Blick ins Buch
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Blick ins Buch
aren die alternativ Reisenden der 60er und 70er Jahre »politisch korrekt« unterwegs? Waren sie Pioniere in Sachen Tourismus? Und was ist dran an den Reise-Mythen jener Zeit wie z. B. Tanger, Ibiza, Formentera, Matala, dem Pudding Shop in Istanbul, der Route 66 oder dem Orient Express? Was ist von diesen legendären Hippie Trails geblieben? Und welche Spuren haben die Reisenden in den besuchten Regionen hinterlassen? Mit großer Sachkenntnis, nicht zuletzt auf Grund eigener Erfahrungen, geht Detlef Fritz diesen und weiteren Fragen nach und beschreibt dabei quasi nebenbei die Motivation und das Lebensgefühl von Reisenden, egal ob Globetrotter oder Pauschaltouristen. Zusätzlich liefert das Buch auch konkrete Tipps und Ratschläge für das Reisen in heutiger Zeit auf den Hippie Trails von damals. www.edition-reiseratte.de ISBN 978-3-9815300-7-0 Detlef Fritz Detlef Fritz, geboren 1952, reiste als Schüler und Student nach Griechenland, nach Marokko, in die Türkei, nach Afghanistan. Er ist ausgebildeter Redakteur. Zuletzt war er bei einer Boulevard-Zeitung zuständig für die Themen Verbraucherschutz und Reisen. Gegenwärtig lebt er als freier Autor in Berlin. Detlef Fritz Reisele genden und ihre Geschichte Detlef Fritz Hippie-Trails Reiselegenden und ihre Geschichte Edition Reiseratte Das für dieses Buch eingesetzte Papier ist ein Produkt aus nachhaltiger Forstwirtschaft. 1. Auflage 2014 © Edition Reiseratte im Dryas Verlag Herausgeber: Dryas Verlag, Frankfurt am Main Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme vervielfältigt oder verbreitet werden. Herstellung: Dryas Verlag, Frankfurt am Main Lektorat und Korrektorat: Andreas Barth, Oldenburg Umschlagabbildung: © Guter Punkt, München (www.guter-punkt.de) unter Verwendung eines Motives von Detlef Fritz Graphiken: Zettel: © Anja Kaiser und Prilblumen: © intereklam - Fotolia.com Satz: Dryas Verlag, Frankfurt am Main Gesetzt aus der Palatino Linotype Druck: CPI books GmbH, Ulm Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN: 978-3-9815300-7-0 www.edition-reiseratte.de Inhalt Vorwort .................................................................................... 9 Istanbul: Aufbruch im Pudding Shop Am Startpunkt für den Hippie-Trail durch Asien .......... 12 – Reisetipps: Cafés, Bars und Restaurants mit dem Flair der Hippie- und Künstlerreisen ........................ 18 Von Istanbul nach Kabul: Der harte Weg in das gelobte Hippieland Vier Tage in überfüllten Überlandbussen und Zügen .............................................................................. 21 Italien kontra Afghanistan: Pauschal reisen strengt auch an Was die frühen Massentouristen auf ihrem Trip erwartete ................................................................................ 23 Reisen mit Hesse im Gepäck: Preis der Weisheit aus dem Osten Nur Entbehrung führt am Ende zur Erleuchtung ........... 27 – Reisetipps: Touren zu den „Quellen der Weisheit“............... 32 Legenden von Freiheit und Abenteuer Was uns beim Reisen antreibt ............................................. 34 – Reisetipps: Ziele mit Geschichten- und Legendenfaktor ......................................................................... 50 – Reiseknigge: Märchen widerspricht man nicht! Vom Umgang mit flunkernden Reiseleitern ............................ 53 Der Hippie-Trail in den Medien: Ein Mythos wird geboren Verklärte Erinnerungen nicht nur aus Kabul ................... 55 5 Grenzkontrolle in Iran: Hippiefreiheit unter Diktaturen Der Zug der antiautoritären Globetrotter durch die autoritärsten Länder ihrer Zeit ......................... 