Die ambivalente Botschaft des ersten "Zwarte Piet" (1850)

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Die ambivalente Botschaft des ersten "Zwarte Piet" (1850)
lohn Helsloot
Die ambivalente Botschaft des ersten "Zwarte Piet" (1850)
Das niederländische Nikolausfest zeichnet sich im europäischen Vergleich durch
einige besondere Merkmale aus - insbesondere im Selbstbild der Niederländer.
Der Nikolaus kommt jedes Jahr aus Spanien auf einem Dampfer in die Niederlande, und die Geschenke werden in den Familien meist als Überraschungen beschert, begleitet von witzigen Gedichten. Und obwohl der Nikolaus auch anderswo in Europa seine finsteren Begleiter hat, wird sein Diener nur in Holland
sowie auch in Flandern als ein - stereotyper - Schwarzer dargestellt: der Zwarte
Piet.
Seit einigen Jahrzehnten, vor allem als ab den 1980er Jahren viele Bewohner
der ehemaligen Kolonie Surinam in die Niederlande einwanderten, gibt es um
diese imaginäre Figur eine oft vehemente gesellschaftliche Debatte, vorzugsweise in Leserbriefen in den Zeitungen. l Farbige Niederländer betrachten den
Piet als ein Symbol der historischen Sklaverei und ihrer auch heute noch andauernden Diskriminierung. Die große Mehrzahl der anderen, der weißen Niederländer lehnt diese Interpretationen schlichtweg ab. Der Piet sei doch nur
schwarz, weil er durch den Schornstein kriechen muss, um die Geschenke des
Nikolaus in die Schuhe zu legen usw.
Anlässlich dieser Unklarheit fragte vor einigen Jahren ein farbiger Briefschreiber öffentlich: "Was ist die Wahrheit über den Zwarte Piet?"z So verständlich die Frage auch ist, wäre dies nicht die Frage eines Volkskundlers. Ihm geht
es um den Kontext, in dem ein Symbol oder Bild funktioniert und dadurch erst
seine Bedeutungen gewinnen kann. Man soll hier immer suchen, so Gottfried
Korff, nach "ideologischen Zusammenhängen ebenso wie nach den distinktiven
Gebrauchsweisen,,3. Eine "Wahrheit" oder eine "eigentliche Bedeutung" gibt es
in diesem Bereich nie, "sondern nur jeweilige, nämlich historisch, regional und
sozial bestimmte Signalfunktionen. Der kulturelle Kontext legt die [... ] Bedeutungsnuancen fest, sprich: er bietet das Feld der Assoziationsmöglichkeiten und
eröffnet erst damit Kommunikationsmuster, schafft Mitteilungscharakter".4 Ein
Bild wie der Zwarte Piet ist dadurch ständig "unscharf' und ,,rätselhaft,,.5
1.
2.
3.
4.
HELSLOOT, John: De strijd om Zwarte Piet. In: HOVING, Isabel; DIBBITS, Hester;
SCHROVER, Marlou (Hrsg): Veranderingen van het alledaagse 1950-2000. Den Haag:
Sdu,2005, S. 249-271,398-402
Metrov.26.11.2004
KORFF, Gottfried: Antisymbolik und Symbolanalytik in der Volkskunde. In: BREDNICH,
Ralf W.; SCHMITT, Heinz (Hrsg.): Symbole. Zur Bedeutung der Zeichen in der Kultur.
30. Deutscher Volkskundekongreß in Karlsruhe vom 25. bis 29. September 1995. Münster: Waxmann, 1997, S. 11-30, hier S. 25
BRÜCKNER, Wolfgang: Farbe als Zeichen. Kulturtraditionen im Alltag [1982]. In:
BRÜCKNER, Wolfgang: Materialien und Realien. Stoffwertigkeiten, Symbolwelten, Zei-
30
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Bild 1. Das Ersterscheinen eines Dieners von Sankt Nikolaus. Bild um 1800, herausgegeben
von der Witwe Jacobus van Egmont, Amsterdam. Sammlung Nico Boerma
Diese Lage wird auch hervorgerufen, Korff weiter folgend, durch die "Amnesie" der "Genese" dieser Bilder. Dieser Gedächtnisschwund legitimiert die
Suche nach deren "genetischem Ort" - natürlich nicht im Sinne einer "forcierten
Ursprungs suche", noch weniger mittels einer so oft betriebenen "Kontinuitätsbastelei". Auf dem richtigen Weg ist man hingegen, wenn man nach den "sozialen Entstehungs- und Verwendungszusammenhängen" sucht,6 nach dem semantischen Umfeld eines Bildes, als dies zum ersten Mal hervortrat.
Bild 2. Die Vorlage des Bildes von van Egmont vom Nikolaus mit einem Diener: der Stich
L'Epaule en Dedans (Aus: ROBINCHON DE LA GUERINIERE, Ecole de cavalerie, S. 104; siehe
Fußnote 10). Utrecht, Antiquariaat Acanthus
1850: Das Bilderbüchlein Sint Nikolaas en zijn knecht von Jan Schenkman
Die Figur, die jetzt als der Zwarte Piet bekannt ist, trat zum ersten Mal im Jahr
1850 im Bilderbüchlein Sint Nikolaas en zijn knecht des Amsterdamer Lehrers
Jan Schenkman aue Er wird dort als der "Diener" des Nikolaus vorgestellt, der
7.
5.
