PR62 - Proletarische Revolution

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PR62 - Proletarische Revolution
Proletarier/innen aller Länder, vereinigt euch!
Proletarische
Revolution
Nr.62
unabhängig
von Staat und Kapital
16. Jg.
revolutionär-kommunistische Zeitung in Österreich
im 146. Jahr
der Pariser Kommune
Spendenempfehlung: 2,- Euro
April 2016
Impressum:
Medieninhaber, Herausgeber,
für den Inhalt verantwortlich
Kollektiv
Proletarische Revolution
c/o Stiftgasse 8, 1070 Wien
www.prolrevol.wordpress.com
Die Proletarische Revolution liegt in folgenden
Buchhandlungen / Vereinslokalen auf (und ist dort
auch käuflich zu erwerben):
- Buchhandlung Frick, 1010 Wien, Schulerstraße 1-3
- Buchhandlung des ÖGB, 1010 Wien,
Rathausstraße 21/Ecke Universitätsstraße
- Literaturcafe Buchhandlung Lhotsky, 1020 Wien,
Rotensterngasse 4/Ecke Taborstraße
- Marxer Lesestube, 1030 Wien, Marxergasse 18
- Buchhandlung Jauker, Sampogasse 4, 1140 Wien
- Buchhandlung Alex, 4020 Linz, Hauptplatz 21
- Buchhandlung Hacek, 9020 Klagenfurt, Paulitschgasse 5-7
- Rotes Antiquariat, Rungestraße 20, D-10179 Berlin
- M 99, Manteuffelstraße 99, D-10997 Berlin
- Buchladen Rote Straße, Nikalokirchhof 7, D-37073 Göttingen
- Aufbau Buchvertrieb, Kanonengasse 35, 8004 Zürich
Flugblätter der IA*RKP als Broschüren auf Persisch
Im Abo
kostet die PR für 1 Jahr
im Inland 20,-,
Sozialabo 15,im Ausland 30,- Euro
Die Konkurrenz der imperialistischen Mächte
führt zum Krieg,
wenn die proletarische Revolution dem Krieg nicht zuvorkommt!
Inhalt
Editorial
Österreich
Faschi­sie­rung:
Asylverweige­rung, Spal­tung und
Hetze, Faschisierung von Staat und
Gesellschaft (SPÖVP – FP)
3
SPÖ und 12.Februar 1934
8
Schluss mit faschist. Hetze...!
10
Asylrecht abgeschafft
11
Frankreich
Reaktionärer Schub
14
Ausnahmezustand
20
Antiterroeinsätze
20
Ukraine
Zwei Jahre nach dem Putsch
21
Griechenland
KKEml: Nein zur NATO-Operation
in der Ägäis
Klassenkämpfe und sozialis­tische
Revolution
Was tun
... in revolutionärer Situration?
... bei revolutionärer Erhebung?
30
31
34
37
Philippinen
Taktische Offensiven der NPA
39
Wahlen - Revolution
40
Österreich
Klassenkämpfe und
Volkskämpfe
Silvesterskandal - Sexismus
42
Steuerreform
45
Feiern oder kämpfen? (komakml-Flugblatt) 48
Lohnunterschiede Frauen-Männer
Schluss mit Sexismus, Rassismus und Krieg (Feministisches
Frauenbündnis 8.März)
49
50
(klein)bürgerliche
Theorien
„Nord-Süd-Konflikt“ oder
Antiimperialismus?
52
„Werkbank“ Iran und Türkei?
69
„Reformismus auf der Höhe der
Zeit“ (4 Thesen)
70
BDS-Stellungnahme zu
Verleumdungen 77
In den letzten 6 Monaten hat sich deutlich gezeigt, dass die sogenannten „zivilgesellschaftlichen“ Mobilisierungen und Graswurzelbewegungen politisch unwirksam sind. Während in Österreich
zehntausende Freiwillige in ihren Wohnorten praktische Solidarität mit den Heimatvertriebenen und Auswander/innen üben und
hunderte wöchentlich oder gar täglich Hilfsgüter zu den Verzweifelten an den Grenzen Österreichs, Ungarns und verschiedener
Balkanstaaten bringen, zur selben Zeit errichtet die österreichische Regierung kilometerlange Zäune, Anhaltelager, Überwachungsanlagen und Militärcamps. Auch wenn über 100.000 Voices
for Refugees am Wiener Heldenplatz zusammenkommen, kann
das offensichtlich nicht die Abschaffung des Asylrechts und die
Militarisierung des öffentlichen Lebens an Grenzen und in „Aufnahmelagern“ verhindern, oder auch nur deutlich einbremsen.
Die „Zivilgesellschaft“ mit ihren verständnis­heischenden Appellen
an die Vernunft und Menschlichkeit der Herrschenden ist gescheitert. Solange nicht entschlossene Kräfte an Einfluss gewinnen, die
sagen: Das sind unsere Brüder und Schwestern, Unterdrückte und
Ausgebeutete wie wir, und nur zusammen werden wir im Kampf
gegen unseren gemeinsamen Feind, die kapitalistische Ausbeuterklasse, die Verhältnisse für uns alle verändern! – solange eine solche revolutionär-demokratische Massenbewegung unter Führung
der Arbeiter/innenklasse nicht erstarkt, werden die Herrschenden
mit den Flüchtlingen und mit uns tun, was sie wollen bzw. für sich
und ihre Profitinteressen am besten halten.
Die vorliegende Nr.62 der Proletarischen Revolution konzentriert
sich, soweit es die tagtäglichen Aktivitäten der IA*RKP und ihr
nahestehenden Kräfte betrifft, auf Fragen des Demokratieabbaus
und der Faschisierung. Dazu dokumentieren wir mehrere Flugblätter und bringen einen Artikel, der sich mit der Einschätzung
der FPÖ und der Faschisierung in Österreich beschäftigt. Ergänzend dazu gibt es einen Beitrag über die jüngsten Entwicklungen
in Frankreich, das nicht erst seit den Anschlägen in Paris 2015 ein
Vorreiter in der EU in Bezug auf faschistischen Ausnahmezustand,
Grenzschließung und Massendeportation (v.a. von Roma) ist.
Da der Medienwirbel um die Syrienkonferenzen einen viel näher
gelegenen Brennpunkt der zwischenimperialistischen Konkurrenz permanent überdeckt, bringen wir einen Artikel zur Ukraine.
(Kiew ist gleich weit von Wien entfernt wie Paris, und näher als
Athen oder Barcelona!)
In Fortsetzung unserer Auseinandersetzung mit den Entwicklungen in Griechenland (in der vorangegangenen PR 61) bringen wir
einen Beitrag zu den dortigen Klassenkämpfen und der Perspektive der sozialistischen Revolution.
Im theoretischen Teil der PR62 setzen wir uns kritisch mit zwei
Strömungen auseinander, die in der aktuell schwachen Klassenkampf-Situation ihre äußerst schädliche Wirkung entfalten können: Einerseits geht’s um den sogenannten „Nord-Süd-Konflikt“
am Beispiel eines Artikels von Lauesson/Cope in der Monthly Review, und andererseits um vier (überflüssige) Thesen aus dem Eck
der autonomen Bewegung über „einen Reformismus auf der Höhe
der Zeit“ und eine „zeitgemäße emanzipatorische Politik“ …
Als unser Beispiel aus dem „globalen Süden“ und zu unseren Ansichten über eine „zeitgemäße emanzipatorische Politik“ bringen wir einen Bericht über die Aktivitäten der Neuen Volksarmee
(NPA) auf den Philippinen.
Abschließend möchten wir aufgrund verschiedener (kritischer)
Anfragen darauf hinweisen, dass die Proletarische Revolution in
der derzeitigen Situation nicht viel mehr leisten kann, als die tatsächliche revolutionäre kommunistische Bewegung in Österreich
widerzuspiegeln. Nehmt an Aktionen und Diskussionen aktiv teil,
schreibt Flugblätter und Beiträge und beteiligt euch daran, die
Zeitschrift besser zu machen!
