Jesus vom Wörthersee
Transcription
Jesus vom Wörthersee
Jesus vom Wörthersee TEXT: WOLFGANG RÖSSLER FOTOS: WOLFGANG WAGNER Als Uni-Jesus war der Klagenfurter Josef Broman über die Grenzen Österreichs bekannt. Vor einem Jahr bekam er vom Rektor Hausverbot. Nun missioniert er auswärts. Ein Besuch beim schrägsten Schamanen Kärntens. Wien, 14. September 1986. Der Stephansdom ist brechend voll bis auf die letzte Sitzbank, draußen stehen die Gläubigen dicht an dicht bis hin zur Kärntner Straße. Vorne am Altar wird der umstrittene Kirchenvater Hans-Hermann Groër zum neuen Erzbischof von Wien geweiht. Noch weiß keiner hier, dass der hagere Mann mit der Großinquisitoren-Mine ein Knabenschänder ist. Auf einmal geht ein Raunen durch die Kathedrale, alles dreht sich um, in Richtung Haupttor. Da steht ein junger Mann, Anfang dreißig, mit Rauschebart und zotteligen Haaren. „Jesus!“, ruft einer aus. Die seltsame Erscheinung geht rückwärts wieder hinaus, auf den Stephansplatz, und klettert auf ein Baugerüst. „Ich habe der jubelnden Menge zugewunken. Kein Mensch hat sich mehr für Groër interessiert“, sagt Josef Broman. Wenn sich diese Geschichte aus dem Leben Bromans auch vielleicht nicht ganz genau so zugetragen hat, dann ist sie zumindest gut erfunden. Denn einen besseren Schmähtandler als den inzwischen 60-jährigen Wörthersee-Schamanen muss man in Kärnten lange suchen. „Jesus“ wird er landauf, landab gerufen und zwar in der englischen Aussprache: „Dschiesäs“. Fast zwei Jahrzehnte lang gehörte der skurrile Lebenskünstler praktisch zum Inventar der Universität Klagenfurt. Generationen von Studenten – zumindest die nicht ganz so braven – haben sich in der Aula um den spindeldürren Freak mit dem losen und mitunter nicht ganz jugendfreien Mundwerk geschart. Der Uni-Jesus, der sich zwar selber nie ganz ernst nimmt, wohl aber seine Mission, die Welt zu retten: Dieses Original war weit über die Grenzen Kärntens hinaus bekannt. Vor zwei Jahren hatte er sogar einen großen Auftritt im bayerischen Fernsehen, als schrägster Vogel Kärntens. Doch im Vorjahr machte der damalige Rektor HC Mayr Schluss mit der Weltrettung: Weil Broman lautstark in eine PrestigeVeranstaltung der kleinen Alpen-Adria-Universität platze, wies ihn Mayr vor die Türe. Jesus bekam Hausverbot. Ein paar Monate später wurde Mayr vom Uni-Aufsichtsrat abgewählt. „Das war die Strafe“, sagt Broman heute. Nun, behauptet er, würden ihn Professoren beknien, zurück zu kommen, auf die Alma Mater. „Aber das interessiert mich nicht mehr“. Soll sich die Uni doch selber retten. Der Uni-Jesus hat sich nun nach Millstatt zurückgezogen, seine „Sommerresidenz seit 25 Jahren“. Er schläft unter einer uralten Linde nahe dem Pfarrhaus, untertags findet man ihn unten am Seeufer, im Schillerpark. Im Herbst wird er wieder nach Klagenfurt ziehen, wo er gleich neben der Uni eine kleine Bleibe hat. „Der Prophet wartet schon“, sagt eine junge Bootsvermieterin mit kohlschwarzen Haaren wissend. Wir treffen Broman auf einer Parkpark, neben ihm zwei junge Männer, die seinen Ausführungen lauschen. Hier, in Millstatt, ist der Uni-Jesus willkommen. Die Einheimischen grüßen ihn lachend, man kennt sich: „Servas, Jesus!“ Kaum einer, der nicht stehen bleibt und ein paar Worte mit Broman wechselt. Der genießt die Aufmerksamkeit. Er redet viel und gerne. Und ist natürlich mit jedem per du. Sag, Josef, wie war das, als du beschlossen hast, auszusteigen? Es ist nicht immer ganz einfach, seinem Redeschwall zu folgen. „1982 kam meine Berufung zur Rettung der Welt. Saturn, der zweitgrößte Planet, hat mich mitgenommen. Weil ich ein Revoluzzer war, so wie Jesus oder Buddha.