizinische Güter und Dienstleistungen wis-
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
senschaftlich und medizinisch angemessen
und von guter Qualität sein müssen.
„Der Mensch ist die
Heilung des Menschen.“
Nicht-Diskriminierung
(Übersetzung)
Diskriminierung aufgrund von Geschlecht,
ethnischer Zugehörigkeit, Alter, sozialer HerTraditionelles Wolof-Sprichwort.
kunft, Religion, körperlicher oder geistiger
Behinderung, Gesundheitszustand, sexueller Orientierung, Nationalität, bürgerlichem, erfolgen und hängt entscheidend von den Bepolitischem oder anderem Status kann den mühungen von Nichtregierungsorganisationen
Genuss des Rechts auf Gesundheit beein- (NGOs) ab. Frauen, Kinder, Menschen mit Beträchtigen. Besonders wichtig sind in dieser hinderungen und indigene Völker gehören zu
Beziehung die AEMR, die Internationale Kon- den verletzlichen und marginalisierten Grupvention über die Beseitigung aller Formen ras- pen, die regelmäßig aufgrund von Diskrimisistischer Diskriminierung (ICERD) aus dem nierung unter Gesundheitsproblemen leiden.
Jahr 1965 und die Konvention über die Beseitigung aller Formen der Diskriminierung der Das Recht auf Nutzung der ErrungenschafFrau (CEDAW) aus dem Jahr 1979, die sich alle ten wissenschaftlichen Fortschritts
auf den Zugang zu Gesundheit und medizini- Die HIV/AIDS-Epidemie hat gezeigt, wie drinscher Versorgung ohne jede Diskriminierung gend notwendig es für Menschen in Entwickbeziehen. Die Art. 10, 12 und 14 der CEDAW lungsländern ist, Zugang zu Medikamenten
bekräftigen das gleiche Recht von Frauen auf und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu erGesundheitsversorgung, einschließlich Fami- halten. Der eingeschränkte Zugang zu antiretlienplanung, angemessene Angebote für re- roviralen (medikamentösen) Therapien hat das
produktive Gesundheit und Schwangerschaft Bewusstsein dafür geweckt, dass für den bestsowie Gesundheitsversorgung von Familien.
möglichen Gesundheitszustand Menschen auf
der ganzen Welt die Möglichkeit haben müsNicht-Diskriminierung
sen, gesundheitsspezifische wissenschaftliche
Die Deklaration und Aktionsplatt- Erkenntnisse zu verwenden und die wissenform von Peking (1995) legt den Schwerpunkt schaftliche Forschung frei zu verfolgen. Regieauf eine ganzheitliche Sicht von Gesundheit rungen haben gemäß Art. 15 des Sozialpaktes
und auf die Notwendigkeit der vollen Partizi- schon lange das Recht aller anerkannt, „an
den Errungenschaften des wissenschaftlichen
pation von Frauen in der Gesellschaft:
„Die Gesundheit von Frauen umfasst ihr emo- Fortschritts und seiner Anwendung teilzuhationales, soziales und körperliches Wohlbefin- ben“. Dies beinhaltet die Verpflichtung, Wisden und wird durch den sozialen, politischen senschaft und wissenschaftliche Forschung zu
und ökonomischen Kontext ihres Lebens bewahren, zu entwickeln und zu verbreiten.
ebenso wie durch die Biologie bestimmt. Das Recht, in den Genuss lebensrettender
Notwendige Bedingungen für den bestmög- Medikamente zu kommen, wird durch die
lichen Gesundheitszustand und Gleichheit, Urheberrechte, welche die Patente von Phareinschließlich der Verteilung von Familien- mafirmen schützen, eingeschränkt. Die Politik
pflichten, sind Entwicklung und Frieden.“ mancher Länder wie Südafrika, Indien, BraDas Mainstreaming dieser Prinzipien hat im silien und Thailand hat Wege gefunden, den
gesamten System der Vereinten Nationen zu Patentschutz zu umgehen, und die Welthan-
155
156
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
delsorganisation (WTO) stimmte während der
Ministerkonferenz in Doha 2001 zu, dass der
Schutz solcher Patente „so interpretiert und
implementiert werden sollte, dass das Recht
der WTO-Mitglieder, die öffentliche Gesundheit
zu schützen und im besonderen den Zugang
aller zu Medikamenten zu fördern, unterstützt
wird“. Im Speziellen bezog sich die Konferenz
dabei auf das Recht jedes Staates, „festzulegen,
was einen nationalen Notstand oder andere
Umstände extremer Dringlichkeit konstituiert
[die Ausnahmen vom Patentschutz erlauben],
dies unter der Voraussetzung, dass Krisen des
öffentlichen Gesundheitswesens einschließlich
jener aufgrund von HIV/AIDS, Tuberkulose,
Malaria und anderen Epidemien einen nationalen Notstand oder anderen Umstand extremer Dringlichkeit darstellen.“
(Quelle: WTO. 2001. Doha Declaration on the
TRIPS Agreement and Public Health.)
Globalisierung und das Menschenrecht
auf Gesundheit
Seit den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts
hat sich die Weltwirtschaft aufgrund der Globalisierung dramatisch verändert, was direkte
und indirekte Auswirkungen auf die Gesundheit zeitigt. Positive Veränderungen sind
beispielsweise ein Anstieg bei den Beschäftigungsmöglichkeiten, die Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse und eine größere
Chance auf hohe Gesundheitsstandards weltweit, ermöglicht durch Kooperationen von Regierungen, Zivilgesellschaft und Unternehmen.
Allerdings wiegen auch die negativen Konsequenzen schwer, da Liberalisierung des Handels, Investitionen in Ländern mit niedrigem
arbeitsrechtlichen Standard und weltweite
Vermarktung neuer Produkte in einigen Fällen,
aufgrund von Versagen der Regierungen oder
nicht ausreichender Regulierung, Ungleichheiten zwischen Ländern und innerhalb dieser geschaffen und so negative Einflüsse auf
die Gesundheit mit sich gebracht haben. Die
Fähigkeit von Regierungen, mögliche negative Konsequenzen des steigenden Flusses von
Waren, Geld und Dienstleistungen sowie der
Mobilität von Menschen, Kultur und Wissen
über nationale Grenzen hinweg zu begrenzen,
konnte nicht mit dieser Entwicklung Schritt
halten. Gleichzeitig konnten sich multinationale Unternehmen ihrer Verantwortlichkeit
entledigen. Die Task Force Gesundheitsökonomie der Weltgesundheitsorganisation etwa
kritisiert, dass schädliche Substanzen wie Tabak nach wie vor ohne entsprechenden Gesundheitsschutz für die Bevölkerungen frei
gehandelt werden.
Handelsgesetze und deren Praxis mit der Menschenrechtsgesetzgebung zu konfrontieren, war
weitgehend von der Sorge um das Recht auf
Gesundheit motiviert. Ein Beispiel, dass das
Bewusstsein für die Notwendigkeit von Regulierung gestiegen ist, zeigt sich bei den pharmazeutischen Lizenzen. In der oben genannten
Deklaration von Doha (2001) etwa akzeptierten
die Mitglieder der WTO, dass Regierungen in
Notfällen verpflichtende Lizenzen zur Herstellung von Medikamenten erteilen können (Art. 5),
dass Länder ohne pharmazeutische Kapazitäten
Hilfe bei der Beschaffung von Medikamenten
erhalten sollten (Art. 6), und dass die Industriestaaten die Entwicklungsländer beim Transfer
von Technologien und Wissen auf dem Gebiet
der Pharmazeutika unterstützen sollten (Art.
7). Eine Entscheidung des WTO General Council vom August 2003 (2005 ersetzt durch eine
Ergänzung des TRIPS-Abkommens) ermöglicht
es Staaten, zwangsweise Lizenzen für die Produktion von patentgeschützten Medikamenten
zu erteilen, die in weniger entwickelte Länder
exportiert werden, die ihrerseits nicht über die
Möglichkeit zur Produktion solcher Medikamente verfügen. Damit werden die Bedürfnisse des
öffentlichen Gesundheitswesens über die Rechte der Patentnehmer gestellt. Zugleich erlauben
allerdings die Regeln des TRIPS-Abkommens
wiederum den Abschluss multi- oder bilateraler
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
Abkommen, mit denen diese prioritäre Position
des Rechts auf Gesundheit im Einzelfall wieder
eingeschränkt werden kann.
Gesundheit und Umwelt
Das Recht auf eine gesunde Umwelt, festgehalten in der Resolution der UNO-Generalversammlung 45/94 vom 14. Dezember 1990,
verlangt für Menschen ein Recht, „in einer
Umwelt zu leben, die ihrer Gesundheit und
ihrem Wohlbefinden angemessen ist“. Dieses
Recht wurde in 90 nationalen Verfassungen
anerkannt, einschließlich der meisten jener
Verfassungen, die seit der Konferenz von Rio
für Umwelt und Entwicklung (1992) in Kraft
gesetzt wurden. Der Weltgipfel in Rio de
Janeiro und der als Agenda 21 angenommene
Plan (1992) schufen einen einzigartigen strategischen Rahmen, der soziale, ökonomische
und Umweltanliegen als voneinander abhängige Säulen einer nachhaltigen Entwicklung
zusammenführte. Sicherheit und Sauberkeit
von Wasser und Luft und eine entsprechende
Versorgung mit hochwertiger Nahrung stehen
alle in Zusammenhang mit einer gesunden
Umwelt und der Verwirklichung des Rechts
auf Gesundheit. Dennoch zeigt zehn Jahre
nach der Agenda 21 die folgende Statistik die
Unzulänglichkeit der bisherigen Versuche, die
gesetzten Ziele zu erreichen:
• 800 Millionen Menschen leiden Hunger;
• 1,5 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu sicherem Trinkwasser;
• 2,5 Milliarden Menschen haben kein entsprechendes Abwassersystem;
• 5 Millionen Menschen, vor allem Frauen
und Kinder, sterben jedes Jahr an Krankheiten, die mit der Wasserqualität zusammenhängen. (Quelle: UNDP. 2005. Human
Development Report.)
In einer Individualbeschwerde, die 1996 der
Afrikanischen Kommission für die Rechte des
Menschen und der Völker vorgelegt wurde,
führten etliche NGOs an, dass die Militärregierung in Nigeria direkt in die Ölförderung
durch die staatliche Ölgesellschaft und die
Firma Shell Petroleum involviert war, und
dass diese Unternehmungen aufgrund der
Vergiftung des Bodens Umweltschäden und
Gesundheitsprobleme im Volk der Ogoni verursachten. Im Oktober 2001 erklärte die Afrikanische Kommission Nigeria für schuldig,
gegen sieben Artikel der Afrikanischen Charta
für die Rechte des Menschen und der Völker
– einschließlich des Rechts auf Gesundheit –
verstoßen zu haben. Dies stellt einen wichtigen Präzedenzfall für die Verantwortung des
Staates, die Umwelt und die Gesundheit der
ansässigen Bevölkerung vor den Auswirkungen solcher Aktivitäten zu schützen, dar.
Der Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung
(WSSD) in Johannesburg im Jahr 2002 überprüfte die Durchführung der Agenda 21. Der
daraus resultierende Johannesburg-Plan für
die Umsetzung drückte die Verpflichtung aus,
weltweit Gesundheitsinformationssys­teme und
Wissen über Gesundheit zu verbessern, HIV/
AIDS einzudämmen, den Anteil toxischer Elemente in Luft und Wasser zu verringern und
Gesundheitsanliegen mit der Beseitigung der
Armut zu verbinden.
Ein neues Prinzip zur Lenkung menschlicher
Aktivitäten, das Schaden für die Umwelt und
„Im Mittelpunkt nachhaltiger
Entwicklung stehen Menschen. Sie
haben Anspruch auf Gesundheit
und ein produktives Leben im
Einklang mit der Natur.“
(Übersetzung)
Rio-Erklärung über Umwelt
und Entwicklung. 1992.
157
158
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
die Gesundheit von Menschen verhüten soll,
hat sich in den letzten zehn Jahren entwickelt:
das Prinzip der vorausschauenden Handlung
oder Vorsorgeprinzip. Dieses Prinzip, definiert und ausformuliert 1998 in Wisconsin/
USA durch eine internationale Gruppe von
WissenschaftlerInnen, RegierungsbeamtInnen,
AnwältInnen sowie AktivistInnen aus Gewerkschafts- und Basisgruppen der Umweltbewegung, verlangt vom Befürworter einer neuen
Technologie, deren Sicherheit zu beweisen,
bevor sie allgemein zugänglich gemacht wird
oder Auswirkungen auf die Umwelt hat. Zu
guter Letzt müssen gemäß dem Vorsorgeprinzip alle Entscheidungen offen, informiert und
demokratisch getroffen werden und die betroffenen Parteien einschließen.
3.Interkulturelle Perspektiven
und strittige Themen
Die Wiener Deklaration von 1993 (das Abschlussdokument der Wiener Weltmenschenrechtskonferenz) hält fest, dass kulturelle
Unterschiede anerkannt werden sollen, allerdings auf eine Weise, welche die Universalität
der Menschenrechte nicht in Frage stellt. Die
Allgemeine Bemerkung Nr. 14 des Komitees für
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
unter dem Sozialpakt zum Recht auf Gesundheit baut auf diesem Bewusstsein auf, indem
sie verlangt, dass das Gesundheitswesen, medizinische Güter und Dienstleistungen kulturell angemessen sein müssen. Ein kultureller
Aspekt des Menschenrechts auf Gesundheit ist
etwa die Überbetonung des biomedizinischen
Gesundheitssystems und damit des Verständnisses, wie das Menschenrecht auf Gesundheit zu realisieren sei. In vielen Teilen der Welt
dominiert jedoch traditionelle Medizin (TM)
die Praxis des Gesundheitswesens. In Afrika
befriedigen bis zu 80% der Bevölkerung ihre
Bedürfnisse nach Gesundheitsvorsorge durch
TM. In Asien (vor allem in China), Lateinamerika und unter den indigenen Völkern Australiens und Amerikas ist TM weit verbreitet
(mehr als 40%). Die WHO definiert TM als
Therapien „unter Verwendung von Kräutermedizin, tierischen Präparaten und Mineralien sowie Behandlungen ohne Medikation,
Manualtherapien und spirituelle Therapien“
(WHO Fact Sheet No. 134, 2003). Die Anwendung von TM hängt eng mit dem Recht auf
Kultur, den Gesetzen zum Schutz geistigen Eigentums, dem Recht auf Land und dem Recht
auf nachhaltige Entwicklung zusammen. In
Anerkennung der weiten Verbreitung und der
Vorteile von TM sowie der Bedeutung von
wirtschaftlich und kulturell angemessenen
Therapien hat die WHO eine Strategie für
Traditionelle Medizin (2002-2005) entwickelt,
um den zweckmäßigen Einsatz von TM in
Entwicklungsländern sicherzustellen.
In anderen Fällen folgt eine Missachtung oder
Verletzung des Rechts auf Gesundheit aus
asymmetrischen Machtverhältnissen innerhalb von Gruppen aufgrund von Gender, Alter,
„Rasse“, Religion, ethnischer Zugehörigkeit,
usw. Auch hier ist das Grundprinzip der
Nichtdiskriminierung anzuwenden. Weibliche
Genitalverstümmelung (Female Genital Mutilation/FGM) ist in großen Teilen Afrikas und
in Teilen des Nahen Ostens eine weit verbreitete Praxis. Ihre historische Tradition, obwohl
oft fälschlicherweise der Religion zugeschrieben, reicht über 2000 Jahre zurück. Die Praxis
kann das körperliche und seelische Wohlbefinden von Mädchen und Frauen schwerstens
beeinträchtigen. Dazu hält eine gemeinsame
Erklärung von WHO, UNICEF und UNO-Bevölkerungsfonds vom Februar 1996 fest: „Es
ist nicht akzeptabel. dass die internationale
Gemeinschaft im Namen einer deformierten
Vision von Multikulturalismus untätig bleibt.
... Kultur ist … nicht statisch, sondern durch
Anpassung und Reform in ständiger Bewe-
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
gung. Menschen werden ihr Verhalten ändern, bedeutet, dass der Staat aktiv den Zugang
wenn sie die Gefahren und Würdelosigkeit ge- zur Gesundheitsvorsorge sichern muss, beifährlicher Praktiken verstehen und realisieren, spielsweise sollte der Bevölkerung eine ausdass sie solche Praktiken aufgeben können, reichende Anzahl von Krankenhäusern zur
ohne dadurch wirklich bedeutsame Aspekte Verfügung stehen und diese Spitäler sich in
ihren Dienstleistungen an den Bedürfnissen
ihrer Kultur preiszugeben.“
(http://www.unfpa.org/swp/1997/box16.htm). der Bevölkerung orientieren. Der Staat sollte
Standort, Dienstleistungen und Anforderungen von Krankenhäusern bekannt machen.
Dies kann nicht sichergestellt werden, wenn
4.Durchsetzung und Überwachung
die Gesundheitsvorsorge ausschließlich auf
den privaten Sektor verwiesen ist.
Das Menschenrecht auf Gesundheit:
Achtung, Schutz und Verwirklichung
Einschränkungen des Menschenrechts
Die Verantwortlichkeit von Regierungen, den auf Gesundheit
Mitgliedern ihrer Gesellschaften den höchs- Einige Menschenrechte sind so grundlegend,
ten erreichbaren Gesundheitsstandard zu dass sie niemals eingeschränkt werden könsichern, resultiert in einer Reihe von Ver- nen, beispielsweise das Recht auf Freiheit
pflichtungen. Die Verpflichtung, das Men- von Folter und Sklaverei, das Recht auf ein
schenrecht auf Gesundheit zu respektieren, faires Verfahren oder die Gedankenfreiheit.
bedeutet, dass der Staat nicht in dieses Recht Andere Menschenrechte können dann eineingreifen oder es verletzen darf. Ein Beispiel geschränkt werden, wenn das Gemeinwohl
wäre die staatliche Weigerung, bestimmten Vorrang hat. Der Schutz des Rechts auf GeGruppen wie etwa ethnischen Minderheiten sundheit im Sinne der öffentlichen Gesundoder Häftlingen Gesundheitsvorsorge zu- heit wurde vom Staat als Anlass verwendet,
kommen zu lassen oder diese willkürlich zu andere Menschenrechte einzuschränken. Im
verweigern, wie im Fall von Frauen, die nicht Versuch, die Ausbreitung von Infektionsvon männlichen Ärzten behandelt werden krankheiten zu verhindern, wurden oft andürfen, während die Versorgung mit weibli- dere Freiheiten begrenzt. Die Einschränkung
chen Ärztinnen nicht gewährleistet ist. Das der Bewegungsfreiheit, die Einrichtung von
Recht auf Gesundheit zu schützen bedeutet, Quarantänen oder die Isolation von Mendass der Staat nichtstaatliche AkteurInnen an schen sind Maßnahmen, die gesetzt wurden,
jeder Beeinträchtigung des Menschenrechts um die Ausbreitung schwerer Infektionshindern muss. Ein Beispiel dafür wäre die krankheiten wie etwa Ebola oder TuberkuloVerhinderung der Entsorgung von toxischen se zu verhindern. Diese Maßnahmen waren
Abfällen über die Wasserversorgung. Im Fal- zeitweise übertrieben. Um zu verhindern,
le einer Gesetzesübertretung muss der Staat dass Menschenrechte im Namen der öffentden Betroffenen eine Form von Entschädi- lichen Gesundheit verletzt werden, dürfen
gung gewähren. Dies bedeutet auch, dass restriktive Maßnahmen von Seiten der Reder Staat dazu verpflichtet ist, notwendige gierung nur als letztes Mittel gesetzt werden.
und angemessene Gesetze wie beispielswei- Die Syracuse-Prinzipien bieten einen genau
se zur Regelung und Überwachung der Be- definierten Rahmen für die Einführung von
wirtschaftung toxischer Abfälle zu erlassen. restriktiven Maßnahmen:
Verwirklichung des Rechts auf Gesundheit
159
160
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
• Die Restriktion ist gesetzlich vorgesehen und wird in Einklang mit dem
Gesetz durchgeführt;
• die Restriktion dient einem legitimen
Ziel von allgemeinem Interesse;
• die Restriktion ist in einer demokratischen Gesellschaft unbedingt notwendig, um das Ziel zu erreichen;
• es gibt keine gelinderen und weniger restriktiven Maßnahmen, mithilfe
derer dasselbe Ziel erreicht werden
könnte;
• die Restriktion wurde nicht willkürlich, d.h. in einer unbilligen oder diskriminierenden Art und Weise geplant
oder in Kraft gesetzt.
der Zivilgesellschaft ein und müssen nicht mit
dem Regierungsbericht übereinstimmen. Jede
vorgelegte Information wird einbezogen und
ermöglicht es dem Prüforgan, abschließende
Kommentare und Beobachtungen abzugeben.
Obgleich es keine Möglichkeit gibt, die Umsetzung dieser Kommentare und Beobachtungen
zu erzwingen, wird dieser Bericht doch Teil
der öffentlichen Präsentation eines Staates,
und in diesem Sinne mag eine Regierung die
Beschuldigung, sie verletze die Menschenrechte, wohl eher vermeiden, da dies, nebst
anderen Konsequenzen, auch direkten Einfluss auf die Beziehungen zu anderen Staaten
haben kann.
2002 hat die (damalige) Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen die Einsetzung
eines Sonderberichterstatters/einer SonderbeÜberwachungsmechanismen
richterstatterin über das Recht auf Gesundheit
Mechanismen sowohl auf nationaler als auch („das Recht eines jeden, den höchstmöglichen
auf internationaler Ebene sind notwendig, um Standard körperlicher und geistiger Gesundsicherzustellen, dass Regierungen ihren Ver- heit zu genießen“) beschlossen. Der Sonderpflichtungen das Recht auf Gesundheit zu berichterstatter sammelt Informationen und
achten, zu schützen und zu verwirklichen führt einen Dialog mit Regierungen und intenachkommen. Auf nationaler Ebene können ressierten Parteien, berichtet regelmäßig über
Regierungskommissionen, Ombudspersonen den weltweiten Stand des Rechts auf Gesundund NGOs am Staatenberichtsverfahren, wel- heit und über die Umsetzung dieses Rechts in
ches etwa unter dem Sozialpakt vorgesehen nationaler Gesetzgebung, Politik und Verwalist, teilhaben. Jede Vertragspartei hat dabei tungspraxis. Er beschreibt gute Beispiele für
dem zuständigen Prüforgan, in diesem Fall eine solche Umsetzung ebenso wie Hindernisdem Komitee für wirtschaftliche, soziale und se und verabschiedet die notwendigen Empkulturelle Rechte unter dem Sozialpakt, einen fehlungen. Der Sonderberichterstatter kann
Bericht zu übermitteln. Zum Fälligkeitstermin Besuche in alle Länder unternehmen und auch
legen häufig auch NGOs Berichte vor, die oft auf Vorwürfe hinsichtlich Verletzungen des
als „Schattenberichte“ bezeichnet werden. Rechts auf Gesundheit reagieren. Er hat auch
Diese Parallelberichte bringen die Perspektive bereits mit der WTO Kontakt aufgenommen.
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
WAS MAN WISSEN SOLLTE
1. Good Practices
programme im nationalen Maßstab müssen
ihren Schwerpunkt auf vielfältige Komponenten legen, die unter Einbeziehung der
HIV/AIDS-Prävention
Zielbevölkerung festgelegt werden.
Erfolgsgeschichten aus Kambodscha, Uganda,
Senegal, Thailand, dem städtischen Sambia • Allgemeine Präventionsprogramme für die
Bevölkerung müssen vor allem bei Jugendund aus Ländern mit hohem Einkommen delichen ansetzen.
monstrieren, dass umfassende Präventionskonzepte Wirkung zeigen. Dabei lassen sich • Partnerschaften sind unabdingbar für den
Erfolg. Vielfältige Programme, die auf vielfolgende Tatsachen feststellen:
fältige Gesellschaften zielen, brauchen
• Verhaltensänderungen können nur erzielt
vielfältige Partnerschaften, z.B. mit bereits
werden, wenn lokal angemessene, gezielte
HIV/AIDS-Infizierten.
Informationen bereitstehen, Verhandlungsund Entscheidungsfertigkeiten trainiert wer- • Politische Führung ist für eine effiziente
Umsetzung unabdingbar.
den, soziale und gesetzliche Unterstützung
gewährleistet ist, Zugang zu präventiven
Mitteln wie z.B. Kondomen und sauberen BürgerInnenpanels und Strategien im
Nadeln sichergestellt ist und generell eine öffentlichen Gesundheitswesen
BürgerInnenpanels (Citizen Juries) sind ein
Motivation zur Veränderung vorliegt.
• Keine einzelne Präventionsmaßnahme neues Modell der Entscheidungsfindung im
führt zu einer tief greifenden Verhaltens- öffentlichen Gesundheitswesen. Modellversuänderung in der Bevölkerung. Präventions- che in Großbritannien, Deutschland, Skandi-
„Als die freundlichen Pflanzen hörten, was die Tiere beschlossen
hatten [den Menschen Krankheit zu bringen], beschlossen sie ihrerseits, den Menschen zu helfen. Jeder Baum und Strauch, jedes Kraut,
Gras und Moos bot das Heilmittel für eine der Krankheiten an, welche
die Tiere und Insekten genannt hatten. Jedes Mal danach, wenn die
Cherokee verwundet wurden oder sich eine Krankheit zuzogen oder
schlechte Träume hatten, befragten ihre Medizinmänner die Pflanzen
und fanden immer ein Heilmittel. Das war der Anfang der Medizin
im Volk der Cherokee vor sehr, sehr langer Zeit.“
Cherokee-Legende über den Ursprung der Medizin.
1 61
162
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
navien und den USA beziehen jeweils 12 bis zu beenden – dieser wurde bekannt als der
16 repräsentative BürgerInnen in die Entschei- Eid von Malicounda. Zwei Dorfälteste traten
dungsfindung ein, welche die ihnen gegebenen sodann an, um auch in anderen Dörfern für
Informationen prüfen, ExpertInnen befragen, die Einstellung dieser Praxis zu werben. Bis
diskutieren, entscheiden und ihre Schlussfol- Februar 1998 hatten dreizehn Dörfer den Eid
gerungen veröffentlichen. Die auftraggebende abgelegt, fünfzehn weitere Dörfer beendeten
Behörde muss innerhalb einer bestimmten Zeit die Praxis der Infibulation im Juni desselben
antworten. In Großbritannien zeigen Pilotstu- Jahres, und die Bewegung gewann internatidien, dass diese Panels besser mit komplexen onale Aufmerksamkeit. Am 13. Januar 1999
Themen umgehen und solidere Lösungen fin- beschloss die Nationalversammlung des Seneden als Umfragen, Schwerpunktgruppen und gal das Verbot der weiblichen Genitalverstümöffentliche Versammlungen. Es ist offensicht- melung. Die Verabschiedung dieses Gesetzes
lich, dass gewöhnliche BürgerInnen gewillt allein hätte nicht ausgereicht, um diese Praxis
sind, sich direkt in die Entscheidungsfindung abzuschaffen. Die Macht dazu lag in der soeinzubringen, und dass sie eindeutige und zialen Kontrolle in den Dörfern und der Deklare Vorstellungen darüber haben, welche monstration des öffentlichen Willens durch
Art von öffentlichem Gesundheitswesen sie das Ablegen des Eids von Malicounda. Das
TOSTAN-Training betonte die Verbindungen
für sich und ihre Familien möchten.
zwischen dem Recht auf Gesundheit und anderen Menschenrechten.
Der Eid von Malicounda
In den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts
entwickelte eine Basisorganisation im Senegal Gedächtnisbücher
einen problemorientierten Lehrplan, der ein In vielen Ländern sind Gedächtnisbücher ein
ganzes Dorf in das Lernen über die Menschen- wichtiger Weg geworden, innerhalb von Farechte und in die Anwendung dieses neu erwor- milien die Kommunikation über HIV zu erbenen Wissens im täglichen Leben einband. möglichen und insbesondere HIV-positiven
Das Programm eröffnete den TeilnehmerInnen Müttern dabei zu helfen, sich ihren Kindern
die Möglichkeit, sich mit Gesundheit, Hygie- über ihre Infektion mitzuteilen. Todkranke Elne, Umweltfragen, finanziellem Know-how tern und ihre Kinder stellen gemeinsam ein
und Fertigkeiten des Materialmanagements zu Gedächtnisbuch zusammen, oft ein Album
befassen. Die NGO TOSTAN startete ein Pro- mit Fotos, Anekdoten und anderen Familiengramm in Malicounda, einem Dorf mit 3.000 memorabilien.
EinwohnerInnen. Malicounda ist ein Ort aus In Uganda begann die AIDS-Unterstützungsoreiner Gruppe von Bambaradörfern, in denen ganisation TASO in den frühen Neunzigerjahnoch immer die Infibulation praktiziert wur- ren des 20. Jahrhunderts mit der Verwendung
de, eine der vollständigsten und brutalsten von Gedächtnisbüchern. Seit 1998 hat die NaFormen der weiblichen Genitalverstümme- tionale Vereinigung von Frauen, die mit AIDS
lung. Nach langer öffentlicher Diskussion, in leben, mit Hilfe von PLAN Uganda diesen Zuder auch in einer Straßentheateraufführung gang auf breiter Basis gefördert. Die Vereinidie durch Infibulation verursachten Probleme gung hatte herausgefunden, dass HIV-infizierte
von Infektionen, gefährlichen Geburten und Mütter große Schwierigkeiten hatten, sich ihQualen beim Geschlechtsverkehr thematisiert ren Kindern über ihre Krankheit mitzuteilen,
wurden, legte das ganze Dorf einen Eid ab, die und die Gedächtnisbücher erwiesen sich als
Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung ein guter Weg, um die Kinder mit HIV bekannt
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
zu machen und seine Auswirkungen auf ihr
Leben zu diskutieren. Das Buch erinnert die
Kinder an ihre Herkunft, so dass sie ihr Zugehörigkeitsgefühl nicht verlieren, es fördert aber
auch die HIV-Prävention, weil die Kinder als
ZeugInnen der schweren Prüfung ihrer Eltern
deren Ursachen verstehen und nicht in Zukunft
dasselbe Schicksal erleiden wollen.
Drogenabhängige und Strafgefangene
Weltweit sind Drogenabhängige und Strafgefangene unter den verletzlichsten Gruppen
der Gesellschaft, wenn es um das Recht auf
Gesundheit geht. Das Recht auf Gesundheit ist
in diesen beiden Gruppen oftmals kaum umgesetzt; der Grund ist ihr Status als Kriminelle. Sie haben kaum Zugang zu Informationen,
Bildung und zu grundlegenden Elementen der
jeweiligen Gesundheits- und Sozialsysteme. In
den Achtzigerjahren des 20 Jahrhunderts wurde in Großbritannien und den Niederlanden
ein als Schadensreduzierung (Harm Reduction) bezeichnetes Modell umgesetzt, das seitdem in adaptierter Form weltweit Anwendung
findet. Ziel ist es, Schäden und Gefahren sowohl für einzelne Drogensüchtige als auch für
deren Gemeinschaften durch ein Maßnahmenpaket zu reduzieren, welches von Abstinenz
bis zum sicheren Drogengebrauch verschiedene Abstufungen beinhaltet. In den Niederlanden wurde dabei die Entkriminalisierung von
Drogen angestrebt, während anderswo eine
geänderte Sichtweise auf Drogenmissbrauch
gefördert wurde, welche die Behandlung von
Drogensüchtigen im Einklang mit menschenrechtlichen Normen statuiert. Es hat sich
gezeigt, dass in Gesellschaften, die solche Programme eingeführt haben, ein Rückgang von
HIV/AIDS-Infektionen und anderer durch Blut
übertragener Infektionen unter Drogenabhängigen verzeichnet werden konnte. Dabei sind
Staaten, in denen Maßnahmen wie Räumlichkeiten zum sicheren Drogengebrauch, die
Abgabe steriler Nadeln und Informations- und
„Ein Erfolg bei der Abschaffung
von weiblicher Genitalverstümmelung verlangt
fundamentale Änderungen bei
der Haltung der Gesellschaft
den Menschenrechten von
Frauen gegenüber.“ (Übersetzung)
Efua Dorkenoo, Gründerin der Foundation for
Women‘s Health, Research and Development.
Rehabilitationsprogramme umgesetzt wurden,
zugleich Unterzeichnerstaaten von internationalen Verträgen zur Drogenkontrolle; einen
Konflikt zwischen Drogenkontrolle und diesen
Maßnahmen sieht keiner dieser Staaten.
Die Montréal-Deklaration zur
intellektuellen Behinderung
Die von WHO und PAHO (Pan American
Health Organization) am 6. Oktober 2004 angenommene Montréal-Deklaration zur intellektuellen Behinderung ist Ausdruck einer
paradigmatischen Änderung in der Sichtweise intellektueller Behinderung. Sie erlaubt
Staaten und internationalen Organisationen
eine neue Definition intellektueller Behinderung und der Rechte von Personen mit solch
einer Behinderung. Die Deklaration fordert
die internationale Gemeinschaft auf, die Menschenrechte von Personen mit intellektueller
Behinderung vollständig zu gewährleisten.
Dies bezieht sich insbesondere auf das Recht
auf Gleichheit, Nicht-Diskriminierung und
Selbstbestimmung. Die Deklaration wendet
sich von einer reinen biomedizinischen Sichtweise ab und bekräftigt eine menschenrechtliche Position im Hinblick auf Gesundheit und
Behinderung. Obwohl die Erklärung rechtlich
unverbindlich ist, stellt sie eine Richtlinie und
163
164
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
einen Standard dar, den Staaten zukünftig im
Hinblick auf Personen mit intellektueller Behinderung einzuhalten haben.
SARS und Menschenrechte
Die SARS-Epidemie (Severe Acute Respiratory Syndrome), die im November 2002 begann
und im Juli 2003 unter Kontrolle gebracht
werden konnte, führte zu mehr als 900 Toten und über 8.400 Infizierten. Die Reaktion
der am meisten betroffenen Staaten (China/
Hongkong, Vietnam, Taiwan und Kanada)
zeigte die menschenrechtlichen Implikationen solcher Epidemien und unterstrich die
Notwendigkeit, Menschenrechte auch im Angesicht solcher Bedrohungen zu respektieren.
Im Besonderen standen dabei die Pressefreiheit und das Recht des Einzelnen auf Gesundheit im Mittelpunkt, vis-à-vis der staatlichen
Verpflichtung zur Aufrechterhaltung von
Sicherheit, inklusive des Rechts zur Verhängung von Quarantänemaßnahmen. Die WHO
nannte ausdrücklich Vietnam als ein erfolgreiches Beispiel in der Bekämpfung der Epidemie, wo während des 45-tägigen Ausbruchs
65 Menschen infiziert wurden, von denen 5
verstarben. Die WHO hob hervor, dass Vietnam den holistischen Charakter des Rechts
auf Gesundheit in der Bekämpfung von SARS
gewahrt habe und führte dies auf folgende
Faktoren zurück: ein umfassendes und gut
funktionierendes nationales Gesundheitswesen; die effektive Behandlung, Überwachung
und Isolierung betroffener Personen; die funktionierende Zusammenarbeit mit WHO und
anderen Partnern; die zeitgerechte öffentliche
Bekanntmachung des Ausbruchs der Epidemie; eine transparente Informationspolitik in
den Massenmedien und elektronischen Publikationen und gute Zusammenarbeit lokaler
und nationaler Institutionen.
2. Trends
Strategien für das Zusammenspiel
von Menschenrechten und Menschlicher
Entwicklung
Ein menschenrechtlicher Zugang zum Thema Gesundheit stellt einen Rahmen dar, in
dem einzelne Staaten und die Internationale
Gemeinschaft Verantwortung übernehmen
müssen, bisherige Errungenschaften und
zukünftige Erfordernisse für die Gesundheit
von Menschen im Einklang mit menschenrechtlichen Standards zu gewährleisten. Das
Ausmaß, in welchem Menschenrechte bei der
Planung von Strategien, der Analyse von sozialen und physischen Bedingungen für Gesundheit und der Schaffung von Gesundheit
einbezogen werden, zeigt eine positive Entwicklung hin zur Verwirklichung des Menschenrechts auf Gesundheit. Im Folgenden
einige aktuelle Trends:
Gebiete, auf denen Erfahrungen in der
Verbindung von Gesundheit und Menschenrechten sowohl in der Praxis von
Regierungen und deren PartnerInnen
als auch in der Fachliteratur existieren:
• Reproduktive und sexuelle Rechte
• HIV/AIDS
• Verhütung und Behandlung von Folter
• Gewalt gegen Frauen
• Infektionskrankheiten
Gebiete, auf denen Strategien und Programme ein beginnendes Bewusstsein
für die Verbindung von Gesundheit
und Menschenrechten reflektieren:
• Rechte indigener Völker
• Bioethische und menschenrechtliche
Konsequenzen der Gentechnik
• Gesundheit von Mutter und Kind
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
• Rechte von Menschen mit Behinderungen
Gebiete, auf denen kaum Forschung
und noch weniger Praxis in der Verbindung von Gesundheit und Menschenrechten vorhanden ist:
• Gesundheit am Arbeitsplatz
• Chronische Krankheiten
• Ernährung
• Umwelt (Luft, Wasser, Fischerei, etc.)
„Information und Statistik sind
wirksame Werkzeuge bei der
Schaffung einer Kultur der Verantwortlichkeit und der Verwirklichung
von Menschenrechten.“
UNDP. 2000.
das gesundheitsrelevante Rechte umfasst,
einschließlich des Rechts auf Gesundheit und
einer Anzahl von Rechten, die sich auf die
Voraussetzungen für Gesundheit beziehen.
3. Statistiken
(Quelle: WHO. 2002. 25 Questions and
Answers on Health and Human Rights.)
Im Folgenden finden Sie eine Sammlung von • Gewalt gehört weltweit zu den häufigsten
Statistiken, welche die Notwendigkeit einer
Todesursachen von Menschen zwischen 15
stärkeren menschenrechtlichen Perspektive
und 44 Jahren. Insgesamt sterben 14% der
im Bereich Gesundheit unterstreichen:
Männer und 7% der Frauen durch Gewalt.
• Jeder Staat der Welt ist zur Zeit Partei in min- (Quelle: WHO. 2001. WHO World Report on
Violence.)
destens einem Menschenrechtsabkommen,
Öffentliche Ausgaben für (in % des BIP)
Land
Bildung (2000-2002)
Australien
4,9
Burkina Faso
China
Deutschland
4,6
Georgien
2,2
Indien
4,1
Kuba
9,0
Mali
Österreich
5,7
Schweden
7,7
Simbabwe
4,7
USA
5,7
Vereinigtes Königreich
5,3
(Quelle: UNDP. 2005. Human Development Report 2005.)
Gesundheit (2002)
Militärausgaben (2003)
6,5
2,0
2,0
8,6
1,0
1,3
6,5
3,2
5,4
7,8
4,4
6,6
6,4
1,9
1,3
2,7
1,4
1,1
2,1
1,9
0,8
1,8
2,1
3,8
2,8
165
166
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
Gesundheitsausgaben (in % des BIP)
Land
Öffentlich (% des BIP)
Australien
6,5
Burkina Faso
2,0
China
2,0
Deutschland
8,6
Georgien
1,0
Indien
1,3
Kuba
6,5
Mali
2,3
Österreich
5,4
Schweden
7,8
Simbabwe
4,4
USA
6,6
Vereinigtes Königreich
6,4
(Quelle: UNDP. 2005. Human Development Report 2005.)
Privat (% des BIP)
Pro Kopf (PPP US$)
6,0
2,3
3,8
2,3
2,8
4,8
1,0
2,2
2,3
1,4
4,1
8,0
1,3
2.699
38
261
2.817
123
96
236
33
2.220
2.512
152
5.274
2.160
Durchschnittliche Lebenserwartung berechnet ab der Geburt (2003)
Land
Gesamtbevölkerung
Australien
80,3
Burkina Faso
47,9
China
71,6
Deutschland
78,7
Georgien
70,5
Indien
63,3
Kuba
77,3
Mali
47,9
Österreich
79,0
Schweden
80,2
Simbabwe
36,9
USA
77,4
Vereinigtes Königreich
78,4
(Quelle: UNDP. 2005. Human Development Report 2005.)
Frauen
Männer
82,8
48,2
73,5
81,5
74,3
65,0
79,2
48,5
81,8
82,4
36,5
80,0
80,6
77,7
46,8
69,9
75,7
66,6
61,8
75,5
47,2
76,0
77,9
37,3
74,6
76,0
Müttersterblichkeit
Land
Australien
Burkina Faso
China
Deutschland
Georgien
Indien
Kuba
Mali
Österreich
Schweden
Simbabwe
USA
Vereinigtes Königreich
(Quelle: UNDP. 2005. Human Development Report 2005.)
Müttersterblichkeitsrate
(pro 100.000 Lebendgeburten)
8
1.000
56
8
32
540
33
1.200
4
2
1.100
17
13
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
Gewaltanwendung gegen Frauen durch einen Intimpartner
(Prozentsatz der Frauen, die angegriffen wurden)
Land
Prozentsatz %
Bangladesch
Neuseeland
Barbados
Nicaragua
Schweiz
Kolumbien
Philippinen
(Quelle: UNDP. 2000. Human Development Report 2000.)
47
35
30
28
21
19
10
Vermutliche Zunahme der Zahl an AIDS-Waisen, 2001-2010
Region
2001
2010
Global
14 Millionen
Afrika
9 Millionen
Asien
1,8 Millionen
Lateinamerika/Karibik
578.000
(Quelle: WHO. 2002. 25 Questions and Answers on Health and Human Rights.)
25 Million
20 Millionen
4,3 Millionen
898.000
Diskriminierung beim Einkommen – die Ärmsten erhalten weniger von den öffentlichen Beihilfen und
Unterstützungen: Skala von 1 bis 50, niedrigster Wert 1
Land
Reichste
Ärmste
Guinea
45
Ghana
33
Elfenbeinküste
31
(Quelle: UNDP. 2000. Human Development Report 2000.)
5
11
10
4.Zeittafel
1946 Satzung der WHO
1966 Verabschiedung des Sozialpaktes
1975 Deklaration über die Nutzung von
wissenschaftlichem und technologischen Fortschritt im Interesse
des Friedens und zum Nutzen der
Menschheit
1975 Deklaration der Rechte behinderter Menschen
1978 Deklaration von Alma Ata
1991 Prinzipien für den Schutz von Personen mit Geisteskrankheiten und
1991
1992
1993
1994
1995
Verbesserung der Gesundheitsvorsorge
Prinzipien der Vereinten Nationen
für ältere Personen
UNO-Konferenz zu Umwelt und
Entwicklung (UNCED)
Deklaration über die Beseitigung
von Gewalt gegen Frauen
Internationale Konferenz über Bevölkerung und Entwicklung (ICPD)
Vierte
Weltfrauenkonferenz
(FWCW)
167
168
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
1997 Allgemeine
Erklärung
zum
menschlichen Genom und zu den
Menschenrechten
1998 Deklaration über Recht und Verantwortung
von
Individuen,
Gruppen und gesellschaftlichen
Organen zur Förderung und zum
Schutz der universell anerkannten
Menschenrechte und fundamentalen Freiheiten
1998 Leitprinzipien für interne Vertreibung
2002 Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung
2002 Bestellung des Sonderberichterstatters für das Recht auf Gesundheit
2003 Internationale Erklärung über
menschliche genetische Daten
AUSGEWÄHLTE ÜBUNGEN
Übung I: Schaffung eines
optimalen physischen,
mentalen und sozialen
Gesundheitszustandes
Teil I: Einleitung
Für viele Menschen ist das Konzept der Gesundheit noch nicht so weit entwickelt, dass
es sowohl die weitreichenden Bedürfnisse der
Gesellschaft als auch den Status des Einzelnen beinhaltet. Diese Übung erlaubt es den
TeilnehmerInnen, die zahlreichen Elemente
des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu
erkennen und Ideen mit den anderen Gruppenmitgliedern auszutauschen, um ein Konzept zu kreieren.
Gesundheit und anderen Grundbedürfnissen,
Schaffung einer Verbindung zwischen Grundbedürfnissen und Menschenrechten
Zielgruppe: Jugendliche und Erwachsene
Gruppengröße: 10-30
Zeit: 2 Stunden
Materialien: Flipchartpapier, Plakatschreiber
und Klebeband, Kopie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
Fertigkeiten: Verbale Kommunikation, Analyse in der Gruppe
Brainstorming-Regeln: Alle TeilnehmerInnen und auch die/der ModeratorIn sitzen in
einem Sesselkreis oder in einem Kreis am Boden. Diese Vorgehensweise schafft ein Gefühl
der Ebenbürtigkeit unter den TeilnehmerInTeil II: Allgemeine Information
nen. Die Übung erfordert schnelles Denken,
Art der Übung: Brainstorming und Reflexion da der Input der Einzelnen die Ideen und die
in der Gruppe
Denkprozesse der Gruppe fördert. Die/der
Ziele: Bewusstmachung des weiten Rahmens ModeratorIn muss die Ordnung durch die
von Gesundheit, der mehr ist als die bloße folgenden Maßnahmen aufrechterhalten:
„Abwesenheit von Krankheit“, Entwicklung 1. Alle TeilnehmerInnen nennen ihre Ideen;
von Bewusstsein für das Recht auf Gesundsie müssen aber der/dem ProtokollantIn
heit, Schaffung einer Verbindung zwischen
erlauben, das Statement aufzuschreiben.
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
2. Im Stadium des Umschreibens müssen
die TeilnehmerInnen der/dem BerichterstatterIn jeder Gruppe aufmerksam zuhören,
wenn die neue, in menschenrechtsadäquater Sprache verfasste Liste präsentiert wird.
Teil III: Spezifische Information
Beschreibung der Übung/Anleitung:
1. Schritt
Zur Einführung in das Thema liest die/der
ModeratorIn liest die Definition von „Gesundheit“ gemäß WHO vor:
Die Präambel der WHO-Satzung definiert
Gesundheit als „Zustand des vollständigen
körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur des Freiseins von Krankheit und Gebrechen“. Anschließend stellt die/
der ModeratorIn Fragen hierzu, beispielsweise
welche Elemente notwendig sind, um diesen
weitreichenden Status von Gesundheit in der
jeweiligen Gemeinschaft zu realisieren.
Wenn die Gruppe langsam vorankommt,
sollte sie oder er dazu auffordern, schnelle
Antworten zu geben, und zwar in der Reihenfolge der Sitzordnung. Alle Ideen werden
auf Flipchartbögen festgehalten, groß genug,
damit alle TeilnehmerInnen sie gut erkennen können. Keine Idee darf ausgeschlossen
werden. Sobald die Gruppe ihre Ideen ausgeschöpft hat, liest jemand alle gesammelten
Ideen vor. Zu diesem Zeitpunkt bittet die/
der ModeratorIn die einzelnen TeilnehmerInnen, ihre Gedanken zu erklären. Die TeilnehmerInnen können sich auch gegenseitig zu
den aufgelisteten Themen befragen. (Dauer:
etwa eine Stunde)
2. Schritt
Die/der ModeratorIn verteilt Kopien der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
(AEMR) und erklärt, dass alle aufgelisteten
Gesundheitsbedürfnisse Menschenrechte sind.
Zum Beispiel unterstützt das Recht auf Leben,
Art. 3 AEMR, im weitesten Sinn, das Recht auf
Gesundheit.
3. Schritt
Die/der ModeratorIn bittet die TeilnehmerInnen,
sich in Gruppen zu 4–6 Personen zusammenzufinden. Jede Gruppe nimmt die erarbeiteten
Listen und findet die zu den jeweiligen Punkten gehörenden Menschenrechte heraus. Jede
Gruppe wählt eine/n BerichterstatterIn mit
der Aufgabe, das Gruppenergebnis im Plenum
zu präsentieren. Während der Arbeit in den
Kleingruppen besucht die/der ModeratorIn die
Gruppen und bietet Hilfe an, so weit diese gebraucht wird. (Dauer: etwa 30 Minuten)
4. Schritt
Die/der ModeratorIn führt die Gesamtgruppe
wieder zusammen, und die BerichterstatterInnen präsentieren die Ergebnisse. Jemand
schreibt die neue Liste der Menschenrechte,
die das Recht auf Gesundheit unterstützen,
mit. Auch diese Liste wird an der Wand befestigt. Die Gruppe kann währenddessen Fragen
stellen. Diese Liste bleibt für zukünftige Arbeiten an der Wand. (Dauer: etwa 30 Minuten)
5. Schritt
Um die Sitzung zu evaluieren bittet die/der
ModeratorIn die TeilnehmerInnen zu erzählen,
was sie gelernt haben und Verbesserungen für
die Übung vorzuschlagen.
Praktische Hinweise
Dies ist eine Übung, die zum selbständigen
Denken anregen soll. Die/der ModeratorIn soll
die TeilnehmerInnen ermutigen, ihre eigenen
Ideen zu verwenden, selbständig zu denken
und ihre eigenen Forschungen vorzunehmen.
Sie/er darf nicht die/den ExpertIn/en spielen,
die/der alle Antworten parat hat.
In beiden Teilen der Übung, dem Brainstorming
und dem Diskussionsteil, sollten alle TeilnehmerInnen sprechen. Wenn eine oder mehrere
Personen die Diskussion dominieren, sollte die/
der ModeratorIn vorschlagen, dass niemand
mehr als ein Statement abgeben darf, solange
nicht alle anderen zu Wort gekommen sind.
Betont werden sollte die allgemeine Gültig-
169
1 70
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
keit der Menschenrechte durch die Erklärung, Teil III: Spezifische Information
dass die AEMR eine Sammlung von Ideen dar- Beschreibung der Übung/Anleitung: Die/der
stellt, die alle Völker unter dem Konzept der GruppenleiterIn bringt den TeilnehmerInnen
die Situation nahe, die dem folgenden Prozess
menschlichen Würde anerkennen.
zugrunde liegt: Auf Druck von verschiedenen
NGOs verteilt und verkauft die Regierung eines afrikanischen Landes billige Generika aus
Übung II. Zugang zu
dem Ausland. Einige Pharmakonzerne sehen
Medikamenten
dadurch jedoch ihre Patentrechte verletzt und
haben nun die Regierung und die NGOs unter
Teil I: Einleitung
Der uneingeschränkte Zugang zu Medikamen- Verweis auf ihre Eigentumsrechte verklagt.
ten ist nicht für alle leidenden oder kranken Die TeilnehmerInnen teilen sich in vier GrupMenschen weltweit sichergestellt. In Afrika pen ein, von denen jede eine Partei des Prozesbeispielsweise sterben Millionen von Men- ses darstellen wird. Anschließend verteilt die/
schen, weil sie sich die lebensverlängernden der GruppenleiterIn die Prozessrollenkarten,
oder zumindest leidensvermindernden Medi- und die einzelnen Gruppen bekommen etwa 20
kamente der großen Pharmakonzerne nicht Minuten Zeit, um sich auf den folgenden Proleisten können. Aus diesem Grund sind einige zess vorzubereiten und ihre Positionen zu forRegierungen auf Druck von NGOs dazu über- mulieren. Die vier Gruppen sollten auch jeweils
gegangen, billigere Nachahmermedikamente eine/n SprecherIn benennen, die/der später die
(Generika) aus anderen Ländern einzufüh- ausgearbeiteten Argumente vortragen wird.
ren. Hiergegen wehrt sich nun wiederum die An dem fiktiven Prozess nehmen folgende
Pharmaindustrie, da sie ihre Eigentumsrechte Parteien teil:
verletzt sieht.
• RichterIn: wägt die vorgetragenen ArguDie folgende Übung simuliert einen Prozess,
mente der anderen drei Parteien ab und geder im Jahr 2001 vor dem Obersten Gerichtslangt schließlich zu einer Urteilsfindung.
hof in Südafrika geführt wurde, nachdem • VertreterInnen der Pharmaindustrie: sind
führende Pharmakonzerne die Regierung und
an einer Umsatzsteigerung interessiert und
verschiedene NGOs wegen der Verletzung ihwollen daher ihre Patentrechte nicht zurer Patentrechte verklagt hatten.
gunsten Kranker abgeben.
• FunktionsträgerIn der Regierung: die RegieTeil II: Allgemeine Information
rung verteilt und verkauft die billigen GeArt der Übung: Simulation
nerika aus dem Ausland lediglich auf Druck
Ziele: die Komplexität von Menschenrechten
der NGOs. Im Grunde allerdings ist sie der
verstehen, gegensätzliche Forderungen abwägleichen Ansicht wie die Pharmakonzerne.
gen
• VertreterInnen von NGOs: haben Druck auf
Zielgruppe: Jugendliche und Erwachsene
die Regierung ausgeübt, Generika zu verGruppengröße: 15 bis max. 40
schenken oder billig zu verkaufen.
Zeit: 2-3 Stunden
Während sich die Gruppen vorbereiten, sollMaterialien: Prozessrollenkarten, Flipchart- te der Raum für den anschließenden Prozess
papier und Stifte
vorbereitet werden. Anschließend nehmen die
Gruppen ihre Plätze ein, die/der RichterIn beVorbereitung: Prozessrollenkarten ausarbeiten
Fertigkeiten: Kommunikationsfähigkeit, Em- grüßt alle VertreterInnen und bittet nun jede
einzelne Gruppe, ihre Position und Argumenpathie
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
te vorzutragen. Schließlich trifft die/der Rich- ges in Verbindung mit der Pflicht des Staates,
terIn eine Entscheidung, die zumindest einem eine Reihe von Grundrechten zu respektieren,
Großteil der dargelegten Meinungen und For- zu schützen, zu fördern und zu gewährleisderungen Rechnung tragen sollte. Anschlie- ten, darunter auch die Rechte auf menschlißend schütteln die TeilnehmerInnen in einer che Würde und auf Leben (die als Basis aller
anderen Rechte gelten) (...). Der (...) Angriff
kurzen Auflockerungsübung ihre Rollen ab.
Feedback: Die TeilnehmerInnen kommen im der Kläger (d.h. der Pharmakonzerne) auf das
Sesselkreis zusammen. Wie hat sich jedeR Gesetz ist kein Verdienst.“
einzelne in ihrer/seiner Rolle gefühlt? Sind
Gewissenskonflikte bei der Abwägung der Verwandte Rechte und Themen:
Globalisierung, Diskriminierung
verschiedenen Menschenrechte aufgetreten?
Zum Abschluss der Übung kann die/der GruppenleiterIn einen Auszug aus der Urteilsbe- Adaptiert aus: bpb, Deutsches Institut für
gründung vom 19. April 2001 vorlesen: „Der Menschenrechte, Europarat. 2005. Kompass.
Zweck (...) eines preisgünstigeren Zugangs zu Menschenrechtsbildung für die schulische und
Medikamenten (...) ist anerkennenswert und, außerschulische Arbeit mit Jugendlichen und
im Kontext der HIV/AIDS-Epidemie eine ver- jungen Erwachsenen. http://kompass.humanfassungsmäßige Verpflichtung höchsten Ran- rights.ch/cms/front_content.php
BIBLIOGRAPHIE
Asher, Judith Paula. 2004. The Right to Health: A
Resource Manual for NGOs. London: Commonwealth
Medical Trust.
Barta, Heinz und Gerson Kern (Hg.). 2002. Recht auf
Gesundheit. Wien: Verlag Österreich.
Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen.
2002. Bericht über die menschliche Entwicklung 2002.
Stärkung der Demokratie in einer fragmentierten Welt.
Bonn: Uno-Verlag.
Harris, Neville S. und Paul Meredith (Hg.). 2005.
Children, Education, and Health: International Perspectives On Law And Policy. Aldershot: Ashgate Publishing.
Herbst, Susanne und Thomas Kistemann. 2007.
Wasser und Gesundheit, in: Beate Rudolf (Hrsg.) Menschenrecht Wasser? Frankfurt am Main: Lang, 69-82.
Jackson, Helen. 2002. Aids in Africa. Harare: SAFAIDS.
Farmer, Paul. 1999. Infections and Inequalities. Berkeley: University of California Press.
Lee, Kelley. 2009. The World Health Organisation
(WHO). London: Routledge.
Farmer, Paul. 2003. Pathologies of Power. Berkeley:
University of California Press.
MacDonald, Theodore H. 2007. The Global Human
Right to Health: Dream Or Possibility? Oxford: Radcliffe
Publishing.
Fourth World Conference on Women, Beijing. 1995.
Beijing Declaration and Platform for Action, and its
follow-up, Beijing+5. http://www.un.org/womenwatch/daw/followup/beijing+5.htm
Mann, Jonathan, Sofia Gruskin, Michael A. Grodin
und George J. Annas (Hg.). 1999. Health and Human
Rights. New York: Routledge.
1 71
172
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
Marks, Stephen (Hg.). 2002. Health and Human
Rights: The Educational Challenge. Boston: FrançoisXavier Bagnoud Center for Health and Human Rights
and Harvard School of Public Health.
Medicus Mundi Schweiz. 2005. Gesundheit und Menschenrechte, Bulletin Nr. 96.
Meyer, Marlies (Hg.). 1993. Grundrecht auf Gesundheit. Wien: Manz.
World Conference on Human Rights, Vienna. 1993.
Vienna Declaration and Programme of Action. http://
www2.ohchr.org/english/law/vienna.htm
World Food Summit. 1996. Rome Declaration on World
Food Security and World Food Summit Plan of Action.
http://www.fao.org/docrep/003/w3613e/w3613e00.
htm
PDHRE. 2002. A Call for Justice. New York: PDHRE.
World Food Summit. 2002. Declaration of the World
Food Summit: Five Years Later. http://www.fao.org/
WorldFoodSummit.
PDHRE. 2002. Passport to Dignity: Working With the
Beijing Platform for Action for the Human Rights of Women. New York: PDHRE.
World Health Organization. 2001. Report on Violence
and Health. http://www.who.int/violence_injury_prevention/violence/world_report/en
United Nations Conference on Human Settlements
(Habitat II). 1996. Istanbul Declaration on Human
Settlements.
World Health Organization. 1994. International
Conference on Population and Development, Cairo
Programme of Action. http://www.unfpa.org/icpd/
icpd_poa.htm
Stott, Robin. 2000. The Ecology of Health. Devon, U.K:
Green Books Ltd.
UNAIDS. 2002. Report on the Global HIV/AIDS Epidemic.
UNDP. 2002. Human Development Report 2000. New
York/London: Oxford University Press.
United Nations Conference on Environment and Development, Rio de Janeiro. 1992. Rio Declaration on
Environment and Development and Agenda 21. http://
www.un.org/esa/sustdev/agenda21.htm
United Nations General Assembly Special Session
(UNGASS) on AIDS. 2001. Declaration of Commitment on HIV/AIDS „Global Crisis-Global Action. http://
www.un.org/ga/aids
United Nations General Assembly Special Session
(UNGASS) on Children. 2002: A World Fit for Children.
http://www.unicef.org/specialsession/wffc
UNU. 2002. Report on Sustainable Development. Tokyo: United Nations University.
Wamala, Sarah P. und Ichiro Kawachi (Hg.). 2006.
Globalisation and Health. New York: Oxford University
Press.
World Conference Against Racism, Racial Discrimination Xenophobia and Related Intolerance, Durban.
2001. Durban Declaration and Programme of Action.
http://www.unhchr.ch/pdf/Durban.pdf
World Summit for Children, New York. 1990. World
Declaration on the Survival, Protection and Development of Children und Plan of Action for Implementing
the World Declaration. http://www.unicef.org/wsc
World Summit for Social Development. 1995. Copenhagen Declaration on Social Development, Programme
of Action of the World Summit for Social Development
und das Follow-up: Copenhagen +5. http://www.
un.org/esa/socdev/wssd/agreements/index.html,
http://www.earthsummit2002.org/wssd
ZUSÄTZLICHE INFORMATIONEN
UNAIDS-Bericht über die weltweite HIV/AIDS Epidemie. 2002:
http://www.unaids.org
François-Xavier Bagnoud Center for Health and Human Rights:
http://www.hsph.harvard.edu/fxbcenter
Gesundheit und Menschenrechte:
www.who.int/hhr/readings/en
WHO Gesundheitsstatistiken:
http://www3.who.int//whosis/menu.cfm
Traditional Medicine:
http://www.who.int/mediacentre/factsheets/fs134/en
R E C H T AU F G E S U N D H E I T
MENSCHENRECHTE
DER FRAU
DIE GENDERPERSPEKTIVE DER MENSCHENRECHTE
FRAUENRECHTE ALS ERMÄCHTIGUNGSRECHTE
„Die Einbeziehung der Frau in die wirtschaftliche und soziale Entwicklung, ihre Chancengleichheit sowie die volle und gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern als Träger und Nutznießer einer auf den
Menschen ausgerichteten bestandsfähigen Entwicklung ist Voraussetzung
für die Beseitigung der Armut auf der Grundlage eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums, einer sozialen Entwicklung, des Umweltschutzes und
sozialer Gerechtigkeit ist.“
Erklärung und Aktionsplattform der Pekinger Weltfrauenkonferenz. 1995.
173
174
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
GESCHICHTE ZUR ILLUSTRATION
Die Geschichte von
Maria da Penha Maia Fernandes
Am 29. Mai 1983 wurde Maria da Penha Maia
Fernandes von ihrem Ehemann, Marco Antonio Heredia Viveiros, im Schlaf angeschossen.
Sie überlebte glücklicherweise, trug aber ernste
Verletzungen davon und litt neben anderen physischen und psychischen Traumata auch unter
irreversibler Querschnittslähmung. Nur zwei Wochen, nachdem sie aus dem Krankenhaus entlassen worden war, versuchte sie ihr Ehemann
zu durch einen Stromschlag zu töten, während
sie ein Bad nahm. Nach diesem zweiten Anschlag legte das Büro des Staatsanwaltes eine
Akte mit den gegen Herrn Viveiros erhobenen
Anschuldigungen an. Es dauerte acht Jahre, bis
das Bezirksgericht von Fortalezza zu einer Entscheidung kam. Am 4. Mai 1991 befanden die
Geschworenen Herrn Viveiros der Körperverletzung und des versuchten Mordes für schuldig
und verurteilten ihn zu zehn Jahren Gefängnis.
Nach einer Berufung fand 1996 ein zweiter Prozess statt, in dem Herr Viveiros zu zehn Jahren
und sechs Monaten Haft verurteilt wurde. Die
Verteidigung erhob neuerlich Einspruch. Jedoch
war es auf Grund der Verzögerungen im Rechtssystem nicht möglich, ein endgültiges Urteil über
dieses Verbrechen zu fällen.
Am 20. August 1998 stellten Maria da Penha
Maia Fernandes, das Zentrum für Gerechtigkeit und Völkerrecht (CEJIL) und das Lateinamerikanische und Karibische Komitee für
die Verteidigung der Frauenrechte (CLADEM)
einen Antrag an die Inter-Amerikanische Kommission für Menschenrechte, in dem sie die Republik Brasilien beschuldigten, 15 Jahre lang
keine wirkungsvollen Maßnahmen zur Verfolgung und Bestrafung Herrn Viveiros gesetzt
zu haben. Verletzungen der folgenden Artikel
wurden angeklagt: Art. 1 (1) (Verpflichtung
der Achtung der Rechte), Art. 8 (Recht auf eine
faires Verfahren), Art. 23 (Recht auf gleichen
Schutz) und Art. 25 (Recht auf gerichtlichen
Schutz) der Amerikanischen Konvention der
Menschenrechte; Art. II und XVIII der Amerikanischen Erklärung der Rechte und Pflichten
des Menschen; Art. 3, 4, 5 und 7 der InterAmerikanischen Konvention zur Prävention,
Sanktionierung und Beseitigung der Gewalt gegen Frauen (Konvention von Belém do Pará).
Wie in anderen Fällen kommentierte der Staat
Brasilien diesen Antrag nicht. In ihrem Bericht
vom 16. April 2001 befand die Inter-Amerikanische Kommission, dass Maria da Penha
Maia Fernandes’ Recht auf ein faires Verfahren
und gerichtlichen Schutz vom Staat Brasilien
verletzt wurde. Als Ergebnis dieses Berichts
wurde Herr Viveiros im Jahr 2002 dauerhaft
inhaftiert, beinahe 20 Jahre, nachdem er erstmals versucht hatte, seine Frau zu töten.
Diskussionsfragen
1. Was sind die in dieser Geschichte angesprochenen Hauptthemen?
2. Wie kann Gerechtigkeit geübt werden,
wenn der Zugang zum Gericht und die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften zum
Verfahrensablauf vom Geschlecht des Opfers abhängig sind?
3.Sind Gesetze und Verordnungen ausreichend, um gleiche Chancen für alle Menschen zu garantieren? Wodurch kann
darüber hinaus die Gleichbehandlung von
Mann und Frau gesichert werden?
4.Können ähnliche Vorfälle verhindert werden? Überlegen Sie, welche Mechanismen
auf lokaler, regionaler oder internationaler
Ebene verwendet werden können, um dies
zu erreichen.
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
WAS MAN WISSEN MUSS
1. Menschenrechte der Frau
Frauen mussten sehr lange um ihre Anerkennung als vollwertige Menschen und für die
Zuerkennung fundamentaler Menschenrechte
kämpfen. Unglücklicherweise ist dieser Kampf
noch lange nicht vorbei. Obwohl sich die Situation von Frauen beinahe weltweit deutlich
gebessert hat, behindern gesellschaftliche
Strukturen und Vorurteile die vollständige und
unverzügliche Umsetzung der Menschenrechte
der Frau auf der ganzen Welt. Das 20. Jahrhundert brachte neben vielen Verbesserungen auch
einige Rückschläge, und sogar in Zeiten des
Friedens und des Fortschritts wurde Frauen und
ihren Menschenrechten keine spezielle Aufmerksamkeit zuteil. Nichtsdestotrotz kämpften
Heldinnen zu allen Zeiten für ihre Rechte, mit
Waffen oder Worten. Eleanor Roosevelt beharrte
darauf, dass die Formulierung „alle Menschen
sind gleich“, den ursprünglichen Art. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von
1948, „alle Männer sind Brüder“, ersetzen sollte. Diese Änderungen brachten zum Ausdruck,
dass Menschenrechte allen Menschen gebühren, egal ob männlich oder weiblich, und formulierte Gleichberechtigung als Grundprinzip
der Menschenrechte.
Das Prinzip der Gleichberechtigung, wie
es im Gesetz geregelt ist, unterscheidet zwar
nicht vordergründig zwischen Frau und Mann
ist aber oft die Quelle für die versteckte Diskriminierung von Frauen. Wegen der unterschiedlichen Positionen und Rollen von Männern und
Frauen in der Gesellschaft führt gesetzliche
Gleichberechtigung oft zu tatsächlicher Diskriminierung. Diese Situation zwang Aktivistinnen für die Menschenrechte der Frau, die
Unterscheidung zwischen formaler und inhaltlicher Gleichberechtigung voran zu treiben.
In vielen Situationen konnten formale Ansätze, die auf der Annahme der Gleichheit aller
Menschen basierten, benachteiligten Menschen nicht helfen. Notwendig ist eine inhaltliche Definition von Gleichberechtigung, die
Mehrheiten, Unterschiede, Nachteile und Diskriminierung mit einbezieht.
Dairian Shanti betont in ihrem Artikel „Equality and the Structures of Discrimination“, dass
„Neutralität kein Gefühl für Benachteiligung
zulässt, die einige Menschen vom Genuss der
Gleichbehandlung abhält. Deshalb muss der
Schwerpunkt auf gleichen Ergebnissen oder
gleichem Nutzen liegen“. Echte Gleichberechtigung von Frau und Mann kann nur durch die
Verwirklichung von formaler und inhaltlicher
Gleichberechtigung erzielt werden.
Gender und das weitverbreitete Missverständnis der Menschenrechte der Frau
Das Konzept „Gender“ betrifft nicht nur Frauen und ihre Menschenrechte, sondern ist komplexer und bezieht sich auch auf Männer. Es
wurde erstmals in den 1970ern benutzt und
von Susan Moller als „die tief eingegrabene
„Die Umsetzung der numerischen
Mehrheit in die handelnde
Mehrheit für Frauen, durch Frauen,
in Partnerschaft mit den Männern,
ist der Inhalt des nächsten
Millenniums.“ (Übersetzung)
Azza Karam. 1998.
175
176
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
Institutionalisierung des Geschlechterunterschiedes, die unsere Gesellschaft durchdringt“
definiert. Seitdem entwickelte es sich aber
durch die dynamischen politischen, sozialen
und wirtschaftlichen Änderungen ständig weiter. Art. 7 des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofes aus dem Jahr 1998
definiert Gender als „die beiden Geschlechter,
Mann und Frau, im Kontext unserer Gesellschaft“, nachdem die StaatenvertreterInnen
das Konzept Gender intensiv diskutiert hatten,
wobei etliche von ihnen eine Ausweitung auf
die sexuelle Orientierung ablehnten.
Noch immer ist die Einstellung weit verbreitet,
dass Frauen als spezifische Gruppe benannt
werden anstatt als Hälfte der Weltbevölkerung, jedes Landes, jedes Stammes und vieler
Gesellschaften akzeptiert zu werden. Diese Auffassung zeigen auch Dokumente, in
denen Frauen in einem Absatz oder einem
Kapitel zusammen mit anderen gefährdeten
Gruppen wie Eingeborenen, älteren Personen,
Menschen mit Behinderung und Kinder auftauchen. All diese Gruppen verbindet, dass
sie immer wieder Ziel von Diskriminierungen
waren und noch immer sind, und ihre Rechte
nach wie vor nicht voll in Anspruch nehmen
können.
Gender ist eine nützliche Analysekategorie, die
dabei hilft, die unterschiedlichen Verantwortungen, Rollen und Positionen in der Gesellschaft,
die von Frauen und Männern eingenommen
werden, zu verstehen. Eine Genderanalyse in
Theorie und Praxis der Menschenrechte einzuführen, sensibilisiert für die Unterschiede von
Frauen und Männern in der Gesellschaft und
für die unterschiedlichen Arten von Verletzungen der Menschenrechte der Frau.
Es ist offenkundig, dass eine gendersensitive Denkweise gefördert werden sollte, damit
alle Menschen ohne Rücksicht auf Geschlecht,
Hautfarbe, „Rasse“ oder Religion dieselben
Rechte genießen können.
Menschliche Sicherheit und Frauen
Menschliche Sicherheit und der Status
von Frauen sind eng miteinander verbunden, da Konflikte tendenziell Ungleichheiten und Unterschiede zwischen
den Geschlechtern vertiefen. Frauen,
Kinder und ältere Menschen bilden die
Mehrheit der Flüchtlinge und Binnenvertriebenen und sollten spezielle Aufmerksamkeit und effektiv Schutz genießen.
Menschliche Sicherheit bedeutet aber
auch in Friedenszeiten die Sicherung des
Zugangs zu Bildung, sozialen Einrichtungen und Arbeit für alle Menschen.
Frauen wird der Zugang zu diesen Bereichen sehr oft erschwert. Frauen und
Kinder im Besonderen können von einer
menschenrechtlichen Interpretation der
Menschlichen Sicherheit profitieren, was
auch bedeutet, dass Menschliche Sicherheit ohne bedingungslose Anerkennung
aller Menschenrechte für alle nicht verwirklicht werden kann. Deshalb sollte
die Eliminierung jeglicher Form von Diskriminierung von Frauen und Kindern
auf dem Forderungskatalog der Menschlichen Sicherheit an oberster Stelle stehen. Von besonderem Interesse für die
Menschliche Sicherheit ist aber natürlich
auch die Situation von Frauen in bewaffneten Konflikten.
2. Definition und
Beschreibung des Themas
Um die Forderung von Frauen nach ihren
Menschenrechten heute zu verstehen, hilft es,
einen Blick auf die Geschichte der Frauenbewegung zu werfen.
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
Ein Rückblick auf die Geschichte
Die Französische Revolution markiert
den Anfang des Kampfes der Frauen
für ihre Anerkennung als gleichwertige
menschliche Wesen. In dieser Epoche
entstand nicht nur die generelle Forderung nach bürgerlichen und politischen
Rechten, es entwickelten sich auch die
ersten Frauenbewegungen für Befreiung
und Gleichstellung. Eine der berühmtesten Verfechterinnen war die Französin
Olympe de Gouges, die die Erklärung
der Rechte der Frau und Bürgerin
schrieb. Wie viele andere ihrer Mitstreiterinnen bezahlte sie ihr Engagement
auf der Guillotine.
„Die Frau ist frei geboren und bleibt dem
Manne gleich in allen Rechten.“
Art. 1, Erklärung der Rechte der Frau
und Bürgerin. 1791.
Auch Großbritannien kann auf eine
lange und einflussreiche Geschichte der
Frauenbewegung für Gleichberechtigung zurückschauen. Nicht zu Unrecht
wird es oft als Mutterland des Feminismus bezeichnet. Bereits in den 1830er
Jahren verlangten die britischen Frauen
das Wahlrecht für sich. Ihr Kampf um
das Wahlrecht dauerte mehr als 70 Jahre
und wurde mit unterschiedlichen Mitteln geführt. Der erste Erfolg kam 1918,
als britischen Frauen über 30 das aktive Wahlrecht zuerkannt wurde. Andere
Handlungsbereiche waren der Zugang zu
Bildung, das Recht verheirateter Frauen
auf Eigentum und das Recht von Frauen,
öffentliche Ämter zu bekleiden.
Besonders in Großbritannien und den
USA griffen Frauen auch zu drastischen
Maßnahmen wie Hungerstreik, um ihre
Forderungen durchzusetzen. Die berühmte Suffragette Emily Davison wählte den Tod, als sie sich 1913 bei einem
Pferderennen vor das Pferd von König
George V. warf.
Der International Council of Women
wurde bereits 1888 gegründet und existiert auch heute noch. Er hat seinen Sitz
in Paris und trägt aktiv zum Prozess der
Sicherung der Menschenrechte der Frau
bei. Zu seinen Aktivitäten gehören internationale Treffen, regionale und subregionale sowie nationale Seminare und
Arbeitsgruppen, ein intensives Entwicklungsprogramm in Kooperation mit internationalen Agenturen, Resolutionen,
die in der UNO-Generalversammlung
vorgeschlagen und angenommen wurden, Kooperation auf allen Ebenen mit
NGOs und die dreijährigen Aktionspläne
seiner fünf ständigen Komitees.
Die erste zwischenstaatliche Organisation, die sich mit den Menschenrechten
der Frau befasste, war die American
Commission on Women (CIM), die
1928 für Lateinamerika gegründet wurde.
Sie war verantwortlich für den Entwurf
des Inter-Amerikanischen Übereinkommens zur Staatsbürgerschaft der Frauen,
welche 1933 von der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) angenommen
wurde. Dieses Übereinkommen startete
eine Debatte über die Möglichkeiten der
Region, ein generelles menschenrechtliches Übereinkommen auszuarbeiten.
Seit den frühen Anfängen der UNO
1945 versuchten Frauen innerhalb deren
Struktur mitzuarbeiten und ihre Teilnah-
177
178
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
me auch im Inhalt und der Umsetzung
von menschenrechtlichen Instrumenten
und Mechanismen nachvollziehbar zu
machen. Die Kommission für den Status der Frauen (Commission for the Status of Women, kurz: CSW) wurde 1946
mit dem Mandat der globalen Förderung
der Menschenrechte der Frau gegründet.
Den ersten Vorsitz hatte Bodil Boegstrup
aus Belgien inne. Die CSW betrieb Lobbying für die ausdrückliche Nennung der
Menschenrechte der Frau in der AEMR.
Obwohl Frauen von Anfang an gleichermaßen zur Entwicklung des internationalen politischen, wirtschaftlichen und
sozialen Systems beigetragen hatten,
wurde den Angelegenheiten von Frauen
minimale Aufmerksamkeit geschenkt.
Jahrzehnte der Geschlechterblindheit
in menschenrechtlichen Dokumenten
machten die Menschen ebenfalls blind.
Die Grundrechte von mehr als der Hälfte
der Menschheit wurden unter den Teppich gekehrt und vergessen, was zu dem
Schluss führt, dass es keine Geschlechterneutralität in internationalen und nationalen Gesetzen geben kann, solange
Gesellschaften auf der ganzen Welt nicht
geschlechterneutral sind und weiterhin
Frauen diskriminieren.
Erst in den 1970er Jahren führten die Ungleichheit in vielen Bereichen des täglichen
Lebens, die Armut unter Frauen und die Diskriminierung von Mädchen zum Entschluss
der UNO, von 1976 bis 1985 die UNO-Dekade
für Frauen: Gleichberechtigung, Entwicklung und Frieden zu proklamieren. Diese
Dekade gipfelte 1979 in der Annahme des
Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form
der Diskriminierung der Frau (CEDAW). Dieses gilt als das wichtigste Menschenrechtsins-
trument für den Schutz und die Förderung der
Menschenrechte der Frau. Erstmals werden
Frauen darin als vollwertige Menschen anerkannt. Die CEDAW beinhaltet bürgerliche und
politische Rechte ebenso wie wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Rechte, wobei hier zwei
Kategorien, die ansonsten getrennt betrachtet
werden, in einem Dokument vereint sind.
Das Übereinkommen reguliert Themen, die das
öffentliche wie das private Leben von Frauen
betreffen. Etliche Artikel beschäftigen sich mit
der Rolle der Frau in Familie und Gesellschaft,
der Notwendigkeit geteilter Verantwortung
innerhalb der Familie und der Dringlichkeit
der Umsetzung von Änderungen in sozialen
und kulturellen Systemen, die zur untergeordneten Position der Frauen führen. Nur durch
solche elementare Änderungen kann die
weltweite Anerkennung der Menschenrechte der Frau erzielt werden. Sobald ein Staat
Vertragspartei der CEDAW geworden ist, ist er
dazu verpflichtet, unverzüglich mit allen ihm
zur Verfügung stehenden Mitteln eine Strategie zur Beseitigung der Diskriminierung von
Frauen entwickeln und durchsetzen.
„In diesem Übereinkommen
bezeichnet der Ausdruck ‚Diskriminierung der Frau’ jede mit dem Geschlecht
begründete Unterscheidung, Ausschließung oder Beschränkung, die zur Folge oder zum Ziel hat, dass die auf die
Gleichberechtigung von Mann und Frau
gegründete Anerkennung, Inanspruchnahme oder Ausübung der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch die
Frau – ungeachtet ihres Familienstandes
– im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, staatsbürgerlichen oder
jedem sonstigen Bereich beeinträchtigt
oder vereitelt wird.“
Art. 1, CEDAW.
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
Außerdem verlangt CEDAW von den Vertragsparteien die Einhaltung folgender
Punkte:
• Aufnahme des Prinzips der Gleichberechtigung von Frau und Mann in die
nationalen Verfassungen und einschlägigen Gesetzen;
• Sicherung der tatsächlichen Umsetzung des Prinzips der Gleichberechtigung;
• Annahme einschlägiger Gesetzgebung
und passender Maßnahmen, inklusive
Sanktionen, wenn angemessen, zum
Verbot jeglicher Diskriminierung von
Frauen;
• Einführung desselben gesetzlichen
Schutzes für Frauen wie für Männer;
• Abstandnahme von jeglicher Diskriminierung von Frauen und entsprechende Durchsetzung dieser Verpflichtung
durch alle Behörden und öffentlichen
Institutionen;
• Setzung aller angemessenen Maßnahmen zur Beseitigung jeder Diskriminierung von Frauen durch Privatpersonen,
Organisationen oder Unternehmen;
• Aufhebung aller nationalen Strafbestimmungen, die eine Diskriminierung
der Frauen darstellen können;
• Gewährleistung der vollen Entwicklung und Förderung von Frauen, damit sie ihre Menschenrechte und
Grundfreiheiten im gleichen Ausmaß
wie Männer genießen und ausüben
können;
• Änderung sozialer und kultureller
Handlungsmuster von Frauen und
Männern;
• Verwirklichung der Beseitigung von
Vorurteilen, Gewohnheiten und anderer Handlungsweisen, die auf der
•
•
•
•
•
Annahme der Minderwertigkeit oder
Unterordnung eines Geschlechtes oder
auf stereotypen Rollen von Frauen und
Männern basieren;
Gewährleistung
einer
Erziehung
durch die Familie, die ein geeignetes
Verständnis der Mutterschaft als soziale Funktion und die Anerkennung
der gemeinsamen Verantwortung von
Frauen und Männern für die Erziehung ihrer Kinder beinhaltet, wobei
das Wohl des Kindes das Maß der Dinge darstellt;
Ergreifung aller angemessenen Maßnahmen zur Unterdrückung aller
Formen von Frauenhandel und Ausbeutung von Frauen durch Prostitu­
tion;
Gewährleistung des aktiven und passiven Wahlrechts von Frauen in allen
Wahlen und Abstimmungen;
Gewährleistung desselben Rechts zur
Erlangung, Änderung oder Beibehaltung der Staatsbürgerschaft für Frauen
und Männer;
Gewährleistung derselben Rechte auf
dem Gebiet der Bildung für Frauen
und Männer.
Am 6. Oktober 1999 nahm die UNO-Generalversammlung das Fakultativprotokoll zum
Übereinkommen zur Beseitigung jeder
Form von Diskriminierung der Frau, welches 21 Artikel enthält, in einer für Frauen
bahnbrechenden Abstimmung einstimmig
an. Nunmehr ist eine Individualbeschwerde an den CEDAW-Ausschuss möglich. Mit
1. Oktober 2008 hatte das Protokoll 92 Mitgliedsstaaten.
Das Komitee zur Beseitigung jeder Form von
Diskriminierung der Frau bearbeitete bis Juli
2008 bisher zehn Individualbeschwerden,
179
180
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
führte eine Untersuchung durch und legte ei- welche die Regierungen bei der 4. Weltfrauennen Bericht über das untersuchte Land Mexi- konferenz 1995 in Peking abgegeben hatten.
ko vor.
Deshalb wird diese Sondersitzung auch „PeQuelle: CEDAW-Ausschuss, http://www2. king+5“ genannt.
ohchr.org/english/bodies/cedaw/index.htm
Die Pekinger Aktionsplattform
Die Wiener Weltkonferenz über wurde 1995 bei der 4. Weltfrauenkonferenz
Menschenrechte im Juni 1993 brachte tau- angenommen und ist von außerordentlicher
sende MenschenrechtsaktivistInnen und Ex- Bedeutung, weil sie in der Präambel und
pertInnen zusammen. Die Wiener Erklärung zwölf Kapiteln das umfassendste Programm
und der Aktionsplan betonen die Förderung der Menschenrechte der Frau mit einer Anaund den Schutz der Menschenrechte von Frau- lyse der Situation der Frauen und einer Unen und Mädchen generell sowie die Prävention tersuchung der Politiken, Strategien und
von Gewalt gegen Frauen. Es wird auch fest- Maßnahmen zur Förderung von Frauen weltgelegt, dass die Menschenrechte von Frauen weit enthält. Folgende zwölf Gebiete wurden
und Mädchen unveräußerlicher, unteilbarer darin behandelt: Armut, Bildung, Gesundheit,
und wesentlicher Bestandteil des universel- Gewalt, bewaffneter Konflikt, Wirtschaft, Entlen Menschenrechtssystems sind. Die volle scheidungsfindung, institutionelle Mechaund gleichberechtigte Teilnahme von Frauen nismen, Menschenrechte, Medien, Umwelt,
am politischen, bürgerlichen, wirtschaftli- Mädchen sowie institutionelle und finanzielle
chen, sozialen und kulturellen Leben sowie Maßnahmen.
die Beseitigung jeglicher Form der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts werden als Frauen und Armut
vorrangige Zielsetzungen der internationalen Um die unterschiedlichen Auswirkungen von
Gemeinschaft genannt.
Armut auf Frauen und Männer zu verstehen,
muss man die Aufteilung des Arbeitsmarktes
Die Kommission für den Status der Frauen aufgrund des Geschlechts beachten. Allzu oft
(CSW) organisierte als Teil ihres Mandates arbeiten Frauen im Haushalt, erfüllen ihre
vier große, globale Konferenzen mit dem Ziel Pflichten bei der Pflege von Kindern, Kranken
des Mainstreaming der Frauenrechte als Men- und Alten, ohne Bezahlung zu erhalten und
ohne Versicherung, obwohl ihr Beitrag wirtschenrechte:
schaftlich und sozial notwendig ist und deshalb hoch angesehen sein sollte.
• Mexiko City, 1975
• Kopenhagen, 1980
Die Arbeitsteilung aufgrund des Geschlechts
• Nairobi, 1985
ist eine jener strukturellen Dimensionen von
• Peking, 1995
Armut, die Frauen betreffen. Die biologische
Zusätzlich wurde im Jahr 2000 eine Sonder- Funktion der Mutterschaft ist eine weitere
sitzung der UNO-Generalversammlung zum strukturelle Dimension, die aber auch als soThema „Frauen 2000: Geschlechtergleichbe- ziale Funktion der Elternschaft und als soziale
rechtigung, Entwicklung und Friede für das Verantwortung gesehen wird.
21. Jahrhundert“ in New York abgehalten.
Ziel dieser Sitzung war die Beurteilung der Armut wird auch durch ungleiche Bezahlung
Fortschritte bei den Eintrittsverpflichtungen, für gleiche Arbeit sowie verweigerten oder be-
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
„Während Armut ganze Haushalte
betrifft, tragen Frauen aufgrund
der geschlechterbedingten Arbeitsteilung und der Verantwortung
für den Haushalt eine unverhältnismäßig große Belastung, indem
sie den Konsum des und die Produktion durch den Haushalt unter
immer dürftiger werdenden Bedingungen zu managen versuchen.“
Entscheidungsprozessen eingeschränkt. Im Zusammenhang mit Migration führt Armut auch
zu einem Anstieg des Frauenhandels, speziell
in Lateinamerika, Asien und Osteuropa.
Frauen und Gesundheit
Die Gesundheit von Frauen beinhaltet ihr emotionales, soziales und körperliches Wohlbefinden und wird durch die sozialen, politischen
und wirtschaftlichen Zustände ihres Lebens
sowie die Biologie bestimmt. Reproduktive
Gesundheit bedeutet das komplette körperliche, geistige und soziale Wohlbefinden sowie
sexuelle Gesundheit, mit dem Ziel der Verbesserung des Lebens und der persönlichen
(Übersetzung)
Beziehungen. Gleichberechtigte Beziehungen
Pekinger Aktionsplattform. 1995.
zwischen Frauen und Männern in punkto sexueller Beziehung und Fortpflanzung verlangen wechselseitigen Respekt, Einverständnis
schränkten Zugang zu Bildung, öffentlichen und geteilte Verantwortung. Die Realität ist
und sozialen Einrichtungen, Erbrechten oder aber oft anders, wie dieses Beispiel von den
Eigentumsrechten an Grund und Boden her- Philippinen zeigt:
vorgerufen.
Die politische Dimension der Armut zeigt die
ungleiche Verteilung der Rechte zwischen Mitgliedern unserer Gesellschaft und stellt ein
wesentliches Hindernis für den Zugang zu
bürgerlich-politischen, sozialen, kulturellen
und wirtschaftlichen Rechten dar. Außerdem
werden der Zugang zu Informationen und die
Teilnahme an öffentlichen Organisationen und
„Die Hauptursache für den Tod von
Frauen im gebärfähigen Alter hängt mit
Schwangerschaft und Geburt zusammen.
Schwere Blutungen nach der Geburt
führen diese Liste an, gefolgt von blutdruckbedingten Schwangerschaftserkrankungen (Präeklampsie und Eklampsie).
„Chilenische Statistiken aus dem Jahr 1996 zeigen, dass Männer
63% der Wirtschaftsleistung erarbeiten und keine einzige Haushaltsarbeit erledigen, während Frauen 37% der Wirtschaftsleistung
und 100% der Haushaltsaufgaben zu erledigen haben. Das
Ausmaß dieser unbezahlten Arbeit stützt die Gesellschaft und
bildet die strukturelle Basis für weibliche Armut.“ (Übersetzung)
Rosa Bravo. 1998.
1 81
182
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
Eine von sechs Schwangerschaften auf
den Philippinen wird mit einer illegalen
Abtreibung beendet, weil sie entweder
ungewollt oder ungeplant ist. Viele der
300.000 bis 400.000 illegalen Abtreibungen pro Jahr führen zu Sepsis oder zum
Tod. Zumindest 2 Millionen Frauen im
gebärfähigen Alter möchten Familienplanung betreiben, aber können dies aus einer Reihe von Gründen wie mangelndem
Zugang zu Familienplanungseinrichtungen nicht. 7 Millionen Frauen tragen
hohe Schwangerschaftsrisiken, da sie
entweder zu jung sind (unter 18 Jahren),
bereits vier oder mehr Schwangerschaften
hinter sich haben oder mehrfach in kurzer Folge schwanger wurden und damit
zusammenhängend erkrankten ... und
trotz dieser Risiken werden jedes Jahr 2,6
Millionen Frauen schwanger. Die Sterberate unter Müttern beträgt 172 Tote auf
100.000 Lebendgeburten, und die Säuglingssterblichkeit von 36 Toten auf 1.000
Geburten gehört zu den höchsten Raten
der Welt.“ (Übersetzung)
Quelle: Domini M. Torrevillas. 2002.
Gesundheit
Frauen und Gewalt
In vielen Gesellschaften werden Frauen und
Mädchen Opfer von körperlicher, sexueller
und psychischer Gewalt, unabhängig von
ihrem Einkommen, ihrem gesellschaftlichen Status und der Kultur, in der sie leben.
Frauen fallen Vergewaltigungen, sexueller
Misshandlung, sexuellen Schmähungen und
Einschüchterungen zum Opfer. Sexuelle
Sklaverei, erzwungene Schwangerschaft, erzwungene Prostitution, Sterilisierung und Abtreibung, pränatale Geschlechterselektion und
Mord an weiblichen Babys gehören ebenfalls
zu den Gewalttaten gegen Frauen. Alle diese
Taten verletzen und behindern den Genuss
der Menschenrechte und Grundfreiheiten der
Frau, oder machen sie zunichte. Deshalb war
die im Konsens erfolgte Annahme der Erklärung über die Beseitigung der Gewalt gegen
Frauen durch die UNO-Generalversammlung
1993 ein äußerst wichtiges Signal. Außerdem
wurde 1994 eine Sonderberichterstatterin zu
Gewalt gegen Frauen ernannt.