6.
chensysteme. Würzburg, 2000, S. 16-30, hier S. 27 (Veröffentlichungen zur Volkskunde und
Kulturgeschichte)
KORFF: Antisymbolik, op. cit., S. 21-23
KORFF: Antisymbolik, op. cit., S. 24-25
BUIJNSTERS, Piet J.; BUI.INSTERS-SMETS, Leontine: Lust en leering. Geschiedenis van het
Nederlandse kinderboek in de negentiende eeuw. Zwolle: Waanders, 2001, S. 320-321;
BUIJNSTERS, Piet J.; Niederländische Kinderbücher 1778-1990. In: PIESKE, Christa; et al.
(Hrsg): Tagungsband Berhn 2000. Münster: Waxmann, 2002, S. 37-50, hier S. 43 (Arbeitskreis Bild Druck Papier 5)
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außerdem "von schwarzer Farbe ist"s. Weil er Schuhe trägt, ist er wahrscheinlich kein Sklave, sondern ein freier Schwarzer. Das Urproblem, sozusagen, der
Piet-Forschung ist, dass Schenkman sich leider n(cht dazu geäußert hat, aus welchem Grund er dem Nikolaus gerade einen schwarzen Diener beigesellt hat.
Nur einmal vorher bekam der Nikolaus einen - weißen - Diener neben sich,
auf den Nieuwe Sint Nicolaas-Prent der Witwe Jacobus van Egmont von um
1800 (Bild 1). Es geht hier spürbar um ein Gelegenheitsprodukt. 9 Das Bild basiert im Spiegelbild auf dem Stich L 'Epaule en Dedans aus dem Reiterhandbuch
Ecole de cavalerie von Robinchon de la Gueriniere von 1733 10 (Bild 2). Es ist
nicht auszuschließen, aber immerhin wenig wahrscheinlich, dass dieses Bild ein
halbes Jahrhundert später Schenkman inspiriert hat.
Die Kunsthistorikerin Eugenie Boer hat die These aufgestellt, dass es bei der
Erfindung des schwarzen Dieners um einen "Zufallstreffer" gehe. 11 Schenkman
oder sein Zeichner stünden in der Tradition der niederländischen Porträtmalerei
des 17. und 18. Jahrhunderts. Als "dekoratives Beiwerk" sieht man darin oft
vornehme Personen, ausgestattet mit einem schwarzen Diener. Sehr glaubhaft
wirkt diese Vermutung insofern, als sie auf die schlagende Parallelität zwischen
einem Porträt von Michiel van Musscher aus dem Jahr 1687 und dem Nikolaus
hinter seinem Schreibtisch im Bilderbuch Schenkmans verweist. Sein schwarzer
Diener kann fast nur entstanden sein weil er oder sein Zeichner dieses Bild mit
genau so einem Diener "mit schiefen Blicken" betrachtet hat. 12
Dagegen spricht aber gewissermaßen, dass diese Bildttradition am Ende des
18. Jahrhunderts aus der Malerei verschwindet. Warum soll diese gerade in 1850
wieder ins Leben gerufen worden sein?13 Die Berufung auf den Zufall befriedigt
nicht ganz. Sollte man nicht eher nach dem hypothetischen Punkt suchen, in
dem sich die Linien von Vorstellungen über das Nikolausfest und Bilder über
schwarze Männer in Amsterdam um 1850 kreuzten?
8.
9.
10.
1l.
12.
13.
SCHENKMAN, Jan: St. Nikolaas en zijn knecht. Amsterdam: Born, o.J. (1850), S. 11
BOER-DIRKs, Eugenie: Nieuw licht op Zwarte Piet. Een kunsthistorisch antwoord op de
vraag naar de herkomst van Zwarte Piet. In: Volkskundig Bulletin 19 (1993), S. 1-35,
hier S. 7, 10-11; Booy, Frits: Op zoek naar zwarte Piet. Een speurtocht naar de
herkomst, de ontwikkeling en de betekenis van de dienaar van Sinterklaas. Eindhoven:
Stichting Nationaal Sint Nicolaas Comite, 2003, S. 30
ROBINCHON OE LA GUERINIERE, Franyois: Ecole de cavalerie, contenant la connoissance,
l'instruction et la conservation du cheval (..). Paris: Jacques Collomat, 1733
BOER-DIRKs: Nieuw licht op Zwarte Piet, op. cit., S. 13
BOER-DIRKs: Nieuw licht op Zwarte Piet, op. cit., S. 12; BOER, Eugenie: Een moortje als
versiering. De zwarte page in de Nederlandse schilderkunst. In: Spiegel Historiael 38
(2003), S. 296-301, hier S. 297
Siehe auch: JANSSEN, Louis: Nicolaas, de duivel en de doden. Opstellen over
volkscultuur. Baam: Ambo, 1993, S. 43
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Bild 3. Kinder erschrecken vom Besuch eines "rohen" Nikolauses. (Aus: RIJK.ENS, R.G.:
De beminneliike Gerrit S. 70-71: siehe Fußnote 14. Stadtbibliothek Haarlem)
Folklorismus
In den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts geriet das Nikolausfest unter Druck.