Kollektiv Proletarische Revolution
Für neue Leser/innen:
Die „Proletarische Revolution“ erscheint seit 2001. Sie greift mit revolutionär-kommunistischen Positionen in aktuelle Kämpfe und in damit verbundene praktische und
theoretische Auseinander­setzungen ein. So setzt sie die Tradition der von den Marxisten-Leninisten Österreichs 1963 gegründeten „Rote Fahne“ und
der 1972 bis 1980 erschienen österreichischen (Wochen-) Zeitung
„Klassenkampf“ fort. Das Kollektiv Proletarische Revolution stellt
sich die Aufgabe, durch die Verbindung der Erfahrungen und Lehren von nahezu 200 Jah­ren revolutionärer, internationaler Arbeiter/innen-Bewegung mit dem aktuellen Klassenkampf in Österreich und weltweit einen Beitrag zu leisten zur Bewusst­machung und
Revolutio­nierung der Arbeiter/innenklasse im heutigen Österreich.
Die „Proletarische Revolution“ kämpft in der Tradition der internationalen revolutionär-kommunistischen Bewegung. Diese hat sich
vor einem halben Jahr­hundert intensiv mit den Fehlern der Kommunistischen Partei der Sowjetunion auseinandergesetzt und ab Anfang der 1960er Jahre einen scharfen Kampf gegen die Wegbereiter
des bürokrati­schen Staatskapitalismus in der Sowjetunion
geführt. Die theoretische und praktische Verteidigung einer
marxistisch-leninistische Generallinie für die Weltrevolution
hat damals zur Gründung neuer, revolutionär-kommunistischer Zeitungen und Parteien geführt, die sich an der chinesischen Kulturrevolution unter Mao Zedong orientierten.
Das Kollektiv Proletarische Revolution geht davon aus, dass
ohne positive Berücksichtigung der theoretischen und praktischen Leistungen der chinesischen Kulturrevolution die
Theorie und Praxis der revolutionären kommunistischen Bewegung nicht ent­sprechend den aktuellen Anforderungen
des revolutionären Klassenkampfs weiterentwickelt werden
können.
Die „Proletarische Revolution“ bringt in 4 bis 6 Ausgaben jährlich sowohl agitatorische und pro­pa­gandistische
Aufrufe, Stellungnahmen und Redebeiträge zu aktuellen
Kämpfen als auch wissen­schaftliche Untersuchungen, Analysen und Thesen von österreichischen und international relevanten Parteien und Organisationen der revolutionären
kommunistischen Weltbewegung.
Die „Proletarische Revolution“ ist unabhängig von Staat und Kapital und finanziert
sich aus­schließ­lich aus Spenden, Abo-Einnahmen und anderen freiwilligen Beiträgen.
Abo-Bedingungen siehe Umschlag hinten!
Die „Proletarischen Revolution“ kann als pdf-Datei im Netz unter <prolrevol.wordpress.com> heruntergeladen werden.
Kollektiv Proletarische Revolution
Proletarische Revolution 62
Antifa gegen FPÖ? –
Faschismus verhindern?
Gegen Faschisierung und Abbau demokratischer Rechte in Österreich heute
Nach aktuellen Meinungsumfragen, die in verschiedenen bürgerlichen Medien verbreitet werden, liegt
die FPÖ Mitte März in der
„Sonntagsumfrage“ (Was
würden Sie wählen, wenn
nächsten Sonntag Nationalratswahlen wären?) bei
etwa 33%. Gleichzeitig betätigen sich SPÖ und ÖVP
(mit verteilten Rollen) als
EU-weite Vorreiter beim
Ausbau der Festung EUropa und der Abwehr von
Heimatvertriebenen aus
den von imperialistischen
Kriegen verwüsteten Gebieten. In anderen EU-Ländern können wir ähnliche
Entwicklungen verfolgen:
Sozialdemokratische Regierungsparteien höhlen
die bürgerliche Demokratie aus und beseitigen demokratische Rechte in der
Praxis und auf gesetzlicher
Ebene (z.B. in Frankreich
Notstandsgesetze in die
Verfassung; Deutschland,
Schweden, Slowakei,…).
Viele Maßnahmen oder
Organisationen
werden
heute oft als „faschistisch“
bezeichnet, um eine besondere Abscheu auszudrücken, so als ob das Wort faschistisch gleichbedeutend
mit „Scheiße“ oder „reaktionär“ wäre. Wir denken
uns, dass in einem ernsthafteren Gespräch der Begriff „faschistisch“ nicht
inflationär, sondern nur
dann verwendet werden
sollte, wenn auch wirklich
„Faschismus“ gemeint ist.
Nicht erst in jüngster Zeit,
sondern schon seit den
1960er Jahren gibt es aber
viel Verwirrung um den
Faschismus-Begriff
auch
unter Kräften, die sich
durchaus am Marxismus
orientieren.
Wenn wir als Revolutionäre Kommunist/innen über
Faschismus und Faschisierung der Gesellschaft
reden, beziehen wir uns
vor allem auf die Definition von Faschismus durch
die Komintern (1934) als
„offen terroristische Herrschaftsform des Monopolkapitals“ – es ist also eine
Form der Herrschaftsausübung der Kapitalistenklasse, insbesondere ihrer
reaktionärsten Elemente
im Monopol-Finanzkapital.
Faschistische Bewegungen
und Organisationen streben eine solche Herrschaft
an, wobei es nicht darauf
ankommt, ob sie das auch
offen ankündigen. „Offen terroristisch“ bedeutet, dass der Staatsterror,
sobald die terroristische
Herrschaftsform errichtet
ist, für alle erkennbar ist.
Zumindest alle Demokrat/
innen erkennen dann, dass
die Grundprinzipien der
(bürgerlichen) Demokratie
missachtet werden, dass
- vor allem von Seiten der
Polizei oder paramilitärischer Verbände – schrankenlose Gewalttätigkeit
ausgeübt wird. Schon in
der Anfangsphase werden
massiv Gesetze gebogen
oder gebrochen und (frühere)
bürgerlich-demokratische Verfassungsbestimmungen zunehmend
ausgehöhlt und durch
„antidemokratische“ Gesetze oder Verordnungen
ausgehebelt – nach kurzer
Zeit herrschen Gewalt und
Terror auf allen Ebenen
vor.
Als „Faschisierung“ wird
vor der Machtübertragung an eine faschistische
Regierung der schrittweise Abbau demokratischer
Rechte durch bürgerliche
Parlamentsparteien, also
der Weg dorthin, zur offen terroristischen Herrschaftsform der Bourgeoisie bezeichnet.
Im Gegensatz zur inflationären Verwendung des
Faschismus-Vorwurfs
ist
es kein „Beweis“ für Faschismus, wenn von Polizei
oder Militär in eine Demo
hineingeschossen
wird.
Das geschah historisch gesehen in Österreich z.B. im
April und Juni 1919 (Gründonnerstagsdemo 17.4.19
vorm
Parlament
bzw.
15.6.19 Hörlgasse), im Juli
1927 (15.7.27 Justizpalast)
usw. – oder auch im Berliner Blutmai 1929. Aktuelle
Vorfälle aus der EU sind
etwa Genua 2001, Göteborg 2001, Athen 2008, …
Faschismus bzw. Faschisierung ist es, wenn geschossen wird, um eine offen
terroristische Herrschaft
zu errichten (wo dann
„normalerweise“ in jede
oppositionelle Demo geschossen wird).
Es ist kein „Beweis“ für
Faschismus, wenn führende Mitglieder einer
Kommunistischen Partei
verhaftet werden, wegen Hochverrat angezeigt
(und nach ein paar Tagen
oder Wochen wieder freigelassen werden). Das ist
auch in Österreich schon
Faschisierung und Demokratieabbau
mehrmals lange vor der
Errichtung der faschistischen Herrschaft 1933/34
geschehen, als z.B. die sozialdemokratische Stadtregierung an einem Tag
115 Funktionäre der KPÖ
verhaften ließ (angeblich
um einen Aufstand zu verhindern). Faschismus bzw.