Durchsetzung und Umsetzung
„Unter Gewalt gegen Frauen sind, ohne
darauf beschränkt zu sein, die folgenden Handlungen zu verstehen:
a.körperliche, sexuelle und psychische
Gewalt in der Familie, einschließlich
körperlicher Misshandlungen, des sexuellen Missbrauchs von Mädchen
im Haushalt, Gewalttätigkeit im Zusammenhang mit der Mitgift, Vergewaltigung in der Ehe, weibliche
Beschneidung und andere für Frauen
schädliche Praktiken, Gewalt außerhalb der Ehen und Gewalttätigkeit im
Zusammenhang mit Ausbeutung;
b.körperliche, sexuelle und psychische
Gewalt im Umfeld der Gemeinschaft,
einschließlich der Vergewaltigung,
sexueller Missbrauch, sexuelle Belästigung und Einschüchterung am Arbeitsplatz, in Bildungseinrichtungen
und anderenorts; Frauenhandel und
Zwangsprostitution;
c. staatliche oder staatlich geduldete körperliche, sexuelle und psychische Gewalt, gleichviel wo sie vorkommt.“
Art. 2, Erklärung über die Beseitigung
von Gewalt gegen Frauen. 1994.
Neben dem internationalen System widmen
sich auch einige regionale Organisationen
der Prävention und möglichst vollständigen
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
„24 Frauen aus Polen, Russland, Italien, Albanien und der Türkei wurden
von der Polizei bei einer Razzia in einem deutschen Bordell, in dem sie
als Sklavinnen und Prostituierte festgehalten worden waren, befreit. 2 der
Frauen waren 7 Monate lang ohne Tageslicht eingesperrt gewesen. Eine
kriminelle Gruppe mit 16 Verdächtigen aus der Türkei, Italien und Albanien wurde verhaftet. Die Polizei sucht nach weiteren sechs. Drei
Polizeibeamte aus Lüdenscheid werden verdächtigt, mit dem Menschenhändlernetzwerk zusammen gearbeitet zu haben. Die Operation war eine
der größten gegen einen organisierten Verbrecherring in Deutschland.“
Erich Reimann. 1996.
auf Frauen abzielt, um so den Feind zu zerstören. Vergewaltigung, häufig vorkommend
in bewaffneten Konflikten, ist ein Verbrechen
und kann sogar Völkermord sein, wenn Vergewaltigung mit dem Ziel begangen wurde, eine
Gruppe in ihrer Gesamtheit oder einem Teil zu
zerstören – so das Ad-hoc-Tribunal für Ruanda im Fall Akayesu: „Ethnische Säuberungen“
als Kriegsstrategie und Vergewaltigung als
Am 16. Mai 2005 verabschiedete der Europarat eine der verwendeten Methoden müssen ins
das Übereinkommen zur Bekämpfung des Visier genommen werden und dürfen nicht
Menschenhandels mit dem Ziel, Menschen- mehr in der Grauzone der Straflosigkeit verhandel vorzubeugen, Opfer und auch poten- sinken. Das Statut des Internationalen Straftielle Opfer zu schützen sowie die TäterInnen gerichtshofs von 1998 bringt zum ersten Mal
zur Rechenschaft zu ziehen. Am 1. Februar in der Geschichte eine explizite Äußerung zu
2008 ist das Übereinkommen in Kraft getreten Verbrechen wie Vergewaltigung, erzwungene
Es bringt wichtige Fortschritte auf dem Gebiet Schwangerschaft oder erzwungene Prostitutider Opferhilfe wie verpflichtende psychologi- on und sieht ein System vor, das sowohl den
sche Betreuung der vorwiegend weiblichen Tätern als auch den Opfern Gerechtigkeit bringen soll.
Opfer des Menschenhandels.
Beseitigung von Gewalt gegen Frauen. So
sieht zum Beispiel das Inter-Amerikanische
Menschenrechtssystem den Schutz durch das
Inter-Amerikanische Übereinkommen über
die Prävention, Bestrafung und Beseitigung
von Gewalt gegen Frauen von Belém do Pará
von 1995 vor.
Good Practices
Frauen und bewaffneter Konflikt
Frauen sind oft unter den ersten Opfern eines
Krieges oder eines bewaffneten Konfliktes. In
ihrem Aufsatz „The Second Front: The Logic
of Sexual Violence“ beschreibt Ruth Seifert,
dass in vielen Fällen die militärische Strategie
Nur selten spielen Frauen eine aktive Rolle
bei den Entscheidungen, die zu bewaffneten
Konflikten führen, vielmehr versuchen sie die
soziale Ordnung inmitten dieser Konflikte aufrecht zu erhalten und mit all ihren Kräften ein
relativ normales Leben zu sichern.
183
184
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
Zusätzlich haben Frauen einen unverhältnismäßig großen Anteil an den Folgen eines
bewaffneten Konfliktes zu tragen, wie das Internationale Zentrum zur Frauenforschung in
seinem Informationsblatt zum postkonfliktuellen Wiederaufbau anführt.
Viele Frauen sind als Witwen mit der extrem
belastenden Aufgabe konfrontiert, ihre Familien zu erhalten und gleichzeitig mit ihrem eigenen Trauma, ausgelöst durch Gewalt gegen
sie selbst, fertig zu werden. All diese Faktoren
müssen bei der Planung zukünftiger Friedensmissionen einkalkuliert werden, um Frauen
und ihren besonderen Bedürfnissen möglichst
große Unterstützung zu kommen zu lassen.
Frauen und natürliche Ressourcen
Der Ausschnitt von „Monocultures, Monopolies, Myths and the Masculinisation of Agriculture“ von Vandana Shiva zeigt, dass Frauen
in Indien eine große Rolle bei der Bewahrung
von Wissen über natürliche Ressourcen und
Umwelt spielen. Dass Frauen jahrtausendelang Saatgut gesammelt und vermehrt haben,
trifft aber nicht nur auf Indien zu, sondern
auf die gesamte Welt. Durch Gebrauch und
sorgsame Verwaltung natürlicher Ressourcen
sorgen Frauen für den Lebensunterhalt ihrer
Familien und Gemeinden.
Die Zerstörung natürlicher Ressourcen wirkt
sich negativ auf die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Lebensqualität der Bevölkerung
im Allgemeinen, aufgrund der gesellschaftlichen Arbeitsteilung aber besonders auf
Frauen aus. Zudem werden ihr Wissen, ihre
Fähigkeiten und Erfahrungen von den zumeist
männlichen Entscheidungsträgern nicht berücksichtigt.
„Das Phänomen der Biopiraterie, wodurch
westliche Unternehmen den Frauen der
Dritten Welt ihr kollektives Wissen und
die Innovation von Jahrhunderten stehlen, nimmt epidemische Auswüchse an.
Diese Biopiraterie wird nun als Partnerschaft zwischen der Agrarindustrie und
den Frauen der Dritten Welt gerechtfertigt.
Für uns kann aber Diebstahl nicht Basis
einer Partnerschaft sein.“ (Übersetzung)
Vandana Shiva. 1998.
Mädchen
In vielen Ländern sind Mädchen von frühester
Kindheit an mit Diskriminierung konfrontiert.
Wegen schädigender Haltungen und Handlungen wie weiblicher Beschneidung, Bevorzugung von Söhnen, sexueller Ausbeutung
und Gesundheitsgefährdung sowie ungleicher Lebensmittelzuteilung erreichen weniger
Mädchen als Buben das Erwachsenenalter.
In Gesellschaften, die Söhne bevorzugen, ist
Kindsmord an Mädchen weit verbreitete Praxis. Durch den Mangel an Schutzgesetzen oder
Fehler bei ihrer Umsetzung sind Mädchen gefährdeter, Gewalt, im speziellen sexueller Gewalt, zum Opfer zu fallen. In vielen Regionen
der Welt werden Mädchen beim Zugang zu
Bildung und Weiterbildung diskriminiert.
Ein Beispiel aus einer indischen Zeitung:
„In einem neuerlichen Fall von Kindsmord
in einem Dorf dieses Distriktes wurde ein
neugeborenes Mädchen von seinen Eltern
und Großeltern durch Gift getötet. Die
Eltern und Großeltern wurden verhaftet
und eine Anzeige gem. IPC Section 302
(Mord) gegen sie erstattet, wie Bezirkspolizeisuperintendent M.N. Manjunatha
den Journalisten am Samstag berichtete.
Der Verwaltungsbeamte von Mollahallo
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
Pudur reichte eine Beschwerde ein, dass
Kavitha ihr drittes Kind zur Welt gebracht
hatte, es aber vergiftet worden ist.“ (Übersetzung)
Quelle: India Info, 17.12.2000,
http://newsarchives.indiainfo.com/
2000/12/17/17female.html
und Mädchen ist ein vorrangiges Anliegen der Regierungen und der Vereinten
Nationen und für die Förderung der Frau
von wesentlicher Bedeutung.“
Wiener Weltkonferenz über
Menschenrechte. 1993.
Trotz des weit verbreiteten Konzepts der Universalität sind viele Bereiche des alltäglichen
Lebens der Frau Quelle für Kontroversen. In
3.Interkulturelle Perspektiven
manchen Religionen genießen Frauen nicht
und strittige Themen
dieselbe Behandlung wie Männer. Die VerweiDas Konzept der Universalität ist von zent- gerung von gleichem Zugang zu Bildung und
raler Bedeutung für die Menschenrechte und Arbeitsmöglichkeiten sowie der ausdrückliche
besonders unverzichtbar für die Menschen- Ausschluss von politischen Entscheidungen
rechte der Frau. Kulturelle Vielfalt wird allzu werden als normal betrachtet. In extremen
oft als Entschuldigung oder Hindernis bei der Fällen stellen diese Politiken und AuffassunUmsetzung der Menschenrechte der Frau he- gen eine Gefahr für die persönliche Sicherheit
rangezogen. Das folgende Dokument wurde und das Recht auf Leben der Frauen dar.
während der Wiener Weltkonferenz zu den
Menschenrechten 1993 als essentielle Errun- 2002 wurde eine nigerianische Frau durch ein
Scharia-Gericht zum Tod durch Steinigung vergenschaft für die Frauen angenommen:
urteilt. Nach Amnesty International Australien war das vermutlich begangene Verbrechen
die Geburt eines unehelichen Kindes. Das Ur„Die Aktionsplattform bekräftigt, dass
teil verursachte großen Aufruhr und stellt die
alle Menschenrechte – die bürgerlichen,
Kompatibilität von manchen kulturellen und
kulturellen, wirtschaftlichen, politischen
religiösen Praktiken mit der Universalität der
und sozialen Rechte, einschließlich des
Menschenrechte in Frage.
Rechts auf Entwicklung – gemäß der Erklärung und dem Aktionsprogramm von
Eine andere religiöse Praktik, die das tägWien, die von der Weltkonferenz über
liche Leben der Frauen beeinflusst, ist die
Menschenrechte verabschiedet wurden,
Hindu-Tradition der Sati oder Suttee, wobei
allgemeingültig und unteilbar sind, eidie Witwe mit ihrem verstorbenen Ehemann
nander bedingen und miteinander ververbrannt wurde. Diese Praxis wurde zwar
knüpft sind. Die Konferenz bekräftigt,
bereits 1829 von der britischen Regierung verdass die Menschenrechte der Frauen und
boten, der letzte bekannte Fall stammt jedoch
Mädchen ein unveräußerlicher, integraler
aus dem Jahr 2002.
und unteilbarer Bestandteil der allgemeinen Menschenrechte sind. Der volle und
Heutzutage wird der politischen Beteiligung
gleichberechtigte Genuss aller Menschenvon Frauen größere Bedeutung als je zuvor
rechte und Grundfreiheiten durch Frauen
zugemessen, da Frauen ihre eigenen Interes-
185
186
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
sen am besten vertreten können. In den letzten
50 Jahren wurde den Frauen in immer mehr
Staaten das aktive und passive Wahlrecht zugestanden. Das sollte hoffentlich zu einer gendersensitiven Politik weltweit führen.
Demokratie
und HIV/Aids wird weiters festgestellt, dass
Mädchen ein großes Risiko tragen, entweder
durch ihre Mütter oder durch sexuelle Gewalt
mit HIV infiziert zu werden.
Seit dem Fall des Kommunismus verdienen
Frauen in postkommunistischen Ländern ein
Drittel weniger als ihre männlichen Kollegen
im selben Job mit denselben Qualifikationen.
Innerhalb der Europäischen Union setzt Art.
141 des EG-Vertrages den Grundsatz der gleichen Bezahlung für gleiche Arbeit mit der
gleichen Qualifikation fest. In der Realität
sind aber noch viele EU-Mitgliedsstaaten weit
vom Erreichen dieses Zieles entfernt.
Arbeit
Die volle Umsetzung der Menschenrechte
der Frau braucht spezielle Anstrengungen
zur Neuinterpretation vieler Menschenrechtsinstrumente und zur Entwicklung neuer
Mechanismen zur Gewährleistung von Geschlechtergleichberechtigung.
Auch Gewohnheiten und Traditionen bilden
eine Gefahrenquelle für Mädchen. Die weibliche Genitalverstümmelung (Female Genital
Mutilation/FGM), wurde bislang an 135 Millionen Frauen und Mädchen weltweit ausgeführt. Weitere zwei Millionen Mädchen sind
dem großen Risiko ausgesetzt, verstümmelt
zu werden, d.h. täglich sind 6.000 Mädchen
betroffen. Im Wesentlichen wird die weibliche
Genitalverstümmelung in Teilen Afrikas und
einigen Ländern im Mittleren Osten praktiziert. Migra­tionsbewegungen haben sie aber
auch nach Asien, in den pazifischen Raum,
nach Nord- und Lateinamerika und Europa
gebracht.
Die Tradition der Kinderheirat führt bei Mädchen auch zu Gesundheitsproblemen. Weit
verbreitet in Asien, führt frühe Verheiratung
zu früher Schwangerschaft und verursacht damit eine Müttersterblichkeit, die bei Mädchen
zwischen 10 und 14 fünf mal so hoch ist wie
bei Frauen zwischen 20 und 24, so der Bericht
zur Gesundheit von Mädchen des NGO-Komitees zur UNICEF. In dem ebenfalls von diesem
Komitee stammenden Bericht zu Mädchen
4. Durchsetzung und Überwachung
Die Umsetzung der Menschenrechte der
Frau betreffend gibt es verschiedene Ansätze, die nicht nur von Regierungen, sondern
auch von der Zivilgesellschaft befolgt werden
sollten.
• Der grundlegende Ansatz ist die Verbreitung des Wissens über Instrumente und
Mechanismen zu den Menschenrechten
der Frau durch Menschenrechtsbildung
im formalen und im informellen Bildungssystem. Frauen können ihre Rechte nur
ausüben, wenn sie auch darüber Bescheid
wissen.
• Ein weiterer Schritt ist die Ermutigung
der Frauen, ihre Staaten bei der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus den von
ihnen ratifizierten Menschenrechtsinstrumenten zu überwachen. Sollten diese
Staatenverpflichtungen nicht erfüllt werden, können NGOs einen Parallel- oder
Schattenbericht an den betreffenden Ausschuss richten. Frauen sollten auch darin
bestärkt werden, Parallelberichte an den
CEDAW-Ausschuss und andere Organisationen zu schicken. Schattenberichte
erlauben es der Zivilgesellschaft, ihre
Regierungen für die Einhaltung der Verpflichtungen und Zugeständnisse auf der
internationalen Ebene verantwortlich zu
machen. Außerdem tragen sie zur Erhö-
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
hung des Bekanntheitsgrades des CEDAWDie Wiener Weltkonferenz über MenBerichtssystems bei.
schenrechte 1993 unterstützte die Einführung
• In Ländern, die das Fakultativprotokoll eines neuen Mechanismus, der Sonderbezur CEDAW noch nicht ratifiziert haben, richterstatterin zur Gewalt gegen Frauen.
sollten Kampagnen für seine rasche Ra- Nach Radhika Coomaraswamy aus Sri Lanka
tifizierung durchgeführt werden. Die Ra- bekleidet seit August 2003 Yakin Ertürk aus der
tifizierung bedeutet, dass diese Länder Türkei diese Funktion. Als Teil ihrer Aufgaben
dadurch die Kompetenz des Ausschus- besucht sie Länder und untersucht dort den
ses über die Beseitigung jeder Form von Grad der Gewalt gegen Frauen. Sie gibt aber
Diskriminierung der Frau für den Erhalt auch Empfehlungen ab, wie Länder ihre Praxis
und die Bearbeitung von Individualbe- mit internationalen Normen auf dem Gebiet der
schwerden aus ihren Ländern anerken- Menschenrechte in Einklang bringen können.
nen. Der Ausschuss überwacht auch die
Einhaltung der Verpflichtungen aus der Trotz deutlicher Verbesserungen auf dem
CEDAW.
Gebiet der Menschenrechte der Frau in den
• Ein wichtiger Schritt für die volle Um- letzten 30 Jahren brachte der Aufstieg von ulsetzung der Menschenrechte der Frau ist trakonservativem und fundamentalistischem
auch das Training von Frauenanwäl- Gedankengut in vielen Gesellschaften einen
tInnen im Gebrauch von menschen- enormen Rückschritt für die Menschenrechrechtlichen Instrumenten. Denn noch te der Frau mit sich. Das betont aber nur die
immer kennen nur wenige Frauen die in- enorme Bedeutung einer konstanten Fordeternationalen Menschenrechtsinstrumen- rung nach der vollen Umsetzung der Mente, und noch weniger Frauen wissen um schenrechte, koste es was es wolle.
ihre daraus resultierenden Möglichkeiten.
„Die Beteiligung von Frauen an der Politik kann nicht länger
als Gefallen durch die noch immer weitgehend männerdominierten
Institutionen gesehen werden, sondern als Verantwortung und
Verpflichtung, eine demokratischere und egalitärere Welt zu schaffen.“
(Übersetzung)
Bengt Save-Soderberg,
Generalsekretär von IDEA International.
187
188
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
Was man wissen sollte
1. Good Practices
Geschichte der Menschenrechte der Frau dar.
In einem fünfjährigen Prozess wurde diese
In den letzten Jahren widmeten sich Regie- vom Interamerikanischen Frauenkomitee vorrungen und NGOs dem schwierigen Prozess bereitet. Das Übereinkommen bietet einen
der Ausarbeitung von rechtlich verbindlichen politischen und rechtlichen Rahmen für eine
Normen zur Sicherung der Menschenrechte schlüssige Strategie zur Bekämpfung des Geder Frau und Projekten, die von praktischer waltproblems, indem es alle Mitgliedsstaaten
Bedeutung für die darin niedergeschriebenen verpflichtet, offizielle Strategien zur Gewaltprävention und Opferhilfe zu ergreifen. Fast
Standards und Zielsetzungen sind.
alle Länder der Region haben das ÜbereinDie neue gendersensitive Auslegung inter- kommen bereits ratifiziert.
nationaler Menschenrechtsinstrumente hat
Im Rahmen der Afrikanischen
bereits begonnen, wie das Beispiel der AnnahCharta der Rechte des Menschen
me des General Comments Nr. 28 des UNOMenschenrechtsausschusses vom März 2000 und der Völker wurde zur Sicherung einer
zeigt. Unter Anwendung des Art. 3 des ICCPR gendersensitiven Leseart der Charta ein Zuüber das gleiche Recht von Mann und Frau satzprotokoll zu den Rechten der Frauen in
zur Ausübung all ihrer bürgerlichen und poli- Afrika erarbeitet. Es wurde am 11. Juli 2003
tischen Rechte überprüfte der Ausschuss alle von der Afrikanischen Union angenommen,
trat am 25. November 2005 in Kraft und wurArtikel des Paktes.
de bis 1. Juli 2008 von insgesamt 23 Staaten
CLADEM, der Lateinamerikanische und Ka- ratifiziert.
ribische Ausschuss für die Verteidigung der
Frauenrechte, setzte 1992 eine Kampagne zur Die NGO „People’s Movement for Human
Erarbeitung einer Allgemeinen Menschen- Rights Learning“ (PDHRE) trug mit ihrem Buch
rechtserklärung mit einer Genderperspektive „Passport to Dignity“ und dem dazugehörigen
in Gang, an der Organisationen aus der gan- Video „Women hold up the Sky – Frauen trazen Welt beteiligt waren. Diese wird nun als gen den Himmel“ zur Förderung der MenschenSchattenerklärung für Lehrzwecke genutzt. rechte der Frau bei. Der Passport enthält eine
Das Ziel ist es, Frauen nicht nur Menschen- weltweite Untersuchung der zwölf Bereiche von
rechte zu lehren, sondern auch in diesen Rah- Peking und vergleicht rechtliche Verpflichtunmen ihre eigenen Erfahrungen, Bedürfnisse gen mit der Realität in vielen Ländern, einerseits
und Wünsche, in ihrer eigenen Sprache, mit durch ExpertInnenberichte und andererseits
einfließen zu lassen.
durch Erfahrungsberichte aus erster Hand. Ein
weiteres Handbuch, „Between their Stories and
Die Annahme des Inter-Amerikanischen our Realities“, wurde 1999 vom Wiener Institut
Übereinkommens über die Prävention, Be- für Entwicklung und Zusammenarbeit und der
strafung und Beseitigung von Gewalt gegen Abteilung für Entwicklungszusammenarbeit im
Frauen in Belém do Pará von 1995 stellt ei- österreichischen Ministerium für Auswärtige
nen der bedeutendsten Meilensteine in der Angelegenheiten anlässlich des 20. Jubiläums
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
der CEDAW und als Teil der Serie „Women hold
up the Sky“ produziert. Diese Beiträge stellen
wichtige Unterlagen für das Training von Aktivistinnen für die Menschenrechte der Frau dar.
Die deutsche NGO „Terre des Femmes“ organisierte 2002 eine Kampagne gegen Menschenhandel von Frauen und unterstützte das
Malinowka-Projekt in Minsk, Weißrussland,
das Frauen informiert und vor der Gefahr,
dem Menschenhandel in die Prostitution und
sexuelle Misshandlung zum Opfer zu fallen,
warnt. Öffentliche Aufmerksamkeit erreichte
die Medienkampagne gegen Zwangsprostitution rund um die Fußballweltmeisterschaft
2006. Die Jahreskampagne 2007 stand unter
dem Motto „Gewalt gegen Frauen ist Alltag“.
Quelle: http://www.terredesfemmes.de
2. Trends
Im letzten Jahrzehnt wurden Frauen-NGOs zu
einer Vielzahl von menschenrechtlichen und
humanitären Themen aktiv. 1998 nahm eine
Gruppe von Frauen an der Rom-Konferenz zur
Erarbeitung eines Statuts für den Internationalen Strafgerichtshof teil, um sicherzustellen,
dass die Angelegenheiten der Frauen ernsthaft
in Betracht gezogen und in das Statut aufgenommen würden. Schnell wurde diesen Frauen aber klar, dass Frauenanliegen ohne einen
organisierten Ausschuss nicht verteidigt und
gefördert werden konnten. Das Römische Statut, das am 1. Juli 2002 in Kraft trat, zeigt aber,
dass sie dennoch erfolgreich waren.
Mit dem Statut des Internationalen Strafgerichtshofes erreichte humanitäres Völkerrecht einen neuen Meilenstein. Die
Entwicklungen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien und in Ruanda bezüglich
des Schutzes von Frauen zeigten die Notwendigkeit eines Internationalen Strafgerichtshofes. Mit 1. Juli 2008 haben es 107 Staaten
ratifiziert, und insgesamt 139 Staaten haben
das Statut unterschrieben.
Im Römischen Statut werden bestimmte Verbrechen, die zumeist gegen Frauen begangen
werden, zum ersten Mal ausdrücklich unter
Strafe gestellt. So stellt Art. 7 (1) fest, dass
„Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung
zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation und alle anderen
Formen sexueller Gewalt“ ähnlichen Ausmaßes Verbrechen gegen die Menschlichkeit
sind. Außerdem kommt Opfern und ZeugInnen spezielle Aufmerksamkeit zu, da „ihre
„An diesem Punkt möchte ich den Frauen des Ausschusses für
Geschlechtergerechtigkeit Tribut zollen, die Erfahrungen von Frauen in
Kriegszeiten eingebracht, Strategien zur Behandlung von Verletzungen
identifiziert, intensive Opposition von vielen VertreterInnen bei den
Verhandlungen zum Internationalen Strafgerichtshof überwunden und
es geschafft haben, dass Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, erzwungene
Schwangerschaft und andere Formen sexueller und auf Gender basierender
Gewalt im Statut des ICC enthalten sind.“ (Übersetzung)
Mary Robinson, ehemalige
UNO-Menschenrechtshochkommissarin.
189
190
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
Sicherheit, ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden, ihre Würde und ihre Privatsphäre“
gesichert sein müssen. Die Möglichkeiten des
nichtöffentlichen Verfahrens sowie die Aussage über Videolink sind ebenfalls vorgesehen.
All diese Vorkehrungen wurden auch durch
die Erfahrungen der beiden Ad-hoc-Tribunale
für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda
beeinflusst.
Quelle: http//:www.iccnow.org
Auch auf nationaler Ebene waren Frauenbewegungen bei der Durchsetzung ihrer Forderungen erfolgreich. In Uganda konnten weibliche
Parlamentarierinnen eine Landreform durchsetzen, die Frauen das Recht gab, ihre verstorbenen Ehemänner zu beerben. Frauen können
sich so auch nach dem Tod ihrer Ehemänner
selbst ihren Unterhalt sichern. Nach diesem
Erfolg wurden nun neue Unternehmungen
in Angriff genommen, wie zum Beispiel ein
Gesetz, das häusliche Gewalt und Polygamie
unter Strafe stellt.
Quelle: http://www.oneworld.org/pis2/sept
98/17_03_046.html
„Die meisten dokumentierten Fälle passierten zwischen Herbst 1991 und Ende
1993, mit einer Konzentration von Fällen zwischen April und November 1992.
Obwohl von Vergewaltigungen moslemischer, kroatischer und serbischer Frauen
berichtet wurde, betraf die Mehrheit der
Fälle die Vergewaltigungen von moslemischen Bosnierinnen durch serbische
Männer. Die Täter waren Soldaten, Paramilitärs, lokale Polizisten und Zivilisten. Die Anzahl der Vergewaltigungen
ist umstritten. Eine Delegation der Europäischen Gemeinschaft nannte die Zahl
20.000; das bosnische Innenministerium
berichtete von 50.000; die Expertenkom-
mission lehnt es ab, über eine Zahl zu
spekulieren.“ (Übersetzung)
Catherine N. Niarchos. 1995.
3. Zeittafel
1791 Erklärung der Rechte der Frau und
Bürgerin von Olympe de Gouges
1888 Einrichtung des International
Council of Women (ICW)
1921 Internationale Übereinkunft zur
Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels mit Zusatzprotokoll
1933 Internationales Übereinkommen
zur Unterdrückung des Handels
mit volljährigen Frauen
1950 Konvention zur Unterdrückung
von Menschenhandel und Ausbeutung von Prostituierten
1953 Übereinkommen über die politischen Rechte der Frauen
1957 Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit verheirateter Frauen
1962 Übereinkommen über die Erklärung des Ehewillens, das Heiratsmindestalter und die Registrierung
von Eheschließungen
1967 Erklärung über die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der
Frauen
1975 Erste Weltfrauenkonferenz in Mexiko-Stadt
1976 Start der UNO-Dekade zu den
Frauen: Gleichberechtigung, Entwicklung und Friede
1979 Übereinkommen über die Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frauen (CEDAW)
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
1980 Zweite Weltfrauenkonferenz in
Kopenhagen
1985 Dritte Weltfrauenkonferenz in
Nairobi
1985 Annahme der Nairobi ForwardLooking-Strategies
1993 Wiener Weltkonferenz zu den
Menschenrechten
1993 Erklärung über die Beseitigung
der Gewalt gegen Frauen
1995 Vierte Weltfrauenkonferenz in Peking
1995 Interamerikanisches Übereinkommen über die Prävention, Bestrafung und Beseitigung von Gewalt
gegen Frauen von Belém do Pará
1998 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofes
1999 Fakultativprotokoll zur CEDAW
2000 23. Sondersitzung der UNO-Generalversammlung zu „Frauen 2000:
Geschlechtergleichberechtigung,
Entwicklung und Friede für das
21. Jahrhundert“
2003 Zusatzprotokoll zu den Rechten
der Frauen in Afrika
2005 Peking+10: Revision und Bestandsaufnahme der Ergebnisse
der Pekinger Weltfrauenkonferenz
von 1995 und der 23. Sondersitzung der Generalversammlung
von 2000
Ausgewählte Übungen
Übung I: Die CEDAW für
Normalsterbliche
Teil I: Einleitung
Ziel dieser Übung ist es, ein besseres Verständnis der CEDAW zu bewirken – insbesondere
bei NichtjuristInnen, die mit juristischer Terminologie nicht vertraut sind.
Zielgruppe: Jugendliche und Erwachsene
Gruppengröße/Sozialform: 20-25; Arbeit in
Kleingruppen und Plenardiskussion
Zeit: ca. 60 Minuten
Materialien: Kopien der CEDAW, Papier, Stifte
Fertigkeiten: Juristische Terminologie lesen
und beschreiben, Kommunizieren, Kooperation, Bewerten verschiedener Gesichtspunkte.
Teil II: Allgemeine Information
Teil III: Spezifische Information
Art der Übung: Diskussion
Beschreibung der Übung/Anleitung: Nach
Ziele: Bewusstsein für die Rechte von Frauen einer Einführung in die CEDAW teilt die/der
wecken, sich mit juristischer Terminologie ver- TrainerIn die TeilnehmerInnen in Kleingruptraut machen, verschiedene Gesichtspunkte pen zu jeweils vier oder fünf Personen ein.
zu Frauenrechten Herausarbeiten, juristische Jede Gruppe erhält einen Teil der CEDAW mit
Instrumente für die Arbeit mit Frauenrechten der Aufgabe, diesen ins Nichtjuristische, also
diskutieren
in die Alltagssprache, zu übersetzen. Es kön-
1 91
192
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
nen auch alle Gruppen den oder die gleichen
Artikel bekommen, was die Diskussion um
Details spannender macht, weil unterschiedliche Auffassungen bestimmter Formulierungen auftreten können.
Das Resultat der „Übersetzungen“ wird in der
Großgruppe präsentiert und diskutiert. Danach sollten die TeilnehmerInnen die Situation in ihrem eigenen Land betrachten. Eine
Diskussion zumindest einiger der folgenden
Fragen könnte bei der Beurteilung möglicher
Veränderungen hilfreich sein:
• Trennt Ihre Gesellschaft Frauenrechte von
Menschenrechten? Wie wird diese Unterscheidung vorgenommen: Durch das Gesetz? Durch Gewohnheit?
• Ist diese Trennung offen? Ist sie eine Lebenswirklichkeit, über die man nicht spricht?
• Betrifft sie alle Frauen? Wenn nicht, welche
Frauen sind am meisten betroffen?
• Beschreiben Sie Beispiele von Geschlechtertrennung.
• Wie reagieren Frauen auf diese Trennung?
• Gibt es Menschenrechte, in deren Genuss
Männer selbstverständlich kommen, während sich Frauen besonders anstrengen
müssen, um sie zu erlangen?
• Gibt es Lebensbereiche, in denen von
Frauen erwartet wird, nur durch die Vermittlung von Männern zu agieren? Welche
Hindernisse gibt es für die Autonomie von
Frauen?
• Was sagt die Verfassung Ihres Landes über
Frauenrechte? Gibt es Unterschiede zwischen Realität und Verfassung?
• Wissen Sie von einer aktuellen Klage betreffend die Menschenrechte von Frauen? Was
ist der Gegenstand? Welche Rechte sind betroffen?
• Kennen JuristInnen im Allgemeinen die
CEDAW und andere rechtliche Instrumente,
die sich mit Frauenrechten befassen?
Praktische Hinweise: Die Arbeit in Kleingruppen von vier oder fünf Personen ermöglicht
intensivere Diskussionen und gibt darüber
hinaus auch stillen oder schüchternen TeilnehmerInnen die Möglichkeit, sich zu beteiligen. Die Resultate der Gruppenarbeit sollten
allerdings immer in der Großgruppe präsentiert und diskutiert werden, um den gleichen
Informationsstand für alle TeilnehmerInnen
sicherzustellen.
Variationsvorschläge: Die Übung kann, je
nach Interessenslage der TeilnehmerInnen
und Thema des Seminars, mit jedem Rechtsdokument durchgeführt werden.
Teil IV: Follow-up
Eine passende Follow-up-Aktivität könnte das
Organisieren einer Frauenrechtskampagne
sein.
Verwandte Rechte und Themen: Menschenrechte im Allgemeinen, Minderheitenrechte
Übung II: Körpersprache von
Frauen und Männern
Teil I: Einleitung
„Was du sagst, ist 10% der Botschaft – wie du
es sagst 90%.“ Die meisten Menschen sind
sich kaum dessen bewusst, wie sehr Körpersprache Erscheinung und Kommunikation
beeinflusst, noch weniger bekannt ist die Tatsache, dass Frauen und Männer nicht nur mit
Worten, sondern auch in Bewegungen und
Gesten unterschiedlich agieren.
Teil II: Allgemeine Information
Art der Übung: Selbsterfahrung
Ziele: Sensibilisierung für Formen der Kommunikation, Förderung von Empathie, Verstehen von Geschlechtsrollen
Zielgruppe: Jugendliche und Erwachsene;
Mädchen und Burschen ab 12
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
Gruppengröße: 20-25; Kleingruppen- und
Partnerarbeit plus Plenum
Zeit: ca. 60 Minuten
Vorbereitung: Die TeilnehmerInnen brauchen
genügend Raum, um sich zu bewegen.
Fertigkeiten: Kreative Fähigkeiten, Schauspiel
• Ein Vater ärgert sich über seine Tochter,
weil sie spät nach Hause gekommen ist.
• Ein junger Mann spricht eine Frau auf der
Straße an.
• Eine neue Kollegin bittet einen Kollegen um
Hilfe, weil sie noch nicht viel über die Firma weiß.
• Ein Paar isst im Restaurant, zahlt und geht.
Nach der Vorführung der kleinen Rollenspiele
könnte ein möglicher Diskussionspunkt die
Wirkung „vertauschter“ Körpersprache sein,
d.h. wie die Gesellschaft reagiert, wenn ein
Mann wie eine Frau agiert und umgekehrt.
Praktische Hinweise: Für die TeilnehmerInnen kann es eine sehr interessante Erfahrung
sein, weibliche und männliche Geschlechtsrollen zu vertauschen, allerdings auch sehr
schwierig für Menschen aus Kulturen mit sehr
strikten und unterschiedlichen Geschlechtsrollen. Daher muss die/der TrainerIn genau
abwägen, was sie/er erwarten kann, ohne
eine „Rebellion“ zu riskieren.
Teil III: Spezifische Information
Beschreibung der Übung/Anleitung: Zuerst
denken sich weibliche Teilnehmerinnen typisch männliche Körpersprache aus, und
männliche Teilnehmer typisch weibliche,
beispielsweise typische Positionen beim Gehen, Sitzen oder im Gespräch mit anderen
Menschen in verschiedenen Situationen. Die
TeilnehmerInnen sollten nicht nur über Körpersprache sprechen, sondern auch verschiedene Gesten und Positionen ausprobieren.
Die/der TrainerIn sollte dann den TeilnehmerInnen geschlechtsspezifisches Verhalten
und Körpersprache in verschiedenen Situationen demonstrieren (z.B. auf Bildern oder
Fotografien). Die TeilnehmerInnen sollten versuchen, die gezeigten Positionen zu imitieren Teil IV: Follow-up
und über ihre Gefühle in einer bestimmten Eine passende Follow-up-Übung könnte die
Analyse von weiblicher und männlicher KomSituation nachzudenken.
munikation beispielsweise in einer Diskussion
Nach dieser Eingangsübung wird die Gruppe oder einem Film sein.
in (vorzugsweise gemischtgeschlechtliche) Verwandte Rechte und Themen: MenschenPaare geteilt. Jedes Paar sollte eine der folgen- rechte im Allgemeinen, Minderheitenrechte
den Szenen als kleines Rollenspiel ausarbeiten und der Gesamtgruppe präsentieren:
193
194
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
BIBLIOGRAPHIE
Abiella, Rosalie. 1987. The Evolutionary Nature of
Equality. In: Kathleen Mahoney und Sheilah Martin.
Equality and Judicial Neutrality. Carswell: Toronto.
Achieng, Judith. 1998. RIGHTS-UGANDA: Women
benefit from new Land Legislation. http://www.oneworld.org/ips2/sept98/17_03_046.html
Amnesty International Australia. 2002. Defending
Women’s Rights. Nigeria: Condemnation of the Death
Penalty. Concerns on the Implementation of new Sharia-based Penal Codes. http://www.amnesty.org.au/
women/action-letter09.html
Amnesty International. Female Gender Mutilation – A
Human Rights Information Pack. http://www.amnesty.
org/ailib/intcam/femgen/fgm1.htm
Amnesty International (Hg.). 1995. Frauen in Aktion
- Frauen in Gefahr: Weltweite Kampagne gegen Menschenrechtsverletzungen an Frauen. Bonn: O.V.
Benedek, Wolfgang, Gerd Oberleitner und Esther
Kisaakye (Hg.) 2002. Human Rights of Women: International Instruments and African Experiences. London: Zed Books.
Boletín Red. 1998. Feminista Latinoamericana y del
Caribe contra la violencia doméstica y sexual. Isis, No.
20. Santiago de Chile: Editores Isis.
Falcón O’Neill, Lidia. 1999. Historia de los Derechos
de las Mujeres. La construcciòn del Sujeto Politico. Seminario Internacional de Derechos Humanos. Lima:
Movimiento Manuela Ramos.
India Info. 2000. Another girl child killed in Tamil Nadu.
http://newsarchives.indiainfo.com/2000/12/17/
17female.html
Inter-American Commission on Human Rights – Organization of American States. 2001. Report N°54/01,
Case 12.051, Maria da Penha Maia Fernandes – Brazil.
h t t p : / / w w w. c i d h . o a s . o r g / a n n u a l r e p / 2 0 0 0
eng/ChapterIII/Merits/Brazil12.051.htm
International Center for Research on Women. 1998.
Information Bulletin: After the Peace: Women in PostConflict Reconstruction. http://www.icrw.org/docs/
postconflictinfobulletin.pdf
ICTR. 1998. The Prosecutor vs. Jean-Paul Akayesu.
ICTR-96-4.
Kamat, Jyostna. 1997. The Tradition of Sati in India.
http://www.kamat.com/kalranga/hindu/sati.htm
Karam, Azza. 1998. Beyond Token Representation. In:
IDEA. Women in Parliament: Beyond Numbers. http://
www.idea.int/women/parl/toc.htm
Bravo, Rosa. 1998. Pobreza por razones de género.
Precisando conceptos. En Género y Pobreza, Nuevas dimensiones. Santiago de Chile: Editores Isis.
Kartusch, Angelika, Katharina Knaus und Gabriele
Reiter. 2000. Bekämpfung des Frauenhandels, Studienreihe des Boltzmann Institutes für Menschenrechte,
Band 9. Wien: Verlag Österreich.
Cook, Rebecca. 1994. State Accountability under
the Women`s Convention. In: Cook, Rebecca. Human
Rights of Women. Philadelphia: University of Pennsylvania Press
Koenig, Shulamith. 1998. Embracing Women as Full
Owners of Human Rights. In: Eva Haxton und Claes
Olsson (Hg.), Gender Focus on the WTO. Uppsala:
ICDA.
Davison, Emily. Biography. http://www.spartacus.
schoolnet.co.uk/Wdavison.htm
Moller Okin, Susan. 1998. Justice, Gender and the Family. New York: Basic Books.
ECLAC Women and Development Unit. 2000. The
Challenge of Gender Equity and Human Rights on the
Threshold of the twenty-first Century. Santiago: ECLAC
Neuhold, Brita, Renate Pirstner und Silvia Ulrich.
2003. Menschenrechte – Frauenrechte. Wien: Studien
Verlag.
Erbe, Birgit. 1998. Frauen fordern ihr Recht. Hamburg:
Argument Verlag.
NGO Committee on UNICEF. Factsheet: Girl Child
Health Issues. http://www.girlsrights.org/factsheets/
health.pdf
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
NGO Committee on UNICEF. 2000. Factsheet: Girl
Child Health Issues. http://www.girlsrights.org/factsheets/hivfactsheet.pdf
Shiva, Vandana. 1994. Das Geschlecht des Lebens.
Frauen, Ökologie und dritte Welt. Hamburg: Rotbuch
Verlag.
GV-Resolution A/Res/48/104 vom 20.12.1993. Declaration on the Elimination of Violence against Women.
Wiener Erklärung und Aktionsprogramm. 1993. VN
Dok. A/CONF.157/23.
Niarchos, Catherine M. 1995. Women, War, and
Rape: Challenges Facing the International Tribunal for
the Former Yugoslavia. Human Rights Quarterly 17.4
(1995) 649-690. http://muse.jhu.edu/demo/human_
rights_quarterly
Torrevillas, Domini M. 2002. Why I am for House Bill
4110, The Philippine Star, August 29, 2002.
Pandjiarjian, Valeria. 2003. Investigating and Analyzing a Strategy. In: Women, Law and Development
International. Saõ Paulo: Cladem Brazil.
People’s Decade for Human Rights Education. 2002.
Passport to Dignity. New York: PDHRE.
People’s Decade for Human Rights Education. 2002.
Women hold up the Sky. New York: PDHRE.
People’s Decade for Human Rights Education. 1999.
Between their Stories and our Realities. New York:
PDHRE.
Power, Carla. 2002. The Shackles of Freedom. The End
of Communism was supposed to make Life better for
Women. Has it? Newsweek International, 18.3.2002.
http://www.cdi.org/russia/johnson/6142-2.cfm
Reimann, Erich. 1996. Germany Breaks up Sex Slave
Ring. Associated Press, 13.12.1996. http://www.catwinternational.org/fb/Germany.html
Seifert, Ruth. 1996. The Second Front: The Logic of Sexual Violence in Wars, Women’s Studies International
Forum 19 (1/2) 1996, 35-43.
Schirrmacher, Christine und Ursula Spuler-Stegemann. 2007. Frauen und die Scharia: Die Menschenrechte im Islam. München: Goldmann.
Shanti, Dairiam. 1998. Equality and the Structures of
Discrimination. In: Danieli Yael, Elsa Stamatopoulou
und Clarence Dias (Hg.). The Universal Declaration
of Human Rights: Fifty Years and Beyond. New York:
Haworth.
Shiva, Vandana. 1998. Monocultures, Monopolies,
Myths and the Masculinisation of Agriculture. http://
gos.sbc.edu/s/shiva2.html
United Nations. 2001. Multilateral Treaty Framework:
An Invitation to Universal Participation, Focus 2001:
Right of Women and Children. http://untreaty.un.org/
English/TreatyEvent2001/index.htm
United Nations. 2000. Women, Peace and Security,
Study submitted by the Secretary-General pursuant to
Security Council resolution 1325.
Verein Frauenrechte-Menschenrechte. 1997. Frauengezeiten: Peking far away?: Bericht zur Tagung über den
Umsetzungsstatus der Aktionsplattform der Weltfrauenkonferenz. http://www.plattformgegendiegewalt.at
von Schorlemer, Sabine. 2007. Die Vereinten Nationen
und neuere Entwicklungen der Frauenrechte. Frankfurt:
Peter Lang.
Wollstonecraft, Mary. 2008. Die Verteidigung der
Frauenrechte. Aachen: Ein-Fach-Verlag.
ZUSÄTZLICHE INFORMATIONEN
Campaign for a Latin American and Caribbean Convention on Sexual Rights and Reproductive Rights:
http://www.convencion.org.uy
CLADEM – Latin American and Caribbean Committee for the Defense of Women Rights:
http://www.cladem.org
Economic Commission for Latin America and the
Caribbean:
http://www.eclac.org
Equality Now:
http://www.equalitynow.org
Frauen 2000:
http://www.uno.de/wiso/frauen/nr9.pdf
International Council of Women:
http://www.icw-cif.org
195
196
M E N S C H E N R E C H T E D E R F R AU
Menschenrechte von Frauen:
http://www.frauen-menschenrechte.de/ai1.htm
Organization of American States:
http://www.oas.org
People’s Movement for Human Rights Education:
http://www.pdhre.org
RSMLAC – Latin American Women’s Health
Network:
http://www.rsmlac.org
Terre des Femmes – Menschenrechte für die
Frau e.V.:
http://www.terredesfemmes.de
United Nations: Commission on the Status of
Women:
http://www.undp.org/fwcw/csw
United Nations: Committee on the Elimination
of Discrimination against Women:
http://www.un.org/DPCSD/daw/cedaw
United Nations: Division for the Advancement
of Women:
http://www.un.org/DPCSD/daw
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
RECHTSSTAATLICHKEIT
UND
FAIRES VERFAHREN
DAS KONZEPT DER RECHTSSTAATLICHKEIT IN
DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFTEN
DAS FAIRE VERFAHREN – KERNELEMENT
DER RECHTSSTAATLICHKEIT
DIE ELEMENTE EINES FAIREN VERFAHRENS
„Rechtsstaatlichkeit ist mehr als nur der formale Gebrauch von Rechtsinstrumenten; Rechtsstaatlichkeit ist auch ein Garant für Gerechtigkeit und
für den Schutz aller Mitglieder der Gesellschaft vor exzessiver Regierungsgewalt.“
Internationale Juristenkommission. 1986.
197
198
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
GESCHICHTE ZUR ILLUSTRATION
Früh am Morgen des 16. Dezember 1988 wur- Am 18. Dezember 1988 wurde Herrn A eine
de Herr A in seinem Haus gemäß Absatz 12 Beratung mit seinem Anwalt gestattet, der
des British Prevention of Terrorism Act von Herrn A’s Angaben über Misshandlungen no1984 in Zusammenhang mit einem versuchten tierte. Der Anwalt beschloss, diese BeschwerBombenattentat auf Militärpersonal verhaftet. den nicht der Polizei weiterzugeben.
Herr A wurde in die Castlereagh-Polizeiwache
gebracht. Er gab an, dass er sofort bei der An- Am 19. Dezember 1988 wurde Herr A gemeinkunft nach seinem Anwalt verlangt habe. Herr sam mit anderen vor dem Belfaster BezirksgeA wurde gemäß der Criminal Evidence Order richt der Mittäterschaft bei der Verursachung
von 1988 festgehalten. Da Herr A dieses neue von Explosionen, des Besitzes von explosivem
Gesetz nicht kannte, verlangte er erneut einen Material mit Verwendungsvorsatz und der VerAnwalt zu sprechen. Dieses Ansuchen wurde schwörung zum Mord sowie der Mitgliedschaft
ihm verweigert. Am selben Tag wurde Herr A bei der Irischen Republikanischen Armee anfünf Mal von zwei verschiedenen Teams, beste- geklagt.
hend aus zwei Kriminalbeamten, befragt. Die
Am 17. September 1990 begann das Verfahletzte Befragung fand um Mitternacht statt.
ren von Herrn A und seinen Mitbeschuldigten
Am 17. Dezember 1988 beschwerte sich Herr A bei am Belfast Crown Court vor einem Einzelricheinem Arzt über Misshandlungen während zwei- ter ohne Geschworene. Herr A plädierte nicht
er Befragungen am Vortag. Der Arzt vermerkte schuldig. Die Anklage basierte auf den Gein seiner Akte, dass Herr A vorbrachte, während ständnissen, die Herr A in den Befragungen
der zweiten und dritten Befragung wiederholt ge- gemacht hatte, insbesondere auf der schriftschlagen und gelegentlich in die Hinterseite des lichen Aussage, die er selbst unterschrieben
Kopfes geboxt worden zu sein, außerdem erhielt hatte. Herr A machte anschließend in der Gerichtsverhandlung keine Aussage. Dennoch
er einige Schläge in den Magen.
verurteilte der Verhandlungsrichter Herrn A zu
Anschließend fanden an diesem Tag eine zwanzig Jahren Gefängnis.
sechste, siebente und achte Befragung statt.
Herr A brach sein Schweigen und gab detail- Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechlierte Antworten zu einigen Fragen, in denen te entschied diesen Fall am 6. Jänner 2000. Er
er seine Beteiligung an der Herstellung und fand, dass das Recht auf ein faires Verfahren
Hinterlegung der Bombe gestand. Während nach Art. 6 der EMRK verletzt worden war.
der siebenten Befragung unterzeichnete Herr A
eine übermäßig lange Aussage, die in erhebli- Quelle: Europäischer Gerichtshof für Mencher Detailgetreue die Mittäterschaft des Herrn schenrechte. 2000. Fall Magee v. das VereiA bei der Hinterlegung und Zündung der Bom- nigte Königreich. Urteil vom 6. Juni 2000.
be beschrieb.
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
Diskussionsfragen
1. Was glauben Sie, aus welchen Gründen
Herr A so behandelt wurde?
2.Welche Rechte wurden Ihrer Meinung nach
verletzt?
3. Hätte es etwas geändert, wenn Herrn A zu
einem früheren Zeitpunkt ein Anwalt beigestellt worden wäre?
4.Was, denken Sie, kann getan werden, um
ähnlichen Vorfällen vorzubeugen?
5. Kennen Sie internationale Schutzmechanismen, die in solchen Fällen angewendet
werden können?
WAS MAN WISSEN MUSS
1. Einführung
dass zumindest eine/r von ihnen eine Sprache spricht, die Sie nicht verstehen, und dass
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen als Angeklagte/r es keine/n DolmetscherIn gibt. Im Laufe der
in einem Gerichtssaal ohne zu wissen, warum. Gerichtsverhandlung erfahren Sie von der/
Ihre Verwirrung steigt noch mehr, als die/der vom RichterIn, dass dies schon die zweite VerRichterIn mit der Verlesung der Anklage be- handlung ist und die erste ohne Ihre Anweginnt. Die Tat, derer Sie beschuldigt werden, senheit stattfand. Je länger die Verhandlung
wurde noch nie als illegal angesehen, da sie andauert, desto offensichtlicher wird es für
in den derzeit geltenden Gesetzen nicht als Sie, dass jede/r von Ihrer Schuld überzeugt ist,
Tatbestand niedergeschrieben ist. Niemand und dass es eigentlich nur mehr um die Frage
beantwortet Ihre Fragen, Sie fühlen sich nicht des Strafausmaßes geht ...
in der Lage sich selbst zu verteidigen, und ein
Rechtsbeistand ist nicht verfügbar. Es kommt Dieses Beispiel zeigt, was passieren kann,
noch schlimmer: Als mit der Anhörung der wenn die Grundlagen eines fairen VerfahZeugInnen begonnen wird, finden Sie heraus, rens verletzt werden. Das Recht auf ein faires
Verfahren gehört zu den Kernelementen eines
Rechtsstaates.
Rechtsstaatlichkeit
Obwohl die Rechtsstaatlichkeit ein Eckpfeiler der demokratischen Gesellschaft ist, gibt
es keinen internationalen Konsens bezüglich
ihrer Definition. Dennoch scheint außer Streit
zu stehen, dass die Rechte der BürgerInnen
gegen willkürliche Akte hoheitlicher Gewalt
nur dann ausreichend geschützt sind, wenn
sie gesetzlich verankert werden. Diese Gesetze
199
200
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
„Ja, die Rechtsstaatlichkeit beginnt zu Hause. Aber in zu
vielen Bereichen bleibt sie oberflächlich. Hass, Korruption,
Gewalt und Ausgrenzung bleiben ungesühnt. Den Schwachen mangelt es an effektiven Rechtsbehelfen und die
Mächtigen manipulieren Gesetze, um an der Macht zu
bleiben und sich zu bereichern. Zeitweise werden sogar
im notwendigen Kampf gegen den Terrorismus die
bürgerlichen Rechte verletzt.“ (Übersetzung)
Kofi Annan, ehemaliger UNO-Generalsekretär. 2004.
müssen öffentlich bekannt sein, gleichmäßig angewendet und effektiv durchgesetzt
werden. Dadurch wird offensichtlich, dass
der Vollzug staatlicher Gewalt auf Gesetzen
basieren muss, die gemäß der Verfassung beschlossen wurden und deren Ziel der Schutz
der Freiheit, der Justiz und der Rechtssicherheit ist.
Im Jahre 1993 bekräftigte die Wiener Weltkonferenz über Menschenrechte erneut die
untrennbare Verbindung des Prinzips der
Rechtsstaatlichkeit mit dem Schutz und der
Förderung der Menschenrechte. Das Fehlen
von Rechtsstaatlichkeit wurde als einer der
größten Hinderungsgründe für die Durchsetzung der Menschenrechte anerkannt. Sie bildet die Grundlage einer gerechten Regelung
der Beziehungen zwischen den Menschen
und gilt als Stütze des demokratischen Prozesses. Weiters garantiert die Rechtsstaatlichkeit
die Verantwortlichkeit der Machthabenden
und deren Kontrolle durch das Gesetz.
Historische Entwicklung
der Rechtsstaatlichkeit
Die Idee der Rechtsstaatlichkeit kann bis
ins antike Griechenland zurückverfolgt
werden. Philosophen wie Aristoteles
stellten das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit über das Prinzip der Zwangsherrschaft. Ansätze unseres heutigen
Verständnisses von Rechtsstaatlichkeit
waren in der Folge im mittelalterlichen
England festzustellen. Schon 1066 wurde eine zentrale Verwaltung durch Wilhelm, den Eroberer, eingeführt. Obwohl
der König die zentrale Regierungs-, Gesetzgebungs- und richterliche Gewalt
verkörperte, stand er selbst nicht über
dem Gesetz – es war erst das Gesetz,
das ihn zum König machte. Aus diesem
Verständnis heraus stärkten die Gerichte
und das Parlament zusammen mit dem
Adel ihren Einfluss im nationalen System
und schufen die erste parlamentarische
Monarchie in Europa.
Die historischen Ecksteine der Entwicklung der Rechtsstaatlichkeit waren die
Magna Charta (1215), die dem Adel
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
bestimmte bürgerliche und politische
Rechte gewährte, und die Habeas–Corpus-Akte (1679), die Inhaftierten das unabdingbare Recht auf Information über
den Grund ihrer Freiheitsbeschränkung
gab.
Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit erlangte im 17. und 18. Jahrhundert vor
dem Hintergrund der bürgerlichen Revolutionen in Europa an Bedeutung.
Heutzutage ist die Rechtsstaatlichkeit
weltweit ein Kernelement fast sämtlicher
nationaler und regionaler Institutionen.
Das faire Verfahren als
Kernelement der Rechtsstaatlichkeit
Rechtsstaatlichkeit bedeutet vor allem das
Bestehen von öffentlich kundgemachten und
nichtdiskriminierenden Gesetzen. Dennoch ist
ihre bloße Existenz ohne eine effektive Durchsetzung wirkungslos. Der Staat muss Institutionen wie Gerichte, Staatsanwaltschaft und
Polizei schaffen, die den Schutz des Rechtssystems garantieren. Diese Institutionen sind selbst
an die Menschenrechte und Grundfreiheiten
gebunden, wie sie zum Beispiel im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische
Rechte (Zivilpakt), der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten (EMRK), der Amerikanischen
Menschenrechtskonvention (AMRK) und der
Banjul-Charta der Rechte des Menschen und
der Völker verbindlich festgelegt sind.
Hervorzuheben ist, dass der Internationale
Pakt über bürgerliche und politische Rechte,
die Internationale Konvention zum Schutz
des Kindes, die Afrikanische Kinderrechtscharta und die Amerikanische Menschenrechtskonvention speziell auf Minderjährige
eingehen. Zum Beispiel garantieren die Art.
6 und 14 des Zivilpaktes, dass im Falle der
Inhaftierung von Jugendlichen deren Alter
berücksichtigt und ihre Resozialisierung unterstützt werden soll. Es ist somit Aufgabe der
Mitgliedsstaaten, gesetzliche Grundlagen zu
schaffen, die festlegen, ab welchem Mindestalter die Straftaten von Jugendlichen verfolgt
werden und bis zu welchem Alter Minderjährige nach dem Gesetz noch als Jugendliche
angesehen werden. Des Weiteren sind Sondergerichte und Verfahrensregeln vorzusehen,
die „die Förderung der Resozialisierung“ von
Minderjährigen garantieren.
Im Sommer und Herbst 2002 terrorisierte eine einen Monat andauernde Serie
von Morden Washington, DC. Während
dieser Zeit wurden zehn Menschen von
einem Scharfschützen erschossen und
drei weitere schwer verletzt. Am 24. Oktober verhaftete die Polizei schließlich
zwei Männer: den 42-jährigen John Allen Muhammad und seinen 17-jährigen
Komplizen, John Lee Malvo. Letzterem,
obwohl noch minderjährig, drohte in
Virginia eine Verurteilung zum Tode.
Dies hat eine öffentliche Diskussion zur
Frage ausgelöst, ob die Todesstrafe für einen Minderjährigen je gerechtfertigt sein
kann. Am 23. Dezember 2003, nachdem
John Lee Malvo für seine Beteiligung an
den Sniper-Morden für schuldig erkannt
wurde, entschied die Jury in Chesapeake,
Virginia, die Todesstrafe auszusetzen
und empfahl die Umwandlung in eine
lebenslange unbedingte Haftstrafe. Am
10. März 2004 wurde John Lee Malvo
entsprechend dieser Empfehlung rechtskräftig verurteilt.
Quelle: American Bar Association – Defending Liberty Pursuing Justice. Lee
Boyd Malvo. http://www.abanet.org/
crimjust/juvjus/malvo.html
2 01
202
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
Exekutionen von minderjährigen StraftäterInnen seit 1990
Jahr
Exekutionen von
minderjährigen
StraftäterInnen
Exekutionen
weltweit
Länder, in den minderjährige StraftäterInnen
exekutiert werden (Zahl der Exekutionen in Klammer)
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2
0
6
5
0
0
0
2
3
2
6
3
3
2
4
8
2.029
2.086
1.708
1.831
2.331
3.276
4.272
2.607
2.258
1.813
1.457
3.048
1.526
1.146
3.797
nicht verfügbar
Iran (1), USA (1)
Iran (3), Pakistan (1), Saudiarabien (1), USA (1)
USA (4), Jemen (1)
---Nigeria (1), Pakistan (1)
USA (3)
Iran (1), USA (1)
Kongo (Dem. Rep.) (1), Iran (1), USA (4)
Iran (1), Pakistan (1), USA (1)
USA (3)
China (1), USA (1)
China (1), Iran (3)
Iran (8)
(Quelle: Amnesty International: http://web.amnesty.org)
In einer Grundsatzentscheidung des US Supreme Court vom 1. März 2005 wurde die Todesstrafe für JugendstraftäterInnen, welche
zum Tatzeitpunkt das 18. Lebensjahr noch
nicht überschritten haben, für allgemein unzulässig erklärt.
2. Definition und Beschreibung
des fairen Verfahrens
Was ist ein faires Verfahren? Das
Recht auf ein faires Verfahren bezieht sich auf
den gerechten Verfahrensablauf vor Zivil- und
Strafgerichten. Die rechtsstaatliche Gerichtsbarkeit beruht auf einer institutionellen (zum
Beispiel Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
des Gerichts) und einer verfahrensrechtlichen
Säule (zum Beispiel Fairness der Anhörung).
Das Prinzip des fairen Verfahrens inkludiert
eine Serie von individuellen Rechten, die ei-
nen gerechten Ablauf vom Moment der Verdächtigung bis zur Durchsetzung des Urteils
gewährleisten.
Mindeststandards der Rechte von Beschuldigten:
1. Alle Personen sollen die gleichen Rechte vor Gericht haben, und alle haben
das Recht auf die gleichen Mindeststandards in einem fairen Verfahren.
2. Jede Person hat das Recht auf freien
Zugang zu einem wirksamen und fairen Rechtsmittel.
3.Das Gericht oder Tribunal muss zuständig, unabhängig und unparteiisch
sein und auf dem Gesetz basieren.
4.Jede Person hat das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren. Jedoch
kann die Öffentlichkeit in bestimmten
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
Ausnahmefällen vom Verfahren ausgeschlossen werden.
5.Jede Person, die einer Straftat angeklagt wird, gilt bis zum gesetzlichen
Beweis ihrer Schuld als unschuldig.
6.Jede Person hat das Recht, dass ihr
Fall innerhalb einer angemessenen
Frist verhandelt wird.
7. Jede Person hat das Recht sich zu verteidigen oder sich durch einen Verteidiger ihrer Wahl verteidigen zu lassen
oder, falls ihr die Mittel zur Bezahlung
fehlen, unentgeltlich den Beistand eines Verteidigers zu erhalten, wenn
dies erforderlich ist.
8.Die/der Beschuldigte hat das Recht,
Fragen an BelastungszeugInnen zu
stellen oder stellen zu lassen und die
Ladung und Vernehmung von EntlastungszeugInnen unter denselben
Bedingungen zu erwirken, wie sie für
BelastungszeugInnen gelten. Weiters
hat die/der Beschuldigte das Recht,
nicht gegen sich selbst aussagen zu
müssen oder ihre/seine Schuld bekennen zu müssen.
9.Die/der Angeklagte hat das Recht auf
unentgeltliche Unterstützung durch
eine/n DolmetscherIn, wenn sie/er
die Verhandlungssprache des Gerichts
nicht versteht oder spricht.
10. Niemand darf wegen einer Handlung
oder Unterlassung verurteilt werden,
die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem
Recht nicht strafbar war („nulla poena
sine lege“). Es darf auch keine schwerere als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden.
Quelle: Auszug aus den wichtigsten
UNO-Menschenrechtsverträgen.
Die internationalen Bestimmungen zum
Schutz des Rechts auf ein faires Verfahren
(zum Beispiel Art. 14 des Zivilpaktes, der
2007 durch einen allgemeinen Kommentar
des Menschenrechtsausschusses konkretisiert
wurde) finden gleichermaßen für alle Gerichte und Tribunale Anwendung. Viele Länder
haben auch militärische und andere Sondergerichte, die Verfahren durchführen. Der
Grund für die Schaffung solcher Gerichte ist,
dass dadurch Ausnahmeregelungen, die nicht
mit den normalen Standards der Gerechtigkeit
vereinbar sind, angewendet werden können.
Der Pakt verbietet solche Sonderformen von
Gerichten nicht, stellt aber klar, dass die Verurteilung durch derartige Gerichte die Ausnahme
bleiben und nur unter solchen Bedingungen
erfolgen sollte, welche den Schutzgarantien
von Art. 14 des Zivilpaktes voll genügen.
Die wichtigsten internationalen
Normen zur Rechtsstaatlichkeit und
zum Recht auf ein faires Verfahren
1948 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 6, 7, 8, 9, 10, 11
1948 Amerikanische Deklaration der
Rechte und Pflichten des Menschen, Art. XXVI
1949 Genfer Konvention (III) über die
Behandlung von Kriegsgefangenen, Art. 3 (d) (nicht-internationale bewaffnete Konflikte), Art.
17, 82-88 (internationale bewaffnete Konflikte)
1949 Genfer Konvention (IV) über den
Schutz der Zivilbevölkerung in
Kriegszeiten, Art. 3 (d) (nichtinternationale bewaffnete Konflikte), Art. 33, 64 - 67, 70 - 76
1950 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), Art. 6 und 7
1965 Internationale Konvention über die
203
204
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
1966
1969
1977
1977
1979
1981
1984
1984
1985
1985
1989
1990
1990
Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, Art. 5 (a), 6
Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Zivilpakt), Art. 9, 11, 14, 15, 16, 26
Amerikanische Menschenrechtskonvention, Art. 8, 9
Zusatzprotokoll zur Genfer Konvention vom 12. August 1949
über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte
(Protokoll I), Art. 44 (4), 75
Zusatzprotokoll zur Genfer Konvention vom 12. August 1949 über
den Schutz der Opfer nicht-internationaler bewaffneter Konflikte
(Protokoll II), Art. 6
Internationale Konvention über
die Beseitigung jeder Form von
Diskriminierung der Frau, Art. 15
Afrikanische Charta der Rechte der Menschen und der Völker
(Banjul-Charta), Art. 7, Art. 26
Internationale Konvention gegen
Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende
Behandlung oder Strafe, Art. 15
7. Zusatzprotokoll zur Europä­
ischen Menschenrechtskonvention (EMRK), Art. 1, 2, 3, 4
Rahmenbestimmungen der Vereinten Nationen für die Jugendgerichtsbarkeit (Beijing-Regeln)
Interamerikanische Konvention
zur Verhütung und Bestrafung
von Folter
Internationale Konvention über
die Rechte des Kindes, Art. 37, 40
UNO-Grundprinzipien betreffend
die Rolle der Rechtsanwälte
UNO-Richtlinien betreffend die
Rolle der Staatsanwälte
1994 Interamerikanische Konvention
über die Verhinderung, Bestrafung und Beseitigung der Gewalt
an Frauen (Konvention von Belém
do Pará), Art. 4 (f), (g)
1994 Arabische Menschenrechtscharta,
Art. 6-10, 16, 18 (nicht ratifiziert)
1998 Erklärung der Vereinten Nationen
über den Schutz von MenschenrechtsverteidigerInnen
2007 Internationale Konvention für den
Schutz aller Personen vor dem
Verschwindenlassen, Art. 11
2007 UNO-Menschenrechtsausschuss,
Allgemeiner Kommentar Nr. 32:
Artikel 14: Recht auf Gleichheit
vor den Gerichten und auf ein faires Verfahren
Gleichheit vor dem
Gesetz und vor Gericht
Eines der Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit ist die Garantie der Gleichheit. Sie
untersagt die Anwendung von diskriminierenden Gesetzen und beinhaltet das Recht auf
gleichberechtigten Zugang zu und gleiche Behandlung vor den Gerichten.
Der wichtigste praktische Aspekt ist die Waffengleichheit. Diese beinhaltet die Idee, dass
jede Partei die gleiche Chance hat, ihren Fall
zu präsentieren, und dass keine Partei besondere Vorzüge gegenüber der Gegenpartei genießt.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Gleichbehandlung durch die Gerichte ist, dass jede/r
Angeklagte Anspruch darauf hat, in derselben
Art und Weise wie andere Angeklagte in ähnlich gelagerten Fällen behandelt zu werden.
Trotzdem sollte man in Erinnerung behalten,
dass gleiche Behandlung nicht identische Be-
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
handlung heißt. Bei ähnlichen Sachverhalten
ist auch der Verfahrensablauf ähnlich. Dort
hingegen, wo die Sachverhalte unterschiedlich
sind, verlangt das Gleichbehandlungsprinzip
eine differenzierte Behandlung.
genügen. So hatten Angeklagte zum Beispiel keinen Anspruch auf umfassende
gerichtliche Überprüfung ihrer Urteile
durch eine höhere Instanz.“
Quelle: Amnesty International. 2006.
Zugang zu wirksamen und
fairen Rechtsmitteln
Zu den Normen eines fairen Verfahrens zählt
eine Reihe von Elementen, die den gerechten Die Unabhängigkeit der Richterschaft ist eiVerfahrensablauf umfassen. Diese Elemente ner der Grundpfeiler der unabhängigen Justiz.
beschreiben bis zu einem gewissen Grad die Wenn RichterInnen jederzeit durch die RegieMerkmale der gerichtlichen Institutionen und rung und deren Behörden abgesetzt werden
umfassen sämtliche Parameter, mittels derer können, kann ihre institutionelle Unabhängigdie Fairness des Prozessverlaufs beurteilt wer- keit nicht gewährleistet werden. Auch wenn
den kann. Jeder Person muss die Anhörung Gerichte oder RichterInnen selbst unter der
Kontrolle oder dem Einfluss von nichtrichihres Falls ermöglicht werden.
terlichen Personen stehen, kann kein faires
Zivil- und Strafurteile müssen anfechtbar sein. Verfahren garantiert werden. Diese Kontrolle
Das bedeutet, dass auf nationaler Ebene In- kann ausgeübt werden über die Bedingungen
stanzen eingerichtet werden müssen, welche für die Bezahlung der RichterInnen, über Weidie Überprüfung der Entscheidungen erstin- sungsrechte des Justizministeriums oder über
stanzlicher Organe gewährleisten und damit Drohungen, RichterInnen, die nicht mit den
Erwartungen oder Anweisungen konform geWillkür vorbeugen.
hen, auf andere Posten zu versetzen.
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit
Ein weiteres Grundelement eines funktio- Gerichtliche Entscheidungen dürfen nicht
nierenden rechtsstaatlichen Systems sind durch nichtgerichtliche Behörden geändert
unabhängige und unparteiische Gerichte. Ba- werden – mit der Ausnahme von verfassungssierend auf dem Prinzip der Gewaltenteilung rechtlich garantierten Amnestien, die normamuss die richterliche Gewalt vollständig von lerweise durch die/den BundespräsidentIn
der legislativen und exekutiven Gewalt ge- erfolgen.
trennt werden.
Die Normen des fairen Verfahrens verlangen
„Laut Amnesty International wird in
keine spezifische Anordnung der richterliÄgypten in Fällen, in denen es um die
chen Besetzung. Die Besetzung der RichterInnationale Sicherheit oder um Terrorismus
nenbank nur mit ordentlichen RichterInnen,
geht, weiterhin oft auch gegen Zivilisten
die Kombination mit sowohl ordentlichen als
vor Militärgerichten oder vor speziellen,
auch LaienrichterInnen oder andere Kombiauf der Grundlage der Notstandsbestimnationen sind nicht vorgeschrieben. Es gibt
mungen geschaffenen Gerichten verhanaber sehr wohl international anerkannte
delt, deren Verfahren internationalen
Standards zur Unabhängigkeit des GerichtsStandards der Fairness in keiner Weise
wesen, die auch Vorschriften zur Bestellung
von RichterInnen beinhalten. Kein Instrument
205
206
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
des internationalen Menschenrechtsschutzes werden, außer es treffen genau geregelte Ausverlangt ein Verfahren mit Geschworenen. nahmen zu, wie zum Beispiel bei BeschränHat ein Staat aber ein Geschworenensystem kungen im Interesse Jugendlicher oder zum
eingerichtet, gelten die Vorraussetzungen der Schutz der Familie.
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit für GeRecht der Unschuldsvermutung
schworene gleichermaßen.
Das Recht der Unschuldsvermutung bedeutet,
dass jede Person, die eines kriminellen VerÖffentlichkeit der Verhandlung
Um das Vertrauen in einen gerechten Verfah- gehens angeklagt wurde, das Recht hat, bis
rensablauf zu fördern und den Schutz einer zum gesetzlichen Beweis der Schuld, als unfairen Anhörung der Parteien zu gewährleis- schuldig angesehen und behandelt zu werden.
ten, muss das Verfahren öffentlich sein. Dies Dieses Prinzip gilt ab dem Moment der Verbasiert auf dem Grundsatz, dass Gerechtigkeit dächtigung und endet durch die letztinstanznicht nur ausgeübt werden soll, sondern die liche Bestätigung der Verurteilung. Folglich
Ausübung der Gerechtigkeit auch sichtbar sein muss die Staatsanwaltschaft in strafrechtlisoll. Eine öffentliche Anhörung setzt mündli- chen Fällen die Schuld der angeklagten Perche Verhandlungen über den Sachverhalt des son beweisen. Liegt ein begründeter Zweifel
Falls voraus, an denen die Öffentlichkeit und vor, darf die/der Angeklagte nicht für schuldig
Presse teilnehmen können. Dafür müssen Ge- befunden werden.
richte Informationen über den Zeitpunkt und
Ablauf des mündlichen Verfahrens bekannt Das Recht der Unschuldsvermutung setzt auch
geben. Das Prinzip der Öffentlichkeit muss voraus, dass RichterInnen und Geschworene
voll gewahrt werden – außer es liegt ein be- sich vor einer Vorverurteilung von Fällen hüten
rechtigter Grund vor, der den Ausschluss der müssen. Dies betrifft auch alle anderen am VerÖffentlichkeit gestattet.
fahren beteiligten BeamtInnen. Keine Verletzung
der Unschuldsvermutung ist gegeben, wenn die
Gründe für Beschränkungen der Öffentlich- Behörden die Öffentlichkeit über strafrechtliche
keit sind in den internationalen Instrumenten Untersuchungen informieren und dabei auch
abschließend aufgezählt. Darunter fallen Be- den Namen der Verdächtigen nennen. Eine Verschränkungen der Öffentlichkeit zum Schutz letzung liegt aber vor, wenn es eine Erklärung
der Moral (Anhörungen bei sexuellen Strafta- gibt, dass die Person schuldig sei.
ten), der öffentlichen Ordnung und nationalen
Sicherheit in einer demokratischen Gesell- Das Recht zu schweigen und das Recht, nicht
schaft. Weitere Gründe für eine Beschränkung gegen sich selbst aussagen zu müssen oder
der Öffentlichkeit liegen vor, wenn dies im sich selbst zu beschuldigen, fallen ebenfalls
Interesse des Schutzes des Privatlebens einer unter das Recht der Unschuldsvermutung.
Partei nötig ist und in speziellen Fällen, in de- Das Recht zu schweigen bedeutet auch, dass
nen die Öffentlichkeit die Vorschriften eines Schweigen nicht als Feststellung der Schuld
gerechten und angemessenen Urteils bedro- oder Unschuld gewertet werden darf. Das
hen würde.
Recht zu schweigen und das Recht, nicht gegen sich selbst aussagen zu müssen, beinhalIst die Öffentlichkeit von einem Verfahren aus- ten auch das an das Gericht adressierte Verbot,
geschlossen, muss das Urteil veröffentlicht auf den Beschuldigten Druck auszuüben.
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
Anspruch zu nehmen, zu unterrichten; fehlen
Das Recht auf eine angemessene
ihm die Mittel zur Bezahlung eines VerteidiVerfahrensdauer
Der Zeitraum, der laut Gesetz, als angemesse- gers, so ist ihm ein Verteidiger unentgeltlich zu
ne Verfahrensdauer angesehen wird, umfasst bestellen, wenn dies im Interesse der Rechtsnicht nur den Zeitraum bis zum Verfahrens- pflege erforderlich ist.“
beginn, sondern auch die Dauer des Verfah- Quelle: Art. 14 (3) (d), Zivilpakt.
rens, einschließlich einer möglichen Berufung
an ein höheres Gericht bis hin zum Obersten
Inhalte des Rechts auf angemessene
Gerichtshof oder einer anderen endgültigen
Verteidigung und das Recht auf Anwegerichtlichen Instanz.
senheit bei der Urteilsverkündung:
Was einen „angemessenen“ Zeitraum aus• bei der Verhandlung anwesend zu
macht und was als unangemessene Verzögesein;
rung angesehen wird, hängt vom jeweiligen
• sich selbst zu verteidigen;
Sachverhalt ab. Mit einzubeziehen sind etwa
• seine/n eigene/n Anwalt/Anwältin
die Komplexität des Falls, das Verhalten der
auszusuchen;
Parteien, das Ausmaß dessen, was für die
• über das Recht, eine/n VerteidigerIn in
Antragstellenden auf dem Spiel steht (KlageAnspruch nehmen zu können, untergrund) und die Abwicklung des Verfahrens
richtet zu werden; und
durch die Behörden.
• in Ermangelung finanzieller Mittel unDes Weiteren sollte in Betracht gezogen werentgeltlich einen Rechtsbeistand zu
den, dass im Strafrecht das Recht auf eine
bekommen.
angemessene Verfahrensdauer auch ein Recht
des Opfers ist. Das grundlegende Prinzip dieses Rechts wird auch sehr gut durch den Satz
„Eine Verzögerung der Gerechtigkeit ist eine Ein Staat ist nicht verpflichtet, bei jedem gerichtsanhängigen Fall einen Rechtsbeistand
Verweigerung der Gerechtigkeit“ dargestellt.
beizustellen, dies hängt von der Schwere des
angeklagten Vergehens ab. Das UNO-MenDas Recht auf angemessene
schenrechtskomitee hat beispielsweise festgeVerteidigung und das Recht auf
halten, dass jeder Person, der die Todesstrafe
Anwesenheit bei der Urteilsverkündung
Jede Person, die eines kriminellen Vergehens droht, ein/e PflichtverteidigerIn zugewiesen
angeklagt ist, hat das Recht, sich selbst zu ver- werden muss. Eine Person, die des Schnellfahteidigen oder sich durch eine/n VerteidigerIn rens beschuldigt wird, hat – mangels Schweihrer Wahl verteidigen zu lassen. Das Recht auf re der Tat – keinen Anspruch auf einen vom
einen Anwalt vor Beginn des strafrechtlichen Staat zur Verfügung gestellten Rechtsbeistand.
Hauptverfahrens ist mit dem Recht auf einen Nach dem Interamerikanischen MenschenAnwalt im Hauptverfahren eng verbunden. rechtsgerichtshof muss ein Verteidiger nur
Die Bestimmungen regeln generell, dass bei beigestellt werden, wenn dies erforderlich ist,
der Klärung der Anklagepunkte die/der Ange- um eine faire Anhörung zu gewährleisten.
klagte das Recht hat, „bei der Verhandlung anwesend zu sein und sich selbst zu verteidigen Wird ein Rechtsbeistand bereitgestellt, sollte
oder durch einen Verteidiger seiner Wahl ver- darauf Bedacht genommen werden, dass die
teidigen zu lassen; falls er keinen Verteidiger angeklagte Person das Recht auf eine erfahhat, ist er über das Recht, einen Verteidiger in rene, kompetente und effektive Verteidigung
207
208
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
hat. Jede Person hat außerdem das Recht
auf vertrauliche Kommunikation mit ihrem
Rechtsbeistand.
Obwohl es das Recht gibt, bei Verhandlungen
anwesend zu sein, können ausnahmsweise
und unter berechtigten Gründen Verfahren in
Abwesenheit der/s Angeklagten abgehalten
werden. Die Verteidigung selbst kann aber
niemals von der Anwesenheit im Verfahren
ausgeschlossen werden.
den/die UntersuchungsrichterIn an geltend
gemacht werden. Während eines Verfahrens
übersetzt die/der DolmetscherIn der/dem Angeklagten und dem Gericht mündlich.
Das Nulla poena sine lege-Prinzip
(Keine Strafe ohne Gesetz-Prinzip)
Die lateinische Formel „nulla poena sine lege“
bedeutet, dass niemand aufgrund einer Handlung verurteilt werden darf, die zum Zeitpunkt ihrer Begehung nach dem Gesetz nicht
strafbar war, selbst wenn sich die Rechtslage
inzwischen geändert hat. Auch kann keiDas Recht zur Bekanntgabe
ne schwerere als die zur Zeit der Begehung
und Befragung von ZeugInnen
Diese Bestimmungen garantieren, dass An- angedrohte Strafe verhängt werden. Dieses
geklagte dieselben rechtlichen Möglichkeiten Rückwirkungsverbot gewährleistet, dass eine
wie die Staatsanwaltschaft haben. Dazu zählt Person nicht plötzlich Gefahr läuft, wegen
das Recht, die Anwesenheit von ZeugInnen ursprünglich gesetzeskonformer Handlungen
durchzusetzen und diese vernehmen zu lassen. bestraft zu werden. Aus diesem Grund ist das
Die Verteidigung muss im Sinne des Gebotes Rückwirkungsverbot für die Rechtssicherheit
der Waffengleichheit die Möglichkeit haben, unverzichtbar.
ZeugInnen zu befragen und zu belastenden
Beweisergebnissen Stellung zu nehmen.
„Mauerschützenfälle“
In den sogenannten MauerschützenfälEs gibt aber gewisse Beschränkungen bei der
len stellte sich die Frage, ob die Täter
Befragung von ZeugInnen. Sie hängen vor alnach dem Fall der Berliner Mauer wegen
lem vom Benehmen des Angeklagten gegenTotschlags bestraft werden konnten, obüber den ZeugInnen ab, wenn ZeugInnen etwa
wohl ihr Verhalten vom DDR-Recht geVergeltungsmaßnahmen zu befürchten haben,
deckt und vom Regime sogar erwünscht
sowie von der Verfügbarkeit der ZeugInnen.
gewesen war. Es ging dabei um den
„Schießbefehl“ von DDR-Grenzsoldaten
Das Recht auf Beiziehung
im Fall illegaler Grenzübertritte.
einer/s Dolmetschers/Dolmetscherin
Unter
Anwendung
der
sog.
Wenn Angeklagte die Verhandlungssprache
Radbruch’schen Formel, wonach bei
des Gerichts nicht verstehen oder sprechen,
einem unlösbaren Widerspruch zwihaben sie das Recht auf unentgeltliche Beischen geschriebenem Recht und mateziehung einer/s Dolmetschers/Dolmetscherieller Gerechtigkeit die Rechtssicherheit
rin und auf Übersetzung der Dokumente.
zurückzutreten habe, hat der deutsche
Dieses Recht steht sowohl StaatsbürgerInnen
Bundesgerichtshof in einem über die
als auch Nicht-StaatsbürgerInnen, die der GeGrenzen Deutschlands hinaus bedeutsarichtssprache nicht hinreichend mächtig sind,
men Urteil eine Strafbarkeit der Täter bezu. Das Recht auf eine/n DolmetscherIn kann
jaht, was vom Bundesverfassungsgericht
von jeder/m Verdächtigen und Angeklagten
vom Moment der Befragung durch Polizei oder
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
bestätigt wurde. Zu beachten war in diesem Zusammenhang, dass zur DDR-Zeit
das Recht auf Leben bereits den obersten
Rang in der Wertehierarchie der Menschenrechte einnahm.
Die Radbruch’sche Formel spiegelt die
Entwicklung von einer rein formellen
Rechtsstaatsbetrachtung zu einem naturrechtlichen Verständnis der Rechtsstaatlichkeit wider. Spätestens im
Zusammenhang mit den Nürnberger
Gesetzen musste man erkennen, dass
positives Recht als formeller Maßstab
dazu missbraucht werden kann, selbst
schwerste Menschenrechtsverletzungen
zu legitimieren, und dass ein Rechtsstaat
stets die Menschenrechte zu wahren hat.
Amerikanische RechtsanwältInnen legen
mehr Gewicht auf die spezifischen Merkmale
ihres Rechtssystems, wie zum Beispiel auf die
Verhandlung vor Geschworenen, ausgedehnte Rechte der VerteidigerInnen und eine klare
Gewaltenteilung. Asiatische RechtsanwältInnen betonen hingegen die Wichtigkeit einer
gleichmäßigen und effektiven Anwendung
der Gesetze – ohne dem notwendigerweise
die Staatsgewalt unterzuordnen. Dieses engere Konzept von Rechtsstaatlichkeit, welches
besser durch „rule by law“ (Herrschaft mittels
des Gesetzes) denn durch „rule of law“ (Herrschaft aufgrund des Gesetzes) charakterisiert
wird, ist eng mit dem Rechtsverständnis asiatischer Demokratien verbunden.
Die Art. 2 und Art. 3 des Zivilpaktes verbieten
Unterscheidungen aufgrund des Geschlechts.
Trotzdem beschränkt die Scharia – das islamische Recht – in einigen Ländern die Rechte
Das Recht auf Haftentlassung
von Frauen auf ein faires Verfahren, da Fraugegen Kautionserlag
Die meisten Rechtsordnungen sehen vor, dass en vor Gericht nicht die gleichen Rechte wie
ein/e Verdächtige/r gegen finanzielle Sicher- Männer haben.
heitsleistung aus der Untersuchungshaft
entlassen wird. Wenn eine nationale Rechts- Rechtsverweigerung für
ordnung dieses Recht einräumt, darf es nicht Ehrendelikte/Ehrentötungen
verweigert bzw. nicht in einer willkürlichen Human Rights Watch definiert Ehrendelikte als
Art und Weise angewendet werden, wenn- „Handlungen der Gewalt, meist Mord, durch
gleich der/dem zuständigen RichterIn ein ge- männliche Familienmitglieder gegen weibliche
wisser Ermessensspielraum eingeräumt ist.
Familienangehörige, denen vorgeworfen wird,
Schande über die Familie gebracht zu haben.
Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen
3. Interkulturelle Aspekte und
von Ehebruch, der Weigerung der Frau, eine
strittige Themen
arrangierte Ehe einzugehen, das Opfer einer
Vergewaltigung geworden zu sein, bis zum
Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit wird Wunsch der Frau nach Scheidung – auch wenn
heute generell anerkannt. Trotzdem gibt es der Ehemann gewalttätig ist“.
wesentliche kulturelle Unterschiede, wenn Die UNO schätzt, dass weltweit jährlich bis
man die Interpretationen der Elemente der zu 5.000 Ehrentötungen begangen werden.
Rechtsstaatlichkeit in verschiedenen Ländern Solche Morde werden meist nicht verfolgt.
vergleicht. Die größten Unterschiede gibt es Zum Beispiel wird in Jordanien maximal eine
zwischen dem amerikanischen und dem asi- einjährige Freiheitsstrafe über den Mörder
atischen Verständnis von Rechtsstaatlichkeit. verhängt, der vorbringt, dass er „in einem Zu-
209
210
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
stand großer Wut aufgrund des ungesetzlichen
oder unmoralischen Verhaltens des Opfers gehandelt hat“. Wenn die Familie des Opfers auf
Schadenersatz verzichtet, kann die Strafe auf
sechs Monate herabgesetzt werden (Art. 98
des Strafgesetzbuches).
4.Durchsetzung und Überwachung
Durchsetzung
Der Schutz der Menschenrechte beginnt auf
nationaler Ebene. Folglich hängt die Implementierung der Rechtsstaatlichkeit von der
Bereitwilligkeit des Staates ab, ein System zu
Auf Initiative Großbritanniens und der Türkei errichten, welches die Rechtsstaatlichkeit und
wurde in der UNO-Generalversammlung in faire Gerichtsverfahren garantiert. Staaten
New York 2004 eine Resolution zur Beseiti- müssen sowohl institutionelle Strukturen,
gung von Ehrentötungen verabschiedet. Diese die für einen gerechten Verfahrensablauf notResolution ruft die Mitgliedsstaaten auf, Eh- wendig sind, errichten und aufrechterhalten,
rentötungen zu verhindern, zu verfolgen, die als auch Gesetze und Regelungen, die ein
Täter zu bestrafen und die Opfer zu schützen. faires und gerechtes Verfahren garantieren,
Die Türkei hat seit 2003 in diesem Zusammen- öffentlich bekannt machen und für deren Umhang diverse Reformen des Strafgesetzbuches setzung sorgen.
vorgenommen und härtere Strafen für Ehrendelikte eingeführt.
Das Konzept der Rechtsstaatlichkeit ist eng mit
der Idee der Demokratie verbunden und für
Religionsfreiheit
die Entwicklung von freien Marktwirtschaften
Einige der Probleme, die Länder während des unerlässlich. Verschiedene Fallstudien über
Demokratisierungsprozesses haben, sind nicht Länder, die sich im Prozess der Demokratidurch kulturelle Unterschiede bedingt. Es ist oft sierung befinden, zeigen, dass die Errichtung
so, dass BürgerInnen Regierungs- und Rechts- der Rechtsstaatlichkeit fehlschlägt, wenn die
systeme, die durch ein System des Klientelis- politische Führung eines Landes nicht bereit
mus gekennzeichnet oder korrupt sind, wenig ist, grundlegende demokratische Prinzipien
achten. Die Zunahme von Verbrechen und Ge- zu akzeptieren. Damit werden Korruption und
walt kann eine Folge sein. Die Errichtung eines das Entstehen krimineller organisatorischer
funktionierenden Systems der Rechtsstaatlich- Strukturen erleichtert.
keit braucht Zeit und bedarf erheblicher finanzieller Mittel. Überdies ist die Etablierung eines Die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit scheint
unabhängigen Gerichtssystems schwierig, wenn die einzige Möglichkeit zu sein, um Korrupdie politische Führung demokratische Werte tion zu bekämpfen, eine neu gewählte politiund bürgerliche Freiheiten nicht respektiert. In sche Führung davon abzuhalten, in autoritäres
einer Welt der wirtschaftlichen Globalisierung Gehabe zu verfallen und den Respekt der
besteht jedoch zunehmend die Notwendigkeit Menschenrechte durch ein funktionierendes
von Rechtssicherheit, Rechenschaftspflichten System von gegenseitiger Kontrolle zu fördern.
und Transparenz, die nur durch Regierungen, Aber wie kann dies in die Realität umgesetzt
welche die Rechtsstaatlichkeit respektieren, ga- werden? Grundsätzlich sind drei Schritte notwendig: Erstens müssen bestehende Gesetze
rantiert werden können.
nach rechtsstaatlichen Prinzipien novelliert
werden. Zweitens bedarf es einer Stärkung der
Institutionen, die einen fairen Verfahrensablauf garantieren, zum Beispiel durch die Fort-
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
bildung von RichterInnen. Zuletzt, und das zung der Menschenrechte. Zusätzlich werden
ist wahrscheinlich der schwierigste Schritt der sogenannte Allgemeine Bemerkungen über
Umsetzung, muss die Befolgung der Geset- die Auslegung des Zivilpaktes, wie zum Beize auch von Seiten der Regierungen bestärkt spiel die Allgemeinen Bemerkungen Nr. 13 von
werden – vor allem, um die Unabhängigkeit 1984 über Art. 14 des Zivilpaktes, veröffentlicht.
der Justiz zu gewährleisten.
Diese wurden im Jahr 2006 in überarbeiteter
Es gibt besondere Beratungsgremien zur Si- Form neu herausgegeben.
cherung der Rechtsstaatlichkeit, wie das der
Venedig-Kommission des Europarats oder Be- Manche Menschenrechtskonventionen entrufsgremien von RichterInnen, die Regierun- halten auch einen Beschwerdemechanismus.
gen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben genau Nach Ausschöpfung aller innerstaatlichen
beobachten und unterstützen.