Aufgeklärte Geister lehnten es wegen seiner Unwahrheit ab und wegen des psychologisch unverantwortlichen Bangernachens der Kinder. Um diesen zu helfen
sich dagegen zu wehren, wurde ihnen in Kinderbüchern klar gemacht, dass es
den Nikolaus gar nicht gebe und dass sie darum keinen Grund zu Angstgeruhlen
haben sollten. Zum Beispiel im Büchlein des Lehrers Roelf G. Rijkens mit einem Bild eines Besuches des Nikolaus, dargestellt von einem Diener, als die
völlig verängstigten Kinder allein zu Hause sind (Bild 3). Bei seiner Heimkehr
ist der Vater sehr verärgert über dieses Benehmen des Dieners und zwingt ihn,
seine Verkleidung abzulegen und damit den Kindern die Wahrheit über den Nikolaus deutlich zu machen. 14
Derartige Bedenken gegen das Nikolausfest hatten einerseits auch in den
Niederlanden schon eine lange Geschichte. Das Fest gewann andererseits eben
in diesen I 840er Jahren eine neue Aktualität durch die immer größere Bekanntheit des deutschen Weihnachtsfestes. Dieses erweckte "edle Geruhle", das Niko-
14. RIJK.ENS, Roelf G.: De beminnelijke Gerrit, (het broertje van Frederika en Albertus).
Groningen: Scholtens, 1849 [1822], S. 70-79; siehe auch Booy, Frits: DecemberWintermaand. Sinterklaas als 'bijthema' in kinder- en jeugdboeken. In: Boekenpost 7:44
(1999), S. 4-5, hier S. 4
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Bild 4. Ein Flugschrift aus 1850 gegen das Nikolausfest: Der Weihnachtsbaum über Sankt Nikolaus! Gemeindearchiv Amsterdam.
lausfest hingegen war "ohne Anlass und Bedeutung". 15 In einer im
Jahr 1850 in Amsterdam veröffentlichten Flugschrift, De kersboom boven St. Nikolaas! (Der
Weihnachtsbaum über Sankt Nikolaus!), wurde das klar dargelegt
(Bild 4).16
Freunde des Nikolausfestes
und damit Gegner dieses neuen
Weihnachtsfestes fühlten sich dadurch in eine defensive Position
gedrängt. Zur Charakterisierung
ihrer Gemütsverfassung eignet
sich gut der Begriff des "Folklorismus" aus der Volkskunde. Nach
Herman Roodenburg: Wenn Menschen meinen, dass ein kulturelles
Phänomen, zum Beispiel ein Fest,
im Prozess des Verschwindens gerät, werden sie versuchen, es zu
revitalisieren und ihm neue Bedeutungen zu geben. Dabei ist eine
beliebte Strategie die der Steigerung bestimmter theatralen Aspekte oder sogar die Erfindung ganz
neuer Elemente. 17
Ein andere Vorstellung des Nikolaus
Aber die erste Aufgabe war die Umprogrammierung bestehender Praktiken und
Bedeutungen. Eine "Zivilisierung" des Festes war am besten geeignet, die ge15. DEKKER, A. J.: De opkomst van kerstboom en kerstviering in Nederland (ca. 18351880). In: Volkskundig Bulletin 8 (1982), S. 129-179, hier S. 132-133; DEKKER, Ton:
Ausbreitung und Verbürgerlichung der niederländischen Festkultur im 19. und 20. Jahrhundert. In: DEKKER, Ton; et al. (Hrsg.): Ausbreitung bürgerlicher Kultur in den Niederlanden und Nordwestdeutschland. Münster: Coppenrath, 1991, S. 42-56, hier S. 45-46
16. Booy, Frits: Op zoek naar zwarte Piet, op. cit., S. 34
17. ROODENBURG, Herman: Ideologie en volkscultuur: het internationale debat. In: DEKKER,
Ton; ROODENBURG, Herman; ROOIJAKKERS, Gerard (Hrsg.): Volkscultuur. Een inleiding
in de Nederlandse etnologie. Nijmegen: SUN, 2000, S. 66-109, hier S. 99; siehe auch
ROOIJAKKERS, Gerard: Volkskunde. De rituelen van het dagelijks leven. Dtrecht:
Nederlands Centrum voor Volkscultuur, 2001, S. 47-54
Die ambivalente Botschaft des ersten "Zwarte Piet" (1850)
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Bild 5. Eine "zivilisierte" Version des Nikolaus. Bild aus der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts
herausgegeben von Wijnhoven Hendriksen, Rotterdam (Wiederverkäufer D. Pouwels,
Bergen op Zoom). Sammlung Nico Boerma
nannten Einwände zu beseitigen. Das Rohe und Gruselige sollten zugunsten des
dem bürgerlichen Lebensgefühl eher entsprechenden Ruhigen und Förmlichen
verschwinden .18
Illustrativ für diesen Prozess ist ein von Wijnhoven Hendriksen im zweiten
Viertel des 19. Jahrhunderts herausgegebenes Bild (Bild 5). Der bäuerliche Nikolaus aus dem genannten Bild in dem Kinderbuch ist hier transformiert in einen
18. Siehe auch: KORFF, Gottfried: Hase & Co. Zehn Annotationen zur niederen Mythologie
des Bürgertums. In: GYR, Deli (Hrsg.): Soll und Haben. Alltag und Lebensformen bürgerlicher Kultur. Zürich: Offizin, 1995, S. 77-95, hier S. 84
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vornehmen Herrn auf einem Pferd, mit dem gleichen gefederten Hut. Der Nikolaus des Schenkmans ist vom selben, neuen Typus.