Faschisierung ist es, wenn
nicht nur kommunistische,
sondern auch sozialdemokratische und klassenkäm­
pferische Gewerkschaftsführer/innen ständig von
Verhaftung bedroht sind
und praktisch nur noch
verdeckt arbeiten können.
Faschismus
bezeichnet
eine Unterdrückungsform,
wo die gesamte (oppositionelle) Arbeiter/innenbewegung
illegalisiert
ist und (zunehmend) alle
ihre Funktionäre von Verhaftung und Ermordung
bedroht sind. Das war in
Österreich z.B. ab 1933
mit dem Verbot von KPÖ
und
Republikanischem
Schutzbund, sowie der
Auflösung des Parlaments
der Fall. (Allerdings weist
Dimitroff andererseits ausdrücklich darauf hin, dass
das Weiterbestehen eines
Rumpfparlaments – z.B.
in Mussolini-Italien – kein
Beweis dafür ist, dass der
Faschismus noch nicht an
der Macht sei – das (von
Oppositionellen gesäuberte) Parlament kann z.B.
aus Legitimationsgründen
von einer faschistischen
Regierung weitergeführt
werden.
Nach Analysen der Komintern ist der Faschismus eine
instabile Herrschaftsform
des Monopolkapitals, weil
große Teile der Volksmassen weit über die Arbeiter/
innenklasse hinaus „offen“ unterdrückt werden
und keine demokratischen
Ausdrucksmöglichkeiten
haben, also offensichtlich ihre wirtschaftlichen
und politischen Interessen nicht vertreten können. Deswegen greift die
Bourgeoisie nicht bei jeder
passenden Gelegenheit,
sondern nur dann zum
Faschismus, wenn sie ihre
Interessen nicht mehr mit
den normalen Unterdrückungsmitteln der bürgerlichen Demokratie (Medienverhetzung, Polizeirepression, Klassenjustiz, …)
durchsetzen kann.
Eine Situation, wo oppositionelle demokratische
(und sogenannte „zivilgesellschaftliche“) Kräfte
weitgehend ungehindert
agitieren und protestieren
können, aber kommunistische und revolutionäre
Kräfte oder auch militante
klassenbewusste Gewerkschafter/innen
verfolgt
werden, als „faschistisch“
zu bezeichnen, verharmlost objektiv eine reale
Gefahr des Faschismus und
trägt zur ideologischen
Verwirrung der bewusstesten und kämpferischsten
Kräfte im Klassenkampf
bei.
Darüber hinaus sollten
Rassismus und Faschismus
nicht verwechselt oder
vermischt werden; d.h. die
brutale rassistische Unterdrückung eines Teils der
Arbeiter/innen bzw. bestimmter Migrant/innen
ist kein „Beweis“, dass in
diesem Land der Faschismus an der Macht ist – wer
sowas leichtfertig behauptet, unterschätzt einerseits
die „normale“ gezielte
Verhetzung und Spaltung
der Bevölkerung durch
die Ideologen und Gewaltapparate der Bourgeoisie
und andererseits die (noch
bevorstehenden) Möglichkeiten der Bourgeoisie in
Bezug auf terroristische
Unterdrückung aller Arbeiter/innen und Demokrat/innen.
FPÖ faschistisch und
Hauptfeind?
Nach dieser langen Klarstellung, was wir revolutionären Kommunist/innen
als faschistisch bezeichnen
und was nicht, jetzt zur
FPÖ:
Die FPÖ ist nach unserer
Einschätzung keine faschistische Partei, aber sie
hat als einzige österreichische Partei einen stabilen
faschistischen Flügel. Die
Proletarische Revolution 62
FPÖ als Gesamtpartei kritisiert in ihrer Propaganda
nicht „die Demokratie“
und die „demokratischen
Werte“, sondern die Unterdrückung durch die
„Großkopferten“
und
„Gutmenschen“, die „Bürokratie“, die sich nicht
um die „einfachen Leute“
kümmern usw.
Die derzeitigen Wahlerfolge der FPÖ bedeuten
nicht, dass große Teile der
Arbeiter/innenklasse und
des Kleinbürgertums eine
Beseitigung der bürgerlich-demokratischen Verfassung in Österreich fordern (sowie der ohnehin
verstümmelten demokratischen Rechte in der EU).
Gerade in Bezug auf die
EU kritisiert z.B. die FPÖ,
dass „wir Österreicher“
zu wenig demokratische
Rechte haben.
Die FPÖ vertritt reaktionäre Strömungen und
Ideologien, wie z.B. Rassismus, Militarismus, Frauenfeindlichkeit (Machotum),
christlichen Fundamentalismus, … aber sie bündelt
sie nicht und hebt sie nicht
auf eine qualitativ höhere Ebene als viele andere
bürgerlichen Parteien. Die
FPÖ als Gesamtpartei baut
nicht direkt programmatisch darauf auf und versucht, für verschiedene
Ansichten offen zu bleiben. Sie verspricht nicht,
derartige reaktionäre Forderungen systematisch auf
Staatsebene durchzusetzen (z.B. Ausweisung aller
Ausländer, massiver Ausbau des Militärs, Entmündigung der Frauen, stärkere Begünstigung christlicher Religionen, …)
Nur eine relativ kleine
(aber wichtige und stabile) Fraktion von Faschisten
in der FPÖ tut das auch
quasi-programmatisch.
Diese wird geduldet, aber
nicht in den Vordergrund
gestellt; öffentliche Funktionäre und Mandatare distanzieren sich regelmäßig
von solchen Positionen.
Wir betonen bewusst seit
Jahren, dass in Österreich
aktuell und in absehbarer
Zukunft für die Bourgeoisie keine Notwendigkeit
besteht, faschistische Kräfte an die Macht zu hieven.
Wenn die FPÖ an einer
Landesregierung
(oder
vielleicht auch wieder einmal einer Bundesregierung) als Koalitionspartner beteiligt wird, dann
hängt das von taktischen
Überlegungen der jeweiligen regierungsbildenden
Parteien ab, wie sie zu einer mehrheitsfähigen Regierung kommen können,
um ihr Programm umzusetzen. Eine fallweise Beteiligung der FPÖ an einer
Regierung ergibt sich nicht
aus politischen Analysen
des Monopolkapitals, dass
jetzt eine Partei mit einem
faschistischen Flügel an
die Regierung gebracht
werden müsse, um mit offenem Terror (also faschistischen Methoden) eine
Offensive gegen die Arbeiter/innenklasse einzuleiten
und durchzuführen.
Massenmobilisierungen
gegen FPÖ-(Wahl-)Kundgebungen sind kein geeignetes Mittel, antifaschistisch orientierte Menschen
auf die Notwendigkeit des
Sturzes der Diktatur der
Bourgeoisie überhaupt zu
stoßen.
Eine Mobilisierung gegen
FPÖ-Auftritte mit offen
rassistischen Forderungen
oder bestimmter faschistischer Funktionäre muss
die Orientierung auf den
Kampf für mehr demokratische Rechte beinhalten
und kann z.B. Losungen
verwenden wie: „Kampf
für
mehr
Demokratie
– zwingt Faschisten in die
Knie!“ usw. Auf keinen
Fall soll eine Befürwortung der aktuell bestehenden politischen Ordnung
(als
„kleineres
Übel“)
herauskommen, sondern
es muss die Gefahr von
Einschränkung demokratischer Rechte durch Beschlüsse aller bürgerlichen
Parlamentsparteien und
die Notwendigkeit der Erweiterung demokratischer
Rechte in den Mittelpunkt
gerückt werden.