58 Das Reisen und die Menschenrechte Der Tourismus und die politischen Verhältnisse ............. – Reisewissen: Infoquellen über das Urlaubsland ................... – Reisewissen: Reisen – politisch korrekt? Das Demokratie-Ranking für unsere Urlaubsziele .................. – Reisestreitthema: Boykottieren – oder gerade reisen? Darf man in Diktaturen Urlaub machen? ............................... – Reiseknigge: Keine Politik, wir haben Urlaub! ..................... 81 89 91 92 94 Aussteigerträume in Teheran: Hängen geblieben auf dem Weg nach Osten Von Aussteigern, Gescheiterten und einer erfolgreichen Hippiekolonie ................................................ 96 – Lesetipp: Die Kinder von Torremolinos .............................. 110 Urlaubsträume von einem neuen Leben Wie Pauschaltouristen Aussteiger und Auswanderer werden ......................................................... 112 – Auswanderungswissen: Die meisten zieht es wieder heim ........................................... 118 Kotelett in Kabul: vegetarisch lebt es sich billiger Wie Reisende ihre Essgewohnheiten in alle Welt tragen ............................................................... 121 Wildwest mit Buddha Warum die Touristenstädtchen von Afrika bis Asien uns immer irgendwie an Wildweststädte erinnern ....... 129 – Reisetipps: Nur die Lage zählt – Von der Wahl der Unterkunft ....................................................................... 138 – Reiseknigge: Als Tourist zu Gast bei Fremden ................... 139 6 Kulturkampf am Hindukusch Vom Wettlauf zwischen Globetrottern und Touristen ...................................................................... 142 – Reisetipps: Was das (pauschale) Abenteuer kostet .............. 148 – Reiserecht: Abenteuer – oder Geld zurück .......................... 150 One Night in Bangkok Warum ein legendäres Reiseziel nicht zu ersetzen ist ............................................................ 152 – Reisetipp: Stopover für den Asientrip ................................ 159 Die Reise-Macher Eine Lanze für den Massentourismus und die Tourismusindustrie, die das Reisen demokratisierte .................................................................... 161 – Reiseplanung: Pauschal buchen oder selbst organisieren? ........................................................ 172 – Reiserecht: Verbraucherschutz fern der Heimat .................. 174 Reisen global Wie sich die Reiseziele immer mehr einander ähneln, selbst die Folklore überall die gleiche scheint ................ 176 Nachwort ............................................................................. 179 Anhang Zitierte, benutzte und weiterführende Literatur ............ 181 7 Costa del Sol, der „Sonnenküste“, mitunter auch weiter auf die Kanaren, da am liebsten nach Gomera. Dazu standen auch Marokko und Griechenland auf dem Reiseprogramm. Wer nicht mit eigenem Wagen dahin unterwegs war und sich auch nicht auf sein Glück als Tramper verlassen wollte, reiste mit der Bahn. Das machte auch manche Zugstrecke zu einem regelrechten HippieTrail. Die Rucksackreisenden auf all diesen Routen als Hippies zu bezeichnen, greift allerdings zu kurz. Die meisten dieser Backpacker sahen sich vielleicht als „Globetrotter“ oder „Traveller“, waren natürlich von der Hippiebewegung beeinflusst, bezeichneten sich selbst aber kaum als Hippies. Zudem: Die Vorreiter der Hippies hatten die von ihnen initiierte Bewegung bereits 1967, als sie sich immer mehr zum Massentrend entwickelte, in San Francisco bei einer symbolhaften Demonstration zu Grabe getragen. Etliche der HippieTrail-Routen, darunter auch die von Istanbul nach Kabul und weiter, bildeten sich aber erst danach als