Burschen mit geschwärztem Gesicht im Nikolausritual
Die Aufführung eines Nikolausbesuches war oft, wie im Kinderbuch von Rijkens, eine Sache der Hausangestellten. Aber daneben gab es in den Städten und
vor allem auf dem Lande noch andere Nikolause: halbwüchsige Burschen, die
toll verkleidet und mit rasselnden Ketten die Häuser entlang gingen, um die
Kinder und die jungen Mädchen zu erschrecken. Manchmal schwärzten sie auch
ihr eigenes Gesicht.!9 Der Historiker und Volkskundler lan ter Gouw nennt sie
"die schwarzen Kläuse".2o Es liegt auf der Hand, dass man versuchte, auch diese
Figuren in den Zivilisierungsprozess einzubeziehen und ihnen eine andere Bedeutung zu geben. Bemerkenswert ist, dass Ter Gouw schrieb, dass der
"schwarze Klaus" selbstverständlich ,,kein Mohr" war?! Eben aus dieser Verneinung ergibt sich, dass hier der Gedanke an einen "echten" Schwarzen nicht
weit war. Das kann dann auch bei Schenkman der Fall gewesen sein und dadurch einen Nährboden für seinen schwarzen Knecht des Nikolaus geschaffen
haben.
"Der schwarze Mann"
Dabei kann noch ein Weiteres mitgespielt haben. Einige niederländische Forscher sind der Meinung, dass die Burschen mit geschwärztem Gesicht den
"schwarzen Mann" nachahmten?2 Tatsächlich werden dieser Kinderschreck und
der Nikolaus in den Quellen hie und da in einem Atem genannt?3 Die Aufklärung lehnte beide Schreckfiguren selbstverständlich ab. Aber aus der Sicht der
Romantik hatte das den Figuren der "niederen Mythologie,,24 innewohnende
Phantastische und Märchenhafte auch seinen Wert für die Entwicklung der Kin19. VAN HAMELSVELD, Usbrand: De zedelijke toestand der Nederlandsche natie, op het
einde der achttiende eeuw. Amsterdam: Johannes Allart, 1791, S. 196; ZWAAGDIJK, M.:
Sinterklaas v66r honderd jaar, In: De Speelwagen 6 (1951), S. 261-264, hier S. 262;
siehe auch: JANSSEN, op. cit., S. 37, 39; HELSLOOT, John: De opkomst van Sinterklaas als
nationaal feest in Nederland. Een schets op grond van twee voIkskundevragenIijsten
(1943 en 1994) van het Meertens Instituut. In: DöRlNG, Alois (Hrsg.): Faszination Nikolaus. Kult, Brauch und Kommerz. Essen: Klartext, 2001, S. 104-139, hier S. 112-116;
HELSLOOT, John: Sich verkleiden in der niederländischen Festkultur. Der Fall des "Zwarte Piet". In: Rheinisches Jahrbuch for Volkskunde 36 (2005/2006), S. 137-153, hier
S. 140-141
20. TER Gouw, Jan: De volksvermaken. Haarlern: Bohn, 1871, S. 256
21. TER Gouw, op. cit., S. 262
22. NEDERVEEN PIETERSE, Jan: Mirakels multiculturalisme: Zwarte Piet revisited. In:
HELDER, Lulu; GRAVENBERCH, Scotty (Hrsg.): Sinterklaasje, kom maar binnen zonder
knecht. Berchem: EPO, 1998, S. 27-44, hier S. 31; siehe auch: JANSSEN, op. cit., S. 43
23. VAN HAMELSVELD, op. cit., S. 195-196
24. KORFF: Hase & Co., op. cit.
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.1').
Bild 6. Kinder erschrecken vom Besuch eines "schwarzen Mannes".
(Aus: De Moeder de Gans der negentiende eeuw. neben S. 10; siehe Fußnote 27.
Bibliothek Universität Amsterdam)
derseele?S Gerade Mitte des 19. Jahrhunderts war diese Debatte in den Niederlanden aktuell. Schriftsteller wie Nicolaas Beets (1837) und P. A. de Genestet
(1857) plädierten für die Beibehaltung des Nikolaus und des "schwarzen Mannes" in der Erziehung?6
Das zeigt sich in einer Geschichte mit genau diesem Titel Der Schwarze
Mann im Kinderbuch De Moeder de Gans der negentiende eeuw von um 1850,
25. EBERSPÄCHER, Martina: Der Weihnachtsmann. Zur Entstehung einer Bildtradition in
Aufklärung und Romantik. Stuttgart, 2002, S. 136-137,207-208,249
26. DAALDER, Dirk L.: Wormcruyt met suycker. Historisch-critisch overzicht van de
Nederlandse kinderliteratuur. Schiedam: Interbook International, 1976 [1950], S. 78; DE
GENESTET, Petrus A.: Over kinderpoezy. Amsterdam: Kraay, 1865, S. 27-28
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beschrieben von Allison Blakely.27 Ein Müller bringt "einen langen Mann mit
schwarzen Händen und schwarzem Gesicht" mit zu sich nach Hause (Bild 6).
Die Kinder des Müllers haben zuerst viel Angst vor diesem Mann, überwinden
diese aber, als er ihnen eine Apfelsine schenkt. Später kann der Mohr die Familie des Müllers noch vor einem Unfall schützen. Am Ende prägt der Vater den
Kindern ein, einen Menschen nicht wegen seiner Hautfarbe zu beurteilen. Obwohl der Mohr schwarz sei, sei er ein edlerer Mensch als mancher Weißer.