Das Ziel jeder Aktion gegen die FPÖ muss dabei
sein, die selbstständigen
Aktivitäten und Zusammenschlüsse in der Arbeiter/innenklasse zu fördern,
und das Selbstvertrauen
insbesondere von Arbeiterjugendlichen zu stärken, dass sie politisch was
bewirken können, wenn
sie organisiert und planmäßig auftreten.
Gegen Faschisierung und
Abbau demokratischer
Rechte
Viele linke, sich selbst als
marxistisch
verstehende
Gruppen betreiben heute eine Politik der Verteidigung der bürgerlichen
Demokratie und speziell
individueller
Freiheitsrechte gegen eine
angebliche
faschistische
Bedrohung,
meist durch
die FPÖ oder
kleine
faschistische
Gruppen.
Faschisierung und Demokratieabbau
Diese Gegenüberstellung
halten wir für falsch. Wir
bekämpfen alle Faschisierungsschritte der bürgerlichen Regierung (mit oder
ohne
FPÖ-Beteiligung)
und orientieren uns dabei auf einen Kampf für
volksdemokratische Rechte, vorrangig also solcher
demokratischen Rechte,
die für die Arbeiter/innen
als Klasse wichtig für ihren
Kampf sind, also kollektive
demokratische Rechte.
Bei unserer politischen
Schwerpunktsetzung halten wir nach wie vor daran
fest, dass aktuell in Österreich die Konzentrierung
auf den „antifaschistischen
Kampf“ kein weiterführender Weg ist, um näher
an die proletarische Revolution heranzukommen.
Wir sehen wenig Chancen
in solchen Kämpfen, klassenbewusste Aktivist/innen zu gewinnen und an
den Kommunismus heranzuführen. In den aktuellen
Antifa-Bewegungen herrschen mehrheitlich ganz
klar prokapitalistische und
proimperialistische
Orientierungen vor, und die
beteiligten Kräfte konzentrieren sich fast ausschließlich auf die Verteidigung
ihrer (bürgerlichen) demokratischen Freiheiten
gegen den (angeblich drohenden) Faschismus. Darüberhinaus sieht der Großteil der heutigen Antifaschist/innen überhaupt die
EU als Bollwerk gegen den
Faschismus (z.B. anlässlich
der heuchlerischen EU-Kritik an der ungarischen Orban- oder der polnischen
PiS-Regierung).
Deshalb
haben wir es mit unseren
bescheidenen Kräften an
der Antifa-Front besonders schwierig, den demokratischen Kampf mit dem
Kampf für die proletarische Revolution zu verbinden.
Trotz
der
genannten
schwierigen Lage werden
wir uns nicht von antifaschistischen
Aktionen
fernhalten (ohne bei jeder
dabei sein zu müssen). Antifa-Demos ziehen u.a. wegen ihrer Breite auch zahlreiche Arbeiterjugendliche
(besonders aus migrantischen Zusammenhängen)
an, an die wir uns gezielt
in militanten Kämpfen
richten und ihnen unsere Vorstellungen und unseren Weg nahebringen
müssen.
Im Kampf gegen Faschisierung und für mehr demokratische Rechte in allen
Bereichen müssen wir die
wirklichen Träger dieser
staatlichen
Entwicklung
nennen: Es ist immer wieder die Sozialdemokratie,
und der signifikante Aufund Ausbau des Polizeistaats begann 1989-97
unter SPÖ-Innenministern
(incl. dem „linken“ Einem).
Die seinerzeitige ÖVP-FPÖRegierung brauchte 2000
bloß in die Schubladen
der Löschnak, Einem und
Schlögl zu greifen und deren „Reformen“ fortführen.
Es ist wichtig zu betonen,
dass sich die Bourgeoisie
schon heute in Österreich
auf eine eventuelle faschistische Option vorbereitet
(wie es die deutsche z.B.
1968 unter SP-Brandt mit
den
Notstandsgesetzen
machte). Der Bourgeoisie ist die Notwendigkeit
eines schärferen Ausbeutungskurses in der Zukunft
bewusst und sie plant deshalb eine eventuell unvermeidliche Zuspitzung
von Klassenkämpfen ein.
Die folgenden, beispielhaft genannten Maßnahmen dienen erstens dazu,
heute schon eine klassenkämpferische Entwicklung
(durch
Einschüchterung
und Repression) zu behindern und zweitens dazu,
für den Fall des Falles gewappnet zu sein. Die Maßnahmen und Pläne setzen
auf verschiedenen Ebenen
und Bereichen an:
Die Aufrüstung und Ausbildung der beiden bewaffneten
Unterdrückungsinstrumente, Militär und
Polizei, für gewalttätiges
Vorgehen gegen Massenaktionen. Einerseits „Polizeiisierung“ der Armee,
d.h. ihr zunehmender Einsatz für Polizeiaufgaben
(z.B. an Grenzübergängen
zur Flüchtlingsabwehr und
gegen Flüchtlingshelfer/
innen), und andererseits
Militarisierung der Polizei,
d.h. ihre teilweise armeemäßige Bewaffnung und
Ausbildung. Im Winter
2015 wurden die Grenzschutztruppen des Bundesheeres mit Helmen,
Schildern und Pfefferspray
ausgerüstet, nachdem sie
schon ab Herbst 2015 mit
Pistolen bewaffnet waren.
Die rechtliche (wo noch
notwendig) und faktische
Vorbereitung der Armee
auf Einsatz im Inneren,
Übungen in dieser Richtung bis hin zu regelrechten Bürgerkriegsübungen
bei geeigneten Vorwänden, Nutzung der Aus-
Proletarische Revolution 62
landseinsätze zu diesem
Zweck (z.B. Verweis des
Bundesheeres und des
Kriegsministers, dass die
Berufs- und Zeitsoldaten
- nicht aber die Präsenzdiener - aufgrund der
Auslandseinsätze und der
dortigen Erfahrungen in
puncto crowd and riot
control bestens geeignet
sind für Einsätze in der
„Flüchtlingsfrage“).
Ein für die Herrschenden
äußerst wichtiger Punkt ist
die systematische Gewöhnung der Bevölkerung an
eine Präsenz des Gewaltapparats und speziell auch
der Armee im öffentlichen
Raum. Katastrofeneinsätze
des Bundesheeres wurden
immer schon zu Werbezwecken breit in den Massenmedien gebracht. Im
Herbst 2015 wurden dann
in den Nachrichten immer
wieder Filme mit Bundesheereinheiten gezeigt, die
an Flüchtlinge Essen und
Decken austeilen. (Zum
Beispiel sind in Italien und
Frankreich Militärposten
mit größeren Soldatengruppen an Straßenkreuzungen schon Normalzustand; in Deutschland und
Griechenland Panzerwagen der Polizei auf Plätzen
stationiert.)
Die Internetüberwachung,
Auswertung von Überwachungs-Kameras
im
öffentlichen Raum und
ähnliches werden (auch
in den Massenmedien)
massiv als Schutzmaßnahme propagiert, um davon
abzulenken, dass es der
Bourgeoisie dabei um eine
weitere Perfektionierung
des Überwachungs- und
Bespitzelungsstaats geht.
Dazu gehören als neuere
Maßnahmen auch z.B. das
systematische
Abfilmen
aller Demo-Teilnehmer/innen (und dazu extra eingerichtete Flaschenhälse
mit Tretgittern am Beginn
der Demo-Route) oder der
Einsatz von Drohnen.
Auf Gesetzesebene gibt es
wesentliche Strafrechtsänderungen, z.B. die europaweit koordinierte Einführung von „Mafiaparagraphen“, wonach nicht
eine Tat angeklagt wird,
sondern die vermeintliche
Zugehörigkeit zu einer
Gruppe. In Österreich sind
das der § 278a StGB „Tierschützerparagraph“; und
§ 278b – „Unterstützung
einer ausländischen terroristischen Vereinigung“.
Auch der § 274 (Landfriedensbruch) wurde im Sommer 2015 novelliert, um
ihn für die Richter einsatzfähiger zu machen.