massenhaft genutzte Reisewege heraus. Dennoch: Die Vorstellungen der Hippiebewegung spielten in der Jugendbewegung Jahrzehnte über 1967 hinaus eine zentrale Rolle, und der Begriff vom HippieTrail für die Strecke Istanbul – Kabul hat sich fest etabliert, steht für eine große Reiselegende von der abenteuerlichen Suche nach dem großen Glück. Gemessen an dieser Legende bekommt die scheinbar perfekte Ferienreise, ganz so, wie im Katalog beschrieben, einen faden Beigeschmack. Da mag das Vier-SterneHotel direkt an einem traumhaften Sandstrand liegen, da mögen Service und Verpflegung keine Wünsche offen lassen, die reizvolle Umgebung noch so sehr zu erlebnisreichen Ausflügen durch eine faszinierende Landschaft, in bilderbuchhafte Städtchen und Dörfer einladen. Dem auf Entdeckung und Erlebnis orientierten Urlauber stellt sich trotzdem die Frage: Das soll schon alles sein? Irgend10 etwas, so das Gefühl, versäumt man hier doch gerade... Dabei hat dieser Urlauber oder die Urlauberin vielleicht weit mehr getan als etliche andere Touristen. Er lag nicht nur am Strand, sondern nutzte intensiv das vom Hotel und seinem Reiseveranstalter angebotene Ausflugsprogramm. Er unternahm auch auf eigene Faust Streifzüge durch die Region und war redlich bemüht, Land und Leute kennen zu lernen. Denn beim Reisen geht es den meisten um mehr als nur Erholung. Die kann man in einem Ferienpark oder einem Wellnesshotel in Wohnortnähe einfacher haben. Eine Reise soll auch die Sehnsucht nach Abenteuer und Exotik, die Entdeckungslust befriedigen. Nur: Ist das mit den meist doch nur oberflächlichen Eindrücken einer vielleicht zweiwöchigen Ferienreise schon erfüllt? Kann man in einer Zeit von Billigfliegern und Google Earth überhaupt noch „richtig reisen“, „abseits der ausgetretenen Pfade des Massentourismus“ in Kulturen eintauchen, die einem selbst bis dahin unbekannt waren? In der Praxis geht das doch wohl eher nicht. Natürlich gibt es immer noch abenteuerlustige Globetrotter, die monatelang mit dem Rucksack durch die Wildnis ziehen; aber diese Zeit hat der „normale“ Reisende mit dem knapp bemessenen Urlaubsbudget nun einmal nicht. Und überhaupt: Bewegt sich heute nicht auch der Globetrotter in der vermeintlichen Wildnis auf Wegen, die schon x-mal begangen und beschrieben w urden? Da wünscht sich dann der leidenschaftliche Reisende in eine vergangene Zeit zurück, nicht unbedingt gleich in die Zeit der großen Entdeckungen, aber vielleicht in die Epoche der Dampfschiffe, des Orient Express – oder eben in die Ära des Hippie-Trail. Doch sind die Selbstzweifel des modernen Reisenden, des Touristen wirklich berechtigt? Sitzt er mit seinen nostalgischen Träumen von abenteuerlichen Reisen in der Vergangenheit nicht einfach nur der einen oder anderen 11 Legende auf? Und wie groß sind die Unterschiede zwischen Pauschaltouristen und dem auf seinem selbst geplanten Abenteuertrip befindlichen Globetrotter wirklich? Was hat damals die Globetrotter auf ihren Wegen über den Hippie-Trail angetrieben? Welche Abenteuer erwarteten sie auf ihrer Reise? Und wie weit ist das alles entfernt von der Tourismusindustrie? Antworten auf diese Fragen wollen wir finden, indem wir in diesem Buch den Globetrottern auf ihren Wegen über den Hippie-Trail folgen. Dabei wollen wir aufspüren, wie vermeintliche Abenteurer auf individueller Reise und Massentouristen manchem Flecken Erde einen neuen Stempel aufdrückten – und nicht zuletzt einen kleinen Blick auf die Milliardenbranche werfen, die für all das steht: die Tourismusindustrie. Wenn ein Leser hier dazu noch auf die eine oder andere Anregung für seine eigene nächste Reise stößt – umso besser. Istanbul: Aufbruch im Pudding Shop Auf den ersten Blick