In dieser Geschichte verbindet sich die niedere Mythologie durch die Umgestaltung des Bildes des "schwarzen Mannes" mit einer angemessenen bürgerlichen Erziehung. Dass der Mohr gerade eine Apfelsine übergibt - ein beliebtes
Geschenk in holländischen Nikolausliedern - bringt diesen positiv bewerteten
schwarzen Mann in assoziativen Zusammenhang mit dem Nikolausfest.
Der Struwwelpeter
Darur gibt es noch ein weiteres bekanntes Beispiel. 1848, also zwei Jahre vor
Schenkmans Bilderbüchlein, war die niederländische Übersetzung von Hoffmanns Struwwelpeter veröffentlicht worden?8 In einer Geschichte bestraft eine
Nikolausfigur drei Jungen, die einen schwarzen Buben wegen seiner schwarzen
Hautfarbe verspottet haben. Obwohl nach heutigen Einsichten sicherlich kritisierbar,29 ist immerhin Tatsache, dass der Nikolaus für den Schwarzen eintritt.
Selbstverständlich ist dieses Bild in der Piet-Forschung nicht unbemerkt geblieben. Arie van den Berg hat den schwarzen Buben Hoffmanns sogar "eine Inkunabel des Zwarte Piet" genannt. 30 In der Tat ist es sehr glaubhaft, dass dieses rur
Schwarze positive und Nikolaus-bezogene Bild dem Schenkman im Gedächtnis
war.
Sklaverei
1850 war Holland ein Land, das in seinen westindischen Kolonien noch immer
die Sklaverei kannte. Obwohl es in den 1840er Jahren verschiedene Versuche
gab, diese abzuschaffen - dies gelang erst 1863 -, nimmt man an, dass die
27. BLAKELY, AIIison: Blacks in the Dutch world. The evolution ofracial imagery in a modern society. Bloomington/Indianapolis: Indiana University Press, 1993, S. 199;
(ANONYM): De Moeder de Gans der negentiende eeuw. Vertellingen voor de
welopgevoedejeugd. Amsterdam: Weddepohl, O.J. (um 1850), S. 9-19
28. GIELEN, Theo: De vroege weerklank van Piet de Smeerpoets. Smeerpoetsverhalen in
Nederland: 1848-1859. In: De Boekenwereld 19 (2002/2003), S. 26-34
29. KÖNNEKER, Marie-Luise: Dr. Heinrich Hoffmanns "Struwwelpeter". Untersuchungen zur
Entstehungs- und Funktionsgeschichte eines bürgerlichen Bilderbuchs. Stuttgart:
Metzler, 1977, S. 114; BLAKELY, op. cit., S. 195; MARTIN, MicheIle H.: "Hey, who's the
kid under the green umbreIIa?" Re-evaluating the Black-a-moor and Litde Black Sambo.
In: The Don and the Unicorn 22 (1998), S. 147-162, hier S. 153, 156
30. VAN DEN BERG, Arie: Van binnen moetje wezen. Amsterdam: Arbeiderspers, 1989, S. 12
Bild 7. Nikolaus bestraft einen Buben mit einer Gerte. Aus: VAN SCHAICK, C.: Sint Nikolaasvertellingen voor dejeugd, neben S. 56; siehe Fußnote 32. Koninklijke Bibliotheek, Den Haag)
3l
Mehrheit der Bevölkerung sich darum wenig kümmerte. Inwieweit das auch
bei Jan Schenkman der Fall war, wissen wir nicht. Er hat sich zur Sklaverei
nicht geäußert. Aber man kann versuchen, seine Position hypothetisch zu rekonstruieren.
1849, ein Jahr vor Schenkmans Bilderbuch, veröffentlichte C. van Schaick
ein Büchlein mit Nikolausgeschichten. 32 In einer dieser Geschichten bestraft der
31. GOMES, Patricia 0.: Over 'natuurgenooten' en 'on willige honden '. Beeldvorming als
instrument VOOI' uitbuiting en onderdrukking in Suriname 1842-1862. Amsterdam:
Aksant, 2003; lANSE, Maartje: De aftchaffers. Publieke opinie, organisatie en politiek in
Nederland 1840-1880. Amsterdam: Wereldbibliotheek, 2007, S. 51-91
32. VAN SCHAICK, Cornelis: Sint Nikolaas-vertellingen voor de jeugd. Schiedam: Roeiants,
1849
40
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Bild 8. Bestrafung eines Sklaven mit einer Peitsche.
(Aus: Nederlandsch Magazijn 1845, S. 144. Bibliothek Universität Amsterdam)
Nikolaus einen mit seinen Geschenken unzufriedenen Buben, indem er ihn mit
einer Gerte schlägt (Bild 7). Ich vermute, dass dieses grausame und bedrohende
Bild Schenkmans Vorstellung über den Nikolaus widersprach.
Die Gerte dieses Nikolaus hat eine Ähnlichkeit mit der Peitsche, womit in
den westindischen Kolonien die Sklaven bestraft wurden. Davon gab es Bilder
zum Beispiel 1845 in der Zeitschrift Nederlandsch Magazijn und 1850 erneut
abgedruckt in einem Bilderbuch für Kinder, Op reis, von Claudius33 (Bild 8).
Schenkman kann gedacht haben: So wenig wie der Nikolaus auf diese Weise die
Kinder bestrafen soll, so soll man auch nicht mit den Schwarzen verfahren. Daraus kann sich in seiner Vorstellung eine weitere Verbindung von Nikolaus und
Schwarzen ergeben haben.