Rechtsmittel besteht die Möglichkeit der Einreichung einer sogenannten „Mitteilung“ über
Überwachung
eine behauptete Verletzung von vertraglich
In den meisten Ländern wird die Einhaltung garantierten Menschenrechten an eigens dafür
der Menschenrechte durch deren Verfassun- eingerichtete Ausschüsse. Solche Möglichkeiten
gen garantiert. Normalerweise garantieren bestehen nach dem Fakultativprotokoll zum InVerfassungen, dass behauptete Menschen- ternationalen Pakt über bürgerliche und politirechtsverletzungen vor nationalen Gerichten sche Rechte, der Europäischen Konvention zum
geltend gemacht werden können. Internati- Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheionale Menschenrechtsverträge garantieren ten (gem. Art. 34), der Amerikanischen Menden Schutz der Menschenrechte. Sobald ein schenrechtskonvention (gem. Art. 44) und der
Staat Vertragspartei dieser Verträge wird, ist er Banjul-Charta der Rechte des Menschen und
verpflichtet, deren Bestimmungen zu garan- der Völker (gem. Art. 55). Gemäß diesen Paktieren und auf nationaler Ebene umzusetzen. ten können Einzelpersonen ihre Beschwerden
Internationale Vorschriften regeln aber nicht an den UNO-Ausschuss für Menschenrechte,
explizit, wie Staaten derartige Bestimmungen den Europäischen Gerichtshof für Menschenumsetzen sollen, das hängt von den jeweili- rechte, die Inter-Amerikanische Kommission
gen nationalen Rechtsordnungen ab.
für Menschenrechte und die Afrikanische KomEinige Menschenrechtsverträge wie der Interna- mission für Rechte des Menschen und der Völtionale Pakt für bürgerliche und politische Rech- ker richten. Diese Vertragsgremien untersuchen
te haben Überwachungsmechanismen, die die die an sie herangebrachten Beschwerden. Wird
Umsetzung der Menschenrechtsbestimmungen eine Verletzung festgestellt, hat der betroffene
überwachen und garantieren sollen. Dieser Me- Staat die nötigen Maßnahmen zu setzen, um
chanismus besteht aus einem Berichtssystem, seine Vorgehenspraxis oder das Gesetz zu änwelches die Vertragsstaaten verpflichtet, in re- dern und das Opfer zu entschädigen. Im Rahgelmäßigen Intervallen dem internationalen men seines Themenschwerpunktes hat der
Beobachtungsorgan über den Stand der Umset- UNO-Ausschuss für Menschenrechte Sonderzung der Vertragsbestimmungen auf nationaler berichterstatterInnen für außergerichtliche
Ebene zu berichten. Beispielsweise stellt der und willkürliche Exekutionen (1982), für die
UNO-Ausschuss für Menschenrechte fest, ob Unabhängigkeit der Richter und Anwälte
ein Staat seinen vertraglichen Verpflichtungen (1994) und eine Arbeitsgruppe über willkürlinachgekommen ist und macht Vorschläge und che Anhaltung (1991) eingerichtet.
Empfehlungen zur Verbesserung der Umset-
211
21 2
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
Was man wissen sollte
1. Good Practices
von technischer Hilfe für nationale Rechtsinstitutionen. Ferner werden Fortbildungsseminare für RechtsanwältInnen, RichterInnen,
StaatsanwältInnen, RegierungsbeamtInnen
und VertreterInnen der Zivilgesellschaft angeboten. Durch konkrete Reformvorschläge
trägt das Büro dazu bei, nationale Rechtsordnungen mit den Prinzipien der OSZE in Einklang zu bringen. Das BDIMR hat seinen Sitz
in Warschau und steht unter der Leitung des
Österreichers Christian Strohal.
Entwicklungshilfe zur Errichtung
eines funktionierenden Rechtssystems
Die meisten westlichen Staaten sowie internationale Organisationen unterstützen Reformen der Rechtsstaatlichkeit. Russland wurde
dafür etwa mit einem Kredit von 58 Millionen
US-Dollar von der Weltbank unterstützt; weitere Hilfsprojekte in Asien und Lateinamerika
wurden von den USA, Deutschland, den Niederlanden, Dänemark, der EU und der Europäischen Bank für Wiederaufbau finanziert. Die Empfehlung über die Achtung und StärAuch einige asiatische und lateinamerikani- kung der Unabhängigkeit der Justiz (Afrika)
sche Länder haben beachtliche finanzielle Diese Empfehlung wurde von der AfrikaMittel erhalten. Die finanzielle Unterstützung nischen Kommission für die Rechte des
im Nahen Osten und Afrika war hingegen Menschen und der Völker im Jahre 1996
weniger bedeutend. Unterstützt wurden auch verfasst. Sie anerkennt die Bedeutung eines
Projekte, welche die Rechtsstaatlichkeit im unabhängigen Justizwesens, nicht nur um des
postkonfliktuellen gesellschaftlichen Wieder- sozialen Gleichgewichts willen, sondern auch
aufbau, wie zum Beispiel in Kroatien, Bosnien der wirtschaftlichen Entwicklung wegen. Die
und Herzegowina oder im Kosovo, stärken.
Empfehlung fordert alle afrikanischen Länder
auf, gesetzliche Maßnahmen zu setzen, welBüro für demokratische Institutionen
che die Unabhängigkeit der Justiz garantieren
und Menschenrechte (BDIMR)
und die Justiz mit ausreichenden Mitteln zur
Das Büro für demokratische Institutionen und Erfüllung ihrer Aufgaben ausstatten. Um die
Menschenrechte ist die wichtigste Institution Unabhängigkeit der RichterInnen zu gewährfür die menschliche Sicherheitsdimension der leisten, ist es ausgesprochen wichtig, dass sie
OSZE – ein breites Sicherheitskonzept, das einen angemessenen Lebensstandard und akFolgendes umfasst: den Schutz der Menschen- zeptable Arbeitsbedingungen haben. Weiters
rechte, die Entwicklung demokratischer Ge- sollten Staaten Handlungen unterlassen, die
sellschaften mit den Schwerpunkten Wahlen, direkt oder indirekt die Unabhängigkeit der
institutioneller Aufbau und Staatsführung, die RichterInnenschaft bedrohen.
Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und die Förderung von gegenseitiger Achtung und Verständnis zwischen Menschen und Nationen.
2. Trends
Diese Einrichtung der OSZE befasst sich mit
der Überwachung von Wahlen und der Ent- Internationale Tribunale
wicklung nationaler Wahl- und Menschen- Nach den Grausamkeiten auf den Staatsrechtsinstitutionen sowie der Bereitstellung gebieten von Ruanda und dem ehemaligen
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
Jugoslawien beschloss die internationale
Gemeinschaft zu handeln: Es wurden zwei
Ad-hoc-Tribunale errichtet, um die fürchterlichsten Verbrechen, die sich während der
Kriege und bewaffneten Konflikte ereigneten,
zu verurteilen. Obwohl die Tribunale ihre
Aufgabe bis jetzt sehr erfolgreich erledigt haben, wurden sie aus verschiedensten Gründen
kritisiert. Kritikpunkte waren unter anderem
die behauptete Illegalität der Tribunale, Unsicherheiten bezüglich der Verfahrensregeln (da
die RichterInnen diese, wenn nötig, ändern
können), das Fehlen von Entschädigungen
für fälschlich Verdächtigte oder Voreingenommenheit gegen Angeklagte. Aus diesen Mängeln lernte die Internationale Gemeinschaft
und ging bei der Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofs anders vor.
Den Mitgliedsstaaten des Römischen Statutes
des Internationalen Strafgerichtshofes wurde
mehr Verantwortung belassen, und es wurde
mehr Bedacht auf die Grundsätze eines fairen
Verfahrens gelegt. So wurden zum Beispiel
Entschädigungszahlungen für zu Unrecht inhaftierte und verurteilte Personen (Art. 84 des
Römischen Statutes) und Schutzbestimmungen für Opfer und ZeugInnen (Art. 68 des Römischen Statutes) eingeführt.
berücksichtigt die Mediation die Anliegen und
Interessen aller Parteien und kann somit bessere Ergebnisse in geschäftlichen, familiären und
nachbarschaftlichen Beziehungen erbringen.
Die Mediation ermöglicht den Parteien die
einvernehmliche Beilegung ihres Streites mit
Hilfe einer/s Dritten. Ein Schiedsgerichtsverfahren ist die Klärung eines Streites durch
eine Entscheidung einer/s Schiedsrichters/
Schiedsrichterin, welche für die Parteien bindend ist.
Viele Länder verlangen im Vorverfahren zwingend eine Mediation. Bietet die Mediation
keine Lösung, kommt es zu einem Gerichtsverfahren. In den USA und Australien finden
regelmäßig so genannte „Einigungswochen“
statt. Während dieser Zeit kommt es zur Mediation aller gerichtsanhängigen Fälle. Und
tatsächlich wird eine große Anzahl von Fällen
erfolgreich gelöst (zum Beispiel bis zu 70%
im US-Staat Ohio). Man kann aber auch argumentieren, dass den Parteien dadurch der
Zugang zum Gericht verwehrt wird, da die
Alternative eines zeit- und kostenintensiven
Gerichtsverfahrens einen gewissen Druck zur
Findung einer Lösung schafft.
Schiedsgerichtsverfahren und Mediation
Erhöhte Publizität von
Um Gerichte zu entlasten und Gerichtsver- Gerichtsverhandlungen
fahren zu verkürzen, engagieren sich immer Während der letzten Jahre wurde „Realitymehr Staaten in alternativen Streitbeilegungs- Fernsehen“ sehr populär. Von Verfolgungsjagmaßnahmen (Mediation und Schiedsge- den mit Polizeiautos bis zu Überlebensshows
richtsverfahren). Ein weiterer Grund ist die und dem täglichen Leben in WohngemeinMöglichkeit der Schaffung von „Win-Win- schaften – fast alles kann heutzutage (live) im
Situationen“, die für alle Parteien akzeptable Fernsehen verfolgt werden. Auch GerichtsverLösungen bieten. Besonders US-Gerichte sind fahren im Fernsehen haben ihre eigene, ziemder Bewältigung der Anzahl der Verfahren in- lich große, Fangemeinde. Gleichgültig, ob als
nerhalb einer annehmbaren Zeit immer weni- Live-Gerichtsverfahren oder Fernsehdrama:
ger gewachsen.
Gerechtigkeit kann jetzt auf der Couch zusammen mit Bier und Chips genossen werden.
Während Gerichtsverfahren die Entscheidung Dadurch entstehen einige kritische ethische
über juristische Ansprüche zum Ziel haben, Fragen. Während einerseits das Prinzip der Öf-
21 3
21 4
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
fentlichkeit einer Verhandlung zentral für das Um Defizite in der bisherigen Politik von FrieRecht auf ein faires Verfahren ist, hat hinge- denseinsätzen zu überwinden, propagiert die
gen eine derartige Präsentation im Fernsehen Kommission für menschliche Sicherheit eine
oft wenig mit dem Aufzeigen von Gerechtig- umfassende Strategie der menschlichen Sikeit zu tun. Man kann eher von Sensations- cherheit, die fünf Bereiche umfassen soll: Ein
gier und einem Spielen mit den kurzlebigen Bereich ist „governance and empowerment“
Gefühlen der SeherInnen sprechen. Passende (übersetzt ungefähr „Regieren und BefähiGegenmaßnahmen könnten durch ethische gen“). Unter diesem Titel sollen Institutionen
Richtlinien von Rechtsanwaltsvereinigungen eingerichtet werden, welche die Menschen
oder von Seiten der staatlichen Gerichtsbehör- schützen und die Rechtsstaatlichkeit stärken.
den entwickelt werden.
Die Erklärung der Außenminister der G8
Der (Wieder-)Aufbau von rechtsstaatlichen zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit
Die Außenminister der G8-Staaten haben auf
Strukturen in postkonfliktuellen Gesellihrem Treffen in Potsdam am 30. Mai 2007
schaften
In den vergangenen Jahren war zu beobach- eine gemeinsame Erklärung zur Förderung
ten, dass sich die Vereinten Nationen und an- der Rechtsstaatlichkeit veröffentlicht. Es wurdere internationale Organisationen verstärkt de betont, dass „Rechtsstaatlichkeit zu einem
auf den Wiederaufbau und die Stärkung besseren und intensiveren Zusammenwirken
rechtsstaatlicher Strukturen in ehemaligen von Gesellschaften und Volkswirtschaften soKrisenregionen konzentrieren. Dieser neue wohl untereinander als auch innerhalb derSchwerpunkt hat zur Formulierung einiger selben bei[trägt]. ... Damit die Globalisierung
Prinzipien geführt, welche die Staatengemein- sich friedlich, nachhaltig und zum Nutzen aller
schaft bei Projekten im postkonfliktuellen vollziehen kann, müssen die Grundsätze des
Vorrangs des Rechts, der Gleichheit vor dem
Wiederaufbau beachten soll:
• Die Unterstützung zum Wiederaufbau Gesetz, der Verantwortlichkeit vor dem Gesetz,
rechtsstaatlicher Strukturen muss kulturge- der Rechtssicherheit, der Transparenz in Rechtsrecht sein und auf der lokalen Praxis auf- und Verfahrensfragen, des offenen und gleichberechtigten Zugangs zu Rechtsschutz für alle,
bauen.
• Rechtsstaatliche Reformen müssen von ei- unabhängig von Geschlecht, „Rasse“, Religion,
ner öffentlichen Debatte begleitet werden, Alter, Klasse, Bekenntnis oder anderen Merkum die Akzeptanz der Gesellschaft zu si- malen, der Verhütung willkürlicher Anwendung von Gesetzen und der Ausmerzung der
chern.
• Es müssen nationale Menschenrechtskom- Korruption eingehalten werden“.
missionen eingesetzt werden.
• Adäquate Elemente von Gerechtigkeit und Die deutsche Präsidentschaft in der zweiRechtsstaatlichkeit müssen in die Mandate ten Jahreshälfte 2007 wurde beauftragt, eine
Fachkonferenz einzuberufen, zu der nichtsvon Friedensmissionen einfließen.
• Es müssen ausreichende personelle und staatliche AkteurInnen, VertreterInnen der
finanzielle Ressourcen in den Vereinten Vereinten Nationen, von Entwicklungsbanken
Nationen vorhanden sein, um die rechts- und Regionalorganisationen geladen wurden,
staatliche Komponente von Friedensmissi- um einen Dialog zur Förderung der Rechtsstaatlichkeit einzuleiten.
onen zu planen.
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
Quelle: G8 Information Center. 2007. G8 Foreign Ministers’ Meeting: Chair’s Statement.
http://www.g7.utoronto.ca/foreign/formin
070530.htm
3. Zeittafel
1948 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
1950 Europäische Konvention zum
Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten
1966 Internationaler Pakt über Bürger­
liche und Politische Rechte
1969 Amerikanische Menschenrechtskonvention
1982 UNO-SonderberichterstatterIn über
außergerichtliche, summarische
oder willkürliche Hinrichtungen
1984 Allgemeine Bemerkungen Nr. 13
zu Art. 14 des Zivilpaktes
1985 UNO-Grundprinzipien über die
Unabhängigkeit der Justiz
1985 Rahmenbestimmungen der Vereinten Nationen für die Jugendgerichtsbarkeit (Beijing-Regeln)
1986 Afrikanische Charta über die Rechte des Menschen und der Völker
1990 UNO-Grundprinzipien betreffend
die Rolle der RechtsanwältInnen
1990 UNO-Richtlinien betreffend die
Rolle der StaatsanwältInnen
1991 Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen über willkürliche Anhaltungen
1994 UNO-SonderberichterstatterIn
über die Unabhängigkeit der RichterInnen und RechtsanwältInnen
1998 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofes
2007 Allgemeine Bemerkungen Nr. 32
zu Art. 14 des IPBPR
Ausgewählte Übungen
Übung I: Sich Gehör verschaffen?
Verfahrens, Entwicklung von analytischen und
demokratischen Fertigkeiten
Zielgruppe: Jugendliche
Teil I: Einleitung
Bei dieser Übung handelt es sich um ein Gruppengröße: mindestens 6
Rollenspiel mit dem Ziel, die Regeln und Zeit: ca. 90 Minuten
Verfahrenshandlungen in einem Prozess zu Vorbereitung: Der Unterrichtsraum wird als
Gerichtssaal hergerichtet: Ein Tisch für die/
demonstrieren.
den RichterIn steht an der Stirnseite, zwei
weitere links und rechts im rechten Winkel
Teil II: Allgemeine Information
dazu – einer für Angeklagte/n und VerteidiArt der Übung: Rollenspiel
Ziele: Probehandeln in einer Gerichtssituation, gerIn, gegenüber ein zweiter für das Team der
Begreifen der Idee eines fairen und öffentlichen Staatsanwaltschaft.
21 5
21 6
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
Fertigkeiten: Kritisches Denken und Analysefähigkeit, kommunizieren, sich eine Meinung
bilden
Teil III: Spezifische Information
Beschreibung der Übung/Anleitung: Die TeilnehmerInnen sollen eine Gerichtssituation in
zwei verschiedenen Szenarien durchspielen
– einmal mit Verteidigung und einmal ohne.
Dazu wählen sie ihre Rollen:
• Eine Person, die fälschlicherweise eines
Vergehens beschuldigt wird, beispielsweise
des Diebstahls oder der Landstreicherei
• Zwei oder drei Personen als Team der
Staatsanwaltschaft
• Drei oder vier Personen, welche den Verlauf der Anklage und des Prozesses an der
Tafel oder am Flipchart dokumentieren
• Eine Person als RichterIn
Das Team der Staatsanwaltschaft bekommt
zehn Minuten Zeit, um die Anklagepunkte zu
formulieren.
Feedback: Die TeilnehmerInnen versammeln
sich wieder im Plenum. Zuerst werden die
RollenspielerInnen gefragt, wie weit sie die
Möglichkeit hatten, die Entscheidung der
Richterin/des Richters zu beeinflussen und
wie realistisch die Simulation war.
Dann wird die ganze Gruppe zur Reflexion
über den Prozess und die Absicht hinter den
beiden Rollenspielen motiviert:
• Worin haben sich die beiden Rollenspiele
unterschieden? Warum?
• Wie haben sich die TeilnehmerInnen im
ersten Szenario gefühlt?
• Sind Szenarien wie das erste „im wirklichen Leben“ denkbar?
Praktische Hinweise: Der Zweck der Rollenspiele sollte nicht vorab erklärt werden, da der
Überraschungseffekt bei den TeilnehmerInnen
einen tieferen Eindruck hinterlassen könnte
und den Ablauf des Rollenspiels nicht stört.
Vorsicht bei der Durchführung insbesondere
des ersten Rollenspiels – wenn die/der Angeklagte sichtlich nervös oder ängstlich wird,
sollte die/der TrainerIn das Rollenspiel unterbrechen. Eine Unterbrechung bedeutet nicht,
dass das Rollenspiel fehlgeschlagen ist, sondern zeigt, wie realistisch eine solche Simulation sein kann.
Variationsvorschläge: Für das zweite Rollenspiel können anstelle der Richterin/des Richters auch unparteiische Geschworene ernannt
werden. Im Feedback sollte dann angesprochen
werden, welcher Art der Unterschied zwischen
Geschworenen und EinzelrichterIn ist.
Im ersten Szenario stehen der/dem Angeklagten keine AnwältInnen zur Verfügung, und sie
oder er darf sich auch nicht selbst verteidigen.
Die restlichen TeilnehmerInnen stellen das Publikum im Gerichtssaal dar, haben also keine
Stimme im Verfahren. Das Team der Staatsanwaltschaft trägt die Anklage vor, und die/der
RichterIn beurteilt den Fall ausschließlich auf
dieser Basis.
Danach wird für das zweite Szenario ein/e
neue/r RichterIn ernannt, die/der das endgültige Urteil „schuldig oder nicht schuldig“ fällt.
Außerdem wird ein zwei- oder dreiköpfiges Teil IV: Follow-up
Verteidigungsteam ernannt. Die/der Ange- Lesen Sie Artikel 10 der AEMR:
klagte hat diesmal das Recht, vor Gericht zu „Jeder hat bei der Feststellung seiner Rechte
sprechen, und die VerteidigerInnen dürfen und Pflichten sowie bei einer gegen ihn erhoihre Plädoyers halten. Auch die TeilnehmerIn- benen strafrechtlichen Beschuldigung in voller
nen im Publikum können ihre Meinungen äu- Gleichheit Anspruch auf ein gerechtes und öfßern. Die/der neue RichterIn fällt ihre/seine fentliches Verfahren vor einem unabhängigen
Entscheidung auf Grund und unter Abwägung und unparteiischen Gericht.“
sämtlicher Aussagen.
Dies bedeutet in anderen Worten, dass je-
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
des Verfahren öffentlich durchgeführt wer- Übung II: „Wie können Sie nur so
den muss – dass also die/der Angeklagte im jemanden verteidigen?“
Verfahren anwesend ist und die Anklage in
ihrem/seinem Beisein bzw. in Anwesenheit Teil I: Einleitung
ihrer/seiner Familie oder Gemeinschaft erho- Diese Übung dient dazu, auf der Basis von
bereits entschiedenen Gerichtsfällen Vorurteiben wird.
le zu identifizieren und den Begriff des fairen
Die Personen, die eine/n Angeklagte/n vor Verfahrens zu verdeutlichen.
Gericht stellen, dürfen nicht unter dem Einfluss Dritter stehen. Auf Basis der Rollenspiele Teil II: Allgemeine Information
sollte in der Gruppe die Tatsache diskutiert Art der Übung: Diskussion
werden, dass jede/r eine faire Chance bekom- Ziele: Identifikation von Vorurteilen und Grenmen muss, ihren/seinen Fall darzulegen. Dies zen neutraler Beobachtung, Entwicklung anagilt sowohl für Strafverfahren als auch für zi- lytischer und demokratischer Fertigkeiten
Zielgruppe: Jugendliche und Erwachsene
vilgerichtliche Verfahren.
Gruppengröße/Sozialform: beliebig
Die TeilnehmerInnen erhalten die Definition Zeit: ca. 60 Minuten
der UNO, welche Faktoren ein unabhängiges Materialien: Handouts (siehe unten)
und unparteiisches Gericht begründen: Unab- Vorbereitung: Handout des Statements von Verhängig und unparteiisch bedeutet, dass das teidiger Gerry Spence (siehe unten) kopieren
Gericht jeden Fall auf Grund von Beweislage Fertigkeiten: Kritisches Denken und analyund Rechtsstaatlichkeit fair beurteilen muss tische Fertigkeiten, Meinungsbildung, Komund nicht eine Seite aus politischen Gründen munikation, Berücksichtigung aller Aspekte,
bevorzugen darf.
Darstellung verschiedener Gesichtspunkte eines Themas
Bei unvertretenen Angeklagten trägt zudem
auch die juristische Fachsprache in sämtli- Teil III: Spezifische Information
chen Gerichtsdokumenten dazu bei, dass die- Zur Einstimmung auf das Thema werden die
se dem Verlauf des Prozesses nur mit Mühe TeilnehmerInnen aufgefordert, sich berüchtigfolgen können. Welche Vorkehrungen können te VerbrecherInnen vorzustellen (oder ein Vifür solche Fälle getroffen werden?
deo berühmter VerbrecherInnen wird gezeigt).
Es kann auch eine Liste von VerbrecherInnen
Verwandte Rechte und Themen: Unschulds- an der Tafel oder am Flipchart angeschrieben
vermutung, Anerkennung als Rechtspersön- werden.
lichkeit vor dem Gesetz, Recht auf kompetente Danach sollten sich die TeilnehmerInnen vorVerteidigung, Demokratie
stellen, dass sie als AnwältInnen die Verteidigung eines Schwerverbrechers übernehmen.
Quelle: adaptiert aus: United Nations Cyber- Das Handout mit dem Statement des Anwalts
schoolbus. 2003. http://www.un.org/cyber- Gerry Spence wird ausgeteilt, mit Spences
schoolbus/humanrights/declaration/10.asp
Antwort auf die häufig gestellte Frage „Wie
können Sie nur so jemanden verteidigen?“
Nun beginnt die/der TrainerIn auf der Grundlage dieses Statements eine Diskussion über
die Rechte von TäterInnen.
21 7
21 8
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
• Sollte jeder Mensch als unschuldig angesehen werden, solange seine Schuld nicht
bewiesen ist?
• Wenn Sie eines Verbrechens angeklagt sind,
sollten Sie dann immer das Recht haben,
sich selbst zu verteidigen?
• Sollte jedem Menschen ein Rechtsbeistand
gewährt werden?
• Sollten alle Menschen vor dem Gesetz
gleich sein?
Falls gewünscht können einige Argumente auf
dem Flipchart festgehalten werden, um die
Diskussion zusammenzufassen.
Feedback: In einer Feedbackrunde sollten die
TeilnehmerInnen die Diskussion nur kurz zusammenfassen:
• Warum, glauben Sie, verteidigen AnwältInnen VerbrecherInnen?
• Glauben Sie, dass diese AnwältInnen auf
die gleiche Weise angesehen werden wie
die VerbrecherInnen, welche sie verteidigen? Wenn ja, warum?
Praktische Hinweise: Zur Einführung in diese
Übung kann ein Video gezeigt werden, oder
die TeilnehmerInnen lesen einen Artikel über
berüchtigte Kriminelle wie zum Beispiel aus
der Nazizeit in Deutschland, dem Ku-KluxKlan in den Vereinigten Staaten oder über Diktatoren in Lateinamerika oder Asien. Die/der
TrainerIn kann sich auch auf lokale und zeitgenössische Umstände beziehen, beispielsweise
auf Menschen, welche in der öffentlichen
Meinung verurteilt werden, nachdem sie ein
schweres Verbrechen begangen haben. In diesem Fall sollte die/der TrainerIn aber mit den
Emotionen rechnen, die ein solches Thema
aufwühlt. Die Ansichten der TeilnehmerInnen
sollen nicht verurteilt werden, es ist allerdings
klar festzustellen, dass die Menschenrechte
für alle gelten und einem Menschen zu keiner
Zeit entzogen werden können.
Variationsvorschläge: Diskutieren Sie Art. 11
der AEMR. Nach dem Aufschreiben des Arti-
kels auf einen Flipchart sollten Bedeutung und
Zwecks dieses Artikels unterstrichen werden –
jeder Mensch muss als unschuldig angesehen
werden, solange seine Schuld nicht erwiesen
ist. Wer eines Verbrechens angeklagt ist, sollte
immer das Recht haben, sich selbst zu verteidigen. Kein Mensch hat das Recht, einen
anderen Menschen für etwas zu verurteilen
und zu bestrafen, was er nicht getan hat. Die
Unschuldsvermutung und das Recht auf Verteidigung sind zwei wichtige Prinzipien, die in
diesem Artikel angesprochen werden.
In Zusammenhang damit kann auch das Follow-up der Übung „Sich Gehör verschaffen?“
gemacht werden.
Teil IV: Follow-up
Lesen Sie Art. 6 und 8 der AEMR.
Art. 6: „Jeder hat das Recht, überall als rechtsfähig anerkannt zu werden.“ Erklären Sie die
Bedeutung des Artikels: Dass ein Mensch überall den gleichen rechtlichen Schutz genießen
sollte wie jede/r andere. Definition: Vor dem
Gesetz ist eine Person jemand, die das Rechtssystem als Subjekt des Rechtsschutzes und der
damit verbundenen Verantwortung anerkennt.
Art. 8: „Jeder hat Anspruch auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei den zuständigen innerstaatlichen Gerichten gegen Handlungen, durch
die seine ihm nach der Verfassung oder nach
dem Gesetz zustehenden Grundrechte verletzt
werden.“ Dies bedeutet, dass man rechtliche
Hilfe bekommen sollte, wenn die vom Staat
garantierten Rechte nicht respektiert werden.
Verwandte Rechte und Themen: Unschuldsvermutung, Anerkennung als Person vor dem
Gesetz, Recht auf kompetente Verteidigung,
Demokratie
Quelle: adaptiert aus: Correspondence Bias
in Everyday Life, Carleton College, Minnesota, USA. http://carleton.edu/curricular
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
Handout
„Wie können Sie nur so jemanden verteidigen?“
Gerry Spence, Anwalt:
„Na schön, glauben Sie, dass ein Angeklagter ein Verfahren haben sollte, bevor
wir ihn hängen? Wenn ja, sollte es ein
faires Verfahren sein? Wenn es ein faires
Verfahren ist, sollte der Angeklagte einen
Anwalt der Verteidigung bekommen?
Wenn er einen Anwalt bekommt, sollte
der Anwalt kompetent sein? Schön, wenn
dann der Anwalt weiß, dass der von ihm
Verteidigte schuldig ist, sollte er versuchen,
den Fall zu verlieren? Wenn nicht, sollte
er sein Bestes tun, um der Staatsanwaltschaft eine lückenlose Beweisführung zu
ermöglichen? Und wenn er sein Bestes
gibt, und die Staatsanwaltschaft schafft
es nicht, eine lückenlose Beweisführung
vorzulegen, und die Geschworenen sprechen den schuldigen Angeklagten frei,
wem geben Sie dann die Schuld daran?
Geben Sie die Schuld dem Anwalt der
Verteidigung, der seine Arbeit gut gemacht hat, oder der Staatsanwaltschaft,
die versagt hat?“
Quelle: adaptiert aus
Harper’s Magazine. 1997.
BIBLIOGRAPHIE
Amnesty International. 2001. Egypt – Trials of Civilians Before Military Courts Violate Human Right
Standards. http://www.amnestyusa.org/news/2001/
egypt11192001.html
Becker, Michael, Hans-Joachim Lauth und Gert
Pickel. 2001. Rechtsstaat und Demokratie. Theoretische
und empirische Studien zum Recht in der Demokratie.
Wiesbaden: Westdeutscher Verlag.
Becker, Michael. 2001. Rechtsstaat und Demokratie.
Theoretische und empirische Studien zum Recht in der
Demokratie. Berlin: Westdeutscher Verlag.
Bell, Ryan Brett und Paula Odysseos. 2002. Sex,
Drugs and Court TV? How America’s Increasing Interest
in Trial Publicity Impacts Our Lawyers and the Legal
System. 15 Georgetown Journal of Legal Ethics 653.
Carothers, Thomas. 1998. The Rule of Law Revival.
Foreign Affairs 77, Nr. 2.
Cotran, Eugene und Mai Yamani. 2000. The Rule of
Law in the Middle East and the Islamic World. Human
Rights and the Judicial Process. New York: Palgrave.
G8. 2007. Declaration of the G8 Foreign Ministers on
the rule of law. http://www.g7.utoronto.ca/foreign/
formin070530law.htm
Goldfarb, Ronald. 1998. TV or not TV: Television, Justice, and the Courts. New York: New York University
Press.
Hofmann, Rainer, Joseph Marko und Franz Merli.
1996. Rechtsstaatlichkeit in Europa. Heidelberg: C.F.
Müller.
21 9
220
R E C H T S S TA AT L I C H K E I T U N D FA I R E S V E R FA H R E N
Huber, Martina. 2002. Monitoring the Rule of Law,
Consolidated Framework and Report. The Hague:
Netherlands Institute of International Relations.
Human Rights First. 2000. What is a fair trial? A basic Guide to Legal Standards and Practice. http://www.
humanrightsfirst.org/pubs/descriptions/fairtrialcontents.htm
Huster, Stefan und Karsten Rudolph. 2008. Vom
Rechtsstaat zum Präventionsstaat. Frankfurt: Suhrkamp.
Nadrai, Valerie Marie-Gabriell. 2002. Rechtsstaatlichkeit als internationales Gerechtigkeitsprinzip. BadenBaden: Nomos.
Office of the High Commissioner for Human Rights.
1985. Basic Principles on the Independence of the Judiciary. Adopted by the Seventh United Nations Congress on the Prevention of Crime and the Treatment of
Offenders held at Milan from 26 August to 6 September
1985 and endorsed by General Assembly resolutions
40/32 of 29 November 1985 and 40/146 of 13 December 1985. http://193.194.138.190/html/menu3/b/h_
comp50.htm
Petritsch, Wolfgang. 2001. Bosnien und Herzegowina
5 Jahre nach Dayton – Hat der Friede eine Chance? Klagenfurt/Wien: Wieser.
Ramen, Frank. 2001. The Rights of the Accused (Individual Rights and Civic Responsibility). New York: The
Rosen Publishing Group.
Robinson, Mary. 1998. Opening Speech: Building Justice: A Conference on Establishing the Rule of Law in
Post-Conflict Situations. Wien, 26.-27. Juni 1998.
Shah, Nasim Hasan. 1994. Judgement on the Constitution, Rule of Law, and Martial Law in Pakistan. Islamabad: OUP.
Weissbrodt, David A. 2001. The Right to a Fair Trial
under the Universal Declaration of Human Rights and
the International Covenant on Civil and Political Rights,
Articles 8, 10 and 11 of the Universal Declaration of Human Rights. Den Haag: Kluwer Academic Publishers.
Weissbrodt, David und Rüdiger Wolfrum. 1997. The
Right to a Fair Trial. Berlin: Springer.
Zeitschrift für Menschenrechte. Jg.1, 2007/2. Menschenrechte und Staatlichkeit. Schwalbach: Wochenschau Verlag
ZUSÄTZLICHE INFORMATIONEN
Amnesty International USA: Fair Trials Manual.
http://amnestyusa.org/international_justice/fair_trials/manual
All Africa Com:
http://allafrica.com
Centre of Islamic and Middle East Law (CIMEL):
http://www.soas.ac.uk/Centres/IslamicLaw
Deutsches Institut für Menschenrechte:
http://www.institut-fuer-menschenrechte.de
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
(EGMR):
http://www.coe.int/T/D/Menschenrechtsgerichtshof
Europarat/Venedig-Kommission:
http://www.venice.coe.int/site/dynamics/N_calendar_ef.asp?MenuL=GER
OSZE/ODIHR Büro für demokratische Institutionen
und Menschenrechte:
http://www.osce.org/odihr
The Asia Foundation:
http://www.asiafoundation.org
The International Commission of Jurists’ Center for
the Independence of Judges and Lawyers:
http://www.icj.org/rubrique.php3?id_rubrique=40
&lang=en
R eligi o nsfreiheit
RELIGIONSFREIHEIT
GEDANKEN-, GEWISSENS- UND RELIGIONSFREIHEIT
FREIHEIT DER ANNAHME UND DES WECHSELS
EINER RELIGION ODER ÜBERZEUGUNG
FREIHEIT DER BEKUNDUNG DIESER RECHTE
„Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit;
dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder Überzeugung zu
wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung allein
oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre,
Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.“
Art. 18, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. 1948.
2 21
222
R eligi o nsfreiheit
GESCHICHTE ZUR ILLUSTRATION
Dhabihullah Mahrami wurde 1995 festgehal- Verantwortlichen gefunden und zur Verantworten und 1996 wegen „Abtrünnigkeit“ (d.h. we- tung gezogen werden sollen.
gen Wechsels von der Religion des Islam zum
Glauben der Baha‘i) zum Tod verurteilt. Sein Offensichtlich wird die Baha‘i-Gemeinschaft
Todesurteil wurde 1999 in eine lebenslängliche im Iran zunehmend systematisch schikaniert.
Haftstrafe umgewandelt. Amnesty Internatio- Mindestens 66 Personen wurden vermutlich
nal (AI) hat ihn 1996 als Gewissensgefangenen wegen ihrer Identität als Baha‘i oder friedliangenommen, sich für seine sofortige und un- cher Aktivitäten im Namen der Baha‘i seit Anbedingte Freilassung eingesetzt und seinen Fall fang 2005 festgenommen. Die meisten dieser
in einem Report mit folgendem Titel hervorge- Personen wurden wieder entlassen, Berichten
hoben: „Iran: Dhabihullah Mahrami: Gewis- zufolge blieben aber mindestens neun in Haft,
sensgefangener“ (AI Index: MDE 13/34/96).
darunter Mehran Kawsari und Bahram Mashhadi, verurteilt zu drei beziehungsweise einem
Weiteren Berichten zufolge wurde Dhabihullah Jahr Gefängnis in Zusammenhang mit einem
Mahrami am 15. Dezember 2005 tot in seiner offenen Brief an den damaligen Präsidenten
Zelle des Yazd-Gefängnis aufgefunden. Seine Sayed Mohammad Khatami, in dem sie ein
Familie wurde informiert, dass er an einem Ende der Verletzungen der Menschenrechte der
Herzanfall gestorben war. Sein Leichnam wur- Baha‘is verlangten.
de freigegeben und bestattet. Es wurde allerdings berichtet, dass Dhabihullah Mahrami Quelle: Amnesty International. 2006. Iran:
kurz vor seinem Tod bei guter Gesundheit war. Inquiry needed in the death of Baha‘i prisoner
Von einer Herzerkrankung war nichts bekannt, of conscience. Amnesty International Public
obwohl er anscheinend im Gefängnis zu an- statement.
strengender körperlicher Arbeit angehalten http://web.amnesty.org/library/index/eng
wurde und dies die Frage aufwirft, ob diese MDE130042006?open&of=eng-IRN
nicht seinen Tod verursacht oder dazu beigetragen habe. Er soll auch Todesdrohungen erhalten haben.
Diskussionsfragen
1. Was, denken Sie, sind die Gründe für die
In einem Schreiben an Ajatollah Mahmoud
Behandlung von Herrn Mahrami?
Hashemi Shahroudi, den obersten Chef der 2. Haben Sie von vergleichbaren Ereignissen
iranischen Justizgewalt, urgierte Amnesty Inin Ihrem Land oder Ihrer Region gehört?
ternational, dass jegliche Untersuchung zu 3. Welche internationalen MenschenrechtDhabihullah Mahramis Tod in Haft in Überstandards wurden verletzt?
einstimmung mit den UNO-Prinzipien der wir- 4.Wie kann das Auftreten ähnlicher Situatikungsvollen Verhinderung und Untersuchung
onen verhindert werden?
der Durchführung von illegalen, willkürlichen 5. Welche internationalen Organisationen
und Massenexekution (
und Verfahren gibt es, um derartige Fälle
Rechtsstaatlichanzusprechen?
keit und Recht auf ein faires Verfahren) durchgeführt werden müsse und die für seinen Tod
R eligi o nsfreiheit
WAS MAN WISSEN MUSS
1. Religionsfreiheit: noch ein langer Weg
Millionen von Menschen glauben an eine
übergeordnete Macht, die uns spirituell lenkt.
Doch wir könnten gezwungen sein, unseren
Glauben zu verleugnen oder dafür unsere Familien zu verlassen; wir könnten verfolgt, eingesperrt oder sogar dafür getötet werden.
Im dritten Jahrhundert vor Christus wurden
BuddhistInnen in Indien verfolgt, weil sie an
die Lehren Buddhas glaubten. Seit dem neunten Jahrhundert nach Christus, dem „dunklen
Zeitalter“ Europas, wurden MuslimInnen und
andere Nicht-ChristInnen „im Namen Gottes“
verfolgt. Danach erschütterten der Expan­
sionskrieg des Osmanischen Reiches und des
Islam Europa. Jüdinnen und Juden wurden
nicht nur von ChristInnen in Ghettos gesperrt,
sondern zuvor schon von MuslimInnen. Die
Ausrottung der autochthonen Bevölkerung
Lateinamerikas fand ebenfalls im Zuge der
Christianisierung statt.
In der Vergangenheit wie in der Gegenwart
wurden und werden Menschen wegen ihres
Glaubens oder ihrer Überzeugung bedroht.
Die Möglichkeit, an etwas zu glauben und
diesen Glauben oder diese Überzeugung auszudrücken, wird als Gewissens- und Religionsfreiheit bezeichnet und geschützt und ist
somit nicht nur ein rechtliches sondern auch
ein moralisches Thema. Religiöser Glaube
dringt tief in die Privatsphäre der/s Einzelnen
ein, da der Glaube die innersten Überzeugungen und Weltanschauungen ausdrückt.
Der Glaube ist ein Hauptmerkmal für den Ausdruck einer kulturellen Identität. Das macht
religiöse Menschenrechte zu einem besonders sensiblen Thema. Der Umgang mit ihnen
scheint oft mehr Schwierigkeiten als andere
Menschenrechtsthemen zu bereiten.
Ein anderes Problem hat die Regulierung der
religiösen Menschenrechte im internationalen
Recht erschwert. Weltweit sind Religion und
Glaube wichtige Bestandteile der Politik. Religiöser Glaube und religiöse Freiheiten werden
häufig für politische Forderungen und Macht-
„Niemand ist von Natur aus an eine bestimmte Kirche oder Sekte
gebunden, sondern jeder schließt sich freiwillig der Gesellschaft an,
in der er glaubt, seine Berufung und Verehrung für Gott gefunden zu
haben. Die Hoffnung auf Erlösung war der einzige Grund
einzutreten, so ist sie auch der einzige Grund, in der Gemeinschaft
zu bleiben (...). Eine Kirche ist somit eine Gesellschaft von
Mitgliedern, die sich freiwillig zu diesem Zweck verbunden hat.“
John Locke. Briefe über die Toleranz. 1689.
223
224
R eligi o nsfreiheit
ansprüche missbraucht, sodass oft fehlgeleitete Argumente entstehen, wenn Religion und
Politik verknüpft werden.
Angemessener Schutz wurde in den letzten
Jahren immer dringender, da Intoleranz und
Verfolgung aus religiösen Gründen weltweit an
der Spitze vieler tragischer Konflikte im Namen von Ethnizität, Rassismus und Gruppenhass stehen. In aktuellen Konflikten zwischen
Gläubigen und Nicht-Gläubigen, zwischen
traditionellen und „neuen“ Religionen oder
zwischen Staaten mit einer offiziellen oder
vorherrschenden Religion und Andersgläubigen spielt die Verfolgung aus religiösen Gründen eine gewichtige Rolle.
Heute geschehen Verletzungen der Religionsfreiheit weltweit, in der Unterdrückung
verschiedener Glaubensrichtungen in Burma,
China (zum Beispiel der uigurischen MuslimInnen in Xinjiang oder tibetischer BuddhistInnen), im Iran (Baha‘i), in Nordkorea, Sudan,
Saudi-Arabien, in Eritrea, Pakistan, Turkmenistan und Uzbekistan. Sie reichen vom Erstarken des christlichen Fundamentalismus in
den Vereinigten Staaten von Amerika bis zur
Intensivierung des religiösen Extremismus im
Islam, von neuen Formen des Antisemitismus
„Kein Frieden zwischen den
Nationen ohne Frieden zwischen
den Religionen;
Kein Frieden zwischen den
Religionen ohne Dialog zwischen
den Religionen.
Kein Dialog zwischen den
Religionen ohne Suche nach der
Grundlage der Religionen.“
Hans Küng, Präsident der Stiftung Weltethos.
(d.h. Furcht vor und Hass auf Jüdinnen und
Juden bzw. Judentum) in zahlreichen Ländern
bis zu einer besonders seit den Anschlägen in
Washington und New York am 11. September
2001 wachsenden, aber häufig übersehenen
Islamophobie (d.h. Furcht vor und Hass auf
MuslimInnen bzw. Islam) in den Vereinigten
Staaten und in Europa.
Leider gibt es noch zahlreiche andere Fälle,
welche die Dringlichkeit einer Regelung der
Religionsfreiheit verdeutlichen; besonders
dann, wenn Extremismus damit verbunden
ist. Dieses Phänomen wird später separat angesprochen.
Was man wissen sollte
Religionsfreiheit und
Menschliche Sicherheit
Die Freiheit von Angst ist ein Grundwert
der Menschlichen Sicherheit. Diese Basis
wird durch die Verletzung der Religionsfreiheit enorm bedroht. Wenn wir nicht
an unsere eigene Vorstellung von „Gott“
oder dem Universum glauben können,
wird persönliche Freiheit und Sicherheit
für uns immer unerreichbar bleiben. Bedrohungen der Gedanken-, Glaubens-,
und Gewissensfreiheit betreffen nicht nur
Einzelne, sondern auch Gemeinschaften
in der Entwicklung und Sicherung ihrer
persönlichen Integrität. Sobald Diskriminierung und Verfolgung aus Glaubensgründen systematisch betrieben oder
institutionalisiert wird, kann dies nicht
nur zu Spannungen innerhalb von Gemeinschaften führen, sondern auch zu
internationalen Krisen. Unsicherheitsfaktoren können von Einzelpersonen,
Gruppen oder Staaten ausgehen. Diese
allumfassende und allgegenwärtige Bedrohung der persönlichen Sicherheit auf
R eligi o nsfreiheit
Grund des Glaubens oder der Religion
verlangt besondere Schutzmaßnahmen.
Menschenrechtsbildung und -lernen ist
der Schlüssel zur Achtung der Gedanken
und des Glaubens Anderer. Das Erlernen
von Achtung, Toleranz und menschlicher
Würde kann nicht mit Gewalt durchgesetzt werden. Dieses Ziel kann nur mit
einer langfristigen Verpflichtung aller
Beteiligten erreicht werden, um gemeinsam sowohl persönliche als auch globale
Sicherheit aufzubauen.
2. Definition und
Beschreibung des Themas
Was ist Religion?
Es gibt keine allgemeine Definition von Religion in der Philosophie oder der Soziologie.
Zumindest gibt es aber einige gemeinsame
Elemente in den verschiedenen vorgeschlagenen Definitionen.
Etymologisch stammt Religion vom lateinischen „religare“ und bedeutet „an-, zurückbinden“. Religion ist das, was Gläubige an
etwas Absolutes bindet, das sich entweder in
persönlichen oder in unpersönlichen Begriffen fassen lässt. Es beinhaltet normalerweise
eine Reihe von Riten und Ritualen, Regeln
und Regelungen, die es Einzelnen oder Gemeinschaften ermöglichen, ihre Existenz auf
einen „Gott“ oder mehrere „Götter“ zu beziehen. Nach Milton J. Yinger stellt Religion ein
„System von Vorstellungen und Praktiken dar,
mit dessen Hilfe Menschen mit den Grundproblemen ihres Lebens kämpfen“.
Zum Vergleich definiert Blacks Rechtswörterbuch Religion als „eine [menschliche]
Beziehung zur Göttlichkeit, zur Verehrung,
Anbetung, Gehorsam und Unterwerfung unter Auflagen und Gebote übernatürlichen oder
übergeordneten Lebens. Im weitesten Sinn beinhaltet Religion alle Formen des Glaubens an
die Existenz einer höheren Macht, die Macht
über die Menschen ausübt, indem sie ihnen
Sanktionen und Verhaltensregeln mit zukünftiger Belohnung und Bestrafung auferlegt“.
Diese und ähnliche Definitionen umfassen
alle die Anerkennung der Existenz von etwas
Höherem, Heiligem, Absolutem oder Übersinnlichem, sei es personalisiert oder nicht.
Das „Absolute“ hat eine normative Funktion,
und es wird von den Gläubigen erwartet, dass
sie den Lehren und Verhaltensregeln ihrer Religion folgen, um so das „Absolute“ zu erreichen. Ebenso sollen Gläubige ihren religiösen
Glauben in verschiedenen Formen des Gottesdienstes und der Verehrung zum Ausdruck
bringen. Üblicherweise, wenn auch nicht immer, wird dazu eine Kirche oder ein anderer
Rechtsträger gegründet, um die Gruppe oder
den Gottesdienst zu organisieren.
Was ist Glaube?
Glaube umfasst ein breiter gefasstes Konzept
als Religion. Glaube schließt Religion mit ein,
ist aber nicht auf ihre traditionelle Bedeutung
beschränkt. Blacks Rechtswörterbuch definiert
Glaube als „Glaube an die Wahrheit einer Aussage, die nur subjektiv wahrgenommen wird
und erst durch Argumentation, Überzeugung
oder Beweis zu einem Urteil führt“.
Das UNO-Menschenrechtskomitee hat in der
Allgemeinen Bemerkung Nr. 22 bezüglich Art.
18 des Zivilpaktes den Schutz der Religion
oder des Glaubens wie folgt definiert: „Artikel
18 schützt den theistischen, nicht-theistischen
und atheistischen Glauben, sowie das Recht,
sich zu keiner Religion oder keinem Glauben
zu bekennen“. Die Allgemeinen Bemerkungen
sagen auch, dass „die Begriffe Religion oder
Glaube breit ausgelegt werden sollen. Art. 18
ist in seiner Anwendung nicht auf traditionelle
225
226
R eligi o nsfreiheit
Religionen oder auf Religionen oder Glaubens- viduell als auch in der Gemeinschaft mit anderichtungen mit institutionellen Merkmalen oder ren bekundet werden kann.
auf Praktiken beschränkt, die denen der traditi- Die Gewissensfreiheit wird häufig verletzt, was
onellen Religionen entsprechen. Der Ausschuss durch die große Zahl der weltweit inhaftierten
beobachtet daher mit Sorge jegliche Tendenz „prisoners of conscience“ (Gewissensgefangene)
zur Diskriminierung gegen jedwede Religion deutlich wird. Diese Häftlinge gehören meist
oder jedweden Glauben aus jeglichem Grund, religiösen Minderheiten an. Der eingangs erauch wenn sie neu gestiftet wurden oder reli- wähnte Fall des Baha’i Dhabihullah Mahrami
giöse Minderheiten darstellen und Gegenstand ist nur eines von unzähligen Beispielen.
von Feindseligkeiten durch eine vorherrschende Gedanken- und Gewissensfreiheit sowie die
Religionsgemeinschaft sind“.
Freiheit, eine Religion oder einen Glauben zu
wählen und zu wechseln, sind vorbehaltlos
Quelle: Vereinte Nationen. Menschenrechts- geschützt. Niemand kann dazu gezwungen
komitee. 1993. Allgemeiner Kommentar Nr. werden, ihre oder seine Gedanken zu offen22 (48) bezüglich Art. 18 des Zivilpaktes. UN- baren oder einer Religion oder einem Glauben
Dok. CCPR/C/21/Rev. 1/Add. 4 vom 27. Sep- anzugehören.
tember 1993.
Internationale Standards
Jeder andere Glaube, egal ob politischer, kul- Die Menschenrechtsgesetzgebung vermeidet
tureller, wissenschaftlicher oder wirtschaftli- die Kontroverse um die Definition von Religicher Natur, fällt nicht unter diesen Schutz und on und Glaube. Sie beinhaltet einen Katalog
von Rechten, um die Gedanken-, Gewissensmuss getrennt behandelt werden.
und Religions- und Glaubensfreiheit zu schütMeinungs- und Medienfreiheit
zen. Man kann die religiösen Freiheiten in drei
Ebenen einteilen, um ihre Komplexität besser
Was ist Religionsfreiheit?
Im internationalen Recht werden religiöse Frei- zu verstehen:
heiten als Gedanken-, Gewissens- und Religi- 1. Freiheit zur Ausübung bestimmter
persönlicher Gebräuche
onsfreiheit geschützt.
Diese drei Grundfreiheiten werden gleicher- 2. Freiheit zur Ausübung kollektiver
maßen auf theistische und religiöse Über- Gebräuche
zeugungen angewandt und beinhalten alle 3.Die Freiheiten bestimmter Institutionen
Glaubensrichtungen mit einer metaphysischen
Sicht des Universums. Freiheit der Religion Freiheit zur Ausübung bestimmter
und des Glaubens im engen Sinn beinhaltet die persönlicher Gebräuche:
Freiheit zur und die Freiheit von der Religion, Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menwas verstanden werden kann als das Recht, schenrechte (AEMR) identifiziert die Relijede religiöse Norm und Einstellung anzuneh- gionsfreiheit als „Jedermannsrecht“, das
heißt, dass Kinder und Erwachsene, Staatsmen oder auch nicht anzunehmen.
Gedanken- und Gewissensfreiheit wird auf die bürger und Staatsbürgerinnen sowie Fremde
gleiche Weise geschützt wie Religions- und gleichermaßen geschützt werden und die
Glaubensfreiheit. Sie umfasst die Gedanken- Religionsfreiheit weder im Krisenfall noch
freiheit in allen Belangen, persönliche Über- in bewaffneten Konflikten eingeschränkt
zeugungen sowie die Verbindung mit einer werden kann. Die Liste der im Art. 18 des ZiReligion oder einem Glauben, die sowohl indi- vilpaktes genannten individuellen Religions-
R eligi o nsfreiheit
freiheiten bietet eine detaillierte Aufzählung
der Rechte, die dem international anerkannten Mindeststandard entsprechen:
• die Freiheit zur Ausübung des Gottesdienstes oder der Versammlung in
Verbindung mit einer Religion oder
einem Glauben und die Freiheit, zu
diesem Zweck Plätze zu einzurichten
und zu erhalten;
• die Freiheit zur Herstellung, zum Erwerb und Gebrauch von notwendigen
Gegenständen und Materialien, die
mit den Riten und Gebräuchen einer
Religion oder eines Glaubens verbunden sind;
• die Freiheit, freiwillige finanzielle
oder andere Beiträge von Einzelpersonen oder Institutionen zu erbitten
oder zu erhalten;
• die Freiheit, geeignete geistliche Oberhäupter auszubilden, zu ernennen, zu
wählen oder durch Nachfolge zu bestimmen, die den Anforderungen und
Standards einer Religion oder eines
Glaubens entsprechen;
• die Freiheit, Ruhetage einzuhalten und
Feiertage sowie Zeremonien im Einklang mit den Grundsätzen einer Religion oder eines Glaubens zu begehen;
• religiöse Freiheit am Arbeitsplatz;
dazu gehören das Recht zu beten sowie Bekleidungs- und Diätvorschriften einzuhalten;
• die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit zum Gebet und zu religiösen
Festen;
• die Freiheit, den eigenen Glauben zu
verkünden;
• das Recht, eine Religion oder Weltanschauung zu wechseln oder abzulehnen;
• das Recht auf Religionsunterricht im
Interesse des Kindeswohles.
Freiheit zur Ausübung kollektiver Gebräuche:
Das Menschenrecht auf Religionsfreiheit ermöglicht nicht nur der/dem Einzelnen den
Genuss der oben genannten Rechte und Freiheiten. Eine Religion oder Weltanschauung
kann und wird üblicherweise in Gemeinschaft
bekundet und findet daher häufig an öffentlichen Plätzen statt. Daher werden das Versammlungs- und Vereinigungsrecht auch einer
Gemeinschaft von Gläubigen gewährt.
Die Freiheiten bestimmter Institutionen:
Bestimmte Institutionen, die aus religiösen
Gründen bestehen, genießen ebenso den vollen Schutz durch die Religionsfreiheit. Solche
Institutionen können Gebetshäuser oder Bildungseinrichtungen für religiöse Zwecke, aber
auch NGOs sein.
Ihre Rechte beinhalten:
• die Freiheit zur Errichtung und Erhaltung geeigneter karitativer oder humanitärer Institutionen;
• die Freiheit, einschlägige Dokumentation zu verfassen, zu veröffentlichen
und zu verbreiten;
• die Freiheit zur Erziehung zur Religion oder Weltanschauung an geeigneten Plätzen.
Quelle: UNO. 1981. Erklärung über die
Beseitigung aller Formen von Intoleranz
und Diskriminierung aufgrund der Religion oder der Überzeugung. UN-Dok. A/
RES/36/55 vom 25. November 1981.
227
228
R eligi o nsfreiheit
Das Prinzip der Gleichbehandlung
Diskriminierung und Intoleranz aus religiösen
Gründen, also jede Art von Unterscheidung,
Ausgrenzung, Beschränkung oder Bevorzugung auf Grund von Religion oder Glauben
sind verboten. Das Verbot der religiösen Diskriminierung und Intoleranz beschränkt sich
nicht auf das öffentliche Leben, sondern betrifft auch die Privatsphäre von Personen, in
der Weltanschauungen religiöser und anderer
Art verwurzelt sind.
Nicht-Diskriminierung
Bekundung des Glaubens
Die Freiheit auf Bekundung eines religiösen
Glaubens umfasst den Schutz der religiösen
Sprache, Lehre, von Gebräuchen, des Gottesdienstes und religiöser Feste. Wir haben das
Recht, über unseren Glauben zu sprechen,
ihn zu lehren, ihn allein oder in Gemeinschaft
mit anderen zu praktizieren, Diät- und Bekleidungsvorschriften einzuhalten oder uns
einer bestimmten Sprache zu bedienen sowie
mit unserem Glauben in Verbindung stehende
Rituale zu begehen. Eine Religion oder einen
Glauben zu bekunden, bedeutet auch, Handlungen zu vermeiden, die mit den GrundsätBildung/Erziehung
Eltern haben das Recht auf Erziehung ihrer zen des Glaubens unvereinbar sind. Solche
Kinder nach ihrem Glauben. Die Regelung Handlungen können die Verweigerung von
im „Interesse des Kindeswohles“ soll die Frei- Eiden oder Militärdienst sein, die Teilnahme
heit der Eltern nur soweit beschränken, dass an religiösen Feierlichkeiten, die Ablegung
eine elterliche Handlung nicht die körperliche von Geständnissen oder eine medizinische
und geistige Gesundheit des Kindes gefähr- Behandlung.
den kann. Eine solche Handlung kann etwa
die Verweigerung eines Medikaments oder Grenzen der Religionsfreiheiten
des Schulbesuches sein. Als Beispiel dient die Während der Glaube an sich ohne Vorbehalte
Verweigerung einer Bluttransfusion, die zum geschützt wird, kann jedoch die Ausübung oder
Tod der Kinder von ZeugInnen Jehovas führen Bekundung des Glaubens Grenzen erreichen,
kann, deren Glaube Bluttransfusionen nicht wenn sie Interessen anderer beeinträchtigt.
erlaubt.
Beschränkungen des Rechts auf Bekundung
Im öffentlichen Bereich haben Staaten die Ver- eines religiösen Glaubens müssen verhältpflichtung, Bildung so zu gewährleisten, dass nismäßig sein und auf dem Gesetz beruhen.
Kinder vor religiöser Intoleranz und Diskrimi- Sie können nur dann auferlegt werden, wenn
nierung geschützt werden. Darüber hinaus es notwendig ist, die öffentliche Sicherheit,
soll das Bildungssystem Gedanken-, Gewis- Ordnung, Gesundheit, Moral oder Grundsens- und Religionsfreiheit in den Lehrplänen rechte und Freiheiten anderer zu schützen.
berücksichtigen.
Einschränkungen dieser Freiheiten sind etwa
zulässig im Falle der Darbringung von MenDiskussionsfragen
schenopfern, der Selbstopferung, weiblicher
• Wie wird der Religionsunterricht in Ihrem Genitalverstümmelung, Sklaverei, ProstituLand gehandhabt?
tion, staatsfeindlicher Bestrebungen und an• Behandeln Lehrpläne und Schulbücher die derer Handlungen, welche die menschliche
Religions- und Glaubensfreiheit einschließ- Gesundheit und körperliche Unversehrtheit
lich der Freiheit auf keinen Glauben?
gefährden.
• Gibt es Maßnahmen zum Schutz der Unabhängigkeit des Religionsunterrichts?
R eligi o nsfreiheit
3. Interkulturelle Perspektiven
und strittige Themen
Staat und Glaube
Eine der weltweit größten Differenzen über
den Schutz der Religionsfreiheiten betrifft das
Verhältnis zwischen Staaten und ihren Religionen oder Glaubensrichtungen. Es gibt
verschiedene Grundmuster, wie Staaten mit
Glaube umgehen: die Einrichtung von Staatsreligionen, etablierte Kirchen, staatliche Neutralität gegenüber Glaubensrichtungen und
deren Institutionen, keine offizielle Religion,
Trennung von Staat und Kirche und schließlich der Schutz von rechtlich anerkannten Religions- oder Glaubensgemeinschaften.
Internationale Standards verlangen keine
Trennung von Staat und Kirche, das bedeutet
gleichzeitig, dass die internationalen Verträge kein bestimmtes Modell für das Verhältnis
von Staat und Kirche vorschreiben. Vor allem
findet auch die Vorstellung von säkularen
Gesellschaften, die Religion von öffentlichen
Angelegenheiten trennen zu müssen, keine
Verankerung im internationalen Recht.
Die einzige internationale Maßgabe besteht
darin, dass jede Art von Verhältnis Staat-Kirche nicht diejenigen diskriminieren darf, die
nicht einer offiziellen Religion oder anerkannten Glaubensrichtung angehören.
Wenn allerdings eine Religion als konstituierendes Merkmal nationaler Identität herangezogen wird, ist es fraglich, ob Gleichbehandlung
von unterschiedlichen oder Minderheitenreligionen garantiert werden kann. Nach westlicher Auffassung kann ein neutrales Verhältnis
zwischen Religion und Staat viel eher vollen
Schutz der religiösen Freiheiten der/des Einzelnen gewährleisten. Zum Vergleich verbindet etwa das religiöse Gesetz des Islam, die
Scharia, den Staat mit Religion, weil in diesem System ein besserer Schutz der religiösen
Freiheiten der Gemeinschaft gesehen wird. Es
kann jedoch entgegnet werden, dass in Fällen,
in denen der Staat mit einer bestimmten Kirche oder Religion gekoppelt wird, Angehörige
religiöser Minderheiten wahrscheinlich nicht
den gleichen Schutz genießen.
Diskussionsfragen
• Wie ist die Haltung Ihres Staates gegenüber
Glaubensrichtungen?
• Werden in Ihrem Staat Institutionen unterschiedlicher Glaubensrichtungen anerkannt?
• Halten Sie die Errichtung eines Systems der
Gleichberechtigung aller Glaubensrichtungen für möglich, während ein Glaube bevorzugt wird?
• Ist es Ihrer Meinung nach legitim, konfessionelle oder religiöse politische Parteien
anzuerkennen?
Apostasie („Abtrünnigkeit“) –
Die Freiheit der Wahl und
des Wechsels des Glaubens
Der Akt der Apostasie – das Verlassen einer Religion, um eine andere Religion anzunehmen oder einen säkularen Lebensstil zu
führen – ist trotz eindeutiger internationaler
Regelungen ein vieldiskutiertes Thema zwischen den Kulturen.
Eine Person ist „abtrünnig“, wenn sie aus einer Religion austritt und entweder einen anderen Glauben annimmt oder fortan keinem
Glauben angehört. In der Geschichte haben
der Islam, das Christentum und andere Religionen „Abtrünnige“ ihrer Glaubensrichtungen
verurteilt. Die Strafe für Apostasie, den „Abfall“ vom (eigenen) Glauben, war in vielen
Fällen die Hinrichtung.
Heute wird Apostasie noch immer in vielen
Ländern, in denen die Gesellschaft auf dem
religiösen Gesetz des Islam, der Scharia, beruht, schwer bestraft. Pakistan, Malaysia oder
Ägypten stehen stellvertretend für viele andere Länder, wo lebenslange Haft oder sogar die
Todesstrafe für die öffentliche Ablehnung des
229
230
R eligi o nsfreiheit
islamischen Glaubens verhängt werden kann. die Darstellung auf Plakaten und ReklameIn der Praxis bedeutet das, dass die Freiheit wänden.
der Wahl und des Wechsels des Glaubens Die Anwendung von Gewalt, um einen Glaubensübertritt zu erzwingen, ist eine klare Vernicht existiert.
Dies steht in deutlichem Widerspruch zur in- letzung der Menschenrechte; jedoch ist die
ternationalen Menschenrechtsgesetzgebung. Frage, was alles unter Zwang fällt, im interJeder Mensch hat das Recht, seinen Glauben nationalen Recht noch immer ungeklärt. Ein
frei und ohne Zwang zu wählen. Die Debatte „zwingender Umstand“ muss auftreten, damit
um dieses Thema wird höchst emotional ge- Proselytismus eingeschränkt werden kann:
führt, da sie in tiefe Überzeugungen eingreift etwa der Gebrauch von Geld, Geschenken oder
und auf unterschiedliches Verständnis der reli- Vergünstigungen, um jemanden zum Konvergiösen Freiheiten trifft. Der Umgang mit Apos- tieren zu bringen – oder das Proselytieren an
tasie illustriert die kulturellen Differenzen im Plätzen, an denen die Anwesenheit rechtlich
Verständnis von religiösen und anderen Frei- durchsetzbar ist (Klassenzimmer, militärische
heiten und scheint den „Westen“ vom „Rest Einrichtungen, Gefängnisse und ähnliches).
der Welt“ zu unterscheiden.
Aufwiegelung zu religiösem Hass
und Meinungsfreiheit
Diskussionsfrage
• Glauben Sie, dass in der Praxis Menschen Anfang 2006 beharrten Menschenrechtsgrupihren Glauben frei wählen und wechseln pen in Großbritannien darauf, dass das neue
können? Könnte dies eventuell zu einer „Gesetz betreffend ‚rassischen’ oder religiösen
Kollision mit anderen Menschenrechten Hass“, welches das neue Delikt der „Aufwiegelung zu religiösem Hass“ schuf, nicht das
führen? Wenn ja, mit welchen?
Recht verhindern darf, religiösen Glauben und
Praxis als Teil der Meinungsfreiheit zu kritiProselytismus – Das Recht
sieren und lächerlich zu machen. Das Gesetz
auf Verbreitung des Glaubens
Jeder Mensch hat das Recht auf Verbreitung wurde dementsprechend abgeändert.
seines Glaubens und dazu, andere zum ÜberMeinungsfreiheit und Pressefreiheit
tritt zu einem anderen Glauben oder zu einer
anderen Religion zu ermutigen, solange nicht Wehrdienstverweigerung
Zwang oder Gewalt angewandt werden. Diese aus Gewissensgründen
Handlung bezeichnet man als „proselytieren“ Die interkulturelle Kontroverse über die so geoder „missionieren“.
nannte Wehrdienstverweigerung aus GewisIn Mittel- und Osteuropa und Afrika sind sensgründen dauert an. Vom verpflichtenden
Konflikte zwischen einheimischen Kirchen Militärdienst kann abgesehen werden, wenn
und ortsfremden Religionen, die Missionar- jemand die Verpflichtung zum Töten nicht in
sprogramme fördern, entstanden. In man- Einklang mit seinem Glauben bringen kann
chen Fällen wurden diese Programme von und keine nachteiligen Unterscheidungen für
Regierungen verboten. Die Menschenrechte Personen anderen Glaubens daraus entstehen
verlangen, dass Regierungen das Recht auf können. Ein gewisser Trend hin zur AnerkenMeinungsfreiheit schützen und dass den Gläu- nung eines solchen Rechts durch nationale
bigen daher Schutz gewährt wird, gewaltlose Gesetzgebungen kann in manchen Ländern
Formen des Proselytismus zu betreiben, wie beobachtet werden, in denen alternativer
etwa „bloße Appelle an das Gewissen“ oder Zivildienst angeboten wird (wie etwa in Ös-
R eligi o nsfreiheit
terreich, Frankreich, Kanada oder den USA). gung und Diskriminierung betrifft Einzelne
Eine solche Anerkennung existiert jedoch in und Gemeinschaften aller Glaubensrichtungen
anderen Ländern wie etwa Griechenland, Chi- weltweit. Die Vorfälle reichen von Verletzunle oder insbesondere Israel nicht, so dass auf gen des Prinzips der religiösen Gleichbehanddie Weigerung, eine Waffe zu tragen, Gefäng- lung und Toleranz bis zu Angriffen auf das
Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit
nis steht.
und menschliche Sicherheit der Person.
Auch regionale Instrumente behandeln die
Diskussionsfragen
• Gibt es „Gefangene des Glaubens“ in Ihrem Durchsetzung der Religionsfreiheit: Die Afrikanische Kommission der Menschenrechte etwa
Land?
• Gibt es Ihrer Meinung nach einen Bedarf entschied über einen Fall im Sudan, dass die
dafür, dass das Recht auf Weigerung zu tö- Anwendung der Scharia im Einklang mit den
ten explizit im internationalen Recht aner- internationalen Verpflichtungen stehen muss.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenkannt wird?
rechte (EGMR) in Straßburg ist eines der effektivsten Instrumente zur Durchsetzung der
Religionsfreiheit auf regionaler europäischer
4.Durchsetzung und Überwachung
Ebene. Zahlreiche Entscheidungen, wie das
Das Hauptproblem der Durchsetzung der re- erst kürzlich ergangene Urteil zur Scientologyligiösen Rechte ist das Fehlen eines effektiven Kirche weisen in diese Richtung (siehe EGMR.
Mechanismus zur Umsetzung des Art. 18 des 2007. Fall Church of Scientology Moscow v.
Zivilpaktes. Die aus dem Jahre 1981 stammen- Russia. Urteil vom 5. April 2007).
de UNO-Erklärung über die Beseitigung aller
Formen von Intoleranz und Diskriminierung Vorbeugende Maßnahmen und
aufgrund der Religion oder der Überzeugung Zukunftsstrategien
hat insofern eine gewisse rechtliche Wirkung, Bevor noch die Arbeit an einer rechtlich verals die Erklärung als Bestätigung von interna- bindlichen Konvention fortgesetzt werden
kann, muss die UNO-Erklärung über die Betionalem Gewohnheitsrecht gilt.
Allerdings ist eine Erklärung kein Vertrag und seitigung aller Formen von Intoleranz und Disdaher nicht rechtlich bindend. Trotz internati- kriminierung aufgrund der Religion oder der
onaler Einigkeit über die Notwendigkeit einer Überzeugung von 1981 besser gefördert werKonvention gibt es derzeit noch keinen Kon- den, um eine Kultur des multi-religiösen Miteinander zu entwickeln. Dabei muss besonders
sens über die Inhalte.
Die/der Sonderberichterstatter/in zur Re- auf die Rolle der Bildung als grundlegender
ligions- und Glaubensfreiheit wurde 1986 Bestandteil der Bekämpfung religiöser Intoeingesetzt, um die Durchsetzung der UNO-Er- leranz und Diskriminierung geachtet werden.
klärung von 1981 zu überwachen. Ihre/seine Staaten haben nach internationalem Recht
Aufgabe ist es hauptsächlich, Vorfälle und Ak- klare Verantwortlichkeiten, um Gewalt und
tionen von Regierungsseite zu identifizieren, Diskriminierung aus Gründen des Glaubens
die nicht in Einklang mit den Regelungen der zu entgegen zu treten. NGOs, religiöse und
Erklärung stehen. Darüber hinaus soll sie/er säkulare Organisationen haben eine ebenso
Empfehlungen über Abhilfe schaffende Maß- klare Rolle darin, Verletzungen durch Staaten
nahmen abgeben, die dann von den Staaten und nichtstaatliche AkteurInnen aufzuzeigen,
umgesetzt werden. Religiös motivierte Verfol- damit die Verfolgten zu verteidigen und die
2 31
232
R eligi o nsfreiheit
Toleranz durch Informations- und Aufklä- glimpfen oder herabzuwürdigen, und dass
rungskampagnen, Bewusstseinsbildung und wir das fundamentale Recht auf Anderssein
respektieren.
Bildung zu fördern.
Sie bedeutet ebenfalls, andere nicht am Arbeitsplatz, am Wohnungsmarkt oder beim
Was können wir tun?
Wir können damit beginnen, Diskriminierung Zugang zu Sozialeinrichtungen zu behindern,
und religiöse Verfolgung zu verhindern, indem weil sie einem anderen oder keinem Glauben
wir die Rechte anderer respektieren. Religiöse angehören. Darüber hinaus brauchen wir ReToleranz bedingt, dass wir Angehörige anderer spekt, um eine Änderung der Einstellungen
Glaubensrichtungen respektieren, unabhän- zu beginnen. Damit wir lernen, Respekt für
gig davon, ob wir der Meinung sind, dass ihr den anderen zu artikulieren, muss ein interreligiöser Dialog zwischen Gläubigen und
Glaube richtig ist.
Diese Kultur der Toleranz und des Respekts Nichtgläubigen auf einer gemeinsamen Basis
verlangt, dass wir uns weigern, religiös An- geführt werden.
dersdenkende zu diskriminieren, zu verun-
Was man wissen sollte
1. Good Practices
Interreligiöser Dialog für religiöse Vielfalt
In den letzten zwei Jahrzehnten haben Fragen
des religiösen und kulturellen Pluralismus das
Interesse an Kirchen und Glaubensgemeinschaften wiedererweckt. Der Drang nach dem
Aufbau fruchtbarer Beziehungen zwischen
Menschen unterschiedlichen Glaubens wird
immer stärker ersichtlich. Mit dem wachsenden Interesse am Dialog wuchs auch seine
Praxis und ermöglichte es religiösen Gemeinschaften, zu einem besserem gegenseitigen
Verständnis zu gelangen und in den Bereichen
Bildung und Konfliktlösung sowie im Alltagsleben der Gemeinde enger zusammen zu arbeiten. Internationale NGOs zur Förderung
des religiösen Dialogs und des Friedens sind
unter vielen anderen:
• das Weltkirchenkonzil (World Council of
Churches)
• die Weltkonferenz der Religionen für den
Frieden (WCRP) mit ihrer ständigen Arbeitsgruppe zu „Religion und Menschenrechte“
• das Weltparlament der Religionen
• die Stiftung Weltethos
Daneben treiben zahllose lokale und regionale Initiativen Konfliktbewältigung und
Prävention durch einen weltweit geführten
Dialog voran:
• Im Nahen Osten bringt Clergy for Peace
Rabbis, Priester, PastorInnen und Imame in
Israel und der Westbank für gemeinsame
Aktionen und als ZeugInnen für Frieden
und Gerechtigkeit in der Region zusammen.
• In Südindien versammelt das Council of
R eligi o nsfreiheit
ches Schulbuch münden sollen.
Grace Hindus, ChristInnen, MuslimInnen,
BuddhistInnen, ZoroastrierInnen, Jüdinnen • In Thailand und Japan führten LeiterInnen
von Ethikcamps für Jugendliche VertreterInund Juden sowie Sikhs, um gemeinsam
nen ihrer Religionsgemeinschaften zu Trainach Lösungen in Konflikten der Gemeinde
ningprogrammen über Führungsgrundsätze,
zu suchen (Kommunalismus).
Ethik und Moral, Gemeinschaftsdienst und
• Im Pazifik bringt Interfaith Search Vertreverstärkt Versöhnung zusammen.
terInnen verschiedener Religionen zahlreicher Regionen Fidschis an einen Tisch, um • In Deutschland, England und anderen Ländern analysieren LehrerInnen Schulbücher
Vorteile abzubauen und gegenseitigen Resin Hinblick auf die Behandlung von relipekt zu fördern.
giösen Traditionen, die dem Zielpublikum
• In Europa ist das Projekt Interfaith Europe
fremd sind.
das erste seiner Art, das StadtpolitikerInnen und VertreterInnen verschiedener Religionen aus ganz Europa in den Städten
2. Trends
Sarajewo und Graz zusammenführt.
• Die Stadt Graz hat einen Interreligiösen Beirat ins Leben gerufen, der beim Zusammen- Kulte, Sekten und neue
leben der Glaubensrichtungen auftretende religiöse Bewegungen
Probleme diskutiert und die Politik berät.
Jakarta (16. Juli 2005): Vizepräsident
Yusuf Kalla verurteilte einen Angriff von
ungefähr 1.000 Moslems auf den HauptDiskussionsfrage
sitz der Ahmadiyah-Sekte in der Stadt
„Im Dialog halten sich Überzeugung und OfBogor im Süden von Jakarta. Die Ahmafenheit die Waage.“
diyah-Sekte war zuvor vom moslemiWorldwide Ministries - Guidelines for Inschen Mainstream weltweit als häretisch
terfaith Dialogue. http://www.pcusa.org/
denunziert worden. Mit Schlagstöcken
worldwide
und Steinen bewaffnet, verwüstete die
• Wie kann das sowohl individuell als auch
Menge Büros und Wohnviertel. Die herin der Gemeinschaft umgesetzt werden?
beigerufene Polizei versuchte den Angriff zu stoppen, war den zahlenmäßig
„Religionen für den Frieden“
überlegenen Angreifern aber nicht gedurch Bildung
wachsen.
Interreligiöse Erziehung ermutigt zu Respekt
für Angehörige anderer Glaubensrichtungen
Quelle: The Jakarta Post. 16. Juli 2005.
und bereitet SchülerInnen darauf vor, SchranVP condemns mob attack on Islamic sect.
ken der Vorurteile und Intoleranz beiseite zu
schieben.
http://www.indonesia-ottawa.org/infor
• In Israel brachte das Projekt „Gemeinsame
mation/details.php?type=news&id=1220
Werte/Unterschiedliche Quellen“ Jüdinnen
und Juden, MuslimInnen und ChristInnen Religionsfreiheit umfasst nicht nur den Schutz
zusammen, um gemeinsam heilige Texte traditioneller Weltreligionen. Neue religiöse
auf der Suche nach gemeinsamen Werten Bewegungen oder religiöse Minderheiten hazu lesen, die auch im Alltag verwendet ben den gleichen Anspruch auf Schutz. Dieses
werden können und schließlich in einheitli- Prinzip der Gleichbehandlung ist besonders
233
234
R eligi o nsfreiheit
im Lichte der aktuellen Anlässe, in denen religiöse Bewegungen immer wieder Ziel von
Diskriminierung und Unterdrückung werden,
von Bedeutung. Solche neuen Bewegungen
sind unter verschiedenen Ausdrücken bekannt
und bedürfen einer genaueren Betrachtung.
Die Begriffe „Kult“ und „Sekte“ werden verwendet, um religiöse Gruppen zu benennen,
die in Glauben und Praktiken von denen der
Hauptreligionen abweichen. Beide Bezeichnungen sind äußerst mehrdeutig, dennoch
kann man sagen, dass sich Sekte üblicherweise auf eine abweichende, von der Hauptreligion abgekoppelte religiöse Gruppe bezieht,
während ein „Kult“ normalerweise als unkonventionelles oder unberechtigtes System religiöser Vorstellungen angesehen wird, das sich
häufig durch einzigartige Rituale auszeichnet.
Da beide Begriffe durch ein „Abweichen von
der Norm“ definiert werden, gehen die Meinungen darüber, was eine Sekte oder einen
Kult ausmacht, je nach Glaubensrichtung
stark auseinander. Während im Buddhismus
und Hinduismus die Begriffe neutral verwendet werden, schreibt ihnen die westliche Welt
eher negative Bedeutungen zu. Diese stammen nicht nur daher, dass solche Gruppierungen von der Norm abweichen, sondern auch
daher, dass Sekten oder Kulte häufig mit völliger Hingabe oder finanziellem Missbrauch in
Verbindung gebracht werden.
Verbindungen mit eher wirtschaftlichem als
religiösem Hintergrund werden nicht durch
das Menschenrecht auf Religionsfreiheit geschützt. Ein bekanntes und umstrittenes
Beispiel ist Scientology, eine Sekte, die in
manchen Ländern, allen voran Deutschland,
nicht das Recht auf Religionsfreiheit genießt,
weil sie starke wirtschaftliche Züge aufweist.
zung wie die Hauptreligionen/Glaubensrichtungen?
•
Frauen und Religion?
In der Geschichte wurden und werden Frauen von beinahe allen Glaubensrichtungen
diskriminiert. Erst in der jüngsten Zeit wurde
ihr Menschenrecht auf Religionsfreiheit angesprochen.
Die Diskriminierung von Frauen in der Religion ist zweifach: Einerseits fehlt ihnen die
Freiheit zur Bekundung/Ausübung ihres
Glaubens, da sie in manchen Religionen keinen gleichwertigen Zugang zum Gottesdienst,
dem Gebet oder der Kirchenführung besitzen.
Anderseits können sie in manchen Glaubensrichtungen auch Opfer werden, wo immer
religiöse Gesetze, Gebräuche und Normen
Frauen bestrafen oder in extremen Fällen mit
dem Leben bedrohen:
• Der Prozentsatz der jungen Mädchen, die
in ländlichen Gebieten Ägyptens verstümmelt werden, liegt bei 95%. Weibliche Genitalverstümmelung ist eine religiöse und
kulturelle Tradition in vielen Ländern und
wird vom internationalen Menschenrechtssystem scharf kritisiert. Schwere gesundheitliche Probleme können auftreten, auch
Todesfolge ist möglich.
• Zwangsehen, die häufig die Versklavung
der Frauen zur Folge haben, werden in Teilen Nigerias, dem Sudan, Pakistan und anderen Gebieten gefördert. Die Einwilligung
der Frau in die Ehe ist nicht notwendig.
Manchmal sind die „Ehefrauen“ nicht älter
als neun Jahre.
• Vergewaltigung als besondere Form der
ethnischen Säuberungen: Die religiöse Zugehörigkeit war in vielen Fällen der Grund
für Massenvergewaltigungen im früheren
Diskussionsfragen
Jugoslawien, Georgien, dem Sudan, Ru• Werden Minderheitenreligionen in Ihrem
anda oder Tschetschenien. Erzwungene
Land geschützt? Wenn ja, wie?
Schwangerschaften nach Vergewaltigungen
• Haben diese dieselben Rechte/Unterstütstellten sicher, dass Frauen öffentlich als
R eligi o nsfreiheit
vergewaltigt gebrandmarkt waren und danach in Unehre fielen, damit die psychische
Verletzung fortgeschrieben wurde. Unter
den Opfern waren auch Mädchen zwischen
sieben und vierzehn Jahren.
kämpfung von Extremismus ist die Durchbrechung der Gewaltspirale, die immer mehr
Gewalt erzeugt.
„Genauso wie Religion falsch verwendet
werden kann, um Terrorismus zu rechtfertigen, können auch „antiterroristische“
Akte von Regierungen falsch verwendet
werden, um Handlungen zu rechtfertigen,
die die Menschenrechte unterminieren
und die Religionsfreiheit einschränken.“
Religiöser Extremismus und seine Folgen
Als eine der Folgen der Angriffe auf das World
Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 sowie der Angriffe auf die Londoner
U-Bahn am 7. Juli 2005 scheint der Terrorismus den religiösen Glauben mehr denn je zu
Quelle: OSZE. 2002. Konferenz über Reliinstrumentalisieren. Viele kommen zu dem
gionsfreiheit und Bekämpfung des TerroSchluss, dass diese tragischen Ereignisse nur
rismus. Baku.
die Spitze des Eisberges zwischen der Verbindung von Glauben und Terrorismus darstellen:
das Entführen von Flugzeugen, das Bombardieren westlicher Botschaften in moslemisch Diskussionsfragen
dominierten Ländern, ganz zu schweigen von • Was sind die Hauptgründe für Konflikte
innerhalb der und zwischen den Religionsder „Palästinenserfrage“ und anderen Konflikgemeinschaften? Kennen Sie Beispiele aus
ten mit „geringerer Sprengkraft“ weltweit, die
Ihrer eigenen Erfahrung?
Religion für politische Zwecke mobilisieren.
Dennoch ist dieser Zusammenhang sehr ge- • Was sollte Ihrer Meinung nach die Rolle
der Glaubensgemeinschaften in der Suche
fährlich; spaltet er doch die Welt in „Gutnach Frieden und der Lösung von KonflikBöse-Szenarien und brandmarkt Menschen
ten sein? Denken Sie an Beispiele, wo Reliauf Grund ihrer Weltanschauung. Nicht jeder/
gionen friedensstiftend gewirkt haben.
jede TerroristIn oder ExtremistIn ist gläubig,
und nicht jede/r Gläubige ist ein/e TerroristIn. Wenn extremistische Angriffe mit dem 3. Zeittafel
Glauben in Verbindung gebracht werden, in
dem die TäterInnen ein Verbrechen „im Na1776 Virginia Bill of Rights, First
men Gottes“ begehen, werden Religion und
Amendment
ihre Freiheiten dazu missbraucht, politisch
1948 Erklärung des Ökumenischen Ramotivierte Handlungen oder Forderungen zu
tes der Kirchen (ÖRK) zur Religiverschleiern.
onsfreiheit
Der Rückgriff auf den Terrorismus im Namen
1948 Allgemeine Erklärung der Mendes Glaubens beweist kein Aufeinanderpralschenrechte (Art. 2, 18)
len der Kulturen begründet durch religiösen
1948 Konvention über die Verhütung
Glauben, sondern er beweist ein Aufeinanund Bestrafung des Völkermordes
derprallen von Ignoranz und Intoleranz, da
(Art. 2)
Extremismus eine weltweite Gefahr darstellt
1950 Europäische Konvention zum
und nicht einer bestimmten Gesellschaft oder
Schutz der Menschenrechte und
einem Glauben anhaftet.
Grundfreiheiten (Art. 9)
Die einzige Möglichkeit zur wirksamen Be-
235
236
R eligi o nsfreiheit
1965 Erklärung des Vatikanischen Konzils über die Religionsfreiheit
1966 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Art. 18,
20, 24, 26f)
1969 Amerikanische Menschenrechtskonvention (Art. 12, 13, 16f, 23)
1981 Banjul-Charta der Rechte des
Menschen und der Völker (Art. 2,
8, 12)
1981 UNO-Erklärung über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz
und Diskriminierung aufgrund der
Religion oder der Überzeugung
1990 UNO Kinderrechtskonvention (Art.
14)
1992 UNO-Erklärung über die Rechte von Personen, die nationalen
oder ethnischen, religiösen oder
sprachlichen Minderheiten angehören (Art. 2)
1993 „Erklärung zum Weltethos“ des
Parlaments der Weltreligionen,
Chicago
1994 Arabische Charta der Menschenrechte (Art. 26, 27)
1998 Asiatische Charta der Menschenrechte (Art. 6)
2001 Internationale Beratungskon­ferenz
der Vereinten Nationen betreffend
Schulausbildung im Verhältnis zur
Freiheit der Religion und des Glaubens, der Toleranz und der Nichtdiskriminierung (Madrid)
2001 Weltkongress zur Bewahrung der
religiösen Vielfalt (Neu Delhi)
2007OSZE-Erklärung betreffend Intoleranz und Diskriminierung gegen
Muslime
Ausgewählte ÜbungeN
Übung I: Worte, die verletzen
Zielgruppe: Jugendliche und Erwachsene
Gruppengröße: 8-25
Zeit: mindestens eine Stunde
Teil I: Einleitung
Diese Übung zielt darauf ab, die Grenzen des Material: Flipchart und Textmarker
Rechts auf freie Meinungsäußerung aufzuzei- Vorbereitung: Sicher stellen, dass ausreichend
gen. Grenzen, auf die man zum Beispiel stößt, Schreibmaterial und ein Flipchart zu Verfüwenn das, was wir sagen, mit den religiösen gung stehen
Gefühlen und dem Glauben anderer in Kon- Fertigkeiten: den anderen zuhören können,
einfühlsam sein, die Meinung anderer akzepflikt steht.
tieren
Teil II: Allgemeine Information
Teil III: Spezifische Information
Art der Übung: Diskussion
Ziele: religiöse Gefühle anderer kennen lernen Beschreibung der Übung/Anleitung: Die
und respektieren, die Grenzen des Rechts auf TeilnehmerInnen suchen und erarbeiten im
Brainstorming verletzende Bemerkungen und
freie Meinungsäußerung erkennen.
R eligi o nsfreiheit
Stereotypen, die sich auf das Gewissen oder
den Glauben anderer beziehen und von denen
sie wissen, dass sie verletzend und herabwürdigend sind. Aus der Anzahl der gefundenen
Bemerkungen wählt dann die Gruppe einige
besonders verletzende Kommentare aus und
schreibt sie auf das Flipchart. Die Großgruppe
wird nun in kleinere Gruppen (4-6 Personen)
aufgeteilt. In der Kleingruppe liest ein Mitglied
den ersten Kommentar vor. Zu diesem Zeitpunkt hat sich die ganze Gruppe bereits darauf geeinigt, dass diese Bemerkung für andere
verletzend ist. Im Anschluss wird nun darüber
diskutiert, aus welchem Grund diese Bemerkung die Gefühle anderer verletzt und ob es
erlaubt sein kann/darf, dass Menschen solche
Dinge ohne Rücksicht auf die Gefühle anderer
aussprechen. Weiters soll über die Handlungsmöglichkeiten in solch einem Fall diskutiert
werden. Diese Fragestellungen werden für alle
ausgewählten Bemerkungen wiederholt.
Feedback: Wie haben sich die TeilnehmerInnen während der Diskussion gefühlt? War es
schwierig zu akzeptieren, dass die gesammelten Bemerkungen andere verletzen und
treffen können, und war es schwierig, sich
dennoch ruhig zu verhalten? Welche Grenzen
sollte man ziehen, wenn es darum geht, was
man über den Glauben und die Gedanken/Gefühle anderer sagen kann? Sollten wir IMMER
sagen dürfen, was wir denken?
Praktische Hinweise: Die/der GruppenleiterIn
muss dafür Sorge tragen, dass die Diskussion
diskret und respektvoll abläuft, er/sie sollte
aber keineswegs die Kommentare hierarchisch
ordnen oder subjektiv bewerten.
Variationsvorschläge: Eine abschließende
und abrundende Übung könnte ein „Brief an
alle“ sein. Die Namen der TeilnehmerInnen
werden auf kleine Zettel geschrieben, von denen jede/r je einen zieht. Er/sie schreibt ein
paar nette Worte (quasi einen kleinen Brief)
an die Person, die er/sie gezogen hat. Diese
Übung eignet sich allgemein gut als abschlie-
ßende Übung für Aktivitäten, die gegensätzliche Meinungen und Emotionen wecken.
Teil IV: Follow-up
Sollte die Gruppe weiter arbeiten, ist es sinnvoll Diskussionsregeln zu erstellen, die sichtbar im Raum angebracht werden und somit
allen die Möglichkeit zu geben, sich im Zweifelsfall oder im Streitfall darauf zu berufen.
Verwandte Rechte: Recht auf freie Meinungsäußerung
Quelle: United Nations. 2004. Teaching Human Rights. Practical Activities for Primary
and Secondary Schools. United Nations Publications. http://www.ohchr.org/english/about/
publications/training.htm
Übung II: Der Glaube meiner
NachbarInnen und mein eigener
Teil I: Einleitung
Das Prinzip der Nicht-Diskriminierung und
das Verbot von Intoleranz auf Grund von religiösen Einstellungen bilden die Basis dieser
Übung. Sie eignet sich besonders gut für TeilnehmerInnen verschiedener Glaubensrichtungen oder aber auch dazu, die religiöse Vielfalt
in Österreich aufzuzeigen.
Teil II: Allgemeine Information
Art der Übung: Multitask-Übung
Ziele: die Notwendigkeit von Toleranz verstehen lernen und erarbeiten, die Facetten religiöser Freiheiten erarbeiten, Kreativität und
Vorstellungsvermögen wecken und entwickeln,
Aneignung von Wissen über verschiedene Religionen in Österreich
Zielgruppe: Jugendliche und Erwachsene,
leicht modifiziert kann die Übung allerdings
auch für SchülerInnen aller Alterstufen angewandt werden.
Gruppengröße: 5-30
237
238
R eligi o nsfreiheit
Zeit: 2-4 Stunden
ausgewählt und warum? Wo können verMaterialien: Flipchart, Flipchart-Papier und schiedene Religionen miteinander in Konflikt
Textmarker, Bilder zu verschiedenen religiö- geraten?
sen Bewegungen, Stifte, Farben, Papier, Ton, Nachdem jede/r das von ihr/ihm ausgewählHolz, Draht etc.
te Bild vorgestellt hat, erläutert die/der GrupVorbereitung: Bilder zu verschiedenen religiö- penleiterIn, welche der Religionen bereits in
sen Bewegungen heraussuchen
Österreich anerkannt sind.