unterscheidet sich das Café an der Divanyolu 6, aus dem die Musik von Jimi Hendrix zu hören ist, kaum von den anderen etwas gehobeneren Cafés in dieser besseren Lage im historischen Kern von Istanbul. Auch die Inneneinrichtung lässt keine Besonderheiten erkennen, ebenso wenig wie die Kellner, gekleidet in die ordentlichen dunklen Uniformen des Hauses. Das sieht ganz nach einer gediegenen, aber nicht weiter bemerkenswerten Anlaufstelle für Bildungsreisende im gesetzten Alter aus. Diese geben hier nach anstrengender Sightseeingtour ihr Wissen über das gerade Gesehene 12 zum Besten, plaudern nicht ohne Stolz über frühere Reisen und bereiten sich, im Polyglott, Marco Polo oder einem dicken Kunst- und Kulturführer blätternd, auf ihre nächste Besichtigung vor. Die Hagia Sophia und die Blaue Moschee sind schließlich nur wenige Gehminuten, die Galatabrücke nur einige hundert Meter entfernt, ebenso wie der alte Bahnhof des Orient-Express. Gleich um die nächste Straßenecke geht es in das Yerebatan Serayi, in das noch aus antiker Zeit stammende, von über 300 Säulen getragene Gewölbe, das unterirdische Wasserreservoir des alten Konstantinopel. Das kennen die James-Bond-Fans unter den Touristen sogar ohne Kunst- und Kulturführer aus dem Film „Liebesgrüße aus Moskau“. In dem Café mit der Jimi-Hendrix-Musik erzählen die Fotos und Zeitungsausschnitte an den Wänden, sorgsam geglättet und gerahmt unter Glas, die Geschichte einer anderen Sehenswürdigkeit der Stadt am Bosporus, nämlich die dieses Cafés. Wir sind im Pudding Shop, gegründet 1957, mit diesem Alter schon ein wahrhaft historisches Unternehmen, dazu mit legendärem Ruf. Dieser Ruf, so wusste das Lifestylemagazin Max zu berichten, lockte sogar den einstigen US-Präsidenten Bill Clinton bei einer Istanbul-Visite hierher. Aber das Image des Pudding Shops hat nichts mit seinem Alter und auch nichts mit hochrangigen Staatsgästen, sondern mit den 1960er- und 1970er-Jahren zu tun, also der Zeit, in der Jimi Hendrix noch aus fast jedem Lautsprecher zu hören war, zumindest an den Orten, an denen sich die Generation der damals 20- bis 30-Jährigen traf. Bei meinem Jahrzehnte zurückliegenden ersten Besuch war der Pudding Shop ein solcher Ort, der Istanbuler Treffpunkt der Hippies, Globetrotter, Traveller, all derer, die aus der vermeintlichen Enge europäischer oder nordamerikanischer Spießigkeit aufbrachen in die weite Welt 13 der Freiheit, zu den Quellen asiatischer Weisheit, auf das Dach der Welt, zu den Traumstränden der Glückseligkeit in Indien und noch weiter weg. Der Pudding Shop lag für uns am äußersten Ende Europas, als das Tor nach Asien, als fast zwangsläufige Station auf dem Weg ins ferne Afghanistan, nach Indien oder Nepal. Klar war für uns weltenbummelnde Gäste des Pudding Shops dabei vor allem eines: Die Route, die wir nehmen würden, lag fern der ausgetretenen, kommerzialisierten Touristenpfade, auf denen die pauschalreisenden Spießer trotteten. Die Einheimischen unterdessen sahen damals in diesem Treffpunkt weltenbummelnder Glückssucher eher eine Höhle des Lasters, in die sie ihre eigenen Kinder nie hätten gehen lassen, einen Umschlagplatz für Drogen und Geschlechtskrankheiten. Aber diese Einschätzung hinderte sie nicht daran, mit den naiven Fremden ins Geschäft zu kommen: Da zeigte man ihnen gegen ein kleines Entgelt die Geheimnisse der Stadt, das authentische Istanbul, inbegriffen selbstverständlich die wirklich besten Läden, um billig an Schmuck und handgeknüpfte echte Orientteppiche zu kommen; da demonstrierte man ihnen ganz praktisch die Trickbetrügereien, vor denen sich Istanbul-Besucher schon damals in Acht nehmen mussten, vom Hütchenspiel bis zum missglückten Geldwechsel, bei dem der