Jan Schenkman hat als Lehrer im Amsterdamer Viertel der einfachen Leute
"de Jordaan" gearbeitet und wohnte dort in der Nähe. Gerade in diesem Viertel
war im Lauf der 1850er der Abolitionismus eine "Volkssache", d.h. des streng-
33. Nederlandsch Magazijn 1845, S. 144; CLAUDIUS: Op reis. Nederlandsch prentenboek
voor jongens en meisjes. 's-Gravenhage: Fuhri, 1850, S. 84
Bild 9. Ein ehemaliger Sklavenbesitzer und sein treuen schwarzer Diener
(Aus: Timotheus 2 (1850), S. 149. Bibliothek Universität Amsterdam)
gläubigen protestantischen Bevölkerungsteils?4 Aber schon vorher, im Winter
1850/1851, wurden vom rechtgläubigen Pfarrer Jan de Liefde darüber sogenannte Volksvorlesungen gehalten. 35 Wie Schenkman schrieb de Liefde als Zubrot
Bücher für Kinder. 36 Es ist belegt, dass er ihn kannte. 3?
34. JANSE, op. cit., S. 126
35. DE LIEFDE, Jan: Tien voorlezingen voor het volk over eenige onderwerpen uit de
algemeene geschiedenis. Utrecht: Kemink, 1852, S. 211-302
36. BUIJNSTERS/BuIJNSTERS-SMETS: Lust en leering, op. cit., S. 260-261; RIETVELD-VAN
WINGERDEN, Marjoke: De predikant als kinderboekenschrijver. In: Jaarboek voor de
geschiedenis van het Nederlandse Protestantisme na 1800 5 (1997), S. 183-205, hier
S. 199
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Vielleicht war Schenkman auch bekannt mit der von de Liefde herausgegebenen christlichen Zeitschrift für Jugendliche Timotheus. Der Jahrgang
1850 - also genau das Jahr von Schenkmans Büchlein und vielleicht schon Ende
1849 erschienen - enthält eine bemerkenswerte Geschichte. Eine der Hauptpersonen ist ein alter Mann, beschrieben als "edel und vornehm", mit langen weißen Haaren und einem Benehmen "von außerordentlicher Würde".38 Das sind
Charakterzüge und eine äußere Erscheinung, die genau dem .neuen Nikolausbild
entsprechen.
Sehr interessant ist, dass dieser Mann auch einen Diener (,,knecht") hat, sogar ein schwarzen. Ein Bild zeigt die beiden (Bild 9). Der alte Mann ist ein
ehemaliger Besitzer von Sklaven, jetzt aber überzeugt vom großen Umecht der
Sklaverei. Auf seinem Krankenbett versöhnt er sich mit dem Sohn einer seiner
Sklaven, jetzt seinem treuen Diener. Die Geschichte endet mit dem Aufruf des
alten Mannes, die Sklaverei abzuschaffen.
Kann es sein das gerade dieses Bild Schenkman angeregt hat, den Nikolaus
mit einem schwarzen Diener auszustatten? Ich möchte dies als Hypothese vorschlagen.
Ein Bild mit ambivalenter Bedeutung
Aber was kann er damit gemeint haben? In Einklang mit der vorher genannten
Umdeutung des Bildes des "schwarzen Mannes" und mit der Vorstellung des
schwarzen Dieners in der Geschichte in der Jugendzeitschrift, ist das Bild des
schwarzen Dieners des Nikolaus durchaus positiv. Das heißt aber - und wie im
Struwwelpeter: nach zeitgemäßen Maßstäben. Denn auch Gegner der Sklaverei
waren davon überzeugt, dass Schwarze eines "guten Meisters" beduften und
dass sie für die Rolle eines Dieners am besten geeignet waren?9 Außerdem galt
für ihr richtiges, "treues" Benehmen der zivilisierende Einfluss des Christentums
als unentbehrlich. 40 Die Meisterschaft eines katholischen Bischofs konnte als eine Garantie dafür angesehen werden.
Im Rahmen einer angestrebten bedeutungsvollen Neubelebung des Nikolausfestes kann die Beifügung eines schwarzen Dieners als ein Signal für Kinder
37. SCHENKMAN, Jan: Verzameling van luimige voordrachten, snaaksche dicht- en
prozastukjes, ten dienste van vroolijke vriendenkringen, bruiloften enz. Rotterdam: Bolle,
o.J., S. 125
38. De zwarte ziel en de blanke huid. (Ingezonden.). In: Timotheus 2 (1850), S. 101-149,
hier S. 101
39. PAASMAN, Albertus N.: Reinhart: Nederlandse literatuur en slavernij ten tijde van de
Verlichting. Leiden: Nijhoff, 1984, S. 141-154; VAN KEMPEN, Michiel: De fondantlaag
van de Romantiek. Vier teksten over slavemij in Suriname. In: Spiegel der Letteren 44
(2002), S. 63-83, hier S. 69; AMMERLAAN, Renate: "Want al was zijn huid ook zwart,
Teergevoelig was zijn hart". Beeldvorming over zwarten en slavemij in kinderboeken,
1807-1863. In: aso. Tijdschrift voor Surinamistiek 24 (2005), S. 39-51, hier S. 49
40. OE LIEFOE, op. eit., S. 288, 293
Bild I O. Der Zwarte Piet bestraft die bösen Kinder
(Aus: Algemeen Handelsblad 26.1l.l938)
betrachtet werden, um den Schwarzen positiv - d.h. in dieser ambivalenten Auffassung - zu begegnen, vielleicht sogar als ein Plädoyer für die Abschaffung der
Sklaverei.