Fertigkeiten: soziale Fähigkeiten: anderen zuhören, analysieren, miteinander kommunizie- Zweiter Teil: Die TeilnehmerInnen präsenren, Fähigkeiten des kritischen Denken: seine tieren in einem kurzen Brainstorming ihr
Meinung ausdrücken, reflexives Denken, kre- bereits vorhandenes Wissen über die ausgeative Fähigkeiten: Metaphern verstehen und wählten Religionen. Anschließend teilt die/
anwenden, illustrierende Symbole erfinden.
der GruppenleiterIn fundiertes Informationsmaterial über die religiösen Gemeinschaften
Teil III: Spezifische Information
aus, und die TeilnehmerInnen finden sich zu
Beschreibung der Übung/Anleitung:
Gruppen zusammen, von denen jede eine der
Erster Teil: Die/der Gruppenleiterin breitet vorhandenen Religionen auswählt, so dass
Bilder von Angehörigen, Symbolen, Feierlich- letztendlich alle, auch die negativ besetzten
keiten etc. verschiedener religiöser Bewegun- Gruppierungen verteilt werden. Für ein mulgen auf dem Boden aus. Die Auswahl hierzu tireligiöses Treffen arbeitet jede Gruppe in eikann abhängig von der jeweiligen Zielgruppe nem Lied, einem Bild, einem Cartoon, einem
getroffen werden. In jedem Fall sollten aber Rollenspiel o.ä. etwas aus, das die Bräuche
alle in Österreich anerkannten Religionsge- und den Glauben dieser Religion widerspiemeinschaften enthalten sein. Dies sind im gelt. Dazu bekommen sie 40 Minuten Zeit zur
Allgemeinen mehr, als man zunächst glau- Vorbereitung. Danach präsentiert jede Gruppe
ben möchte. Wenn die Zusammensetzung der ihren kreativen Beitrag.
Gruppe es zulässt, können darüber hinaus Auch der zweite Teil sollte mit einem kurzen
auch Bilder von religiösen Gemeinschaften Feedback schließen: Was können die Teilausgewählt werden, die nicht oder noch nicht nehmerInnen aus den Präsentationen lernen?
anerkannt sind und deren gesellschaftliches Haben die unterschiedlichen Präsentationen
Ansehen eher gering oder gar negativ ist.
etwas gemeinsam? Wie viel muss man über
Jede/r TeilnehmerIn wählt eines der Bilder andere Religionen wissen, um sie ohne Missaus, das er in keinem Fall mehr tolerieren verständnisse präsentieren zu können? Ist es
kann. Anschließend stellt jede/r ihr/sein aus- für die TeilnehmerInnen nun, nachdem sie
gewähltes Bild vor und erläutert hierbei, wes- etwas über andere Religionen gelernt haben,
halb sie/er dies ganz und gar nicht tolerieren leichter sie zu verstehen?
kann.
Praktische Hinweise: Für die gesamte Übung
In einem kurzen Feedback wird anschließend sollte im Vorfeld sichergestellt werden, dass
der gesamte Prozess reflektiert: Warum stört die TeilnehmerInnen gegenüber den religiösen
die Darstellung auf einem bestimmten Bild Gefühlen anderer respektvoll agieren. Zu dieüberhaupt irgendjemanden? Wurden diesel- sem Zwecke sollte diese Übung nicht als eine
ben Bilder von mehreren TeilnehmerInnen Kennenlernübung betrachtet werden. Der/die
ausgewählt? Wenn ja, warum? Welche Bilder GruppenleiterIn stellt sicher, dass die Präsenwurden von keiner/m der TeilnehmerInnen tationen der unterschiedlichen Bräuche nicht
R eligi o nsfreiheit
die Gefühle anderer verletzt oder sie diskriminiert. Die Übung sollte lediglich dazu dienen,
verschiedene Riten und Gottesdienste zu beleuchten, und nicht dazu, die eigenen Riten
als die einzigen und wahren hervorzuheben.
Wenn sich trotz der zuvor gegebenen Instruktionen einige TeilnehmerInnen diskriminiert
fühlen, sollten sie das Recht haben, die Präsentation jederzeit zu unterbrechen. Es ist
sinnvoll, wenn sich alle TeilnehmerInnen auf
ein Zeichen einigen (z.B. ein Stück rotes Papier, das in die Höhe gehalten wird) um eine
Präsentation zu stoppen, die beleidigend und/
oder verletzend ist oder auch nur auf Missverständnissen oder falschen Informationen
beruht. Nachdem die Vorführung gestoppt
wurde, muss eine Diskussion über die Gefühle der beteiligten Personen/ Personengruppen
geführt werden.
Teil IV: Follow-up
Ausgehend von den Erfahrungen in dieser
Übung kann die Gruppe darüber diskutieren,
welche anderen Diskriminierungen aufgrund
welcher Anlässe es noch geben kann.
Verwandte Rechte:
Nicht-Diskriminierung, Meinungsfreiheit
Quelle: adaptiert aus: UN Cyberschoolbus.
http://www.cyberschoolbus.un.org
BIBLIOGRAPHIE
Abduljalil, Sajid. 2005. Islamophobia: A new word
for an old fear. http://www.osce.org/documents/
cio/2005/06/15198_en.pdf
Ahdar, Rex. 2005. Religious Freedom in the Liberal State. Oxford: Oxford University Press.
Asma Jahangir. 2008. Interim report of the Special
Rapporteur on freedom of religion or belief. UN Dok.
A/63/161.
Asma Jahangir. 2007. Report of the Special Rapporteur
on freedom of religion or belief. UN Dok. A/HRC/4/21.
Bielefeldt, Heiner et al (Hg.). 2008. Religionsfreiheit.
Jahrbuch Menschenrechte 2009. Wien: Böhlau Verlag.
Black, Henry Campbell. 1990. Black’s Law Dictionary. 6. Aufl. Eagan: West Group.
Cairo Declaration for the Elimination of FGM. 2003.
http://www.childinfo.org/areas/fgmc/docs/Cairo%20
declaration.pdf
Center for Religious Freedom – Freedom House.
2005. Saudi Publications on Hate Ideology Invade
American Mosques. Washington. http://www.freedomhouse.org/uploads/special_report/45.pdf
Asma Jahangir. 2006. Report of the Special Rapporteur on freedom of religion or belief. UN Dok. E/
CN.4/2006/5.
Cookson, Catharine (Hg.). 2003. Encyclopedia of religious freedom. New York: Routledge.
BBC. 2005. Forced marriage ‘could be banned’.
http://news.bbc.co.uk/2/hi/uk_news/politics/
4214308.stm
Courage to Refuse. 2004. Reservist gets 28 days
for refusing Gaza duty. http://www.seruv.org.il/
english/article.asp?msgid=204
239
240
R eligi o nsfreiheit
Declaration on Religious Freedom by the Vatican
Council.
1965.
http://www.vatican.va/archive/
hist_councils/ii_vatican_council/documents/vat-ii_
decl_19651207_dignitatis-humanae_en.html
Declaration on Religious Liberty of the World Council of Churches. 1948. http://www.religlaw.org/interdocs/docs/wccdecreliglib1948.html
Erklärung über die Beseitigung aller Formen von Intoleranz und Diskriminierung aufgrund der Religion oder der Überzeugung vom 25. November 1981.
http://www.un.org/Depts/german/gv-early/ar36055.
pdf
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte. 2007. Church of Scientology Moscow v. Russland (Nr. 18147/02), Urteil vom 5. April 2007.
http://www.menschenrechtsbuero.de/pdf/05apr07
echrjudgment.pdf
Evans, Malcolm D. und Rachel Murray (Hg.). 2002.
The African Charter on Human and Peoples’ Rights.
The System in Practice. 1986-2000. Cambridge: Cambridge University Press.
Fabio, Udo di. 2008. Gewissen, Glaube, Religion: Wandelt sich die Religionsfreiheit? Berlin: Berlin University
Press.
Gahrana, Kanan. 2001. Right to Freedom of Religion:
A Study in Indian Secularism. Denver: International
Academic Publishing.
Human Rights Watch. 2005. Devastating Blows. Religious Repression of Uighurs in Xinjiang. http://hrw.
org/reports/2005/china0405
Kamguian, Azam. 2004. Girls’ Nightmare in Muslim
Families: Forced Marriages in Europe. http://www.
middleastwomen.org/html/nightmare.htm
Krishnaswami, Arcot. 1960. Study of Discrimination
in the Matter of Religious Rights and Practices. New
York: United Nations Publisher.
Küng, Hans und Karl-Josef Kuschel (Hg.). 1993.
A Global Ethic. The Declaration of the Parliament of
World’s Religions. London: Continuum.
Marshall, Paul. 2000. Religious Freedom in the World:
A Global Report of Freedom and Persecution. Nashville:
Broadman & Holman.
Lerner, Natan. 2000. Religion, Beliefs, and International Human Rights. New York: Orbis Books.
OSZE. 2005. Contribution of H.E. Prof. Ekmeleddin
Ihsanoglu, Secretary General of the Organisation of
the Islamic Conference, to the Work of the 4th Session
of the O.S.C.E. Conference on Anti-Semitism and on
Other Forms of Intolerance. http://www.osce.org/documents/cio/2005/06/15198_en.pdf
OSZE. 2005. OSCE Conference on Anti-Semitism and
on Other Forms of Intolerance. http://www.osce.org/
item/9735.html
OSZE. 2004. OSCE Conference on Anti-Semitism.
PC.DEL/696/04/Rev.1. http://www.osce.org/documents/cio/2004/07/3349_en.pdf
OSZE. 2004. OSCE Conference on Tolerance and
the Fight against Racism, Xenophobia and Discrimination. PC.DEL/949/04. http://www.osce.org/
documentscio/2004/10/3728_en.pdf
OSZE. 2004. OSCE Meeting on the Relationship between
Racist, Xenophobic and Anti-Semitic Propaganda on
the Internet and Hate Crime. PC.DEL/918/04/Corr.1.
http://www.osce.org/documents/cio/2004/09/3642_
en.pdf
OSZE. 2002. Freedom of Religion and Belief. http://
www.osce.org/odihr/13434.html
Potz, Richard/Schinkele, Brigitte. 2007. Religionsrecht im Überblick. 2. Aufl. Wien: Facultas.
Saeed, Abdullah und Hassan Saeed. 2004. Freedom
of Religion, Apostasy and Islam. Aldershot: Ashgate
Publishing.
Scalabrino, Michelangela. 2003. International Code
on Religious Freedom. Leuven: Peeters.
UNO. 2005. Civil and Political Rights, Including the
Question of Religious Intolerance. Report submitted by
Asma Jahangir, Special Rapporteur on freedom of religion or belief. E/CN.4/2005/61.
http://www.ohchr.org/english/issues/religion/annual.htm
UNO. 2004. Teaching Human Rights. Practical Activities
for Primary and Secondary Schools. New York: United
Nations Publications. http://www.ohchr.org/english/
about/publications/training.htm
R eligi o nsfreiheit
UNO. 2004. Civil and Political Rights, Including Religious Intolerance. Report submitted by Mr. Adelfattah
Amor, Special Rapporteur on freedom of religion or belief. E/CN.4/2004/63. http://www.ohchr.org/english/
issues/religion/annual.htm
UNO. 2003. Civil and Political Rights, Including Religious Intolerance. Report submitted by Mr. Adelfattah
Amor, Special Rapporteur on freedom of religion or belief, in accordance with Commission on Human Rights
resolution 2002/40. UN Dok. E/CN.4/2003/66. http://
www.ohchr.org/english/issues/religion/annual.htm
UNO. 2001. International Consultative Conference on
School Education in Relation with Freedom of Religion
and Belief, Tolerance and Non-Discrimination. http://
www.unhchr.ch/html/menu2/7/b/main.htm
UNO. Menschenrechtskomitee. 1993. Allgemeiner
Kommentar Nr. 22 (48) bezüglich Art. 18, ICPR. Angenommen durch das Komitee in der 48. Sitzung am 20.
Juli 1993. UN Dok. CCPR/C/21/Rev. 1/Add. 4.
United States Commission on International Religious
Freedom. 2005. The Religion-State Relationship and the
Right to Freedom of Religion or Belief: A Comparative
Textual Analysis of the Constitutions of Predominantly
Muslim Countries. http://www.uscirf.gov/countries/
global/comparative_constitutions/03082005/Study0305.pdf
U.S. Department of State. 2005. Report on Global AntiSemitism. http://www.state.gov/g/drl/rls/40258.htm
U.S. Department of State. 2001. Egypt: Report on
Female Genital Mutilation (FGM) or Female Genital
Cutting (FGC). http://www.state.gov/g/wi/rls/rep/
crfgm/10096.htm
World Congress for the Preservation of Religious
Diversity. 2001.http://www.infinityfoundation.com/
mandala/s_ot­/­s_ot_world_­congress.htm
Worldwide Ministries – Guidelines for Interfaith
Dialogue. http://www.pcusa.org/interfaith/study/dialogue.htm
Yinger, J. Milton. 1970. The Scientific Study of Religion. New York: McMillan.
ZUSÄTZLICHE INFORMATIONEN
Anti-Defamation League:
http://www.adl.org
Baptist Joint Committee:
http://www.bjcpa.org
Council for a Parliament of the World’s Religions:
http://www.cpwr.org
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte:
http://www.echr.coe.int/echr
Global Ethic Foundation:
http://www.weltethos.org
Human Rights Watch:
http://www.hrw.org/doc/?t=religion
Human Rights without Frontiers International:
http://www.hrwf.net
Institute for the Secularisation of Islamic Society:
http://www.secularislam.org
International Association for Religious Freedom:
http://www.iarf-religiousfreedom.net
International Religious Liberty Association:
http://www.irla.org/index.html
Journal of Religion and Society:
http://www.creight-on.edu/JRS
Marburg Journal of Religion:
http://web.uni-marburg.de/religionswissenschaft/
journal/mjr/welcome.html
Ontario Consultants on Religious Freedoms:
http://www.religioustolerance.org
Religions for Peace:
http://www.wcrp.org
Soka Gakkai International:
http://www.sgi.org
United States Commission on International
Religious Freedom:
http://www.uscirf.gov
2 41
242
R eligi o nsfreiheit
World Conference against Racism, Racial Discrimination, Xenophobia and Related Intolerance. 2000:
http://www.hri.ca/racism/meetings/declarsantiago.
shtml
World Conference on Religion and Peace (WCRP):
http://www.wcrp.org
R eligi o nsfreiheit
RECHT
AUF BILDUNG
VERFÜGBARKEIT UND ZUGANG ZUR BILDUNG
BEFÄHIGUNG DURCH DAS RECHT AUF BILDUNG
„Bildung muss auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit
und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein.“
Art. 26 (2), Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. 1948.
243
244
R E C H T AU F B I L D U N G
GESCHICHTE ZUR ILLUSTRATION
Mayas Geschichte
Mein Name ist Maya. Ich wurde vor vierzehn
Jahren in einer armen Bauernfamilie geboren.
Ich hatte bereits viele Geschwister, deswegen
freute sich niemand über meine Geburt.
Als ich noch sehr klein war, lernte ich, meiner
Mutter und meinen großen Schwestern bei der
Hausarbeit zu helfen. Ich wischte den Boden,
wusch die Kleidung und schleppte Wasser und
Holz. Manche meiner Freunde spielten im
Freien, aber ich konnte nicht mitspielen.
Ich war sehr glücklich, als ich zur Schule gehen
konnte. Ich traf neue Freunde und lernte lesen
und schreiben. Aber als ich in die 4. Klasse
kam, brachen meine Eltern meine Ausbildung
ab. Mein Vater sagte, dass er kein Geld hätte,
um für meine Ausbildung zu bezahlen. Ebenso würde ich zu Hause gebraucht werden, um
meiner Mutter und den anderen zu helfen.
Wenn ich die Möglichkeit hätte, erneut geboren zu werden, würde ich es vorziehen, ein
Junge zu sein.
Quelle: UNO. 2000. The Millennium Report.
Diskussionsfragen
1. Was sind die in diesem Fall geschilderten
Hauptprobleme? Empfinden Sie Mitleid für
Maya? Denken Sie, dass es eine Möglichkeit
gibt, ihr aus der Armut herauszuhelfen und
ihren Zugang zur Bildung zu gewährleisten? Wenn ja, wie?
2. Kennen Sie Gründe, warum eine so hohe
Prozentzahl von AnalphabetInnen Frauen
sind?
3. Denken Sie, dass es verschiedene Arten von
Wissen gibt? Wenn ja, welches Wissen ist
wichtig? Welche Art verliert an Bedeutung?
4.Glauben Sie, dass das Recht auf Bildung
heute weltweit Priorität genießt?
5.In wessen Verantwortung liegt es, Unwissen und Analphabetismus zu beseitigen?
6.Welche Maßnahmen könnten unternommen werden, um Analphabetismus zu beseitigen?
7. Ist Bildung wichtig für die Inanspruchnahme von anderen Menschenrechten? Wenn
ja, warum?
8.Glauben Sie, dass Bildung zur Menschlichen
Sicherheit beitragen kann? Wenn ja, wie?
R E C H T AU F B I L D U N G
Was man wissen muss
1. Einleitung
Warum überhaupt ein
(Menschen-)Recht auf Bildung?
Fast eine Milliarde Menschen konnten an der
Schwelle des 21. Jahrhunderts kein Buch lesen oder ihren Namen schreiben. Diese Zahl
stellt ein Sechstel der Weltbevölkerung bzw.
die gesamte Bevölkerung Indiens dar und ist
weiterhin im Steigen.
Das Menschenrecht auf Bildung kann als „Ermächtigungsrecht“ bezeichnet werden. Ein
solches Recht gestattet der/dem Einzelnen,
mehr Kontrolle über den Verlauf ihres/seines
Lebens zu haben, besonders über die Auswirkungen von staatlichen Akten, die eine Person
direkt betreffen. Mit anderen Worten bedeutet das, dass ein Ermächtigungsrecht erst die
Ausübung anderer Rechte ermöglicht.
Der Genuss und die Ausübung vieler bürgerlich-politischer Rechte, wie etwa das Recht auf
Information und die Meinungsäußerungsfreiheit, das aktive und passive Wahlrecht sowie
viele andere hängen von einem Mindestmaß
an Bildung ab. Das Recht auf Bildung ermöglicht aber nicht nur die Ausübung der genannten bürgerlich-politischen Rechte, sondern
auch den Genuss von wirtschaftlich-sozialen
Rechten, wie das Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes, das Recht auf gleichen Lohn für
gleiche Arbeit oder das Recht auf den Genuss
des technischen und wissenschaftlichen Fortschritts und den Zugang zu höherer Bildung.
Diese Rechte können erst dann sinnvoll wahrgenommen werden, wenn ein Mindestmaß an
Bildung erreicht worden ist.
Das Gleiche gilt für das Recht auf die Teilnahme am kulturellen Leben. Für ethnische und
sprachliche Minderheiten ist daher das Recht
„Lebe so, als ob du morgen
sterben würdest. Lerne so, als ob
du ewig leben würdest.“
Mahatma Ghandi.
auf Bildung ein wesentlicher Faktor, um ihre
kulturelle Identität zu erhalten und zu stärken.
Bildung kann darüber hinaus Verständnis, Toleranz, Achtung und Freundschaft zwischen
Nationen, ethnischen oder religiösen Gruppen
fördern und dazu beitragen, eine universelle
Kultur der Menschenrechte zu schaffen und
zu festigen, wenngleich sie auch keine Garantie dafür darstellt.
Bildung und Menschliche Sicherheit
Die Verweigerung und die Verletzung des
Rechts auf Bildung schwächt die Fähigkeit der Menschen, ihre Persönlichkeit zu
entwickeln, sich und ihre Familien zu erhalten und zu schützen und in angemessener Weise am sozialen, politischen und
wirtschaftlichen Leben teilzunehmen. In
Hinblick auf die Gesellschaft bedroht die
Verweigerung des Rechts auf Bildung die
Demokratie und den sozialen Fortschritt
sowie den internationalen Frieden und
die Menschliche Sicherheit. Das Fehlen
Menschlicher Sicherheit hindert Kinder
am Schulbesuch. Dies ist offensichtlich
für Kinder in bewaffneten Konflikten,
vor allem KindersoldatInnen. Aber Armut als Bedrohung der Menschlichen
Sicherheit kann ebenso zur Verweige-
245
246
R E C H T AU F B I L D U N G
rung des Rechts auf Bildung führen. Das
Recht auf das Wissen um die eigenen
Rechte durch Menschenrechtsbildung
und Lernen kann einen lebenswichtigen
Beitrag zur Menschlichen Sicherheit leisten. Durch Bildung über und Erlernen
von Menschenrechten und humanitärem
Recht können die Menschenrechtsverletzungen in bewaffneten Konflikten verhindert und ein sozialer Wiederaufbau
nach einem Konflikt erleichtert werden.
Bildung ist mehr als das Erlernen von Lesen,
Schreiben oder Rechnen. Der lateinische Ursprung des Wortes (educare) bedeutet wörtlich: „jemanden hinausführen“.
Das Menschenrecht auf Bildung umfasst die
Möglichkeit und den Zugang zu primärer, sekundärer und tertiärer Bildung. Obwohl das
Recht auf Bildung ein breiteres Konzept umfasst, befasst sich dieses Modul hauptsächlich
mit der primären oder der Grundbildung, da
einem sehr großen Anteil der Weltbevölkerung sogar die Grundlagen des lebenslangen
Lernens vorenthalten werden.
Das Menschenrecht auf Bildung, wie es in der
AEMR der Vereinten Nationen beschrieben ist,
verlangt eine kostenlose und verpflichtende
Grundschulbildung. Die Staaten interpretieren
diese Verpflichtung jedoch unterschiedlich. In
Europa, Nordamerika, Australien und manchen Teilen Südasiens umfasst die „Grundbildung“ die komplette Sekundarbildung;
hingegen haben etwa 20 Länder weltweit
überhaupt kein spezielles Alter für die Pflichtschulbildung festgelegt.
Geschichtliche Entwicklung
Vor dem Zeitalter der Aufklärung lag in
Europa Bildung hauptsächlich in der
Verantwortung der Eltern und der Kirche.
Erst mit dem Entstehen des modernen
Säkularstaates wurde Bildung als öffentliche Angelegenheit und Verpflichtung
des Staates angesehen. Zu Beginn des
16. und 17. Jahrhunderts trugen die Philosophen John Locke und Jean Jacques
Rousseau in ihren Schriften wesentlich
zum modernen Verständnis des individuellen Rechts auf Bildung bei.
Zum Vergleich enthielten klassische Bürgerrechtsinstrumente wie die englische
Bill of Rights von 1689, die Virginia Declaration of Rights von 1776, die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung von
1776 oder die Französische Erklärung der
Menschen- und Bürgerrechte von 1789
keine Abschnitte, die sich speziell mit
dem Recht auf Bildung befassten. Mit
der Entstehung liberaler und sozialistischer Bewegungen des 19. Jahrhunderts
wurde Bildung wieder zum zentralen Bestandteil der Menschenrechte.
Die liberalen und antiklerikalen Strömungen beeinflussten auch die Definition der Bildungsrechte, die zum Schutz
und der Förderung der Idee der Freiheit
der Wissenschaften, der Forschung und
der Lehre formuliert wurden, um der
Macht der Kirche und des Staates entgegen zu wirken.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Bildungsrechte ausdrücklich anerkannt. Die Verfassung des
Deutschen Reiches von 1871 beinhaltete
im Kapitel über „Die Grundrechte des
deutschen Volkes“ auch das Recht auf
Bildung. In ähnlicher Weise enthielt die
Weimarer Reichsverfassung von 1919 ein
R E C H T AU F B I L D U N G
Kapitel zu „Bildung und Schule“. Beide
Dokumente erkennen ausdrücklich die
Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung des freien und verpflichtenden
Schulbesuches an.
Die Friedensverträge nach dem Ersten
Weltkrieg enthielten die Gewährleistung
der Bildungsrechte von Minderheiten.
Die so genannte „Charta des Kindeswohls
des Völkerbundes“ vom Jahr 1924 führte
zu einer internationalen Anerkennung
des Rechts auf Bildung. Im 20. Jahrhundert wurde das Recht auf Bildung in nationale Verfassungen oder internationale
Abkommen aufgenommen oder auf einfachgesetzlicher Ebene anerkannt.
So wird das Recht auf Bildung in den
Verfassungen von mehr als 50 Staaten
ausdrücklich genannt, darunter etwa
Nicaragua, Zypern, Spanien, Vietnam,
Irland, Ägypten, Japan, Paraguay und
Polen. Das Vereinigte Königreich und
Peru haben das Recht auf Bildung auf
einfachgesetzlicher Ebene anerkannt,
während etwa Südkorea, Marokko und
Japan dieses Recht sowohl in der Verfas-
sung als auch in der einfachen Gesetzgebung verankert haben. Die Verfassung
der USA enthält hingegen keinen Verweis
auf das Recht auf Bildung. US-Gerichte
auf Bundes- und Landesebene haben
aber bestimmte Ansprüche auf Bildung
entwickelt, besonders im Hinblick auf
Gleichheit beim Zugang zu Bildungsmöglichkeiten.
Quelle: Douglas Hodgson. 1998. The
Human Right to Education.
2. Definition und Beschreibung
des Themas
Inhalt des Rechts auf
Bildung und Staatenverpflichtungen
Das Recht auf Bildung hat eine solide Verankerung in der internationalen Menschenrechtsgesetzgebung. Es wurde in verschiedene
universelle und regionale Menschenrechtsdokumente aufgenommen, wie zum Beispiel in
die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Art. 26), den Internationalen Pakt über
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
„Die Vertragsstaaten erkennen das Recht auf Bildung an. Sie stimmen
überein, dass die Bildung auf die volle Entfaltung der menschlichen
Persönlichkeit und des Bewusstseins ihrer Würde gerichtet sein und die
Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten stärken muss. Sie
stimmen ferner überein, dass die Bildung es jedermann ermöglichen
muss, eine nützliche Rolle in einer freien Gesellschaft zu spielen, dass sie
Verständnis, Toleranz und Freundschaft unter allen Völkern und allen
rassischen, ethnischen und religiösen Gruppen fördern sowie die Tätigkeit
der Vereinten Nationen zur Erhaltung des Friedens unterstützen muss.“
Art. 13 (1), Sozialpakt.
247
248
R E C H T AU F B I L D U N G
(IPWSKR, Sozialpakt) (Art. 13 und 14), die
Konvention über die Beseitigung jeder Form
von Diskriminierung der Frau (Art.10) und die
Konvention über die Rechte des Kindes (Art.
28 und 29).
Auf regionaler Ebene sind die Europäische
Konvention über die Menschenrechte und
Grundfreiheiten (Art. 2 des 1. Zusatzprotokolls), die Amerikanische Konvention über
die Menschenrechte (Art. 13 des Zusatzprotokolls im Bereich der wirtschaftlichen, sozialen
und kulturellen Rechte) und die Afrikanische
Charta über die Rechte des Menschen und der
Völker (Art. 17) zu nennen.
Das Grundrecht auf Bildung gibt jeder Person
einen Anspruch auf ein bestimmtes Verhalten
der jeweiligen Regierung. Staaten haben die
Verpflichtung zur Achtung, zum Schutz und
zur Erfüllung des Rechts auf Bildung.
Die Verpflichtung zur Achtung verbietet dem
Staat, in Widerspruch zu den anerkannten
Rechten und Freiheiten zu handeln oder in die
Ausübung dieser Rechte und Freiheiten einzugreifen oder diese zu beschränken. Die Staaten
müssen unter anderem die Freiheit der Eltern
auf die Wahl von privaten oder öffentlichen
Schulen für ihre Kinder respektieren und die
religiöse und moralische Erziehung der Kinder
in Einklang mit ihrer Überzeugung gewährleisten. Die Notwendigkeit, Buben und Mädchen
gleich zu erziehen, muss wie auch die Rechte
aller religiösen, ethnischen und sprachlichen
Gruppen geachtet werden.
Die Verpflichtung zum Schutz verlangt, dass
Staaten durch die Gesetzgebung oder auf anderem Wege Schritte unternehmen, um die
Verletzung der Individualrechte und Freiheiten
durch Dritte zu unterbinden und zu verbieten.
Staaten haben dafür zu sorgen, dass öffentliche oder private Schulen keine diskriminierenden Praktiken anwenden oder körperliche
Strafen über SchülerInnen verhängen.
Die Verpflichtung zur Erfüllung der im Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale
und kulturelle Rechte genannten Rechte stellt
eine Verpflichtung zur schrittweisen Realisierung des Rechts dar. Es kann zwischen verhaltens- und ergebnisorientierten Verpflichtungen
unterschieden werden. Die Verpflichtung zu
einem bestimmten Verhalten bezieht sich auf
eine bestimmte Handlung oder Maßnahme, die
ein Staat einführen soll. Das beste Beispiel dafür ist Art. 14 Sozialpakt, demgemäß sich neue
Mitgliedsstaaten verpflichten müssen, sofern
sie noch keine verpflichtende und kostenlose
Grundbildung gewährleisten, innerhalb von
zwei Jahren „einen ausführlichen Aktionsplan auszuarbeiten und anzunehmen, der die
schrittweise Verwirklichung des Grundsatzes
der unentgeltlichen allgemeinen Schulpflicht
innerhalb einer angemessenen, in dem Plan
festzulegenden Zahl von Jahren vorsieht“.
Standards, die erfüllt werden müssen:
• kostenlose und verpflichtende Grundbildung;
• Verfügbarkeit und Zugänglichkeit der
schulischen Bildung in der Sekundarstufe (10-14-Jährige) für alle;
• Zugang zu höherer Bildung für alle
nach Maßgabe der Fähigkeiten;
• Grundbildung für alle, die die Grundschule nicht abgeschlossen haben;
• Einrichtung eines angemessenen
Stipendiensystems
und
ständige
Verbesserung der Lage der LehrerInnenschaft.
•
Quelle: Art. 13 (2), Sozialpakt.
Das bedeutet, dass ein verbesserter Zugang zu
Bildung für alle auf Basis des Gleichheitsprinzips und der Nicht-Diskriminierung sowie der
Freiheit zur Wahl der Schule und der Lerninhalte den Geist und den wesentlichen Kern
des Rechts auf Bildung darstellen.
Der Allgemeine Kommentar Nr. 13 des
R E C H T AU F B I L D U N G
Ausschusses zum Internationalen Pakt über
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte identifiziert vier Elemente der Staatenverpflichtungen in Bezug auf das Recht auf
Bildung. Diese sind: Verfügbarkeit, Zugänglichkeit, Geeignetheit und Anwendbarkeit.
muss. Konstruktiver Zugang bedeutet, dass
ausschließende Barrieren beseitigt werden
müssen, etwa durch den Abbau von stereotypen Auffassungen bezüglich der unterschiedlichen Rolle von Männern und Frauen,
in Textbüchern und Bildungsstrukturen, wie
es zum Beispiel Artikel 10 der Konvention zur
Beseitigung aller Formen der Diskriminierung
der Frau (CEDAW) vorsieht.
Verfügbarkeit
Die Pflicht, eine verpflichtende und kostenlose Grundschulbildung anzubieten, ist un- Geeignetheit
zweifelhaft ein Kernbestandteil des Rechts auf Die ehemalige Sonderberichterstatterin für das
Bildung. Um sicherzustellen, dass kostenlose Recht auf Bildung, Katarina Tomaševski, hat
Grundschulen für alle Kinder verfügbar sind, in einem ihrer Berichte festgestellt, der Staat
bedarf es beträchtlichen politischen und fi- sei verpflichtet sicherzustellen, dass sich alle
nanziellen Einsatzes. Obwohl der Staat nicht Schulen an die vorgesehenen Mindestkriterien
der einzige Anbieter von Bildung ist, so ist halten und dafür Sorge tragen, dass das Biler doch letztlich für die Verfügbarkeit von dungsangebot sowohl für die Eltern als auch
Grundschulen für alle schulpflichtigen Kinder die Kinder annehmbar ist. Dieses Element beverantwortlich. Wenn die Aufnahmekapazität inhaltet das Recht auf die Wahl des Schultyps
von Grundschulen geringer ist als die Anzahl und das Recht zur Errichtung, Betreibung, Verder schulpflichtigen Kinder, erfüllt der Staat waltung und Kontrolle von privaten Bildungseinrichtungen. Bildung hat von guter Qualität
seine Pflicht nicht.
Auch die Bereitstellung der sekundären und und kulturell geeignet zu sein. SchülerInnen
tertiären Bildung ist ein wichtiger Bestandteil und Eltern haben das Recht, von Indoktriniedes Rechts auf Bildung. Dass der Staat auf die- rung und verpflichtendem Studium von Maser Ebene nur eine „allmähliche Einführung terialien, die mit den religiösen oder anderen
der Unentgeltlichkeit“ zu gewährleisten hat, Überzeugungen der SchülerInnen unvereinbar
bedeutet nicht, dass er nicht zu konkreten sind, frei zu sein. Der Einsatz der Autorität
des öffentlichen Bildungssystems, um MenMaßnahmen verpflichtet ist.
schen zum Wechsel ihres Glaubens zu bringen, muss als unzulässiger Bekehrungseifer
Zugänglichkeit
Als ein Mindeststandard müssen Regierungen betrachtet werden.
den Zugang zu den Bildungsinstitutionen für
Religionsfreiheit
alle, Mädchen und Buben, Frauen und Männer
gleichermaßen, auf der Basis der Gleichheit
und der Nicht-Diskriminierung gewährleis„Eine Frau auszubilden bedeutet
ten.
zugleich die Ausbildung einer
Die positive Verpflichtung zur Sicherstellung
Familie, einer Gemeinschaft,
des gleichen Zugangs zu Bildungseinrichtungen beinhaltet sowohl einen physischen als
einer Nation.“
auch einen konstruktiven Zugang. Ersterer
Afrikanisches Sprichwort.
umfasst den tatsächlichen Zugang, der auch
für Ältere und Behinderte gewährleistet sein
249
250
R E C H T AU F B I L D U N G
Alphabetisierungsraten
nach Region und Geschlecht 2000-2004
Die meisten Kinder, die nicht in die Schule gehen, finden sich in Afrika südlich der Sahara
und
in Südasien. Ein heute in Mozambique
%
100
geborenes
Kind kann mit durchschnittlich
männlich
vier
Jahren
formaler Bildung rechnen, ein in
weiblich
80
Frankreich geborenes Kind wird 15 Bildungs60
jahre weit höherer Qualität erhalten. Die
durchschnittliche Schulzeit beträgt in Südasi40
en mit acht Jahren etwa die Hälfte des Niveaus
20
der Länder mit hohem Einkommen. Während
sich
der Unterschied bei der Grundschule ver0
ringern mag, nimmt die Kluft zwischen reiIndustriestaaten Ostasien,
Lateinamerika, Arabische Afrika südlich Süd- und
Pazifik
Karibik
Staaten
der Sahara
Westafrika
chen und armen Ländern im Hinblick auf die
durchschnittliche Anzahl der Jahre der Bildung
Quelle: UNESCO. 2005. EFA Global Monito- zu. Dies noch bevor man die Unterschiede in
ring Report 2006.
der Bildungsqualität berücksichtigt: Weniger
als ein Viertel der sambischen Kinder sind
nach Abschluss der Grundschule in der Lage,
Anwendbarkeit
Üblicherweise soll das, was ein Kind in der grundlegende Alphabetisierungstests zu besteSchule lernt, von seinen späteren Bedürfnis- hen. Der Zugang zu höherer Bildung bleibt ein
sen als Erwachsene/r bestimmt werden. Das Privileg der BürgerInnen der Länder mit hobedeutet, dass ein Bildungssystem anpas- hem Einkommen. Diese Bildungsungleichheisungsfähig sein soll, indem es sowohl das „In- ten von heute sind die globalen, sozialen und
teresse des Kindeswohls“ als auch die soziale wirtschaftlichen Ungleichheiten von morgen.
Entwicklung im nationalen und internationalen Bereich in Betracht zieht.
Das Beispiel Uganda: In der 2. Hälfte der
1990er-Jahre verlagerten sich die Prioritäten
Trotz der Verpflichtung der Regierungen si- im Bereich der Armutsverminderung zur Bilcherzustellen, dass das Recht auf Bildung dung. Freie Grundschulbildung wurde eingeachtet, geschützt und erfüllt wird, liegt die geführt, und die öffentlichen Ausgaben für
Verantwortung nicht ausschließlich beim Staat. Bildung wurden erhöht. Zwischen 1997 und
Es ist ebenso Aufgabe der Zivilgesellschaft, 2003 nahm die Zahl der SchülerInnen der Pridie volle Umsetzung des Rechts auf Bildung märstufe von 5,3 Mio. auf 7,6 Mio. zu. Der
zu fördern und zu unterstützen.
Schulbesuchsanteil für die ärmsten 20% der
Bevölkerung ist gleich hoch wie für die reichsten 20%, und die Kluft hinsichtlich der Ge3.Interkulturelle Perspektiven
schlechterparität konnte auf der Primärebene
und strittige Themen
geschlossen werden. Ein allgemeiner Schulbesuch erscheint in Reichweite, doch machen
Eine vergleichende Ansicht der Welt im Gan- die Ausfallsraten (drop out rates) einen allgezen zeigt heute bedeutende Unterschiede in meinen Schulbesuch im Primärschulbereich
der Umsetzung des Rechts auf Bildung. Tat- bis 2015 unwahrscheinlich. Weltweit gilt, dass,
sächlich variiert die Verwirklichung dieses wenn die gegenwärtigen Trends so weitergeRechts von Region zu Region.
hen, das Millenniumsentwicklungsziel unigesamt
R E C H T AU F B I L D U N G
verseller Grundschulbildung bis 2015 um etwa
eine Dekade verfehlt werden dürfte. Etwa 47
Mio. Kinder werden im Jahr 2015 keine Schule besuchen, 19 Mio. davon in Afrika südlich
der Sahara (Quelle: UNDP. 2005. Bericht über
die menschliche Entwicklung).
Bildungsrechte und Bedürfnisse aller SchülerInnen auf nichtdiskriminierender Grundlage
sicherzustellen sind. Sie hat Regierungen und
internationale Organisationen aufgerufen, u.a.
die Bildungschancen von gefährdeten Gruppen wie MigrantInnen, Minderheiten etc. zu
erweitern. Auch sollen die Qualität der Bildung und die Stellung der LehrerInnen verbessert und Maßnahmen zur Verringerung der
Gewalt an Schulen und zur Abdeckung des
wachsenden Bedarfs an lebenslangem Lernen
getroffen werden.
Die Frage der Unterrichtssprache hat einige
Kontroversen hervorgerufen. Für Angehörige
einer sprachlichen Minderheit eines Landes
gibt es kein allgemeines, international anerkanntes Menschenrecht auf das Erlernen der
Muttersprache in der Schule. Art. 27 Sozialpakt stellt lediglich fest, dass die Verwendung
einer Sprache nicht verweigert werden darf,
schweigt jedoch über die Frage des Unterrichts in der Muttersprache.
In seiner Rahmenkonvention zum Schutz
nationaler Minderheiten von 1995 hat der
Europarat zwar das Recht auf Erlernen der
Muttersprache anerkannt, aber nicht ausdrücklich das Recht, Unterricht in der Muttersprache zu erhalten.
Die Alphabetisierungsdekade der Vereinten
Nationen 2003-2012 geht davon aus, dass
noch immer 20% der erwachsenen Weltbevölkerung keine Grundbildung besitzen.
Die Alphabetisierung ist für die Erweiterung
menschlicher Fähigkeiten und der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Teilhabe in
den Wissensgesellschaften von heute von
grundlegender Bedeutung.
Analphabetismus ist gewöhnlich das Ergebnis
extremer Armut. Frauen weisen einen geringeren Alphabetisierungsgrad auf als Männer.
132 der weltweit geschätzten 771 Mio. Analphabeten sind zwischen 15 und 24 Jahren
alt (Quelle: UNESCO. 2005. Education for All
Global Monitoring Report 2006).
Eine Hauptsorge stellt der noch besonders
geringe Alphabetisierungsgrad in den armen
Teilen der Welt dar. Entsprechend Resolution
56/116 der Generalversammlung der Vereinten Nationen ist eine Alphabetisierung für das
lebenslange Lernen, das Grundbildung für alle
vorsieht und eine Anpassung an sich ändernde Die Europäische Charta für Regionale und
Voraussetzungen unterstützen soll, von zent- Minderheitensprachen von 1992 geht einen
raler Bedeutung. Lebenslanges Lernen oder Schritt weiter, indem sie das Recht auf Bildung
lebenslange Bildung für alle hat Bestandteil in der Muttersprache als Option für die der
zukünftiger, globaler Wissensgesellschaften Charta beigetretenen Staaten vorantreibt. Das
zu sein. In diesem Zusammenhang verdient Ziel dieser Regelung ist die Zweisprachigkeit
auch die auf Fertigkeiten ausgerichtete tech- von Minderheiten, die vom Staat anerkannt
nische und berufliche Bildung angemessene werden. Es gibt jedoch Minderheiten, die
nicht von einem solchen Schutz erfasst sind
Aufmerksamkeit.
und nicht einmal das Recht auf das Erlernen
Die Weltkonferenz über das Recht auf Bil- der Muttersprache in der Schule besitzen, wie
dung und die Rechte in der Bildung von etwa die Roma in Europa oder die Aborigines
2004 hat in ihrer „Erklärung von Amsterdam“ in Australien.
die Notwendigkeit hervorgehoben, den Zu- Wissenschaftliche Untersuchungen haben gegang zur Bildung zu gewährleisten, wobei die zeigt, dass Primärschulbildung in einer frem-
2 51
252
R E C H T AU F B I L D U N G
den Sprache, etwa Französisch in Westafrika, sellschaften müssen daher ihre Anstrengunzu einem niedrigeren Leistungsniveau der gen gegen soziale und kulturelle Praktiken,
SchülerInnen führen kann. Deshalb wurde die verhindern, dass Kinder und andere Grupvon der Afrikanischen Sprachenakademie in pen ihre Bildungsrechte voll in Anspruch nehBamako, Mali, ein Recht auf Primärschulun- men können, verstärken und auf diese Weise
terricht in der Muttersprache gefordert.
zu deren menschlicher Sicherheit beitragen.
Trotz der bemerkenswerten Fortschritte in den
Bemühungen, Kindern zu ermöglichen, ihr Der Zugang benachteiligter
Recht auf Bildung vollständig zu genießen, Gruppen zum Recht auf Bildung
bleibt noch viel Arbeit zu tun, um die Ziele zu Von der UNESCO und anderen Organisatioerfüllen. So gibt es noch immer viele ungelös- nen wurden verschiedene Gruppen identite Fragen der Diskriminierung, Ungleichheit, fiziert, die besondere Schwierigkeiten beim
Vernachlässigung und Ausbeutung, die vor vollen Zugang zur Bildung auf Grundlage der
allem Mädchen, Frauen und Minderheiten be- Gleichheit haben. Dazu gehören Frauen und
treffen. Der UNICEF-Bericht über den Zustand Mädchen, kulturelle, ethnische, religiöse oder
der Kinder der Welt von 2006 mit dem Titel sprachliche Minderheiten, Flüchtlinge, Ver„Excluded and Invisible“ („Ausgeschlossen triebene und MigrantInnen, indigene Völker,
und unsichtbar“) oder der Bericht von Human Menschen mit Behinderungen, benachteiligte
Rights Watch, „Failing our Children. Barriers Gruppen von Kindern und Jugendlichen soto the Right to Education“ („Wir lassen unse- wie sozial und wirtschaftlich benachteiligte
re Kinder durchfallen: Schranken des Rechts Gruppen, wie demobilisierte Soldaten. Diese
auf Bildung“) geben zahlreiche Beispiele von Gruppen sind zum Gegenstand internationaGründen für das Ausgeschlossensein. Die Ge- ler Besorgnis und Maßnahmen geworden, was
sich auch in den Berichtspflichten der Staaten
ausdrückt.
Die Bildungsbedürfnisse von Menschen mit
„Die wirksame Anwendung
Behinderungen verdienen besondere Aufmerksamkeit. Der Aktionsrahmen, der von
des Rechts des Kindes auf Bildung
ist vorrangig eine Frage des Willens. der Konferenz von Salamanca im Jahr 1994
angenommen wurde, spricht sich für eine
Nur der politische Wille der
inklusive Bildung aus. Dementsprechend
Regierungen und jener der Internati- sollen Schulen „alle Kinder unabhängig von
ihrem physischen, intellektuellen, sozialen,
onalen Gemeinschaft kann in
emotionalen, sprachlichen oder anderen Zuder Lage sein, dieses essentielle
stand aufnehmen“.
Recht soweit zu fördern, dass es
zur Erfüllung jeder/s Einzelnen und
zum Fortschritt jeder Gesellschaft
beitragen kann.“
Amadou-Mahtar M’Bow,
früherer UNESCO-Generaldirektor.
Menschenrechte in Schulen
Im Gegensatz zur Verpflichtung des Art. 26
(2) AEMR finden die Menschenrechte in den
Schulen häufig keine Beachtung. Kinder sind
noch immer körperlichen Strafen ausgesetzt
oder müssen arbeiten. Sie werden nicht über
ihre Rechte unterrichtet bzw. informiert, was
in der Konvention über die Rechte des Kindes
R E C H T AU F B I L D U N G
steht, die durch alle Mitglieder der Vereinten
Nationen außer den USA und Somalia ratifiziert wurde.
Menschenrechte des Kindes
titutionen, die Regierungen als Ergebnis ihrer
Strukturanpassungsprogramme dazu gezwungen haben, öffentliche Ausgaben, darunter
auch jene für Bildung, zu kürzen.
Die Weltkonferenz über Bildung für Alle in
Jomtien, Thailand, im Jahr 1990 hat erklärt,
dass die wirksame Regelung der Grundbildung für alle von politischen Zugeständnissen und dem politischen Willen abhängt, der
sich auf Politiken stützen muss, die geeignete
und unterstützende Maßnahmen in den Bereichen Finanzen, Wirtschaft, Handel, Arbeit,
Beschäftigung und Gesundheit setzen. Eine
Studie der UNICEF in neun Ländern hat sechs
Grundthemen identifiziert, deren Behandlung notwendig ist, um bessere Ergebnisse
bei der Sicherung des Rechts auf universelle
Grundschulbildung zu erzielen. Diese sind:
politische und finanzielle Verpflichtungen, die
4. Durchsetzung und Überwachung
zentrale Rolle des öffentlichen Sektors, die
Seit ihrer Gründung im Jahr 1945 haben die Verringerung der Kosten für Bildung in privaVereinten Nationen die Notwendigkeit einer ten Haushalten sowie Integration der Bildungs„internationalen Kooperation zur Lösung inter- und Entwicklungsreformen in die weiteren
nationaler Probleme wirtschaftlicher, sozialer, Strategien menschlicher Entwicklung.
kultureller oder humanitärer Natur“ anerkannt
Das Weltbildungsforum in Dakar im Jahr
(Art. 1 (3), UNO-Charta).
Durch den Transfer von Information, Wissen 2000 war die größte Evaluierungskonferenz,
und Technologie wird die internationale Ko- die je im Bereich der Bildung unternommen
operation unerlässlich für die wirksame Um- wurde. 164 Staaten waren vertreten, danesetzung des Rechts auf Bildung, besonders für ben 150 Gruppierungen der Zivilgesellschaft,
Kinder in den weniger entwickelten Ländern. vor allem NGOs. Die Vorbereitungen für das
Das Recht auf Bildung ist auch eine Vorbe- Forum waren besonders gründlich. Eine bedingung für die wirtschaftliche Entwicklung. trächtliche Menge von Informationen wurde
Die Bereitstellung von Bildung sollte von allen gesammelt, die die unterschiedliche Situation
Staaten als eine Langzeitinvestition von hoher der einzelnen Länder illustrierte: Darunter
Priorität behandelt werden, da so individuelle waren einige Staaten, die beachtliche FortHumanressourcen für den Prozess der natio- schritte erzielt hatten, während sich andere
in verschiedenen Bereichen der Bildung mit
nalen Entwicklung gefördert werden.
Internationale Finanzinstitutionen wie die wachsenden Schwierigkeiten konfrontiert saWeltbank und der Internationale Währungs- hen. Als Durchbruch galt das Ergebnis des
fonds (IWF) unterstreichen die Bedeutung der Forums, die Annahme des Aktions-RahmenBildung als Investition in die Entwicklung des programms von Dakar.
Humankapitals. Es sind jedoch dieselben InsWas man wissen sollte, Trends.
Folglich muss Menschenrechtsbildung in
Schulen und die Schuldemokratie stärker gefördert werden. Auch LehrerInnen benötigen
Schutz, etwa wenn sie durch Behörden unter
Druck gesetzt oder ihnen angemessene Gehälter verweigert werden, was im Gegensatz zu
einschlägigen Konventionen und Empfehlungen der UNESCO steht. Ein anderes Problem,
das ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt
ist, ist die Gewalt in Schulen. Als Beispiele guter Praxis können die 8.000 UNESCO-Schulen
in 177 Ländern (Stand: Juli 2008) dienen.
253
254
R E C H T AU F B I L D U N G
Das Weltbildungsforum von Dakar bot
die Gelegenheit für den Start von neun
Education for All-Leitprogrammen
(EFA): die Initiative zu HIV/AIDS und
Bildung; frühe Kindespflege und Bildung; das Recht auf Bildung für Personen mit Behinderungen; auf dem Weg
zum Einbezug aller in die Bildung (Inklusion); Bildung für die Landbevölkerung; Bildung in Notsituationen und
Krisen; Konzentrierung von Ressourcen
auf wirksame Schulgesundheitsmaßnahmen; LehrerInnen und die Qualität von
Bildung; die Mädchenbildungsinitiative
der Vereinten Nationen; Alphabetisierung im Rahmen der UNO-Dekade für
Alphabetisierung.
Die Tätigkeit der UNESCO verfolgt drei
strategische Ziele:
• Förderung der Bildung als Grundrecht;
• Verbesserung der Qualität der Bildung;
• Förderung von (Schul-)Versuchen,
Innovation und der Verbreitung von
Information und guter Praxis sowie
Politikdialog im Bereich der Bildung.
Die UNESCO hat eine Reihe von Mechanismen entwickelt, die zu einer effektiveren
Anwendung der angenommenen Regelungen
beitragen und eine bessere Erfüllung der bezüglich des Rechts auf Bildung übernommenen Verpflichtungen gewährleisten sollen. Die
regelmäßigen Berichte, zu deren Vorlage
die Staaten verpflichtet sind, dienen zur Information über nationale Maßnahmen, die
getroffen wurden, um die Verpflichtungen
aus den von ihnen unterzeichneten Konventionen zu erfüllen. Beispielsweise sind die
Vertragsparteien der Konvention gegen Diskriminierung im Bildungswesen von 1960 sowie
aufgrund einer gleichlautenden Empfehlung
aus dem selben Jahr sogar alle UNESCO-Mitgliedsstaaten verpflichtet, etwa alle fünf bis
sieben Jahre Berichte über ihre legislativen
und adminis­trativen Regelungen und über
andere Maßnahmen, die sie zur Umsetzung
der Konvention unternommen haben, an die
UNESCO-Generalkonferenz zu erstatten. Für
die Prüfung der Berichte der Mitgliedsstaaten
ist der Ausschuss für Konventionen und Empfehlungen verantwortlich.
Für die volle Umsetzung des Rechts auf Bildung bedarf es einer starken institutionellen
Unterstützung. Die UNESCO als Sonderorganisation der Vereinten Nationen spielt in dieser Hinsicht eine führende Rolle, da Bildung
eine ihrer Hauptaufgaben ist. Die UNESCO, in
Zusammenarbeit mit anderen Organisationen
wie UNICEF und IAO, war federführend bei der
Initiierung von Bildungsreformen und der Förderung der vollen Umsetzung des Rechts auf
Bildung. Dies zeigt sich in der Fülle der Instrumente, die Standards setzen, den vielfältigen
Dokumenten und Berichten sowie den zahlreichen Foren, Treffen, Arbeitsgruppen und
Aktivitäten der Koordination und der Zusammenarbeit mit Staaten, internationalen zwischenstaatlichen Organisationen und NGOs.
Die UNESCO ist daher die führende Agentur
für internationale Kooperation im Bereich der Zusätzlich hat der Verwaltungsrat der UNESCO
Bildung. Auf staatlicher Ebene gewährleisten im Jahr 1978 ein vertrauliches Verfahren für
die Nationalen Kommissionen für die UNESCO, die Prüfung von Beschwerden gegen Mitgliedsdass die Tätigkeit der UNESCO in ihren 193 staaten betreffend behauptete Verletzungen
von Menschenrechten im ZuständigkeitsbeMitgliedsstaaten gut verwurzelt ist.
reich der UNESCO eingeführt. Ziel ist es, die
R E C H T AU F B I L D U N G
Probleme im Geist der Zusammenarbeit, des
Dialogs und des Ausgleichs zu lösen.
Zur Überwachung der Umsetzung des Rechts
auf Bildung ist die Verwendung von verlässlichen Indikatoren, internationalen Vergleichen und Staatenrankings von Nutzen. Im
Bildungssektor beinhalten solche Indikatoren
Alphabetisierungsquoten, Einschulungsraten,
Abschluss- und Drop-out-Statistiken, Statistiken zum Verhältnis LehrerInnen-SchülerInnen
und Angaben zum Prozentsatz der öffentlichen Ausgaben für die Bildung im Vergleich
zu Ausgaben in anderen Sektoren wie etwa
den Streitkräften. In dieser Hinsicht hat der
neue EFA Global Monitoring Report (Globaler
Überprüfungsbericht), der von der UNESCO
seit dem Jahr 2002 jährlich erarbeitet wird,
neue Standards gesetzt, die den Jahresbericht
von UNICEF über den „State of the World’s
Children“ („Zustand der Kinder der Welt“),
der einen breiteren Zugang hat, ergänzt.
onalen und internationalen Gerichten, worauf
auch der Sonderberichterstatter zum Recht auf
Bildung in seinem Bericht von 2005 hingewiesen hat. Die hauptsächlichen Fragen betreffen
Diskriminierung im Bildungsbereich, insbesondere im gleichen Zugang zur Bildung.
Der UNO-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ist für die
Überwachung der Umsetzung des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und
kulturelle Rechte in den Mitgliedsstaaten verantwortlich. Er prüft die nationalen Berichte
und führt einen Dialog mit den Mitgliedsstaaten, um eine möglichst effektive Umsetzung
der Rechte des Paktes sicher zu stellen.
Hinsichtlich des Rechts auf Bildung arbeitet er
dabei eng mit der UNESCO zusammen. Für
eine verbesserte Umsetzung des Rechts auf
Bildung wäre jedoch eine größere Bereitschaft
der Staaten, ihre Berichtspflichten ernst zu
nehmen, von Bedeutung. In diesem ZusamDie Menschenrechtskommission der Ver- menhang sind auch die sogenannten „Schateinten Nationen, die Vorgängerin des tenberichte“ von NGOs sowie das Lobbying
Menschenrechtsrates, hat 1998 eine/n Son- von Berufsvereinigungen im Bildungsbereich
derberichterstatterIn über das Recht auf von Nutzen.
Bildung eingerichtet. Diese/r hat über den
Zustand der fortschreitenden Verwirklichung Probleme der Umsetzung
des Rechts auf Bildung auf der ganzen Welt Soziale, wirtschaftliche und kulturelle Recheinschließlich des Zugangs zur Grundbildung te bedürfen oft hoher Investitionen über eisowie der Probleme bei der Umsetzung dieses nen größeren Zeitraum, um eine effektive
Rechts zu berichten. Als erste Sonderbericht- Umsetzung zu erreichen. In der Tat stellt der
erstatterin wurde Katarina Tomaševski bestellt, Bildungssektor in manchen Ländern eine der
die einen auf den Menschenrechten beruhen- bedeutendsten Staatsausgaben dar.
den Ansatz der Bildung verfolgte. Sie legte ihr
Mandat nach sechs Jahren aus Enttäuschung Oft ist Armut das größte Hindernis für ein
über die unzureichende Unterstützung ih- Kind, sein Recht auf Bildung wahrzunehmen.
rer Aufgabe zurück. Im Jahr 2004 folgte ihr
Freiheit von Armut. Das Problem ist weVernor Muñoz Villalobos als neuer Sonderbe- niger, dass es keine Schulen gibt, die besucht
richterstatter zum Recht auf Bildung nach.
werden könnten. Tatsächlich beginnen über
90% der Kinder in Entwicklungsländern mit
Es gibt eine zunehmende Betonung der Durch- der Grundschule. Die wahren Probleme sind
setzbarkeit des Rechts auf Bildung vor nati- hohe Drop-out-Raten und die Tatsache, dass
255
256
R E C H T AU F B I L D U N G
„Bildung ist kein Weg,
der Armut zu entkommen.
Sie ist ein Weg,
um Armut zu bekämpfen.“
(Übersetzung)
Julius Nyerere (1922-1999),
tansanischer Politiker.
hen seit 1999 die IAO-Konvention gegen die
schlimmsten Formen der Kinderarbeit sowie
mehrere einschlägige Programme.
„In Sambia geht ein durchschnittliches
Kind jeden Morgen 7 km zur Schule, hat
nichts gegessen, ist müde, unterernährt
und leidet an Darmwürmern. Er oder sie
sitzt mit ca. 50 Mitschülern, die sich in
einem ähnlichen Zustand befinden, in
einer Klasse. Ihre Aufnahmefähigkeit ist
minimal. Die Akustik ist schlecht, es gibt
keine Kreiden und es gibt nicht genügend
Notizblöcke.“
Kinder Klassen wiederholen müssen. Die Armut erschwert es Familien, für Schulgebühren,
Bücher und Schulmaterialien aufzukommen,
UNICEF. 1999. The State of the World’s
oder, wenn die Schule kostenlos ist, die KinChildren 1999.
der in die Schule statt zur Arbeit zu schicken
und so auf deren Beitrag zum mageren Familienbudget zu verzichten. Fehlende Finanzmittel hindern die Behörden am Bau und der Armut und Kinderarbeit stellen insbesondere
Erhaltung von Schulen, an der Einrichtung für die Bildung von Mädchen beträchtliche
von Colleges für LehrerInnenbildung, an der Hindernisse dar. (
Menschenrechte der
Anstellung von kompetenten LehrerInnen und Frau) Viele Mädchen müssen bereits in junVerwaltungspersonal, am Kauf von Unter- gen Jahren schwere Arbeiten übernehmen,
richtsmaterial und anderen Mitteln sowie an um zu überleben. Nicht genug, dass von ihder Zurverfügungstellung von angemessenen nen erwartet wird, den Familienbedürfnissen
Transportmitteln für die SchülerInnen. All dies zu entsprechen und anstrengende Arbeiten
hängt direkt von den wirtschaftlichen Mitteln zu übernehmen, sind sie auch mit sozialen
eines Staates ab.
Pflichten, mit früher Mutterschaft und überEine Studie des Save the Children Fund zeigte, kommenen Einstellungen konfrontiert. Tradidass sich manche afrikanische Staaten durch tionelle Ansichten betreffend die Bildung von
ihre Schuldenlast gezwungen sahen, die Schul- Mädchen überwiegen noch immer, obwohl sie
gebühren zu erhöhen und so die Kosten der engstirnig und einseitig sind, und führen zu
Bildung für die Familien zu vergrößern. Aus fehlender Motivation der Eltern, ihre Töchter
diesen Gründen haben Millionen von Kindern in die Schule zu schicken. Bestimmte Grupniemals die Schule besucht oder es verabsäumt, pen von Mädchen – wie Mädchen aus indigenen oder nomadischen Gemeinschaften,
ihre Grundschulbildung abzuschließen.
ethnischen Minderheiten und alleinstehende
Ein wesentlicher Faktor ist die weit verbreitete ebenso wie behinderte Kinder – haben speziKinderarbeit. Unglücklicherweise benötigen elle Nachteile.
viele Familien dieses zusätzliche Einkommen, Es ist daher ein international wachsendes Anum ihr Auslangen zu finden. Dieses Problem liegen, Mädchen einen gerechten Zugang zur
wird besonders durch die Internationale Ar- Bildung zu gewähren und ihnen damit die
beitsorganisation (IAO) aufgegriffen. So beste- Erfüllung ihrer menschlichen Fähigkeiten zu
R E C H T AU F B I L D U N G
„Es gibt kein wirksameres Mittel für die Entwicklung als die
Ausbildung von Mädchen.“ (Übersetzung)
Kofi Annan, ehemaliger UNO-Generalsekretär. 2003.
ermöglichen. Aus Anlass des Weltbildungs- häufig Ziele oder Kampfplätze. Zum Beispiel
forums in Dakar im Jahr 2000 wurde eine wurden 95% der Klassenräume in den Ausei„10-jährige Bildungsinitiative der Vereinten Nati- nandersetzungen im Zusammenhang mit der
onen für Mädchen“ ins Leben gerufen, die eine Unabhängigkeit Osttimors zerstört, und in KoBewusstseinsbildung, die Verbesserung der lumbien wurden im Jahr 2003 83 LehrerInnen
Mädchenausbildung und die Beseitigung von getötet.
geschlechtsbezogenen Ungleichheiten anstrebt. Quelle: UNESCO. 2005. EFA Global Monitoring Report 2006.
Arbeit
Menschenrechte in bewaffneten
Konflikten
„HIV/AIDS, das im Jahr 2004 mehr als 3 Mio.
Tote verursachte, hat einen tiefgreifenden Einfluss auf die Bildungssituation, insbesondere
in Afrika südlich der Sahara. Kenia, Tansania
Wussten Sie dass ...
und Sambia haben im Jahr 2005 jeweils mindestens 600 Lehrer verloren. Abwesenheit auf… die Erlangung von universeller Grundgrund von AIDS ist zu einem Hauptproblem
schulbildung innerhalb eines Jahrzehnfür Schulen in Afrika geworden.“
tes in allen Entwicklungsländern sieben
UNESCO. 2005. EFA Global Monitoring Report
bis acht Milliarden US-Dollar pro Jahr
2006.
kosten würde. Dies entspricht dem Wert
der globalen Militärausgaben oder dem
Wert der Währungsspekulationen auf
Internationale und nationale bewaffnete
internationalen Märkten an sieben TaKonflikte und Bürgerkriege können normale
gen oder weniger als der Hälfte dessen,
Lebensmuster unterbrechen. Regulärer Schulwas nordamerikanische Eltern jährlich
besuch kann für die SchülerInnen unmöglich
für Kinderspielzeug ausgeben und weniwerden, wenn Schulen in oder nahe an Konger als der Hälfte dessen, was Europäer
fliktregionen liegen. Obwohl Schulen unter
jährlich für Computerspiele oder Minedem Schutz des humanitären Völkerrechts steralwasser verbrauchen.
hen, werden sie oft zu Zielen von Angriffen.
Im Jahr 2003 gab es 36 bewaffnete Konflikte in
28 Ländern. 90% der Opfer waren ZivilistInnen. Schulgebäude und LehrerInnen wurden
Quelle: Kevin Watkins. 1999. Education
Now. Break the Cycle of Poverty.
257
258
R E C H T AU F B I L D U N G
WAS MAN WISSEN SOLLTE
1. Good Practices
• In Ägypten wurde das erfolgreiche Konzept
der „mädchenfreundlichen Schulen“ in das
Bildungssystem aufgenommen und ein umfassendes Reformpaket für gesunde und gesundheitsfördernde Schulen gestartet.
• Malawi (1994), Uganda (1997), Tansania
(2002) und Kenia (2003) haben die Kosten
der Eltern für Schulbildung durch die Abschaffung der Schulgebühren gesenkt. Einige Länder haben auch die Schuluniformen
abgeschafft.
• Das „Busti Program“ in Pakistan, das eine
Gemeinschaftsarbeit zwischen einer in Karachi angesiedelten NGO und der UNICEF
ist, bezweckt die Einrichtung von häuslicher Grundschulbildung für Kinder, die
dann in normale Schulen aufgenommen
werden können. Die Kinder sind zwischen
fünf und zehn Jahren alt, etwa drei Viertel davon sind Mädchen. Die Initiative hat
dazu geführt, dass die normale Geschlechterrollenverteilung teilweise umgekehrt
wurde, indem Bildung zu Hause ermöglicht
wurde. Das Programm hat mehr als 200
Heimschulen eingerichtet, in welchen über
6.000 SchülerInnen unterricht werden. Pro
Einheit kostet dies 6 US-Dollar, was weit
billiger ist als die durchschnittlichen Kosten
in staatlichen Grundschulen.
• Mauretanien hat Gesetze erlassen, um
frühe Heiraten zu verbieten, machte die
Grundschulbildung verpflichtend und hob
das Mindestalter für Kinderarbeit auf 16
Jahre an. Es hat einen „Kinderrat“ gegründet, um die Umsetzung der Kinderrechtekonvention zu fördern und die Schaffung
von Jugendgerichten in allen wichtigen
Städten beschlossen.
• In Mashan-Bezirk in China werden Darlehen oder Entwicklungsgelder bevorzugt an
Dörfer und Haushalte vergeben, die wirksame Maßnahmen ergreifen, um Mädchen in
die Schule zu schicken.
• Die Volksrepublik Laos setzt erfolgreich ein
geschlechtergerechtes Programm um, welches den Zugang von Mädchen zur Grundschulbildung in Minderheitengebieten
sichert. Das Fernziel ist es, mehr Frauen an
der sozioökonomischen Entwicklung teilhaben zu lassen, indem deren Bildungsniveau fortschreitend verbessert wird.
• In Mumbai (ehemals Bombay) in Indien hat die „Pratham Mumbay Education
Initiative“, eine Partnerschaft zwischen
LehrerInnen, Gemeinschaftsgruppen, WirtschaftssponsorInnen und RegierungsvertreterInnen, mehr als 1.600 Schulen gegründet
und dabei geholfen, mehr als 1.200 Schulen
zu modernisieren.
• In Afghanistan, wo Mädchen vom offiziellen Bildungssystem ausgeschlossen waren,
hat UNICEF seit 1999 den mutigen Schritt
unternommen, Heimschulen für Mädchen
und Buben zu unterstützen. Ende 2001 unterrichteten diese Schulen mehr als 58.000
Kinder.
• Das CHILD-Projekt in Thailand, das mit
der Spende von gebrauchten Computern
begann, schenkt der Verbindung zwischen
Lernen und der Gesundheit von Kindern
besondere Aufmerksamkeit.
• In Mali strebt das „Decennial Development
Program on Education“ (das zehnjährige
Entwicklungsprogramm zur Bildung) eine
Schuleinschreibungsquote von 75% bis
2008 an.
• In Argentinien fielen aufgrund der Wirtschaftskrise die Ausgaben für Bildung
R E C H T AU F B I L D U N G
dramatisch. Im Jahr 2004 gab Spanien
einem Vorschlag Argentiniens zu einem
Tausch „Schulden gegen Bildung“ seine
Zustimmung. Im Einklang damit überwies Argentinien 100 Mio. US-Dollar auf
ein besonderes Bildungskonto, statt diese
an Spanien zurück zu zahlen. Der neue
Fonds soll 215.000 SchülerInnen in drei der
ärmsten Regionen des Landes unterstützen.
Quellen: UNESCO. 2005. EFA Global Monitoring Report 2006; UNICEF. 1999/2001. Annual Reports 1999/2002; Kevin Watkins. 1999.
Education Now.
Das Recht auf Bildung-Projekt wurde
durch die Sonderberichterstatterin der
Vereinten Nationen für das Recht auf
Bildung im Jahr 2001 eingerichtet, um
die Transparenz ihrer Arbeit zu erhöhen
und ein Forum zum Recht auf Bildung
zu schaffen. Mit Hilfe einer öffentlich zugänglichen Menschenrechtswebseite, die
ganz dem Recht auf Bildung gewidmet ist,
fördert das Projekt alle Menschenrechte
durch Bildung, es nimmt Bewertungen
der globalen Verwirklichung des Rechts
auf Bildung vor, trägt zu Bildungsstrategien bei und ermöglicht die Kritik und
Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen (www.right-to-education.org).
2. Trends
Das Dakar Framework for
Action - Education for All
(Aktionsrahmen von Dakar
- Bildung für alle), der am
Weltbildungsgipfel in Dakar, Senegal, am 28.
April 2000 angenommen wurde, drückt die
Verpflichtung der internationalen Gemein-
schaft zur Realisierung des Rechts auf Bildung
aus. Der Aktionsrahmen formuliert sechs Ziele, um Grundschulbildung für alle bis zum
Jahr 2015 zu erreichen:
1. Erweiterung und Verbesserung von
früher Kinderversorgung und Bildung,
insbesondere für besonders gefährdete und benachteiligte Kinder;
2. Sicherstellung, dass bis 2015 alle Kinder, insbesondere Mädchen, die in
schwierigen Umständen lebenden
ethnischen Minderheiten angehören,
Zugang zu freier und verpflichtender
Grundschulbildung guter Qualität haben;
3. Gewährleistung, dass die Lernbedürfnisse von allen jungen Menschen und
Erwachsenen durch gerechten Zugang zu angemessenen Lern- und Lebensfertigkeiten sowie -programmen
erfüllt werden;
4. die Verdopplung der Alphabetisierung der Erwachsenen bis 2015, insbesondere der Frauen, sowie die
Sicherstellung gerechten Zuganges
zu grundlegender Bildung für alle Erwachsenen;
5. Die Beseitigung von Geschlechterdisparitäten in der Grundschul- und sekundären Bildung bis 2005, und die
Erreichung von Geschlechtergleichheit bis 2015, mit einem Fokus auf die
Gewährleistung von vollem und gleichen Zugang zu qualitativ hochwertiger Bildung für Mädchen;
6.Die qualitative Verbesserung aller Aspekte von Bildung und die Fähigkeiten aller zu sichern, damit anerkannte
und messbare Lernergebnisse aller
erreicht werden, insbesondere bei der
Alphabetisierung und bei den lebenswichtigen Fertigkeiten.
259
260
R E C H T AU F B I L D U N G
Die Erlangung von universeller Grundschulbildung für alle Mädchen und Buben sowie
des gleichen Zugangs der Geschlechter, und
die Befähigung der Frauen durch die Beseitigung von Geschlechterungleichheiten in der
Primär- und Sekundärbildung, vorzugsweise
bis 2005, und auf allen Bildungsebenen für
Mädchen und Buben bis 2015 wurde durch
den Millenniumsgipfel der Vereinten Nationen
im September 2000 als das zweite und dritte
von acht Millenniumsentwicklungszielen
(MDGs) bekräftigt.
Auch andere MDGs wie die Verringerung der
Kindersterblichkeit und die Verbesserung der
Müttergesundheit oder die Bekämpfung von
HIV/AIDS können nicht ohne entsprechende
Bildungspolitiken erreicht werden. Einschlägige
Beispiele sind die „EFA Leitinitiativen“, die einen
gemeinsamen Mechanismus mehrerer Partner
in Unterstützung der Bildung für Alle-Zielsetzungen darstellen, wie die Initiative betreffend
den Einfluss von HIV/AIDS auf die Bildung.
Die Weltbank, die in der Vergangenheit dafür kritisiert worden war, dass sie die freie
Grundbildung nicht genug unterstützt habe,
hat im Jahr 2002 eine sog. EFA Fast Track Initiative (Schnellspurinitiative) gestartet. Diese
stellt eine globale Partnerschaft zwischen Geber- und Entwicklungsländern dar, um einen
rascheren Fortschritt hinsichtlich einer universellen Grundbildung zu erreichen. Länder
mit niedrigen Einkommen, die ein ernsthaftes Engagement zeigen, das zweite Millenniumsentwicklungsziel zu erreichen, können
zusätzliche Unterstützung von der unter dem
Ko-Vorsitz der UNESCO und der Weltbank
stehenden Gebergemeinschaft erhalten. Ende
2008 waren bereits knapp 40 Länder Partner
der Initiative geworden.
Quelle: http://www1.worldbank.org/education/efaft
Kommerzialisierung der Bildung
Durch die Globalisierung hat die Kommerzialisierung der Bildung zugenommen, die
dadurch eher zu einer kostenpflichtigen
Dienstleistung als einem öffentlichen Gut auf
Grundlage eines Menschenrechts wird. Private Bildungsinstitutionen, die als Wirtschaftsunternehmen gegründet werden, können das
öffentliche Bildungswesen untergraben. Um
diesem Trend entgegen zu treten und als Antwort auf entsprechende Sorgen von Berufsvereinigungen hat die Europäische Union in
der Doha-Runde der internationalen Handelsverhandlungen keinerlei Angebote im Bereich
der Bildungsdienstleistungen gemacht.
Grundschulbildung 1998 und 2002
2002
1998
gesamt
männlich
weiblich
% weiblich
gesamt
(Zahlen in Tausend)
Welt gesamt
Entwicklungsländer
Industrieländer
Trasitionsländer
Afrika südlich der Sahara
Arabische Staaten
Zentralasien
Ostasien und Pazifik
Süd- und Westasien
Lateinamerika und Karibik
Nordamerika und Westeuropa
Zentral- und Osteuropa
männlich
% weiblich
106.268
45.067
61.201
58
99.303
44.722
54.581
55
102.052
1.911
2.304
42.971
961
1.135
59.081
950
1.170
58
50
51
95.459
2 .376
1.468
42.701
1 .285
736
52.758
1 .091
732
55
46
50
44.581
8.491
77
8.309
35.722
3.620
1.429
3.340
20.648
3.501
37
4.158
12.534
1.623
718
1.510
23.933
4.991
400
4.151
23.189
1.997
711
1.830
54
59
52
50
65
55
50
55
40.370
6.906
635
14.782
30.109
2.084
1.848
2.569
18.367
2.882
294
7.410
12.698
858
1.012
1.203
22.003
4.025
34
7.372
17.411
1.226
836
1.366
55
58
54
50
58
59
45
53
Quelle: UNESCO. 2005. EFA Global Monitoring Report 2006.
Hinweis: Zahlen gerundet
Source: Statistical annex, Table 5.
weiblich
(Zahlen in Tausend)
R E C H T AU F B I L D U N G
3. Zeittafel
Fortschritte hinsichtlich von Bildung
für Alle: gemischte Ergebnisse
Positive Trends seit 1998
• Die Einschreibung in die Grundschulen hat in Afrika südlich der Sahara
sowie in Süd- und Westasien stark
zugenommen. In jeder Region gibt
es zusätzliche 20 Mio. Kinder in den
Schulen.
• Die Einschreibung von Mädchen in
den Grundschulen ist stark gewachsen, insbesondere in armen Ländern.
• Die öffentlichen Ausgaben und offizielle Hilfe für Bildung haben signifikant zugenommen.
Verbleibende Herausforderungen
• Mehr als 100 Mio. Kinder haben noch
immer keinen Zugang zur Grundbildung; 55% davon sind Mädchen.
• Nur 47 Länder von 163 haben das Ziel
allgemeiner Grundbildung erreicht;
nur 20 weitere Länder sind auf dem
Weg, es bis 2015 zu erreichen.
• Obwohl es eine Reihe positiver Beispiele für Länder gibt, die beschlossen
haben, die Schulgebühren abzuschaffen, verlangen von 103 Ländern, in
denen Erhebungen durchgeführt wurden, immer noch 89 Gebühren für
die Grundschule, was im Gegensatz
zur Verpflichtung des Art. 13 IPWSKR
steht.
• Das Ziel der Geschlechtergleichheit
bis 2005 wurde in 94 von 149 geprüften Ländern verfehlt. Bei 86 Ländern
besteht die Gefahr, dass sie es auch
bis 2005 nicht erreichen werden.
•
Quelle: UNESCO. 2005. EFA Global Monitoring Report 2006.
1946 Verfassung der UNESCO: Ideal der
Gleichheit der Bildungschancen.
1948 Die Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte wird von der
UNO-Generalversammlung verabschiedet. Bildung wird zu einem
Grundrecht aller Völker.
1959 Die Konvention über die Rechte
des Kindes wird von der UNOGeneralversammlung verabschiedet. Bildung wird als Recht jedes
Kindes festgelegt.
1960 UNESCO-Konvention und Deklaration gegen die Diskriminierung
im Bereich der Bildung.
1965 Die Internationale Konvention
über die Beseitigung aller Formen der Rassendiskriminierung
verkündet das Recht aller auf Bildung, ohne Ansehen der Rasse
oder ethnischen Herkunft.
1966 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Rechte: Artikel 13 und 14 garantieren das Recht auf Bildung für
alle.
1973 IAO-Konvention über das Mindestalter für Beschäftigung.
1979 Die Konvention über die Beseitigung aller Formen von Diskriminierung gegen Frauen (CEDAW)
fordert die Gleichberechtigung
von Frauen in der Bildung.
1985 3. Weltkonferenz der Frauen in
Peking. Bildung wird zur Grundlage der Statusverbesserung der
Frauen erklärt.
1989 Übereinkommen über die Rechte
des Kindes.
1990 Weltdeklaration „Bildung für alle“
in Jomtien, Thailand. Die Kon-
2 61
262
R E C H T AU F B I L D U N G
ferenz präsentierte einen globalen Konsens über eine erweiterte
Vision der Grundschulbildung.
Die Konferenz wird von UNDP,
UNESCO, UNICEF, der Weltbank
und UNFPA gesponsert.
1993 E-9-Bildungsgipfel der neun be­
völkerungsreichsten Entwicklungs­
län­der in Neu Delhi, Indien.
Re­­gierungs­ver­treter­Innen
ver­
pflich­­­ten sich, das Ziel der weltweiten Grundschulbildung bis
zum Jahr 2000 zu erreichen.
Weltaktionsplan über Bildung für
Menschenrechte und Demokratie
wird in Montreal verabschiedet.
1994 Weltkonferenz „Bildung für besondere Bedürfnisse: Zugang und
Qualität“, in Salamanca, Spanien. Die TeilnehmerInnen erklären, dass alle Länder die Bildung
für besondere Bedürfnisse in ihre
nationalen Bildungsstrategien aufnehmen und eine „inklusive Bildung“ gewährleisten sollen.
1994 Internationale Konferenz über
Bevölkerung und Entwicklung in
Kairo. Die teilnehmenden Staaten
verpflichten sich zur Förderung
und Erlangung von universellem
und gerechtem Zugang zu qualitativer Bildung, um Armut zu
beseitigen, Arbeit zu fördern und
soziale Integration zu unterstüt-
zen. Besonderes Augenmerk soll
der Bildung von Mädchen gewidmet werden.
1997 Internationale Konferenz über
Kinderarbeit.
1998 Bestellung des/der SonderberichterstatterIn für das Recht auf Bildung.
1999 Der Ausschuss für wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Rechte verabschiedet seinen Allgemeinen
Kommentar Nr. 13 zum Recht auf
Bildung.
1999 IAO-Konvention gegen die schlimmsten Formen der Kinderarbeit.
2000 Die Millenniumsversammlung der
Vereinten Nationen beschließt die
Millenniumsentwicklungsziele der
Grundbildung und des gleichen
Zugangs für alle Kinder bis 2015.
2000 Der Dakar Framework for Action
wird auf dem Weltforum für Bildung in Dakar, Senegal, verabschiedet.
2003 Die Alphabetisierungsdekade der
Vereinten Nationen (2003-2012)
wird ausgerufen.
2004 Weltkonferenz in Amsterdam über
das Recht auf und die Rechte in
der Bildung.
2005 UNO-Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ 2005-2014.
R E C H T AU F B I L D U N G
Ausgewählte Übungen
Übung I: Verfügbar? Zugänglich?
Geeignet? Anwendbar?
Teil I: Einleitung
Diese Übung zielt darauf ab, das Verständnis
für die in diesem Modul behandelten Themen
zu vertiefen.
Teil II: Allgemeine Information
Art der Übung: Rollenspiel, Pantomime
Ziele: Dadurch, dass sich die TeilnehmerInnen
in eine ungewohnte Situation hineinversetzen
müssen, können sie ihr Verständnis und die
Beurteilung von verschiedenen Standpunkten
weiterentwickeln.
Zielgruppe: Jugendliche, Erwachsene
Gruppengröße: ca. 20
Zeit: 90 Minuten
Materialien: Flipchart-Papier; Marker, Kopien
der vier Elemente der Staatenverpflichtungen
(Availability/Verfügbarkeit, Accessibility/Zugänglichkeit, Acceptability/Geeignetheit, Adaptability/Anwendbarkeit) aus dem Modul
Recht auf Bildung
Fertigkeiten: Schauspielen, Einfühlungsvermögen, Kreativität
Teil III: Spezifische Information
Beschreibung der Übung/Anleitung: Die/der
GruppenleiterIn erklärt den TeilnehmerInnen, dass das Ziel der folgenden Übung eine
künstlerische Umsetzung des Rechts auf Bildung darstellt. Zu Beginn liest sie/er die exakten Bedeutungen der vier A, also der vier
Elemente der Staatenverpflichtungen, vor und
vergewissert sich, dass die TeilnehmerInnen
die Inhalte richtig verstanden haben. Anschließend finden sich die TeilnehmerInnen
in vier kleineren Gruppen zusammen. Jede
Gruppe wählt eines der Elemente für sich
aus, zu dessen Bedeutung sie etwas darstellen möchte. Die TeilnehmerInnen sammeln
zunächst ihre Ideen auf einem großen Blatt
Papier und haben anschließend 30 Minuten
Zeit, um ein Pantomime-Stück zu entwerfen
und zu proben. Dabei sollte darauf geachtet
werden, dass alle TeilnehmerInnen eine Rolle
im Stück besetzen.
Während die anderen TeilnehmerInnen im
Sesselkreis sitzen, führen die Gruppen nacheinander ihre Pantomimen vor. Jeweils fünf
bis zehn Minuten nach jedem Stück sind der
Diskussion und dem Feedback gewidmet.
Sowohl die BeobachterInnen als auch die
DarstellerInnen selbst sollten dabei ihre Meinungen darlegen.
Feedback: Nachdem alle Gruppen ihre Stücke
vorgespielt und diskutiert haben, schütteln die
TeilnehmerInnen in einer kurzen Lockerungsübung ihre Rollen ab. Anschließend sollte das
Rollenspiel besprochen werden. Wie haben
die TeilnehmerInnen die Übung wahrgenommen? War sie einfacher oder schwieriger, als
sie es sich zuvor vorgestellt hatten? Was waren die schwierigsten Aspekte, was war am
kompliziertesten darzustellen? Haben die
TeilnehmerInnen etwas Neues gelernt? Gab
es Unterschiede oder Gemeinsamkeiten zwischen den Gruppen? Wenn ja, welche?
Praktische Hinweise: Ein Rollenspiel kann
viele Formen annehmen, aber in allen Ausformungen produzieren die TeilnehmerInnen
kurze Schauspiele, die normalerweise starke
Gefühle in den DarstellerInnen und dem Publikum hervorrufen. Deshalb sollte der/die
GruppenleiterIn eine Auswertung der Übung
anregen, und dann die Ergebnisse auf ihre
Relevanz bezüglich der Menschenrechte untersuchen.
263
264
R E C H T AU F B I L D U N G
denen die Komplexität des Themas Bildung
Variationsmöglichkeiten:
• Die/der GruppenleiterIn kann während ei- und der Zusammenhang mit anderen Bereines besonders intensiven Moments freeze chen deutlich gemacht wird.
(Stop!) rufen und die AkteurInnen bitten, Ziele: Vergegenwärtigen, dass Bildung ein
ihre Emotionen in diesem Moment zu be- Menschenrecht ist; Verständnis für die Schwieschreiben, oder die anderen TeilnehmerIn- rigkeit des Ziels „Bildung für alle“ entwickeln
Zielgruppe: Jugendliche und Erwachsene
nen bitten, das Geschehen zu analysieren.
• Die/der Gruppenleiterin kann die Auffüh- Gruppengröße: bis zu 25
rung ohne Vorwarnung unterbrechen und Zeit: 2-3 Stunden
die DarstellerInnen bitten, ihre Rollen zu Materialien: Kopien der relevanten Artikel
tauschen und die Aufführung in dieser der AEMR; Artikel, Berichte, Materialien etc.
über die Komplexität des Menschenrechts auf
Neubesetzung fortzuführen.
• Hinter jeder/m AkteurIn kann eine weitere Bildung und den Zusammenhang von Bildung
Person stehen. Die/der GruppenleiterIn un- mit anderen Themenbereichen; kleine quadterbricht die Übung zwischenzeitlich und ratische Kärtchen (ca. 8 cm x 8 cm) aus stärfragt den „Schatten“, was sie/er glaubt, was kerem Karton, Stifte, Scheren
Vorbereitung: Sammeln entsprechender Mateihr/sein Charakter empfindet und warum.
rialien
Fertigkeiten: kreative Fähigkeiten, Erkennen
Teil IV: Follow-up
Theaterstücke oder andere Literatur, die ein von komplexen Zusammenhängen
die Menschenrechte betreffendes Thema zum
Inhalt haben, anschauen/lesen und mit der Teil III: Spezifische Information
Großgruppe eine Aufführung des Stückes or- Beschreibung der Übung/Anleitung: Die Teilganisieren.
nehmerInnen finden sich in kleineren Gruppen
Verwandte Rechte und Themen: Alle Men- zu jeweils drei oder vier Personen zusammen.
schenrechte, soziale und kulturelle Rechte
Anschließend breitet die/der LeiterIn die mitgebrachten Materialien aus, und die Gruppen bekommen genügend Zeit, um sich alles in Ruhe
Übung II: Bildung für Alle?
durchzusehen und schließlich jene Texte auszuwählen, die sie als Grundlage ihrer MemoTeil I: Einleitung
ry-Kärtchen benutzen möchten. Dabei bilden
„Bildung für alle“ war eines der Ziele, die im immer zwei Karten ein zusammengehöriges
Jahr 2002 vom Weltbildungsforum in Dakar, Paar: Auf dem einen wird lediglich ein SchlüsselSenegal, formuliert worden waren. Doch die begriff notiert (bspw. Mädchen, Geld, Hunger),
Verwirklichung dieses Rechtes steht mit vielen während sich auf dem anderen eine stichwortanderen Dingen in Zusammenhang und wird artige Beschreibung, auf welche Art und Weise
von zahlreichen anderen Faktoren beeinflusst. der jeweilige Schlüsselbegriff mit dem Bereich
der Bildung verknüpft ist, befindet.
Teil II: Allgemeine Information
Wenn alle Karten-Paare fertig gestaltet sind,
Art der Übung:
kann das Spiel in der Großgruppe (bei sehr
Reflexion, kreative Umsetzung
vielen TeilnehmerInnen auch getrennt in zwei
In dieser Übung sollen die TeilnehmerInnen Durchgängen) durchgeführt werden.
mit Hilfe des Materials, das ihnen vorliegt,
Kärtchen für ein Memory-Spiel herstellen, auf
R E C H T AU F B I L D U N G
Ideen für Karten-Paare:
Praktische Hinweise: Die/der GruppenleiFrauen/Mädchen – eingeschränkter Zugang terIn sollte darauf achten, dass insgesamt
für Mädchen zu Bildung
mindestens 20 Karten-Paare gestaltet werMinderheiten – eingeschränkter Zugang zu den, um hinterher ein sinnvolles Spiel zu
Bildung
ermöglichen.
Rüstung – Vergleich der Ausgaben eines Staates im Bildungs- und im Rüstungsbereich
Teil IV: Follow-up
Globalisierung – die Folgen der Globalisierung Die TeilnehmerInnen können darüber diskuauf das Bildungssystem eines Landes oder tieren, welche Möglichkeiten es (im eigenen
weltweit
Land) gäbe, um dem Ziel „Bildung für alle“
Geld – kein Geld, keine Bildung?
näher zu kommen oder es gar zu verwirkliNahrung – wer arbeiten muss, um ihre/seine chen. Handelt es sich um eine sehr kreative
Familie zu ernähren, hat keine Zeit, zur Schu- Gruppe, ergibt sich unter Umständen sogar
le zu gehen/sich weiterzubilden
die Möglichkeit, eine Aktionskampagne ins
Menschenrechtsbildung – Nutzen der MRB, Leben zu rufen.
wer trägt die Verantwortung hierfür?
Verwandte Rechte und Themen: GlobalisieFeedback: Die TeilnehmerInnen sprechen reihum rung, politische Partizipation
über ihre Erfahrungen während der vorangegangenen Übung. War es schwierig, Karten-Paare zu Quelle: adaptiert aus: Deutsches Institut für
finden? Haben die Komplexität des Menschen- Menschenrechte/Europarat (Hg.). 2005.
rechts auf Bildung und der Zusammenhang mit Kompass: Ein Handbuch zur Menschenrechtsanderen Bereichen zu einem Erkenntnisprozess bildung für die schulische und außerschulische
Bildungsarbeit.
bei den TeilnehmerInnen geführt?
265
266
R E C H T AU F B I L D U N G
Bibliographie
Alfredsson, Gudmundur. 2001. The Right to Human
Rights Education. In: Eide, Asbjorn, Catarina. Krause
und Allan Rosas (Hg.). Economic, Social and Cultural
Rights: A Textbook. Leiden: Martinus Nijhoff Publishers.
Beiter, Klaus-Dieter. 2006. The Protection of the Right
to Education by International Law. Leiden: Martinus
Nijhoff Publishers.
Benedek, Wolfgang. 2007. The Normative Implications of Education for All (EFA): The Right to Education.
In: Abdulqawi A. Yusuf (Hg.), UNESCO: 60 Years of
Standard-Setting and Education, Science and Culture.
UNESCO: Paris, 295-311.
Bloom, David, David Canning und Kevin Chan (Hg.).
2006. Higher Education and Economic Development
in Africa. http://www.worldbank.org/afr/teia/pdfs/
Higher_Education_Econ_Dev.pdf
Bruns, Barbara, Mingat Alain und Ramahatra Rakotomalala. 2003. Achieving Universal Primary Education by 2015: A Chance for Every Child. Washington,
D.C.: World Bank.
Coomans, Fons. 1998. Identifying Violations of the
Right to Education. In: Theo Van Boven, Cees Flinterman und Ingrid Westendorp (Hg.). The Maastricht Guidelines on Violations of Economic, Social and Cultural
Rights. SIM Special Nr. 20. Utrecht: The Netherlands
Institute for Human Rights.
Delbrück, Jost. 1992. The Right to Education as a Human Right. German Yearbook of International Law, Bd.
35, 92-104.
Deutsches Institut für Menschenrechte/Europarat
(Hg.). 2005. Kompass: Ein Handbuch zur Menschenrechtsbildung für die schulische und außerschulische Bildungsarbeit. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.
Fernandez, Alfred und Siegfried Jenkner. 1995. Internationale Erklärungen und Übereinkommen zum
Recht auf Bildung und zur Freiheit der Erziehung /International Declarations and Conventions on the Right
to Education and the Freedom of Education. Frankfurt
am Main: Info3-Verlag.
Günther, Cécile. 2007. Die Auslegung des Rechts auf
Bildung in der europäischen Grundrechtsordnung: Eine
Analyse von Schutzbereich und Reichweite – dargestellt
am Beispiel des Art. 14 EU-Grundrechtecharta. Frankfurt am Main: Lang-Verlag.