Reisende auf einmal nach der Barschaft in seiner Börse suchte; und schließlich vermittelte man gern besonders günstige Busfahrkarten für die Weiterreise nach Kabul, Tickets, die sich später dann allerdings nur für einen Bruchteil der Strecke als gültig erweisen sollten. Seinem Image als Drogenumschlagplatz und Ort der sexuellen Libertinage wurde der Pudding Shop allerdings, wenn auch zum Leidwesen vieler seiner damaligen Gäste, nie gerecht. Dass die türkische Polizei bei Drogenbesitz nicht mit sich spaßen ließ, war auch dem konsum freudigsten Drogenfreund unter den Pudding-Shop- Besuchern klar – und Raum für Intimitäten boten weder 14 der Pudding Shop noch die umliegenden Herbergsbetriebe. Die vermieteten nämlich weniger Zimmer als vielmehr Plätze in Schlafsälen. In denen behielt man seine Kleidung besser an, kroch so in seinen mitgebrachten Schlafsack und hoffte, vom Ungeziefer verschont zu bleiben, eine Hoffnung, die sich regelmäßig als trügerisch erwies. Viel sauberer war der Pudding Shop auch nicht, und von einer türkischen oder irgendwie orientalisch- exotischen Atmosphäre konnte ebenso wenig die Rede sein. Die Gäste hatten sich geduldig am Tresen anzustellen, entschieden sich dann für einen der Yoghurts, Puddings oder eine der anderen Mahlzeiten aus der Auslage, gingen damit an die Kasse, suchten sich einen freien Platz – oder mussten im Stehen essen. Dabei konnte man dann aber gleich die Aushänge an den Wänden studieren und wichtige Informationen sammeln: wer einen freien Platz im VW-Bus nach Kabul bieten konnte, wer einen Schlafsack verkaufen wollte, wer für welche Stationen vor was für Schleppern und fiesen Betrügereien warnte. Der Pudding Shop war die große Informationsbörse am Schnittpunkt von Europa und Asien. In seiner Nachbarschaft gab es durchaus Cafés und Restaurants, in denen man sogar besser und billiger hätte essen können und dabei vielleicht sogar einen Hauch von Orient und Exotik verspürt hätte. Doch als Informationsbörse schien der Pudding Shop trotz der Ausstrahlung eines heruntergekommenen Schnellimbisses oder drittklassigen Bahnhofslokals eben unverzichtbar. Nirgends konnte man sicher sein, mehr Gleichgesinnte als hier zu treffen, wirklich die neuesten Tipps und Informationen für die Weiterreise aufzuschnappen. Hier fanden die mitteilungsbedürftigen Heimkehrenden immer dankbare Zuhörer für ihre Geschichten aus der Ferne. Warum entwickelte sich gerade der Pudding Shop zum zentralen Umschlagplatz für Reisenachrichten aller Art? Die zentrale Lage spielte sicherlich eine Rolle – aber das Interesse der Pudding-Shop-Gäste an Kulturdenk 15 mälern war nicht übermäßig ausgeprägt, vor allem dann nicht, wenn für die Besichtigung ein Eintrittsgeld fällig wurde, das das Tagesbudget des Durchschnittsglobetrotters gesprengt hätte. Dass auch bessere und billigere Konkurrenz den Pudding Shop nicht von seinem ersten Platz als Anlaufstelle für junge erlebnishungrige Reisende verdrängen konnte, hatte einen beinahe zufälligen, ganz banalen Grund: Der Pudding Shop wurde als Anlaufstelle genannt in „Der billigste Trip nach Indien, Afghanistan und Nepal“. 1972 war dieses Buch von Robert Treichler im Schweizer Regenbogen-Verlag erschienen. Es erlebte Jahr für Jahr neue Auflagen und entwickelte sich zumindest für den deutschsprachigen Raum rasch zu dem großen Standardwerk für alle, die sich auf die große Reise nach Osten begaben. Im 21. Jahrhundert zehrt der Pudding Shop noch immer von seinem nun historischen Image als zentraler Treffpunkt internationaler Globetrotter, als wichtiger Station des einstigen Hippie-Trails. Nach den aktuellen Gäste kritiken in Internetbewertungsportalen wie Tripadvisor und ähnlichen könnten das Essen und der Service zwar angesichts der verlangten Preise durchaus besser sein, aber das sagt eigentlich nur eines: Geändert hat sich hier trotz nun ordentlich gekleideter Kellner gar nicht mal so viel. Eine gealterte Legende wahrt ihre Tradition. 