Mit dem im Februar 2016
beschlossenen
neuen
Staatsschutzgesetz (PStSG)
werden nicht nur (schon
bisher bestehende) österreichische Geheimdienste
zusammengelegt, sondern
ihre Befugnisse werden
auch deutlich erweitert,
unter anderem die gesetzliche Erlaubnis, ohne richterliche Kontrolle Personen auszuspionieren und
zu überwachen, nur um
„die Wahrscheinlichkeit (!)
eines verfassungsgefährdenden Angriffs“ festzustellen.
Im Rahmen regelmäßiger
Besprechungen und Übungen wird die Koordination und Zusammenarbeit verschiedener Einsatzdienste
(Rettung, Feuerwehr,
Zivilschutz usw.) mit
Polizei und Militär
verbessert – ausdrücklich auch im
Zusammenhang mit
eventuellen Ausnahmezustands- oder Notstandssituationen.
Wenn wir die Entwicklung
in anderen EU-Ländern
beobachten, können wir
schon heute sehen, was
die österreichische Bourgeoisie in nächster Zeit
noch alles vorhat:
In Frankreich wird gerade
das Strafrecht drastisch
verschärft – siehe dazu den
Artikel in dieser Nummer
weiter hinten! In Ungarn,
Polen, Lettland usw. werden die Massenmedien defakto einer Zensur unterworfen, in Frankreich erfolgt die Gleichschaltung
der Medien, besonders
der Fernsehstationen, im
Zusammenhang mit Terrorismus-Hetze und (mindestens) sechsmonatigem
Ausnahmezustand.
In Portugal „regiert“ der
Präsident mit Notverordnungen, um eine „linke“
Regierung zu verhindern.
In Deutschland werden
faschistische Parteien und
Organisationen aufgebaut
(NSU, AfD) und alte gefördert (NPD), um Einsatzgruppen für das Grobe zur
Hand zu haben.
Im Großraum Paris werden
neue Siedlungen in den
Banlieues von vornherein
so gebaut, dass ihre Abriegelung, der Militäreinsatz
gegen sie, ihr Ausspionieren durch Blockwarte usw.
erleichtert werden.
„Die Wahrheit verpflichtet euch zuzugeben, dass
die österreichische Sozialdemokratie
heute politisch bankrott ist.“
Flugblatt der IA*RKP, Februar 2016
Georgi Dimitroff: Brief an die österreichischen Arbeiter, 1934
Am 12. Februar 1934
standen
zehntausende
österreichische Arbeiter/
innen gegen die bür­ger­
liche Staats­macht auf,
um die ständigen poli­
tischen und wirtschaftlichen
Verschlechte­rungen
zu stoppen. Die am meis­ten
entschlossenen und klassenbewussten von ihnen griffen zu den Waffen und widersetzten sich den Angriffen der Polizei, des Militärs
und der faschistischen Heim­
wehrtruppen. Drei Tage
lang kämpften sie mutig in
Wien und mehreren Industriestädten von Niederösterreich, Steiermark, Oberösterreich, Salz­burg und
Tirol. Doch wegen Zersplitterung, mangelnder Unterstützung und vor allem dem
kompletten Fehlen einer zentralen revolutionären Leitung der
Kämpfe konnte die
faschistische Reaktion siegen und eine
austro­faschistische
Gewaltherrschaft errichten, die den Nazis den Weg ebnete.
Trotzdem war es die
erste bewaffnete Erhebung gegen den
Faschismus in Europa
vor dem Spanischen
Bürgerkrieg und den
Partisa­nenkämpfen
gegen den Nazifaschismus.
Der
faschistische
Putsch in Österreich
kam nicht überraschend, denn bevor
die Sozialdemokratische Par­tei und sämtliche
ihrer Unterorganisationen
im Februar 1934 verboten wurden, waren schon
1933 die (da­mals noch
revolutionäre) KPÖ, der
Repu­bli­kanische Schutzbund und weitere Arbei­
ter/in­nen­organisationen
von der rechtskonserva­ti­
ven Re­gierung verboten
worden.
Auch die in Wien alleinregierenden Sozial­demo­
kraten hatten am 15.Juli
1927 ihre Polizei in de­
mons­trierende Arbeiter/
innen schießen und mit
Säbel­attacken niedermetzeln lassen – mit fast 100
To­te und über 1000 Verletzten wurde die bür­ger­li­
che Unterdrückerordnung
wieder herge­stellt.
1930 verkündete der rechte Flügel der heutigen
ÖVP (die damalige „Heimwehr“) einen „Marsch
auf Wien“ und schworen
im
Korneu­burger
Eid die Beseitigung des
„westlichen
demokratischen Par­la­­men­tarismus
und Parteienstaats“. Damit ging eine Welle der
faschis­tischen Morde an
klassen­bewussten Arbeiter/innen los, 1933 wurde
u.a. ein Massenstreik der
Eisenbahner/innen staatlich nie­der­ge­schla­gen und
im Jänner 1934 ein allgemeines Versammlungsverbot von der damaligen
christ­lich­sozialen (heute
ÖVP) Regierung DollfußSchuschnigg erlassen. Die
Polizei führte ständige
Hausdurchsuchungen in
Ve r s a m m l u n g s r ä u m e n
und Wohnungen der bereits verbotenen re­vo­lu­
tio­nä­ren und kommunistischen Organisationen,
aber auch in Parteilokalen der SP durch – bis sich
Linzer Schutzbündler am
12.2. bewaffnet wehrten
und die Wiener E-Werker/
innen den Strom ab­dreh­
ten, das Zeichen zum Generalstreik für den Sturz
der Regierung.
In einem ausführlichen
„Brief an die öster­rei­chi­
schen Arbei­ter“ nennt
Ge­­orgi Dimi­troff, der da­
ma­li­ge Vor­si­tzende der
Kom­munisti­schen Inter­na­
tio­nale, die wich­tigsten
Grün­de für die Nieder­la­ge
im Kampf ge­gen die Fa­
schi­sierung des österrei­chi­
schen Staa­tes, insbe­son­de­
re: die Desorie­ntierung des
Kampfs der Arbei­ter/in­nen
durch die dominie­rende
Sozial­demo­kra­tie, das stän­
dige Zurückwei­chen vor
den Angriffen der Reaktion,
das man­gelnde Vertrauen
in die Kraft der Massen­mobi­
li­sie­rung vor dem 12.2. und
die defensive Aus­rich­tung
des bewaffneten Auf­stands
ohne klare politi­sche Ziele.
Wenn wir die heutige Situation in Österreich und
EUropa mit der damaligen vergleichen, sind wir
meilen­weit davon entfernt, dass sich hier Tau­
sende revolu­tio­när oder
auch nur anti­faschistisch
ge­sinnte
Ar­bei­ter/innen
be­waffnet ge­gen die seit
Jahr­zehnten an­dauernden
po­litischen und wirt­schaft­
lichen Ver­schlech­te­rungen
erhe­ben. In Frank­­reich
wird der mo­na­telange
„Ausnahme­zu­stand“ samt
Versamm­lungs­verbot, Bespitzelung und Polizeiterror ohne richterliche
Verfügung gerade zum
Normal­zu­stand; in Polen
werden und in Ungarn
Proletarische Revolution 62
wurden
grund­legende
demokratische Rechte per
Gese­tzes­änderung abgeschafft; in Ös­ter­reich werden z.B. die Polizeibefugnisse immer weiter ausgedehnt (Bespitzelung durch
immer genau­ere Geräte,
Datenspeicherung, V-Leute…), die Inlandsge­heim­
dienste
(Staatsschutz)
zusam­men­gelegt,
alle
Reise­bewegungen immer
genauer überwacht und
eingeschränkt, die Polizei
mit Mili­tär­waffen aufgerüstet und das Militär für
Inlands­einsätze herangezogen.