Zugleich aber ist auch eine andere Interpretation möglich. Wie Piet und Leontine Buijnsters gezeigt haben, war Jan Schenkman ein fröhlicher Mann, mit
wenig Geschmack an Moralismus. 41 Ein strenggläubiger Christ war er sehr
wahrscheinlich nicht. Statt seiner Zustimmung zum Bestreben der Orthodoxie
zur Abschaffung der Sklaverei, kann sein schwarzer Diener vielleicht auch als
ein ironischer Kommentar dazu betrachtet werden, insbesondere zum Bild in der
41. BUIJNSTERSIBUIJNSTERS-SMETS: Lust en leering, op. eit., S. 260-275
44
John Helsloot
Jugendzeitschrift aus dem gleichen Jahr. Sein Widerwille gegen das neue Weihnachtsfest könnte dies noch verstärkt haben. Aber dagegen spricht wieder, dass
auch sein Nikolaus den Kindern "Frömmigkeit und Tugend" beibringen wollte. 42
.
Schluss
Es ist klar, dass auch nach dem hier Gesagten das Rätsel des Zwarte Piet offen
bleibt und dass hier nur einige "Entstehungszusammenhänge" skizziert werden
konnten. Zufällig war sein Ersterscheinen meiner Ansicht nach aber nicht. Dessen Kontext war das Bedürfnis einer Neubelebung und Umdeutung des Nikolausfestes. Es gab - zugegeben: im Nachhinein gesehen - verschiedene Verbindungslinien zwischen dem Nikolaus und seinem Fest und schwarzen Männern:
die Burschen mit geschwärztem Gesicht; der oft gemeinsam mit dem Nikolaus
vorkommende "schwarze Mann" als Kinderschreck; und die bemerkenswerte
Verteidigung des schwarzen Buben durch Nikolaus im Struwwelpeter. In diesem
vielschichtigen Nährboden kann das Bild in der Jugendzeitschrift Timotheus von
1850 für Jan Schenkman den Anstoß gegeben haben - was er selbst auch immer
damit gemeint haben mag.
Eine "Wahrheit" über den Zwarte Piet ist aus diesem Befund nicht zu festzulegen, um so weniger, als nachher das ursprünglich ambivalente Bild der
Schwarzen immer mehr in negativem, stereotypem und rassistischem Sinn umgedeutet worden ist. 43 Das zeigt sich deutlich, als ab den 1860er Jahren, wie
Frits Booy nachgewiesen hat, für Jahrzehnte dem Piet die Rolle des Bestrafers
der Kinder zufiel (Bild 10).44 Das sind, um Sigrid Nagy zu zitieren, "neue Deutungen (... ), die so vom Urheber gar nicht beabsichtigt waren".45 Daran hat Jan
Schenkman aber keine Schuld, wie auch Eugenie Boer schon hervorgehoben
hat. 46 Oder besser: Bis weitere Untersuchungen im vielen, noch unerforschten
(Bild-)Quellenmaterial aus der Zeit um die Mitte des 19. Jahrhunderts Klarheit
bringen, bleibt Schenkmans genaue Absicht weiterhin unbestimmt.
42. SCHENKMAN: St. Nikolaas en zijn knecht, op. cit., S. 21
43. BOER, Eugenie: Sint-Nicolaas in het "oude" kinderboek. In: Literatuur zonder leeftijd 8
(1994), S. 123-136, hier S. 135; BERENDS, Bianca: Zwarte Piet en Witte Klaas.
Onderzoek naar beeldvorming in de sinterklaastraditie. Unveröffenlichte Magisterarbeit
Erasmus Universiteit Rotterdam, 2000, S. 65-79; BERENDS, Bianca: Zwarte Piet en Witte
Klaas. Beeldvorming in de sinterklaastraditie. In: Roest. Tijdschrift voor geschiedenis en
cultuur (2001) 10, S. 13-19
44. Booy, Frits: 'Ziet, hoe Sint Niklaas zijn leven soms waagt'. Op zoek naar de oudste
sinterklaasboeken voor kinderen in Nederland. In: Jaarboek van het Nederlands
genootschap van Bibliofielen 1994 (1995), S. 93-111, hier S. 102, 104
45. NAGY, Sigrid: Wie Luther im 19. Jahrhundert zum Weihnachtsbaum kam. In: Jahrbuch
für Volkskunde 23 (2000), S. 11-50, hier S. 14
46. BOER-DIRKS, Eugenie: De Sint Nicolaas van Jan Schenkman. In: Ons Amsterdam 47
(1995), S. 282-286, hier S. 286
Lina van der Wolde
Papieranwendungen aus dem Alltagsleben
in der Sammlung Atlas Van Stolk
Man hat mich gebeten, etwas über die Sammlung des Atlas Van Stolk in Rotterdam zu berichten. Es war für mich eine sehr ehrenvolle Einladung, die ich auch
gern angenommen habe. Mein Bericht besteht aus einer kleinen Reihe von Beispielen, die, wie ich hoffe, das Thema der alltäglichen Papieranwendung in den
Niederlanden ausreichend illustrieren und zugleich die Vielseitigkeit des Atlas
Van Stolk zeigen wird. 1
2
Der Atlas Van Stolk
Manch einer kennt die Kollektion Atlas Van Stolk vielleicht als wichtige Sammlung von Bildern aus der niederländischen Geschichte, und tatsächlich sind historische Bilder ihr Herzstück. Feldschlachten und Belagerungen, Himichtungen
mächtiger Männer, Huldigungen von Fürsten und Fürstinnen, Friedensverhandlungen - das alles ist hier zu sehen. Aber eine ebenso große Rolle spielt das
Schicksal der einfachen Menschen und der Ereignisse des Alltagslebens.