“ Langsam, Josef. Was ist 1982 passiert? Bis dahin führte der damals 29-jährige Broman ein recht konventionelles Leben. Der Sohn eines wohlhabenden Bleiburger Großbauern arbeitete als Versicherungsmakler in Unterkärnten. „Eines Tags saß ich in meinem Büro in Bleiburg und blickte beim Fenster raus und habe eine graue, düstere Energie gesehen. Da wusste ich: Irgendwas stimmt nicht, ich muss etwas tun.“ Und dann? „Dann habe ich Gottes Stimme gehört“ Häh? „Schizophrenie. Aber da bin ich erst später draufgekommen.“ Broman weiß, dass es für die Stimmen in seinem Kopf eine medizinische Erklärung gibt. Aber neben der objektiven Wahrheit gibt es eben immer auch eine subjektive. Und die lautet: Er ist ausersehen, die Welt zu retten – oder zumindest seine Mitmenschen manchmal zum Nachdenken zu bringen. Seit 30 Jahren lebt er von einer schmalen Berufsunfähigkeitspension. Geldprobleme hat er trotzdem keine. Broman ist sich nicht zu schade, angebissene Wurstsemmeln aufzuessen. Gerade hat er sich den Magen mit Kirschen vollgeschlagen – vor ihm ist noch keiner auf die Idee gekommen, den Baum mitten in Millstatt abzuernten. Wir leben in einer Überfluss-Gesellschaft – das ist eine der wichtigsten Lektionen des selbst ernannten Gurus. Lachen als Ausweg. Als Broman noch ein kleiner Bub war, in den Fünfzigerjahren, betrieben seine Eltern ein kleines Gasthaus in Bleiburg, im zweisprachigen Gebiet, wo im zweiten Weltkrieg Nachbarn aufeinander geschossen hatten. Kaum mehr als zehn Jahre später trafen sich dort slowenische Partisanen und Deutschkärntner SS-Soldaten am Stammtisch. Sie betranken sich mit selbst gebranntem Schnaps, lärmten und machten üble Scherze: Nur im Suff konnten sie die gemeinsame Vergangenheit verdrängen. Klein-Josef fürchtete sich kaum zu Unrecht vor den Erwachsenen und versteckte sich in einer Holzkiste. Aber instinktiv hat er mitbekommen, dass lautes Lachen oft der einzige Ausweg im Leben ist. Später erzählte ihm seine Mutter, dass sie während des Krieges ein Hitlerbild in der Küche hängen hatte – für den Fall, dass sich ein Wehrmachtssoldat in das Haus verirren sollte. Jeden Abend drehte sie den Rahmen um. Auf der Hinterseite prangte ein Porträt von Sowjet-Führer Josef Stalin. Denn nachts kamen die Partisanen. Auch die Schizophrenie kommt nicht von irgendwoher. Er schildert diese Geschichten aus seiner Jugend ruhig, ohne Faxen. Broman kann ernst sein – bloß nie allzu lange. Zeit zum Baden. Er rennt zum Ufer, wirft das T-Shirt ab, lässt seine viel zu weite Hose fallen. Splitternackt steht er nun auf der gemauerten Brüstung. „Zum Baden braucht man Wasser, ka Hosn“, ruft Broman. Im Hintergrund kichern ein paar blutjunge Mädchen. „Wo sind die Seejungfrauen?“, fragt Broman und springt kopfüber ins Wasser. Später wird er uns weismachen wollen, dass die jungen Mädchen heillos verknallt in ihn seien. Doch die wollen davon nichts wissen. Ob sie ein Foto von sich und Broman machen ließen? „Sicher nicht!“ Ob sie ihn heiraten möchten? „Sonst noch was? Sicher nicht!“ Markus Brandstätter kennt Broman seit über 20 Jahren. Schon als er noch ein Jugendlicher war, freundete er sich mit dem schrägen Vogel in einem Millstätter In-Lokal an, beim Studieren in Klagenfurt traf er ihn wieder. Brandstätter ist jetzt 38 Jahre alt, er hat einen Doktor in Philosophie und dreht Experimentalfilme. Was ist normal? Wer bestimmt, was normal ist? Und wie normal sind die angeblich Normalen? Solche Fragen treiben Brandstätter um, darum drehen sich seine Filme. „Unsere Welt“, sagt Brandstätter, „wird immer antiseptischer und kitschiger. Es gibt immer weniger Platz für Menschen wie Josef.“ Dabei, davon ist Brandstätter überzeugt, könne man gerade von Leuten wie Broman viel lernen. Weil er nicht vorgebe, ein anderer zu sein, als er ist. Er habe, sagt Josef Broman, immer wieder versucht, normal zu sein. „Aber, keine Chance. Das ist eben mein Schicksal.“