Seit Jahrzehnten, insbesondere aber seit Ausbruch
der Wirtschaftskrise 2008,
werden die Lebens­bedin­
gun­gen von durchschnittlichen Arbeiter/in­nen und
kleinen Angestellten immer weiter ge­senkt. Die
Situation der ärmsten
10-20% hat sich in den
letzten Jahren dramatisch
verschlechtert – Mindest­
einkom­mens­bezieher/innen können sich und ihren
Kindern schon lange keine
ausreichende Versorgung
mehr sichern.
Gründe für entschlossene
Massenaktionen von Arbeiter/innen, Werktätigen
und Erwerbslosen gäbe
es ge­nug. Aber die allgemeine Ratlosigkeit wird
derzeit bei uns nur in kleinen und politisch bisher
unbe­deu­tenden Gruppen
zu überwinden versucht.
Nur wenige erkennen bewusst, dass wir in einer
Klassenge­sell­schaft leben,
wo die immer weiter gesteigerte Ausbeutung der
Arbei­ter/in­nen­klasse durch
den bürger­lichen Staat gesichert wird und zu immer
größerem Reichtum und
Kapital­anhäu­fung einer
immer kleine­ren Klasse von
Aktien­besitzern und anderen Kapitalisten führt.
Aber an der mittelfristig
immer weiter sinkenden
Wahlbeteiligung
zeigt
sich, dass große Teile der
Arbei­ter/innenklasse vor
allem die jüngeren, jedes
Vertrauen in die Parlamentsparteien
verloren
haben, die den Arbeiter/
innen und Volksmassen
vorher alle möglichen
Versprechungen machen,
aber nachher die Politik
der Banken und Konzerne umsetzen – krassestes
Beispiel derzeit Grie­chen­
land…
Bloßer Widerstand führt
mittelfristig in die sichere Niederlage, wenn es
nicht den entschlossensten
Ele­men­ten gelingt, eine
Bewegung in die Offen­
sive, zum Angriff zu führen, breite Massen in den
Kampf zu ziehen, bevor die
Kräfte er­matten. Der bürgerliche Staatsapparat ist
mit seinen Mög­lichkeiten
der Massenbeeinflussung,
den geschulten Aufsehern und Ordnern und
bewaffneten Verbänden
ein gefährlicher Gegner.
Aber er dient im Kern nur
einer sehr kleinen Klasse
von kapi­talistischen Ausbeutern, deren Inter­essen
die gan­ze staatliche Politik und alle traditionellen
Parteien
untergeordnet
sind. Seine Schwäche be­
steht vor allem darin, dass
die gesamte Triebkraft
die stän­di­ge Jagd nach
Maximalprofit ist. Gerade
in Kri­sen­­zeiten, wo die
Profitaussichten
schwächeln, kön­nen von den
Herrschenden nur sehr beschränkt Zugeständnisse
an die Ausgebeuteten und
Unter­drückten gemacht
werden, ohne die „Wettbe­
werbs­­fähig­keit“ am Weltmarkt zu verlieren. Sie müs­
sen bei fallenden Profitraten die Angriffe auf die
Arbeiter/innenklasse weiter steigern, d.h. die große
Mehrheit der Volksmassen
in Österreich immer noch
ärger schikanieren: Bei der
Arbeitshetze, Reallohnsenkungen, Arbeitszeitverlängerung (pro Tag, Woche
und
Lebensarbeitszeit),
Kür­zung der Sozialversorgung,
Verschlechterung
der öffentlichen Bildung
und Krankenversorgung
usw.
Wir Revolutionären Kommunist/innen
versuchen
im Kampf gegen die ständigen Verschlech­terun­gen
immer mehr Betroffene
einzubeziehen und gleichzeitig die bewusstesten
Teile von der un­be­dingten
Notwendigkeit einer offensiven politi­schen Orientierung zu überzeugen.
Für uns ist das nächste
Ziel die Umwälzung aller
bestehenden Verhältnisse in einer proletarischen
Revolution un­ter Beteiligung großer Teile der Arbeiter/in­nen­klasse, um in
einer sozialistischen Gesellschaft das
kapitalistische Prinzip
der Warenbeziehungen
und
Ausbeutung des
Menschen
durch
den
M e n­ s c h e n
überhaupt zu
beseitigen.
Broschüre der MLPÖ mit dem Dimitroff-Brief von 1934
und Text aus der RF 149 (1974); Nachdruck erhältlich in
der Marxer Lesestube (Adresse siehe letzte Seite!)
Flugblatt zur Kundgebung am 14.März, Liesinger Platz, 1230 Wien
Schluss mit der rassistischen-faschistischen
Hetze gegen Flüchtlinge!
10
Die Faschisten marschieren wieder – allein in den
ersten zwei Monaten des
Jahres 2016 hat es mehr
rassistische
Aufmärsche
von Pegida, Identitären,
Partei des Volkes, FPÖ und
NPÖ gegeben (30) als im
ganzen Jahr 2015 (14)! Die
Wahlerfolge im Parlament
reichen ihnen nicht mehr
– sie drängen zunehmend
auf die Straße. Rücken­wind
bekommen sie von den Regierungsparteien SPÖ und
ÖVP, die mit ihrer immer
restriktiveren Flüchtlings­
politik und der „Das Boot
ist voll“ Stimmungsmache
den rassistischen Mob immer mehr aufstacheln.
Für den 14.03.2016 hat die
FPÖ eine Großkundgebung
gegen die Flüchtlingsunterkunft in der Ziedlergasse in
Wien-Liesing angekündigt.
An dem widerlichen HetzAufmarsch werden neben
FPÖ-Chef H.C.Strache auch
der deutsch­nationale Burschenschafter und FPÖPräsidentschafts­kandidat
Norbert Hofer1 und Johann
Gudenus erwartet. Die FPÖLiesing hat bereits gedroht:
„Was die Dresdner können,
schaffen wir, wenn es sein
muss, auch.“
In Deutschland wurden 2015
mehr als 1200 Angriffe auf
Flüchtlinge und ihre Unterkünfte gezählt. Für Österreich gibt es von offizieller Sei-
te keine direkten Vergleichs­
zahlen. Auch wenn die Zahl
geringer ist, heißt das nicht,
dass der reaktionäre, faschistische Hass sich nicht jederzeit auch hier in massiven
Gewalttaten entladen kann.
Die Flüchtlings­unterkunft in
der Ziedlergasse wurde bereits mit rassisti­schen Parolen beschmiert.
Stellen wir uns dem rassistischen Terror egal an welchem Ort entgegen!
Solidarisch mit allen geflüchteten Menschen sein!
Aber auch noch so große
Einsatzbereitschaft
führt
keine po­li­tische Lösung herbei und ändert nichts an den
Flucht­grün­den. Immer mehr
Men­schen werden aus den
Neokolo­nien fliehen, weil
dort die Lebens­situa­tion für
die Volks­massen
ständig
unerträg­licher wird – auch
wenn die Impe­rialisten gerade keine Kriege führen,
son­dern „nur“ die alltägliche Ausplün­de­rung vorantreiben.
Die Arbeiter/innen und
Volksmassen in den imperia­
listi­schen Metropolen müssen sich bewusst werden,
dass das kapitalistisch-imperialistische Weltsystem die
Ursache für das zunehmende
Elend in allen Ländern, auch
innerhalb der EU, vor allem
aber in den abhängigen und
von Kriegen ge­schüttelten
Ländern ist.
Solange der Imperialismus weiter besteht, wird
es keinen Aus­
weg aus dieser
Misere geben,
denn es ist nicht
nur die fal­sche
Politik „unserer“
Regierungen,
die dieses Elend
her­vor­bringt. Es
sind die Konkurrenzverhältnisse
im Kapita­lis­mus, die sich im
imperialistischen Stadium
aufs äußerste ver­schärfen
und die herrschenden Klassen dazu zwingen, die
Ausbeutung und Ausplünderung im Wettbewerb
rücksichts­loser als ihre Konkurrenten voranzutreiben.