Hodgson, Douglas. 1998. International Cooperation
and Development in the Human Right to Education. A
Textbook. Aldershot: Ashgate Publishing.
Human Rights Watch. 2005. Failing Our Children:
Barriers to the Right to Education. http://www.hrw.
org/reports/2005/education0905
Lohrenscheit, Claudia. 2007. Das Recht auf Menschenrechtsbildung. Frankfurt am Main: IKO-Verlag.
Coomans, Fons. 1995. Clarifying the Core Elements of
the Right to Education. In: Fons Coomans und Fried
van Hoof (Hg.). The Right to Complain about Economic,
Social and Cultural Rights. SIM Special No.18. Utrecht:
The Netherlands Institute for Human Rights.
Muñoz Villalobos, Vernor. 2007. The Right to Education of Persons with Disabilities. Bericht des Sonderberichterstatters für das Recht auf Bildung, VN Dok. A/
HRC/4/29.
Daudet, Ives und Kishore Singh. 2001. The Right to
Education: An Analysis of UNESCO’s Standard-setting
Instruments. Paris: UNESCO Publishing.
Muñoz Villalobos, Vernor. 2004. The Right to Education. Bericht des Sonderberichterstatters für das Recht auf
Bildung, VN Dok. E/CN.4/2005/50.
De Groof, Jan und Gracienne Lauwers (Hg.). 2004.
Access to and Equality in Education. Paris: UNESCO,
European Association for Education Law and Policy
(ELA) und Wolf Legal Publishers.
Kabeer, Naila, Geetha B. Nambissan und Ramya
Subrahmania (Hg). 2003. Child Labour and the Right
to Education in South Asia: Needs Versus Rights? Singapore: Sage Publications Ltd.
R E C H T AU F B I L D U N G
Nowak, Manfred. 2001. The Right to Education. In:
Eide, Asbjorn, Catarina Krause und Rosas Allan (Hg.).
Economic, Social and Cultural Rights. A Textbook. Leiden: Martinus Nijhoff Publishers, 189-211.
Office of the United Nations High Commissioner for
Human Rights. 1999. The United Nations Decade for
Human Rights Education (1995-2004) Nr. 3, A Compilation of Provisions of International and Regional Instruments Dealing with Human Rights Education. Genf:
UNO
Office for Economic Co-operation and Development
(OECD). 2006. Education at a Glance. OECD Indicators.
Paris: OECD Publishing.
Overwien, Bernd und Annedore Prengl (Hg.). 2007.
Recht auf Bildung. Zum Besuch des Sonderberichterstatters der Vereinten Nationen in Deutschland. Opladen: Budrich.
Riedel, Eibe. 2005. Allgemeine Bemerkung Nr. 13 –
Das Recht auf Bildung (Artikel 13). In: Deutsches Institut für Menschenrechte (Hg.). Die ‚General Comments’
zu den VN-Menschenrechtsverträgen. Baden-Baden:
Nomos.
Sen, Amartya. 2002. Basic Education and Human Security beim Workshop on Education, Equity and Security. Kalkutta, Indien. http://www.humansecurity-chs.
org/activties/outreach/Kolkata.pdf
Steffek, Helle. 2006. Das Recht auf Bildung in der
Europäischen Gemeinschaft: Möglichkeit und Notwendigkeit gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben zur (Grund-)
Bildung in Europa. Hamburg: Kovac.
The World Bank Group. 2006. Education for All –
Fast-Track Initiative (EFA-FTI). http://www1.worldbank.org/education/efafti
Tomaševski, Katarina. 2006. Human Rights Obligations in Education: The 4-A Scheme. Nijmegen: Wolf
Legal Publishers.
Tomaševski, Katarina. 2005. Has the Right to Education a Future within the United Nations? A Behind-theScenes Account of the Special Rapporteur on the Right
to Education 1998-2004. In: Human Rights Law Review,
Bd. 5 Nr. 2, 205-237.
Tomaševski, Katarina. 2004. Manual on Rights-Based
Education: Global Human Rights Requirements Made
Simple. Bangkok: UNESCO.
Tomaševski, Katarina. 2003. Education Denied. Costs
and Remedies. London: Zed Books.
Tomaševski, Katarina. 1999. Preliminary Report of the
Special Rapporteur on the Right to Education, VN Dok.
E/CN.4/1999/49. Siehe auch den Fortschrittsbericht
und die jährlichen Berichte: VN Dok. E/CN.4/2000/6.
UNDP. 2005. Bericht über die menschliche Entwicklung.
http://hdr.undp.org/en/reports/global/hdr2005
UNESCO. 2007. EFA Global Monitoring Report 2008.
Education for All by 2015: Will we make it? Paris:
UNESCO.
UNESCO. 2006. EFA Global Monitoring Report 2007.
Strong Foundations: Early Childhood Care and Education. Paris: UNESCO.
UNESCO. 2005. EFA Global Monitoring Report 2006.
Literacy for Life. Paris: UNESCO.
UNESCO. 2005. UNESCO World Report. 2005. Towards
Knowledge Societies. Paris: UNESCO.
UNESCO. 2004. EFA Global Monitoring Report 2005.
Education for All – The Quality Imperative. Paris:
UNESCO.
UNESCO, 2003. EFA Global Monitoring Report 2003/04.
Gender and Education for All – The Loop to Equality.
Paris: UNESCO.
UNESCO, Institute for Statistics und Organization for
Economic Co-operation and Development (OECD).
2005. Education Trends in Perspective. Analysis of the
World Education Indicators. Paris: UNESCO, OECD.
Vereinte Nationen. 2001. We the Peoples: The Role of
the United Nations in the 21st Century. Report by the
UN Secretary General. New York: United Nations.
Vereinte Nationen. 2001. Beijing to Beijing+5. Review
and Appraisal of the Implementation of the Beijing
Platform for Action. Report of the Secretary General.
New York: United Nations.
UNICEF. 2007. A Human Rights-Based Approach to
Education for All. New York: UNICEF.
UNICEF. 2006. Gender Achievements and Prospects
in Education: The GAP Report (Part I). New York:
UNICEF.
267
268
R E C H T AU F B I L D U N G
UNICEF. 2005. The State of the World’s Children 2006.
Excluded and Invisible. New York: UNICEF.
Human Rights Internet:
http://www.hri.ca
UNICEF. 2004. Accelerating Progress in Girls’ Education. New York: UNICEF.
Human Rights Network:
http://www.derechos.net
UNICEF. 2003. The State of World’s Children 2004.
http://www.unicef.org/sowc04/index.html
Human Rights Watch:
http://www.hrw.org
Verheyde, Mieke. 2005. A Commentary on the United
Nations Convention on the Rights of the Child: Art. 28
The Right to Education. Leiden: Martinus Nijhoff Publishers.
Office of the High Commissioner for Human Rights:
http://www.ohchr.org
Watkins, Kevin. 1999. Education Now. Break the Cycle
of Poverty. Oxford: OXFAM International.
Right to Education:
http://www.right-to-education.org
The People’s Movement for Human Rights
Education:
http://www.pdhre.org
ZUSÄTZLICHE INFORMATIONEN
Education International:
http://www.ei-ie.org
Electronic Resource Centre for Human
Rights Education:
http://erc.hrea.org
Gateway to e-learning on the Internet:
http://www.developmentgateway.org/e-learning
Human Rights Education Associates:
http://www.hrea.org
The World Bank:
http://www.worldbank.org
UN Children’s Fund:
http://www.unicef.org
UN Educational, Scientific and Cultural Organization:
http://www.unesco.org
United Nations Development Programme:
http://www.undp.org
World Education Forum 2000:
http://www.unesco.org/education/efa/wef_2000/
index.html
R E C H T AU F B I L D U N G
MENSCHENRECHTE
DES KINDES
BEFÄHIGUNG UND SCHUTZ DES KINDES
MITWIRKUNG UND SORGERECHTE
NICHTDISKRIMINIERUNG VON KINDERN
KINDESWOHL
„Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl
des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“
Art. 3 Abs. 1, UNO-Übereinkommen über die Rechte des Kindes. 1989.
269
2 70
MENSCHENRECHTE DES KINDES
GESCHICHTEN ZUR ILLUSTRATION
Kinder in bewaffneten Konflikten
Körperliche Züchtigung von Kindern
Antworten von Kindern auf die Frage „Warum, Ich wurde von der Lord’s Resistance Army
(LRA) entführt, als meine Mutter und ich gedenkst du, werden Kinder geschlagen?“
- „Wenn Kinder frech waren und gestritten rade zum Feld gehen wollten … Ein anderes
haben, werden sie von ihrer Mutter oder ih- entführtes Mädchen versuchte zu entkommen,
aber sie wurde gefangen. Die Rebellen sagten
rem Vater geschlagen.“ (Junge, 6 Jahre)
- „[Kinder werden geschlagen] wenn sie mit uns, sie hätte versucht davonzulaufen und
Anderen kämpfen, wenn sie Steine und müsse nun getötet werden. Sie zwangen die
neuen Kinder dazu, sie umzubringen. Sie sagDinge werfen.“ (Junge, 7 Jahre)
- „Vielleicht malst du auf dem Teppich [oder] ten, sie würden unsere Familien umbringen,
du malst auf der Couch [oder] du räumst wenn wir davonliefen.
dein Zimmer nicht auf – wenn du mit Far- Sie zwangen uns, eine Woche lang zu marbe spielst. Und wenn du das Lieblingsglas schieren ... Manche von den kleineren Kindeiner Mutter umwirfst und es zerbricht.“ dern konnten nicht mehr Schritt halten, weil
wir so lange ohne Pause gehen mussten, also
(Mädchen, 5 Jahre)
- „Also, wenn es Zeit ist dein Zimmer aufzu- wurden sie auch getötet ... Manche Kinder verräumen und du nur eine Stunde Zeit hattest hungerten. Ich fühlte mich wie tot, als ich sah,
und diese ganze Stunde mit dem Lesen ei- wie so viele Kinder starben und getötet wurden.
nes Buches verschwendet hast, könntest du Ich dachte, ich würde auch getötet werden.
geschlagen werden.“ (Junge, 6 Jahre)
- „Weil ihre Eltern ihnen sagen, etwas nicht Quelle: Human Rights Watch. 1997. The
zu tun und sie es tun.“ (Mädchen, 7 Jahre) Scars of Death: Children abducted by the
Lord’s Resistance Army in Uganda. New York:
Quelle: Willow, Carolyne und Tina Hyder. Human Rights Watch.
1998. It hurts you inside – Children talking about
Die dreizehnjährige Sharon wurde von der
Smacking. Auszugsweise verfügbar unter:
Lord’s Resistance Army entführt, einer Rehttp://www.childrenareunbeatable.org.uk
bellengruppe im Norden Ugandas, die gegen
die Regierung kämpft. Auch die lokale BevölDiskussionsfragen
kerung wird terrorisiert, insbesondere durch
1. Warum schlagen Menschen ihre Kinder?
2. Ist es eine erlaubte Form der Disziplinie- die Entführung von Kindern, um diese als
KindersoldatInnen einzusetzen. In mehr als
rung seine Kinder zu schlagen?
3.Was wären Alternativen zu körperlicher 85 Ländern weltweit werden Kinder unter 18
Jahren für die nationalen Armeen oder beZüchtigung?
4.Warum haben nur 16 Staaten weltweit kör- waffnete Oppositionsgruppen rekrutiert; um
perliche Züchtigung in der Familie, in der die 300.000 Kinder nehmen aktiv an bewaffneten Konflikten teil.
Schule und im Strafrecht verboten?
5.Wie würden Sie selbst darauf reagieren?
MENSCHENRECHTE DES KINDES
- Welche Konsequenzen hat die ‚Benützung’
Diskussionsfragen
von Kindern in Kriegen – für das Kind, für
- Was könnten die Gründe dafür sein, dass
die Gesellschaft?
Erwachsene Kinder dazu verwenden, ihre
Kriege zu führen?
- Was sollte unternommen werden, um KindersoldatInnen aus diesem Kreis der Gewalt
zu entfernen?
Was man wissen muss
1. Der Kampf für den Schutz
der Rechte des Kindes
Die Diskussion um die Menschenrechte der
Kinder stellt eine merkwürdige, ambivalente
Erfahrung dar. Auf den ersten Blick würde jeder
sofort zustimmen, dass zu den Kinderrechten
das Recht junger Menschen auf ein Zuhause,
auf ein Leben mit Familie und FreundInnen,
das Recht auf die Möglichkeit, Persönlichkeit
und Talente zu entfalten, der Schutz vor Leid
und das Recht, respektiert und ernst genommen zu werden, gehören. Stellt man erst einmal die Frage, wer für die Realisierung dieser
als durchsetzbare Rechte formulierten Ziele
verantwortlich ist, wird man unweigerlich mit
Auffassungs- und Interpretationsunterschieden konfrontiert.
Dies zeigt zum Beispiel ein Blick auf die
UNO-Kinderrechtskonvention (KRK). Die
von der UNO-Generalversammlung 1985 angenommene Konvention über die Rechte des
Kindes legte den Grundstein für den internationalen Schutz der Menschenrechte des
Kindes. Und sie ist eine Erfolgsgeschichte insofern, als die KRK nun der meistratifizierte
Menschenrechtsvertrag ist – mit 193 Unterzeichnerstaaten inklusive sämtlicher UNO-
Mitgliedsstaaten (mit Ausnahme der USA und
Somalias). Demzufolge setzt die Kinderrechtskonvention universelle Standards auf dem
Gebiet der Menschenrechte der Kinder. Den
positiven Neuigkeiten und Entwicklungen auf
der Ratifizierungsseite steht auf Seiten der
Umsetzung eine eher ernüchternde Realität
gegenüber.
Der UNO/UNICEF-Rückblick auf die Dekade
der Kinderrechte anlässlich der Sondersitzung
der UNO-Generalversammlung 2002 brachte
ans Licht, dass sich etwa die Überlebenschancen der Kinder in Afrika südlich der Sahara
sogar verringert haben. Global betrachtet sind
immer noch 149 Millionen Kinder unterernährt, und 100 Millionen Kinder erhalten keine grundlegende Bildung.
Aus diesen Gründen waren die Erwartungen und Hoffnungen sehr hoch, als im Mai
2002 tausende Regierungsabgeordnete und
RepräsentantInnen von Nichtregierungsorga-
„Ein Baby ist Gottes Meinung,
dass die Welt weiter bestehen soll.“
Carl Sandburg.
2 71
272
MENSCHENRECHTE DES KINDES
nisationen (NGOs) und mehr als 600 junge
Menschen (im Alter von sieben bis 18 Jahren)
in New York im Zuge einer Sondersitzung der
UNO-Generalversammlung über Kinder zusammentrafen. Dennoch konnte der am Ende
der Konferenz angenommene neue Handlungsplan („A World Fit for Children/Eine
für Kinder geeignete Welt“), über den nahezu
zwei Jahre verhandelt worden war, nur mit
teilweisem Erfolg verabschiedet werden. Als
einer der heikelsten Punkte der Debatte stellte sich bemerkenswerterweise der Status der
Kinderrechtskonvention im Abschlussdokument der Versammlung heraus, da sich einige
Staaten (u.a. die USA) generell gegen ein auf
den Rechten des Kindes basierendes Dokument aussprachen.
Die Rechte des Kindes und Mensch­
liche Sicherheit/Sicherheit des Kindes
Das Konzept der Menschlichen Sicherheit
wurde als die Freiheit vor andauernden
Bedrohungen der Rechte und Sicherheit
des Menschen, als Förderung der Freiheit von Not und Angst, wie auch der
gleichen Möglichkeit für alle Menschen,
ihr Potential voll zu entwickeln, beschrieben. Im Wesentlichen konzentriert
es sich auf Situationen, in denen Unsicherheit sowohl durch Gewalt als auch
durch Armut, durch Diskriminierung
und sozialen Ausschluss hervorgerufen
wird. Die Notwendigkeit, Prioritäten zu
setzen und plötzlichen Bedrohungen
der persönlichen Sicherheit sofort entgegenzuwirken, steht in Einklang mit dem
Konzept der Rechte des Kindes, im Speziellen mit dem Prinzip der vorrangigen
Berücksichtigung des Kindeswohls. Dennoch müssen bei der Nutzung des Konzepts der Menschlichen Sicherheit als
politisches Instrument einige Vorbehalte
mitbedacht werden.
Erstens existiert bereits ein gesetzlicher
Rahmen für die Menschenrechte des
Kindes als Teil der generellen Menschenrechtsordnung, welche umfassende
Rechte mit entsprechenden Staatenpflichten vorsieht – während dem Konzept
der Menschlichen Sicherheit eine solche normative Grundlage bis jetzt fehlt.
Zweitens tendieren die Konzepte zur
Menschlichen Sicherheit/Sicherheit des
Kindes manchmal dazu, übermäßig behütend zu sein, und betonen die Verletzlichkeit und Abhängigkeit des Kindes
– während sie die Leistungsfähigkeit und
Möglichkeiten des Kindes vernachlässigen. Aus diesen Gründen liegt die konzeptuelle Herausforderung bezüglich der
Sicherheit des Kindes darin, wie man am
Besten den im Menschrechtsdiskurs zentralen Aspekt der Befähigung des Kindes
(empowerment) mit einfließen lässt.
Daraus folgt, dass die Wechselbeziehung
von Rechten und Sicherheit des Kindes
betont werden sollte, wie beispielsweise
in der gegenwärtigen Diskussion über
die Teilnahme von Kindern an Friedensprozessen und in postkonfliktuellen
Wiederaufbaumaßnahmen.
Das Netzwerk Menschliche Sicherheit widmete der Sicherheit des Kindes von Anfang an
besondere Aufmerksamkeit, besonders in Bezug auf bewaffnete Konflikte, und hier im Besonderen dem Problem von Handfeuerwaffen
und Landminen. Dieses Engagement spiegelt
sich auch in den Prioritäten des österreichischen Vorsitzes des Netzwerkes Menschliche
Sicherheit 2002/03 wider: Kinder in bewaffneten Konflikten und Menschenrechtsbildung.
MENSCHENRECHTE DES KINDES
2. Definition und
Beschreibung des Themas
der Vereinten Nationen begann und im Entwurf
eines neuen, gesetzlich bindenden Dokuments
über die Menschenrechte der Kinder – die Konvention über die Rechte des Kindes – seinen
Natur und Inhalt der Menschenrechte
Ausdruck fand. Der Tag der Verabschiedung
des Kindes
Das Konzept der Kinderrechte entwickelte sich der Konvention, der 20. November 1989, wird
einerseits aus dem breiten Ansatz der Men- seitdem jährlich als der Internationale Tag der
schenrechtsbewegung, leitete sich andererseits Rechte des Kindes gefeiert.
aber auch von anderen Entwicklungen im sozialen, psychologischen und Bildungsbereich Hauptkonzepte der Konvention
der letzten 200 Jahre ab. Das umfasst sowohl über die Rechte des Kindes
die Auswirkungen staatlicher, institutionali- Befähigung des Kindes, Generationensierter und verpflichtender Schulbildung als und Geschlechterperspektiven
auch die negativen Auswirkungen von Indus- Basierend auf dem Respekt vor der Würde altrialisierung (zum Beispiel Kinderausbeutung ler Menschen anerkennt die KRK jedes Kind
in Fabriken oder Minen) und Kriegsfolgen. Ein als TrägerIn ihrer/seiner eigenen Menschenneues Verständnis der Entwicklung des Kindes rechte: Diese Rechte leiten sich weder von den
entstand, ausgehend von neuen Unterrichtsme- Rechten der Eltern oder eines anderen Erwachthoden und Modellen der Kindererziehung bis senen ab, noch sind sie von diesen abhängig.
hin zu „Kinder-Befreiungsbewegungen“ in den Sie sind die Grundlage für die Emanzipation
1970ern. Diese trugen dazu bei, den Blickpunkt und Befähigung des Kindes, welche es ermögvon der Verletzbarkeit und den Schutzbedürf- lichen, das Kind als respektiertes Subjekt und
nissen des Kindes auf einen neuen Diskurs über als Mitglied der Gesellschaft zu sehen und
Autonomie, Kompetenz, Selbstbestimmung und einschränkende und diskriminierende AuffasMitwirkung des Kindes zu verlagern, der tradi- sungen und Erwartungen jungen Menschen
tionell paternalistische Ansichten von Kindern gegenüber anzuzweifeln und zu verändern.
als bloßen Objekten elterlicher/erwachsener Sachlich bleiben Kinder aufgrund der physiKontrolle zurückweist. All diese Entwicklun- schen und emotionalen Entwicklung und des
gen hatten letztendlich starken Einfluss auf Mangels an materiellen Mitteln/Einkommen
den politischen Prozess, der 1979 innerhalb nach wie vor von ihren Eltern abhängig. Die
„Jede Gesellschaft, die Kindern oder jeder anderen Gruppe Rechte
verweigert, die für andere Gruppen Allgemeingut darstellen, sollte
in der Lage sein, klare und nachhaltige Gründe dafür vorzubringen. Die Beweislast liegt immer bei jenen, die andere von der Partizipation ausschließen wollen; Kinder sollten nicht dazu verpflichtet
sein, ihren Besitzanspruch für die gleichen Rechte wie alle anderen
zu argumentieren.“
Bob Franklin. 1995.
273
274
MENSCHENRECHTE DES KINDES
soziale und wirtschaftliche Situation der Eltern
(Arbeitslosigkeit, Trennung) hat direkte Auswirkungen auf den Lebensstandard des Kindes. Allerdings werden sich der rechtliche und
der gesellschaftliche Status der Kinder durch
den Schutz ihrer Menschenrechte insgesamt
verändern. Er ist weder Selbstzweck noch eine
Lösung für alle Probleme, die Kinder betreffen, wohl aber ein notwendiges Instrument für
einen Prozess, der sich diesen Problemen auf
umfassende Weise, basierend auf dem Wohl
des Kindes (und der Gesellschaft), widmet.
Die Menschenrechte von Kindern zu akzeptieren, schafft keine spezifisch „privilegierte“
soziale Gruppe. Im Gegenteil, es ist eine notwendige Voraussetzung, um deren Status in
der Gesellschaft auf eine Ebene zu heben, auf
der sie ihre Interessen gleichberechtigt mit denen der Erwachsenen vertreten können. Erst
dann wird ein Kind in Sorgerechtsfragen vor
Gericht angehört werden, erst dann werden
sich Mädchen sicher genug fühlen, sexuellen
Missbrauch zu melden. Dies zeigt auch den
präventiven bewusstseinsbildenden Aspekt
der Befähigung der Kinder.
Und nur dann werden die Interessen der Kinder als soziale Gruppe ernst genommen werden – eine entscheidende Herausforderung,
wenn man die demographische Situation der
westlichen „alternden Gesellschaft“ betrachtet,
aber auch in der südlichen Hemisphäre, in der
junge Menschen mehr als 50% der gesamten
Bevölkerung ausmachen.
Zusätzlich zu diesem Generationenaspekt
spielt die Genderdimension eine zentrale Rolle
bei der Befähigung der Kinder. Mädchenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, das
Töten von Mädchen im Namen der „familiären Ehre“, Ausschluss vom und Benachteiligung im Bildungswesen und am Arbeitsmarkt,
aber auch herabsetzende Stereotypen in den
Medien und der Unterhaltungsindustrie zeigen
klar ihre doppelte Diskriminierung, sowohl als
Mädchen als auch als Kinder.
„Die Zukunftsaussichten eines
jeden Staates können direkt an
den Zukunftsaussichten ihrer
Jugend gemessen werden.“
John F. Kennedy. 1963.
Eine ganzheitliche
Betrachtung des Kindes
Die KRK ist der erste universelle Menschenrechtsvertrag, der sowohl wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Rechte als auch bürgerliche und politische Rechte in einem einzigen
Dokument kombiniert. Indem sie die Situation
der Kinder anspricht, folgt die KRK einem umfassenden („ganzheitlichen“) Ansatz; sie ist
weitreichender als bisherige Kinderrechtsdeklarationen, welche sich im Wesentlichen auf
die Schutzbedürfnisse des Kindes während
der Entwicklung konzentrierten. Die KRK beinhaltet auch Regelungen, welche die Achtung
der Identität des Kindes und dessen Selbstbestimmung und Mitwirkung garantieren.
Das Verhältnis von Kind, Eltern und Staat
Es ist wichtig zu betonen, dass sich diese zwei
Dimensionen – Schutzrechte und Autonomierechte – nicht ausschließen, sondern vielmehr gegenseitig verstärken. Die Konvention
begünstigt zum Beispiel nicht Autonomierechte gegenüber Schutzrechten, wie manchmal
von KritikerInnen behauptet wurde, welche
die KRK als „familienfeindlich“ bezeichnen
und das Zerbrechen von Familien befürchten,
sobald die Menschenrechte des Kindes gewährleistet sind. Die KRK anerkennt vielmehr
ausdrücklich die „Verantwortlichkeiten, Rechte
und Pflichten“ (beider!) Eltern, für die „angemessene Leitung und Führung“ des Kindes zu
sorgen. Diese elterliche Verantwortung jedoch
ist in dem Sinn „vereinbar mit den sich entwi-
MENSCHENRECHTE DES KINDES
ckelnden Fähigkeiten“ des Kindes als sie nicht che Konsequenzen jeder Maßnahme und ihrer
absolute Macht über das Kind gewährt, son- Alternative in Erwägung zu ziehen, und des
dern konstant dynamisch und relativ bleibt. Weiteren die Überwachung dieser Maßnahme
Darüber hinaus tragen die Eltern dem Staat zu gewährleisten. Darüber hinaus dient das
gegenüber die hauptsächliche Verantwortung Prinzip des „Kindeswohls“ als Leitsatz für
für die Ausbildung des Kindes, sind sie aber jede den KRK-Rechten widersprechende Situnicht fähig oder Willens, ihre Verpflichtungen ation oder für Situationen, auf welche keine
zu erfüllen, so kann der Staat/die Gesellschaft KRK-Bestimmung anwendbar ist.
rechtmäßig intervenieren.
Die Definition des „Kindes“
gemäß der KRK
Nicht-Diskriminierung von Kindern
Die Konvention beinhaltet ein klares Verbot Letztlich bleibt eine Schlüsselfrage bestehen:
der Diskriminierung von Kindern und sieht Wer wird unter der KRK tatsächlich als „Kind“
eine lange Liste mit für Unterscheidungen in- bezeichnet? Die KRK definiert „Kind“ generell
akzeptablen Gründen vor (auch in Bezug auf als jeden Menschen unter 18 Jahren (außer
die Eltern/den Vormund des Kindes): „der die Volljährigkeit wird in dem jeweiligen Land
‚Rasse’, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der schon früher erreicht, Art. 1), und wählt soSprache, der Religion, der politischen und sons- mit einen eher legalistischen Ansatz, indem
tigen Anschauung, der nationalen, ethnischen sie nur Erwachsene von Nicht-Erwachsenen
oder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer trennt. Offensichtlich unterscheiden sich die
Behinderung, der Geburt oder des sonstigen Probleme und Bedürfnisse eines Mädchens im
Status des Kindes“ (Art. 2). Das UNO-Komitee Teenageralter jedoch in vielen Bereichen stark
für Kinderrechte, das die Einhaltung der KRK von jenen eines Neugeborenen. Aufgrund dieüberwacht, hat diese Liste ziemlich breit in- ses sehr facettenreichen, inhomogenen soziterpretiert, so nimmt es unter anderem Bezug alen Konstrukts der „Unter-18-Jährigen“ ist
auf Diskriminierung von Kindern z.B. die mit es bei der Anwendung der KRK notwendig,
HIV/AIDS infiziert sind, Straßenkindern, Kin- sich bei jeder Maßnahme die beabsichtigte
dern in ländlichen Regionen, asylwerbenden Zielgruppe in dem jeweiligen Kontext klar vor
Augen zu halten. Abgesehen davon hat der
Kindern etc.
Kinderrechtsausschuss wiederholt festgestellt,
dass die Konvention den Mitgliedsstaaten
Das Wohl des Kindes
Art. 3 Abs. 1 formuliert das allgemeine Leit- auch den Auftrag erteilt, ihre nationalen Regeprinzip der gesamten Konvention, nämlich lungen zu Altersgrenzen sowohl in Bezug auf
„das Wohl des Kindes“. Diese Bestimmung be- ihre Konsistenz als auch auf ihre kontinuierlischränkt sich nicht nur auf Handlungen, die che Begründung zu überprüfen.
direkt auf Kinder gerichtet sind (z.B. Ausbildung, Sorgerechtsfälle etc.), sondern ist viel- Konventionsrechte:
mehr relevant für alle Handlungen, welche Mitwirkung – Schutz – Vorsorge
direkte oder indirekte Auswirkungen auf das Neben den vorhin beschriebenen leitenden
Kind haben könnten (Beschäftigungspolitik, Prinzipien und Konzepten enthält die KRK
Budgetmaßnahmen etc.). Dies beinhaltet die eine allgemein gebräuchliche Struktur zur BeVerpflichtung aller AkteurInnen (staatlich oder schreibung der Inhalte der Konvention: Mitprivat), zuerst eine Einschätzung der Auswir- wirkung (Partizipation), Schutz und Vorsorge.
kungen auf das Kind durchzuführen, mögli- • Der Aspekt der Mitwirkung wird zuallererst
275
276
MENSCHENRECHTE DES KINDES
durch die ausdrückliche Anerkennung eines
Kinderrechtes auf Mitwirkung, wie in Art.
12 Abs. 1 KRK festgelegt, dargestellt. Das
Schlüsselelement dieser Bestimmung ist die
„gebührende Gewichtung“ der Perspektiven
des Kindes; dafür wird ein gewisses Maß
an Mitwirkung seitens der Kinder benötigt
(mit Unterstützung durch Erwachsene, wo
sie angebracht ist), um ihnen die Einflussnahme auf Entscheidungsfindungsprozesse zu ermöglichen. Weiters übernimmt die
Konvention auch andere grundlegende politische und bürgerliche Rechte, die in diesem
Zusammenhang als Kinderrechte relevant
sind, wie etwa das Recht auf Leben (inklusive eines expliziten Verbotes der Todesstrafe
für jugendliche StraftäterInnen), Schutz vor
Folter und willkürlicher Verhaftung, sowie
das Recht auf ein faires Verfahren. Andere
wesentliche Rechte sind Meinungs-, Religions- und Versammlungsfreiheit sowie Anerkennung der Privatsphäre.
• Den Schutz betreffend beinhalten die Rechte der KRK Schutz vor jeglicher Form physischer oder psychischer Gewalt, Verletzungen
oder Missbrauch sowie Maßnahmen gegen
wirtschaftliche (Kinderarbeit) und sexuelle
Ausbeutung und Kinderhandel.
• Die von der KRK gewährleisteten Vorsorgerechte umfassen beispielsweise das Recht
auf Gesundheit, Bildung, soziale Sicherheit
und einen angemessenen Lebensstandard.
Darüber hinaus entwickelt die KRK auch neue
Standards, indem sie ein Recht des Kindes auf
Schutz der Identität, der Familie, und anderer sozialer Beziehungen (einschließlich Familienwiedervereinigung) gewährleistet. Sie
formuliert auch Regeln für die Adoption von
Kindern, das Recht des Kindes auf Pausen,
Freizeit, Spiel und kulturelle Aktivitäten sowie
eine Staatenverpflichtung, die Erholung und
Rehabilitation für alle Kinder, die Opfer von
Gewalt und Ausbeutung wurden, garantiert.
Zusammenfassung: Warum wird ein
auf Kinderrechten basierender Ansatz
verwendet?
• Kinderrechte sind Menschenrechte
– Achtung der menschlichen Würde
ungeachtet des Alters.
• Kinderrechte verlagern den Blickpunkt der Aufmerksamkeit – hin zum
einzelnen Kind sowie zu Kindern als
Gruppe der Gesellschaft.
• Kinderrechte sind übergreifend und
zusammenhängend – keine Redefreiheit ohne Gewaltverbot, kein Recht
auf Bildung ohne einen angemessenen Lebensstandard.
• Kinderrechte sind gesetzliche Rechte – mit entsprechenden Staatenverpflichtungen für deren Schutz und
Umsetzung.
• Kinderrechte ermächtigen Kinder – sie
erfordern eine neue Kultur der Interaktion mit Kindern, basierend auf deren Anerkennung als Rechtssubjekte
und als TrägerInnen von Rechten.
3.Interkulturelle Perspektiven
und strittige Themen
Der Schutz von Kinderrechten gibt Aufschluss
über den Status des Kindes innerhalb der Gesellschaft, vorherrschende Konzepte der Kindheit, Kindern zugeordnete Vorbilder sowie für
sie relevante Lebensbedingungen und Infrastrukturen. Darüber hinaus sagt er auch eine
Menge über den Status der Familie und den
Status von Frauen in einer Gesellschaft aus.
Ein kontroverses, damit typisches Beispiel
für die widersprüchlichen Ansichten ist die
körperliche Züchtigung von Kindern. Während jedes Strafgesetzbuch der Welt die vorsätzliche Verletzung unter Erwachsenen klar
MENSCHENRECHTE DES KINDES
als kriminellen Akt beschreibt, wird dasselbe von Familien und Frauen, zusammenhängt.
Prinzip nicht auf Kinder angewandt. StattArbeit
dessen finden Diskussionen über die „angemessene“ Anzahl an Peitschenschlägen,
Regelungen über Größe und Material der Rute 4.Durchsetzung und Überwachung
oder das Erfordernis, während der Bestrafung
in der Schule einen Arzt beizuziehen, statt. Symptomatisch für den Bereich der MenschenEs ist bezeichnend, dass zur Zeit weltweit rechte existiert zwischen Prinzipien und Praxis,
nur sechzehn Staaten körperliche Bestrafung Verpflichtung und tatsächlicher Durchsetzung
gänzlich verbieten. Der Kinderrechtsaus- eine Lücke, die nirgends größer ist als im Beschuss setzte in zwei thematischen Diskussi- reich der Kinderrechte. Verschiedenste Gründe
onen 2000 und 2001 einen Schwerpunkt auf mögen für diese Situation verantwortlich sein.
Gewalt gegen Kinder durch den Staat, in der Kinderrechtsthemen hängen oft mit widerFamilie und in der Schule. Seiner Empfehlung sprüchlichen Diskussionen über „Familienwerfolgend wurde eine große UNO-Studie über te“/kulturelle/religiöse Traditionen, Mangel an
Gewalt gegen Kinder im Jahr 2002 durchge- kinderbezogener Infrastruktur oder Mangel an
führt und 2006 veröffentlicht, um die globale Unterstützung für politische Initiativen von
politische Aufmerksamkeit auf diese Kinder- Kindern zusammen. Einen weiteren entscheirechteproblematik zu lenken.
denden Faktor könnte man im schwachen
Überwachungssystem der KinderrechtskonAndere umstrittene Themen betreffen bei- vention sehen. Die Konvention sieht lediglich
spielsweise den Status von Mädchen, wie einen einzigen Mechanismus für die Einhaletwa „Bevorzugung von Söhnen“ innerhalb tung der Überwachung vor: Staatenberichte
der Familie, in der Ausbildung, am Arbeits- an das Aufsichtsorgan, den Kinderrechtsausmarkt, einschränkende Interpretation reli- schuss. Dabei sind Staaten dazu verpflichtet,
giöser Gesetze, traditionelle Praktiken wie dem Ausschuss alle fünf Jahre Berichte über
weibliche Genitalverstümmelung, Zugang den Status der Durchsetzung der Konvention
und ihrer Zusatzprotokolle vorzulegen. Der
zu reproduktiven Gesundheitsdiensten (
Menschenrechte der Frau) oder das Problem Ausschuss überprüft diese Berichte als Teil des
der Kinderarbeit, welches mit verschiede- „konstruktiven Dialoges“ mit der jeweiligen Renen Faktoren und Bedingungen im jeweili- gierung und gibt Empfehlungen dazu ab.
gen Land, einschließlich der wirtschaftlichen Weitere Überwachungsmechanismen, wie sie
Struktur, der Arbeitslosenrate, der Armut, der bei anderen Menschenrechtsverträgen (IndiQualität des Bildungssystems und des Status vidual- oder Staatenbeschwerden oder Ermitt-
„Gibt es eine heiligere Pflicht als die Aufgabe, die Rechte eines Kindes so
umsichtig zu schützen wie die Rechte jeder anderen Person? Kann es eine
größere Herausforderung als die Aufgabe geben, diese Freiheiten für jedes
Kind, in jedem Land, ohne Ausnahmen zu garantieren?“ (Übersetzung)
Kofi Annan, ehemaliger UNO-Generalsekretär.
277
278
MENSCHENRECHTE DES KINDES
„Die Umsetzung der Konvention ist keine Frage von
Entgegenkommen, Fürsorge oder Nächstenliebe, sondern der
Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen.“ (Übersetzung)
Child Rights Caucus, internationale NGO-Plattform,
die das Follow-up zur UNICEF-Sondersitzung zu Kindern 2002 überwacht.
lungsverfahren) üblich sind, kennt die KRK Ausschuss jährlich öffentliche Foren („Days
nicht, obwohl NGOs bereits mit dem Lobbying of General Discussion“/Tage der allgemeifür einen Individualbeschwerdemechanismus nen Diskussion) zu bestimmten Themen (z.B.
begonnen haben, welcher es dem Ausschuss „Das Kind und die Familie“, „Jugendjustiz“,
ermöglichen würde, eigene Präzedenzfälle zu „HIV/AIDS“), um die internationale Aufmerkentwickeln. Dies wäre ein großer Schritt hin samkeit auf diese Bereiche zu lenken.
zu einem sinnvollen Diskurs über Kinderrech- Die wachsende Zahl an Maßstäben, Instrumenten und Institutionen stellt zunehmend
te auf gesetzlicher Grundlage.
Allerdings erwies sich der Ausschuss bei der neue Herausforderungen für die ÜberwaKompensation fehlender Mechanismen als chung dar und bedarf einer engeren Zusamziemlich innovativ. Erstens zeigte er sich sehr menarbeit aller involvierten Akteure.
offen bezüglich der Beteiligung von NGOs, Der der UNO-Sondersitzung über Kinder 2002
indem er diese einlud, ihre eigenen Berich- folgende Prozess setzt Aktivitäten zur Durchte („Schattenberichte“) über die Situation setzung und Überwachung auf nationaler
der Kinderrechte in den Staaten vorzulegen, Ebene. Das Abschlussdokument verlangt von
um ein vollständigeres Bild der betreffenden allen Staaten, nationale Maßnahmenpläne
Themen zu erhalten. Zweitens initiierte der als Basis für kinderbezogene Politiken und
Maßnahmen vorzulegen. Das Abschlussdokument des Gipfels beinhaltet die Verpflichtung
der Staaten, auf Kinder bezogene Unterstüt„Wir verpflichten uns hiermit –
zungs- und Überwachungsorgane wie etwa
aufbauend auf den Errungenschaf- unabhängige Ombudsstellen für Kinder auf
ten der letzten Jahrzehnte und
nationaler Ebene zu errichten und zu stärken.
Ombudsstellen können sowohl Beschwergeleitet von den Prinzipien des
de- und Rekursmechanismen, Beratung für
Vorranges von Kindern – keine
Kinder und Eltern, Information und Lobbying
Anstrengungen zu scheuen, um wei- als auch Überwachungsfunktionen anbieten
und hauptsächlich als institutionalisierte unter eine Welt zu gestalten, die
abhängige Interessensvertretungen für Kinder
für Kinder geeignet ist.“ (Übersetzung)
agieren. Außerdem ist die KinderrechtsanwaltA World Fit for Children. 2002.
schaft immer noch eine großteils von ErwachDeklaration und Aktionsplan, angenommen in der
senen gesteuerte Bewegung. Neue Wege zur
Sondersitzung der UNO-Generalversammlung über
Unterstützung
von Kindern/Jugendlichen geKinder, 10. Mai 2002.
führten Initiativen müssen erforscht werden.
In einigen Ländern wurde zudem damit be-
MENSCHENRECHTE DES KINDES
gonnen, für die Einbeziehung von KRK-Prin- Kinderrechtsausschuss hielt im Jahr 2001 in
zipien in nationale Verfassungen zu werben, seiner ersten Allgemeinen Stellungnahme zu
um damit stärkere nationale Gesetzesstruk- den „Zielen von Bildung“ (Art. 29) Folgendes
turen für Kinder zu gewährleisten. In an- fest: „Bildung, deren Inhalte fest in den Werderen Ländern, wie Frankreich oder Belgien, ten von Art. 29 Abs. 1 verwurzelt sind, ist für
wurden KRK-Regelungen in Rechtsfällen be- jedes Kind ein unentbehrliches Hilfsmittel für
seine Bemühungen, im Laufe seines Lebens
reits direkt angewandt.
Letztendlich sollte jeder Aufwand, der auf die eine ausgewogene und menschenrechtsfreundFörderung der KRK abzielt, auf aktueller und liche Antwort auf die Anforderungen zu erverlässlicher Information, auf Ausbildungs- langen, die mit einer Periode fundamentaler
und Trainingsstrategien, basieren und eine Art Änderungen, getrieben von Globalisierung,
der Kinder- und Menschenrechtsbildung be- neuen Technologien und damit verbundenen
inhalten, welche Kinder und junge Menschen Erscheinungen, einhergehen.“
ebenso wie Erwachsene direkt erreicht. Der
Was man wissen sollte
1. Good Practices
zwischen dem Kind und der Patin/dem Paten
hergestellt, die dem Flüchtling einerseits hilft,
Die folgenden Beispiele von Initiativen und sich in ihrer/seiner Umgebung zu festigen und
Projekten haben erfolgreich die Anwendung die Patin/den Paten andererseits persönlich
der Konvention über die Rechte des Kindes an Erfahrung bereichert. Alle PatInnen sind
sorgfältig ausgewählt und durchlaufen ein
bestärkt.
vorhergehendes Training über rechtliche An„Connecting People (Menschen verbinden)“ – gelegenheiten, psychosoziale Themen, Arbeit
ein PatInnenprojekt für junge Flüchtlinge in mit Behörden etc. Seit dem Start des ProjekÖsterreich, organisiert von der Asylkoordina- tes im Jahr 2000 wurde jedes Jahr eine neue
tion Österreich, mit Unterstützung durch das Gruppe an PatInnen gegründet, und bisher
gab es viele positive Rückmeldungen seitens
Österreichische UNICEF-Komitee.
Die Grundidee dieses Projektes ist es, un- der TeilnehmerInnen, der Öffentlichkeit, der
begleitete minderjährige Flüchtlinge mit in Behörden und der Medien.
Österreich lebenden Erwachsenen zusammenzubringen, die bereit sind, Zeit mit ihnen „Recht hat jede/r – Training zum alltäglizu verbringen und dem Flüchtling praktische chen Umgang miteinander“ – eine Serie von
Unterstützung anzubieten, zum Beispiel bei Workshops, die von WUK KinderKultur (einer
Ausbildung, Sprachkursen, Jobs, Vertretung großflächig angelegten Initiative für kulturelle
vor Behörden, sportlichen Aktivitäten etc. Da- Aktivitäten für Kinder) und dem Zentrum polis
durch wird eine vertrauensvolle Beziehung (Politik Lernen in der Schule – ehemals Servi-
279
280
MENSCHENRECHTE DES KINDES
cestelle Menschenrechtsbildung) am Ludwig
Boltzmann-Institut für Menschenrechte organisiert wird. Diese Serie von Workshops zielt
auf Kinder (von 7 bis 15 Jahren) sowohl in
Schulen als auch in Kinder-/Jugendgruppen
ab und konzentriert sich mit Hilfe von Diskussionen, Rollenspielen und Gruppenaktivitäten auf friedliche Konfliktlösung, Toleranz
und Kommunikation. Jeder Workshop dauert
ungefähr zweieinhalb Stunden und wird von
einem Team bestehend aus zwei ExpertInnen
(ausgebildeten MediatorInnen, UnterhaltungsmotivatorInnen, PsychologInnen, SchauspielerInnen, LehrerInnen etc.) durchgeführt. Seit
2001 wurden Module zu den Themen „Verantwortlichkeit“, „Konfliktlösung“ und „Respekt“
entwickelt und in über 80 Ländern vorgestellt,
wodurch bereits mehr als 2.000 Kinder erreicht werden konnten.
Teilnahme von Kindern und Jugendlichen
an der Sondersitzung der UNO-Generalversammlung zum Thema Kinder, Mai 2002
Der bedeutendste Aspekt dieses zweiten UNOWeltkindergipfels (UN Summit on World’s
Children) in New York war die unmittelbare
Teilnahme von ungefähr 600 Kindern und jungen Menschen (nahezu 10% der gesamt 7.000
Teilnehmer) aus mehr als 150 Ländern. Vom
5.-7. Mai fand ein gesondertes Kinderforum
statt. Dessen Ergebnisse wurde in einer darauf folgenden Sondersitzung (8.-10. Mai) von
Jugend-RepräsentantInnen der UNO-Generalversammlung vorgestellt (Um ihnen das Wort
zu erteilen, bedurfte es einer speziellen Resolution der Generalversammlung!). Trotz der
klaren Abgrenzungen des Einflusses der „Unter-18-Jährigen“ auf politische Verhandlungen
innerhalb des UNO-Rahmens spiegelten diese
Bemühungen (auch „kinderfreundliche Versionen“ der Hauptdokumente beinhaltend) den
Geist des in der KRK beinhalteten Rechts auf
Mitbestimmung wider und setzte Maßstäbe
für zukünftige UNO-Abläufe.
„Schattenberichte“ von NGOs und
„nationale Koalitionen“ zur Umsetzung der
Kinderrechtskonvention auf nationaler Ebene
Von den Mitgliedsstaaten der Konvention über
die Rechte des Kindes wird gefordert, dem Kinderrechtsausschuss regelmäßig Berichte über 2. Trends
die Fortschritte bezüglich der Implementierung der KRK vorzulegen. Um eine umfassen- Die KRK als Rahmenwerk für den Schutz der
de Überprüfung dieser Berichte zu erleichtern, Rechte des Kindes ist kein „statisches“ Dokubefürwortet der Ausschuss „Schattenberich- ment, sondern befindet sich in fortlaufender
te“ von NGOs oder NGO-Netzwerken („nati- Entwicklung. Dieser Prozess wird beispielsonale Koalitionen“) mit deren Einschätzung weise durch den Kinderrechtsausschuss verder Situation der Kinder und Jugendlichen stärkt, indem er die KRK interpretiert oder neue
im jeweiligen Land. In mehr als 90 Ländern Standards, wie die Zusatzprotokolle (2000)
wurden solche nationalen Kinderrechtskoali- zur KRK über die Verwicklung von Kindern
tionen bereits eingesetzt, welche die Imple- in bewaffneten Konflikten, über Kinderhandel,
mentierung der KRK fördern und überwachen. Kinderprostitution und Kinderpornographie
Zusätzlich sorgt auch noch eine internationale festlegt. Beide Zusatzprotokolle traten 2002 in
NGO-Gruppe zur KRK für die Unterstützung Kraft. Einige andere neuere Trends im Bereich
von NGOs und Koalitionen im Berichts- und der Kinderrechte:
• Strukturelle Aspekte: Initiativen und
Überwachungsprozess.
Organisationen, die von Kindern und Jugendlichen geleitet werden, Errichtung von
MENSCHENRECHTE DES KINDES
•
•
•
•
•
•
•
•
•
Ombudsstellen für Kinder und Jugendliche, • Kinder in bewaffneten Konflikten: Wiedereingliederung von KindersoldatInnen;
kindergerechte Infrastruktur, Überwachung
Schulbildung in Notsituationen; Beteiligung
von Kinderrechten.
von Kindern am postkonfliktuellen WiederMitwirkung von Kindern und Jugendliaufbau; Verpflichtungen von nichtstaatlichen: lokal, national, international – zum
chen AkteurInnen/privaten Unternehmen;
Beispiel politische Mitwirkung/Wahlrecht.
die Rolle des UNO-Sicherheitsrates; die RolKinder und die familiäre Umgebung:
le des Internationalen Strafgerichtshofes;
Trennung der Eltern, Patchwork-Familien,
Kinderrechts-Trainings und VerhaltenskoEin-Eltern-Haushalte, Kinder ohne elterlidizes für Friedenssicherungs- und Feldperche Versorgung und andere Szenarien.
sonal.
Rechte des Mädchens: gesellschaftliche
Rollenmodelle; Stereotypen in den Medien;
Fakten und Zahlen – Statistische Inforreligiöser/kultureller Hintergrund; repromation über Kinderrechte
duktive Gesundheit.
• Geburtenregistrierung: Nur 45% alGenerationenaspekte: Nicht-Diskriminieler Kinder werden nach der Geburt
rung von Kindern gegenüber Erwachseoder während ihrer ersten fünf Lenen; Verteilung von Wohlstand, Zugang zu
bensjahre registriert.
Ressourcen; Vertretung der Interessen von
• Kindersterblichkeit unter fünf JahKindern und Jugendlichen; bevölkerungsren: Um die 10,5 Millionen Kinder pro
statistische Verlagerungen.
Jahr sterben pro Jahr – oft an bereits
Recht auf Information: Zugang zum Invermeidbaren Ursachen. Die wichtigsternet/Datenschutz; gewalttätige Inhalte in
ten „Killerkrankheiten“ sind Diarrhöe
Medien, Computerspielen etc.; Kinderpor(Durchfall), akute Atemwegsinfeknographie im Internet.
tionen,
Diphtherie,
Tuberkulose,
Gewalt an Kindern und sexuelle AusKeuchhusten, Masern, Tetanus. 2002
beutung von Kindern: globales Verbot
meldeten nur mehr sieben Länder heikörperlicher Bestrafung; psychosoziale Unmische Fälle von Kinderlähmung.
terstützung und Elterntraining; Gewalt unter Kindern.
• Müttersterblichkeitsrate bei der GeRechte des behinderten Kindes: inklusive
burt: Globaler Durchschnitt: 400 ToSchulbildung und berufliche Ausbildung.
desfälle bei der Geburt pro 100.000
Kinder und Wirtschaft: Etablierung von
Lebendgeburten; Afrika südlich der
Kinderrechtsthemen in Programmen zur
Sahara: 940; Südasien: 560; Mittlerer
Bekämpfung der Armut; Beseitigung der
Osten und Nordafrika: 220; Lateinameschlimmsten Formen der Kinderarbeit; Ausrika/Karibik: 190; Ostasien/Pazifik:
wirkungen der wirtschaftlichen Globalisie140; Zentral- und Osteuropa/GUS/Balrung und Liberalisierung von öffentlichen
tische Staaten: 64; Industrieländer: 13.
Dienstleistungen (Gesundheit, Ausbildung –
• Teenagerschwangerschaften: 14 MilGATS); grundlegende soziale Dienstleistunlionen Kinder jährlich, die von Untergen; Auswirkung der Unterhaltungs- und
19-Jährigen geboren werden; nur 23%
Sportindustrie, der Werbung und der Masder verheirateten oder in Partnerschaft
senmedien auf die Jugendkultur.
lebenden Frauen im Afrika südlich der
Auswirkung von HIV/AIDS: DiskriminieSahara verwenden Verhütungsmittel.
rung, Verlust der Eltern.
2 81
282
MENSCHENRECHTE DES KINDES
• HIV/AIDS: Im Jahr 2003 verloren geschätzte 12,1 Millionen Kinder (0-17
Jahre) im Afrika südlich der Sahara
ihre Mütter oder beide Elternteile aufgrund von AIDS, und 1,9 Millionen
Kinder in dieser Region leben mit HIV
(2,1 Millionen weltweit).
• Ernährung: Geschätzte 150 Millionen
Kinder sind immer noch unterernährt.
• Armut: 3 Milliarden Menschen leben von weniger als U$ 2 pro Tag, 1,2
Milliarden (50% davon sind Kinder!)
leben von weniger als U$ 1 pro Tag,
aber selbst in den reichsten Ländern
der Welt lebt eines von sechs Kindern
unter der nationalen Armutsgrenze.
• Kinderarbeit: Ungefähr 246 Millionen
Kinder im Alter zwischen 5 und 14
Jahren arbeiten; in Entwicklungsländern arbeiten geschätzte 70% oder 171
Millionen in gefährlichen Situationen
(z.B. in Minen, mit Chemikalien und
Pestiziden im Landwirtschaftsbereich
oder mit gefährlichen Maschinen).
• Straßenkinder: Geschätzte 100 Millionen Kinder (ab 4 Jahren) leben und
arbeiten auf der Straße.
• Bildung: Grundschuleinschreibungen:
82% weltweit, aber 100 Millionen
Kinder erhalten keine abschließende
Schulbildung, 53% davon sind Mädchen.
• Soziale Dienstleistungen und politische Prioritäten: Im Durchschnitt geben Entwicklungsländer mehr für die
Verteidigung als für Grundausbildung
oder elementare Gesundheitsversorgung aus.
• Bewaffnete Konflikte: 90er-Jahre: 2
Millionen Kinder starben in bewaffneten Konflikten, 6 Millionen wurden
verletzt oder trugen Behinderungen
•
•
•
•
•
•
•
davon; 300.000 Kinder waren direkt
als KindersoldatInnen in Konflikte involviert.
Kinderflüchtlinge und vertriebene
Kinder: Es gibt weltweit 11 Millionen
Kinderflüchtlinge.
Köperbehinderungen: Geschätzte 120
bis 150 Millionen Kinder leben mit
Behinderungen.
Gewalt: Jährlich werden 275 Millionen Kinder unter 15 Jahren Opfer
von familiären Misshandlungen oder
Vernachlässigung in einem Ausmaß,
welches medizinische Versorgung notwendig macht; 2 Millionen Mädchen
sind jährlich der Gefahr der Genitalverstümmelung (FGM) ausgesetzt.
Kinderhandel: In Afrika und Südostasien sind jährlich 400.000 Buben
und Mädchen davon betroffen; weltweit werden jährlich bis zu 2 Millionen Kinder und Frauen verschleppt.
Selbstmorde: Ungefähr 4 Millionen
Jugendliche pro Jahr begehen weltweit Selbstmordversuche, von denen
mindestens 100.000 tödlich enden.
Ombudsstellen für Kinder: Bis jetzt
in mindestens 40 Ländern eingeführt.
Nationale Aktionspläne: Im Anschluss an den Weltkindergipfel 1990
entwarfen etwa 155 Länder nationale
Aktionspläne.
Quellen: UNICEF. 2003. The United Nations Special Session on Children. A First
Anniversary Report on Follow-up. Online unter: http://www.unicef.org/specialsession; UNICEF. 2007. The State of
the World’s Children 2007. http://www.
unicef.org/sowc07
MENSCHENRECHTE DES KINDES
3. Zeittafel
1923/24 Erklärung über die Rechte
des
Kindes
(Eglantyne
Jebb/Völkerbund)
1959 UNO-Deklaration über die Rechte
des Kindes
1989 UNO-Konvention über die Rechte des Kindes (verabschiedet: 20.
November 1989; in Kraft getreten:
2. September 1990)
1990 Der
UNO-Menschenrechtsausschuss ernennt einen Sonderberichterstatter für Kinderhandel,
Kinderprostitution und Kinderpornographie
1990 Weltgipfel für Kinder in New York
(29.-30. September); Annahme
einer Weltdeklaration und eines
Aktionsplanes für das Überleben,
den Schutz und die Entwicklung
von Kindern
1990 Afrikanische Charta über die
Rechte und das Wohl des Kindes
verabschiedet (in Kraft getreten:
29. November 1999)
1996 Graça Machel legt ihre bahnbrechende Studie „Impact of Armed
Conflict on Children“ (Auswirkungen von bewaffneten Konflikten
auf Kinder) der UNO-Generalversammlung vor
1998 Sechs internationale NGOs bilden
die Koalition zum Stopp des Einsatzes von KindersoldatInnen, um
für ein Verbot des Einsatzes von
Kindern im Krieg und in bewaffneten Konflikten zu werben
1999 Das Netzwerk für Menschliche Sicherheit entsteht aus einer Gruppe gleichgesinnter Länder, welche
die Situation von Kindern in be-
waffneten Konflikten als ersten
Schwerpunkt nennt
1999 Übereinkommen über das Verbot
und unverzügliche Maßnahmen
zur Beseitigung der schlimmsten
Formen von Kinderarbeit, IAOKonvention 182 (in Kraft getreten:
19. November 2000)
2000 Verabschiedung von zwei Fakultativprotokollen zur KRK: über die
Involvierung von Kindern in bewaffneten Konflikten (in Kraft getreten: 12. Februar 2002) und über
Kinderhandel, Kinderprostitution
und Kinderpornographie (in Kraft
getreten: 18. Jänner 2002)
2002 Der
UNO-Menschenrechtsausschuss gibt eine große Studie über
Gewalt an Kindern in Auftrag
2002 Kinderforum (5.-7. Mai) und
UNO-Sondersitzung über Kinderrechte der Generalversammlung
in New York (8.-10. Mai); Deklaration und Aktionsplan („A World
Fit for Children“)
2002 Das Human Security Network verabschiedet eine „Support Strategy
for Children affected by Armed
Conflict“ und ein „Child Rights
Training Curriculum“
2005 Der UNO-Sicherheitsrat beschließt
Resolution 1612, die einen Monitoring- und Berichtsmechanismus
für Kinder in bewaffneten Konflikten vorsieht
283
284
MENSCHENRECHTE DES KINDES
Ausgewählte Übungen
Übung I. Runder Tisch über Aktionen
zur Reduktion von Kinderarbeit
Teil I: Einleitung
Die folgende Übung soll einen Überblick darüber verschaffen, welche Motivationen es im
Bereich der Kinderarbeit gibt. Konsequenzen
möglicher Strategien werden aufgezeigt und
Alternativen entwickelt.
„Die Menschheit schuldet
dem Kind das Beste,
was sie zu geben hat.“
UNO-Deklaration über
die Rechte des Kindes. 1959.
ren; TeilnehmerInnen (es müssen nicht alle
involviert sein) repräsentieren die verschieTeil II: Allgemeine Information
denen AkteurInnen (Vertretung durch Teams
Art der Übung: Rollenspiel
Ziele: Verständnis für die verschiedenen Moti- möglich), hauptsächlich arbeitende Kinder,
vationen im Bereich der Kinderarbeit zu erhö- Schulkinder, Eltern, LehrerInnen, ArbeitnehGewerkschaften,
hen und Konsequenzen für die Entwicklung merInnenorganisationen,
von Strategien und möglichen Alternativen zu RegierungsvertreterInnen, KinderrechtsschützerInnen (NGOs oder UNICEF/IAO). Das Ziel
diskutieren.
der Diskussion sollte eine grundlegende StraZielgruppe: Jugendliche, Erwachsene
tegie für den Follow-up-Prozess sein (alternaGruppengröße: 15-20 TeilnehmerInnen
Zeit: 1-2 Stunden (hängt vom Rahmen des tiv: die Ausarbeitung eines Aktionsplanes).
Ausführung des Rollenspiels: Wählen Sie die
Aktionsplanes ab)
Vorbereitung: Den Raum/die Klasse vorbe- TeilnehmerInnen des runden Tisches aus, gereiten, Tischkarten, Zeitungsartikel als Hin- ben Sie ihnen 20 Minuten Zeit, um ihre Potergrundinformation für die verschiedenen sition bzw. Strategie für die Diskussion zu
Rollen und Positionen, UNICEF/IAO/NGO- entwickeln (alternativ: geben Sie ihnen vorbereitetes Lesematerial); UNICEF/IAO- oder
Berichte über Kinderarbeit etc.
Materialien: Papier, Flipchart etc. zur Doku- NGO-VertreterInnen können als Vorsitzende/r
des Treffens agieren und die TeilnehmerInnen
mentation
Fertigkeiten: Kommunikation und analytische und deren Funktionen vorstellen. Die Diskussion könnte mit einer kurzen Einführung über
Fähigkeiten
die aktuelle Situation der Kinder beginnen,
z.B.: „Kinder arbeiten in Bekleidungsfirmen“
Teil III: Spezifische Information
Einführung in das Thema: Geben Sie be- oder „Besorgte Eltern beschweren sich über
kannt, dass das Problem der Kinderarbeit im die Behandlung ihrer Kinder“. Die TeilnehLand X verstärkt durch Kritik von lokalen Kin- merInnen sollten ihre grundlegende Position
derrechtsorganisationen und ebenso auf inter- in einer gelenkten Diskussion präsentieren.
nationaler Ebene durch die IAO aufgegriffen Als Resultat sollte ein Strategieplan ausgearwird. Die Regierung hat die Schaffung eines beitet oder Aktionspläne in separaten Studirunden Tisches erwogen, um verschiedene engruppen entworfen werden.
Maßnahmen gegen Kinderarbeit zu diskutie- Feedback/methodische Hinweise: Fragen Sie
MENSCHENRECHTE DES KINDES
die TeilnehmerInnen nach ihren Gefühlen, vernachlässigten und misshandelten Kindern,
Gedanken und Reaktionen während des Spie- Bilder von überforderten Eltern, Bilder von
les; reflektieren Sie insbesondere die Rolle der unzureichenden Spielmöglichkeiten, beengten
Platzverhältnissen in Wohnungen, schlechter
„Kinder“ in der Diskussion.
Essensqualität, mangelhafter Hygiene etc.
Fertigkeiten: empathische und analytische
Teil IV: Follow-up
Verwandte Rechte und Themen: Art. 3 (Wohl Fähigkeiten
des Kindes), Art. 6 (Recht auf Leben), Art. 32
(Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung), Art. Teil III: Spezifische Information
24 (Gesundheitsvorsorge), Art. 26-27 (Sozia- Beschreibung der Übung/Anleitung: Die/der
le Sicherheit, angemessene Lebensbedingun- GruppenleiterIn breitet die Bilder auf dem
gen), Art. 28-29 (Bildung), Art. 31 (Freizeit) Boden aus, so dass alle TeilnehmerInnen sie
der Kinderrechtskonvention, IAO-Überein- gut sehen können. Nun wählt jede/r eine Abkommen über das Verbot und unverzügliche bildung aus und überlegt im Stillen für sich,
Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten welche Gedanken und Gefühle die Personen
Formen von Kinderarbeit 1999. Diskutieren auf dem Bild wohl haben mögen. Was geht in
Sie die Arbeit der IAO (IPEC-Initiative). Halten ihnen vor, was bewegt sie, welchen biographiSie Ausschau nach Kindern in ihrer lokalen schen Hintergrund haben sie? Anschließend
Gemeinschaft, die neben oder statt der Schule stellt jede/r TeilnehmerIn ihr/sein ausgewähltes Bild und die Überlegungen hierzu der
arbeiten.
Gruppe vor.
Die/der GruppenleiterIn zitiert nun einige relevante Artikel aus der Kinderrechtskonvention,
Übung II. Vernachlässigung und
die sich auf den Schutz des Kindes vor MissMisshandlung von Kindern
handlung und Vernachlässigung beziehen.
Ausgehend von den am Boden verteilten BilTeil I: Einleitung
Vernachlässigung und Misshandlung von Kin- dern und ihren eigenen Erfahrungen und Bedern hat viele Gesichter. Die folgende Übung obachtungen diskutieren die TeilnehmerInnen
soll den TeilnehmerInnen dabei helfen, sich über folgende Fragen: Wo beginnt Vernachläseinen Überblick darüber zu verschaffen, wo sigung und Misshandlung von Kindern? Wie
viel Verantwortung tragen die Eltern/ErzieVernachlässigung beginnt.
hungsberechtigten, wie viel Verantwortung
trägt der Staat, wenn es zu Vernachlässigung
Teil II: Allgemeine Information
oder Misshandlung von Kindern kommt? Wie
Art der Übung: „Gedankenlesen“
Ziele: Sensibilisierung hinsichtlich Vernach- sähe eine komplett gewaltfreie Umgebung
lässigung und Misshandlung von Kindern, Be- und Erziehung aus, in der Kinder ohne Verwusstwerden von Erziehungsschwierigkeiten, nachlässigung und Misshandlung aufwachsen
Unterscheidungsfähigkeit zwischen Verant- könnten?
wortlichkeit der Eltern und Verantwortlichkeit Praktische Hinweise: Die Vernachlässigung
und Misshandlung von Kindern kann bei eides Staates
nem Teil der TeilnehmerInnen große emotiZielgruppe: Erwachsene, Jugendliche
onale Reaktionen hervorrufen. Daher ist bei
Gruppengröße: 10–20
der Auswahl der Bilder Vorsicht geboten. Die/
Zeit: 1-2 Stunden
Vorbereitung: Bilder/Fotos heraussuchen von der GruppenleiterIn sollte darauf achten, dass
285
286
MENSCHENRECHTE DES KINDES
nicht nur Kinder gezeigt werden, die heftigste Möglicherweise hat auch ein Teil der TeilnehGewalt erfahren haben, sondern auch solche merInnen in ihrer eigenen Kindheit selbst GeBilder ausgewählt werden, auf denen die Ver- walt oder Vernachlässigung erfahren müssen.
nachlässigung nicht unmittelbar offensichtlich Daher eignet sich diese Übung nur für Grupist und sich erst bei genauerer Betrachtung der pen, die bereits eine gewisses Vertrauensverhältnis zueinander aufgebaut haben.
Szenen erschließt.
Bibliographie
Alston, Philip (Hg.). 1994. The Best Interests of the
Child: Reconciling Culture and Human Rights. Oxford:
Clarendon Press.
Deutsches Institut für Menschenrechte (Hg.). Die ‚General Comments’ zu den VN-Menschenrechtsverträgen.
Baden-Baden: Nomos, 525-625.
Annan, Kofi und UNICEF. 2001. We the Children. Report for the General Assembly Special Session on Children. New York: UNICEF.
Detrick, Sharon (Hg.). 1992. The United Nations
Convention on the Rights of the Child: A Guide to the
„Travaux Préparatoires“. Dordrecht/Boston/London:
Martinus Nijhoff Publishers.
Asquith, Stewart und Malcolm Hill (Hg.). 1994.
Justice for Children. Dordrecht/Boston/London: Martinus Nijhoff Publishers.
Brett, Rachel und Margaret McCallin. 2001. Kinder –
die unsichtbaren Soldaten. Norderstedt: BoD GmbH.
Bruderlein, Claude und Theresa Stichick. 2001.
Children Facing Insecurity: New Strategies for Survival in
a Global Era. http://www.humansecuritynetwork.org
Detrick, Sharon. 1999. A Commentary on the United
Nations Convention on the Rights of the Child. Den
Haag: Kluwer Academic Publishers.
Dorsch, Gabriele. 1994. Die Konvention der Vereinten
Nationen über die Rechte der Kindes [The UN Convention on the Rights of the Child]. Berlin: Duncker &
Humblot.
Carle, Ursula und Astrid Kaiser (Hg.). 1998. Rechte
der Kinder. Hohengeren: Schneider Verlag.
Engelmann, Reiner und Urs M. Fiechtner. 2006.
Kinder ohne Kindheit. Ein Lesebuch über Kinderrechte.
Oberentfelden: Sauerländer.
Coalition to Stop the Use of Child Soldiers. 2001. Global Report. London: Coalition Publications.
Fesenfeld, Birgit. 2004. Kinderrechte sind (k)ein Thema. Weinheim: Beltz.
Council of Europe. 2006. Violence Reduction in School
– How to Make a Difference. A Handbook. Straßburg:
Council of Europe Publishing.
Fountain, Susan. 1996. Wir haben Rechte ... und nehmen sie auch wahr! Kinderrechte- Eine Aktivmappe für
Jugendliche ab 10 Jahre. Mühlheim an der Ruhr: Verlag
an der Ruhr.
Council of Europe und European Youth Centre. 1995.
All Different - All Equal (Education Pack). Strasbourg:
Council of Europe. http://www.coe.int/T/E/human_
rights/Ecri/3-Educational_resources
Cremer, Hendrik. 2005. Die Allgemeinen Bemerkungen des Ausschusses über die Rechte des Kindes. In:
Franklin, Bob (Hg.). 2001. The New Handbook of
Children’s Rights: Comparative Policy and Practice. 2.
Auflage. London/New York: Routledge.
Freeman, Michael. 1997. The Moral Status of Children: Essays on the Rights of the Child. Dordrecht/Boston/London: Martinus Nijhoff Publishers.
MENSCHENRECHTE DES KINDES
Freeman, Michael (Hg.). 1996. Children’s Rights: A
Comparative Perspective. Dartmouth: Aldershot.
Freeman, Michael und Philip Veerman. (Hg.). 1992.
The Ideologies of Children‘s Rights. Dordrecht/Boston/
London: Martinus Nijhoff Publishers.
Goodwin-Gill, Guy und Ilene Cohn. 1994. Child Soldiers. Oxford: Oxford University Press.
Güthoff, Friedhelm und Heinz Sünker (Hg.). 2001.
Handbuch Kinderrechte. Münster: Votum.
Hammarberg, Thomas. 1996. Making Reality of the
Rights of the Child. Stockholm: Save the Children Sweden.
Hammarberg, Thomas. 1995. The Rights of Disabled
Children: The UN Convention on the Rights of the Child.
In: Degener, Theresia und Yolan Koster-Dreese (Hg.).
Human Rights and Disabled Persons: Essays and Relevant Human Rights Instruments. Dordrecht/Boston/
London: Martinus Nijhoff Publishers.
Hart, Stuart (Hg.). 2005. Eliminating Corporal Punishment. The Way Forward to Constructive Child Discipline. Paris: UNESCO.
Hayward, Ruth Finney. 2000. Breaking the Earthenware Jar: Lessons from South Asia to End Violence
against Women and Girls. Kathmandu: UNICEF Regional Office for Southeast Asia.
Himes, James R. 1995. Implementing the Convention on the Rights of the Child: Resource Mobilization
in Low-Income Countries. Dordrecht/Boston/London:
Martinus Nijhoff Publishers.
Hodgkin, Rachel und Peter Newell. 2002. Implementation Handbook for the Convention on the Rights of
the Child. Genf/New York: UNICEF.
Human Security Network und United Nations Special Representative of the Secretary-General for
Children and Armed Conflict (Hg.). 2003. Children
and Armed Conflict. International Standards for Action. New York: Human Security Network and United
Nations Special Representative of the Secretary-General for Children and Armed Conflict.
International Labour Organization (Hg.). 2006. The
End of Child Labour: Within Reach. Genf: IAO.
Interparliamentary Union und UNICEF (Hg.). 2005.
Combating Child Trafficking. Paris: Interparliamentary
Union und UNICEF.
Jensen, An-Magritt und Angelo Saporiti. 1992. Do
Children Count? Childhood as a Social Phenomenon A Statistical Compendium (EUROSOCIAL Reports No.
36). Wien: European Centre for Social Welfare Policy
and Research.
Kavemann, Barbara und Ulrike Kreyssig (Hg.). 2006.
Handbuch Kinder und häusliche Gewalt. Wiesbaden:
VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Kuper, Jenny. 1997. International Law Concerning
Child Civilians in Armed Conflict. Oxford: Clarendon
Press.
Liebel, Manfred. 2007. Wozu Kinderrechte. Grundlagen und Perspektiven. Weinheim: Juventa.
Machel, Graça. 2001. The Impact of War on Children.
London: C. Hurst & Co.
Machel, Graça (Hg.). 1997. Kinder im Krieg. Frankfurt: Fischer.
Portmann, Rosemarie. 2001. Kinder haben ihre Rechte.
Denkanstöße, Übungen und Spielideen zu den Kinderrechten. München: Don Bosco Verlag.
Save the Children Alliance (Hg.). 1997. CRC Training
Kit. London: Save the Children Alliance.
Sax, Helmut und Christian Hainzl. 1999. Die verfassungsrechtliche Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Österreich [The Constitutional Implementation
of the CRC in Austria]. Wien: Verlag Österreich.
Schmidt-Belhau, Beate. 1998. Kinderrechte in Europa.
Bonn: AGJ.
Sen, Amartya. 2002. Basic Education and Human
Security. Statement at the Commission on Human
Security’s Kolkata Workshop. http://www.humansecurity-chs.org
Servicestelle Menschenrechtsbildung (Hg.). 2003.
Kind - mit Recht. Wien: Servicestelle Menschenrechtsbildung.
UNESCO (Hg.). 2006. Strong Foundations. Early Childhood Care and Education. Paris: UNESCO.
287
288
MENSCHENRECHTE DES KINDES
UNICEF (Hg.). 2001. Kinder haben Rechte! Die UNKonvention über die Rechte des Kindes. Eine Einführung, UNICEF Dokumentation Nr. 11, 2001. http://
www.unicef.de/download/D0011.pdf
UNICEF (Hg.). 2002. Children Affected by Armed Conflict: UNICEF Actions. New York: UNICEF.
UNICEF (Hg.). 2004. Core Commitments for Children
in Emergencies. New York: UNICEF.
UNICEF (Hg.). 2004. Progress for Children. New York:
UNICEF.
UNICEF (Hg.). 2005. The State of the World‘s Children
2006. Excluded and Invisible. New York: UNICEF.
UNICEF (Hg.). 2006. The State of the World’s Children
2007. Women and Children: The Double Dividend of
Gender Equality. New York: UNICEF.
UNICEF (Hg.). 2007. The State of the World’s Children
2008. Child Survical. New York: UNICEF.
Van Bueren, Geraldine (Hg.). 1993. International Documents on Children. Dordrecht/Boston/London: Martinus Nijhoff Publishers.
Van Bueren, Geraldine. 1995. The International Law
on the Rights of the Child. Dordrecht/Boston/London:
Martinus Nijhoff Publishers.
Vereinte Nationen (Hg.). 2000. The Universal Declaration of Human Rights - An Adaptation for Children.
New York: Vereinte Nationen.
Vereinte Nationen. 2005. World Youth Report 2005.
Young People Today, and in 2015. New York: Vereinte
Nationen.
ZUSÄTZLICHE INFORMATIONEN
African Network for the Prevention and Protection Against Child Abuse and Neglect (ANPPCAN):
http://www.anppcan.org
Asylkoordination Austria und Partnerschaftsprojekt
Connecting People:
http://www.asyl.at
Casa Alianza (Guatemala):
http://www.casa-alianza.org
Centre for Europe‘s Children:
http://eurochild.gla.ac.uk
Child-hood.com (Internetplattform gegen
Sextourismus):
http://www.child-hood.com
Children’s House:
http://www.child-abuse.com/childhouse
Child Rights Information Network (CRIN):
http://www.crin.org
Child Soldiers Coalition:
http://www.child-soldiers.org
Childwatch International Research Network:
http://www.childwatch.uio.no
Defence for Children:
http://www.defence-for-children.org
End Child Prostitution, Pornography and Trafficking
(ECPAT):
http://www.ecpat.net
Verhellen, Eugeen (Hg.). 1996. Understanding
Children’s Rights. Gent: Children’s Rights Centre.
European Centre for Social Welfare Policy and Research/Childhood and Youth Programme:
http://www.euro.centre.org/ec_pa5.htm
Woll, Lisa. 2000. International Convention on the
Rights of the Child Impact Study. Stockholm: Save the
Children Sweden.
European Children’s Network (EURONET):
http://europeanchildrensnetwork.gla.ac.uk
European Network of Ombudsmen for Children
(ENOC):
http://www.ombudsnet.org
Focal Point against Sexual Exploitation of Children:
http://www.focalpointngo.org
MENSCHENRECHTE DES KINDES
Global Initiative to End All Corporal Punishment of
Children:
http://www.endcorporalpunishment.org
Global March Against Child Labour:
http://www.globalmarch.org
Human Rights Watch Children’s Rights Division:
http://www.hrw.org/children
International Programme on the Elimination of
Child Labour (IPEC):
http://www.ilo.org/ipec/index.htm
Kinder haben Rechte:
http://www.kinderrechte.de
Kinderrechtskonvention:
http://www2.ohchr.org/english/law/crc.htm
Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte:
http://www.humanrights.at
Terre des Hommes:
http://www.terredeshommes.org
UN Committee on the Rights of the Child:
http://www.ohchr.org/english/bodies/crc/index.htm
UNICEF. Homepage Österreich:
http://www.unicef.or.at/kinderrechte
UNICEF Innocenti Research Centre:
http://www.unicef-icdc.org
UNICEF Statistical Database:
http://www.childinfo.org
Working Group on Girls:
http://www.girlsrights.org
World Congress against Commercial Sexual
Exploitation of Children:
http://www.csecworldcongress.org
National Coalition to Abolish the Death Penalty (US):
http://www.ncadp.org
World Organisation against Torture (OMCT)
Children’s Rights Programme:
http://www.omct.org
Neuigkeiten im Bereich Kinderrechte:
http://www.kinderhabenrechte.at
World Vision International:
http://www.wvi.org
NGO Group for the CRC:
http://www.crin.org/NGOGroupforCRC
World Vision Österreich:
http://www.worldvision.at
NGO Watchlist on Children and Armed Conflict:
http://www.watchlist.org
WUK-Werkstätten- und Kulturhaus Wien:
http://www.wuk.at
Separated Children in Europe Programme:
http://www.sce.gla.ac.uk
Zentrum polis (Politik Lernen in der Schule):
http://www.politik-lernen.at
SOS Kinderdörfer International:
http://www.sos-childrensvillages.org
Special Representative for the UN Secretary-General
on the impact of armed conflict on children:
http://www.un.org/children/conflict/english/home6.
html
289
290
N otizen
MENSCHENRECHTE DES KINDES
MENSCHENRECHTE
IN BEWAFFNETEN
KONFLIKTEN
HUMANITÄRES VÖLKERRECHT:
AUCH KRIEGE HABEN GRENZEN
„(1) ... Zu diesem Zweck sind und bleiben ... jederzeit und überall verboten Angriffe auf das Leben und die Person, namentlich Tötung, jede Art
von Verstümmelung, grausame Behandlung und Folterung;
• das Festnehmen von Geiseln;
• Beeinträchtigung der persönlichen Würde, namentlich erniedrigende und entwürdigende Behandlung;
• Verurteilungen und Hinrichtungen ohne vorhergehendes Urteil eines
ordentlich bestellten Gerichtes, das die von den zivilisierten Völkern als unerlässlich anerkannten Rechtsgarantien bietet.
(2) Die Verwundeten und Kranken werden geborgen und gepflegt …“
Gemeinsamer Art. 3 (1) und (2) der vier Genfer Konventionen. 1949.
2 91
292
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
GESCHICHTE ZUR ILLUSTRATION
Ich war 19, als ich nach Vietnam ging. Ich war Diskussionsfragen
Schütze. Ich bin zum Töten ausgebildet wor- 1. Warum schoss der Soldat, obwohl er wusste, dass Frauen und Kinder keine legitimen
den, aber jemanden wirklich zu töten, ist völZiele sind?
lig anders als die Betätigung des Abzugs beim
2. Warum zählen Frauen und Kinder zum
Training.
geschützten Personenkreis in bewaffneten
Konflikten?
Ich wusste nicht, dass ich genau das machen
würde. Ich wusste, dass Frauen und Kinder 3. Welche Bedeutung hat Gehorsam in Kriegen? Sollten SoldatInnen Befehlen immer
da waren, aber dass ich sie umbringen würde,
gehorchen?
das war mir nicht klar, bis ich es tat. Ich wusste nicht, dass ich jemanden umbringen würde. 4. Wer bestimmt, welches Verhalten in bewaffneten Konflikten rechtmäßig ist und
Ich wollte niemanden umbringen. Ich wurde
welches nicht?
nicht zum Töten erzogen.
5. Wie wichtig ist es, dass SoldatInnen lernen, was nicht rechtmäßig ist? Was ist der
Sie rannte, eine Baumreihe im Rücken, und sie
Zweck solcher Regeln?
trug etwas. Ich wusste nicht, ob es eine Waffe
war oder nicht. Ich wusste nur, dass es eine
Frau war, und ich wollte keine Frau erschießen,
„In Anbetracht ... dass der einzige rechtaber ich bekam den Befehl zu schießen. So
mäßige Zweck, den die Staaten während
dachte ich, dass sie eine Waffe hatte und dades Krieges sich vorzusetzen haben, die
mit rannte, und ich schoss. Als ich sie umdrehSchwächung der Militärkräfte des Feinte, sah ich, dass es ein Baby war. Ich habe sie
des ist;
viermal getroffen und die Kugeln waren durch
dass es zu diesem Zweck genügt, mögihren Körper durchgegangen; so hatte ich das
lichst viel Mannschaften kampfunfähig
Baby auch erschossen. Und ich drehte sie um
zu machen;
und sah, dass das halbe Gesicht des Babys
dass dieser Zweck durch den Gebrauch
nicht mehr da war. Ich blendete das Gesehene
von Waffen überschritten würde, welaus. Mein Training kam mir in den Sinn, das
che unnötigerweise die Leiden der außer
Programm zu töten, und ich begann zu töten.
Kampf Gesetzten erhöhen oder ihren Tod
unvermeidlich machen würden.“ (ÜberQuelle: adaptiert aus David Donovan. 2001.
setzung)
Once a Warrior King: Memories of an Officer
in Viet Nam. Zitiert in: IKRK. 2008. ExploPräambel zur Erklärung von St. Petersring humanitarian law: education modules for
burg betreffend die Nichtanwendung
young people. Genf: IKRK.
der Sprenggeschosse im Kriege. 1868.
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
Was man wissen muss
1. Geschichtliche Entwicklung
Nur wenige Situationen gefährden die Menschliche Sicherheit dramatischer als Kriege. In der
Extremsituation eines bewaffneten Konfliktes
müssen Regierungen schwierige Entscheidungen zwischen dem Wohl der Gesellschaft
und der Einzelpersonen treffen. Obwohl die
Geltung der Menschenrechte an keine zeitlichen Grenzen stößt, bildet der Ausbruch von
systematischer und organisierter Gewalt, ein
Merkmal eines bewaffneten Konfliktes, einen
Angriff auf die den Menschenrechten zugrunde liegenden Prinzipien. Deshalb brauchen
bewaffnete Konflikte eigene, verbindliche Regeln, die auf dem Prinzip fußen, dass auch
Kriege Grenzen haben. Diese Regeln nennt
man „humanitäres Völkerrecht“ oder das
Recht der bewaffneten Konflikte. Humanitäres
Völkerrecht kann als Menge jener Prinzipien
und Regeln zusammengefasst werden, die
den Gebrauch von Gewalt während bewaffneter Konflikte limitieren, um:
• die nicht direkt an den Kampfhandlungen
Beteiligten („ZivilistInnen“) zu schonen;
• die Auswirkungen der Gewalt (auch für
SoldatInnen) auf ein für den Kriegszweck
notwendiges Minimum zu begrenzen.
Humanitäres Völkerrecht und
Menschliche Sicherheit
Viele bezweifeln und manche leugnen,
dass Gesetze das Verhalten in der außergewöhnlichen, anarchischen und gewalttätigen Wirklichkeit von bewaffneten
Konflikten regeln können. Wie kann man
auch erwarten, dass, wenn das Überle-
ben eines Einzelnen oder der Gesellschaft
betroffen ist, gesetzliche Erwägungen
das menschliche Verhalten einschränken können? Obwohl es auf den ersten
Blick überraschend sein mag, gibt es viele Gründe sowohl für Angreifer als auch
für Verteidiger, den durch humanitäres
Völkerrecht etablierten Verhaltenskodex
zu achten. Wenn auch der Ausbruch von
Konflikten die Idee der Sicherheit untergräbt, so ist es trotzdem wichtig zu verstehen, dass humanitäres Völkerrecht zur
Menschlichen Sicherheit durch die Setzung von Grenzen für bewaffnete Konflikte beiträgt. Humanitäres Völkerrecht
erkennt die Realität der bewaffneten Konflikte an und beantwortet sie pragmatisch,
mit detaillierten und praktischen Regeln,
die auf Einzelne abzielen. Dieser Zweig
des Rechts bestimmt nicht, ob ein Staat
oder eine Rebellengruppe das Recht hat,
zu Waffengewalt zu greifen oder nicht.
Stattdessen zielt er einzig und allein auf
die Einschränkung des Leidens ab, das
Krieg verursacht. Im Bestreben, Menschliche Sicherheit zu erhalten, kann humanitäres Völkerrecht durch Erhöhung der
Chancen auf Versöhnung auch zu einem
Friedensschluss beitragen.
„Krieg sollte immer mit einem
Ausblick auf Frieden erklärt
werden.“ (Übersetzung)
Hugo de Groot (Grotius).
293
294
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
„Als die Sonne am 25. Juni 1859 aufging, offenbarte sie den grausamsten
vorstellbaren Anblick. Das Schlachtfeld war voll mit Körpern von Menschen
und Pferden: Leichen lagen verstreut über Straßen, Gräben, Schluchten,
Dickicht und Felder ... Die armen Verwundeten, die den ganzen Tag
aufgesammelt wurden, waren leichenblass und erschöpft. Jene, die am
schwersten verletzt worden waren, hatten einen verblüfften Blick, als
könnten sie nicht fassen, was ihnen gesagt wurde. Andere waren ängstlich
und aufgeregt wegen der nervlichen Belastung und wurden von
wiederkehrendem, krampfartigem Zittern geschüttelt. Manche, mit
klaffenden, sich entzündenden Wunden, wurden verrückt vor Schmerz.
Sie bettelten, von ihrem Elend befreit zu werden und krümmten sich mit
ihren entstellten Gesichtern in ihrem Todeskampf.“ (Übersetzung)
Henri Dunant. Eine Erinnerung an Solferino. 1862.
Der Ursprung des humanitären Völkerrechts
Obwohl der Beginn des modernen humanitären Völkerrechts in der Regel mit der Verabschiedung der ersten Genfer Konvention
1864 in Verbindung gebracht wird, waren
diese Regeln zu jenem Zeitpunkt nicht neu.
In Wahrheit hat ein großer Teil der ersten
Genfer Konvention seinen Ursprung im Völkergewohnheitsrecht. Tatsächlich gab es Kategorien von Rechten, die Opfer in bewaffneten
Konflikten schützten, und Gewohnheiten, die
erlaubte und verbotene Mittel und Methoden
der Kriegsführung anführten, bereits 1000 vor
Christus. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts
war die Verbreitung der Gewohnheiten und
Regeln im humanitären Recht geographisch
begrenzt und bedeutete keine universelle
Übereinstimmung über deren Anwendung.
Der Anstoß für den ersten internationalen
Vertrag im humanitären Recht kam zum großen Teil von Henri Dunant, einem Schweizer Geschäftsmann. Als Zeuge des Blutbades
zwischen französischen und österreichischen
Truppen bei Solferino in Norditalien 1859 entschloss sich Dunant, ein Buch zu schreiben,
in dem er den Horror der Schlacht schilderte und versuchte, mögliche Maßnahmen zur
Verbesserung des Loses von Kriegsopfern anzubieten.
Die Verabschiedung der Genfer Konvention
von 1864 führte zu einem internationalen Vertrag, der den Staaten zur Ratifikation vorgelegt wurde. Dabei erklärten sich die Staaten
freiwillig dazu bereit, ihre eigene Macht zum
Vorteil des Individuums zu beschränken. Damit wurden zum ersten Mal bewaffnete Konflikte durch niedergeschriebenes, universelles
Recht geregelt.
Humanitäres Recht als Völkerrecht
Die Regeln und Prinzipien des humanitären
Rechts sind universell anerkannte rechtliche
Regeln, nicht nur moralische oder philosophische Empfindungen oder soziale Gewohnheiten. Aus der Rechtsnatur dieser Regeln
folgt logisch die Existenz eines detaillierten
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
Systems von Rechten und Verpflichtungen
der verschiedenen Parteien eines bewaffneten
Konfliktes. Jene Personen, die sich nicht daran halten, werden zur Rechenschaft gezogen.
Humanitäres Völkerrecht muss als ausgeprägter Teil eines umfassenden Rechtssystems
gesehen und analysiert werden: Die Regeln
und Prinzipien regeln die Koordination und
die Kooperation zwischen den Mitgliedern der
Internationalen Gemeinschaft, d.h. des allgemeinen Völkerrechts.
Humanitäres Völkerrecht
und Menschenrechte
In seinem Bestreben, das Leiden und die
Zerstörung durch bewaffnete Konflikte zu
beschränken, schützt das humanitäre Völkerrecht den harten Kern der Menschenrechte.
Diese Kernrechte beinhalten das Recht auf Leben, das Verbot der Sklaverei, das Verbot der
Folter und der erniedrigenden Behandlung
und das Rückwirkungsverbot für Gesetze.
Im Gegensatz zu Rechten wie der Meinungsfreiheit, der Bewegungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit, die in Zeiten nationalen
Notstandes außer Kraft gesetzt werden können, gelten diese Rechte immer. Da sich das
humanitäre Völkerrecht mit der Ausnahmesituation des bewaffneten Konfliktes beschäftigt,
stimmt dieser Kern der Menschenrechte mit
den grundlegenden und rechtlichen Garantien
des humanitären Völkerrechts überein.
Einige Beispiele, wie humanitäres Völkerrecht
Menschenrechte schützt:
• Der Schutz der Opfer hat ohne jegliche
Diskriminierung zu erfolgen.
• Ein großer Teil des humanitären Völkerrechts handelt vom Schutz des Lebens
jener Menschen, die nicht aktiv am Konflikt teilnehmen. Humanitäres Völkerrecht
beschränkt auch die Verhängung der Todesstrafe.
Humanitäres Völkerrecht
- Verbot der
Geiselnahme
- Achtung rechtlicher
Garantien
- Versorgung der
Kranken und der
Verletzten
- Menschliche
Behandlung jener,
die nicht oder nicht
länger an Kampfhandlungen teilnehmen
- Normen zur Regelung
eines bewaffneten
Konfliktes
Menschenrechte
- Recht auf Leben
- Verbot der Folter und
der unmenschlichen
oder erniedrigenden
Behandlung und
Bestrafung
- Diskriminierungsverbot
- Verbot der Sklaverei
- Rückwirkungsverbot für
Strafbestimmungen
- Recht der Anerkennung als Rechtsperson
- Recht auf
Gewissensfreiheit
- Religionsfreiheit
- Verbot der Verhaftung
wegen Nichterfüllung
einer vertraglichen
Verpflichtung
UNTER ALLEN UMSTÄNDEN …
295
296
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
• Humanitäres Völkerrecht geht über den des humanitären Völkerrechts, welche unter
traditionellen Begriff des Rechts auf Le- anderem die vier Genfer Konventionen vom
ben hinaus, indem es auch die Mittel, die August 1949 und die drei dazugehörigen Zuzum Überleben notwendig sind, schützt; satzprotokolle aus den Jahren 1977 und 2005
ein Recht, das unter die Kategorie der wirt- beinhalten.
schaftlichen und sozialen Menschenrechte
Für interne Konflikte ist die Zahl anwendbarer
einzuordnen wäre.