2007 schrieb das Schweizer Globetrotter-Magazin in durchaus selbstkritischer Betrachtung über Robert Treichlers inzwischen nur noch antiquarisch zu erstehenden Reise führer: „Treichler hatte (...) als Pionierleistung einen Reise führer für Leute wie uns, also Reisende mit Kleinstbudget, gemacht. Er führte mit mehr oder weniger schlauen Tipps von Stadt zu Stadt. Von Land zu Land. (...) So gesehen wurde mit dieser und ähnlichen Reisebibeln unfreiwillig ein Informationsgrundstein zum späteren Massentourismus gelegt. Man traf immer wieder die gleichen Gesichter mit gleicher Ausrüstung in den gleichen Kneipen, beim gleichen Geldwechsler, im gleichen Zug. Ein wenig ‚Zuhause’ auf Reisen.“ 16 Diesen Gedanken hätten wir Gäste des Pudding Shops damals empört und beleidigt weit von uns gewiesen: Wir sollten gerade dem Massentourismus den Weg bereiten, nur, weil wir uns an die so wertvollen, weil geldsparenden Tipps von Treichler halten? Nein, niemals! Dabei lässt das Globetrotter-Magazin den damaligen Gästen des Pudding Shops beinahe schon zu viel an Ehre angedeihen. Solche Pioniere, die anderen den Weg bereiteten, waren wir Billig-Reisenden auf dem HippieTrail streng genommen nämlich gar nicht mehr. Denn an den einzelnen Zielorten dieses Hippie-Trails hatte auch der organisierte Tourismus mit den auf europäischen Standards ausgerichteten Unterkünften, mit den an europäischen Geschmäckern orientierten Restaurants, mit den an Europa und Nordamerika angeglichenen Preisen längst seine ersten, wenn auch noch dünnen Wurzeln geschlagen. Folgenlos blieb der Zug der Hippies und Globetrotter aber nicht. Wenn sie schon an dem einen oder anderen Ort nicht unbedingt die absolut Ersten waren, so kreuzten sie dort zumindest in der Frühphase der touristischen Erschließung auf – und das in Massen, die der organisierte Tourismus dorthin noch nicht unbedingt bewegen konnte. So hinterließen Hippies und Globetrotter auf ihrem Zug vom Istanbuler Pudding Shop über Teheran, Kabul und darüber hinaus durch Asien und die Welt durchaus ihre Spuren, auf die man heute noch stößt. 17 Reisetipps Cafés, Bars und Restaurants mit Hippie - und Künstlerflair l gles besungene „Hote Das 1976 von den Ea s Da n. de fin um noch California“ wird man ka t, aber auch nie existier t ha tel Ho vermeintliche y Wa an rni lifo für den „Ca war nur ein Synonym chte und Süchte der sü hn Se of Life“, für die bewegung. Und in amerikanischen Hippie von San Francisco, shbury, dem Stadtteil High A t r Bewegung wurde, gib der zum Zentrum diese m vo hr uren me es so gut wie keine Sp rhin: An anderen Or ten me Im n. ibe einstigen Tre seiner Vorläufer findet des Hippie -Trails und der r früheren Treffpunkte man mitunter einen de . ch na n me dem Na Traveller – zumindest Formentera , Fonda Pe pe: Einst ru Restaurant stikales und Kneipe im Zentrum Ortes San des kleinen Fernando a uf der Bale Formentera areninsel . Bis in die 1 990er- Jahre allem Treffp war es vor unkt der Kü nstler, Lebe Hippienach nskünstler folger und a un d nderer Inse nicht nur es lgäste, die sen und trin h ier ke n, sondern anderen Ge sich auch m nussstoffen it ve rsorgen wo es ein Loka llten. Heute l mit „gehob ist e n em Anspru essen will, ch“. Wer hie reserviert b r esser vorhe r einen Pla tz. Reisetipps Marrakesch und Essa ouira: Trotz zahlloser neuer Design- und Bo utiquehotels – in den Gassen rund um den Djemaa el Fna, Marrakeschs Hauptplatz , gibt es immer noch einfache Billighotels, die