So werden das Elend in
den Neokolonien und die
imperia­listischen
Raubkriege erst ein Ende finden,
wenn es der Ar­bei­ter/innenklasse und den Volksmassen
gelingt, die Herr­schaft des
Kapitals in einer proleta­ri­
schen Revolution zu stürzen. Dafür arbeiten und
kämpfen wir.
Grenzen auf für alle
Flüchtlinge!
Demokratische Bürgerrechte sofort für alle
MigrantInnen!
Lasst Internationale
Solidarität lebendig
werden –
Kommt alle zur
anti-faschistischen
Kundgebung gegen den
Aufmarsch der Faschisten
und Reaktionäre!
Hofer ist Mitglied der deutschnationalen Burschenschaft „MarkoGermania Pinkafeld“
1
Proletarische Revolution 62
Das Asylrecht ist abgeschafft.
Im Februar 2016 wurde
das (ohnehin verstüm­mel­
te) demokratische Asyl­
recht von der FaymannRe­gie­rung
abgeschafft.
Das Asylgesetz 2005, das
auf der Genfer Flücht­
lingskonvention 1951 beruht, die von 147 Staaten
unterzeichnet wurde, ist
seither in Ös­terreich totes
Recht. Seit Februar 2016
gibt es in Österreich kei­
nen Schutz mehr für „Men­
schen, die gezwun­gen sind,
ihr Land zu verlassen, um
Zu­flucht vor Ver­folgung
wegen ihrer Rasse, Re­
ligion, Na­tionalität, politischen Überzeugung oder
Zu­ge­hö­rigkeit zu einer
bestimmten sozialen Grup­
pe zu su­chen“. Und das in
einer Situation mit „zu­neh­
men­den Ein­satz von Krieg
und Gewalt als Mit­tel zur
Durchse­tzung einer Politik der Ver­fol­gung von
Grup­pen, ge­gen die wegen ihrer Rasse, Re­ligion,
Na­tionali­tät, Zugehörigkeit zu einer be­stimm­ten
so­zialen Gruppe oder ihrer
politischen Über­zeu­gung
vorgegangen wird.“
(http://www.unhcr.at/mandat/genfer-fluechtlingskonvention.html)
Österreich war nicht das
erste Land, das in der EU
das Asylrecht praktisch
abgeschafft hat, eini­ge
Län­der der Visegrad-Gruppe (wie Ungarn) wa­ren
beim Aufbau von Zäunen
und Einsatz von Mi­li­tärs
zur Flüchtlings­abwehr etwas schneller. Aber das
im­perialistische Österreich
ist hinsichtlich sei­ner öko­
nomischen und poli­ti­schen
Stellung in Ost- (und Südost-)Europa klar die Hege-
monialmacht, de­ren Entscheidungen durchschlagend sind. Statt einer Aufnahme und Erstversorgung
der Heimat­ver­trieben in
Österreich zu gewährleisten, um das Asyl­verfahren
einzuleiten, werden Flüchtlinge an der Grenze in Anhaltelager gesperrt, die
vom Mili­tär kon­trolliert
werden. Mit dieser aggressiven ös­ter­reichischen
Politik werden auch jene
reaktio­nä­ren Kräfte in allen
Balkanstaaten gefördert
und bestärkt, die in ihren
Ländern – gegen die demo­
kra­tische Volksbewegung
– eine Militarisierung und
weitgehende Schließung
der Grenzen für Schutz­
suchende betreiben.
Es ist dringend notwendig, dass möglichst viele
fortschrittliche Menschen
immer wieder auf die Stra­
ße ge­hen und öffentlich
diese reaktionäre Re­gie­­
rungs­politik verurteilen.
Es ist dringend not­wen­dig,
dass sich Gruppen und Organisationen zu­sam­men­
fin­den, um gemeinsam
Demonstra­tio­nen des de­
mo­kratischen Willens des
Volkes durchzu­füh­ren, die
den reaktionären Hetzern
und der Re­gie­rungs­­poli­
tik entgegentreten. Es ist
dringend notwendig, eine
breite Front basis­gewerk­
schaft­li­cher,
sozia­lis­ti­
scher, revolutionärer und
kommu­nisti­scher Organi­
sa­tio­nen auf­zu­bauen, die
durch Mas­sen­mobi­li­sie­run­
gen aller Art Druck auf
die Re­gierung ausübt, das
Asylrecht in Österreich zu­
min­dest in der (miesen,
löchrigen und willkürlich
in­terpre­tierba­ren)
bisher beste­hen­den Version
des Asyl­gesetzes 2005 als
rechts­gül­ti­ges und praktisches
de­mokrati­sches
Recht wieder einzuführen. Unser Weg ist die unbedingte Solida­ri­tät mit
Arbei­ter/in­nen­­klas­se und
Volksmassen in abhängigen Län­dern, ins­be­son­dere
jenen, wo der österreichische und der EU-Imperialismus Mitver­ursacher für
Not, Elend, Terror, Hunger
und Krieg sind.
Unsere politische Orientierung in diesem demo­
kra­tischen Kampf lautet
zusammengefasst:
Demokratisches Asylrecht
für alle vom Imperialismus
und seinen Lakaien verfolgten und vertriebenen
Menschen!
Flugblatt März 2016
Die österreichische Leitkultur gilt verpflichtend für alle.
11
Asylabschaffung und Demokratieabbau
Die österreichische Leitkultur gilt verpflichtend für alle.
Es wird nicht „nur“ an allen Grenzen wieder scharf
kon­trol­liert und zurückgewiesen (wie zu Zeiten des
Kal­ten Kriegs), sondern
auch im Inland fahren die
Herr­schenden mit neuen
Ge­schützen auf. Parallel
zur massiven staat­li­chen
Propa­gan­da für den Ausbau der „Festung EUropa“ gegen die Opfer der
von Österreich und der EU
verur­sach­ten Kriege (und
der daraus entstehenden
Massenflucht-Bewegung)
werden die bereits im
Land befindli­chen Flüchtlinge (und Mi­gran­t/innen)
drangsaliert. Das Motto
lautet: An­pas­sung an die
europäischen Werte und
die österreichische Kultur!
Aber was ist diese österreichische Kulturtradition?
…dass Frauen und Kinder geschlagen und sexuell missbraucht wer­den?
– das „dürfen“ bei uns nur
„Fami­li­en­ober­häupter“,
besoffene („weiße“) Männer, Pfarrer und Mön­che.
…dass auffällige Nachbarn
ver­na­dert werden? ...dass
statt offener Kritik eine
hin­ter­fotzige Freundlich-
12
keit und Hackl ins Kreuz
übliche Umgangsformen
sind? …dass Park­wächter
und Securi­ties aller Art
den Obdachlosen ihren
Besitz weg­neh­men und
in den Mist schmeißen?
…dass bewaffnete Ordnungshüter
jugendliche
Einbrecher erschießen und
„fremd aussehende“ Menschen terrorisie­ren und
zum Krüppel schlagen?
usw. Das alles gehört zur
öster­rei­chi­schen
Kulturtradition, ist zwar zum Teil
ge­setzlich ver­boten, im
Alltag aber weitgehend
geduldet – solang Einheimische die Täter sind. Im
Zusammenhang mit Anpassung von Flüchtlingen
und Zuwander/innen an
die „österreichischen Werte“ ist allerdings was ganz
anderes ge­meint:
Flüchtlinge und Migrant/
innen müssen untereinander Deutsch reden (z.B. im
Schulhof), sie dürfen „unsere Wei­ber“ nicht ansprechen, müssen sich beim
Scheißen gefälligst auf
die Klobrille hinsetzen, sie
müssen in der Straßenbahn
aufstehen, sollen nicht so
ein Theater we­gen
ein bissl Schweinefleisch in der Wurstsemmel ma­chen und
vor allem müssen sie
vor jeder Obrigkeit
(und dazu gehören
alle Einheimischen
– denen man das ansieht!) ku­schen und
tun was man ihnen
sagt.