• Humanitäres Völkerrecht verbietet Folter Regeln eingeschränkt. Sie sind vor allem im
gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen
und erniedrigende Behandlung absolut.
• Im Speziellen wird auch das Verbot der und im 2. Zusatzprotokoll enthalten. Art. 3
Sklaverei vom humanitären Völkerrecht beinhaltet den Mindeststandard der Menschumfasst; Kriegsgefangene sind nicht als Ei- lichkeit und ist deshalb in allen Situationen
bewaffneter Konflikte anzuwenden. Wiedegentum zu sehen.
• Klar betont wird auch der Schutz von rum existiert daneben noch der Kernbereich
Kindern und des Familienlebens im hu- der Menschenrechte, der auch in solchen Notmanitären Völkerrecht; Beispiele sind die standssituationen seine Geltung nicht verliert.
speziellen Regeln zur Anhaltung von Kindern und die Regeln, welche die Trennung
von Familienmitgliedern verbieten.
„Krieg ist niemals eine Beziehung
• Die Achtung der Religion betrifft deren
zwischen Menschen, sondern eine
Ausübung durch Kriegsgefangene wie auch
die Begräbnisrituale.
Beziehung zwischen Staaten, in
Wann wird humanitäres
Völkerrecht angewandt?
Humanitäres Völkerrecht ist in zwei Situationen anwendbar: in internationalen bewaffneten Konflikten und nicht-internationalen
(internen) bewaffneten Konflikten. Bevor eine
Definition dieser beiden Anwendungsgebiete
gegeben wird, sollte noch etwas zum Ansatz
des „bewaffneten Konfliktes“ gesagt werden,
der seit 1949 allmählich den Kriegsbegriff ersetzt hat.
Internationale bewaffnete Konflikte sind jene,
in denen zwei oder mehrere Staaten Auseinandersetzungen mit Waffengewalt austragen
und jene, in denen sich ein Volk gegen eine
Kolonialmacht, ausländische Besatzungsmächte oder rassistische Verbrechen auflehnt
(gemeinhin als Kriege zur nationalen Befreiung bezeichnet). Außerhalb des anwendbaren Gebietes der Menschenrechte fallen diese
Situationen unter die Bandbreite der Regeln
der Individuen nur durch Zufall
zu Feinden werden; nicht als Menschen, nicht als Staatsbürger, aber
als Soldaten (...). Da es das Ziel des
Krieges ist, den feindlichen Staat
zu zerstören, ist es auch legitim,
dessen Verteidiger zu töten, solange
sie Waffen tragen. Sobald sie aber
diese niederlegen und sich ergeben,
hören sie auf, Feinde oder feindliche
Agenten zu sein und werden wieder
zu normalen Menschen. Deshalb ist
es nicht länger legitim, sie zu töten.“
(Übersetzung)
Jean-Jacques Rousseau, französischer Philosoph
und Schriftsteller (1712-1778).
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
In jenen Fällen, in denen die Gewalt noch
keinen bewaffneten Konflikt darstellt, findet
humanitäres Völkerrecht keine Anwendung.
In diesen Fällen sind die Menschenrechte
und das entsprechende nationale Recht zum
Schutz der Beteiligten anzuwenden.
2. Definition und Beschreibung
der geschützten Rechte
Was sind die Grundregeln humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten?
1. Personen außer Gefecht und solche,
die nie aktiv daran teilnahmen, haben ein Recht auf Respektierung ihres
Rechts auf Leben und ihrer moralischen und körperlichen Integrität.
2. Es ist verboten, einen Feind zu töten,
der außer Gefecht ist oder sich ergibt.
3. Die Verwundeten und die Kranken sind
einzusammeln und von der Seite, in
deren Gewalt sie sich befinden, zu versorgen. Der Schutz umfasst auch medizinisches Personal und Einrichtungen,
Transporte und Ausstattung. Die Embleme des Roten Kreuzes und des Roten
Halbmondes sind die Zeichen dieses
Schutzes und sind zu respektieren.
4.Gefangengenommenen
KombattantInnen und ZivilistInnen in der Gewalt der gegnerischen Partei steht der
Respekt ihres Rechts auf Leben, ihrer
Würde, ihrer persönlichen Rechte und
Überzeugungen zu. Sie sind vor jeglicher Gewalt oder Vergeltung zu schützen. Sie sollen das Recht haben, mit
ihren Familien zu kommunizieren und
Hilfsgüter zu erhalten.
5. Jede/r soll in den Genuss der fundamentalen, gerichtlichen Garantien kom-
men. Niemand darf für eine Tat, die sie/
er nicht begangen hat, bestraft werden.
Niemand darf körperlicher oder psychischer Gewalt, der Prügelstrafe oder
erniedrigender oder unmenschlicher
Behandlung ausgesetzt werden.
6.Die Konfliktparteien und die Mitglieder ihrer Streitkräfte dürfen die Methoden und Mittel zur Streitführung
nicht unbeschränkt auswählen. Waffen und Methoden, die zu unnötigen
Verlusten oder übertriebenen Leiden
führen, sind verboten.
7. Um die Zivilbevölkerung und ihr Eigentum zu schützen, müssen die
Konfliktparteien zu allen Zeiten zwischen Zivilbevölkerung und KombattantInnen unterscheiden. Weder die
Zivilbevölkerung als ganzes noch die
einzelne Zivilperson dürfen das Ziel
einer Attacke werden. Ziele dürfen nur
militärische Objekte sein.
Hinweis: Diese Regeln fassen die Essenz
des humanitären Völkerrechts zusammen und wurden vom IKRK formuliert.
Sie sind kein rechtliches Instrument und
ersetzen somit keinesfalls vorhandene
Verträge. Sie wurden zur Erleichterung
der Verbreitung des humanitären Völkerrechts formuliert.
Was und wie schützt
humanitäres Völkerrecht?
Humanitäres Völkerrecht schützt jene, die
nicht oder nicht länger an den Kämpfen
teilnehmen, wie Zivilpersonen, Verwundete,
Kranke, Kriegsgefangene, Schiffbrüchige und
medizinisches und religiöses Personal. Die
Konfliktparteien müssen diesen Menschen
materiellen Beistand zukommen lassen und
sie jederzeit menschlich behandeln.
297
298
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
„Die Opfer heutiger Konflikte
sind nicht einfach nur anonym,
sondern sprichwörtlich zahllos
(...). Die grausame Wahrheit
ist, dass Zivilisten nicht nur ‚ins
Kreuzfeuer’ geraten. Sie sind
keine unglücklichen Todesfälle
oder ‚Kollateralschäden’, wie es
ein moderner Euphemismus beschreibt. All zu oft werden sie absichtlich ins Visier genommen.“
jene Güter, die sie zum Überleben braucht
(Lebensmittel, Viehbestand, Trinkwasserversorgung ...) unter diesen Schutz fallen.
Humanitäres Völkerrecht schützt vor unnötigem Leiden durch das Verbot von Waffen,
deren Wirkung den militärischen Nutzen
exzessiv übertrifft. Darunter fallen z.B. explodierende Geschosse, die Wunden verursachen, welche nahezu unbehandelbar sind.
Die Prinzipien der Menschlichkeit, der militärischen Notwendigkeit und der Proportionalität (Verhältnismäßigkeit) sind die
Schlüssel zum Schutz der Zivilbevölkerung
vor Kollateralschäden und zum Schutz von
KombattantInnen vor unnötigem Leid. Militärische Notwendigkeit wird definiert als jene
Kofi Annan,
Aktionen,
die nötig sind, den Gegner zu überehemaliger UNO-Generalsekretär.
wältigen. Als Ergebnis mag jener Teil des humanitären Völkerrechts, der die militärische
Notwendigkeit zum Maßstab erhebt, für MenBestimmte Plätze und Objekte, wie Kranken- schenrechtsexpertInnen nicht sehr humanitär
häuser und Rettungswägen, sind ebenfalls aussehen. Das Konzept hat allerdings den Vorgeschützt und dürfen nicht attackiert werden. teil, präzise und realitätsnah zu sein.
Humanitäres Völkerrecht nennt eine Reihe
von Symbolen und Zeichen, besonders das Wer muss humanitäres
Rote Kreuz und den Roten Halbmond, die zur Völkerrecht respektieren?
Markierung der geschützten Personen und Nur Staaten können Vertragsparteien internaPlätze benutzt werden dürfen. Historische tionaler Verträge und somit der Genfer KonDenkmäler, Kunstgegenstände und Kultstät- ventionen von 1949 und der Zusatzprotokolle
ten sind ebenfalls geschützt. Die Benützung von 1977 und 2005 werden. Jedoch sind alle
solcher Stätten zur Unterstützung der militä- Konfliktparteien, egal ob staatliches Militär
rischen Taktik ist strikt verboten. Zusätzlich oder paramilitärische Truppen, durch humaist die Umwelt ein Anliegen des humanitären nitäres Völkerrecht gebunden. Weltweit sind
Völkerrechts, da Methoden und Mittel der 194 Staaten Vertragsparteien der vier Genfer
Kriegsführung verboten sind, welche zu einer Konventionen von 1949. Die Tatsache, dass
weiten, langfristigen und schweren Schädi- diese Verträge global anerkannt werden, zeugt
von ihrer Universalität. Zurzeit sind 168 Staagung der Natur führen oder führen können.
ten Parteien des ersten Zusatzprotokolls von
Eine Unterscheidung muss getroffen werden 1977, welches den Schutz der Opfer in interzwischen KombattantInnen und der Zivilbe- nationalen Konflikten regelt, während das
völkerung, aber auch zwischen militärischen zweite Zusatzprotokoll zum Schutz der Opfer
und zivilen Objekten. Dies führt dazu, dass von nicht-internationalen Konflikten 164 Vernicht nur die Zivilbevölkerung, sondern auch tragsparteien hat. Das dritte Zusatzprotokoll
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
te universell. Diese universale Dimension des
humanitären Völkerrechts darf niemals unterschätzt oder gar vergessen werden: Der ResUm zu überprüfen, ob Ihr Staat Mitglied ist, pekt und die Umsetzung dieser Regeln hängen
kontaktieren Sie das IKRK oder besuchen Sie tatsächlich von der Errichtung einer deutlidie Homepage des IKRK unter http://www. chen Verbindung zwischen den anwendbaren
icrc.org (auf Englisch, Französisch, Spanisch Verträgen und den lokalen Traditionen oder
Gewohnheiten ab.
oder Arabisch).
von 2005 hat mittlerweile 33 Mitgliedsstaaten
(Stand: 1. Oktober 2008).
3.Interkulturelle Perspektiven
und strittige Themen
Die Bedeutung kulturellen Bewusstseins
Die Bemühungen, die Brutalität des Krieges
zu beschränken, sind universell. Im Laufe
der Geschichte haben viele Kulturen versucht,
Gewalt zu unterdrücken, um unnötiges Leid
zu vermindern und Zerstörung zu beschränken. Auch wenn die ersten Genfer und Haager
Übereinkommen am Anfang nicht universell
waren, da sie von Rechtsgelehrten und Diplomaten aus dem europäischen, christlichen
Kulturkreis entworfen und angenommen
wurden, so sind die dahinter liegenden Wer-
Menschlichkeit
„Durch die Erhaltung einer Sphäre von Menschlichkeit im Herzen
eines bewaffneten Konflikts hält
humanitäres Völkerrecht den
Weg Richtung Versöhnung frei
und trägt nicht nur zum Frieden
zwischen den Kriegsparteien, sondern auch zur Harmonie
zwischen den Völkern bei.“
Inter-Parlamentarische Union.
90. Konferenz. 1993.
Widersprüchliche Ansichten zur
Anwendbarkeit von
humanitärem Völkerrecht
Während die Prinzipien des humanitären Völkerrechts quasi-universelle Anerkennung genießen, können aufgrund unterschiedlicher
Ansichten, wann Gewalt zu einem bewaffneten Konflikt wird, bei der Umsetzung Probleme auftauchen. Die Qualifizierung eines
Konfliktes als bewaffneter Konflikt ist eine
grundlegende Voraussetzung für die Anwendbarkeit des humanitären Völkerrechts. Wenn
Staaten mit Gewalt innerhalb des eigenen Territoriums konfrontiert werden, ziehen sie es
meist vor, die Angelegenheit intern zu regeln.
Dies ist auch dann der Fall, sollte ein anderer Staat, wenn auch indirekt, darin involviert
sein. Eine Situation als bewaffneten Konflikt
anzuerkennen bedeutet, dass die GewalttäterInnen den Schutz von humanitärem Völkerrecht genießen, der weitreichender ist als der
Schutz durch die Menschenrechte in solchen
Situationen. Nicht allzu überraschend werden
die TäterInnen von den Regierungen nicht
als KombattantInnen, sondern als VerbrecherInnen, BanditInnen oder TerroristInnen bezeichnet, um so die Regeln des humanitären
Völkerrechts zu umgehen.
Um dies zu vermeiden und humanitäres Völkerrecht für den entsprechenden Staat akzeptabel zu machen, wird garantiert, dass
die Anwendbarkeit von humanitärem Völkerrecht nichts über die Legitimität der verwickelten Gruppen aussagt. Dieser realistische
und pragmatische Ansatz des humanitären
299
300
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
Völkerrechts schützt die Opfer des Konfliktes Allgemein gibt es drei Strategietypen, welche
auf beiden Seiten. Es ist wichtig festzuhalten, die Umsetzung von humanitärem Völkerrecht
dass humanitäres Völkerrecht einen Balance- sichern sollen:
akt zwischen zwei gegensätzlichen Konzepten • Präventivmaßnahmen;
darstellt: militärische Notwendigkeit einerseits • Maßnahmen zur Sicherung der Einhaltung
während des Konfliktes;
und humanitäre Belange andrerseits.
• repressive Maßnahmen.
4. Durchsetzung und Überwachung
Angesichts der Schwierigkeiten der Rechtsdurchsetzung in bewaffneten Konflikten
mussten die StaatenvertreterInnen bei der
Ausarbeitung der Verträge des humanitären
Völkerrechts spezielle Umsetzungsmechanismen entwickeln. Damit konnten die bereits
existierenden generellen Mechanismen des
Völkerrechts den speziellen Bedürfnissen von
Opfern bewaffneter Konflikte angepasst werden. Jedoch können die generellen und speziellen Mechanismen auch zusammen nicht
einmal ein Minimum an Schutz für die/den
Einzelne/n bieten. Dies kann nur durch Training und Ausbildung gelingen, wobei jeder/
jedem bewusst gemacht wird, dass der Feind
in bewaffneten Konflikten immer noch ein
Mensch ist, der Achtung verdient.
Präventivmaßnahmen
Vertragsparteien der Genfer Konventionen,
also fast alle Staaten weltweit, haben die Verpflichtung, humanitäres Völkerrecht soweit
wie möglich zu verbreiten. Eine diesbezügliche Schulung der Streitkräfte reicht nicht aus:
Die Zivilgesellschaft und die Jugend müssen
ebenfalls über die humanitäre Perspektive
eines bewaffneten Konfliktes aufgeklärt werden. Der unmittelbare Fokus des humanitären Völkerrechts richtet sich auf den Schutz
des Lebens und der menschlichen Würde in
bewaffneten Konflikten; jedoch werden diese
Werte durch extensive Auslegung in all unseren Lebenslagen geschützt. Deshalb leistet
humanitäres Völkerrecht, neben der Menschenrechtsbildung, einen einmaligen Beitrag
zur „Citizenship“-Bildung auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene. Ausbildung
und Training müssen in Friedenszeiten begon-
„Wir können sehen, wie leicht eine Person, egal welcher Nationalität,
in der Psychologie der Brutalität gefangen ist, wenn sie in einen Krieg
verwickelt wird. Solche Brutalität wird oft durch Hass auf Andere
verursacht, wie sich in rassistischen Akten zeigt. Das grundlegendste
Problem, das bei Kriegsverbrechen angesprochen werden muss, ist die
tiefgründige Todesangst, die Soldaten erleben. Um diese Angst während
des Krieges zu bewältigen, vertrauen diese Personen auf Gewalt,
die wiederum ihre Moral schwächt und sich selbst als Ausbruch von
Brutalität manifestiert.“ (Übersetzung)
Yuki Tanaka, japanischer Gelehrter.
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
nen werden, um einen wirklichen humanitären Reflex einzuprägen.
Maßnahmen zur Überwachung
der Einhaltung
Das Internationale Komitee vom Roten
Kreuz (IKRK) spielt eine zentrale Rolle, wenn
es darum geht, Staaten daran zu erinnern,
dass sie sich zur Verbreitung der humanitären Normen verpflichtet haben, und dass sie
alle notwendigen Schritte setzen müssen, die
eine effektive Umsetzung und die umfassende
Achtung der Normen sichern.
Repressive Maßnahmen
Humanitäres Völkerrecht verpflichtet die
Staaten, jegliche Verletzung desselben zu unterdrücken. Bestimmte, besonders schwere
Verletzungen, Kriegsverbrechen genannt, werden vom humanitären Völkerrecht kriminalisiert. Jeder Staat hat nationale Gesetze zur
Verfolgung von Kriegsverbrechen zu erlassen,
nach den der Kriegsverbrechen beschuldigten
Personen zu fahnden und diese auch vor Gericht zu stellen bzw. an einen anderen Staat
zur Strafverfolgung auszuliefern. Diese Repressivmaßnahmen dienen der Abschreckung
und können auch einer erneuten Verletzung
der Menschenrechte vorbeugen.
Die internationale Gemeinschaft hat 1998
den permanenten Internationalen Strafgerichtshof (ICC) ins Leben gerufen, der über
Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die
Menschlichkeit und Völkermord richtet. Im
Gegensatz zu den beiden Ad-hoc-Tribunalen
für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda
ist der ICC weltweit für Strafverfolgung zuständig. Uganda, die Demokratische Republik
Kongo und die Zentralafrikanische Republik
haben dem Strafgerichtshof bereits Fälle zur
Verfolgung übertragen; der UNO-Sicherheitsrat setzte ihn auf die Situation in Darfur/Sudan an. Der Chefankläger des Internationalen
Strafgerichtshofes kann aber auch nach Hinweisen aus der Öffentlichkeit tätig werden.
Was man wissen sollte
Die Internationale Bewegung vom Roten Kreuz einzelnen nationalen Gesellschaften und verund Roten Halbmond umfasst das Internati- stärkt ihre Kapazität. Als Hüter und Förderer
onale Komitee vom Roten Kreuz, die Natio- humanitären Völkerrechts spielt das IKRK die
nalen Gesellschaften des Roten Kreuzes und führende Rolle bei dem Versuch, ein Mindestdes Roten Halbmondes in 180 Staaten und die maß an Menschlichkeit auch inmitten eines
Internationale Föderation der Rotkreuz- und bewaffneten Konfliktes zu erhalten.
Rothalbmondgesellschaften. Die nationalen
Gesellschaften agieren als Helfer ihrer eigenen
Regierung in humanitären Belangen und stel- 1. Good Practices
len eine Bandbreite an Dienstleistungen von
Katastrophenhilfe bis zu Gesundheits- und So- Schutz der Zivilbevölkerung
zialprogrammen zur Verfügung. Die Föderati- Humanitäres Recht gründet auf dem Prinzip
on fördert die Zusammenarbeit zwischen den der Immunität der Zivilbevölkerung. Perso-
3 01
302
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
nen, die nicht an den Kämpfen teilnehmen, fer sexueller Gewalt, von Verwundung, Raub
dürfen unter keinen Umständen angegriffen oder Tod zu werden.
werden, sie müssen verschont und geschützt
werden. Auch in modernen Konflikten müs- Entsprechende Gegenmaßnahmen beinhalten:
sen ZivilistInnen entsetzliche Gewalt ertra- • Belehrung der WaffenträgerInnen über die
gen, manchmal als direkte Ziele. Massaker,
Menschenrechte der Frau;
Geiselnahmen, sexuelle Gewalt, Bedrohung, • Unterstützung medizinischer EinrichtunVertreibung, Zwangsumsiedlung und Plüngen und Gesundheitsstellen zur Versorgung
derung sowie die absichtliche Verweigerung
der Opfer mit gynäkologischer oder reprodes Zugangs zu Wasser, Lebensmitteln und
duktiver Gesundheitsversorgung;
Gesundheitsversorgung sind nur einige jener • Erinnerung der Anhaltebehörden, dass
Handlungsweisen, die Angst und Leid unter
Frauen sofort der Überwachung durch Frauder Zivilbevölkerung verbreiten.
en unterstellt und ihre Schlafquartiere und
Sanitäranlagen von denen der männlichen
Das IKRK hält eine konstante Präsenz in GeGefangenen getrennt werden müssen;
bieten aufrecht, wo vor allem die ZivilistIn- • Wiederherstellung des Kontaktes zwischen
nen in Gefahr sind. Spezielle Aufmerksamkeit
Familienmitgliedern, die durch den bewafferhalten Frauen und Kinder, welchen durch
neten Konflikt getrennt worden sind;
humanitäres Völkerrecht spezifischer Schutz • Unterstützung der Familien vermisster Perzugestanden wird.
sonen.
Frauen erleben bewaffnete Konflikte auf vielfache Weise – als aktiv teilnehmende Soldatinnen, als spezielle Ziele in der Zivilbevölkerung
und ganz einfach als Frauen. Auch sind die
Erfahrungen von Frauen in bewaffneten Konflikten vielfältig – sie bedeuten die Trennung
oder den Verlust von Familienmitgliedern und
den Verlust der eigenen Existenz. Bewaffnete
Konflikte erhöhen das Risiko von Frauen, Op-
Kinder werden allzu oft unmittelbare ZeugInnen der Grausamkeiten, verübt an ihren Eltern
oder anderen Familienmitgliedern. Sie werden
getötet, gefangen genommen oder von ihren Familien getrennt. Von ihrem gewohnten Umfeld
abgeschnitten, fehlt selbst denen, die fliehen
konnten, jegliche Gewissheit über ihr eigenes
Schicksal und das ihrer geliebten Menschen.
Sie sind gezwungen zu fliehen, sie sind sich
„Der Zerfall der Familie in Kriegszeiten lässt Frauen und Mädchen durch
Gewalt speziell gefährdet zurück. Fast 80% jener 53 Millionen Menschen,
die heute durch Kriege entwurzelt sind, sind Frauen und Kinder. Wenn
Väter, Ehemänner, Brüder und Söhne zum Kampf eingezogen werden,
verlassen sie die Frauen, die Jüngsten und die Älteren, die sich selbst
wehren sollen. Flüchtlingsfamilien führen die Angst vor Vergewaltigungen
als Schlüsselfaktor in ihrer Entscheidung zu fliehen an.“ (Übersetzung)
UNICEF. The State of the World’s Children. 1996.
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
„Es gibt Kinder, die schließen sich aus sogenannten ‚freiwilligen’
Gründen an. Aber ich denke, man muss sehr vorsichtig sein, zu
erkennen, dass es kein freiwilliges Anschließen gibt, in dem Sinne,
dass der Großteil dieser Kinder aus Notwendigkeit oder Schikane,
Angst oder Sicherheit diesen Schritt tut. Unbegleitete Minderjährige
ohne beschützende Eltern, Personen in der Angst, an Hunger zu
sterben oder solche mit unzureichender Gesundheitsversorgung
könnten militärische Aktivität suchen.“ (Übersetzung)
Mike Wessells.
selbst überlassen und ohne Identität zurückge- Schutz der Gefangenen
wiesen. Außerdem sind Kinder, egal ob sie mit Eine Folge von bewaffneten Konflikten ist die
ihren Familien oder alleine in Konfliktzonen le- Gefangennahme und Anhaltung von Kriegsben, der Gefahr ausgesetzt, als KindersoldatIn- gefangenen. Ihrer Freiheit beraubt zu sein,
nen rekrutiert zu werden. Ihrer Familie beraubt versetzt eine Person in eine verwundbare Posehen sich diese KinderrekrutInnen außerstan- sition gegenüber den anhaltenden Behörden
de, sich ein Leben ohne Krieg vorzustellen. Mit und innerhalb des Gefängnisumfeldes. Diese
dem Anschluss an eine bewaffnete Gruppe si- Verwundbarkeit ist in bewaffneten Konflikten
und interner Gewalt akut, da der exzessive
chern sich die Kinder ihr eigenes Überleben.
und illegale Gebrauch von Gewalt weit verEntsprechende Gegenmaßnahmen beinhalten: breitet ist und strukturelle Mängel verstärkt
• Förderung der Achtung für Kinderrechte werden.
unter den Waffentragenden;
• Verbot der Rekrutierung und Teilnahme von Maßnahmen zur Gewährleistung der Achtung
des Lebens und der Würde der Gefangenen
Kindern an bewaffneten Konflikten;
• Unterstützung von minderjährigen Opfern umfassen:
durch entsprechende medizinische, psy- • Training des Gefängnispersonals in punkto
Anhaltebedingungen und Strafverfolgung
chologische und soziale Hilfe;
bei Verstoß;
• Wiederherstellung der Kontakte mit den
Familien durch Schutz unbegleiteter Min- • Sicherstellung, dass genügend finanzielle
Mittel für die Gefängnisse bereitstehen;
derjähriger und die Suche vermisster Per• Ermöglichung des Gefangenenbesuches
sonen;
durch neutrale humanitäre Organisationen
• Überwachung der Anhaltesituation von
wie das IKRK sowie die Überwachung der
Kindern – Gewährleistung, dass sie von ErBehandlung der Gefangenen;
wachsenen getrennt sind, außer es handelt
sich um Familienangehörige – und Herbei- • Wiederherstellung des Kontaktes zwischen
Familienmitgliedern, wenn dieser unterbroführung ihrer Entlassung.
chen wurde;
303
304
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
• Unterstützung von Menschenrechtsorganisa- • Unterstützung und Zusammenführung von
ehemaligen Kindersoldaten mit ihren Famitionen wie Amnesty International und Human
lien.
Rights Watch oder lokalen Menschenrechtsorganisationen, welche die Misshandlung
von Gefangenen durch das GefängnispersoEin Wort zum Emblem
nal öffentlich bekannt machen.
Die Genfer Konventionen nennen drei
Embleme: das Rote Kreuz, den Roten
Wiederherstellung von
Halbmond und den Roten Löwen und
Familienkontakt
Sonne, wobei nur mehr die ersten zwei
In fast allen Notsituationen – bewaffneten
benutzt werden. 2005 wurde mit dem
Konflikten, Massenvertreibung der Bevölkedritten Zusatzprotokoll zu den Genfer
rung und anderen Krisensituationen – werden
Konventionen der Rote Kristall als dritKinder von ihren Eltern, Familien oder andetes, gleichberechtigtes Schutzzeichen
ren für sie verantwortlichen Erwachsenen geeingeführt. Den Roten Kristall können
trennt. Da ihr Status selten sofort erkannt wird,
jene nationalen Gesellschaften benützen,
werden sie oft als getrennte oder unbegleitete
die aus religiösen Gründen weder das
Minderjährige statt als Waisen bezeichnet.
Rote Kreuz noch den Roten Halbmond
Auch andere, wie Ältere oder Menschen mit
verwenden wollen oder können. HumaBehinderungen, kommen durch einen bewaffnitäres Völkerrecht regelt den Gebrauch,
neten Konflikt in eine besonders schwierige
die Größe, den Zweck und die PlatzieSituation. Sie können zurückgelassen, isoliert
rung des Emblems, die Personen und
oder von ihren Familien getrennt werden und
Objekte, die es beschützt, wer es benutsind nicht in der Lage, für sich selbst zu sorgen.
zen darf, welcher Respekt dem Emblem
Wegen ihrer besonderen Verwundbarkeit trifft
gebührt und welche Strafen es für seinen
das IKRK, falls nötig, entsprechende MaßnahMissbrauch gibt.
men, die auf ihren Schutz und die Wiedervereinigung mit ihren Familien abzielen. Diese
In bewaffneten Konflikten darf das EmMaßnahmen enthalten unter anderem:
blem nur von folgenden Personen und
• Weiterleitung von Familiennachrichten über
Objekten als Schutz benutzt werden:
Rotkreuznachrichten, Radiosendungen, Te• Sanitätstruppen der Armeen;
lefon und Internet, durch das Internationa• Nationale Rotkreuz- und Roter Halble Rote Kreuz und den Roten Halbmond;
mond-Gesellschaften,
ordnungsge• Organisation von Rückführungen und Famäß anerkannt und autorisiert von
milienwiedervereinigungen;
ihrer Regierung zur Unterstützung der
• Ermöglichung von Familienbesuchen in
Sanitätstruppen der Armee;
Gefängnissen oder über die Frontlinien
• Zivile Spitäler und andere medizinihinweg;
sche Einrichtungen, als solche durch
• Ausstellung von IKRK-Reisedokumenten
die Regierung anerkannt;
für jene, die durch den Konflikt ihre Rei• Andere freiwillige Hilfsorganisationen
sedokumente nicht oder nicht mehr haben
unter denselben Bedingungen wie naund kurz vor ihrer Rückführung oder Wietionale Gesellschaften.
deransiedlung in einem Drittstaat stehen;
• Information und Unterstützung der Familien vermisster Personen;
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
Drei Arten von Missbrauch des Emblems:
1. Imitation: Eine humanitäre Organisation benutzt ein zum Verwechseln
ähnliches Emblem zur eigenen Erkennbarkeit.
2. Usurpation: Ein Apotheker kündigt
sein Geschäft mit einer Rotkreuzfahne an.
3. Niedertracht: Kombattanten benutzen eine Rotkreuzambulanz zum
Transport von Waffen.
Die Staaten müssen alle notwendigen
Maßnahmen treffen, um Missbrauch zu
vermeiden und zu unterdrücken. Die
schwersten Fälle von Missbrauch werden als Kriegsverbrechen geahndet.
Die Grundprinzipien der Rotkreuzund Roter Halbmond-Bewegung
Menschlichkeit: Schutz des Lebens, der
Gesundheit und Sicherstellung der Achtung für den Menschen
Unvoreingenommenheit: keine Diskriminierung aufgrund von Nationalität,
„Rasse“, religiöser Überzeugung, Klasse
oder politischer Überzeugung; Leitung
nur durch Bedürfnisse
Neutralität: keine Parteinahme für eine
Konfliktpartei
Unabhängigkeit: volle Autonomie von
jeglicher externen Autorität
Freiwilliger Dienst: Non-Profit-Organisation
Einheit: nur eine Rotkreuz- oder eine
Roter-Halbmond-Gesellschaft pro Land.
Universalität: eine weltweite Organisation
Die Prinzipien humanitärer Handlungen
Um als humanitär anerkannt zu werden, muss
eine Organisation bestimmte Grundprinzipi- Da die vom IKRK ausgeübte Arbeit, egal ob
en befolgen. Die beiden wichtigsten sind das es um den Besuch von Gefangenen oder um
Prinzip der Neutralität und das Prinzip der die Rolle als Vermittler zwischen KriegsparteiUnvoreingenommenheit. Neutralität bedeutet, en geht, politisch höchst sensibel ist und da
dass für niemanden Partei ergriffen wird. So es präsent sein möchte und von allen Seiten
können die HelferInnen das Vertrauen aller zumindest toleriert werden will, spielt die VerBeteiligten erlangen und erhalten. Unvorein- traulichkeit eine wichtige Rolle in der Arbeit
genommenheit hingegen bedeutet, dass Vor- der Organisation. Dieses Prinzip zusammen
zug ausschließlich aufgrund der Bedürfnisse mit jenen der Neutralität und der Unvoreingegegeben wird. Die humanitären HelferInnen nommenheit verursacht ethische Dilemmata
treffen keine Unterscheidung auf Grund von für humanitäre HelferInnen, die Missbräuche
Nationalität, „Rasse“, religiöser Überzeugung, nicht anprangern können, da dies möglichersozialer Klasse oder politischer Meinung. Sie weise das Leben der Opfer gefährden oder
werden nur durch die Bedürfnisse der/des den Zugang der Helfer zu jenen, die ihre Hilfe
Einzelnen geleitet und geben den dringends- benötigen, behindern könnte.
ten Fällen Vorrang.
305
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
2. Trends
Verluste menschlichen Lebens
Verluste menschlichen Lebens
306
18. Jhdt
19. Jhdt
20. Jhdt
18. Jhdt: 5,5 Millionen
19. Jhdt: 16 Millionen
1. Weltkrieg: 38 Millionen
2. Weltkrieg: mehr als 60 Millionen
1949 bis 1995: 124 Millionen
Das Verbot der Anti-Personen-Landminen
Während der 1990er Jahre arbeiteten das Internationale Rote Kreuz und der Rote Halbmond,
internationale Organisationen und eine starke
Koalition von NGOs unermüdlich daran, ein
Verbot von Anti-Personen-Landminen zu erreichen und den Minenopfern sowie durch
Minen beeinträchtigten Gemeinden Erleichterung zu verschaffen. Diese Arbeit gipfelte
1997 in der Annahme des Ottawa-Übereinkommens über das Verbot des Einsatzes, der
Lagerung, der Herstellung und der Weitergabe
von Antipersonenminen und über deren Vernichtung, welches am 1. März 1999 in Kraft
trat. Dies ist das erste Übereinkommen, das
mittels humanitären Völkerrechts eine weit
verbreitete Waffe verbietet, und es trat schneller in Kraft als irgendein früheres multilaterales Waffenübereinkommen. Als Resultat der
Vorbereitungen und des Annahmeprozesses
des Ottawa-Übereinkommens konsolidierte
sich das Netzwerk für Menschliche Sicherheit.
Aus dieser Verbindung erklären sich die Prioritäten der Agenda des Netzwerkes und das
Engagement der Mitglieder des Netzwerkes
für Menschliche Sicherheit zur Reduzierung
von Handfeuerwaffen und zum Verbot von
Landminen. Mit 1. Juli 2008 hatte das Übereinkommen 156 Mitgliedsstaaten. Die Mitgliedsstaaten des Netzwerkes für Menschliche
Sicherheit waren unter den aktivsten Befürwortern des Übereinkommens. Das Netzwerk
wurde somit zu einer der führenden internationalen Koalitionen für die volle und zeitgerechte Umsetzung des Übereinkommens.
Ein paar IKRK-Zahlen zu den Hilfsaktionen aus dem Jahr 2006
Gefängnisbesuche
478.299 Gefangene wurden in
2.577 Anhalteorten besucht, darunter
25.369 Gefangene, die zum ersten Mal
registriert und besucht wurden.
24.421 Bestätigungen des Gefängnisaufenthalts wurden ausgestellt.
Wiederherstellung von Familien-
verbindungen
331.804 Rotkreuznachrichten wurden
gesammelt.
302.157 Rotkreuznachrichten wurden
verteilt.
11.569 Menschen, deren Familien Suchanträge gestellt hatten, wurden gefunden.
1.120 Menschen wurden mit ihren Familien wiedervereint.
5.862 Menschen bekamen Reisedokumente ausgestellt, um nach Hause
zurückzukehren oder sich anderswo ansiedeln zu können.
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
504 abgemusterte KindersoldatInnen
wurden mit ihren Familien wiedervereint
Unterstützung
4.043.287 Personen erhielten Haushaltsartikel und
2.657.284 bekamen Lebensmittel.
1.254.299 Menschen wurden jeden Monat in Krankenhäusern behandelt und
9.977 Kriegsopfer wurden verarztet.
Quelle: IKRK, 2006. Jahresbericht.
http://www.icrc.org.
vierten Genfer Konvention zum Schutz der Zivilbevölkerung.
In den Zusatzprotokollen von 1977 findet man
die Antworten auf neue Herausforderungen
wie den Schutz in Dekolonisierungskonflikten
und die Entwicklung neuer militärischer Technologien. Zusatzprotokoll II bezieht sich auch
auf regimekritische und andere organisierte
bewaffnete Gruppen, die unter einem verantwortlichen Kommando die Kontrolle über einen Teil des Gebietes ausüben.
Nach Kritik über mangelnde Benutzbarkeit
der Embleme und mangelnde Respektierung
nichtchristlicher und nichtislamischer Religi3. Zeittafel
onen und Glaubensgemeinschaften durch die
Manche Konflikte hatten mehr oder weniger Symbole des Roten Kreuzes und des Roten
großen Einfluss auf die Entwicklung des hu- Halbmondes wurde mit dem 3. Zusatzprotokoll 2005 der Rote Kristall als drittes schutzmanitären Völkerrechts.
würdiges Symbol aufgenommen.
Im Ersten Weltkrieg (1914 bis 1918) wurden
Waffen eingesetzt, die zwar nicht neu waren,
Die Hauptinstrumente humanitären
aber in einer noch nie zuvor da gewesenen
Völkerrechts und andere verwandte
Weise benutzt wurden. Neben dem Einsatz von
Instrumente
Giftgas waren dies auch die ersten Bombar1864 Genfer Konvention zur Verbessedierungen aus der Luft und die Gefangennahrung des Loses verwundeter Solme von hunderttausenden Kriegsgefangenen.
daten der Armeen im Felde
Das Übereinkommen zum Verbot bestimmter
1868 Erklärung von St. Petersburg beMethoden der Kriegsführung aus dem Jahr
treffend die Nichtanwendung der
1925 und die Übereinkommen von 1929 zur
Sprenggeschoße im Kriege
Behandlung von Kriegsgefangenen waren die
1899 Haager Landkriegsordnung und
ersten Antworten auf diese Entwicklungen.
Anpassung der Konvention von
1864 auf den Seekrieg
Im Zweiten Weltkrieg (1939 bis 1945) wur1906 Überprüfung und Entwicklung der
den fast zu gleichen Teilen ZivilistInnen und
Konvention von 1864
Militärpersonal getötet, verglichen mit einem
1907 Überprüfung der Haager KonvenVerhältnis von 1:10 im Ersten Weltkrieg. 1949
tionen von 1899 und Annahme
reagierte die internationale Gemeinschaft auf
neuer Konventionen
diese tragischen Zahlen, vor allem aber auf
1925 Genfer Konvention über das Verdie schrecklichen Auswirkungen dieses Kriebot der Verwendung von erstiges auf die Zivilbevölkerung mit einer Revisickenden, giftigen oder ähnlichen
on oben genannter Übereinkommen und der
Annahme eines neuen Übereinkommens: der
307
308
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
1929
•
•
1949
I
II
III
IV
1954
1972
1977
•
1980
Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege
Zwei Genfer Konventionen
Abkommen zur Verbesserung des
Loses der Verwundeten und Kranken der Heere im Felde
Abkommen zur Behandlung von
Kriegsgefangenen
Vier Genfer Konventionen
Abkommen zur Verbesserung des
Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde
Abkommen zur Verbesserung des
Loses der Verwundeten, Kranken
und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See
Abkommen über die Behandlung
von Kriegsgefangenen
Abkommen zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten
Haager Abkommen für den Schutz
von Kulturgut bei bewaffneten
Konflikten und dessen Ausführungsbestimmungen
Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung
und Lagerung bakteriologischer
(biologischer) Waffen und von Toxinwaffen sowie über die Vernichtung solcher Waffen
Zusatzprotokoll über den Schutz
der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Zusatzprotokoll I)
Zusatzprotokoll über den Schutz
der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte (Zusatzprotokoll II)
Übereinkommen über das Verbot
oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller
Waffen, die übermäßige Leiden
verursachen oder unterschiedslos
wirken können
• Protokoll über nicht entdeckbare
Splitter (Waffenprotokoll I)
• Protokoll über das Verbot oder die
Beschränkungen des Einsatzes
von Minen, Sprengfallen und anderen Vorrichtungen (Waffenprotokoll II)
• Protokoll über das Verbot oder die
Beschränkung des Einsatzes von
Brandwaffen (Waffenprotokoll III)
1993 Übereinkommen über das Verbot der Entwicklung, Herstellung,
Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen
1995 Protokoll über blindmachende
Laserwaffen (Waffenprotokoll IV,
neues Protokoll des Waffenübereinkommens von 1980)
1996 Revidiertes Protokoll II über das
Verbot oder die Beschränkungen
des Einsatzes von Minen, Sprengfallen und anderen Vorrichtungen
von 1980
1997Ottawa-Vertrag: Übereinkommen
über das Verbot des Einsatzes, der
Lagerung, der Herstellung und der
Weitergabe von Antipersonenminen und über deren Vernichtung
1998 Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofes
1999 Protokoll zum Abkommen zum
Schutz des Kulturgutes von 1954
2000 Änderungsprotokoll zur Kinderrechtskonvention bezüglich der
Teilnahme von Kindern an bewaffneten Konflikten
2001 Nachtrag zum Art. 1 des Waffenübereinkommens von 1980
2002 Inkrafttreten des Römischen Statuts des Internationalen Strafge-
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
richtshofes
2002 Inkrafttreten des Änderungsprotokolls zur Kinderrechtskonvention
bezüglich der Teilnahme von Kindern an bewaffneten Konflikten
2003 Protokoll über explosive Kriegsreste (Waffenprotokoll V)
2005 Zusatzprotokoll über die Annahme eines zusätzlichen Schutzzeichens (Zusatzprotokoll III)
2008 Verabschiedung der Konvention
über Streuminen
Quelle: IKRK: http://www.icrc.org/ihl
AUSGEWÄHLE ÜBUNGEN
Übung I: Warum soll man
humanitäres Völkerrecht achten?
4.Wie kann humanitäres Völkerrecht vorgeben, die Aussicht auf Frieden und Menschliche Sicherheit zu verbessern, wenn es die
Realität des bewaffneten Konfliktes anerkennt?
Teil I: Einleitung
Für viele Menschen scheint es absurd, dass
es in bewaffneten Konflikten Regeln geben
soll, da die Idee des Krieges der Idee der Men- Teil II: Allgemeine Information
schenrechte widerspricht. Es ist aber eine Tat- Art der Übung: Diskussion
sache, dass die meisten Länder die Regeln des Ziele: Die Notwendigkeit von Regeln in behumanitären Völkerrechts akzeptieren und waffneten Konflikten zu verstehen; sich der
durchsetzen. Warum ist das so? In der vor- schwierigen Fragen aufgrund der Idee des hugeschlagenen Diskussion bekommen die Teil- manitären Völkerrechts bewusst zu werden;
nehmerInnen Fragen, die ihnen helfen werden, die Gründe kennen zu lernen, warum Staasich durch die Hauptgründe für die Befolgung ten humanitäres Völkerrecht respektieren; die
humanitären Völkerrechts durch Staaten in Komplementarität von Menschenrechten und
humanitärem Völkerrecht zu verstehen; einibewaffneten Konflikten zu arbeiten.
ge Grundregeln des humanitären Völkerrechts
kennen zu lernen
Diskussionsfragen
1. Wenn ich einen Krieg gewinne, warum sollte Zielgruppe: Jugendliche und Erwachsene
ich Regeln befolgen, die mich einschränken? Gruppengröße: 12-20
2. Wenn diese Regeln immer missachtet wer- Zeit: 90 Minuten
Materialien: Kopien der Prinzipien humaden, warum brauchen wir sie?
3.Brauchen wir wirklich humanitäres Völ- nitären Völkerrechts und der Grafik, die die
kerrecht, wo es doch Menschenrechte gibt? Komplementarität von Menschenrechten und
Warum machen es die Staaten nicht einfach humanitärem Völkerrecht zeigt (siehe Moschwieriger, menschenrechtliche Verpflich- dul); Tafel oder Flipchart, auf der einige der
tungen in bewaffneten Konflikten außer Schlüsselideen der Diskussion aufgeschrieben
werden können; Diskussionsfragen (eine WoKraft zu setzen?
309
310
H uman R ights in A rmed C o nflict
che oder einen Tag vor der Übung verteilen, zu Frage 2
damit die TeilnehmerInnen sie für sich selbst • Kommt man durch Einhaltung der Regeln
oder mit Familienmitgliedern oder FreundInin die Nachrichten?
nen diskutieren können)
• Wie wissen wir, dass die Regeln immer geFertigkeiten: Argumentation, kritisches Denbrochen werden?
ken, Kommunikation, Umgang mit gegensätz- • Auch mangelhafter Respekt kann wenigslichen Meinungen
tens für einige Menschen Schutz bedeuten.
• Was wäre, wenn Strafen für eine Missachtung öfter verhängt würden?
Teil III: Spezifische Information
Beschreibung der Übung/Anleitung: Die Dis- zu Frage 3
kussion spricht einige schwierige Fragen an, • Denken Sie an die Gründe für die Aufhebung einiger Rechte in einem bewaffneten
zu denen es keine einfachen Antworten gibt.
Konflikt.
Die TeilnehmerInnen sollen ermutigt werden,
kreativ und kritisch zu denken und keine Zeit • Schützt humanitäres Völkerrecht Menschenrechte?
damit zu verschwenden, nach der richtigen
Antwort zu suchen. Es ist wichtig, dass zyni- • Kann man von KombattantInnen die Achtung des Rechts auf Leben verlangen, wenn
sche Antworten nicht ignoriert werden, denn
sie gerade kämpfen?
die TeilnehmerInnen sollen verstehen, dass es
für Staaten auch über Moral und Gesetz hin- • Machen Menschenrechtsinstrumente irgendeine Aussage zu den Mitteln und Meausgehende Gründe dafür gibt, humanitäres
thoden der Kriegsführung?
Völkerrecht zu befolgen. Zynische Kommentare
können dazu benutzt werden, diesen Antrieb zu Frage 4
hervor zu heben und die pragmatische Natur • Denken Sie, dass Konfliktparteien nach
Ende eines Konfliktes vergessen, was wähhumanitären Völkerrechts zu demonstrieren.
rend diesem geschehen ist?
Diskussionsprozess: Die TeilnehmerInnen
teilen sich in vier Gruppen, von denen jede • Kann die Verhinderung von massiver Zerstörung zum Frieden beitragen?
eine der vier Fragen zusammen mit den unten
aufgelisteten Anmerkungen zur Bearbeitung • Denken Sie an die Repressionsmaßnahmen
zur Sicherung von Gerechtigkeit nach dem
auswählt. Während der folgenden 30 Minuten
Ende des bewaffneten Konfliktes. Können
wird die jeweilige Fragestellung ausschließlich
diese überhaupt zum Frieden beitragen?
in der Kleingruppe diskutiert. Jede Gruppe nominiert eine/n Berichterstatter/in, die/der dem Feedback: Am Ende der Übung sollten 10
Rest der TeilnehmerInnen nach Ablauf der 30 Minuten dafür vorgesehen werden, von den
Minuten die Ergebnisse mitteilt. Anschließend TeilnehmerInnen zu erfahren, wie ihnen der
werden alle vier Fragestellungen noch einmal Diskussionsverlauf gefallen hat. Falls wähgemeinsam mit den jeweiligen Berichten von renddessen weitere Fragen zum Thema auftauchen, sollten sie auf der Tafel festgehalten
allen TeilnehmerInnen diskutiert.
werden und gegebenenfalls für zukünftige
Anmerkungen/Denkanstöße:
Diskussionen benutzt werden.
zu Frage 1
• Denken Sie an die langfristigen Interessen Praktische Hinweise: Ermutigen Sie die TeilnehIhres Landes.
merInnen dazu, die Idee von Gut und Böse bei• Was, wenn Ihr Land nun doch den Konflikt seite zu schieben und zeigen Sie stattdessen die
zu verlieren scheint?
Gründe auf, warum es im Interesse der Staaten
• Welche Rolle spielt die öffentliche Meinung? liegt, humanitäres Völkerrecht zu respektieren.
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
Variationsvorschläge: Anschließend an die merInnen eine Situation mit einem ethischen
Diskussion in den vier Kleingruppen kann ein Dilemma analysieren und entscheiden, welRollenspiel organisiert werden, in dem jede che Handlung sie nun setzen werden. Dabei
Gruppe Argumente aus ihrer Diskussion be- sollten sie auch Gegenargumente zur vorgenutzt, um in 10 Minuten ihre Regierung dazu brachten Kritik formulieren.
zu bringen, humanitäres Völkerrecht zu ratifizieren. Ein/e TeilnehmerIn sollte dabei die Teil II: Allgemeine Information
Rolle des zweifelnden Staatsoberhauptes spie- Art der Übung: Fallstudie
len, die/der keinen Sinn hinter humanitärem Ziele: Aufmerksamkeit auf die Grundsätze
zu lenken, die humanitäre Aktionen leiten;
Völkerrecht sieht.
Verständnis für die möglichen Dilemmata humanitärer HelferInnen in ihrer Arbeit aufzuTeil IV: Follow-up
Überprüfen Sie aktuelle Zeitungen und iden- bringen; Verständnis dafür aufzubringen, dass
tifizieren Sie Verletzungen humanitären humanitäre HelferInnen auch in „No-Win“Völkerrechts in verschiedenen bewaffneten Situationen eine Wahl treffen müssen: Nichts
Konflikten. Werden diese von den Medien, zu machen, ist genauso eine Wahl wie eine
den Regierungen, den Vereinten Nationen spezifische Handlung.
akzeptiert, oder gibt es Verurteilungen dieser Zielgruppe: Jugendliche und Erwachsene
Gruppengröße: 12-20
Verhaltensweisen?
Verwandte Themen und Rechte: Komplemen- Zeit: 90 Minuten
tarität von Menschenrechten und humanitä- Fertigkeiten: Beleuchtung einer Situation aus
verschiedenen Blickwinkeln, Entwicklung eirem Völkerrecht
gener Meinungen, Problemlösungsfähigkeit,
Quelle: IKRK. 2000. Exploring Humanitari- Einfühlungsvermögen
an Law, Education Modules for Young People.
Teil III: Spezifische Information
Genf: IKRK.
Einführung in das Thema: Fragen Sie, ob
irgendjemand spezielle Handlungsleitlinien
(„codes of conduct“) kennt, die das Verhalten
Übung II: Die Ethik
von Menschen in ihrem Beruf regeln. Möglihumanitärer Einsätze
che Antworten können den hippokratischen
Eid für MedizinerInnen oder einen ethischen
Teil I: Einleitung
In einem ethischen Dilemma kollidiert die Kodex für JournalistInnen, der die BekanntgaVerfolgung eines wertvollen Ziels mit einem be der Namen von InformantInnen verbietet,
anderen wertvollen Ziel oder kann neben beinhalten. Wiederholen Sie den Teil „ArErfolg auch zu Schaden führen. Humanitä- beitsgrundsätze für humanitäre HelferInnen“,
re HelferInnen sehen sich in ihrer Arbeit oft um sicher zu gehen, dass die TeilnehmerInmit solchen Dilemmata konfrontiert. Dadurch nen die Prinzipien der Neutralität und der
werden sie oft zum Ziel der öffentlichen Kri- Unparteilichkeit verstanden haben. Schreiben
tik. Es ist wichtig zu verstehen, welche Arten Sie auf Ihre Tafel/Flipchart/Overheadfolie den
von Dilemmata im Prozess der humanitären Grundsatz jedes/jeder humanitären HelferIn:
Hilfe auftreten und darüber zu diskutieren, Hilfe und Schutz für die Bedürftigen.
ob es nachhaltige Alternativen gibt. In der Beschreibung der Übung/Anleitung: Die Fälle
vorgeschlagenen Übung müssen die Teilneh- werden an die TeilnehmerInnen ausgeteilt, die
311
31 2
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
sie dann laut vorlesen. Von den TeilnehmerInnen soll das ethische Dilemma identifiziert
und entschieden werden, ob die humanitäre Aktion trotz der Dilemmata weitergeführt
werden soll oder nicht.
militärisches Eingreifen vom Ausland die humanitären Hilfsorganisationen nur das internationale Gewissen beruhigen?“
Frage: Bildet humanitäre Hilfe nur die Voraussetzung für politische Passivität?
Fall D
Fall A
Hilfsorganisationen kommen verzweifelten Um die Kontrolle über ein Dorf, das Rebellen
ZivilistInnen in einem krisengeschüttelten Ge- als Lager benutzt hatten, wieder zu gewinnen,
biet zu Hilfe. Da die Hilfsorganisationen exter- werden die BewohnerInnen in ein 30 Kilomene Hilfe für die ZivilistInnen anbieten, können ter entferntes Lager zwangsumgesiedelt. Hudie kriegsführenden Gruppen die Bedürfnisse manitäre Hilfsorganisationen werden gebeten,
ihrer eigenen Bevölkerung ignorieren. Durch Lebensmittel und Medikamente in dieses Ladiese externe Hilfe können sie alle Ressourcen ger zu bringen.
des Landes zur Versorgung der Truppen be- Frage: Wird dadurch die Vertreibung von Zivinutzen. Dadurch wird der bewaffnete Konflikt listInnen gebilligt?
verlängert.
Frage: Verlängern Hilfsorganisationen nur den Eine Hilfestellung für die TeilnehmerInnen ist
die Frage seitens der/s GruppenleiterIn, ob
Konflikt?
Passivität eine wirkliche Alternative ist oder
ob man durch Nichthandeln das Schicksal der
Fall B
ZivilistInnen fliehen in eine Schutzzone, die Bevölkerung nicht noch verschlimmert.
einen sicheren Hafen vor ethnischen Säube- Feedback: Die letzten 10 Minuten am Ende
rungen für die Bevölkerung bilden soll. Aus der Einheit sollten einem Feedback gewidmet
dieser Zone werden sie mit der Hilfe humani- sein. Tauchen Fragen auf, die spezifische Ortärer HelferInnen in Flüchtlingszentren außer- ganisationen betreffen, sollten sie notiert werhalb des Landes evakuiert. Diese humanitäre den, um im Folgenden die Grundlage eines
Aktion trägt zur ethnischen Säuberung des Arbeitsauftrages zu bilden.
Landes bei.
Frage: Werden hier wirklich ethnische Säube- Praktische Hinweise: Diese Übung kann für
die TeilnehmerInnen frustrierend sein, da es
rungen unterstützt?
keine klaren Antworten gibt. Wichtig sind die
Analyse der Perspektive von humanitären HelFall C
Zwei Staaten führen Krieg gegeneinander, ferInnen und die andauernde Beschäftigung
und die zivilen Verluste sind enorm. Einzel- mit den Prinzipien der Neutralität und Unparne Stimmen in anderen Ländern prangern die teilichkeit. Für den Fall, dass die Diskussion
Notlage der Zivilbevölkerung an, aber keine davon abweicht, sollte die/der GruppenleiteRegierung will eingreifen, weder um den Kon- rIn darauf hinweisen, dass es auch Handelnde
flikt zu stoppen, noch um der Zivilbevölke- in einem bewaffneten Konflikt gibt, die humarung Unterstützung zukommen zu lassen. Ein nitären Hilfsorganisationen dienlich sind.
humanitärer Helfer klagt: „Was bedeutet hu- Variationsvorschläge: Nach der Diskussion
manitäre Hilfe, wenn wir genau wissen, dass können einige TeilnehmerInnen die folgende
es nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein Situation in einem Rollenspiel darstellen:
kann und dass ohne politischen Druck oder Ein humanitärer Helfer steht am Eingang ei-
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
nes Flüchtlingslagers. Er ist mit einer Flücht- Teil IV: Follow-up
lingsfamilie konfrontiert, die ins Lager möchte, Verwandte Rechte und Themen: Sind Menjedoch fürchtet, drinnen auf Feinde zu treffen. schenrechtsaktivistInnen in ihrer Arbeit mit
Der Vater besteht darauf, seine Waffe zu be- ethischen Dilemmata konfrontiert?
halten, um seine kranke Frau und ihr Baby zu
beschützen. Die Familie hat auch große Angst Quelle: IKRK. 2008. Exploring humanitaridavor, getrennt zu werden.
an law: education modules for young people.
Nach der Darstellung dieser Szene sind die Genf: IKRK.
TeilnehmerInnen dazu angehalten, jene Grundsätze zu diskutieren, die MitarbeiterInnen von
Hilfsorganisationen in solchen Fällen beachten
sollten, und welche der Grundsätze hier eventuell miteinander kollidieren könnten.
Bibliographie
Arloth, Jana und Frauke Seidensticker. 2007. The
ESDP Crisis Management Operations of the European
Union and Human Rights. Berlin: Deutsches Institut
für Menschenrechte.
Böge, Volker. 2004. Neue Kriege und traditionelle Konfliktbearbeitung. Bonn: Institut für Entwicklung und
Frieden (INEF).
Bothe, Michael. 1994. Handbuch des humanitären
Völkerrechts in bewaffneten Konflikten. München:
Beck.
Bouvier, Antoine. 2000. International Humanitarian
Law and the Laws of Armed Conflict, Distance Learning Course Designed for the United Nations Institute
for Training and Research. New York: UNITAR.
Center for International Development & Conflict
Management (CIDCM) (Hg.). 2005. Peace and Conflict 2005. A Global Survey of Armed Conflicts, SelfDetermination Movements, and Democracy. Maryland:
CIDCM.
Deutsches Auswärtiges Amt/Deutsches Rotes
Kreuz/Deutsches Bundesministerium der Verteidigung. 2008. (Hg.). Dokumente zum Humanitären
Völkerrecht. http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/
de/Infoservice/Broschueren/DokumenteHumanitaeresVoelkerrecht.pdf
Dijkzeul, Dennis (Hg.). 2004. Between Force and Mercy. Military Action and Humanitarian Aid. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag.
Dunant, Henri. 1862. Eine Erinnerung an Solferino.
Fleck, Dieter. 1999. The Handbook of Humanitarian
Law in Armed Conflicts. Oxford: Oxford University
Press.
Gruber, Petra C. und Hazdra Peter (Hg.). 2001. Friede im 21. Jahrhundert – eine entwicklungspolitische
Herausforderung. Wien: Landesverteidigungsakademie Wien.
Human Rights Watch (Hg.). 2004. Genocide, War
Crimes, Crimes Against Humanity. New York: Human
Rights Watch.
31 3
31 4
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
Human Security Network und United Nations Special Representative of the Secretary-General for
Children and Armed Conflict (Hg.). 2003. Children
and Armed Conflict. International Standards for Action. New York: Human Security Network und United
Nations Special Representative of the Secretary-General for Children and Armed Conflict.
Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK)
(Hg.). 1999. Arms Availability and the Situation of Civilians in Armed Conflict. Genf: IKRK.
IKRK (Hg.). 2001. Human Rights and the ICRC, International Humanitarian Law. Genf: IKRK.
IKRK (Hg.). 2003. Das humanitäre Völkerrecht. Antworten auf Ihre Fragen. Genf: IKRK.
IKRK. 2008. Increasing respect for international humanitarian law in non-international armed conflicts.
Genf: IKRK.
IKRK. 2008. Exploring humanitarian law: education
modules for young people. Genf: IKRK.
IKRK. 2008. Cluster munitions: A new treaty to end
decades of civilians suffering. Genf: IKRK.
McCoubrey, Hilaire. 1990. International Humanitarian Law. The Regulation of Armed Conflicts. Aldershot:
Dartmouth.
Münkler, Herfried. 2002. Die neuen Kriege. Hamburg:
Rowohlt.
Österreichisches Studienzentrum für Frieden und
Konfliktlösung (Hg.). 2008. Europäische Friedenspolitik - Inhalte, Differenzen, Methoden und Chancen.
Wien: LIT Verlag.
Provost, Renee. 2002. International Human Rights
and Humanitarian Law. Cambridge: Cambridge University Press.
Sassòli, Marco und Antoine Bouvier (Hg.). 2006.
How does law protect in war? Cases, documents and
teaching materials on contemporary practice in international humanitarian law. Genf: IKRK.
Schäfer, Bernhard. 2006. Zum Verhältnis Menschenrechte und humanitäres Völkerrecht. Potsdam: Universitätsverlag.
UNICEF (Hg.). 2002. Children Affected by Armed Conflict: UNICEF Actions. New York: UNICEF.
Walzer, Michael. 2003. Erklärte Kriege – Kriegserklärungen. Hamburg: Europäische Verlagsanstalt.
World Food Programme. 2006. Food Force, Kostenloses
Lernspiel der UNO für Kinder über die Arbeit der WFPExperten. http://www.food-force.com
ZUSÄTZLICHE INFORMATIONEN
Ärzte ohne Grenzen:
http://www.aerzte-ohne-grenzen.de
Action Contre la Faim (ACF):
http://www.acf-fr.org
CARE International:
http://www.care.org
CARE Österreich:
http://www.care.at
Caritas International:
http://www.caritas.org
Caritas Österreich:
http://www.caritas.at
Conference of NGOs in Consultative Relationship
with the United Nations (CONGO):
http://www.ids.ac.uk/eldis/data/d021/e02162.html
Deutsches Rotes Kreuz:
http://www.drk.de
Disasters Emergency Committee (DEC):
http://www.dec.org.uk
European Community Humanitarian Office (ECHO):
http://europa.eu.int/comm/echo/index_en.htm
Food and Agriculture Organization (FAO):
http://www.fao.org
Handicap International:
http://www.handicap-international.de
Human Rights Watch:
http://www.hrw.org/german
InterAction:
http://www.interaction.org
M E N S C H E N R E C H T E I N B E WA F F N E T E N K O N F L I K T E N
Inter-American Development Bank (IDB):
http://www.iadb.org
Organization of American States (OAS):
http://www.oas.org
Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK):
http://www.icrc.org
Organization of the Islamic Conference (OIC):
http://www.oic-oci.org
Informationsseiten zum humanitären Völkerrecht
des Deutschen Roten Kreuz:
http://www.drk.de/voelkerrecht/index.html
OXFAM:
http://www.oxfam.org
Rotes Kreuz Österreich:
http://www.roteskreuz.at
International Council of Voluntary Agencies (CVA):
http://www.icva.ch
Save the Children International:
http://www.savethechildren.net
International Humanitarian Law Research Initiative:
http://www.ihlresearch.org/portal/ihli/portalhome.
php
Save the Children-UK:
http://www.savethechildren.org.uk
Liaison Committee of Development NGOs to the European Union:
http://www.ids.ac.uk/eldis/data/d021/e02162.html
United Nations Department of Peacekeeping
Operations (UNDPKO):
http://www.un.org/Depts/dpko/dpko/home.shtml
Médecins du Monde:
http://www.medecinsdumonde.org
United Nations High Commissioner for
Human Rights (UNHCHR):
http://www.unhchr.ch
NGO Millennium Forum:
http://www.millenniumforum.org
Office of the United Nations High Commissioner for
Refugees (UNHCR):
http://www.unhcr.ch
Organization of African Unity (OAU):
http://www.africa-union.org
United Nations Office for the Coordination of
Humanitarian Affairs (OCHA):
http://www.ochaopt.org
Voluntary Organizations in Cooperation in
Emergencies (VOICE):
http://www.ngovoice.org
World Food Program (WFP):
http://www.wfp.org
World Vision International:
http://www.wvi.org
31 5
31 6
N otizen
arbeit
Arbeit
MENSCHENRECHTE IN DER ARBEITSWELT
DAS RECHT AUF ARBEIT UND
ARBEITSRELEVANTE MENSCHENRECHTE
„ ... der Weltfriede kann auf Dauer nur auf sozialer Gerechtigkeit
aufgebaut werden ...“
Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO). 1919.
31 7
31 8
A rbeit
GESCHICHTE ZUR ILLUSTRATION
Schreckliche Arbeitsbedingungen
in Exportproduktionszonen
Xiao Shen, ein kleines Mädchen, das in dem
Bauerndorf Zhongyuan im Herzen Chinas lebte, hatte ein hartes Leben. Sie hatte wenig bis
gar keinen Reis zu essen und keine Zukunftsaussichten. Tag für Tag musste Xiao Shen im
knietiefen Wasser stehen und ihrem Vater bei
der Reisernte helfen.
Deshalb beschloss sie eines Tages wegzugehen.
Sie hatte vom Hörensagen von einem besseren
Land hinter den Bergen gehört. Und so verließen sie und ihre Freundinnen, die ihr Schicksal und ihre Träume teilten, eines Morgens
ihr Dorf. Noch vor Sonnenaufgang schlichen
sie von zu Hause weg und ließen sich von einem LKW-Fahrer in die nächste Stadt mitnehmen. Nach anstrengender Fahrt gelangte Xiao
Shen mit ihren Freundinnen ans Ziel: in die
Stadt Shenzhen – eine Freihandelszone im Süden Chinas an der Grenze zu Hongkong. Hier
hofften sie, Arbeit zu finden und Geld zu verdienen, hier würden vielleicht ihre Träume in
Erfüllung gehen.
Xiao Shen machte Bekanntschaft mit zwei Geschäftsleuten namens Huang Guoguang und
Lao Zhaoquan, die für ihre „Zhili Handicrafts
Factory“ Arbeiterinnen suchten. Dort wurden
Spielwaren hergestellt. Xiao Shen war eine
von insgesamt 472 Angestellten. Sie hatte bald
den Eindruck, dass es ihr hier sogar schlechter
gehe als zu Hause in dem kleinen Dorf bei den
Wasserbüffeln. Von früh bis spät schuftete sie
in der Zhili-Fabrik, aber so wie die anderen
bekam sie gerade so viel Lohn, dass sie überleben konnte (26-40 Euro pro Monat). Weil die
beiden Geschäftsführer fürchteten, ihre Angestellten könnten die Waren stehlen, bauten
sie die Fabrik zu einer Art Gefängnis um. Alle
Fenster wurden vergittert und alle Notausgänge
versperrt. Staatliche Fabrikinspektoren wurden
bestochen, damit sie beide Augen zudrückten.
Tag und Nacht lebte Xiao Shen nun hinter Gittern, denn so wie die anderen Arbeiterinnen
schlief auch sie in der Fabrik. Und dann, am
Nachmittag des 19. November 1993, brach ein
Feuer aus und verbreitete sich rasend schnell im
ganzen Gebäude. Überall befanden sich leicht
brennbare Chemikalien. Xiao Shen und die anderen versuchten zu fliehen. Aber wohin? Alle
Fenster waren vergittert, alle Türen versperrt.
Zweihundert Menschen, überwiegend junge
Frauen, manche nicht älter als sechzehn, wurden vom Feuer erfasst und schrieen um Hilfe.
Xiao Shen gelang es, ein vergittertes Fenster
im zweiten Stock aufzubrechen. Sie stand vor
der Wahl, zu verbrennen oder zu springen. Sie
sprang und brach sich beide Knöchel.
Einige ihrer Freundinnen aus dem Dorf Zhongyuan entkamen dem Feuer nicht. Insgesamt
verbrannten 87 Menschen, 47 überlebten
schwer verletzt.
Quelle: Werner-Lobo, Klaus und Hans Weiss.
2001. Schwarzbuch Markenfirmen. Wien: Deuticke
Diskussionsfragen
1. Welche Menschenrechte werden durch die
Arbeitsbedingungen für Xiao Shen verletzt?
2. Was sind die größten Probleme im Bereich
des Rechts auf Arbeit?
3. Welche internationalen Maßnahmen können ergriffen werden, um die Aussichten
oder zumindest die Arbeitsbedingungen
von ArbeitnehmerInnen wie Xiao Shen zu
verbessern?
arbeit
4. Welche Verantwortung haben multinationale Konzerne, die ihre Waren in solchen
Freihandelszonen produzieren?
5. Welche Möglichkeiten haben KonsumentInnen, um derartige Produktionsbedingungen zu beeinflussen?
Was man wissen muss
1. Die Arbeitswelt im 21. Jahrhundert
Neue Technologien, die Globalisierung und
der weltweite Datenhighway haben das Potential, die Arbeitswelt tiefgreifender zu verändern als die industrielle Revolution. Die
fortschreitende Industrialisierung im 20. Jahrhundert hat zum zunehmenden Niedergang
der Landwirtschaft geführt, während die Bedeutung des Dienstleistungssektors gestiegen
ist. Die Liberalisierung des Weltmarktes sowie
die sogenannte Cyber-Revolution haben die
Möglichkeiten innerhalb der globalen Wirtschaft immens erweitert.
Diese neue globale Wirtschaft verlangt hoch
spezialisierte DienstnehmerInnen, die ausgezeichnet ausgebildet, flexibel und hoch motiviert sind und sich schnell und effektiv den
neuen Arbeitsmarktbedingungen anpassen
können. Die ArbeiterInnen müssen im Lichte
der sich ständig weiterentwickelnden Technologien und der strukturellen Veränderungen
in der Lage sein, mit steigendem Stress und
sich ständig ändernden Arbeitsbedingungen
umzugehen. Immer mehr Menschen arbeiten
Teilzeit, sind selbstständig oder mit instabilen
Arbeitsbedingungen („prekäre Beschäftigungsverhältnisse“) konfrontiert. Die Globalisierung
fördert soziale Unterschiede zwischen jenen,
die Dank ihrer Ausbildung, ihrer Fähigkeiten
und ihrer Mobilität in der Lage sind, die Vor-
teile der neuen Weltwirtschaft zu nutzen und
sich zu integrieren, und jenen, die das nicht
sind. Diese neuen Ungleichheiten und Unsicherheiten führen letztlich zu Spannungen
zwischen den verschiedenen sozialen Schichten der Gesellschaft.
Erhöhter Wettbewerb, Ergebnis der Liberalisierung des Handels und der Finanzsysteme,
übt einen extrem hohen Druck auf Firmen
aus, ihre Produktionskosten zu senken. Um
dieses Ziel zu erreichen, senken viele Firmen
die Kosten für den Faktor „Arbeit“, indem sie
ihre Betriebe automatisieren und ArbeiterInnen teilweise überflüssig machen. Alternativ
verlagern sie ihre Produktion in Niedriglohnländer. Um als Wirtschaftsstandort attraktiv
zu bleiben, haben viele Länder ein Interesse
daran, die Lohn- und Arbeitsstandards zu
drücken. Allzu oft sind Ausbeutung, Zwangsund Kinderarbeit die Folge. Das Phänomen
„Globalisierung“ beeinträchtigt Menschen in
allen Teilen der Welt, während die positiven
Effekte nur einigen Wenigen zugute kommen.
Regierungen haben immer weniger Einfluss
und Möglichkeiten, die negativen Effekte der
sinkenden Handelsschranken auszugleichen.
Grund dafür sind hauptsächlich die neuen
Global Players: die multinationalen Konzerne.
Die soziale Dimension der Globalisierung
wird in zunehmendem Ausmaß ein Hauptanliegen der internationalen Politik. Mehr
31 9
320
A rbeit
denn je ist es wichtig und bedeutsam, soziale
Standards und Menschenrechte auf internationaler Ebene zu stärken und zu fördern, um
soziale Stabilität, Frieden und Entwicklung
zu gewährleisten und der globalen Wirtschaft
ein menschliches Antlitz zu geben. Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) hat die
sogenannte World Commission on the Social
Dimension of Globalization ins Leben gerufen,
die im Februar 2004 den Bericht Eine faire Globalisierung. Chancen für alle schaffen herausgegeben hat. Follow-up-Aktivitäten zu diesem
Bericht finden Sie auf der Internetseite der
IAO: http://www.ilo.org/fairglobalization
Arbeit und Menschliche Sicherheit
Das Recht auf Arbeit als Menschenrechtsstandard geht weit über die bloße
Sicherstellung des Überlebens hinaus, da
die Befriedigung der Grundbedürfnisse
nicht ausreicht, um Menschliche Sicherheit zu verbessern. Arbeit soll nicht nur
das Überleben und Wohlergehen der/
des Einzelnen sichern, sondern hat auch
etwas mit der eigenberechtigten Teilnahme der Einzelperson am sozialen und gesellschaftlichen Leben zu tun. Arbeit ist
des Weiteren eng mit Selbstbestimmung,
Selbstwertgefühl, Selbstverwirklichung
und somit mit menschlicher Würde verbunden. Gefährliche, ungesunde und
unfaire Arbeitsbedingungen, Arbeitslosigkeit und die Verweigerung der Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit
(Gewerkschaften!) können sehr leicht
zu Aufruhr und persönlicher Unsicherheit und dadurch zu Instabilität in der
Gesellschaft führen. Aus diesen Gründen
ist die Förderung von Standards für angemessene Arbeitsbedingungen, frei von
Ausbeutung, für die Erhöhung Menschlicher Sicherheit unbedingt erforderlich.
Ein Blick in die Geschichte soll zeigen,
wie die Welt der Arbeit eine menschliche Dimension erlangt hat
Soziale Gerechtigkeit und angemessene
Arbeitsbedingungen sind für die Förderung von Frieden und Entwicklung unerlässlich, während Ungerechtigkeit, Not
und Entbehrungen im Zusammenhang
mit Arbeit oft Ursache für Unruhen und
Aufstände sind.
Die Erkenntnis, dass Arbeit und faire Arbeitsbedingungen eine Vorbedingung für
menschliche Würde darstellen, ist Resultat der Kämpfe der ArbeiterInnen für ihre
Rechte. Rechte der ArbeiterInnen werden
auf internationaler Ebene seit 1919 von
der IAO formuliert und seit dem Zweiten
Weltkrieg auch von der UNO als Menschenrechte niedergeschrieben.
18. Jahrhundert: Die Idee, dass Arbeit
ein fundamentales Recht aller Mitglieder der Gesellschaft ist, wurde erstmals
in der Französischen Revolution formuliert. Charles Fourier, Utopist und Sozialphilosoph, war der erste, der den Begriff
„Recht auf Arbeit“ verwendete und die
Bedeutung von Arbeit für das soziale
und psychische Wohlbefinden des Einzelnen betonte. Er vertrat die Meinung,
dass der Staat die Verpflichtung habe,
gleiche Möglichkeiten für alle zur Verfügung zu stellen und schloss daraus, dass
die Verwirklichung dieses Rechts eine
grundlegende Reorganisation der Gesellschaft verlange. Dieser Ansicht begegnet
man wieder in den Gedanken zum Recht
auf Arbeit in sozialistischen Theorien,
und auch kommunistische Regierungen
förderten diese Idee. Dementsprechend
kann man also sagen, dass das Recht auf
Arbeit einer „sozialistischen Tradition“
entstammt.
arbeit
Die Industrielle Revolution ließ eine ArbeiterInnenklasse entstehen, eine soziale
Gruppe, die aufgrund fehlender Produktionsmittel auf Lohnarbeit angewiesen
war. Die ArbeiterInnen wurden ausgenutzt und litten unter lebensgefährlichen
Arbeitsbedingungen in den Fabriken,
Webereien und Minen. Die Verarmung
der ArbeiterInnen erzeugte ein Gefühl
der Solidarität, und sie begannen, sich
zu organisieren (Karl Marx: „Proletarier
aller Länder, vereinigt euch!“).
Die Stimmen der ArbeiterInnen wurden
zunehmend lauter, und ihre erbärmliche Lage wurde zunehmend in der Öffentlichkeit problematisiert. Durch den
Druck der ersten Gewerkschaften wurden in vielen Ländern Reformgesetze zur
Arbeitszeit und zu den Arbeitsbedingungen erlassen. Fortgesetzte Aufstände/
Streiks zwangen indessen Fabriksbesitzer wie Regierungen, weitgreifendere
Maßnahmen ins Auge zu fassen.
20. Jahrhundert: Einige Industrielle
schlugen die Einrichtung von internationalen Standards vor, um die Wettbewerbsvorteile von Staaten, welche die
Arbeitsstandards ignorierten, zu vermeiden. So wurden 1905 und 1906 die beiden ersten internationalen Abkommen
zur Arbeit angenommen. Initiativen, die
den Entwurf und die Annahme weiterer
Konventionen zum Ziel hatten, wurden
durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs gestoppt.
Der Friedensvertrag von Versailles erkannte schließlich die wechselseitige
Beziehung und Abhängigkeit von Arbeitsbedingungen, sozialer Gerechtigkeit
und universellem Frieden auf internationaler Ebene an, indem die Gründung
der IAO als Mechanismus zur Setzung
internationaler Standards im Bereich der
Arbeit vereinbart wurde.
1919 bis 1933 entwarf die IAO 40 Abkommen, die eine große Bandbreite von arbeitsbezogenen Themen umfassen. Der
Börsenkrach von 1929, auch bekannt als
„Schwarzer Freitag“, führte zu einem
ernsten Rückschlag. Er verursachte eine
ausgedehnte wirtschaftliche Rezession,
begleitet von enormer Arbeitslosigkeit.
Demonstrationen und Aufstände von Arbeitslosen waren die Folge. In Deutschland trug die Wirtschaftskrise nicht
unwesentlich zum Aufstieg Hitlers und
damit letztlich zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs bei.
Nach dem Zweiten Weltkrieg: Die Vereinten Nationen berücksichtigten fortan
konsequent wirtschaftliche und soziale
Belange in ihren Zielen und Programmen für eine neue Weltordnung, um eine
derartige Situation in Zukunft zu verhindern. Der Zusammenhang von Arbeit
und menschlicher Würde wurde in der
„Erklärung über die Ziele und Zwecke
der Internationalen Arbeitsorganisation“
(Declaration Concerning the Aims and
Purposes of the International Labour Organisation) hervorgehoben, die 1944 als
„Erklärung von Philadelphia“ angenommen und 1946 in die Verfassung der IAO
inkorporiert wurde. Sie hält fest, dass
„Arbeit keine Ware“ ist und dass „alle
Menschen (...) das Recht haben, sowohl
ihr Wohlbefinden als auch ihre geistige
Entwicklung in Freiheit und Würde unter
Bedingungen der wirtschaftlichen Sicherheit und der gleichen Möglichkeiten verfolgen zu dürfen.“
Dies wurde auch in der päpstlichen Enzyklika „Laborem Exercens“ von 1981
festgehalten, welche aus einer philoso-
3 21
322
A rbeit
phischen und religiösen Sichtweise heraus die Position der ArbeiterInnen als
Subjekte und nicht als Objekte bekräftigte.
Weltweit wurde, sowohl von der IAO als
auch von Seiten der Vereinten Nationen,
viel für die Verbesserung des Schicksals
von ArbeitnehmerInnen getan. Dennoch
sind heute, im Lichte der globalisierten
Wirtschaft, neue Herausforderungen und
neue Unsicherheiten aufgetaucht, die
neue und komplexere Lösungsansätze
verlangen.
2. Definition und Beschreibung
des Themas
Die Beispiele von Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Arbeit reichen
von Kinderarbeit in Kohlebergwerken über
inhaftierte GewerkschafterInnen bis zu moderner Sklaverei wie beispielsweise Schuldarbeit, Frauenhandel und kommerzielle
sexuelle Ausbeutung von Kindern. Der Menschenrechtsschutz beschäftigt sich aber auch
mit schlechten Arbeitsbedingungen wie ungesunden und gefährlichen Arbeitsumfeldern
oder ausbeuterischen Arbeitszeiten. Auch der
„Anständige Arbeit ist heutzu­tage
ein globaler Anspruch, der die
Führungskräfte in Politik und
Wirtschaft fordert. Ein Großteil unserer gemeinsamen Zukunft hängt
davon ab, wie man dieser Herausforderung begegnet.“ (Übersetzung)
IAO. 1999.
Schutz von besonders verletzlichen Gruppen
in der Arbeitswelt, wie zum Beispiel Frauen
und ArbeitsmigrantInnen, ist ein Menschenrechtsthema. Letztendlich muss aber auch
der Zusammenhang zwischen menschlicher
Würde, Menschlicher Sicherheit und fairen
Arbeitsbedingungen diskutiert werden.
Im Folgenden werden die beiden großen internationalen Mechanismen für den Schutz des Rechts
auf Arbeit sowie der Arbeitsrechte vorgestellt:
das System der IAO und jenes der „Internationalen Charta der Menschenrechte“ (Menschenrechtserklärung, Zivil- und Sozialpakt).
Internationale Arbeitsgesetzgebung
Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO)
wurde 1919 aufgrund der immer größer werdenden Besorgnis um Sozialreformen nach
dem Ersten Weltkrieg gegründet. Grundlage
der IAO ist die Überzeugung, dass Armut eine
Gefahr sowohl für das Wohlbefinden der Einzelperson als auch für die weltweite Sicherheit
darstellt. Die IAO zielt darauf ab, die Arbeitsbedingungen für alle arbeitenden Menschen
weltweit ohne Diskriminierung aufgrund von
„Rasse“, Geschlecht oder sozialer Herkunft
zu verbessern. 1947 wurde die IAO zur Sonderorganisation der Vereinten Nationen. 1969
bekam sie für ihre Arbeit den Friedensnobelpreis.
Unter den Sonderorganisationen der Vereinten
Nationen nimmt die IAO aufgrund ihrer dreigeteilten Struktur eine Sonderstellung ein,
da die Entscheidungen, die von ihren Organen
getroffen werden, die Ansichten der ArbeitgeberInnen, der ArbeitnehmerInnen und auch
der Regierungen widerspiegeln.
Die IAO
• formuliert Empfehlungen an die Politik, um
Menschenrechte zu fördern, Arbeits- und
Lebensbedingungen zu verbessern und Anstellungsmöglichkeiten zu erhöhen;
• etabliert internationale Standards (Konven-
arbeit
Ratifikation der IAO-Kernübereinkommen
(Stand: 1.11.2008)
Prinzip
Konvention
Vereinigungsfreiheit und Schutz des
Vereinigungsrechtes und das Recht
zu Kollektivverhandlungen
Konvention 87 (1948)
Konvention 98 (1949)
149
159
Mindestarbeitsalter und Verbot der
schlimmsten Formen der Kinderarbeit
Konvention 138 (1973)
Konvention 182 (1999)
151
169
Verbot der Zwangsarbeit
Konvention 29 (1930)
Konvention 105 (1957)
173
169
Konvention 100 (1951)
Konvention 111 (1958)
166
168
Gleichheit des Entgelts und Verbot
der Diskriminierung in Beruf und
Beschäftigung
Staaten
Quelle: IAO. 2008.
tionen und Empfehlungen) und überwacht
deren nationale Umsetzung;
• leitet ein ausgedehntes Programm zur technischen Kooperation, um die Länder bei
der effektiven Umsetzung ihrer Politik zu
unterstützen.
Die IAO hat mittlerweile über 180 Konventionen verabschiedet, in denen Standards in den
Bereichen Arbeit, berufliche Sicherheit und
Gesundheit, soziale Sicherheit, Anstellungspolitik und berufliche Aus- und Weiterbildung
sowie Schutz von Frauen, MigrantInnen und
indigenen Völkern aufgestellt wurden.
Nur eine Handvoll der Konventionen der IAO
werden aber tatsächlich als grundlegende
Menschenrechtskonventionen angesehen.
Oben angeführt finden Sie eine Liste dieser
wichtigen IAO-Konventionen, gemeinsam mit
ihrem Ratifikationsstatus.
Als Antwort auf die neuen Herausforderun-
gen durch die Globalisierung verabschiedete
die IAO am 18. Juni 1998 die „Erklärung über
die grundlegenden Prinzipien und Rechte
bei der Arbeit und ihre Folgemaßnahmen“.
Sie definiert genauestens, welche Arbeitsstandards oder ArbeiterInnenrechte als grundlegend angesehen werden, namentlich die
Kernkonventionen der IAO, wie sie in der obigen Tabelle angeführt sind. Die Erklärung stellt
einen ersten wichtigen Schritt in Richtung internationaler Bemühungen dar, den neuen
Herausforderungen zu begegnen. Sie zeigt
das Engagement der Staaten um gemeinsame
Werte, die das „soziale Minimum“ darstellen.
Die Deklaration bindet alle IAO-Mitglieder
unabhängig davon, ob sie die in Frage kommenden Konventionen ratifiziert haben. Staaten, die Kernkonventionen nicht ratifiziert
haben, sind dazu aufgefordert, Berichte über
den Fortschritt in der Umsetzung der in der
Deklaration festgehalten Prinzipien zu verfassen. Tatsächlich hat diese Deklaration zu ei-
323
324
A rbeit
nem beachtlichen Anstieg der Ratifikationen
der IAO-Kernübereinkommen geführt. Per 1.
November 2008 haben 130 der 182 Mitglieder
der IAO alle acht Konventionen ratifiziert.
Die IAO veröffentlicht alle vier Jahre einen Bericht über die Fortschritte in der Umsetzung
der fundamentalen Prinzipien in allen Staaten, der als Maßstab für die Effektivität der
ergriffenen Maßnahmen dient.
Arbeitsbezogene Menschenrechte
in der Internationalen Charta
der Menschenrechte
(AEMR und Menschenrechtspakte)
Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte enthält verschiedene arbeitsbezogene
Menschenrechte. All diese Rechte wurden in
Konventionen weiter entwickelt und dadurch
für die Vertragsstaaten verbindlich. Unten angeführt finden Sie einen Auszug der AEMR
mit jenen Themen, die in Folge genauer beschrieben werden.
„Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden … Jeder
Mensch hat das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit zu friedlichen Zwecken … Jeder Mensch hat das
Recht auf Arbeit, auf freie Berufswahl,
auf angemessene und befriedigende Arbeitsbedingungen sowie auf Schutz gegen
Arbeitslosigkeit. Alle Menschen haben
ohne jede unterschiedliche Behandlung
das Recht auf gleichen Lohn für gleiche
Arbeit. Jeder Mensch, der arbeitet, hat
das Recht auf angemessene und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner
Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert und
die, wenn nötig, durch andere soziale
Schutzmaßnahmen zu ergänzen ist. Je-
der Mensch hat das Recht, zum Schutze
seiner Interessen Berufsvereinigungen
zu bilden und solchen beizutreten. Jeder
Mensch hat Anspruch auf Erholung und
Freizeit sowie auf eine vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit … Jeder Mensch
hat Anspruch auf eine Lebenshaltung,
die seine und seiner Familie Gesundheit
und Wohlbefinden gewährleistet ... hat
das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität ...
oder anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel ...“
Art. 4, 20, 23, 24 und 25, Allgemeine
Erklärung der Menschenrechte.
Der Internationale Pakt über bürgerliche
und politische Rechte (Zivilpakt/IPBPR)
Verbot der Sklaverei
„Niemand darf in Sklaverei gehalten
werden ... Niemand darf gezwungen
werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu
verrichten.“
Art. 8, Zivilpakt.
Obwohl allgemein abgelehnt und verurteilt,
existieren Zwangsarbeit und Sklaverei noch
heute in verschiedenen Ausformungen. Sehr
oft sind sie tief verwurzelt in ideologischen
Anschauungen und im Vermächtnis traditioneller und kultureller Einstellungen. Laut IAO
gibt es eine auffallende Verbindung zwischen
Zwangsarbeit, Sklaverei und undemokratischen Strukturen. Millionen von Männern,
Frauen und Kindern werden weltweit gezwungen, ein Leben als SklavInnen zu führen. Auch wenn deren Ausbeutung oft nicht
als Sklaverei bezeichnet wird, sind die Bedingungen dieselben. Ein/e Sklave/Sklavin wird:
arbeit
• mittels psychischer oder physischer Bedrohung zur Arbeit gezwungen;
• kontrolliert von einer/m „ArbeitgeberIn“,
üblicherweise durch mentalen oder physischen Missbrauch oder angedrohten Missbrauch;
• unmenschlich behandelt, wie eine Ware
gekauft und verkauft, als „Eigentum“ angesehen;
• physisch eingeschränkt oder in ihrer/seiner
Bewegungsfreiheit begrenzt.
Quelle: Anti-Slavery International.
http://www.antislavery.org/homepage/antis
lavery/modern.htm
Welche Arten von Sklaverei
existieren heute?
Schuldknechtschaft betrifft mindestens 20 Millionen Menschen überall auf
der Welt. Menschen geraten in Schuldknechtschaft, indem sie einen Kredit
aufnehmen, wobei dieser Kredit oft nicht
mehr als die Kosten für die medizinische
Versorgung eines kranken Kindes beträgt. Um den Kredit zurückzuzahlen,
sind sie gezwungen, viele Stunden, sieben Tage die Woche, 365 Tage im Jahr zu
arbeiten. Sie erhalten im Gegenzug dafür Grundnahrungsmittel und einfachste
Unterkunft als „Bezahlung“ für ihre Arbeit, sind aber niemals in der Lage, ihren
Kredit zurückzuzahlen, der über Generationen weiter gegeben werden kann.
Zwangsarbeit betrifft Menschen, die von
Regierungen, politischen Parteien oder
Privaten illegal angeworben und zur Arbeit gezwungen werden – üblicherweise
unter Androhung von Gewalt oder anderen Strafen.
Schlimmste Formen von Kinderarbeit
sind als Sklaverei zu bezeichnen, wenn
die Kinder unter ausbeuterischen oder
gefährlichen Bedingungen arbeiten müssen. Millionen von Kindern weltweit arbeiten Vollzeit, während ihnen Bildung
und Erholung, unerlässlich für ihre persönliche und soziale Entwicklung, vorenthalten werden.
In Fällen von kommerzieller sexueller
Ausbeutung von Kindern werden Kinder
mittels Prostitution, Menschenhandel
und Pornografie für kommerzielle Zwecke ausgenützt. Sie werden oft gekidnappt oder verkauft und gezwungen, auf
dem Sexmarkt zu dienen.
Menschenhandel umfasst den Transport
von und den Handel mit Menschen, üblicherweise Frauen und Kindern, unter
Anwendung von Gewalt oder Täuschung
mit dem Ziel, wirtschaftlichen Gewinn
zu erzielen. Gerade MigrantInnen werden sehr oft betrogen und zu Hausarbeit
oder Prostitution gezwungen.
Frühe Ehen und Zwangsverheiratungen betreffen Frauen und Mädchen, die,
ohne eine Wahl zu haben, verheiratet
und so zu einem Leben in Knechtschaft,
oft begleitet von physischer Gewalt, gezwungen werden.
Traditionelle Sklaverei beinhaltet den
Kauf und Verkauf von Menschen. Sie werden oft aus ihrer Heimat entführt, vererbt
oder als Geschenk weiter gegeben.
Quelle: Anti-Slavery International.
http://www.antislavery.org/homepage/
antislavery/modern.htm
Aus dem IAO-Bericht „Eine globale Allianz
gegen Zwangsarbeit“ aus dem Jahr 2005 geht
hervor, dass heutzutage zumindest 12,3 Millionen Menschen weltweit Opfer von Zwangsarbeit sind. 9,8 Millionen davon werden von
privaten AkteurInnen ausgebeutet, unter
325
326
A rbeit
ihnen 2,4 Millionen in Zwangsarbeit infolge
Menschenhandels. Weitere 2,5 Millionen werden vom Staat oder von Rebellengruppen zur
Arbeit gezwungen.
Internationaler Pakt über wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Rechte (Sozialpakt/
IPWSKR)
Das Recht auf Arbeit
„Die Vertragsstaaten erkennen das Recht
auf Arbeit an, welches das Recht jedes
Einzelnen auf die Möglichkeit, seinen
Lebensunterhalt durch frei gewählte oder
angenommen Arbeit zu verdienen, umfasst, und unternehmen geeignete Schritte zum Schutz dieses Rechts.“
Art. 6, Sozialpakt.