Übernachtungen zu Preisen anbieten, die in etwa den Preisen de r früheren Hippiehotels entsprechen – wobei die Gäste, so wie früher, wä hlen dürfen, ob sie ein normales Zimmer wüns chen oder sich mit einem Platz im Schlafsa al begnügen. Und in Diabate nahe der ma rokkanischen Hafensta dt Essaouira, wo sich Jim i Hendrix für eine Weile niedergelassen hatte, trägt nicht nur ein – bescheidenes – Hotel seinen Namen, es erinnern auch mehrere Cafés an den früheren Aufenthalt des Musikers . Nur: Ob Jimi Hendrix wirklich in dem Haus wo hnte, das nun als Hotel seinen Namen trägt, in welchen Cafés er dama ls tatsächlich verkehrte – all das ist doch zieml ich fraglich. Reisetipps Sidi Bou Sai d, Café des N attes: Wie früh waren bereits e Hippies zu Beginn de s 20. Jahrhund Schrif tsteller er ts etliche und Maler un terwegs in de nach Sidi Bou n Süden, et w Said. Das en a twickelte sich von Tunis entfe 20 Kilometer rnt damals zu einer nordafrik Künstlerkolon anischen ie. Hier trafen sich lange vo unter anderem r den Hippies August Macke und Paul Klee oberen Ende in dem am der hügeligen Hauptstraße des Nattes, tr gelegenen Caf anken dort ih é ren Mokka, ra Wasserpfeife uchten eine – und ließen si ch von der Aus Städtchen mit sicht auf das den weißen H äusern zu ne anregen. Das uen Werken Café des Nat tes lädt immer Mokka und W noch zu asserpfeife – w enn man denn Touristenattrak in der tion des Ortes einen Platz er gattert. und 1950er- Jahren Tanger, Tanger Inn: In den 1940erdie direkten fast s waren die amerikanischen Beatnik tniks war, wenn sie Bea der Vorläufer der Hippies. Fluchtpunkt n in Konflikt örde Beh den etwa wegen Drogenkonsums mit als noch eine dam ger, Tan geraten waren: das marokkanische die „Pension de wur r Hie . ung Stadt unter internationaler Ver walt e von Beatnikautor William Munira“ zur bevorzugten Absteig der Ort, an dem Burroughs‘ , Seward Burroughs und Anderen tand. Heute trägt die ents Schlüsselroman „Naked Lunch“ e Pension den Namen gen einstige, in der Rue Magellan gele einheimischen der f Tanger Inn, ist deren Bar der Tref mit Lust auf das nd uge Neureichen und der Hauptstadtj heit des Ortes haben gen gan Verbotene. Von der bewegten Ver ch noch nie gehört. die meisten der heutigen Gäste jedo Von Istanbul nach Kabul: Der harte Weg in das gelobte Hippieland „Great!“ – „Jetzt geht es gleich richtig los!“ – „Magnifique!“ –„Endlich in Asien!“ Kaum hat der Bus die Bosporus-Brücke überquert, brechen seine Passagiere in vielsprachigen Jubel aus. Zwar sind die Reisenden immer noch im Istanbuler Großraum, unterscheidet sich die Umgebung nicht von der auf der zurückliegenden Seite der Brücke, aber es geht nun nicht mehr durch Europa, sondern durch einen neuen Kontinent, durch eine andere Welt. Die Passagiere kommen aus Skandinavien, Groß britannien, Frankreich und Deutschland. Nur Türken, Iraner oder Afghanen, also Einheimische der Länder, durch die die Reise gehen soll, sind nicht unter ihnen. Fast alle Fahrgäste haben sich im Pudding Shop zumindest schon einmal gesehen, einige bereits miteinander gesprochen, erste Bekanntschaften geschlossen. Für viele ist es nun das erste Mal, dass sie asiatischen Boden betreten, persönlich ein geradezu historischer Moment. Da würde mancher jetzt gerne einen kurzen Halt einlegen, vielleicht ein Erinnerungsfoto schießen. Doch die zahlreichen Stopprufe verhallen ungehört. Für solche Sentimentalitäten gibt es keine Zeit. Zwei Tage soll der bis auf den letzten Platz besetzte Bus, der weder über eine Heizung noch eine Klimaanlage verfügt, bis Teheran unterwegs sein, dann noch einmal zwei Tage bis Kabul benötigen. Weil das türkische Busunternehmen den Gepäckraum für z usätzliche Transportaufträge