Die Sammlung besteht hauptsächlich aus Radierungen, Kupferstichen,
Zeichnungen und Photos. Außerdem befinden sich Ansichtskarten und Plakate
im Atlas Van Stolk. Insgesamt wird der Umfang auf 150000 Gegenstände geschätzt. Alle zusammen vermitteln ein Bild der niederländischen Geschichte von
der Zeit an, als die Bataver ins Licht der Geschichte traten bis zu den jüngsten
Ereignissen wie dem Antritt des heutigen Regierungskabinetts.
Die Kollektion war ursprünglich eine Privatsammlung. Mitglieder der Familie Van Stolk brachten ab Mitte des 19. Jahrhunderts einen Großteil der Sammlung zusammen. Es ist dabei bemerkenswert, dass sie bereits den Blick für alltägliches Bildmaterial hatten. Denn diese Familie von Holzhändlern war zwar
reich, ihre Mitglieder gehörten aber nicht zur Regentenklasse. Sie achteten
einerseits auf das Ansehen ihrer Sammlung und trugen dabei aber nicht nur besondere historische Bilder oder Bücher mit hohem Wert zusammen, sondern
andererseits auch Eintrittskarten, Fahrkarten oder Gänsespiele, um nur einige
dieser alltäglichen Dinge zu nennen, deren Vielseitigkeit oft sogar den Konservator überrascht.
I.
2.
Der Text ist eine Auswahl aus VAN DER WOLDE, Lina: Oud papier! Over gebruik,
bewaren en restaureren van prent en tekening. Bussum: Uitgeverij Thoth, 2006. 128 S.,
Abb. - ISBN 90-6868-434-5
Atlas hat in den Niederlanden nicht nur die Bedeutung einer Sammlung von Landkarten,
sondern bezeichnet z.B. auch eine Kollektion von Radierungen, Stichen und Zeichnungen über die Geschichte einer Stadt oder eines Landes.
Arbeitskreis Bild Druck Papier
Cercle d'Etudes Imagerie Impression Papier / Working Group Picture Print Paper
Gegründet von Prof. Dr. Christa Pieske
Herausgegeben von
Wolfgang Brückner, Konrad Vanja,
Detlef Lorenz, Alberto Milano, Sigrid Nagy
Wolfgang Brückner, Konrad Vanja,
DetlefLorenz, Alberto Milano, Sigrid Nagy (Hrsg.)
Arbeitskreis Bild Druck Papier
Tagungsband Amsterdam 2007
Band 12
Wissenschaftlicher Beirat:
Prof. Dr. Nils-Arvid Bringeus (Lund), Elisabetta Gulli Grigioni (Ravenna),
Christiane E. Kugel (Las Palomas), Prof. Dr. Dominique Lerch (Suresnes),
Prof. Dr. Roger Paas (Carleton, MN), Prof. Dr. RolfReichardt (Mainz),
Prof. Dr. Hans-Jörg Uther (Göttingen)
Der Arbeitskreis Bild Druck Papier wurde 1981 als Basis rur die projektierte
Ausstellung Das ABC des Luxuspapiers in Berlin gegründet. Der kleine Kreis
der Forscher und Sammler erweiterte sich rasch um Fachleute von Universitäten
und Museen, die hier ihre gemeinsamen kulturgeschichtlichen Interessen
vertreten fanden. Die Treffen bilden seither mit jährlichen Tagungen an
wechselnden Orten ein Forum rur den Austausch von Forschungsergebnissen,
Arbeitsprojekten und Informationen zu den Fachgebieten. Die Ergebnisse sowie
weitere Informationen werden in den Tagungsbänden durch Text und Bild
festgehalten.
Waxmann 2008
Münster / New Y ork / München / Berlin
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind
im Internet über http://dnb.d-nb.de abrutbar.
Arbeitskreis Bild Druck Papier, Band 12
ISSN 1437-9406
ISBN 978-3-8309-2010-6
© Waxmann Verlag GmbH, 2008
Postfach 8603, D-48046 Münster
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info@waxmann.com
Umschlaggestaltung: Pleßmann Kommunikationsdesign, Ascheberg
Titelbild: Inneres der alten Remonstrantenkirche in Amsterdam.
Kupferstich (1771) von C. Philips Jacobsz nach einer Zeichnung von H. Keun (1770).
(Universitätsbibliothek Amsterdam, Collectie Remonstrantse Gemeente Amsterdam-Port
D-a6) Heute Tagungsstätte im Haus De Rode Hoed, Keizersgracht
Redaktion, Satz und Layout: Detlef Lorenz
Druck: Buschmann, Münster
Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier, säurefrei gemäß ISO 9706 '
Der Druck der Farbabbildungen im Beitrag Nimm mich mit - eine illustrierte Zeitschrift der
wilhelminischen Ä'ra von Detlef Lorenz wurde durch eine Spende ermöglicht.
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