Arbeit: Recht oder Verpflichtung?
Warum brauchen wir ein Menschenrecht für
etwas, das eigentlich eine Pflicht ist, und das
Druck, Belastung, mentale oder physische
Anstrengung bedeutet? Diese negativen Assoziationen zum Thema Arbeit stiften immer
wieder Verwirrung bezogen auf das Konzept
„Recht auf Arbeit“. Arbeit ist eng mit menschlicher Würde und der Teilnahme der/s Einzelnen an der Gesellschaft verbunden, während
Arbeitslosigkeit zu ernsten Frustrationen und
sogar Depressionen führen kann. Arbeit kann
auch Mittel zur Selbstverwirklichung sein und
trägt zur Entwicklung der eigenen Persönlichkeit bei.
Das Recht auf Arbeit stellt sicher, dass niemand per se aus der Arbeitswelt ausgeschlossen werden kann. Im engeren Sinn umfasst
das Recht den Zugang zur Arbeit, beinhaltet
aber im weiteren Sinne auch den Schutz vor
unfairer Entlassung. Dennoch enthält es keine Garantie auf Arbeit, und tatsächlich existiert Arbeitslosigkeit in allen Staaten der Welt.
Regierungen sind jedoch verpflichtet, durch
ihre nationale Arbeitsmarktpolitik alle erforderlichen Maßnahmen für die volle Verwirklichung des Rechts auf Arbeit zu treffen (Art. 2
des Sozialpaktes).
Das Recht auf gerechte und angemessene
Arbeitsbedingungen
„Die Vertragsstaaten erkennen das Recht
eines jeden auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen an, durch die insbesondere gewährleistet wird … angemessener
Lohn und gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit ohne Unterschied; ein angemessener Lebensunterhalt ... sichere und
gesunde Arbeitsbedingungen ... gleiche
Möglichkeiten für jedermann, in seiner
beruflichen Tätigkeit aufzusteigen ... Arbeitspausen, Freizeit, eine angemessene
Begrenzung der Arbeitszeit.“
Art. 7, Sozialpakt.
Diese Bestimmung sieht unter anderem ein
Mindestgehalt, das ein angenehmes Leben
ermöglicht, sowie gerechte und angemessene
Arbeitsbedingungen vor. Sie ist eng an eine
große Anzahl von IAO-Übereinkommen angelehnt, die vom Ausschuss über wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Rechte zur Konkretisierung der in Art. 7 genannten Staatenverpflichtungen verwendet werden.
Das Recht, Gewerkschaften zu bilden und
ihnen beizutreten
„Die Vertragsstaaten verpflichten sich,
das Recht einer/s jeden zu gewährleisten, zum Schutz seiner wirtschaftlichen
und sozialen Interessen Gewerkschaften
arbeit
zu bilden, der Gewerkschaft seiner Wahl
beizutreten sowie zu streiken.“
Art. 8, Sozialpakt.
Sich zu organisieren war von jeher eine Möglichkeit für Menschen, ihre Sicherheit zu erhöhen, sei dies nun am Arbeitsplatz, innerhalb
ihrer Gemeinde oder ihrer Nation.
Art. 8 des Sozialpaktes ist eng mit dem Recht
auf Versammlungsfreiheit verknüpft. Das
Recht auf kollektive Tarifverhandlungen setzt
das Recht auf Versammlungsfreiheit in der
Arbeitswelt effektiv um. Diese Rechte werden
als besonders wichtig angesehen, da sie oft
der Schlüssel für die Verwirklichung anderer
fundamentaler Rechte und Ansprüche in der
Arbeitswelt sind. Dennoch wird ihnen nicht
immer dieselbe öffentliche Anteilnahme wie
zum Beispiel dem Kampf gegen Kinderarbeit
entgegengebracht.
Gleichbehandlungs- und
Nicht-Diskriminierungsrechte
Spricht man von arbeitsbezogenen Rechten,
kann eine Beschäftigung mit den Prinzipien der
Nicht-Diskriminierung und der Gleichbehandlung nicht ausbleiben. Die Regeln der NichtDiskriminierung und der Gleichbehandlung
durchdringen den gesamten Bereich der sozialen Rechte. Besondere Aufmerksamkeit kommt
jenen Rechten zu, die die Gleichbehandlung
von Frauen am Arbeitsmarkt betreffen.
Menschenrechte der Frau
Ein wichtiger Meilenstein hin zur Gleichberechtigung von Frauen im Zugang zu wirtschaftlichen Möglichkeiten war 1979 die
Annahme der UNO-Konvention über die Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der
Frau (CEDAW), eines internationalen Instruments, das auch die Fortpflanzungsrechte der
Frau beinhaltet. Um Diskriminierungen gegen
Frauen auf Grund von Heirat oder Mutterschaft zu vermeiden und ihr Recht auf Arbeit
zu gewährleisten, sollen die Vertragsstaaten
Entlassungen aufgrund von Schwangerschaft
oder Mutterschaft verbieten. Darüber hinaus
sollen sie bezahlten Mutterschaftsurlaub oder
vergleichbare soziale Leistungen ohne Verlust
des Arbeitplatzes einführen.
Verpflichtungsgrade
Die Effektivität internationaler Instrumente
ist immer von den getroffenen Umsetzungsmaßnahmen abhängig. Die Verpflichtungen
der Staaten zu den genannten Rechten sehen
folgendermaßen aus:
• Die Verpflichtung zum Respekt
Die grundlegendste Verpflichtung ist, dass
die Staaten das Verbot von Sklaverei und
Zwangsarbeit respektieren. Ein anderer
wichtiger Aspekt ist die Anerkennung der
Versammlungsfreiheit und des Rechts, Gewerkschaften zu gründen und ihnen beizutreten. Diese Rechte werden immer wieder
verletzt, weil sie die Möglichkeit in sich bergen, den Staat zur Implementierung anderer
wichtiger ArbeiterInnenrechte zu zwingen.
• Die Verpflichtung zum Schutz
Die Vertragsstaaten sind dazu verpflichtet,
Mindeststandards festzulegen, unter welche die Arbeitsbedingungen keiner Arbeiterin/keines Arbeiters sinken dürfen. Das
Recht auf Arbeit fordert darüber hinaus den
Schutz vor unfairen Entlassungen und den
von den Vertragsstaaten sicherzustellenden
Schutz vor Diskriminierung im Bereich des
Zugangs zur Arbeit.
• Die Verpflichtung zur Förderung
Staaten sind verpflichtet, den Zugang zu Arbeit durch eine aktive Arbeitsmarktpolitik,
berufliche Beratung sowie Trainings- und
Weiterbildungsmöglichkeiten zu fördern.
327
328
A rbeit
• Die Verpflichtung zur Erfüllung
Obwohl das Recht auf Arbeit diesbezüglich oft missverstanden wird, verlangt es
keinesfalls vom Staat, jeder/m einen Job
zu garantieren, fordert aber die jeweiligen
Staaten sehr wohl dazu auf, eine Politik zu
verfolgen, die eine konstante wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung sowie produktive Arbeit ermöglicht.
3. Interkulturelle Perspektiven
und strittige Themen
Umsetzungsbemühungen müssen stets unter
sorgsamer Berücksichtigung nationaler Unterschiede institutioneller, kultureller und entwicklungstechnischer Natur erfolgen.
Die bekannte Parabel vom Fischer zeigt anschaulich, dass das Faktum „Arbeit“ in unterschiedlichen Kulturen verschiedenen Wert
hat, und dass Maßnahmen, die Arbeitsstandards ändern sollen, dementsprechend sorgfältig bedacht werden müssen.
Parabel: Der Fischer
Eines späten Morgens lag ein Fischer an
einem schönen Strand. Seine Netze waren vor ihm im Sand ausgebreitet, er genoss die Wärme der Sonne und blickte
hin und wieder auf die leuchtendblaue
Brandung.
Um diese Zeit kam ein Tourist den Strand
entlang spaziert. Er erblickte den am
Strand sitzenden Fischer und entschloss
sich herauszufinden, warum der Mann,
anstatt zu arbeiten und den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu verdienen, einfach nur faulenzte.
„Sie werden nicht sehr viele Fische auf
diese Art und Weise fangen“, sagte der
Tourist: „Sie sollten lieber härter arbeiten, als hier am Strand herumzuliegen!“
Der Fischer sah auf, lächelte und antwortete: „Und was hätte ich davon?“
„Nun ja, Sie könnten sich größerer Netze
zulegen und mehr Fische fangen!“ lautete die Antwort des Touristen.
„Und was hätte ich davon?“, fragte der
Fischer, noch immer lächelnd.
Der Tourist antwortete: „Sie würden viel
Geld machen und könnten sich ein Boot
leisten, was in Folge zu noch höherem
Fischfang führen würde!“
„Und was hätte ich davon?“, fragte der
Fischer wiederum.
Der Tourist begann, etwas irritiert von
den Fragen des Fischers, lauter zu werden: „Sie könnten ein noch größeres Boot
kaufen und einige Leute anstellen, die
dann für Sie arbeiten würden!“ sagte er.
„Und was hätte ich davon?“
Der Tourist wurde langsam ärgerlich:
„Verstehen Sie nicht? Sie könnten sich
eine Flotte von Fischerbooten aufbauen,
um die ganze Welt segeln und Angestellte
die Fische für Sie fischen lassen!“
Einmal mehr fragte der Fischer: „Und
was hätte ich davon?“
Der Tourist, rot vor Ärger, schrie den Fischer an: „Verstehen Sie denn nicht, dass
Sie so reich werden könnten, dass Sie nie
mehr wieder in Ihrem Leben arbeiten
müssten? Sie können den Rest Ihrer Tage
damit verbringen, an diesem Strand zu
sitzen und den Sonnenaufgang zu beobachten. Sie hätten keine Sorgen mehr auf
dieser Welt!“
Der Fischer, noch immer lächelnd, sah
auf und fragte: „Und was genau, glauben Sie, mache ich gerade jetzt?“
arbeit
4. Durchsetzung und Überwachung
Konventionen, die von den Staaten ratifiziert
wurden, sind bindend. Tatsächlich hängt die
Effektivität internationaler Instrumente aber
vom Willen der Staaten ab, sie durch nationale Gesetze in Kraft zu setzen und sich den
Überwachungsmechanismen zu unterwerfen.
Es gibt nur sehr eingeschränkte Sanktionsmöglichkeiten gegen Staaten, die gegen ihre
Verpflichtungen verstoßen, sehr oft hängt die
einzige Durchsetzungsmöglichkeit von der
Sorge eines Staates um seinen guten Ruf ab. In
der globalisierten Wirtschaft führten schwache Durchsetzungsmechanismen zum Ruf
nach einer Verbindung von Menschenrechten, im Speziellen Arbeitsrechten, mit dem
Handel. Dadurch entstünde die Möglichkeit,
Wirtschaftssanktionen gegen jene Staaten zu
verhängen, die internationale Standards verletzen. Dies ist aber höchst umstritten. Wirtschaftssanktionen würden Staaten zwar zu
Maßnahmen wie einem Verbot von Kinderarbeit zwingen, tatsächlich verlangen diese
Themen aber nach wesentlich komplexeren
Lösungen.
Für die Durchsetzung internationaler Standards
sehen die IAO und die UNO verschiedene Überwachungs- und Beschwerdesysteme vor.
Die Vertragsstaaten der IAO müssen periodische Berichte abgeben, die dann von einem
Sachverständigenkomitee (Committee of Experts on the Application of Conventions and
Recommendations) analysiert und kommentiert werden. Die Berichte dieses Ausschusses werden der jährlichen Konferenz der IAO
übermittelt. Obwohl diese Vorgehensweise als
recht zahnloses Instrument der Durchsetzung
erscheinen mag, lassen sich seit 1967 bereits
2000 Änderungen in nationalen Arbeits- und
Sozialgesetzgebungssystemen in über 130
Ländern darauf zurückführen!
Außer diesem Überwachungsmechanismus
sieht die IAO noch zwei Beschwerdesysteme
zur Implementierung von Arbeitsstandards
vor. Das erste ermöglicht es ArbeitgeberInnen- oder ArbeitnehmerInnenorganisationen,
eine Beschwerde gegen einen Mitgliedsstaat
einzureichen. Im zweiten System können
Mitgliedsstaaten Beschwerde gegen andere
Mitgliedsstaaten führen. Nach Eingang einer
Beschwerde wird eine Untersuchungskommission ernannt. Die Ergebnisse dieser Kommission werden dann den jeweiligen Regierungen
zugesandt.
Es gibt außerdem einen speziellen Ausschuss
für Vereinigungsfreiheit (Committee on Freedom of Association), der Anschuldigungen über
Verletzungen von Gewerkschaftsrechten untersucht. Beschwerde kann hier gegen jede Regierung geführt werden, egal ob sie das relevante
Übereinkommen unterzeichnet hat oder nicht.
Seit seiner Gründung 1950 konnte das Komitee
Erfolge erzielen, die von Gesetzesänderungen
über die Wiedereinstellung gekündigter ArbeitnehmerInnen bis zur Freilassung inhaftierter
GewerkschaftsvertreterInnen reichen.
Im UNO-System überwacht der Ausschuss
für wirtschaftliche, soziale und kulturelle
Rechte die ordnungsgemäße Umsetzung des
Sozialpaktes. Dieser Ausschuss wurde aber
nicht durch den Sozialpakt eingerichtet, sondern vom Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen 1985 mit der Überwachung der
Umsetzung des Paktes betraut. Er besteht aus
18 unabhängigen ExpertInnen. Im November
2005 erschien der Allgemeine Kommentar (General Comment) des Ausschusses zum Recht
auf Arbeit. Dieser konkretisiert den Inhalt des
Menschenrechts auf Arbeit und die daraus erwachsenden Pflichten für die Staaten.
Die Vertragsstaaten des Paktes haben alle fünf
Jahre einen Bericht einzureichen, worin die
gerichtlichen, politischen und anderen Maßnahmen, welche zur Gewährleistung der wirt-
329
330
A rbeit
schaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte
gesetzt wurden, enthalten sind. Erst nach
Analyse des Berichts durch den Ausschuss
und Diskussion desselben mit den VertreterInnen der Staaten formuliert der Ausschuss
seine abschließende Stellungnahme. Etliche
Male konnte der Ausschuss Verletzungen des
Paktes identifizieren und in der Folge die Staaten dazu anhalten, von weiteren Verletzungen
der betroffenen Rechte abzusehen.
Bis heute ist es aber Privatpersonen nicht
möglich, einzeln oder als Gruppe formale Beschwerden gegen eine Verletzung ihrer Rechte
vor dem Ausschuss einzubringen.
Was man wissen sollte
1. Good Practices
Internationales Programm zur Beseitigung
von Kinderarbeit (International Programme
for the Elimination of Child Labor/IPEC)
Die Internationale Arbeiterorganisation
(IAO) rief 1992 das International Programme for the Elimination of Child Labor (IPEC)
ins Leben. In Zusammenarbeit mit nationalen Regierungen und NGOs entwickelt IPEC
spezielle Programme zur effektiven Bekämpfung der Kinderarbeit. Diese Programme, mit
deren Hilfe Kinder aus dem Arbeitsverhältnis
herausgeholt werden, stellen sicher, dass den
Kindern stattdessen Bildungsprogramme zur
Verfügung gestellt und ihren Familien alternative Einkommensquellen erschlossen werden.
Bis heute ist es IPEC gelungen, seine operativen Aktivitäten von ursprünglich sechs auf
mittlerweile 88 Länder auszudehnen.
Im Jahr 2006 veröffentlichte die IPEC den Bericht „Das Ende der Kinderarbeit: zum Greifen nah“. In diesem Bericht, der unter www.
ilo.org/childlabour abgerufen werden kann,
werden die Ergebnisse statistischer Studien
präsentiert, denen zufolge die Kinderarbeit in
den Jahren 2000 bis 2004 um 11% zurückgegangen ist. Besonders erfreulich ist, dass der
Globale Trends der Erwerbstätigkeit von Kindern nach Region
2000 und 2004 (Altersgruppe 5 bis 14 Jahre)
Kinderpopulation
Religion
2000
2004
Erwerbstätige Kinder
2000
(Million)
Asien und der Pazifik
655,1
2004
Erwerbsquote
2000
(Million)
650,0
127,3
2004
(%)
122,3
19,4
18,8
Lateinamerika und Karibik
108,1
111,0
17,4
5,7
16,1
5,1
Afrika südlich der Sahara
166,8
186,8
48,0
49,3
28,8
26,4
Sonstige Regionen
Welt
Quelle: IAO. 2006.
269,3
258,8
18,3
13,4
6,8
5,2
1.199,3
1.206,6
211,0
190,7
17,6
15,8
arbeit
stärkste Rückgang, nämlich 33%, im Bereich
der gefährlichen Arbeit festzustellen ist.
„Rote Karte für Kinderarbeit“
In Partnerschaft mit der Afrikanischen Fußball-Konföderation und den Organisatoren des
Afrikanischen Nationencups (COCAN) verwirklichte IPEC anlässlich der Fußballmeisterschaft in Mali 2002,eine große Kampagne, um
das Bewusstsein für Kinderarbeit zu wecken.
Mittels der einfachen, aber klaren und direkten Botschaft „Rote Karte für Kinderarbeit“ –
verständlich für alle, die mit Fußball vertraut
sind – wurden weltweit viele Menschen auf
das Problem der Kinderarbeit aufmerksam gemacht. Die Kampagne verwendete eine Vielzahl von unterschiedlichen Medien – Videos,
populäre Musik, Printmedien, Fernsehen,
Radio, zwei internationale Fluglinien und die
Fußballspiele selbst –, um eine Million Menschen in Afrika und darüber hinaus zu erreichen. Verschiedenste Aktivitäten wurden in
21 afrikanischen Staaten veranstaltet, und die
nationalen Medien in vielen Ländern veröffentlichten die Kampagne. Allein in Kenia und
Sambia erreichte die Kampagne geschätzte 12
Millionen Menschen. In einigen afrikanischen
Ländern wie Ägypten und Ghana war der Enthusiasmus über die Kampagne so groß, dass
sie auch künftig ein Teil nationaler und lokaler
Fußballmeisterschaften sowie anderer öffentlicher Ereignisse sein wird.
Wussten Sie, dass ...
• global an die 317 Millionen Kinder im
Alter zwischen 5 und 17 arbeiten, und
davon 218 Millionen als KinderarbeiterInnen gelten?
• rund 58% von ihnen, das sind ca. 126
Millionen Kinder, unter gefährlichen
Bedingungen arbeiten?
• geschätzte 8,4 Millionen Kinder nach
Schätzungen der IAO unter Verletzung
der IAO-Konvention Nr. 182 über die
schlimmsten Formen der Kinderarbeit
beschäftigt werden, und dass
• darunter Zwangsarbeit (5,7 Millionen), bewaffnete Konflikte (0,3 Millionen), Prostitution und Pornographie
(1,8 Millionen) und kriminelle Aktivitäten (0,6 Millionen) fallen?
Quelle: http://www.ilo.org/childlabour
Verhaltenskodizes für Unternehmen
im Zusammenhang mit Arbeit und
Menschenrechten
Multinationale Konzerne können die Verantwortung für ihre Aktivitäten heutzutage nicht
mehr zurückweisen. Sowohl Konsumenten als
auch NGOs üben einen beachtlichen Druck auf
die Unternehmen, die Arbeitsbedingungen zu
verbessern, aus. Der vermehrte Druck führt
mittlerweile zur Annahme von Verhaltenskodizes für Unternehmen (codes of corporate conduct), die Menschenrechte, Arbeitsstandards
und auch Umweltbelange umfassen.
Bekannte Beispiele sind wahrscheinlich
die Levi Strauss and Co. Business Terms
of Engagement and Guidelines for Country Selection (Geschäftsbedingungen be­
züglich Anstellungen und Richtlinien
für die Länderauswahl) oder der Verhaltenskodex des Kleiderherstellers GAP
Inc., der Code of Vendor Conduct. Diese
Selbstbindungskodizes, welche sich an
die VertragspartnerInnen und LieferantInnen des Unternehmens richten, beinhalten unter anderem Standards für
berufliche Sicherheit und Gesundheit,
Versammlungsfreiheit, Gehälter und
3 31
332
A rbeit
Zuschüsse, Arbeitszeiten, nicht diskriminierende Einstellungsverfahren etc.
und sollen garantieren, dass die Produkte unter fairen Bedingungen produziert
wurden. Weitere Beispiele unter:
http://www1.umn.edu/humanrts/links/
sicc.html
Diese Bemühungen haben natürlich einen
positiven Effekt auf soziale Standards, orientieren sich in der Regel allerdings nicht an einem sehr hohen Niveau, wie es zum Beispiel
internationale
Menschenrechtsinstrumente
vorsehen, sondern lehnen sich eher an nationale Standards an. Darüber hinaus fehlt es
an effektiven Beobachtungs- und Überwachungssystemen. Oft handelt es sich um reine
Lippenbekenntnisse. Nichtsdestotrotz stellen
sie einen Schritt in Richtung erhöhter sozialer
Verantwortung dar.
NGOs, wie z.B. die Clean Clothes Campaign
(CCC) im Bekleidungssektor, evaluieren die
Bekenntnisse von internationalen Konzernen
zu höheren Standards im Bereich der fairen
Arbeitsbedingungen. Mehr Informationen finden Sie z.B. unter http://www.cleanclothes.
org sowie unter http://en.fairwear.nl
Etikettierung von Gütern
Mittlerweile wird vermehrt auf die Etikettierung von Gütern, die unter guten sozialen Bedingungen produziert wurden, gedrängt, da
dies einen Beitrag zu besseren Handelsbräuchen und den Schutz der Menschenrechte
leistet.
Die KonsumentInnen können durch ihre Kaufkraft verantwortungsvolle Produktionsmethoden und Good Practices unterstützen. Heute
gibt es Etikettierungsinitiativen in 17 Ländern,
vor allem in Europa und Nordamerika; die so
unterstützten Produkte reichen von Kaffee,
Trinkschokolade, Schokolade, Orangensaft
„Verbinden wir die Kräfte
des Marktes mit der Autorität
universeller Prinzipien.“
Kofi Annan, ehemaliger UNO-Generalsekretär.
über Tee, Honig bis zu Zucker und Bananen.
Rugmark zum Beispiel ist eine globale NonProfit-Organisation, deren Ziel es ist, Kinderarbeit zu unterbinden. Sie bieten Kindern in
Indien, Nepal und Pakistan Bildungsmöglichkeiten an. Ein Rugmark-Etikett garantiert
der/m KäuferIn, dass bei der Herstellung eines Teppichs oder einer Wolldecke keine illegale Kinderarbeit eingesetzt wurde.
Die Fairtrade Foundation
bemüht sich um bessere
Verhandlungs- und Handelsmöglichkeiten für benachteiligte und marginalisierte
ProduzentInnen in Ländern
des Südens. Die Foundation
verleiht Produkten, die den international anerkannten Standards für fairen Handel entsprechen, das so genannte FAIRTRADE-Zeichen.
Produkte mit diesem Label sind mittlerweile
in fast allen großen europäischen Supermarktketten erhältlich.
Global Compact
Der Global Compact („Weltweiter Pakt“)
basiert auf einer Idee des ehemaligen UNOGeneralsekretärs Kofi Annan, die er in einer
Ansprache vor dem Weltwirtschaftsforum
am 31. Jänner 1999 erstmals zum Ausdruck
brachte. Er rief die VertreterInnen der (Welt-)
Wirtschaft dazu auf, sich zu den universell
anerkannten Werten zu bekennen.
Bis zu diesem Zeitpunkt fehlte dem neuen
Trend zur unternehmerischen Verantwort-
arbeit
lichkeit ein internationaler Rahmen, um die
Unternehmen in der Entwicklung und Förderung eines globalen, auf Werten basierenden
Managements zu unterstützen. Der Global
Compact konnte diese Lücke schließen und
innerhalb der Wirtschaftswelt große Akzeptanz erzielen.
seine Umsetzbarkeit von einigen in Frage gestellt. KritikerInnen argumentieren, dass das
Fehlen von rechtlich durchsetzbaren Standards, von unabhängigen Beobachtungs- und
Durchsetzungsmechanismen und Probleme
der Auslegung von Standards Herausforderungen an die Effektivität der Initiative sind.
Im Wesentlichen werden zehn Grundsätze
in den Bereichen Menschenrechte, Arbeit und
Umweltschutz festgehalten. In Bezug auf Arbeit ist eine Verpflichtung zur Einhaltung der
grundlegendsten IAO-Arbeitsstandards enthalten:
• Vereinigungsfreiheit und
Schutz des Vereinigungs­
rechtes sowie das Recht
zu Kollektivverhandlungen;
• Abschaffung aller Formen von Zwangsarbeit und erzwungener
Arbeit;
• Abschaffung von Kinderarbeit;
• Beseitigung von Diskriminierung in Beruf
und Beschäftigung.
2. Trends
Die Website http://www.unglobalcompact.
org stellt Informationen über die Prinzipien
dieser Initiative sowie eine Liste der teilnehmenden Firmen zur Verfügung. Seit dem Start
schlossen sich hunderte Firmen, Institutionen
der Vereinten Nationen, Wirtschaftsverbände,
NGOs, Akademische Vereinigungen und staatliche Einrichtungen dem Global Compact an.
Exportproduktionszonen
(Export Processing Zones/EPZ)
Um ausländische Investoren anzuziehen,
richten immer mehr Länder sogenannte Exportproduktionszonen ein, die steuerliche
Vorteile bieten und niedrigere arbeits- und
umweltrechtliche Standards vorsehen.
Multinationale Konzerne profitieren von den
Niedriglöhnen. Die Arbeit in diesen Zonen ist
trotz der niedrigen Löhne begehrt, da sie immer noch höher bezahlt ist als entsprechende
Jobs außerhalb der Zone.
Die übrigen Arbeitsbedingungen wie Sicherheits- und Gesundheitsbestimmungen sind
hingegen wenig zufriedenstellend. Missachtung von Brandschutzbestimmungen, fehlende Erste-Hilfe-Ausrüstungen und unsichere
Maschinen sind nur einige der Probleme, die
in den EPZs auftreten. Dank steigender öffentlicher Aufmerksamkeit haben sich die Bedingungen zwar verbessert, Probleme gibt es
aber nach wie vor. Weltweit gibt es 845 EPZs
in über 100 Ländern, die an die 42 Millionen
Menschen beschäftigen, wovon ca. 30 Millionen in chinesischen EPZs arbeiten.
Quellen: IAO. www.ilo.org; UNDP. 2005.
UNDP Human Development Report 2005.
http://hdr.undp.org/en/reports/global/hdr2005
Global Compact stellt eine freiwillige Verpflichtung zur Einhaltung der Prinzipien dar.
Obwohl Global Compact breite Anerkennung
als Instrument zur Ermutigung von Firmen zu
verantwortungsvollem Handeln erfuhr, wird
Rückgang von Gewerkschaften
In einigen entwickelten Ländern hat der Anteil an Gewerkschaftsmitgliedern einen noch
nie dagewesenen Tiefstand erreicht. Im Jahr
2004 waren in den USA gerade 12,5% der
Die IAO unterstützt die Formulierung konkreter Maßnahmen zur effektiven Umsetzung
dieser Standards.
333
334
A rbeit
ArbeitnehmerInnen Mitglieder von Gewerkschaften.
Heute ist die Durchsetzungskraft von Gewerkschaften um einiges schwächer als in
der Vergangenheit. In den meisten Entwicklungsländern existiert kaum Freiheit zur
Gründung von Gewerkschaften; Hindernisse
verschiedenster Art und Weise werden den
ArbeiterInnen in den Weg gelegt, in manchen
Ländern hindern sogar Gewalt, Folter, willkürliche Verhaftungen und Tötungen die ArbeitnehmerInnen daran, sich gewerkschaftlich zu
vereinigen und ihre Rechte einzufordern.
sitive Entwicklung stellt das Inkrafttreten des
UNO-Übereinkommens zum Schutz der Rechte von Wanderarbeitern und ihren Familien im
Dezember 2002 dar, das ArbeitsmigrantInnen
weltweit bessere Chancen gewährt.
Zunehmende internationale Mobilität:
Migration von ArbeiterInnen
Heutzutage sind Gewalt und Armut die traurigen Gründe, die Millionen von Menschen
weltweit dazu zwingen, ihre Heimatländer
auf der Suche nach einer besseren Zukunft zu
verlassen. Grund für diese Entwicklung ist das
weiterhin zunehmende globale wirtschaftliche
Ungleichgewicht. Viel zu oft fallen ArbeitsmigrantInnen Diskriminierung und Ausbeutung
jeder Art zum Opfer.
Alles in allem gibt es an die 175 Millionen MigrantInnen, die 2,2% der Gesamtbevölkerung
ausmachen. Laut IAO-Statistiken aus dem Jahr
2004 sind über 100 Millionen MigrantInnen
ArbeiterInnen, davon wiederum ein großer
Prozentsatz Frauen (47,5%). Darüber hinaus
gibt es neben dieser geschätzten Zahl eine
steigende Anzahl an heimlichen oder illegalen
MigrantInnen, z.B. solche ohne Papiere (1015% aller MigrantInnen). Diese Zahlen werden weiter steigen, sollten die Ungleichheiten
in einer globalisierten Welt nicht angemessen
und wirkungsvoll bekämpft werden.
Jugend und Arbeit
… über 510 Millionen junge Frauen und
540 Millionen junge Männer leben nach
UNO-Schätzungen auf dieser Welt;
… das heißt, dass ungefähr ein Mensch
von fünf zwischen 15 und 24 Jahren alt
ist, oder der Anteil der Jugendlichen und
jungen Menschen ein Fünftel der Bevölkerung umfasst;
... wir leben heute in einer „jugendlichen“ Welt, wenn man bedenkt, dass
25% der Weltbevölkerung unter 25
sind;
… im Durchschnitt finden sich fast überall auf der Welt für jeden arbeitslosen
Erwachsenen zwei arbeitslose junge
Menschen;
… an die 70 Millionen junge Menschen
weltweit sind gemäß IAO arbeitslos;
… in so unterschiedlichen Ländern wie
Kolumbien, Ägypten, Italien und Jamaika ist mehr als einer von drei jungen
Menschen arbeitslos und bezeichnet
sich selbst als arbeitssuchend und/oder
als für Arbeit zur Verfügung stehend.
Die relevanten IAO-Übereinkommen über
WanderarbeiterInnen (Übereinkommen 97
und 143) wurden nur von wenigen Staaten
ratifiziert, da viele Staaten einen Eingriff in
ihre Einwanderungspolitik fürchten. Eine po-
Jugendarbeitslosigkeit
Eines der größten und wohl auch entmutigendsten Probleme, mit denen sich sowohl industrialisierte als auch Entwicklungsländer konfrontiert
sehen, ist die große und ständig wachsende
Zahl von arbeitslosen Jugendlichen.
Quelle: Vereinte Nationen. 2005.
http://www.un.org/esa/socdev/unyin/
wyr05.htm
arbeit
Laut IAO hat die Jugendarbeitslosigkeit seit
1993 stetig zugenommen. Damals lag die Arbeitslosenrate unter den Jugendlichen bei
11,7%. Im Jahr 2003 erreichte die Jugendarbeitslosigkeit mit 14,4% einen historischen
Höchststand, wobei die Regionen im Nahen
Osten und Nordafrika (25,6%) sowie in Afrika
südlich der Sahara (21%) am stärksten betroffen waren. Die niedrigsten Arbeitslosenraten
waren in Ostasien (7%) und in den Industriestaaten (13,4%) zu verzeichnen. Die kumulierte Jugendarbeitslosenrate der G8-Staaten betrug
15,1%, was einen Anstieg um 3,4% innerhalb
von zehn Jahren bedeutet.
Langzeitarbeitslosigkeit verursacht sozialen
Stress, und die Konsequenzen von Arbeitslosigkeit in der Jugend können sehr ernst sein.
So hängt Jugendarbeitslosigkeit oft mit sozialen
Problemen wie Gewalt, Verbrechen, Selbstmord,
Drogen und Alkoholmissbrauch zusammen und
lässt keinen Ausweg aus diesem Teufelskreis
zu. Effektive Jugendpolitik muss daher auf die
unterschiedlichen Fähigkeiten und Bedürfnisse
von Jugendlichen abzielen.
Die Vereinten Nationen, die IAO und die
Weltbank haben das sogenannte Youth Employment Network (Jugendbeschäftigungsnetzwerk) ins Leben gerufen, um das Problem
auf globaler Ebene zu bekämpfen.
Quelle: http://www.ilo.org/public/english/
employment/strat/yen/network/index.htm
HIV/AIDS und die Welt der Arbeit
AIDS ist ein Thema, das in allen Lebensbereichen eine Rolle spielt, jedoch im Zusammenhang mit Arbeit besondere Aufmerksamkeit
verdient.
Die IAO schätzt, dass heutzutage mehr als 26
Millionen ArbeiterInnen im Alter zwischen 18
und 64 HIV-positiv sind. In einigen afrikanischen Ländern gibt es über eine Million HIVpositive erwerbstätige Personen, so in Kenia
(1 Million), Mozambique (1,1 Millionen),
Äthiopien und Zimbabwe (je 1,3 Millionen),
Tansania (1,4 Millionen), Nigeria (2,4 Millionen) und Südafrika (3,7 Millionen).
Erst auf Grundlage dieser Zahlen wird klar,
welche Rolle HIV/AIDS in der Wirtschaft spielt.
Die Produktivität sinkt aufgrund längerer
Krankenstände und niedrigerer Belastbarkeit.
Daneben gefährdet HIV/AIDS die wirtschaftliche Existenz der ArbeiterInnen. Aus Angst
vor Verlust des Arbeitsplatzes, Stigmatisierung
und Diskriminierung verschweigt ein Großteil
der Infizierten die Erkrankung, was Prävention und angemessene Betreuung erschwert.
„Mehr als 40% der Arbeitslosen dieser Welt sind Jugendliche.
Geschätzte 65 Millionen junge Menschen sind heutzutage arbeitslos –
ein Anstieg um 10 Millionen seit 1965. Unterbeschäftigung ist ebenso ein
wachsendes Problem. Die Mehrheit neuer Jobs ist schlecht bezahlt und
unsicher. Zunehmend wenden sich junge Menschen für ihr Überleben an
den informellen Sektor, mit geringer oder nicht vorhandener Jobsicherheit,
ohne Versicherung oder ohne Zukunftsaussichten.“ (Übersetzung)
Kofi Annan, ehemaliger UNO-Generalsekretär. 2001.
335
336
A rbeit
Die IAO hat einen Verhaltenskodex zum Thema HIV/AIDS in der Welt der Arbeit veröffentlicht, der Richtlinien für den Umgang mit dem
Thema im Unternehmen, in der Gesellschaft
und auf nationaler Ebene setzt.
Quelle: IAO. 2004. HIV/AIDS and Work: Global Estimates, Impact and Response.
http://www.ilo.org/public/english/protection/trav/aids/publ/globalest.htm
Ausgewählte Übungen
Übung I:
Frauen – Kinder – Arbeit
Teil I: Einleitung
Diese Übung behandelt im Zuge eines Rollenspiels die Fortpflanzungsrechte der Frau
in Verbindung mit der Arbeitswelt. Fortpflanzungsrechte umfassen vor allem auch das
Recht auf freie Wahl, ob man Kinder haben
möchte oder nicht.
Teil II: Allgemeine Information
Art der Übung: Rollenspiel
Ziele: den TeilnehmerInnen Wesentliches
über die Fortpflanzungsrechte von Frauen zu
vermitteln; darüber hinaus Einsichten in die
Gefühle von Frauen, die auf Grund ihrer biologischen Determination diskriminiert werden. In diesem Zusammenhang sollen auch
Begriffe wie Gleichheit, Gerechtigkeit und
Verantwortlichkeit erörtert werden.
Zielgruppe: Jugendliche, Erwachsene
Gruppengröße: 1-25
Zeit: ungefähr 90 Minuten
Fertigkeiten: kritisches Denken, Meinungsbildung, sprachliche und empathische Fähigkeiten
Teil III: Spezifische Information
Beschreibung der Übung/Anleitung:
Szenario des Rollenspiels:
„Nahezu ein Jahr lang war Frau M. verzwei-
felt auf der Suche nach einer neuen Arbeit.
Vor zehn Tagen war sie endlich bei einem Einstellungsgespräch für ihren Traumjob. Alles
verlief zufriedenstellend, so dass ihr die ausgeschriebene Position auch tatsächlich angeboten wurde. Frau M. wurde zu einem weiteren
Treffen, diesmal mit Herrn W. aus der Personalabteilung, zur Unterzeichnung des Vertrags
eingeladen. Nachdem die beiden bereits die
allgemeinen Anstellungsmodalitäten besprochen hatten, eröffnete ihr Herr W., dass einer
der Jobanforderungen der Verzicht auf ein eigenes Kind, zumindest in den nächsten zwei
Jahren, wäre. Diese Zusage müsse sie schriftlich geben.“
Durchführung des Rollenspiels:
Die Großgruppe wird in kleinere Gruppen (4-6
TeilnehmerInnen) aufgeteilt. Jede Gruppe hat
zwanzig Minuten Zeit, ein mögliches Ende
des Rollenspiels zu erarbeiten. Das Rollenspiel
selbst soll mit dem Treffen zwischen Frau M.
und Herrn W. beginnen und nicht länger als
fünf Minuten dauern. Jede Kleingruppe präsentiert im Anschluss daran ihre Vorstellung.
Folgende didaktische Methoden können während der einzelnen Vorführungen zur Anwendung kommen:
Rollenwechsel: Ohne Vorankündigung wird die
Vorführung gestoppt, die DarstellerInnen tauschen ihre Rollen und setzen die Vorführung fort.
Das Ergebnis wird sorgfältig nachbesprochen.
arbeit
Wiederholung: Nach einem Rollenspiel wird
die Situationsangabe gewechselt (z.B.: Frau
M. ist nicht in der Lage, schwanger zu werden; sie ist bereits schwanger ...). Die DarstellerInnen sollen das Rollenspiel mit dieser
veränderten Situation nochmals durchführen.
Der Spielleiter/die Spielleiterin hält allfällige
Kommentare der TeilnehmerInnen für die spätere Diskussion fest.
Feedback: Zu Beginn werden Feedbacks von
jeder Kleingruppe eingeholt (Wie haben Sie
das Rollenspiel entwickelt? Warum dieser
Schluss? War es schwierig, eine Lösung zu
finden?). Im Anschluss daran wird über die
Probleme und Verwicklungen, die diesem Fall
innewohnen, diskutiert.
Diskussionsansätze: War irgendjemand von
dieser Situation überrascht? Welche möglichen Lösungen haben die Gruppen entwickelt
(Sind sie realistisch? Stärken/Schwächen der
Lösungsansätze? Ist es klüger, sich der Situation anzupassen, sich aggressiv oder unterwürfig zu verhalten?)?
• Welche Rechte haben Frauen in Ihrem
Land? Besonders im Falle einer Schwangerschaft: Evaluierung der Rechtssituation für
schwangere Frauen.
• Warum hat die Firma überhaupt diese Vorgabe gemacht? War das fair, verständlich
... ? Welchen Standpunkt könnte die Firma
hier einnehmen?
• Wurden Menschenrechte verletzt? Falls ja,
welche?
• Wäre Frau M. ein Mann, hätte dasselbe
passieren können?
• Wie sehen Männer diesen Fall? Anders als
Frauen? Falls ja, wie?
• Was kann getan werden, um die Fortpflanzungsrechte von Frauen zu stärken und zu
schützen?
Praktische Hinweise: Die Gruppe muss bereits verstanden haben, was man unter Fortpflanzungsrechten der Frau versteht. Unter
Umständen kann es sehr spannend sein,
gleichgeschlechtliche Kleingruppen zu bilden,
um provokantere Lösungen zu erhalten.
Variationsvorschläge: Zwei Freiwillige beginnen mit der Darstellung des Rollenspiels, der
Rest der Gruppe beobachtet. In regelmäßigen
Abständen wird die Vorführung unterbrochen,
und die TeilnehmerInnen kommentieren das
Geschehen. ZuschauerInnen und DarstellerInnen wechseln die Rollen, andere Charaktere
werden eingebracht (z.B. Ehemann, ein anderer Mitarbeiter der Firma, eine Frauenrechtlerin, jemand aus den Medien ...).
Die Gruppe führt Untersuchungen über die
Fortpflanzungsrechte in anderen Ländern
sowie im eigenen Land durch (Internetrecherche, Artikel sammeln, Interviews führen;
außerdem kann das Rollenspiel öffentlich
aufgeführt werden – ZuschauerInnen können
aufgefordert werden, daran teilzunehmen).
Verwandte Rechte und Themen: Soziale
Rechte, Geschlechtergleichbehandlung, Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit
Quelle: adaptiert aus: Compass. 2002. A Manual on Human Rights Education with Young
People. Straßburg: Europarat
Übung II: Wirtschaftliche Fairness
Teil I: Einleitung
Die ungleiche Verteilung von Reichtum und
Macht innerhalb von Gesellschaften beeinflusst im Regelfall die Möglichkeiten der/s
Einzelnen, ein Leben in Würde und im Sinne
der Menschenrechte zu führen. In dieser Fallstudie untersuchen die TeilnehmerInnen das
Konzept der „Fairness“ und reflektieren ihre
eigene Situation.
Teil II: Allgemeine Information
Art der Übung: Fallstudie
Ziele: Verbindungen zwischen der eigenen
337
338
A rbeit
Kleidung und den Menschen, die sie herstellen, zu ziehen; Frage nach der eigenen Verantwortung im weltweiten Wirtschaftsgefüge.
Zielgruppe: Jugendliche, Erwachsene
Gruppengröße: ungefähr 25
Zeit: ungefähr 90 Minuten
Materialien: Flipchart oder Tafel, Textmarker
oder Kreide, Diskussionsfragen auf Kärtchen,
Handout: T-Shirt-Mathematik
Fertigkeiten: Analyse-, Reflexions-, sprachliche Fähigkeiten; kritisches Denken
Teil III: Spezifische Information
Beschreibung der Übung/Anleitung:
T-Shirt-Mathematik (Handout)
Ein T-Shirt, das in den USA für $ 20 verkauft wird, wird von einem internationalen Konzern in einer Fabrik in El Salvador
hergestellt. Die Fabrik ist eine sogenannte
Maquiladora, eine in ausländischem Besitz stehende Fabrik, die ausschließlich
Güter für den Export herstellt. Die salvadorianischen ArbeiterInnen bekommen
für die Produktion der T-Shirts ungefähr
56 Cent in der Stunde. Im Durchschnitt
kann ein/e ArbeiterIn 4,7 Shirts pro Stunde fertigen.
1994 errechnete die Regierung El Salvadors, dass ein/e ArbeiterIn ungefähr das
vierfache von dem, was er/sie in einer Maquiladora verdient, brauchen würde, um
seine/ihre Familie erhalten zu können.
Das Handout wird ausgeteilt, die TeilnehmerInnen können die Fragen zu zweit oder
allein beantworten. Mit Hilfe der Informationen im Handout sollen die TeilnehmerInnen
Folgendes berechnen:
• Wie viel bekommt ein/e ArbeiterIn
pro erzeugtem T-Shirt?
• Falls der Lohn einer/s Arbeiter/Arbeiterin vervierfacht würde, wie viel
würde er/sie dann pro Stunde verdienen? Wie viel würde er/sie pro T-Shirt
verdienen? Wenn die Firma diese
Mehrkosten an die KonsumentInnen
weitergeben würde, wie viel würde
ein Shirt dann kosten?
• Wenn der Lohn einer/s Arbeiter/
Arbeiterin verzehnfacht würde: Wie
hoch wäre der Stundenlohn? Wie
viel würde ein/e ArbeiterIn pro TShirt verdienen? Wie viel würde
das Shirt die/den EndverbraucherIn kosten, wenn auch diese Kosten weitergeleitet werden würden?
Anleitung für die Fallstudie: Die TeilnehmerInnen werden dazu aufgefordert, die Etiketten ihrer Kleidungsstücke zu kontrollieren.
Danach werden diese Informationen (welche
Marken wurden gefunden, wo wurden sie
hergestellt) auf einer Liste (Tafel, Flipchart)
festgehalten. Sobald die Liste fertig ist, analysieren die TeilnehmerInnen das Ergebnis. In
den allermeisten Fällen werden sie feststellen, dass ein Großteil der Waren in ärmeren
Ländern hergestellt wurde. Folgende Diskussionsfragen sollten im Anschluss aufgeworfen
werden:
WER, glauben Sie, hat das Kleidungsstück,
die Sonnenbrille, die Schuhe, die Knöpfe, den
Reißverschluss ... tatsächlich hergestellt?
Waren es eher Männer, Frauen oder Kinder?
WAS, denken Sie, haben die ArbeiterInnen dafür an Lohn bekommen?
WIE werden die Arbeitsbedingungen ausgesehen haben?
Die Ergebnisse der Diskussion werden wiederum schriftlich festgehalten.
arbeit
Auswertung der Fallstudie: KleiderhändlerInnen beteuern immer wieder, wenn sie mit der
Forderung nach besserer Bezahlung für die
ArbeiterInnen, konfrontiert werden, dass die
Löhne niedrig gehalten werden müssen, damit
KonsumentInnen billige Kleidungsstücke kaufen können. Die vorliegende Berechnung widerlegt diese Behauptungen jedoch eindeutig.
Im Anschluss werden der Gruppe folgende
Fragen gestellt:
• Wären Sie bereit, für ein Shirt mehr zu bezahlen? Falls ja, wie viel?
• Sehen Sie irgendwelche Menschenrechte
der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verletzt? Wenn ja, listen Sie diese
auf!
• Warum, glauben Sie, produzieren Firmen
in Ländern wie El Salvador, Bangladesch
oder China und verkaufen die Waren dann
in westlichen Ländern?
• Wer könnte/sollte dafür verantwortlich
sein, sich für Löhne, die den ArbeiterInnen
eine halbwegs gesicherte Existenz ermöglichen, einzusetzen?
Diskutieren Sie die Fragen in der Gruppe.
Feedback: Stellen Sie eine abschließende zusammenfassende Frage an die Gruppe:
An welche Bemerkungen, die Sie heute hier
in dieser Diskussion gehört haben, werden
Sie sich in Zukunft noch erinnern? Was hat
bei Ihnen Eindruck hinterlassen? Haben sich
ihr persönliche Einstellung gegenüber billigen
Kleidungsstücken geändert? Werden Sie ihre
Kaufgewohnheiten verändern? Versuchen Sie
ein Wort oder eine Phrase zu finden, die Ihre
Gefühle umfasst und beschreibt.
Praktische Hinweise: Fallstudien werden oft
herangezogen, um effektive, tiefgehende Dis-
kussionen in Gang zu bringen. In dem hier
vorliegenden Fall ist es jedenfalls notwendig,
im Vorfeld ein Umfeld des Vertrauens und des
Respekts zu schaffen, um die TeilnehmerInnen zu wahrheitsgemäßen Äußerungen zu
motivieren. Dementsprechend sollte sich die
Gruppe auch auf einige Diskussionsregeln
einigen, die von allen befolgen werden. Die
Vorschläge für eine ruhige, achtungsvolle Diskussion werden aufgelistet und gut sichtbar
im Raum aufgehängt.
Variationsvorschläge: Als Aufwärmübung
bekommen alle TeilnehmerInnen ein Label,
auf dem ihr für diese Übung zugeteiltes Geschlecht, Alter und Höhe des Lohns festgehalten sind (z.B. 10 Stück für fünf Minuten Arbeit;
2 Stück für 10 Minuten ...). Danach führen alle
TeilnehmerInnen eine sinnlose Arbeit durch
(z.B. Seiten in einem Heft zählen, Striche auf
ein Blatt Papier malen ...), oder sie bekommen
den Auftrag, Tische und Sessel zu reinigen.
Am Ende der Arbeit teilt der Gruppenleiter/die
Gruppenleiterin laut den Lohn (= Süßigkeiten)
gemäß den jeweiligen Labels aus. Laut deswegen, damit alle TeilnehmerInnen merken, dass
jeder von ihnen für die SELBE Arbeit, die sie
ALLE gemacht haben, einen anderen Lohn
bekommt. Danach werden die Gefühle der
TeilnehmerInnen diskutiert und die Fallstudie
„T-Shirt-Mathematik“ durchgeführt.
Verwandte Rechte und Themen: Soziale, politische und wirtschaftliche Rechte
Quelle: adaptiert aus: David A. Shiman. 1999.
Economic and Social Justice. A Human Rights
Perspective. Minnesota: Human Rights Resource Centre of the University of Minneapolis.
339
340
A rbeit
Bibliographie
Anti-Slavery and ICFTU (Hg.). 2001. Forced Labour in
the 21st Century. London: Anti-Slavery International.
Arlacchi, Pino. 2000. Ware Mensch. Der Skandal des
modernen Sklavenhandels. München: Piper.
Internationale Arbeitsorganisation (Hg.). 2007.
Equality at Work: Tackling the Challenges. Global Report under the Follow-up to the ILO Declaration on Fundamental Principles and Rights at Work. Report of the
Director-General. Genf: IAO.
Auer, Peter, Ümit Efendioglu und Janine Leschke.
2008. Active Labour Market Policies Around the World.
Coping with the Consequences of Globalization. Genf:
IAO.
Internationale Arbeitsorganisation (Hg.). 2006. Das
Ende der Kinderarbeit – Zum Greifen nah. http://
www.ilo.org/public/german/region/eurpro/bonn/
download/enderderkinderarbeit.pdf
Council of Europe (Hg.). 2000. European Social Charter: A Short Guide. Straßburg: Europarat.
Internationale Arbeitsorganisation (Hg.). 2005. Eine
globale Allianz gegen Zwangsarbeit. http://www.ilo.
org/public/german/standards/relm/ilc/ilc93/pdf/
rep-i-b.pdf
Craven, Matthew. 2002. The International Covenant
on Economic, Social and Cultural Rights, A Perspective
on its Development. Oxford: Clarendon Press.
Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen
(Hg.). 2001. Menschenrechte und menschliche Entwicklung. Anregungen zur Arbeit mit dem UNDP-Bericht
über die menschliche Entwicklung 2000 in Schulen.
Bonn: DGVN.
Donnelly, Jack. 2003. Universal Human Rights in Theory and Practice. London: Cornell University Press.
Drzewicki, Krzystof. 2001. The Right to Work and
Rights at Work. In: Asbjorn Eide, Catarina Krause
und Allan Rosas (Hg.). Economic, Social and Cultural
Rights. A Textbook. Dordrecht: Martinus Nijhoff Publishers.
Goldewijk, Berma Klein, Adalid Contreras Baspineiro und Paulo César Carbonari. 2002. Dignity and Human Rights. The Implementation of Economic, Social
and Cultural Rights. Antwerpen: Intersentia.
Große-Oetringhaus, Hans-Martin und Peter Strack
(Hg.). 1997. Verkaufte Kindheit. Kinderarbeit für den
Weltmarkt. Münster: Westfälisches Dampfboot.
Hackl, Ilse. 1996. Das Recht auf (bezahlte) Arbeit.
Linz: Trauner.
Internationale Arbeitsorganisation (Hg.). 2008. Global Wage Report 2008/2009. Towards Policy Coherence:
Mininum Wages and Collective Bargaining. Genf: IAO.
Internationale Arbeitsorganisation (Hg.). 2004.
Eine faire Globalisierung. Chancen für alle schaffen.
http://www.ilo.org/public/english/wcsdg/docs/
reportg.pdf
Internationale Arbeitsorganisation (Hg.). 2004.
HIV/AIDS and Work: Global Estimates, Impact and Response. http://www.ilo.org/public/english/protection/
trav/aids/publ/globalest.htm
Internationale Arbeitsorganisation (Hg.). 2001. Stopping Forced Labour. Global Report under the Follow-up
to the ILO Declaration on Fundamental Prinicples and
Rights at Work. Genf: IAO Publications.
Internationale Arbeitsorganisation (Hg.). 2000. Your
Voice at Work. Global Report under the Follow-up to the
ILO Declaration on Fundamental Principles and Rights
at Work. Genf: IAO Publications.
Internationale Arbeitsorganisation (Hg.). 1999. Decent Work. International Labour Conference, 87th Session 1999. Genf: IAO Publications.
Kratz, Sabine (Hg.). 1995. Das Recht der Frauen auf
Erwerb. Trier: Zentrum für europäische Studien.
Leary, Virginia A. 1998. Globalisation and Human
Rights. In: Symonides, Janusz. Human Rights: New
Dimensions and Challenges. Aldershot: Dartmouth
Publishing.
arbeit
Leary, Virginia A. 1995. A Violations Approach to the
Right to Work (Labour Rights). In: Boven, Theo van,
Cees Flinterman und Ingrid Westendorp (Hg.). The
Maastricht Guidelines on Violations of Economic, Social and Cultural Rights. Utrecht: The Netherlands Institute for Human Rights.
Levin, Leah. 1996. Menschenrechte – Fragen und Anworten. Wien: Löcker Verlag.
Matscher, Franz (Hg.). 1991. Die Durchsetzung wirtschaftlicher und sozialer Grundrechte: Eine rechtsvergleichende Bestandsaufnahme. Wiesbaden: Engel
Verlag.
McChesney, Allan. 2000. Economic, Social and Cultural Rights. New York: American Association for the
Advancement of Science.
Mletschnig, Rudolf. 1997. Das Menschenrecht auf
Arbeit in der modernen Gesellschaft - Vom Zwang zur
Arbeit zum Recht auf Arbeit. In: Das Menschenrecht
01/1997.
Shiman, David A. 1999. Economic and Social Justice.
A Human Rights Perspective. Minneapolis: The Human
Rights Resource Center.
United Nations (Hg.). 2001. We the Peoples: The Role
of the United Nations in the 21st Century. Briefing Papers for Students. New York: United Nations.
United Nations (Hg.). 1998. The United Nations in
our Daily Lives. A brief Description of the UN and its
Specialized Agencies. Genf: United Nations.
United Nations Development Programme. 2000. Human Development Report. Human Rights and Human
Development. New York: Oxford University Press.
ZUSÄTZLICHE INFORMATIONEN
Anti-Slavery International:
http://www.antislavery.org
Bread and Roses:
http://www.bread-and-roses.com
China Labour Bulletin:
http://www.china-labour.org.hk
Child Workers in Asia:
http://www.cwa.tnet.co.th
Clean Clothes Campaign:
http://www.cleanclothes.org
FairWear Foundation:
http://en.fairwear.nl
Global March against Child Labour:
http://www.globalmarch.org
International Confederation of Free Trade Unions:
http://www.icftu.org
International Labour Organization:
http://www.ilo.org
International Organization for Migration:
http://www.iom.int
RUGMARK – Initiative gegen illegale Kinderarbeit:
http://www.rugmark.de
The Anti-Slavery Portal:
http://www.iabolish.com
The Concerned for Working Children (CWC):
http://www.workingchild.org/htm/cwc.htm
The Fairtrade Foundation:
http://www.fairtrade.org.uk.
The Reference Centre on Corporate Social
Responsibility:
http://www.csreurope.org
UNICEF:
http://www.unicef.org/crc
3 41
342
N otizen
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
ME INUNGS­
ÄUSSERUNGS- UND
MEDIENFREIHEIT
BESTANDTEILE DES RECHTS
ERLAUBTE UND UNZULÄSSIGE EINSCHRÄNKUNGEN
VERBOT DER BEFÜRWORTUNG VON HASS UND GEWALT
BEDEUTUNG FÜR DEMOKRATIE UND GESELLSCHAFT
MENSCHENRECHTE IN DER INFORMATIONSGESELLSCHAFT
„Jeder hat das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung;
dieses Recht schließt die Freiheit ein, Meinungen ungehindert anzuhängen
sowie über Medien jeder Art und ohne Rücksicht auf Grenzen Informationen und Gedankengut zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten.“
Art. 19, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. 1948.
343
344
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
GESCHICHTEN ZUR ILLUSTRATION
Sri Lanka: Dr. Manorani Saravanamuttu war dies wegen einer Meinungsumfrage, deren Erdie Mutter von Richard de Zoysa, einem Jour- gebnisse noch gar nicht gesendet worden wanalisten, der 1990 in Sri Lanka entführt und ren, von denen Stošic jedoch annahm, dass sie
getötet wurde. Dr. Saravanamuttu ging in die in böswilliger Absicht erfolgte. Die Vereinigung
Öffentlichkeit, um die Wahrheit über den Mord der Unabhängigen Elektronischen Medien
an ihrem Sohn ans Licht zu bringen. Sie stellte (ANEM) ruft die zuständigen Behörden, insden Behörden Informationen zur Verfügung, um besondere das Innenministerium sowie das
eine Untersuchung des Verbrechens zu erwirken. Ministerium für Kultur und Information auf,
Aber alles, was sie daraufhin erhielt, war ein die Journalisten und den verantwortlichen ReBrief der Behörden mit dem Inhalt: „Beklagen dakteur von Radio OK zu schützen.
Sie den Tod Ihres Sohnes. Als Mutter ist das Ihre Quelle: http://cm.greekhelsinki.gr/index.php?
Pflicht. Andere Schritte werden zu Ihrem Tod cid=1161&sec=194
führen, wenn Sie es am wenigsten erwarten.
Nur das Schweigen wird Sie schützen.“
Kroatien: Entsprechend einer SEEMO vorlieQuelle: Jan Bauer. 1996. Only Silence will genden Information vom 6. Dezember 2005
protect You, Women. Freedom of Expression hat der Herausgeber der kroatischen Wochenand the Language of Human Rights. Montre- zeitung Feral Tribune, Drago Hedl, eine brieflial: International Centre for Human Rights and che Todesdrohung erhalten. Hedl gab an, dass
der Anlass für die Todesdrohung an ihn und
Democratic Development.
seine Quelle eine Artikelserie über die FolteBelgrad: Am 6. September 2005 wurde der rungen und Ermordungen von serbischen Zifür aktuelle Fragen verantwortliche Journalist vilistInnen in Osijek im Jahr 1991 sei, die er
von Radio OK, Saša Stojkovic, von zwei Mit- in Feral Tribune veröffentlich hatte. Das war
gliedern der serbischen Radikalen Partei im nicht das erste Mal, dass Hedl eine TodesdroGemeinderat von Vranje beschimpft und mit hung erhalten hat.
physischer Gewaltanwendung bedroht. Darauf Quelle: http://www.seemo.org/content/view­
folgte, nur Tage später, ein Telefonanruf vom /­64/66
Vorsitzenden des Gemeinderates, Nenad Stošic,
der Stojkovic mit dem Einsperren bedrohte. All Diskussionsfragen
1. Wer hat in diesen Berichten welche Menschenrechte verletzt?
2. Welche Gründe könnten Einschränkungen
des Rechts auf Meinungs- und Medienfreiheit rechtfertigen?
3.Was sollte getan werden, um diese Freiheiten besser zu schützen?
4.Was können Opfer dieser Menschenrechtsverletzungen tun?
5.Welche Verpflichtungen haben verantwortungsbewusste JournalistInnen?
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
Was man wissen muss
1. Bedeutung in Vergangenheit
und Gegenwart
Im Jänner 1941 verkündete US-Präsident Roosevelt, dass die Freiheit der Rede und der freien
Meinungsäußerung eine der vier grundlegenDas Recht auf Meinungsfreiheit und freie Mei- den Freiheiten sei, auf denen sich nach dem
nungsäußerung beinhaltet auch „die Freiheit, Zweiten Weltkrieg eine neue Welt gründen
Meinungen unangefochten anzuhängen sowie sollte. Der Zugang zu Information und die
über Medien jeder Art und ohne Rücksicht Möglichkeit des freien Meinungsaustausches
auf Grenzen Informationen und Gedanken- ist ein Hauptelement einer offenen und pluragut zu suchen, zu empfangen und zu verbrei- listischen Gesellschaft.
ten“ (Art. 19 der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte von 1948). Es ist eines der
grundlegenden BürgerInnenrechte und daher
Menschliche Sicherheit, Meinungsäuin allen einschlägigen Menschenrechtsinstrußerungs- und Medienfreiheit
menten enthalten. Die Wurzeln des Rechts auf
Die „Freiheit von Angst“ beinhaltet die
freie Meinungsäußerung liegen im Kampf um
Freiheit zur Äußerung eigener Meinunpersönliche Freiheiten im 18. und 19. Jahrgen und die Medienfreiheit. Da das
hundert. Zu dieser Zeit wurde das Recht auf
Konzept der Menschlichen Sicherheit
Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung
auch auf dem Recht der/s Einzelnen aufin der US-amerikanischen und in einigen eubaut, Informationen jeder Art zu suchen
ropäischen Verfassungen festgeschrieben. Der
und zu erhalten, selbst wenn diese der
britische Philosoph John Stuart Mill sah in der
herrschenden Führung kritisch gegenPressefreiheit „eines der Bollwerke gegen korüberstehen, stellen die Einschüchterung
rupte und tyrannische Regierungen“ („On Livon JournalistInnen und die Kontrolle
berty.“ 1859.). Die Pressefreiheit ist auch ein
der Medien wichtige Bedrohungen der
grundlegendes Recht für ein demokratisches
Menschlichen Sicherheit dar. Mit dem
System, in dem alle, nicht nur die BürgerInVormarsch der neuen Informations- und
nen eines Staates, das Menschenrecht haben,
Kommunikationstechnologien entstehen
zu sagen, was sie denken und die Regierung
nicht nur neue Gefahren, sondern auch
zu kritisieren.
neue Chancen für die Menschliche Sicherheit.
Die neue „Konnektivität“ (Verbindungsfähigkeit) kann genauso für Bildung wie
„Mein Herr, ich teile Ihre
für organisierte Verbrechen genutzt werMeinung nicht, aber ich würde
den. Internationale Kampagnen wie jene
mein Leben dafür einsetzen,
gegen Landminen und für den Internationalen Strafgerichtshof werden dadurch
dass sie diese äußern dürfen.“
erleichtert, aber neue Risiken entstehen
(Übersetzung)
durch die Internetkriminalität. Mit der
Voltaire (1694-1778).
steigenden Abhängigkeit der Wirtschaft
345
346
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
spielen: Sie können sowohl Nutznießer als
auch Verletzer der Meinungsfreiheit sein. Ihre
Rolle kann darin liegen, über globale Probleme zu informieren und die globale Solidarität
zu stärken. Sie können aber auch zum Propagandainstrument des Staates oder besonderer wirtschaftlicher oder sonstiger Interessen
werden. Laut der UNESCO-Kommission für
Kultur und Entwicklung erschweren moderne
Kommunikationstechnologien die Kontrolle
des Informationsflusses sogar, da sie neben
neuen Chancen auch neue Bedrohungen geschaffen haben, vor allem, wenn Medien
das Ziel von Angriffen oder sogar politischer
Kontrolle werden. Als Folge der KommerziaDer „CNN-Faktor“ – die Tatsache, dass die Me- lisierung können die Vielfalt und die Qualidien jeden Konflikt ins Wohnzimmer bringen tät der Programme vermindert werden. Das
– hat die Rolle der Medien verändert. Sie sind Hauptinteresse liegt häufig darauf, durch die
ein wichtiger Teil der Kriegsführung geworden, Konzentration auf „Sex and Crime“ immer höda die Meinung der Öffentlichkeit zunehmend here Einschaltquoten zu erreichen und größean Gewicht gewinnt. Info-wars (Informations- re Auflagen zu verkaufen.
kriege) und Infotainment (die Verbindung von
Eine der größten Bedrohungen für
Information und Entertainment) weisen auf
den Trend hin, dass Information anderen Inte- die Medienfreiheit in der neueren Zeit liegt
ressen untergeordnet wird. Dies trifft insbeson- in Zusammenschlüssen von Medien, die sowohl regional als auch global existieren. Aus
dere auch auf wirtschaftliche Interessen zu.
diesem Grund haben viele Länder und auch
die Europäische Union Gesetze gegen MediAlte und neue Herausforderungen
Die Informations-, Meinungsäußerungs- und enzusammenschlüsse erlassen, um die MediMedienfreiheit war während des Kalten Krie- envielfalt zu erhalten.
ges von besonderer Bedeutung, als Menschen
in den sozialistischen Staaten Osteuropas Technische Entwicklungen wie zum Beispiel
keinen Zugang zu ausländischen oder unab- die Verbreitung von Satellitenkommunikation
hängigen Zeitungen und Zeitschriften hatten. oder Internetzugängen haben neue BedrohunSpäter versuchte die chinesische Regierung gen für die Meinungs-, Informations- und Meden Gebrauch von Satellitenempfängern zu dienfreiheit mit sich gebracht. Oft versuchen
limitieren, um ihre Bürger daran zu hindern, Staaten, den Zugang zu diesen neuen Medien
westliche Fernsehprogramme zu nutzen. Auch zu beschränken, weil sie fürchten, dass daheute beschränken gewisse Länder durch den durch oppositionelle Ansichten oder Inhalte,
Einsatz von Filtertechnologien den Internet- die gegen ihre Regierung gerichtet sein könnzugang, um ihre Bürger davon abzuhalten, ten, verbreitet werden. Das kann zum Beispiel
bestimmte Webseiten zu erreichen, die als un- auch für religiöse, moralische oder ethische
Vorstellungen gelten. Solche Befürchtungen
erwünscht angesehen werden.
Die Medien können eine zweifache Rolle sind auch nicht immer unbegründet, denkt
und des Dienstleistungssektors von den
neuen Technologien entstehen neue Formen der Inklusion und Exklusion, der
Teilnahme und der Ausgrenzung. Die in
Wien angesiedelte Südosteuropäische
Medienorganisation (SEEMO) beklagte
etwa, dass Telekom Serbien gemietete
Internetanschlüsse „beschränkt“, um
die Medien und andere dazu zu zwingen, von einem privaten Internetanbieter
zum Internetservice von Telekom Serbien zu wechseln.
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
man zum Beispiel an die Verbreitung von ras- heute von unverzichtbarer Bedeutung ist.
sistischer oder fremdenfeindlicher Propaganda Der Weltgipfel über die Informationsgeselloder auch von Kinderpornographie. Dies wirft schaft zeigte, dass es einen dahinter stehendie Frage auf, wie das empfindliche Gleich- den Konflikt zwischen einem technologischen
gewicht zwischen Meinungsäußerungsfrei- und einem auf Werte bzw. auf die Menschenheit und Bewahrung der legitimen Interessen rechte bezogenen Ansatz gibt. Die Schlusseines demokratischen Staates gefunden und dokumente enthalten nur Hinweise auf die
geschützt werden kann. Da das Internet von Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.
Natur aus keine (Staats-)Grenzen kennt, liegen Die NGOs steuerten jedoch eine „Erklärung
die Antworten in diesem Bereich hauptsäch- über Menschenrechte, menschliche Würde
lich auf internationaler Ebene. Der Europarat und die Informationsgesellschaft“ bei (siehe
hat in seiner Konvention gegen Internetkrimi- http://www.pdhre.org/wsis/statement.doc).
nalität von 2001 auch Kinderpornographie als In dem seit 2006 jährlich tagenden Internet
Straftatbestand erfasst und versucht, die Rolle Governance Forum sind die Menschenrechdes nationalen Strafrechtes und die interna- te ein wichtiges Querschnittsthema. So wird
tionale Zusammenarbeit bei der Verfolgung z.B. in dynamischen Koalitionen – etwa jener
solcher Verbrechen zu stärken. Ein Zusatz- zu Internet Rights – an menschenrechtlichen
protokoll zur Bekämpfung von rassistischen Richtlinien für das Internet gearbeitet.
und fremdenfeindlichen Inhalten im Internet
wurde 2003 angenommen. Die Konvention ist
2004 in Kraft getreten. Sie ist auch für Nicht- 2. Inhalte und Bedrohungen
mitglieder des Europarates offen und hatte am
1. Juli 2008 21 Vertragsparteien, während das Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein
Zusatzprotokoll 11 Ratifikationen aufwies.
Rahmenrecht, das mehrere Elemente, wie zum
Beispiel die Informationsfreiheit oder die PresDas zweiteilige Weltgipfeltreffen der Verein- se- und Medienfreiheit enthält. Es fußt auf der
ten Nationen zur Informationsgesellschaft in Meinungsfreiheit und ist eng mit ihr verbunden.
Genf 2003 und in Tunis 2005 beschäftigte sich Seine Reichweite geht vom Recht der/s Einzelebenfalls mit verschiedenen menschenrechtli- nen, die eigene Meinung zu vertreten, bis zur
chen Aspekten des Zeitalters der Kommuni- institutionellen Freiheit der Medien. Die Meikation, das man auch das „digitale Zeitalter“ nungsfreiheit ist ein absolutes Menschenrecht,
nennt. Ein wesentlicher Aspekt der Meinungs- das nicht eingeschränkt werden darf, während
äußerungsfreiheit ist das Problem des Zugangs das Recht auf freie Meinungsäußerung ein pozur Informationsinfrastruktur, zu Telekommu- litisches Recht ist, das unter festgelegten Umnikation und Internet (
Was man wissen ständen beschränkt werden kann.
sollte). Mit Hilfe eines Aktionsplanes soll die
Wissenskluft zwischen Menschen, die Zugang Die Meinungsäußerungsfreiheit hat zwei
zu den neuen Medien haben, und solchen, Komponenten: Einerseits die Freiheit, seine
die darüber nicht verfügen, der sogenannte Meinung auszudrücken, also Ansichten und
„digitale Graben“ (digital divide) geschlossen Ideen jeder Art zu verbreiten, und andererwerden. Ein fehlender Zugang bedeutet eine seits das Recht, Information zu suchen und zu
Einschränkung der Meinungsäußerungsfrei- erhalten. Beide Ausformungen dieses Rechtes
heit, da das Internet für den Erhalt und die müssen auf jede Art – also durch das gesproVerbreitung von Informationen und Ideen chene Wort, in Schrift oder Druckwerken,
347
348
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
die aus jeder Form von wissenschaftlichem,
durch Kunst oder jedes andere Medium inkluliterarischem oder künstlerischem Schaffen
sive der neuen Technologien – ausgeübt werresultieren, Nutzen zu ziehen, z.B. Copyden können. Staatsgrenzen dürfen kein Grund
right. (Art. 15 (2), Sozialpakt);
dafür sein, dass dieses Recht beschränkt wird.
Die Meinungsäußerungsfreiheit ist ein wich- • in Bezug auf das Recht auf Bildung (Art.
13, Sozialpakt) ergeben sich aus dem Recht
tiger Bestandteil eines „Rechtes auf Kommuauf freie Meinungsäußerung die akademinikation“. Eine Deklaration über ein solches
schen Freiheiten und die Autonomie der
Recht, die auf privater Basis ausgearbeitet
höheren Bildungseinrichtungen, diese Freiwurde, hat keine Unterstützung durch die
heiten zu schützen.
Staaten gefunden.
Hauptelemente des Rechts der
freien Meinungsäußerung:
• das Recht, Meinungen ungehindert
anzuhängen (Meinungsfreiheit);
• die Freiheit, Gedankengut zu suchen,
zu empfangen und zu verbreiten (Redefreiheit, Informationsfreiheit);
• mündlich, geschrieben, gedruckt oder
in Form von Kunst;
• durch alle Arten von Medien (Medienfreiheit);
• ohne Rücksicht auf Grenzen (Freiheit
der internationalen Kommunikation).
Quellen: Art. 19, AEMR; Art. 19, Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und
kulturelle Rechte (IPWSKR; Sozialpakt); Art.
10, EMRK; Art. IV, Amerikanische Deklaration
über die Rechte und Pflichten des Menschen;
Art. 13, Amerikanische Menschenrechtskonvention; Art. 9, Afrikanische Charta der
Rechte des Menschen und der Völker.
Manche Elemente des Rechtes auf freie Meinungsäußerung sind mit anderen Menschenrechten verbunden:
• das Recht auf Gedanken-, Gewissensund Religionsfreiheit (Art. 18, AEMR);
Religionsfreiheit
• das Recht des Autors auf Genuss seiner
moralischen und materiellen Interessen,
Eine bedeutende Qualifizierung des Rechts
auf freie Meinungsäußerung findet sich in Art.
20, IPBPR, der Kriegspropaganda und jede
Aufstachelung zu nationalem, rassistischem
oder religiösem Hass, die zu Diskriminierung,
Feindseligkeit oder Gewalt aufruft, verbietet.
Jeder Staat hat die Verpflichtung, diese Verbote durch nationale Gesetze durchzusetzen.
Nicht-Diskriminierung
Verstöße gegen dieses Recht,
Bedrohungen und Risiken
Die jährlichen Berichte von Amnesty International und Human Rights Watch zeigen deutlich,
dass in der Praxis vieler Länder der Bruch des
Rechtes auf freie Meinungsäußerung und der
Medienfreiheit an der Tagesordnung steht. Laut
Reporters without Borders (Reporter ohne Grenzen) wurden im Jahr 2007 86 JournalistInnen
während der Ausübung ihres Berufes getötet,
878 festgenommen und mehr als 500 Medien
zensiert oder verboten. Die Zahl der Getöteten entspricht einem Anstieg von 244% in den
letzten fünf Jahren. Die Organisation schlug
daher vor, besondere Rechtsinstrumente wie
zum Beispiel eine Charta für die Sicherheit von
JournalistInnen im Einsatz in Kriegsgebieten
oder gefährlichen Gegenden (Charter for the
Safety of Journalists Working in War Zones or
Dangerous Areas) zu schaffen.
Der „Kampf gegen den Terrorismus“, der seit
dem 11. September 2001 geführt wird, hat
neue Bedrohungen der Informationsfreiheit
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
durch verschiedene Regierungen mit sich
gebracht. Der „Internationale P.E.N.“, die
internationale Vereinigung der AutorInnen,
hat zum Beispiel eine diesbezügliche Überprüfung des US-amerikanischen Patriot Act
gefordert. Allerdings kann das Recht auf freie
Meinungsäußerung auch dazu missbraucht
werden, Hass und Konflikte zu schüren, wie
es die Publikation der International Helsinki
Federation über Hassreden am Balkan (Hate
Speech in the Balkans) dokumentiert hat.
Weiters besteht die Gefahr der Zensur, sei es
in Form staatlicher Kontrolle oder durch wirtschaftliche oder andere Zwänge. Das kann
bedeuten, dass Artikel nur mit Einverständnis einer Behörde erscheinen dürfen, wie es
in den meisten sozialistischen Staaten Osteuropas vor dem Ende des Kalten Krieges
1989 gang und gäbe war. Es kann aber auch
bedeuten, dass wirtschaftliche Interessen die
Veröffentlichung bestimmter Meinungen verhindern, wenn zum Beispiel die Waffenindustrie das Erscheinen von kriegskritischen
Artikeln verhindert.
Zu diesen Phänomenen zählt auch die Selbstzensur, wenn politische oder persönliche
Interessen von JournalistInnen oder ChefredakteurInnen ausschlaggebend sind. Auch die
Entscheidung darüber, welche Themen „druckreif“ sind, kann unangenehme Informationen,
Minderheitenansichten oder alles, „was sich
nicht gut genug verkauft“, ausschließen. Verhaltenskodizes oder Richtlinien guter Praxis
können hier Orientierung geben. Der Sinn der
Medienvielfalt ist es jedenfalls, sicherzustellen, dass verschiedene Ansichten gelesen, gehört und gesehen werden können.
der Meinungsäußerung zur Verletzung anderer Menschenrechte führen können, wie etwa
des Rechts auf Privatleben. Beschränkungen
müssen jedoch durch die Regierungen mit legitimen Gründen gerechtfertigt werden, die
durch die öffentliche Meinung und, als letztes
Mittel, durch gerichtliche Institutionen überprüft werden können.
Laut Art. 29 der Allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte kann die Ausübung der
Rechte und Freiheiten jeder/s Einzelnen
durch Gesetze beschränkt werden, um „die
Anerkennung und Achtung der Rechte und
Freiheiten anderer zu sichern“. Art. 19 (3),
Zivilpakt stellt zusätzlich fest, dass die genannten Rechte auch spezielle Pflichten und
Verantwortlichkeiten mit sich bringen. Das
zeigt, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung und Medienfreiheit ein sehr sensibler
Bereich ist, in dem mit der nötigen Sorgfalt
vorgegangen werden muss. Die Pflichten und
Verantwortlichkeiten sind im Pakt nicht genauer beschrieben, allerdings können sie in
den speziellen Verhaltenskodizes oder in nationalen Gesetzen gefunden werden. Sie dürfen aber in keinem Fall den Inhalt des Rechtes
beschränken. Typischerweise beziehen sich
solche Pflichten zum Beispiel auf die Aufgabe,
objektiv zu informieren, also nach der Wahrheit zu suchen oder zumindest verschiedenen
Meinungen Raum zu geben.
Manche Verpflichtungen decken sich auch mit
Gründen für die Einschränkung der freien
Meinungsäußerung, während die Meinungsfreiheit an sich nie in legitimer Weise beschränkt werden kann.
Gemäß Art. 19 (3), Zivilpakt sind drei Arten
von Beschränkungen zulässig, wenn sie notwendig sind und auf gesetzlicher Grundlage
Legitime Einschränkungen
beruhen:
dieses Rechtes
Es kann keine Freiheit ohne Verantwortlich- • zum Schutz der Rechte und des guten Rufes anderer;
keit geben, da unbeschränkte Freiheiten etwa
349
350
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
• zum Schutz der nationalen Sicherheit und • in einer demokratischen Gesellschaft unöffentlichen Ordnung;
entbehrlich sein.
• zum Schutz der öffentlichen Gesundheit
und Moral.
„Vom Gesetz vorgeschrieben“ bedeutet, dass
ein parlamentarischer Beschluss und nicht
Im Einklang mit den rechtlichen Auslegungs- nur ein Akt der Regierung erforderlich ist.
regeln sind Eingriffe in Rechte restriktiv zu Besonders wichtig ist aber die Qualifikation
interpretieren. Das hauptsächliche Recht soll „in einer demokratischen Gesellschaft unentnicht ausgehöhlt werden und der Eingriff behrlich“. Sie verbindet die Meinungs- und
nicht größer sein als notwendig, um die Rech- Pressefreiheit mit dem Konzept einer offenen
te anderer und die grundlegenden öffentlichen pluralistischen Gesellschaft, die auf demoRechtsgüter zu schützen.
kratischen Grundlagen beruht. Wie der Fall
Lingens zeigt, ist der Europäische Gerichtshof
Art. 10 der EMRK enthält eine noch längere Lis- für Menschenrechte in dieser Hinsicht sehr
te von möglichen Einschränkungen, die aber streng. Im Jahr 1986 fand der EGMR, dass
auch präziser ist. Die Ausübung des Rechtes PolitikerInnen trotz des legitimen Bedürfnisauf freie Meinungsäußerung kann nach Art. 10 ses, ihren guten Ruf zu schützen, einen hö„bestimmten, vom Gesetz vorgesehenen Form- heren Grad an Kritik akzeptieren müssen als
vorschriften, Bedingungen, Einschränkungen normaler StaatsbürgerInnen. Daher müssen
oder Strafdrohungen unterworfen werden, wie die Rechtsvorschriften über Verleumdung
sie vom Gesetz vorgeschrieben und in einer hinsichtlich der Verfolgung von JournalistIndemokratischen Gesellschaft (...) unentbehr- nen, die AmtsträgerInnen kritisieren, gegen
lich sind“. Solche Einschränkungen können die Pressefreiheit abgewogen werden. Dabei
durch folgende Begründungen gerechtfertigt ist immer das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu
werden:
berücksichtigen.
• das Interesse der nationalen Sicherheit, der
territorialen Unversehrtheit oder der öffent- In Art. 4 der Internationalen Konvention gelichen Sicherheit;
gen Rassendiskriminierung von 1995 haben
• Gründe der Aufrechterhaltung der Ordnung sich die Vertragsparteien dazu verpflichtet,
und der Verbrechensverhütung, des Schut- die Verbreitung rassistischen Gedankengutes
zes der Gesundheit und der Moral;
strafbar zu machen. Weiters haben Staaten
• der Schutz des guten Rufes oder der Rechte alle Organisationen und Propagandaaktivitäanderer;
ten als unrechtmäßig zu erklären und zu ver• um die Verbreitung von vertraulichen Nach- bieten, die rassische Diskriminierung fördern
richten zu verhindern;
oder dazu aufstacheln.
• um das Ansehen und die Unparteilichkeit
der Rechtsprechung zu gewährleisten.
Im April 2007 verabschiedeten die JustizministerInnen der Europäischen Union einen
Kein anderes Menschenrecht hat eine so lange Rahmenbeschluss, der die Leugnung des HoListe von Gründen, die einen Eingriff rechtfer- locaust, die Glorifizierung des Terrorismus
tigen. Zwei wichtige Grundvoraussetzungen und die Aufstachelung zu religiösem, ethnimüssen aber in jedem Fall gegeben sein: Jede schen und „Rassen“hass in der ganzen EU
Ausnahme muss
strafbar machen soll.
• vom Gesetz vorgeschrieben und
Nicht-Diskriminierung
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
3. Durchführung und Überwachung
Es gibt eine große Vielfalt an Instrumenten
und Verfahren zur Implementierung des Menschenrechtes auf freie Meinungsäußerung
und seiner Teilrechte. Als erstes muss die Verpflichtung der Staaten, die Freiheiten in ihre
innerstaatlichen Gesetze aufzunehmen und
Rechtsmittel gegen behauptete Überschreitungen dieser Bestimmungen zur Verfügung
zu stellen, genannt werden. Das Recht auf
freie Meinungsäußerung ist in den meisten Verfassungen als Teil des Kataloges von
Grundrechten und Grundfreiheiten enthalten.
Mindeststandards ergeben sich aus globalen,
und, wo vorhanden, regionalen internationalen Verpflichtungen.
Die verschiedenen Medien- und Kommunikationsgesetze spezifizieren das Recht und
seine Beschränkungen in der Praxis in Einklang mit internationalen Verpflichtungen und
dem nationalen Verfassungsrecht. Vielfach
sind auch nationale Überwachungseinrichtungen vorgesehen – zum Beispiel Presseräte
oder Medienkommissionen –, um die Medien
zu regulieren. Sie bestehen zumeist aus ExpertInnen und/oder VertreterInnen der Regierung
und der Zivilgesellschaft. Um den Mediensektor zu regulieren, Qualitätsstandards zu sichern und den Wettbewerb anzuregen, kann
der Staat aufgrund eines nicht-diskriminierenden Auswahlverfahrens Lizenzen erteilen.
Die Erfüllung der Verpflichtungen durch den
Staat wird von mehreren Kontroll- oder Überwachungsmechanismen überprüft. Nach dem
Zivilpakt sind Staaten verpflichtet, regelmäßig
(alle fünf Jahre) Berichte über die Implementierung ihrer Verpflichtungen zu übermitteln,
die dann vom Menschenrechtsausschuss
begutachtet werden. Dieses Komitee hat in
seinem Allgemeinem Kommentar Nr. 10 von
1983 den Artikel 19 interpretiert. Wenn der betroffene Staat das Erste Zusatzprotokoll zum
IPBPR von 1966 ratifiziert hat (1. Juli 2008:
110 Vertragsparteien), kann das Komitee auch
Individualbeschwerden entgegennehmen.
Regionale Monitoringmechanismen wie das
Inter-Amerikanische und das afrikanische
Menschenrechtssystem enthalten die Möglichkeit von Individualbeschwerden an Kommissionen, die Erklärungen und Empfehlungen zur
Verbesserung der Lage der Menschenrechte
abgeben. Im Interamerikanischen, europäischen und afrikanischen System gibt es einen
Gerichtshof, der rechtsverbindliche Beschlüsse fassen und auch Schadenersatz gewähren
kann. Zusätzlich dazu gibt es im Europarat
ein Überwachungsverfahren des MinisterInnenkomitees, das unter anderem auch die
Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit in den Mitgliedsstaaten kontrolliert. Alle
diese Verfahren sehen auch Beschwerden von
Staaten gegen andere Staaten vor, die in der
Praxis jedoch sehr selten sind.
Neben den in den Verträgen vorgesehenen Verfahren gibt es noch solche, die auf
der Charta der Vereinten Nationen beruhen,
wie zum Beispiel die/den SonderberichterstatterIn zur Förderung und zum Schutz der
Freiheit der Meinung und der Meinungsäußerung, die/der dem Menschenrechtsrat der
Vereinten Nationen Bericht erstattet und damit jährlich in Form von Beobachtungen und
Verbesserungsvorschlägen über die Lage der
Meinungs- und Meinungsäußerungsfreiheit in
der ganzen Welt informiert.
Seit 1997 gibt es für die 57 Mitglieder der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) eine/n VertreterIn für
die Freiheit der Medien. Ihre/Seine Aufgabe
ist es, die Entwicklungen auf dem Mediensektor in den Mitgliedsstaaten zu verfolgen, um
freie, unabhängige und pluralistische Medien zu fördern, die für eine freie und offene
Gesellschaft und ein verantwortliches Regierungssystem von entscheidender Bedeutung
3 51
352
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
sind. Die Standards hierfür kommen einerseits
aus zwischenstaatlichen Verpflichtungen, andererseits von der OSZE selbst. Sie wurden in
einer Reihe von Konferenzen seit der HelsinkiSchlussakte (1975) ausgearbeitet.
NGOs um die Verhütung von Verletzungen
der Meinungsäußerungsfreiheit, etwa durch
übertriebene Gesetze gegen Verleumdung,
und Praktiken, die dazu dienen können, kritische JournalistInnen zum Schweigen zu
bringen. Sie wachen auch über die Einhaltung
der Ethikkodizes von Berufsvereinigungen im
Medienbereich.
Die Rolle von Berufsvereinigungen
und anderen NGOs
Berufsvereinigungen wie die Internationale
Föderation der JournalistInnen, das Internationale Presseinstitut (IPI), der internationale 4. Interkulturelle Perspektiven
P.E.N. Club oder die International Publishers’ und strittige Themen
Association (IPA) verfügen über ausführliche Informationen zur Lage der Medienfrei- Kulturelle Unterschiede führen häufig dazu,
heit in verschiedenen Staaten oder Regionen dass das Recht in verschiedenen Regionen under Welt und unterstützen ihre Mitglieder im terschiedlich interpretiert und implementiert
Kampf gegen Beschränkungen. Sie lenken die wird. Im Vergleich zu den USA vertreten EuAufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf Situa- ropa und andere Staaten einen unterschiedlitionen, in denen diese Grundfreiheiten miss- chen Standpunkt bezüglich Hassreden, die
achtet werden, prangern Beschränkungen an, sich gegen die Würde einer Gruppe richten.
betreiben Kampagnen oder starten dringliche Europa toleriert nicht die Verbreitung von naAufrufe. Sie verfassen Berichte über Probleme tionalistischem, rassistischem oder religiösem
wie die Konzentration der Medien, Korruption, Hass, Antisemitismus, nationalsozialistischem
die Geheimhaltungspraxis von Staaten und Gedankengut, der Behauptung, den Holocaust
Transparenz, etwa im Hinblick auf Gesetze habe es nie gegeben, oder anderer rechtsexüber den Zugang zu öffentlichen Informatio- tremer Parolen. In den USA deckt die freie
nen. Sie werden dabei von Nichtregierungsor- Meinungsäußerung, wie sie im Ersten Verfasganisationen (NGOs) wie zum Beispiel Article sungszusatzartikel festgelegt ist, solche Äuße19 oder Reporter ohne Grenzen (
Zusätz- rungen zumindest zum Teil. So wurde zum
liche Materialien) unterstützt, die sich darauf Beispiel die Verurteilung des britischen Autors
spezialisiert haben, die Presse- und Medien- David Irving in Österreich zu drei Jahren Gefreiheit zu schützen. Auch Menschenrechtsor- fängnis für die Leugnung des Holocaust im
ganisationen wie Amnesty International oder Jahr 2006 selbst durch jüdische Kommentatoder International Council on Human Rights ren in den USA als Verletzung ihres VerständPolicy helfen hier mit. Die NGOs arbeiten mit nisses der Freiheit der Meinungsäußerung
zwischenstaatlichen Organisationen wie zum kritisiert, da diese auch die „Freiheit für GeBeispiel der/dem UNO-Sonderberichterstatte- danken, die wir hassen“ umfassen sollte, wie
rIn für Meinungsäußerungsfreiheit oder der/ der Kolumnist Jeff Jacoby schrieb (The Bosdem OSZE-VertreterIn für die Freiheit der Me- ton Globe, 3. März 2006).
dien zusammen.
Dass die Unterschiede auf diesem Gebiet oft
Auf staatlicher Ebene bemühen sich nationale sehr subtil sind, wird am Fall Jersild gegen DäAufsichtsgremien wie unabhängige Medien- nemark, den der Europäische Gerichtshof für
kommissionen oder Berufsvereinigungen und Menschenrechte 1994 entschieden hat, deut-
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
lich. Der Gerichtshof befand, dass die Bestrafung eines Journalisten, der ein Interview mit
jungen Rassisten, die rassistische Kommentare
abgaben, veröffentlicht hatte, ein Verstoß gegen die Informationsfreiheit des Art. 10 EMRK
gewesen sei. Die Jugendlichen, die diese Aussagen gemacht hatten, waren hingegen durch
Art. 10 nicht geschützt.
Der EGMR lässt aufgrund seiner „Doktrin des
(nationalen) Ermessensspielraumes“ auch
Unterschiede zwischen den europäischen
Mitgliedsstaaten zu. Das ist vor allem für den
Schutz der Moral bezüglich als pornografisch
empfundener Inhalte relevant. Die nähere
Bestimmung von Fragen der Sittlichkeit, des
Schutzes Minderjähriger oder der Schädlichkeit anderer Inhalte wird dem jeweiligen Staat
überlassen, der wiederum oft unabhängige Institutionen einrichtet, um die Medien in dieser
Hinsicht zu leiten.
kung der Freiheit der Meinungsäußerung und
der Medien im Hinblick auf die Verletzung
religiöser Gefühle als Bestandteil der Religionsfreiheit, die heute nicht nur auf nationaler
Ebene von Bedeutung ist, sondern eine globale Dimension erreicht hat.
In asiatischen Ländern wurde lange versucht,
strenge Eingriffe in die Freiheit der Meinungsäußerung und die Medienfreiheit dadurch zu
rechtfertigen, dass die Stabilität des Staates
durch „unverantwortliche Berichterstattung“
in der Presse, die politische Konflikte entfachen könnte, gefährdet sei. Allerdings befand
ein ASEM-Seminar im Jahr 2000, das sich mit
diesem Thema im Rahmen des Euro-Asiatischen Dialogs beschäftigte, dass Regierungen
dazu neigten, überzureagieren und die Medienfreiheit mehr einzuschränken, als dies nötig
sei. Gemeinsame Probleme wie die Medienkonzentration oder ein Mangel an Unabhängigkeit von JournalistInnen seien von größerer
Bedeutung als regionale Unterschiede.