nutzt, halten die Reisenden ihre Rucksäcke und sonstigen Habseligkeiten auf dem Schoß, haben sie vor ihren Sitz gequetscht oder im Gang gestapelt. Und die 21 Fahrzeit ist genau geplant. Nur wenn Fahrer und Beifahrer die Plätze tauschen, gibt es einen kurzen Halt an einer Raststation, Gelegenheit, einen Happen zu essen oder eine Toilette aufzusuchen. So lässt der Bus Istanbul im Eiltempo hinter sich. Mein erster Reisetagebucheintrag vom 1. September 1977, vom ersten Tag in Asien lautete: „Nach Istanbul beginnt der Abstieg. Die Dörfer sind verfallen, das Essen wird ungenießbar – und die Toiletten sind nicht mehr zu benutzen.“ Und: „Die Nacht wird kalt und ungemütlich.“ Das klingt nicht gerade angetan. Reiseerinnerungen bestehen in der Regel schließlich aus schöneren Bildern, aus Bildern von wilden, romantischen Landschaften, von Dörfern wie aus einem Karl-May-Roman. Doch das Reisetagebuch hält stattdessen ernüchternd fest: „Der Stop in Erzerum ist ein glatter Reinfall. Wir stehen an einer Tankstelle, begnügen uns mit einem Kaffee. Die Leute sind unfreundlich – jedenfalls kommt es uns so vor. Einen besonderen Grund, zu uns freundlich zu sein, haben sie allerdings auch nicht: Wir essen nichts, trinken nichts außer dem Kaffee, sind auf der Durchreise und bringen kein Geld.“ Möglichweise geben solche Tagebuchein tragungen nicht unbedingt die Realität wieder – aber doch die Realität, die man wahrgenommen hat. Auf den anderen Routen des Hippie-Trials, auf dem Weg nach Spanien, Marokko oder Griechenland, war das Reisen nicht minder beschwerlich. Im März 1972, in dem Jahr, als Robert Treichlers Asien führer erschien, gaben 21 europäische Eisenbahngesellschaften das erste InterRail-Ticket heraus, ein Bahnticket, mit dem Jugendliche bis 21, später bis 29 Jahren für zunächst gut 200 Deutsche Mark quer durch ganz Europa reisen konnten. Der löbliche Gedanke war, dass junge Menschen mit schmaler Reisekasse so ihre Nachbarländer kennen lernen sollten. Genutzt wurden die Tickets jedoch vielfach nur, um so schnell wie möglich und so billig wie möglich zu einer der Stationen des Hippie-Trails zu 22 elangen, zu den griechischen Inseln, nach Istanbul oder g nach Spanien für die Überfahrt nach Marokko. Platzreservierungen, Nutzung von Liegewagen und anderer Komfort waren bei diesen billigen InterRail-Tickets nicht vorgesehen. Deshalb blieb den jungen Bahnreisenden nur, sich mitsamt ihren Rucksäcken irgendwie in die vor allem in Spanien und Griechenland ohnehin bis auf den letzten Platz belegten Waggons zu zwängen und zu hoffen, vom Zugpersonal nicht wegen der verkehrsgefährdenden Überfüllung wieder hinausgeworfen und auf den nächsten, nicht minder überfüllten Zug verwiesen zu werden. Sicher, die Stimmung der InterRail-Reisenden stand trotz, vielleicht sogar wegen solcher Umstände auf Party laune. Schließlich blieb den Reisenden nichts anderes übrig, als sich dicht an dicht gedrängt näherzukommen. Aber nach über 24 Stunden – und von Barcelona etwa bis nach Algeciras, einem der Fährhäfen nach Marokko, benötigten spanische Züge mitunter 36 Stunden und mehr – siegte irgendwann immer die bleierne Müdigkeit. Doch egal, wie müde man am Ziel auch ankam: Eine solche Strapaze überstanden zu haben, machte auch stolz. Im Unterschied zu den bequemen Massen- und Pauschaltouristen war man als Globetrotter eben auch bereit, auf jeglichen Komfort zu verzichten und Entbehrungen in Kauf zu nehmen. Und das zeichnete einen wahren Reisenden doch aus. Italien kontra Afghanistan: Pauschal reisen strengt auch an War der Stolz der sich als Globetrotter fühlenden über müdeten InterRailer berechtigt? In einem zumindest lagen sie gründlich falsch: Von bequemem Reisen konnte auch 23