Unterschiedliche Standards gibt es auch bezüglich der öffentlichen Kritik an PolitikerInnen oder religiösen Institutionen. Was für die Im Streitfall liegt es jedenfalls an der Justiz,
einen noch künstlerische Freiheit ist, kann die Grenze zwischen der Meinungsäußerungsfür andere schon Blasphemie sein. Daher ist und der Medienfreiheit und den zulässigen
die Presse- und Medienfreiheit ein sehr sen- Einschränkungen zum Schutz der Stabilität
sibles Recht, das sich an bestimmte Grenzen eines demokratischen Staates oder der morahalten, gleichzeitig aber auch vor Versuchen lischen Integrität einer Person, die in den Medes Staates und einflussreicher Persönlich- dien ungerechtfertigten Angriffen ausgesetzt
keiten, ihre KritikerInnen zum Schweigen zu war, zu ziehen. Beispielsweise veröffentlichte
eine Zeitung in Banja Luka in Bosnien und
bringen, geschützt werden muss.
Herzegowina wenige Jahre nach dem Krieg
Die Karikaturen des Propheten Mohammed, Listen von Personen, die angeblich Kriegsdie zuerst durch eine dänische Zeitung im verbrechen begangen hatten. Dies wurde zu
Jahr 2005 veröffentlicht und in der Folge in Recht verboten, weil die Gefahr bestand, dass
mehreren westlichen Ländern nachgedruckt diese Personen, die (noch) nicht offiziell anwurden, haben in einer Reihe islamischer geklagt waren, Opfer der persönlichen Rache
Länder gewalttätige Reaktionen sowie einen anderer werden könnten.
Boykott dänischer Produkte ausgelöst. Die Im Fall Constitutional Rights Project, Civil
dänische Regierung war gezwungen, sich zu Liberties Organisation und Media Rights
entschuldigen. Dieses Vorkommnis führte zu Agenda gegen Nigeria beschäftigte sich die Afeiner weltweiten Debatte über die Beschrän- rikanische Kommission für die Rechte des
353
354
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
Menschen und der Völker mit dem durch
einen Verwaltungserlass der nigerianischen
„Journalisten sind die Hüter
Militärregierung gegen die Opposition gerichteten Verbot von Zeitungen. Die Kommission
der Demokratie.“
befand:
Maud de Boer-Buquicchio,
„Solche Erlässe stellen eine ernste Gefahr für
stv. Generalsekretärin des Europarates. 2002.
das Recht der Öffentlichkeit dar, Informationen
zu erhalten, die nicht dem entsprechen, was
die Regierung die Öffentlichkeit wissen lassen
möchte. Das Recht auf Information ist wichtig: Öffentlichkeit das Recht auf Information. DieArt. 9 (der Afrikanischen Charta für die Rechte se Vorgangsweise ist ein klarer Verstoß gegen
des Menschen und der Völker) scheint keine Art. 9 der Charta.“ (Übersetzung)
Einschränkung zuzulassen, unabhängig da- Quelle: siehe oben, Abs. 65.
von, was der Inhalt der Information oder der
Meinungen, oder wie die politische Situation Die Erklärung von Marrakesch, die von der
des betreffenden Staates ist. Daher stellt die Konferenz über „Die Rolle und der Platz der
Kommission fest, dass das Verbot der Zeitun- Medien in der Informationsgesellschaft in Afrigen einen Verstoß gegen Art. 9 (1) darstellt.“ ka und der arabischen Region“ am 24. Novem(Übersetzung)
ber 2004 angenommen wurde, bekräftigte:
Quelle: Afrikanische Kommission für die „(Die) Freiheit der Meinungsäußerung und der
Rechte des Menschen und der Völker. 2000. Presse liegen im Zentrum der Konstruktion der
13. Tätigkeitsbericht (Thirteenth Activity Report Informationsgesellschaft in Afrika, der arabiof the African Commission on Human and Peop- schen Region und der ganzen Welt.“
Quelle: Soul Beat Africa – Communication
les’ Rights, 1999-2000), Anhang V, Abs. 38.
for Change. https://www.comminit.com/en/
node/215350/print
„Information ist der Sauerstoff
der Demokratie.“
Article 19 – Globale Kampagne für
freie Meinungsäußerung.
In Bezug auf das Vorgehen gegen JournalistInnen nach einem Putsch in Gambia urteilte die
Afrikanische Kommission:
„Die Einschüchterung und Gefangennahme
oder Festhaltung von JournalistInnen wegen
der von ihnen veröffentlichten Artikel und
der Fragen, die sie stellten, hindert nicht nur
die Journalisten selbst an der Ausübung ihres Rechtes, ihre Meinung frei zu sagen und
zu verbreiten, sondern entzieht auch der
Die NGO Arab Press Freedom Watch wurde zu
dem Zweck eingerichtet, in enger Zusammenarbeit mit der Arabischen Journalistenunion
die Pressefreiheit und Menschenrechte in arabischen Ländern aktiv zu verteidigen und die
Demokratie zu fördern.
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
5. Zeittafel
1948 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Art. 19
1966 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, Art. 19
1978 Deklaration über die Grundprinzipien für den Beitrag der Massenmedien zur Stärkung des Friedens
und der internationalen Verständigung, zur Förderung der Menschenrechte, zur Bekämpfung von
Rassismus, Apartheid und Kriegshetze der UNESCO (kurz: Mediendeklaration)
1983 Allgemeiner Kommentar des
UNO-Menschenrechtsausschusses
zu Artikel 19 des Paktes über bürgerliche und politische Rechte
1993 UNO-SonderberichterstatterIn für
Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung
1997OSZE-VertreterIn für die Freiheit
der Medien
1999 Resolution
der
Menschenrechtskommission
über
die
Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung (1999/36)
2003 Weltinformationsgipfel (1. Teil),
Genf: Prinzipiendeklaration und
Aktionsplan
2005 Weltinformationsgipfel (2. Teil),
Tunis: Verpflichtung von Tunis
und Tunis Agenda für die Informationsgesellschaft
2006 Erstes Internet Governance Forum
in Athen
2007 Zweites Internet Governance Forum in Rio de Janeiro
2008 Drittes Internet Governance Forum in Hyderabad (Indien)
Was man wissen sollte
1. Die Rolle der freien Medien in einer
demokratischen Gesellschaft
Medienvielfalt ist ein unverzichtbares Element
einer pluralistischen Demokratie. Die Bedeutung der Rolle der Medien als sogenannte
„vierte Macht“ neben der Legislative, der Exekutive und der Justiz erfordert auch gründliche
Sorgfalt und Verantwortung von JournalistInnen und MedieninhaberInnen, um nicht die
Menschenrechte anderer in der Ausübung ihrer
Freiheit zu verletzen.
Demokratie
Der Freiheitsgrad einer Gesellschaft kann
leicht anhand der Freiheit der Presse und der
Medien bestimmt werden. Der erste Schritt
autoritärer Regierungen oder Diktaturen ist es
normalerweise, die freie Meinungsäußerung
und die Medienfreiheit einzuschränken oder
gar abzuschaffen. Für den Wiederaufbau und
die Wiederherstellung demokratischer Gesellschaften nach Kriegen oder Konflikten ist eine
pluralistische Medienlandschaft, die auf den
Grundwerten der Achtung und der Toleranz
anderen Meinungen gegenüber basiert und
355
356
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
sich der Anstiftung zu Hass und Gewalt enthält, von höchster Bedeutung.
Dies erfordert einen angemessenen rechtlichen Rahmen, der die Unabhängigkeit der öffentlichen Medien und den Pluralismus unter
den privaten Medien sicherstellt und die Aktivitäten der Medien bezüglich der Standards
der Objektivität, der Fairness und des Anstandes kontrolliert.
2. Medien und Minderheiten
Standards existieren im Rahmen der OSZE.
Die Situation ist jedoch weitaus problematischer, wenn es die sogenannten „neuen Minderheiten“, die aus der Migrationsbewegung
stammen, betrifft. Im Gegensatz zu den „authochtonen“ oder „alten“ Minderheiten haben
diese normalerweise kein gesetzlich garantiertes Recht auf Zugang zu den Medien. Dies ist
besonders Besorgnis erregend, wenn man die
fremdenfeindliche Art, in der sie manchmal
in den Massenmedien dargestellt werden, betrachtet und weiters berücksichtigt, dass ihre
Möglichkeiten zur Meinungsäußerung begrenzt sind.
Minderheiten haben oft Probleme beim Zugang
zu den Medien und bei deren Verfügbarkeit in
ihrer eigenen Sprache. In Europa gibt es spe- Die Europäische Charta der Regional- und
zielle Standards, wie zum Beispiel Art. 9 des Minderheitensprachen des Europarates aus
Rahmenübereinkommens zum Schutz natio- dem Jahr 1992 verpflichtet die Vertragsstaanaler Minderheiten des Europarates von 1995. ten in Art. 11 dazu, angemessene RegelunDementsprechend haben Personen, die einer gen zu treffen, damit die Rundfunkanstalten
nationalen Minderheit angehören, das gleiche Programme in den Regional- oder MinderheiRecht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungs- tensprachen anbieten können. Auch soll der
äußerung. Ihre Freiheit, Information oder Ide- Aufbau zumindest einer Radiostation und eien in der Minderheitensprache zu suchen, zu nes Fernsehkanals in den Regional- oder Minempfangen oder zu verbreiten, muss von den derheitensprachen sichergestellt, gefördert
Behörden respektiert werden. Regierungen und/oder erleichtert werden.
müssen sicherstellen, dass Minderheitenangehörige nicht in ihrem Zugang zu den Medien
benachteiligt werden. Dieser sollte vielmehr er- 3. Freiheit der Medien und
leichtert werden. Sie dürfen nicht am Aufbau wirtschaftliche Entwicklung
eigener Printmedien, und innerhalb der gesetzlichen Vorschriften, auch nicht am Aufbau elek- Die Freiheit der Medien und die wirtschaftlitronischer Medien gehindert werden. Weitere che Entwicklung sind ebenso vernetzt wie die
„Die Medien haben in der Demokratie eine zentrale Rolle, die
Gesellschaft zu informieren und die Durchführung öffentlicher
Aufgaben ohne Furcht vor Bestrafung, vor Klage oder vor
Unterdrückung, zu überprüfen.“ (Übersetzung)
Kevin Boyle. Mitbegründer von Article 19.
Restrictions on the Freedom of Expression. 2000.
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
„Es gab niemals eine dauerhafte Hungersnot in einem
Staat mit einer demokratischen Regierung und einer
relativ freien Presse.“
Amartya Sen,
Wirtschaftsnobelpreisträger.
Freiheit von Not und die Freiheit von Furcht.
Die Interdependenz und die Unteilbarkeit aller
Menschenrechte, die einen ganzheitlichen Zugang zu den Menschenrechten erfordern, können auch in der Bedeutung der Freiheit der
Meinungsäußerung und der Freiheit der Medien für die wirtschaftliche Entwicklung, die
Verringerung von Armut und in der Befriedigung der grundlegenden wirtschaftlichen und
sozialen Rechte der Menschen gesehen werden. Ohne die Berichterstattung in den Medien würden Missstände im Zugang zu oder in
der Verteilung von Ressourcen sowie Korruption unbeachtet bleiben.
Eintretens für nationalen, rassischen oder religiösen Hass, durch den zu Diskriminierung,
Feindseligkeit oder Gewalt aufgestachelt wird“
verlangt. Ein Teil der Verantwortung für den
Krieg im ehemaligen Jugoslawien kam den
Medien zu, da sie den Krieg durch die Anstiftung zu Hass und zu ethnischen Säuberungen
propagiert hatten.
Ebenso wurde nachgewiesen, dass die Sendungen der Radiostation Radio Mille Collines
eine maßgebliche Rolle für den Ausbruch der
Gewalt in Ruanda im Jahr 1994 gespielt hatten, bei der mehr als 1 Million Menschen getötet wurden. „Tötet dieses Inyenzi (Ungeziefer)
nicht durch Kugeln – zerhackt sie mit Macheten“ war eines der gesendeten Statements,
welche die Hutus dazu aufriefen, Tutsis und
Hutus, die mit den Tutsis sympathisierten, abzuschlachten. Die Radiostation war 1993 von
Mitgliedern der Familie des Hutu-Präsidenten
Habyarimana gegründet worden, dessen Tod
einer der Auslöser des Völkermordes war. Die
Verantwortlichkeit des Radios wurde durch das
Internationale Tribunal für Ruanda, der seinen
Sitz in Arusha (Tansania) hat, festgestellt.
5. Good Practices
4. Kriegspropaganda und
Befürwortung von Hass
• Die UNESCO hat einen Tag der Pressefreiheit eingeführt, der jährlich am 3. Mai begangen wird, sowie einen weltweiten Preis
Nach Art. 20 (1) IPBPR ist jede Kriegspropafür Pressefreiheit geschaffen.
ganda gesetzlich zu verbieten, während Art.
20 (2) auch ein gesetzliches Verbot „jedes • Das Crimes of War Project vereinigt Jour-
„Wird ein Krieg verkündet,
so ist die Wahrheit das erste Opfer.“
Arthur Ponsonby,
britischer Politiker (1871-1946). 1928.
„Worte töten zuerst,
Kugeln erst später.“
Adam Michnik, polnischer Schriftsteller.
357
358
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
nalistInnen, AnwältInnen und AkademiQuelle: International Council on HukerInnen, um das Bewusstsein über das
man Rights Policy. 2002. Journalism,
humanitäre Völkerrecht in den Medien,
Media and the Challenge of Human
Regierungen, Menschenrechts- und humaRights Reporting.
nitären NGOs zu erhöhen.
• Im Fall des Kosovo wurden eine Unabhängige Medienkommission sowie ein Presserat
eingerichtet, um die Implementierung der
in den Gesetzen und Kodizes vorgesehenen 7. Trends
Standards zu überwachen. Die Medienkommission ist auch für die Lizenzvergabe Medien und das Internet
Entsprechend dem Bericht über die menschverantwortlich.
• Die Ombudsleute der Föderation von Bos- liche Entwicklung des UNDP aus dem Jahr
nien und Herzegowina berichteten 2001, 2001 und dem Bericht der UNESCO, „Auf
dass sie den Lizenzierungsprozess genau dem Weg zu Wissenschaftsgesellschaften“,
beobachten und in mehreren Fällen im In- aus dem Jahr 2005 wuchs das Internet in den
teresse der Transparenz und der gleichen letzten Jahren exponentiell von 16 Millionen
Bedingungen für alle Bewerber eingeschrit- NutzerInnen im Jahr 1995 auf mehr als 500
ten sind. Die Communication Regulation Millionen im Jahr 2004, während 2007 schon
Agency (CRA) akzeptierte die Empfehlun- mehr als 1 Milliarde Menschen das Internet
benutzten. Mit November 2008 hat die Zahl
gen der Ombudsleute.
1,5 Milliarden Menschen erreicht. Schätzungen gehen davon aus, dass bis 2015 das Ziel
des Weltinformationsgipfels erreicht sein kann,
6. Freiheit der Medien und
die Hälfte der Menschheit mit dem Internet zu
Menschenrechtsbildung
verbinden. Dennoch haben noch ca. 5 Milliarden Menschen keinen Zugang zum Internet.
In Afrika ist es sogar weniger als 1 Promille
„Innerhalb des Journalismus besteht ein
der Gesamtbevölkerung, was die Frage der
schwerwiegender Wissensmangel da„digitalen Solidarität“ aufwirft. Das Wachstum
rüber, was Menschenrechte überhaupt
des Internet hatte maßgeblichen Einfluss auf
sind. Viele JournalistInnen – ebenso
die Medien, indem es sowohl JournalistInnen
wie viele PolitikerInnen und andere in
als auch einfachen BürgerInnen eine Vielzahl
der Zivilgesellschaft Tätige – sind nicht
an Möglichkeiten bietet, weltweit gelesen zu
vertraut mit der Allgemeinen Erklärung
werden – etwa über Blogs. Sogar kleinere
der Menschenrechte sowie den internatiMedienunternehmen haben die Chance, eine
onalen Menschenrechtsabkommen und
weltweite Öffentlichkeit zu erreichen. Es gibt
Mechanismen. Oft verstehen sie den Unjedoch eine zunehmende Zahl von Staaten,
terschied zwischen Menschenrechten und
die Kontrollen und Zensur anwenden, indem
humanitärem Völkerrecht nicht. Aufetwa bestimmte Webseiten blockiert werden.
grund dessen werden Menschenrechte
Im Jahr 2005 wurden Suchmaschinen wie
häufig fälschlicherweise nur in der KonYahoo! und Google von NGOs kritisiert, weil
fliktberichterstattung als relevant angesesie Webseiten auf Wunsch der chinesischen
hen“. (Übersetzung)
Regierung blockiert und diese bei der Aus-
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
gesellschaft im Jahr 2003 eine Initiative für die
Schaffung von gemeinschaftlichen Multimediazentren gestartet, um die digitale Kluft für
Gemeinschaften, die noch vom Zugang zur
Informationstechnologie ausgeschlossen sind,
zu verringern. Der gewählte Ansatz verbindet
Auf dem Weg zu Wissensgesellschaften
Zugang, Lernen und eine Kombination neuer
im Süden
Die Umwandlung der Informationsgesellschaft und alter Technologien durch die Verbindung
zur Wissensgesellschaft beruht auf der zuneh- von lokalen Nachbarschaftsradios mit multimenden Verfügbarkeit von Informations- und medialen Gemeinschaftszentren, wo mit dem
Kommunikationstechnologien. Im Kontext Internet verbundene Computer, E-mail-Diensder Freiheit der Meinungsäußerung steht der te, Telefon, Fax und Kopiermöglichkeiten vorStaat unter einer positiven Verpflichtung, den handen sind. Das Ziel ist es, den Mitgliedern
Zugang zur Informationstechnologie zu ge- dieser Gemeinschaften die regelmäßige Nutwährleisten, da diese unverzichtbar für den zung der neuen Technologien zu ermöglichen,
um Zugang zur weltweit verfügbaren InforZugang zum Wissen ist.
mation zu erhalten.
Zu diesem Zweck wurde von der UNESCO aus Quelle: UNESCO. 2005. Towards Knowledge
Anlass des Weltgipfels über die Informations- Societies.
forschung politischer DissidentInnen indirekt
unterstützt hatten. Amnesty International hat
dazu unter www.irrepressible.info eine Kampagne gestartet.
Ausgewählte Übungen
Übung I: Das Hütchenspiel
Zeit: ca. 90 Minuten
Materialien: 6 verschiedenfarbige Hüte oder
andere verschiedenfarbige Gegenstände
Fertigkeiten: Flexibilität, Kreativität
Teil I: Einleitung
Das Hütchenspiel ermöglicht es, eine komplexe Fragestellung oder eine provokante Aussage unter verschiedenen Gesichtspunkten zu Teil III: Spezifische Information
betrachten und auf diese Art und Weise zu ei- Provokante These: Wir leben in einem freiner befriedigenden Lösung für alle Beteiligten en Land, in dem jede/r ihre/seine Meinung
frei äußern darf. Warum also sollen wir „Nazu kommen.
zisprüche“ und ähnliches zensieren oder verbieten?
Teil II: Allgemeine Information
Art der Übung: Diskussion
Ziele: Anregung zum kritischen Denken, Fin- Beschreibung der Übung/Anleitung: Die TeilnehmerInnen sitzen im Sesselkreis, so dass jeden einer Lösung
deR die/den andereN gut sehen kann. Die/der
Zielgruppe: Jugendliche und Erwachsene
GruppenleiterIn stellt die provokante These in
Gruppengröße: ca. 18-30
359
360
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
den Raum. Anschließend versuchen die TeilnehmerInnen, diese Aussage von allen denkbaren Seiten zu beleuchten und bedienen sich
dabei der Hütchenmethode. Die verschiedenfarbigen Hütchen stellen unterschiedliche Betrachtungsweisen des Sachverhaltes dar:
Der weiße Hut: reine Sachverhaltsbeschreibungen, Zahlen, Daten, Fakten; keine Emotionen
Der rote Hut: positive und negative Emotionen, subjektive Komponente
Der schwarze Hut: objektiv nachvollziehbare
negative Aspekte, Bedenken, Zweifel, Risiken
Der gelbe Hut: objektiv nachvollziehbare positive Aspekte
Der grüne Hut: Ideen der Verbesserung, Alternativen
Der blaue Hut: Aufgabe des Moderators; Meta-Ebene; Zusammenfassung, Maßnahmenplan, Diskussion
Nachdem die/der Gruppenleiter die provokante These aufgeworfen hat, geht als erstes der
weiße Hut im Sesselkreis herum, und Fakten
werden zunächst einmal gesammelt. Die Reihenfolge der übrigen Hütchen ist weitgehend
egal, der letzte Hut muss allerdings der blaue
sein.
Feedback: Anschließend an das Hütchenspiel
werden die TeilnehmerInnen dazu aufgefordert, ihre Gefühle und Gedanken während
der Diskussion darzulegen. War es für sie
eine neue Art und Weise der Lösungsfindung?
Kennt jemand ähnliche Ansätze?
Praktische Hinweise: Die/der GruppenleiterIn sollte stets darauf achten, dass immer nur
der Aspekt des jeweiligen Huts angesprochen
wird. Geht also beispielsweise der gelbe Hut
herum, darf kein negativer Aspekt oder kein
Gefühl etc. genannt werden. Der Vorteil liegt
darin, dass nicht vom Kernproblem abgeschweift wird und jeder annähernd gleich viel
Redezeit hat, ohne dass sich immer wenige
Personen in den Mittelpunkt drängen und die
Diskussion an sich reißen.
Das Hütchenspiel eignet sich für alle komplexen Fragestellungen oder Probleme, bei denen
eine einfache Lösung unmöglich scheint.
Verwandte Rechte und Themen: Nicht-Diskriminierung, Gleichheitsgrundsatz
Quelle: adaptiert aus: Edward de Bono. 1990.
Six Thinking Hats. London: Penguin.
Übung II: Der Einfluss des Internet
Teil I: Einleitung
Diese Übung umfasst sowohl die Diskussion in Kleingruppen als auch die Diskussion
in der ganzen Gruppe, um die positiven und
negativen Aspekte der Internetnutzung, deren
Einfluss auf das Recht der Meinungsäußerungsfreiheit und die Herausforderungen für
die Zukunft des Internets zu analysieren.
Teil II: Spezifische Information
Art der Übung: Diskussion
Ziele: das Bewusstsein über die Tragweite des
Internets und den Zugang zu weltweiter Information erhöhen; den Einfluss des Internets
auf die Menschenrechte identifizieren; Phänomene im Zusammenhang mit dem Internet
erkunden
Zielgruppe: Jugendliche und Erwachsene
Gruppengröße: beliebig
Zeit: ca. 45 Minuten
Materialien: Flipchart, Stifte
Fertigkeiten: Analytische Fähigkeiten, unterschiedliche Meinungen zu einem Thema ausdrücken, Fähigkeiten zur Teambildung
Teil III: Spezifische Information
Beschreibung der Übung/Anleitung: Zur Einführung präsentiert die/der GruppenleiterIn
allgemeine Informationen und einige grundlegende Fakten zum Internet, wie sie aus dem
Modul zu entnehmen sind. Danach werden
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
die TeilnehmerInnen dazu aufgefordert, in
Paaren über ihre Erfahrungen mit dem Internet und die Vor- und Nachteile der (Nicht-)
Nutzung zu sprechen. Dies sollte etwa 10 Minuten dauern.
Anschließend kommen alle TeilnehmerInnen
im Sesselkreis zusammen und diskutieren gemeinsam über die Tragweite des Internets, die
Nachteile und die Vorteile der Nutzung. Die/
der GruppenleiterIn kann folgende Fragestellungen anregen:
• Was wissen die TeilnehmerInnen von Menschenrechtsverletzungen durch das Internet
(wie z.B. Kinderpornographie, Cyber-Kriminalität)?
• Warum haben diese Verletzungen wachsenden Einfluss auf die Gesellschaft?
• Wie weit soll das Internet geregelt werden,
um solche Vorfälle zu verhindern?
• Sollte die Steuerung des Internet (Internet
Governance) eher durch staatliche oder
internationale Regelung oder durch freiwillige Selbstverpflichtungen und Verhaltenskodizes der AkteurInnen erfolgen?
Die Kernpunkte der Diskussion werden auf
Flipchart festgehalten.
Feedback: Was haben die TeilnehmerInnen
durch die Diskussion in Erfahrung bringen
können? Wie benützen sie selbst das Internet?
Für welche Zwecke nützen sie es? Die Gruppe
kann gemeinsam die gesammelten Punkte reflektieren. Überwiegen die Vorteile gegenüber
den Nachteilen? Was müsste unternommen
werden, um den Nachteilen entgegenzuwirken?
Praktische Hinweise: Bereits im Vorfeld sollte
abgeklärt werden, wie vertraut die TeilnehmerInnen mit dem Internet sind, um so das
Niveau und den generellen Zugang einzustu-
fen. Im Feedback ist es eine gute Idee, sich sowohl auf globale als auch auf lokale Themen
des Zugangs zu neuen Informationstechnologien zu konzentrieren, um sicherzustellen,
dass sich auch Personen ohne oder mit eingeschränktem Zugang zum Internet an der Diskussion beteiligen können.
Teil IV: Follow-up
Die TeilnehmerInnen könnten eine Podiumsdiskussion organisieren, in der ein Vertreter
von Amnesty International, von Google, des
Europarates und einer Regierung bzw. der EU
über die Frage diskutieren, inwieweit Suchmaschinen Zensurvorgaben von Regierungen
(Filterungen des Angebots von Webseiten) akzeptieren sollen, um den Markt nicht zu verlieren bzw. um den NutzerInnen einen Großteil
des Angebots weiterhin zur Verfügung stellen
zu können. Wie würden die TeilnehmerInnen
auf das Verlangen einer Regierung reagieren,
dass 1%, 5% oder 10% der Inhalte herausgefiltert werden müssen? Was könnte gegen die
zunehmende Internetzensur unternommen
werden? Wie sollte die Sicherheit des Internet zum Zwecke des Schutzes Minderjähriger
oder der Bekämpfung der Internetkriminalität verbessert werden, ohne dabei unnötige
menschenrechtliche Einschränkungen in Kauf
nehmen zu müssen?
Verwandte Themen und Rechte: Medien, Globalisierung
Quelle: adaptiert aus: Deutsches Institut für
Menschenrechte/Europarat (Hg.). 2005.
Kompass: Ein Handbuch zur Menschenrechtsbildung für die schulische und außerschulische
Bildungsarbeit.
3 61
362
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
Bibliographie
African Commission on Human and People’s Rights.
2000. Thirteenth Activity Report of the African Commission on Human and People’s Rights 1999-2000. http://
www.chr.up.ac.za/hr_docs/documents/13th_Annual_Activity_Report_AHG.pdf
Council of Europe (Hg.). 2004. A Guide to the Implementation of Article 10 of the European Convention
on Human Rights. Straßburg: Council of Europe Publishing.
Asia Media Information and Communication Centre
(Hg.). 2000. Media and Human Rights in Asia. Singapore: AMIC.
Council of Europe (Hg.). 2002. The Media in a Democratic Society: Reconciling Freedom of Expression with
the Protection of Human Rights. http://www.coe.int/
MediaLuxembourgE
Barendt, Eric. 2005. Freedom of Speech. Oxford: Oxford University Press.
Engel, Christoph. 2000. Die Europäische Grundrechtscharta und die Presse. In: ZUM Sonderheft, 2000.
Benedek, Wolfgang. 2008. Internet Governance and
Human Rights. In: Benedek, Wolfgang, Veronika Bauer
und Matthias C. Kettemann (Hg.). Internet Governance
and the Information Society, Global Perspectives and
European Dimensions. Utrecht: Eleven International
Publishing, 31-49.
Fallows, James. 1997. Breaking the News – How the
Media Undermined American Democracy. New York:
Vintage.
Benedek, Wolfgang. 2007. Der Schutz der Meinungsäußerungs- und der Medienfreiheit in der Informationsgesellschaft. In: Benedek, Wolfgang und Catrin Pekari
(Hg.). Menschenrechte in der Informationsgesellschaft.
Stuttgart: Boorberg, 125-146.
Berka, Walter, Christoph Grabenwarter und Michael
Holoubek (Hg.). 2005. Medienfreiheit versus Inhaltsregulierung (für Österreich). Wien: Manz.
Boyle, Kevin. 2000. Restrictions on the Freedom of
Expression. In: Asia-Europe Foundation (ASEF). The
Third Informal ASEM Seminar on Human Rights. Singapore, 27-37.
Burnheim, Sally. 1999. The Right to Communicate –
The Internet in Africa. London: Article 19.
Byerly, Carolyn M. und Karen Ross. 2006. Women
and Media: A Critical Introduction. Oxford: Blackwell.
Chrétien, Jean-Pierre. 1995. Rwanda – Les Médias du
Génocide. Paris: Karthala.
Council of Europe (Hg.). 2007. Freedom of Expression
in Europe. Case-Law Concerning Article 10 of the European Convention on Human Rights. Straßburg: Council
of Europe Publishing.
Freedom House (Hg.). 2005. Freedom of the Press
2005: A Global Survey of Media Independence. Lanham: Rowman & Littlefield.
Gesellschaft für freie Publizistik e.V. (Hg.) 2007.
Meinungsfreiheit? Geschichte und Politik im Würgegriff
der Politik. Coburg: Nation Europa Verlag.
Goff, Peter (Hg.). 1999. The Kosovo News and Propaganda War. Wien: International Press Institute.
Göhner, Kim. 2003. Meinungsfreiheit. München:
GRIN Verlag.
Grabenwarter, Christoph. 2005. Europäische Menschenrechtskonvention. 2. Aufl. München: C.H.Beck.
Gutman, Roy und David Rieff (Hg.). 2000. Kriegsverbrechen. München: DVA.
Hammond, Philip und Edward Herman (Hg.). 2000.
Degraded Capability – The Media and the Kosovo Crisis.
London: Pluto Press.
Heyns, Christof. 2002. Civil and Political Rights in
the African Charter. In: Evans, Malcolm D. und Rachel Murray (Hg.). The African Charter on Human
and People’s Rights. The System in Practice, 1986-2000.
Cambridge: Cambridge University Press, 137-177.
Hill, Michael W. 2005. The Impact of Information on
Society. 2. Aufl. London: Bowker Saur.
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
Hochhuth, Martin. 2006. Die Meinungsfreiheit im System des Grundgesetzes. Tübingen: Mohr Siebeck.
International Freedom of Expression Exchange
(Hg.). 2005. Campaigning for Freedom of Expression.
A Handbook for Advocates. Toronto: IFEX.
International Council on Human Rights Policy (Hg.).
2002. Journalism and the Challenge of Human Rights
Reporting. Genf: ICHRP.
Jørgensen, Rikke F. (Hg.). 2006. Human Rights in the
Global Information Society. Cambridge: MIT Press.
Reporters without Borders (Hg.). 2006. Freedom of
the Press Worldwide in 2007. Paris: Reporters without
Borders.
Reporters without Borders (Hg.). 2004. Internet under
Surveillance. Obstacles to the Free Flow of Information.
http://www.rsf.org/rubrique.php3?id_rubrique=433
Rothberg, Robert I. und Thomas G. Weiss. 1996.
From Massacres to Genocide – The Media, Public Policy, and Humanitarian Crises, Washington. D. C.: The
Brookings Institution Press.
Keane, John. 1991. The Media and Democracy. Cambridge: Polity Press.
Said, Edward. 1997. Covering Islam: How the Media
and the Experts Determine How We See the Rest of the
World. London: Vintage.
Kleinwächter, Wolfgang (Hg.). 2007. The Power of
Ideas. Internet Governance in a Global Multi-Stakeholder Environment. Berlin.
Spencer, Graham. 2005. The Media and Peace. From
Vietnam to the ‘War on Terror’. Basingstoke: PalgraveMacmillan.
Lenkova, Mariana (Hg.). 1998. Hate Speech in the
Balkans. Athen: International Helsinki Federation.
Soltau, Sven. 2007. Das Bundesverfassungsgericht
zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz. München: GRIN Verlag.
McRae, Rob. 2001. Human Security, Connectivity, and
the New Global Civil Society. In: McRae, Rob und Don
Hubert (Hg.). Human Security and the New Diplomacy.
Montréal: McGill-Queens University Press, 236-249.
Mill, John Stuart. 1859. On Liberty.
Moeller, Susan D. 1999. Compassion Fatigue – How
the Media Sell Disease, Famine, War and Death. New
York: Routledge.
Möller, Christian und Arnaud Amouroux (Hg.).
2007. Governing the Internet - Freedom and Regulation
in the OSCE Region. Wien: OSZE.
Nowak, Manfred. 2005. U.N. Covenant on Civil and
Political Rights: CCPR-Commentary. Kehl am Rhein: N.
P. Engel, Art. 19.
Österreichische Juristenkommision (Hg.). 2005. Caroline und die Folgen: Medienfreiheit am Wendepunkt.
Wien/Graz: NWV.
Pritchard, David (Hg.). 2000. Holding the Media Accountable – Citizens, Ethics and the Law. Bloomington:
Indiana University Press.
Rantanen, Terhi. 2005. The Media and Globalization.
London: Sage.
South African Human Rights Commission (Hg.).
2000. Faultlines – Inquiry into Racism in the Media.
Johannesburg: SAHRC.
Todorovic, Mirjana. 2003. Freedom of Expression and
the Right to Dignity and Reputation. In: Todorovic, Mirjana (Hg.). Culture of Human Rights. Belgrad: Belgrade
Human Rights Centre, 161-175.
UNESCO (Hg.). 2005. UNESCO World Report. Towards
Knowledge Societies. http://un-esdoc.unesco.org/
images/0014/001418/­141843e.pdf
United Nations Children Fund (Hg.). 1999. The Media and Children’s Rights – A Practical Introduction for
Media Professionals. London: PressWise.
United Nations Economic and Social Council (Hg.).
2003. Promotion and Protection of Human Rights: Information and Education. Implementation of the Plan
of Action of the United Nations Decade for Human
Rights Education. New York: United Nations.
United Nations Special Rapporteur on the Promotion and Protection of the Right to Freedom of Opinions and Expression. 2008. The Right to Freedom of
Opinion and Expression. Report von Ambeyi Ligabo
vom 28.2.2008, VN Dok. A/HRC/7/14.
363
364
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
Voltaire. 1764. Liberty of the Press. In: Philosophical Dictionary. Nachdruck 1984. London: Penguin Classics.
Council of Europe – Media Division:
http://www.coe.int/t/e/human_rights/media
von Dohnanyi, Johannes und Christian Möller. 2003.
The Impact of Media Concentration on Professional
Journalism. Vienna: OSZE.
Dynamic Coalition for an Internet Bill of Rights:
http://www.internet-bill-of-rights.org
White, Aidan. 2002. Journalism, Civil Liberties and
the War on Terrorism. Final Report on the Aftermath
of September 11 and the Implications for Journalism
and Civil Liberties. Brüssel: International Federation of
Journalists.
Zelger, Christian. 1998. Zensur im Internet: Eine Argumentationsanalyse auf Grundlage des Naturrechts
und der Menschenrechte. Berlin: Verlag für Wissenschaft und Forschung.
Independent Media Commission (Kosovo):
http://www.imc-ko.org
International Federation of Journalists:
http://www.ifj.org
International Freedom of Expression Exchange:
http://www.ifex.org
International P.E.N.:
http://www.internationalpen.org.uk
International Publishers Association (IPA):
http://www.ipa-uie.org
ZUSÄTZLICHE INFORMATIONEN
Amnesty International:
http://www.irrepressible.info
Article 19:
http://article19.org
Asia Media Information and Communication Centre:
http://www.amic.org.sg
Association for Progressive Communications (APC):
http://www.apc.org
Crimes of War Project:
http://www.crimesofwar.org
Communication Regulation Agency (CRA) of Bosnia-Herzegovina:
http://www.cra.ba
Media Foundation for West Africa:
http://www.mfwaonline.org/en/home.php
OSCE – Representative on Freedom of the Media:
http://www.osce.org/fom
Reporters without Borders, Annual Report 2007:
http://www.rsf.org/rubrique.php3?id_rubrique=659
Soul beat Africa – Communication for Change:
http://www.comminit.com/africa
South East Europe Media Organization (SEEMO):
http://www.seemo.org
UNESCO Advisory Group for Press Freedom:
http://www.unesco.org/webworld/wpfd/group.html
M E I N U N G S Ä U S S E RU N G S - U N D M E D I E N F R E I H E I T
DEMOKRATIE
REPRÄSENTATION UND PARTIZIPATION
PLURALISMUS, TOLERANZ UND INKLUSION
MENSCHENWÜRDE UND FREIHEIT
„Jeder Mensch hat das Recht, an der Leitung öffentlicher Angelegenheiten
seines Landes unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreter teilzunehmen.
Jeder Mensch hat unter gleichen Bedingungen das Recht auf Zulassung
zu öffentlichen Ämtern in seinem Lande. Der Wille des Volkes bildet die
Grundlage für die Autorität der öffentlichen Gewalt; dieser Wille muss
durch periodische und unverfälschte Wahlen mit allgemeinem und gleichem Wahlrecht bei geheimer Stimmabgabe oder in einem gleichwertigen
freien Wahlverfahren zum Ausdruck kommen.“
Art. 21, Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. 1948.
365
366
D E M O K R AT I E
GESCHICHTE ZUR ILLUSTRATION
blieb. Mit ihren 5.000 SoldatInnen und 1.250
Demokratisierung in Ost-Timor
Nach 450 Jahren Fremdherrschaft und 25 Jah- PolizistInnen half UNMISET der Regierung, für
ren indonesischer Besatzung stimmten die Ost- die Sicherheit der BürgerInnen Ost-Timors im
TimorerInnen 1999 in einer von den Vereinten ersten Jahr seines Bestehens zu sorgen. Am 27.
Nationen durchgeführten Volksbefragung für September 2002 wurde Ost-Timor das 191. Mitihre Unabhängigkeit. Die indonesische Armee glied der Organisation der Vereinten Nationen.
begegnete dem Ruf nach Unabhängigkeit mit
brutaler Gewalt. Zusammen mit pro-indone- Gerechtigkeit und Versöhnung
sischen Militärgruppierungen reagierte sie auf Der Wandel Ost-Timors zur Demokratie ist
die Forderung nach Unabhängigkeit mit dem dadurch überschattet, dass jene, die für die
Mord an mindestens 1.000 Menschen und der Gräueltaten von 1999 verantwortlich waren,
Deportierung einiger 100.000 Menschen nach bis heute nicht für ihre Verbrechen vor GeIndonesisch-West-Timor. Weiters wurden un- richt gestellt wurden. Die meisten der dafür
zählige Städte und Dörfer von den Truppen Verantwortlichen leben in Indonesien, dessen
zerstört. Als Antwort auf diese Krise entsand- Regierung sich weigert, sie nach Ost-Timor
ten die Vereinten Nationen ihre Truppen am auszuliefern.
20. September 1999 nach Ost-Timor und führten am 26. Oktober die Transnationale Verwal- Auf Initiative und Empfehlung der Internationalen Gemeinschaft schuf Indonesien ein Mentung (UNTAET) ein.
schenrechtstribunal in Jakarta, um die im Jahr
Mit Unterstützung der UNO wurde am 20. Mai 1999 begangenen Verbrechen gegen die Mensch2002 die Demokratische Republik Ost-Timor lichkeit gerichtlich zu verfolgen. Das Tribunal
offiziell aus der Taufe gehoben. Am 30. Au- wurde eingerichtet, um RegierungsbeamtInnen
gust 2001 wurde nach den ersten freien und und Mitglieder der Sicherheitstruppen zur Andemokratischen Wahlen in Ost-Timor eine 88 klage zu bringen. Viele BeobachterInnen haMitglieder umfassende Verfassungsversamm- ben ein Versagen des Tribunals beanstandet,
lung gewählt, die eine Verfassung mit den da General Wiranto, der Oberbefehlshaber
Grundsätzen einer demokratischen Republik der indonesischen Truppen zum Zeitpunkt
und eines Parlaments schrieb und eine/n Pre- der Massaker, nicht angeklagt wurde. Darüber hinaus wurden viele Angeklagte entweder
mierministerIn und PräsidentIn vorsieht.
freigelassen oder sind mit einer milden Strafe
Die ersten Präsidentschaftswahlen am 14. Ap- davongekommen.
ril 2002 konnte Xanana Gusmão, ein früherer
Anführer der Guerilla im Kampf für die Unab- Sowohl die Menschenrechtskommission der
hängigkeit, für sich entscheiden. Gusmão, eine UNO als auch NGOs wie Amnesty InternatioLegende innerhalb seines Volkes, soll durch nal oder Human Rights Watch beklagten, dass
seine Popularität dazu beitragen, das Land die Verhandlungen von Anfang an äußerst
zu stabilisieren. Die UNTAET wurde durch die fehlerhaft und mangelhaft waren.
UNO-Mission zur Unterstützung Ost-Timors MenschenrechtsanwältInnen forderten, dass
(UNMISET) ersetzt, die bis Mai 2003 im Land ein von der UNO betriebenes internationales
D E M O K R AT I E
Verbrechertribunal für Ost-Timor eingerichtet neben Tetun) „Timor Leste“ heißt, über die
werden sollte, ähnlich den Tribunalen für die notwendigen Ressourcen für den Aufbau eiin Ex-Jugoslawien und Ruanda begangenen ner Zivilgesellschaft und einer demokratischen
Gräueltaten. Die oberste Führung Ost-Timors Kultur, die auf den Prinzipien der Teilhabe
ist jedoch uneinig über das Schicksal der Mit- (Partizipation), der Einbeziehung (Inklusion)
glieder des Militärs, die für die Gräueltaten und der Menschenwürde beruhen.
verantwortlich zeichnen. In den Bemühungen
um nationale Einheit und Versöhnung forderte Quelle: adaptiert aus BBC World Service. FallPräsident Gusmão Amnestie für die Angeklag- studie: Demokratie in Ost-Timor. http://www.
ten. Premier Marí Alkatiri ist jedoch der Mei- bbc.co.uk/worldservice/people/features/ihavearightto/index.shtml
nung, dass Gerechtigkeit geübt werden muss.
Diskussionsfragen
Zukünftige Herausforderungen
Viele Aufgaben liegen vor der neuen Nati- 1. Sind Gerechtigkeit und Versöhnung interdependent, oder schließen sie einander aus?
on. Zu den wichtigsten gehört, Tausende von
Flüchtlingen wieder in der Heimat anzusie- 2. Kennen Sie andere Staaten, die um Demokratie ringen? Was sind die Probleme, mit
deln, den Umgang mit den für die Gräueltaten
denen sich diese Staaten auseinandersetVerantwortlichen klären, die Armut wirkungszen müssen?
voll zu bekämpft und die noch jungen demokratischen Strukturen zu fördern. Mit Hilfe der 3.Welche Grundelemente sollte ein Demokratisierungsprozess aufweisen und fördern?
Vereinten Nationen wird die ost-timoresische
Demokratie diese Schwierigkeiten überwinden. 4.Was können aktive BürgerInnen zum Prozess der Demokratisierung in ihren jeweiMit reichen Öl- und Gasvorkommen in den küsligen Ländern beitragen? Versuchen Sie,
tennahen Gewässern verfügt der junge Staat,
konkrete Vorschläge zu erarbeiten.
der auf Portugiesisch (die zweite Staatssprache
Was man wissen muss
1. Ist die Demokratie weltweit
auf dem Vormarsch?
Demokratie wird üblicherweise als „Herrschaft
durch das Volk“ übersetzt. Eine genaue inhaltliche Definition von Demokratie ist jedoch
Das Recht auf Partizipation gehört zu den schwierig. Sie bezeichnet sowohl die Regiewichtigsten Menschenrechten und bildet das rungsform an sich als auch eine Idee, welche
Fundament der Prinzipien, Visionen und Wer- sich auf die soziopolitische und rechtliche Ordte des Netzwerkes für Menschliche Sicher- nung eines Staates bezieht. Demokratie kann
heit. Dessen spezifische Handlungsagenda aber auch als Ideologie gesehen werden; in der
– die Förderung der Menschlichen Sicherheit Praxis wie in der Wissenschaft existieren die
– stützt sich sowohl auf Partizipation als auch verschiedensten Demokratiemodelle.
auf Demokratie.
367
368
D E M O K R AT I E
In ihrem Kern ist Demokratie eng mit den Prinzipien der Menschenrechte verbunden und
kann ohne den vollen Respekt und die Anerkennung der Menschenwürde nicht bestehen.
Demokratie meint Partizipation (Teilhabe)
und Repräsentation, umfasst aber auch Einbeziehung: das Recht, aktiv am zivilgesellschaftlichen Leben der eigenen Gemeinschaft, der
eigenen Region und des eigenen Staates teilzunehmen. Wie stark ein Individuum dieses
Recht in Anspruch nimmt, ist ihm überlassen.
Neben der Einbeziehung sind Pluralismus
und Toleranz Zentralbegriffe der Debatte um
demokratische Regierungsführung. Eine pluralistische Gesellschaft überwindet die „Andersheit“ der MitbürgerInnen; Personen mit
unterschiedlichen kulturellen Hintergründen
leben zusammen in Würde und unter dem
Schutz des Rechtsstaats. Diversität wird als
Quelle der Kreativität und als Bereicherung,
nicht als Problem wahrgenommen. Niemand
mit einem Anspruch auf StaatsbürgerInnenschaft oder einem rechtmäßigen Aufenthalts-
titel darf von der Teilhabe am demokratischen
Leben ausgeschlossen werden – dies ist ein
entscheidender Testfall für die Demokratie.
Zwischen undemokratischen Strukturen und
der Verletzung von Menschenrechten gibt es
eine offensichtliche Verbindung. Selbst funktionierende demokratische Gesellschaften können schwach sein, wenn sie der Verweigerung
von Menschenrechten nicht entgegentreten.
Eine Menschenrechtsverletzung ist einzelfallbezogen, das Ignorieren oder gar Billigen von
Menschenrechtsverletzungen (das oft mit der
Verweigerung echter gesellschaftlicher Teilhabe einhergeht), ist ein soziales, systemisches
Phänomen. Selbst eine gefestigte Demokratie
wie Kanada, das auf dem Index der Menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen
ständig auf den ersten Rängen zu finden ist,
gesteht ein, dass die umfassende Einbeziehung der indigenen Bevölkerung nicht erreicht worden sei. Auch wird Frauen in vielen
gefestigten Demokratien weiterhin das Vordringen in die obersten Etagen der Macht un-
Globale Entwicklung
der Demokratie
Globale Zersplitterungen
Seit 1980 haben mehr als 81 Länder den Schritt Richtung
Demokratie gewagt. 33 Militärregimes wurden durch zivile Regierungen ersetzt.
Von den 81 neuen Demokratien sind nur 47 voll demokratisch. Viele befinden sich nicht einmal in der Übergangsphase zur Demokratie, sind durch Totalitarismus
oder Konflikte geprägt.
Von fast 200 Nationen weltweit finden in 140 Ländern
Mehrparteienwahlen statt – mehr als jemals zuvor.
Nur 82 Länder, das entspricht 57% der
Weltbevölkerung, sind voll demokratisch.
125 Länder mit 62% der Weltbevölkerung haben eine
freie oder teilweise freie Presse.
61 Nationen mit 38% der Weltbevölkerung haben noch
immer keine freie Presse.
Seit 1990 hat die Anzahl jener Staaten, welche die
sechs wichtigsten Menschenrechtskonventionen
und -pakte ratifiziert haben, stark zugenommen.
Die Ratifikationen des Internationalen Pakts über
wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte
(IPWSKR) und des Internationalen Pakts über
bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) sind von 90
auf 159 bzw. 162 angewachsen.
In 106 Nationen werden noch immer die bürgerlichen
und politischen Freiheiten beschränkt. 30 Staaten
haben den Internationalen Pakt über bürgerliche
und politische Rechte (IPBPR) nicht unterzeichnet,
dasselbe trifft für 33 Länder hinsichtlich des
Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und
kulturelle Rechte zu.
In 10 Ländern beträgt der Anteil weiblicher
Parlamentarierinnen mehr als 30%.
Nur 14% aller ParlamentarierInnen weltweit sind
weiblich, und in 10 Ländern gibt es überhaupt keine
weiblichen Parlamentarierinnen.
Quelle: adaptiert aus UNDP. 2002. Bericht über die menschliche Entwicklung.
D E M O K R AT I E
die auf die Bildung verantwortungsbewusster
BürgerInnen abzielt.
Demokratie im Aufwind
(Prozent aller Regierungen)
1990
2003
Autokratie
39%
18%
Zwischenformen
22%
27%
Demokratie
39%
55%
Quelle: UNDP. 2005. Bericht über die menschliche
Entwicklung.
möglich gemacht oder zumindest erschwert.
In den Vereinigten Staaten, einer der ältesten
Demokratien der Welt, ist der Kampf um die
ganzheitliche demokratische Einbeziehung
ethnischer Minderheiten sowie von Frauen
und Minderheiten auf Grund der sexuellen
Orientierung auch nach der Präsidentenwahl
2008 bei weitem nicht abgeschlossen.
Die Nichteinbeziehung und mangelnde Pluralisierung der Gesellschaft kann schwerwiegende Konsequenzen haben, wie etwa Ende
2005 in den französischen Vorstädten und in
Deutschland in Hinblick auf Jugendliche mit
türkischem Migrationshintergrund sichtbar
wurde. Ein umfassendes Verständnis der Bedeutung von Einbeziehung und Pluralismus
ist eine Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung der Demokratie. Bis heute ist die Demokratie unbestreitbar jenes System, welches
am meisten zum Schutz der Menschenrechte
und der Menschlichen Sicherheit beiträgt.
Demokratie hängt vom Interesse und der aktiven Teilnahme ihrer NutznießerInnen ab.
Die Grundvoraussetzungen einer sinnvollen
Partizipation in einem demokratischen System sind: Information und Zugang zu Wissen. Nur jene, die wissen, wie das System
funktioniert, die Kenntnis von den Mechanismen und Institutionen einer demokratischen
Gesellschaft haben, können etwas beitragen
und auch selbst davon profitieren. Die Vermittlung dieses Prinzips gehört zu den wichtigsten Grundlagen der Demokratieerziehung,
Dieses Modul soll ein Bild von Demokratie
und Menschenrechten skizzieren, welches
klar macht, dass Demokratie nicht nur etwas
ist, das einmal und für immer erreicht wird,
sondern vielmehr ein Prozess, der ständig Arbeit und Einsatz erfordert.
Demokratie und Menschliche Sicherheit
Die Agenda der Menschlichen Sicherheit
versucht das Leben der Menschen von
allgegenwärtigen Bedrohungen – politischer, sozialer oder wirtschaftlicher Natur – zu befreien. Sie beginnt mit dem
Bekenntnis, dass sowohl die Achtung
der Menschenrechte und der demokratischen Freiheiten als auch die Ermöglichung menschlicher Entwicklung
für den Schutz und die Förderung der
Menschlichen Sicherheit unverzichtbar
sind. Die Förderung der Menschenrechte,
der menschlichen Entwicklung und der
Menschlichen Sicherheit – dreier sich
überlappender und miteinander verbundener Konzepte, welche die Grundlage
der Vision einer neuen Weltordnung bilden – kann nur in Gesellschaften Wurzeln fassen, in denen demokratische
Werte nicht nur propagiert, sondern auch
gelebt werden.
In einer Demokratie beinhaltet die Achtung der Menschenrechte die Freiheit von
Angst und von Bedrohungen der elementaren Existenz. Menschliche Entwicklung
umfasst den Anspruch auf Ressourcen
und Freiheiten, die zur Entwicklung
des menschlichen Potentials nötig sind.
Menschliche Sicherheit verlangt Freiheit
von Hunger, Krieg, ökologischen Katas-
369
3 70
D E M O K R AT I E
trophen, korruptem Regierungshandeln
und anderen Hindernissen für ein Leben
in Gerechtigkeit, Solidarität und Chancengleichheit für alle.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass
nur gleiche, freie und demokratische Partizipation im politischen, sozialen und
wirtschaftlichen Leben eines Staates oder
einer Gemeinschaft Menschliche Sicherheit fördern kann. Nur die volle Garantie
der Menschenrechte, partizipatorischen
Regierungshandelns, der Rechtsstaatlichkeit, nachhaltiger Entwicklung und
gleichen Zugangs zu Ressourcen kann
garantieren, dass sich die Menschliche Sicherheit von einem neuen diplomatischen
Paradigma hin zu einer breiten Basis für
demokratische Beschlussfassung und internationaler Kooperation entwickelt.
2. Definition und
Beschreibung des Themas
Was ist Demokratie, und wie
hat sie sich entwickelt?
Die Demokratie ist eine Form der Regierung, in
der sich die Macht des Staats durch das Volk
ergibt. Das Wort „Demokratie“ hat seinen Ursprung in den altgriechischen Worten demos
(Volk) und kratos (Macht, Herrschaft). Die
Prinzipien der modernen Demokratie haben
sich nach und nach aus der calvinistischen
religiösen Bewegung entwickelt, besonders
in Schottland, England und Holland. Dort begannen die Gemeinschaften nicht nur die religiösen Ideen der Calvinisten zu unterstützen,
sondern auch deren politisches Gedankengut.
Die Philosophie der Freiheit und Gleichheit für
alle wurde während der Phase der Aufklärung
weiter entwickelt und somit zu einem der
„Meine Auffassung von
Demokratie ist, dass in ihr der
Schwächste dieselben Möglichkeiten
hat wie der Stärkste.“
Mahatma Gandhi. 1948.
Kernelemente der Demokratie.
Der erste moderne demokratische Staat wurde
in den USA geschaffen; der erste auf demokratischen Grundlagen basierende europäische
Staat war Frankreich nach der französischen
Revolution.
Nach 1945 verbreitete sich die liberale westliche Demokratie sowohl in Europa als auch in
anderen Teilen der Welt. Sie ersetzte in vielen
Fällen die ursprünglichen autoritären Regierungsformen. Seit dem Ende der faschistischen
Regierungen scheint es, als ob die Krise der Demokratie im 20. Jahrhundert überwunden wäre.
Der lange und schwierige Prozess der Dekolonialisierung, in dem das Recht auf Selbstbestimmung durch die westlichen Staaten anerkannt
wurde, brachte schließlich auch zahlreichen
ehemaligen Kolonien demokratische Regierungsformen. Auch die Diktaturen in Spanien,
Portugal, Griechenland, Argentinien und Uruguay entwickelten sich in den letzten Jahrzehnten
alle zu Demokratien. Es scheint, als ob sich mit
dem Fall der Berliner Mauer im Jahre 1989 und
dem Ende des stalinistischen Systems in Zentral- und Osteuropa die Demokratie tatsächlich
durchgesetzt hätte. Nicht alle Länder jedoch,
die sich formal zur Demokratie als Regierungsform bekannt haben, respektieren die demokratischen Prinzipien oder „leben“ Demokratie in
der Praxis. Diese eher paradoxe Entwicklung
verdeutlicht die Notwendigkeit einer Debatte
über Demokratie und Demokratisierung.
D E M O K R AT I E
Kernelemente der
• Rechtsstaatlichkeit und faires Verfahren:
modernen Demokratie
Demokratie soll die tyrannische Herrschaft
Es ist schwierig festzustellen, wie demokraeiner einzelnen Person oder einer kleinen
tisch eine Gesellschaft tatsächlich ist. DenGruppe von Leuten verhindern. Rechtsnoch gibt es eine Reihe von Kernelementen,
staatlichkeit garantiert, dass der Staat
welche die Grundlage jeder demokratischen
eine gesetzliche Ordnung hat, welche die
Gesellschaft bilden. Um diese Elemente besGleichheit vor dem Gesetz sicherstellt, die
ser kennenzulernen und zu verstehen, spielt
Macht der Behörden beschränkt und gleiBildung auf allen Ebenen eine wichtige Rolle.
chen Zugang zu einer unabhängigen und
fairen Justiz gewährt.
• Gleichheit: Das Prinzip der Gleichheit be- Rechtsstaatlichkeit und faires
inhaltet, dass alle Menschen frei und gleich Verfahren
an Würde und Rechten geboren sind, sie • Achtung der Menschenrechte: Die Basis
haben sowohl die gleichen Möglichkeiten
einer funktionierenden demokratischen
und Mitwirkungsrechte im politischen AllGesellschaft ist die Akzeptanz des Postagsleben der Gesellschaft als auch einen
tulats, dass alle Menschen gleich und frei
Anspruch auf Gleichbehandlung vor dem
an Würde und Rechten geboren sind. Ein
Gesetz. Dies beinhaltet auch die soziale
demokratischer Staat hat die Pflicht, die
und wirtschaftliche Gleichheit zwischen
Achtung, den Schutz und die Erfüllung
Frauen und Männern.
der Menschenrechte zu garantieren und
somit Freiheit von Angst und Freiheit von
Menschenrechte der Frau
Not zu gewährleisten. Mit Rücksicht auf die
• Partizipation: Ohne Partizipation ist DeDemokratie sollte ein besonderer Schwermokratie bedeutungslos. Die Möglichkeit
punkt auf Mitbestimmung der BürgerInnen
der Partizipation in gesellschaftlichen und
wie beispielsweise Versammlungsfreiheit,
politischen Angelegenheiten gilt als Vo­
Redefreiheit, Gedanken-, Gewissens- und
raussetzung für Demokratie. Demokratie
Religionsfreiheit gelegt werden. Trotzdem
ist eine Form der Partizipation, jedoch ist
können bürgerliche und politische Rechte
Partizipation in einem breiteren Rahmen zu
alleine weder Frieden noch Menschliche
sehen und hat nicht nur starke politische
Sicherheit garantieren. Nur wenn auch die
Implikationen, sondern auch soziale und
grundlegenden wirtschaftlichen, sozialen
wirtschaftliche. Partizipation alleine kann
und kulturellen Bedürfnisse berücksichtigt
aber Demokratie nicht garantieren.
werden, kann ein günstiges Umfeld für De• Mehrheitsherrschaft und Minderheitenmokratie geschaffen werden.
rechte: Obwohl Demokratie wörtlich übersetzt „Herrschaft durch das Volk“ heißt, ist • Politischer Pluralismus: Traditionellerweise ist es Aufgabe der Parteien, die verschieeigentlich die „Herrschaft durch die Mehrdenen Ideen und Meinungen zu erfassen
heit“ darunter zu verstehen. Das bedeutet
und sie in der öffentlichen Debatte zu verauch, dass die Mehrheit die Rechte und die
treten. Nur politischer Pluralismus kann
verschiedenen Bedürfnisse der Minderheit
Strukturen sichern, die einerseits flexibel
berücksichtigen muss. Vom Ausmaß der
genug sind, sich laufenden Änderungen
Erfüllung dieser Verpflichtung kann man
von Bedürfnissen anzupassen, und andeden Grad der Verwirklichung der demokrarerseits eine sichere Grundlage demokratischen Werte einer Gesellschaft ableiten.
tischen Regierens garantieren. Politische
Nicht-Diskriminierung
3 71
372
D E M O K R AT I E
Staat. Heute gilt die Gewaltenteilung als
Freiheit kann jedoch auch dazu missfundamentales Prinzip moderner Demokrabraucht werden, Ideen zu verbreiten, die
tien. Nach diesem Prinzip wird die staatlizu Hass anstacheln, Gewalt provozieren
che Gewalt zwischen Legislative, Exekutive
und zu einer Bedrohung für demokratische
und Judikative, die unabhängig voneinGesellschaft und Ordnung werden können.
ander arbeiten, aber sowohl einander als
Es ist schwierig, solchen Strömungen auf
auch dem Volk verantwortlich sind, aufgedemokratischem Weg zu begegnen und die
teilt. Dieses System der „checks and balanInteressen der Mehrheit der Gesellschaft zu
ces“ (der gegenseitigen Überprüfung und
schützen, ohne dadurch die Meinungsäudes Ausgleichs) garantiert eine adäquate
ßerungsfreiheit zu beschränken. Doch auch
Kontrolle und verhindert den Missbrauch
Demokratien müssen sich bis zu einem geder Staatsgewalten.
wissen, von menschenrechtlichen Überlegungen bestimmten Grad, selbst schützen,
Demokratietheorien
wie zum Beispiel vor Terrorismus.
• Freie und faire Wahlen: Das grundlegends- Die verschiedenen Ausprägungen der Demote und wichtigste Merkmal der Demokratie kratie hat eine Vielfalt an Theorien und Mosind Wahlen. Kein anderes Regime über- dellen produziert.
lässt die Entscheidung über die politische Ein Unterschied zwischen den Gruppen von
Führung denen, die in erster Linie durch Theorien soll aufgrund seiner traditionellen
das Regierungssystem betroffen sind – dem Rolle – obwohl für die aktuelle Debatte zu
Volk. Bei jeder Wahl hat das Volk die Mög- einfach – genannt werden: der Unterschied
lichkeit, seinen Wunsch nach Änderun- zwischen der Konkordanz- und der Konkurgen, aber auch seine Befürwortung der renztheorie der Demokratie. Demokratie als
gegenwärtigen Politik auszudrücken und Konkurrenz zu betrachten, erlaubt verschieso an einem permanenten Evaluierungs- dene legitime Meinungen, die miteinander
prozess teilzunehmen. Dennoch hat die konkurrieren (wobei die Konkurrenz der MeiGeschichte gezeigt, dass die Möglichkeit nungen von der Mehrheit entschieden wird).
der Partizipation keine Selbstverständlich- Demokratie im Sinne von Konkordanz bekeit ist. Beispielsweise wurden Frauen lan- trachtet die Einheit zwischen HerrscherInnen
ge von diesem Prozess ausgeschlossen. Im und Beherrschten und leugnet die Existenz
Schweizer Kanton Appenzell-Innerrhoden legitimer Differenzen. Sie bemüht sich, die
– ein Kanton eines Landes, das für seine volonté générale (den Gemeinwillen, ein Konentwickelten demokratischen Strukturen zept Jean-Jacques Rousseaus) zu finden und
bekannt ist – erhielten Frauen erst Anfang diese gesetzlich zu verankern.
der 1990er-Jahre das Recht zu wählen. Es
ist entscheidend zu garantieren, dass das Formen der Demokratie
Recht zu wählen universal, gleich, geheim Der Aufbau und die Struktur der modernen
Demokratien sind sehr unterschiedlich. Die
und direkt ist.
• Gewaltenteilung: Frühe Befürworter der traditionelle Unterscheidung liberaler DemoGewaltenteilung waren John Locke (Zwei kratien beruht auf den Modellen der direkten
Abhandlungen über die Regierung, 1690) und repräsentativen Demokratie.
und Charles de Montesquieu (Vom Geist
der Gesetze, 1748). Ihre Lehren richteten Die direkte Demokratie ist eine Regierungssich vor allem gegen den absolutistischen form, in der das Recht, politische Entschei-
D E M O K R AT I E
dungen zu treffen, unmittelbar durch die • Parlamentarische Demokratie: In dieser
Form der Regierung spielt das Parlament
StaatsbürgerInnen ausgeübt wird, nach den
eine zentrale Rolle. An der Spitze der ExeGrundsätzen der Mehrheitsentscheidung. Da
kutive steht eine/e PremierministerIn oder
diese Form der Demokratie jedoch nur in kleiein/e KanzlerIn, der/die vom Vertrauen des
nen Entitäten realisierbar ist, gibt es keinen
Parlaments abhängig ist. Das Staatsobereinzigen modernen demokratischen Staat, der
haupt hat normalerweise keine oder nur
eine reine direkte Demokratie ist. Jedoch weieine geringe exekutive Macht und ist auf
sen fast alle demokratischen Staaten Elemenrepräsentative Funktionen beschränkt.
te der direkten Demokratie auf. Einrichtungen
direkter Demokratie sind Volksversammlun- • Präsidialdemokratie: An der Spitze der
Exekutive steht das Staatsoberhaupt, welgen, Volksbegehren, Absetzungsverfahren,
ches direkt vom Volk gewählt wird und
Referenden, usw.
nicht vom Vertrauen des Parlaments abhängig ist.
Die zweite Erscheinungsform ist die repräsentative Demokratie, eine Form der Regierung, Werden beide Modelle gegenübergestellt, zeiin der BürgerInnen die gleichen Rechte wie gen sich Unterschiede:
in der direkten Demokratie haben. Sie üben • In einem Präsidialsystem werden getrennte
Regierungs- und Parlamentswahlen abgediese aber nicht direkt aus, sondern durch gehalten, während in einer parlamentarischen
wählte und ihnen gegenüber verantwortliche
Demokratie beides in einer einzigen Wahl
VertreterInnen. Zwei wichtige Elemente der
entschieden wird (das Staatsoberhaupt
repräsentativen Demokratie sind die Trennung
kann gesondert gewählt werden).
von HerrscherInnen und Beherrschten und periodische Wahlen, anhand derer die Kontrolle • Im parlamentarischen System wird die Regierung durch das Parlament autorisiert,
der Herrschenden durch die Beherrschten gewelches auch das Recht der Absetzung hat.
währleistet ist. Die repräsentative Demokratie
Diese Option ist den Parlamenten in einer
ist mit zwei Grundsystemen des Regierens
Präsidialdemokratie versagt, ausgenommen
verknüpft: der Parlamentarischen Demokratie
sind nur Amtsenthebungsverfahren.
und der Präsidialdemokratie.
• Andererseits hat das Staatsoberhaupt einer
parlamentarischen Demokratie die MögFormen der Demokratie
lichkeit, unter gewissen Vorraussetzungen
das Parlament aufzulösen.
•
Im
Gegensatz zum Präsidialsystem gilt in
Direkte
Repräsentative
Demokratie
Demokratie
vielen parlamentarischen Systemen der
Grundsatz, dass nur ein Mitglied des ParlaPräsidiale
Parlamentarische
ments Regierungsmitglied werden kann.
Demokratie
Demokratie
• In parlamentarischen Demokratien sind
normalerweise das Parlament und die ReWirklichkeit:
gierung enger miteinander verbunden,
Mischformen der Demokratie
während es in Präsidialdemokratien eine
klarere Abgrenzung der Macht gibt. Die
Quelle: International UNESCO Education
Exe­kutivgewalt ist jedoch oft zwischen dem
Server for Civic, Peace and Human Rights
Staatsoberhaupt einerseits und der/dem
Education. http://www.dadalos.org
PremierministerIn andererseits aufgeteilt.
373
374
D E M O K R AT I E
• Gesetzesinitiativen beruhen in einer parlamentarischen Demokratie zum größten Teil
auf Regierungsinitiativen.
• In repräsentativen Demokratien spielen
Parteien, insbesondere Oppositionsparteien, eine viel größere Rolle.
• Heutzutage ist die parlamentarische Demokratie mit einer aufgewerteten Rolle des
Staatsoberhauptes die gängigste Form.
sammenspiel dieser Kernelemente der Demokratie und ihrem wechselseitigen Verhältnis.
Ein Hauptkritikpunkt in diesem Zusammenhang ist der „Eurozentrismus“, der das politische Denken, die Theorie und die Praxis
der Demokratie stark beeinflusst. Die Demokratie ist in ihrer praktischen Ausprägung pluralistisch. Es bestehen viele unterschiedliche
und nicht westlich dominierte Spielarten der
Demokratie; sie „gehört“ keiner einzelnen
Formen der Demokratie in der Realität
Die meisten bestehenden Demokratien sind Region. In armen und bevölkerungsreichen
Kombinationen dieser zuvor genannten Ideal- Staaten wie Bangladesch sieht sich die Detypen der Demokratie und weisen Elemente mokratie großen Herausforderungen und den
Verlockungen autoritärerer Herrschaftsformen
aller Formen auf.
gegenüber. Die dortige Demokratie zeigt sich
jedoch widerstandsfähig, weil sie organisch
und in Wechselbeziehung zu den lokalen BeKlassische Beispiele parlamentarischer
dingungen gewachsen ist und eben nicht von
Demokratien sind Großbritannien und
außen oktroyiert wurde.
die meisten westeuropäischen Staaten,
Die „perfekte Demokratie“ gibt es nicht, weder
während die USA das bekannteste Beiin der östlichen noch in der westlichen Hespiel einer Präsidialdemokratie sind. In
misphäre. Es gibt zwar allgemein anerkannWesteuropa gibt es eine Reihe von Sonte konstituierende Elemente der Demokratie;
dermodellen: die Schweiz, Frankreich
die den einzelnen Elementen zugemessene
(eine Semi-Präsidialdemokratie) und
Bedeutung und ihre Realisierung sind jedoch
Portugal. Diese Unterscheidung kann
je nach Kulturkreis verschieden. Nach dem
auch auf alle anderen Demokratien weltwestlichen Verständnis von Demokratie hat
weit angewendet werden, obwohl diese
die/der Einzelne ein Maximum an Freiheit
nicht notwendigerweise auf liberalen
und – in Relation zu den anderen freien MitTraditionen beruhen.
gliedern einer demokratischen Gesellschaft.
Die besondere Betonung der Wichtigkeit der
bürgerlichen und politischen Rechte, die diesem Modell unterliegt, stellt für einige Länder
3.Interkulturelle Perspektiven
ein Problem dar.
und strittige Themen
Demokratie hat viele Formen und Manifesta- Die Debatte um „asiatische Werte“
tionen und wird in unterschiedlichen Kultur- China ist einer der Hauptproponenten eines
kreisen unterschiedlich verstanden. Während alten, patriarchalischen Sozialmodells, das
in einigen Demokratien die Schwerpunkte bei auf dem Prinzip der kollektiven Rechte und
der Gewaltenteilung und der Rechtsstaat- des gesamtgesellschaftlichen Fortschritts belichkeit liegen, bevorzugen andere das Kon- ruht. Dieser Ansatz weicht beachtlich von der
zept der Partizipation. Unterschiede basieren Konzeption individueller Rechte ab, die dem
hauptsächlich auf dem unterschiedlichen Zu- westlichen Demokratiemodell zugrunde liegt.
D E M O K R AT I E
Einige der asiatischen Sozialmodelle der De- Demokratie und Islam:
mokratie basieren auf Konzepten der Partizi- eine Herausforderung
pation, die kaum etwas mit dem westlichen Versuche, die Beziehung zwischen Islam und
Verständnis von Demokratie zu tun haben. Demokratie zu definieren, haben sich sowohl
Statt auf der Idee der maximalen Freiheit der/ für MuslimInnen als auch für Nicht-Muslides Einzelnen beruhen sie auf einer Art Ge- mInnen als äußerst problematisch erwiesen.
meinschaftsorientierung und auf traditionel- Westliche BeobachterInnen, welche die Position vertreten, dass Islam und Demokratie
len Konzepten oligarchischer Herrschaft.
miteinander nicht vereinbar sind, stützen ihre
Die meisten Demokratien beruhen jedoch we- Argumente auf das islamische Verständnis der
der auf der Verabsolutierung individueller Frei- Vorherrschaft Gottes, der die einzige Quelle
heiten noch auf dem Primat einer geordneten politischer Autorität ist und von dessen göttliGesellschaft. Kanada hält in seiner Verfassung chem Recht sich alle Regeln des gesellschaft„Frieden, Ordnung und gute Regierungsfüh- lichen Zusammenlebens ableiten. Dieses
rung“ hoch; die USA „Leben, Freiheit und das Verständnis ist eine unzulässige SimplifizieStreben nach Glück“. Asiatische Modelle wi- rung: Gewaltenteilung ist nicht grundsätzlich
dersprechen nicht unbedingt dem westlichen unvereinbar mit dem Islam. In bestimmen
Verständnis von Partizipation und Demokratie. Staaten haben sich der Islam und Demokratie
Ostasiatische Modelle wie etwa jenes in Sin- als vereinbar erwiesen; auch westliche Staagapur und Malaysien sowie – zu einem gerin- ten weisen zuweilen gewisse theokratische
geren Grade – jene von Südkorea und Japan Elemente auf. Der offiziellen Trennung von
– beruhen auf konfuzianischem Gedankengut Kirche und Staat zum Trotz bekennen sich die
und verlangen die aktive Partizipation einer USA im offiziellen Fahneneid dazu, „eine Natimoralisch und rational herrschenden Elite, die on unter Gott“ zu sein. Auch die Präambel der
zum Wohle der Allgemeinheit tätig ist. Von kanadischen Menschenrechtscharta, welche
Konfuzius leitet sich die Einsicht ab, dass ein die verfassungsgeschützten Menschenrechharmonisches Individuum zu einer harmoni- te und Grundfreiheiten aufzählt, beginnt mit
schen Gesellschaft führt, diese wiederum zu der Wendung: „Anerkennend, dass Kanada
einer harmonischen Gemeinschaft; diese be- sich auf Prinzipien gründet, welche die oberste
wirkt eine gute politische Ordnung, die Vor- Gewalt Gottes und die Rechtstaatlichkeit würaussetzung für eine harmonische Nation ist. digen …“
Die sogenannte Unvereinbarkeit „asiatischer“ Auch unter MuslimInnen selbst sind das Verund „westlicher“ Werte und Auffassungen von ständnis von und die Annährung an die DeDemokratie beruht auf einem Missverständnis mokratie sehr unterschiedlich. Während die
der Konzepte Demokratie und Partizipation. Führer der Hauptströmungen islamischer
Die asiatische Kritik richtet sich nicht so sehr Bewegungen und viele Gelehrte die Auffasgegen die Demokratie selbst, vielmehr richtet sung vertreten, dass Islam und Demokratie
sich die Kritik – etwa des politischen Führers miteinander kompatibel sind, propagieren
und Philosophen Lee Kuan Yew aus Singapur extremistische oder radikale Bewegungen
und anderer – gegen die soziale und kulturelle das Gegenteil. Letztere lehnen die DemokraOrdnung der USA und einiger anderer westli- tie mit dem Argument ab, dass das Konzept
einer Volksherrschaft dem fundamentalen
cher Staaten.
Glaubensgrundsatz – der Souveränität Gottes
– widerspricht. Der grundlegende gesetzliche
375
376
D E M O K R AT I E
Rahmen wurde von Allah geschaffen und ist
demzufolge nicht modifizierbar. Jemand, der
seine Gesetze implementiert, muss auch sein
Stellvertreter sein. Dieser radikale Ansatz befindet sich im Widerspruch zu grundlegenden
demokratischen Werten wie Offenheit, Pluralismus und Gewaltenteilung.
Trotz dieser scheinbaren Unvereinbarkeit von
Islam und Demokratie gehen einige Demokratien in der islamischen Welt mit gutem
Beispiel voran. Indonesien, der bevölkerungsreichste Staat mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung, ist eine junge und lebendige
Demokratie, die sich auf den Prinzipien des
Pluralismus und der Einbeziehung gründet.
Indien, das den zweithöchsten muslimischen
Bevölkerungsanteil aufweist, wird seit 1948
demokratisch regiert. Der viertgrößte muslimische Staat, Bangladesch, ist eine Demokratie.
Drei der vier größten islamischen Staaten sind
Demokratien, und der Drittgrößte, Pakistan,
hat sich zu einer Rückkehr auf dem demokratischen Weg bekannt. Ende 2005 konstituierte
sich ein demokratisch gewähltes Parlament
in Afghanistan, einem Land, das lange Zeit
unter der Kontrolle der extrem konservativen
Taliban gestanden hatte, die ihre Machtausübung auf die Souveränität Gottes gründeten.
Mali, ein islamischer Staat in Westafrika, stellt
ein weiteres Beispiel für jene Staaten mit einer
muslimischen Mehrheitsbevölkerung dar, die
sich zu verschiedenen Ausprägungen demokratischer Regierungsführung bekennen. Die
Mehrzahl der islamischen Glaubensangehörigen lebt in Demokratien oder Staaten, die sich
in demokratischen Transformationsprozessen
befinden. In Süd- und Südostasien leben mehr
als 500 Millionen MuslimInnen in demokratisch regierten Staaten: in Indien, Bangladesch,
Afghanistan, Indonesien, Malaysien und den
Malediven. Im Nahen und Mittleren Osten hingegen, wo gesamthaft gesehen weniger MuslimInnen beheimatet sind als im Rest von Asien,
fehlt eine ähnliche demokratische Kultur.
Die islamische Sichtweise der Demokratie
manifestiert sich in der Shura, einer beratenden Versammlung, die sich mit alltäglichen
Angelegenheiten auseinandersetzt und den
Menschen volle Meinungsfreiheit gewährt.
Die Shura wird jedoch durch Allahs Gesetze
beschränkt, und somit steht nach westlichem
Verständnis diese islamische Art der Partizipation im Widerspruch zur Demokratie.
Religionsfreiheit
Diskussionsfragen
1. Warum sind einige Elemente der Demokratie wichtiger als andere?
2. Ist es zulässig, dass es in den verschiedenen Kulturen unterschiedliche Vorstellungen von Demokratie gibt?
3.Wenn unterschiedliche Interpretationen
von Demokratie unvermeidlich und zulässig sind, wo sind die Grenzen dieser Unterschiede? Welche Kernelemente müssen
beispielsweise unter allen Umständen erhalten werden, um einen Staat noch als
„demokratisch“ bezeichnen zu können?
4.Welche Rolle spielen die Medien bezüglich
der Auffassung von Demokratie in den verschiedenen Kulturen?
Weitere Denkanstöße:
• Die Beziehung zwischen Mehrheit und
Minderheit, und im Besonderen der Schutz
der politischen Minderheit, ist von entscheidender Bedeutung. Neben der Mehrheit, für die sich das Recht auf Herrschaft
ergibt, gibt es im Mehrheitswahlrecht auch
eine Minderheit. Diese ist oft vom Entscheidungsprozess ausgeschlossen und muss
sich nach den Beschlüssen der Mehrheit
richten. Minderheiten bedürfen deshalb eines besonderen Schutzes, durch den ihre
Rechte garantiert und ihr politischer Wille
bestmöglich berücksichtigt werden.
D E M O K R AT I E
• Die Zivilgesellschaft ist eines der Hauptthemen in der Debatte über und in der
Ausübung der Demokratie. Demokratie
braucht sowohl freie und aktive Menschen
als auch verantwortungsbewusste BürgerInnen. Berthold Brecht schlug einst ironisch vor, dass die Regierung, wenn sie mit
dem Volk nicht zufrieden sei, das Volk ja
auflösen könne und ein neues wählen solle.
Nur freie und aktive BürgerInnen können
ihre Regierung herausfordern und sie für
vor den Wahlen versprochene Zusagen zur
Verantwortung zu ziehen.
• Freie und unabhängige Medien sind ein
wichtiger Stützpfeiler der Demokratie. Die
Kontrolle über die Informationsmöglichkeiten ist heutzutage fast gleichbedeutend mit
der Kontrolle über die Beschlussfassung einer Demokratie. Medien spielen im Alltagsleben von Demokratien eine wichtige Rolle,
seien das nun Zeitungen, das Fernsehen,
das Radio, die Unterhaltungsindustrie oder
das Internet.
Privatpersonen, Gesellschaften und Staaten müssen miteinander kommunizieren
können. Um die Entscheidung der WählerInnen zu erleichtern, müssen diese über
die Ziele derer, die gewählt werden wollen,
informiert werden. Das Recht der Redefreiheit ist deshalb ein weiteres grundlegendes
und sensibles Menschenrecht, welches zur
Realisierung einer funktionierenden Demokratie beitragen kann.
Meinungs- und Medienfreiheit
unterscheiden zwischen Bürgerrechten und
Menschenrechten. Dies bedeutet, dass einige Rechte, besonders politische Rechte, nur
StaatsbürgerInnen zukommen und andere
hingegen für alle Menschen gelten.
Menschenrechte können nur in und durch
eine funktionierende Demokratie geschützt
werden. Eine formale Demokratie allein
garantiert jedoch weder Menschenrechte
noch Menschliche Sicherheit. Die Umsetzung und Durchsetzung der Menschenrechte ist deshalb ein wichtiger Indikator
für die Lebenskraft einer Demokratie.
4. Durchsetzung und Überwachung
Es gab und gibt keine perfekte Demokratie.
Moderne Demokratien integrieren bis zu einem gewissen Grad sämtliche Kernelemente
der Demokratie im öffentlichen Leben, als
Maß der Gleichheit, Nicht-Diskriminierung
und der sozialen Gerechtigkeit. Demokratie
ist ein Prozess der ständigen Interaktion, Perfektion und Anpassung zwischen den grundlegenden Bedürfnissen der Gesellschaft und
den sozialen Strukturen. Auf regionaler Ebene existieren verschiedene Mechanismen, die
den Schutz der Demokratie garantieren.
Ein gutes Beispiel ist die Möglichkeit, bei Verletzungen der Europäischen Konvention zum
Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten durch einen Vertragsstaat diesen klagen zu können. Da die Demokratie die einzige
in dieser Konvention anerkannte Form der
Regierung ist, ist sie somit auch die einzige
• Demokratie und Menschenrechte sind damit kompatible Regierungsform. Nachdem
untrennbar – ihre Beziehung kann als Zu- in Griechenland ein brutales Militärregime
sammenspiel bezeichnet werden, aber man die Macht übernommen hatte, brachten Däkann Demokratie und Menschenrechte nemark, Norwegen und Schweden eine Beauch als Einheit sehen. In diesem Sinne schwerde gegen Griechenland ein. Daraufhin
sind alle Menschenrechte von besonderer schied Griechenland aus der Konvention aus.
Wichtigkeit für die und in einer Demokratie. Trotzdem wurde das Verfahren durchgeführt
Die gesetzlichen Regelwerke vieler Staaten und endete mit der Suspendierung Griechen-
377
378
D E M O K R AT I E
lands vom Europarat. Mit der Wiedererrich- • die Anzahl der NGOs;
tung der Demokratie im Jahre 1974 erlangte • die Anzahl der Ratifizierungen des Internationalen Pakts über bürgerliche und politidie Konvention wieder Geltung, und Griesche Rechte (IPBPR); und
chenland musste Kompensationszahlungen
• die Ratifizierung des IAO-Übereinkommens
an die Opfer des Militärregimes leisten.
zur Vereinigungsfreiheit und dem Recht zu
Kollektivverhandlungen.
Nicht alle Mechanismen auf regionaler Ebene
sind so effektiv wie jener des Europarats. Es
gibt aber zahlreiche andere Organisationen, Eine Reihe von subjektiven Indikatoren, dadie sich um mehr Demokratie bemühen. 1990 runter bürgerliche Freiheiten und politische
errichtete die OSZE in Warschau das Büro Rechte, Pressefreiheit und Verantwortung, pofür demokratische Institutionen und Men- litische Stabilität und das Fehlen von Gewalt,
schenrechte (ODIHR), zu dessen Aufgaben Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsrate sind
die Schaffung, die Stärkung und der Schutz zusätzliche Hilfsmittel, um demokratisches
demokratischer Institutionen in den OSZE- Regieren zu beurteilen. Alle diese IndikatoMitgliedsstaaten gehören. ODIHR beobachtet ren reflektieren, wie sich die Kernelemente
nationale Wahlen und gewährleistet so die der Demokratie gegenseitig beeinflussen und
im Laufe der Zeit weiterentwickeln. Sie schafEinhaltung der demokratischen Prinzipien.
Auf internationaler Ebene spielt die Interpar- fen eine Basis, um Demokratien und andere
lamentarische Union (IPU) eine wichtige Regime miteinander zu vergleichen und den
Rolle. Die IPU setzt sich aus den Parlamenten Fortschritt der (Weiter-)Entwicklung der Deihrer Mitgliedsstaaten zusammen. Sie hat sich mokratie zu beobachten. Weiters sind sie ein
die weltweite Stärkung der Demokratie zum qualitatives und quantitatives Maß für den
Ziel gesetzt und versucht dies durch Dialog Grad der Verbesserungen oder Bedrohungen
und durch Kooperation zwischen den Men- der einzelnen Länder.
schen zu erreichen. Die IPU wurde bereits
1989 gegründet und ist bis heute die federfüh- In echten Demokratien sind lokale oder narende Organisation für die Förderung der Zu- tionale Volkswahlen der beste Kontrollmesammenarbeit der verschiedenen nationalen chanismus, gefolgt von einer freien und
unabhängigen Presse und einer aufmerksaParlamente.
men Zivilbevölkerung. Ein Wechsel der RegieDas Entwicklungsprogramm der Vereinten rungsagenden und Machtstrukturen kann auf
Nationen (UNDP) präsentierte in seinem einer Volkswahl beruhen, welche die EinhalBericht über die Menschliche Entwicklung tung der Wahlversprechen von demokratisch
(Human Development Report) 2002 eine An- gewählten VolksvertreterInnen unabhängig
zahl von objektiven Indikatoren, welche die kontrolliert.
Entwicklung von Demokratien messen. Unter
Die Standards, die eine Demokratie erfüllen
anderem sind das:
muss, sind nicht allgemein akzeptiert. Einen
• das Datum der letzten Wahlen;
breiten Konsens gibt es hingegen über die
• die Wahlbeteiligung;
• das Jahr, in dem Frauen das Wahlrecht be- Menschenrechte, da deren Umsetzung wichtig für den Schutz und Garant einer Demokamen;
kratie ist.
• die Zahl der Parlamentarierinnen;
Die weltweite Implementierung der Demo• die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder;
D E M O K R AT I E
kratie hängt von jeder/jedem Einzelnen, von sem Zusammenhang spielt auch die Bildung
Staaten sowie von internationalen Institutio- eine wichtige Rolle, da sie Wissen schafft,
nen, ab. Sie hauchen der Demokratie Leben welches eine effektive Partizipation überhaupt
ein und leisten Widerstand gegen autoritäre erst ermöglicht. Gerade diese Grassroot-EleEntwicklungen. Deshalb sind die Ausübung mente in Aufbau und Gestaltung von Demodes Wahlrechts, die Meinungsäußerung und kratie verdienen besondere Beachtung und
die Teilnahme am politischen Leben von größ- sollten weiter entwickelt werden, um das Geter Bedeutung. Eine aktive Zivilgesellschaft ist deihen der Demokratie und gleiche und geder Demokratie im Ganzen förderlich. In die- rechte Ergebnisse für alle zu sichern.
Was man wissen sollte
1. Good Practices
Auf dem Weg zur Demokratie
Südafrika: Im Februar 1990 sprach sich
Fredrik Willem de Klerk in einer historischen Ansprache für das Ende des
Apartheid-Regimes und für ein demokratisches Südafrika aus. Dies wurde durch
ein Referendum, in welchem 70% der
weißen Bevölkerung seine Reformen unterstützten, bestätigt. Die ersten demokratischen Wahlen fanden im April 1994
statt, und im Mai 1994 wurde Nelson
Mandela der erste schwarze Präsident
Südafrikas. Ein neues Kapitel in der Entwicklung des Landes wurde somit aufgeschlagen.
Zentral- und Osteuropa, Zentralasien:
Seit 1989 haben die ehemaligen Länder
des kommunistischen Blocks eine Welle
der Demokratisierung erlebt. Neue freie
und demokratische Parteien entstanden
in Polen, Bulgarien, der Tschechischen
Republik, der ehemaligen Deutschen
Demokratischen Republik, in Ungarn,
Rumänien, der Slowakei und einer Reihe der ehemaligen Sowjetrepubliken. Es
kam zu einer friedlichen und demokratischen Umwandlung der politischen
Landschaft. Danach fanden demokratische parlamentarische und Präsidentschaftswahlen in regulären Intervallen
auf Basis eines Mehrparteiensystems
statt. Der Erfolg der neuen Demokratien
hängt auch von einer lebendigen Zivilgesellschaft ab. Um zivilgesellschaftliche
Aktivitäten zu fördern, erklärte der Europarat 2005 zum Europäischen Jahr der
Bildung für demokratische BürgerInnen
und führte gemeinsam mit der von den
USA geförderten NGO Civitas Demokratieförderungs- und Bewusstseinsbildungsprogramme in Schulen – etwa in
Bosnien und Herzegowina – durch.
Chile: Im Gegensatz zu anderen südamerikanischen Ländern hat Chile eine
150-jährige Geschichte als konstitutionelle Republik mit einer demokratisch
gewählten Regierung. Die Wiedererrich-
379
380
D E M O K R AT I E
tung der Demokratie in Chile im Jahre
1990 nach 17 Jahren Militärherrschaft
unter General Pinochet bewirkte einen
neuen Antrieb für den demokratischen
Dialog und die internationale und regionale Kooperation. Heute ist Chile eine
sich konsolidierende Demokratie und
unterstützt aktiv die Förderung der Menschenrechte und der Menschlichen Sicherheit in der gesamten Region.
Philippinen: Die Diktatur von Ferdinand
Marcos dauerte von 1965 bis 1986. 1986
wurde Corazon Aquino Präsidentin und
stellte die grundlegenden bürgerlichen
Freiheiten (Meinungs- und Redefreiheit,
Versammlungsfreiheit und Pressefreiheit)
wieder her. Die Philippinen befanden
sich somit wieder auf dem Weg der Demokratie.
2. Trends
Demokratien im Aufwind
Dem Bericht über Menschliche Sicherheit von
2005 zufolge fiel der Rückgang von zwischenstaatlichen Konflikten in den 1990er Jahren
mit einer Verdopplung der Anzahl der Demokratien zusammen. Dies scheint die Ansicht
zu bestärken, dass wahre Demokratien selten
Kriege gegeneinander führen. Allerdings stellt
die wachsende Anzahl von „Anokratien“, also
Systemen, die weder demokratisch noch autokratisch sind, ein ernstes Problem dar.
Politische Beteiligung von Frauen
Auch heute noch steht die Beteiligung von
Frauen am politischen Leben in keinem angemessenen Verhältnis zu jener von Männern
– und das obwohl Frauen mehr als die Hälfte
der Weltbevölkerung ausmachen. Dieses offensichtliche Missverhältnis zeigt auf, das es
in einer Reihe von nationalen Institutionen,
die eigentlich als demokratisch gelten, gewisse Defizite gibt.
Um die Partizipation von Frauen im politischen Leben zu unterstützen und zu fördern,
wurden Quoten eingeführt. Sie sollen der disproportionalen Repräsentation und dem ungleichen Status von Männern und Frauen in
den nationalen Parlamenten entgegenwirken.
Menschenrechte der Frau
Diskussionsfrage: Gibt es weitere Anreize und Möglichkeiten, um die Kluft
zwischen Männern und Frauen die Repräsentation betreffend zu verringern?
Frauen im Parlament: 1945-2005
• In 60 Jahren, von