Das ist natürlich
nicht
Staatsrassismus! Weil Men­schen­
rassen gibt es ja gar
nicht, und wenn
doch, dann sind
alle gleich… Vor allem sind Moslems
bekanntlich keine Ras­se.
Aber diese rückständige,
mittelalterliche Kultur aus
dem Orient darf unser
Land nicht überfluten!
Im letzten Jahr wurde
von der herrschenden
Kapitalisten­klasse
bzw.
ihren Parlamentsparteien
eine wahre Flut von Gesetzen und Verordnungen
verabschiedet, die sich vor­
dergründig gegen „rückständige, uneuropäische
Kultur­traditionen“
richten, in Wirklichkeit vor allem aber zur Spaltung der
Arbeiter/innenklasse dienen. Das geschieht nicht
nur in Österreich, sondern
planmäßig in der ganzen
EU (von Ungarn bis Schwe­
den und England).
Noch vor 20 Jahren haben
rassistische Hetzer oft mit
Be­grif­fen wie „Umvolkung“, oder pseudowissen­schaft­licher mit „Verseuchung des Genpools“
um
sich
ge­schmissen.
Die neue Hetzergeneration, sowohl in der FPÖ
als auch bei neofaschistischen Gruppierungen wie
den „Identi­tä­ren“ usw.,
beziehen sich – wie die
Regie­rungsparteien auch
– eher auf Kulturunterschiede, schwa­feln von der
bedrohten
„kultureller
Identität“ und ähnlichem.
Der klassi­sche, biologistische Rassismus aus dem
19. und 20. Jahr­hun­dert,
der be­hauptete, dass es
verschiedene Menschen­
ras­sen gebe (bei denen
Hautfarbe und Kör­per­bau
mit be­stim­mten intellektuellen und charakter­
lichen Ei­gen­schaf­ten zusammenhänge), hat sich
in der politischen Ausein­
an­dersetzung nicht mehr
als wirk­sam erwiesen und
ist mit dem Aussterben der
Proletarische Revolution 62
letzten Hitler-Mitkämpfer
als ge­sell­schaft­liche Strömung weit­gehend unbedeutend.
Aber die Spaltung der Arbeiter/innen und Werktätigen nach angeblichen (stabilen) kulturellen Eigenheiten ist in ihrer Wirkung
kei­nes­wegs
harmloser.
Vielfach wird zusätzlich ei­
ne formale Religionszugehörigkeit hervorgehoben,
z.B. betont Strache die Zugehörigkeit „der Serben“
zum Christentum, um Men­
schen aus mehrheitlich
islamischen Bevölkerungs­
gruppen auszugrenzen.
Immer stärker werden Religionen zur Spaltung der
Volks­massen eingesetzt,
weil sie die Frustrierten
auf ein besse­res „Jenseits“
(nach dem Tod) orientieren: Ab­gesehen von den
jährlichen Millionen an die
katho­li­sche Kirche wird
z.B. auch das saudische
religiöse Ver­hetzungszen­
trum in Wien massiv aus
Steuergeldern gefördert.
Gleich­zei­tig nimmt aber
das Islamgesetz direkt
Einfluss auf die islamische
Religion – alle ande­ren Re­
ligionen in Öster­reich sind
davon nicht betrof­fen. Der
Islam ist ja das Opi­um der
am meisten ge­knech­teten
und ausgebeuteten Teile
der Arbeiter/innen­klasse in
Österreich; die islamische
Re­ligion ist ein Zufluchtsort für viele Ausgebeu-
tete, die an
der österrei­
chischen
Realität und
Lebensperspektive ver­
zweifeln.
Deshalb wurde dieses Opium-Kontrollgesetz ein­ge­
führt …
Da es bei der spalterischen
Hetze vor allem um „Kul­
tur“ geht, ist es auch unerheblich, dass mehr als die
Hälfte der in Wien lebenden angeblichen „Moslems“ zu keiner Mo­schee
gehören und auch nie am
Freitag in eine gehen …
Aber trotzdem sind sie
die Sündenböcke für alle
mögli­chen Missstände im
Kapitalismus – z.B. Schuld
an der Ar­beitslosigkeit,
der Kürzung der Sozial­
leistungen, der Er­höhung
der Tarife für Strom, Gas
Wasser, Öffis und was
sonst noch!
Es ist eine ernste und dringende Aufgabe für alle
De­mo­krat/innen,
nicht
nur in solidarischer Kleinarbeit ver­schiedene Akti-
vitäten zur Unterstützung
von
Kriegsflüchtlingen
und Heimatvertriebenen
durch­zuführen. Es geht
heute darum auch direkt
den Hetzern und Spaltern
entgegenzutreten. Diese
übernehmen die Drecksarbeit für die Herrschenden,
die in der Krise umso ungebremster die Ausbeutung und Ausplünde­rung
steigern können, je uneiniger und verwirrter die
Arbeiter/innenklasse und
Volksmassen in Österreich
sind.
Wenn wir eine wirkliche
Veränderung und eine
Über­windung der bestehenden
kapitalistischimperialisti­schen Verhältnisse erreichen wollen,
müssen wir heute gegen
die vorgehen, die es der
Regierung ermöglichen,
immer mehr demokratische Rechte einzuengen,
zu be­schneiden und abzuschaffen.
Jeder Angriff der Unterdrücker gegen unsere Kol­
leg/in­nen ist ein Angriff
auf uns alle!
Arbeiter/innen aller Länder, vereinigt euch!
13
„Unsere Entschlossenheit ist total. Wir gehen bis ans Ende... Wir sind im Krieg.“
(Premierminister Valls in seiner Fernsehansprache an die Nation am 26.12.2015)
Reaktionärer Schub in Frankreich
Noch am Abend der Attentate des 13. November
2015 in Paris hatte Präsident Hollande den „Krieg
gegen den Terrorismus“
und speziell den Ausnahmezustand in Frankreich
ausgerufen, der kurz darauf von der Nationalversammlung nahezu einstimmig um drei Monate, bis
Ende Februar, verlängert
wurde 1. Wie zu erwarten
und sogar von vielen bürgerlich-demokratischen
Kreisen vorausgesagt bzw.
kritisiert, hat er nichts,
aber auch schon gar nichts
in puncto Bekämpfung des
djihadstischen Terrorismus
gebracht - viel hingegen
in puncto Verpolizeistaatlichung und Militarisierung der Gesellschaft.
Im Februar wurde er um
weitere drei Monate verlängert - nicht trotz seiner
Sinn- und Nutzlosigkeit
gegenüber dem Terrorismus, sondern wegen seiner absoluten Sinn- und
Nutzhaftigkeit für die
weitere tendenzielle Faschisierung von Staat und
Gesellschaft. Und da zwischen Mitte Juni und Mitte
Juli 2016 die Fussball-Europa-Meisterschaft in Frankreich ausgetragen wird,
ist heute schon mit einer
weiteren
Verlängerung
des Ausnahmezustandes
Ende Mai zu rechnen. Allmählich wird er so zum
Normalzustand.
Zur Ausforschung der Pariser und sonstiger IS-Terroristen trugen der Ausnahmezustand bzw. die durch
ihn ermöglichten und bewirkten polizeilichen und
militärischen Sondermaßnahmen gar nichts bei.
Um herauszufinden, dass
die Attentate von französischen Staatsbürgern
von Brüssel aus geplant
und organisiert worden
waren und wer genau
die konkreten, dabei umgekommenen Terroristen
bzw. weitere Drahtzieher
waren, hätte man nicht
den Ausnahmezustand gebraucht. Auch zur Ausforschung und Bekämpfung
eventueller
zukünftiger
djihadistischer und speziell IS-Terroristen trug und
trägt er nichts bei.
Aber er bedeutete eine
Sturmflut an politischer
und ideologischer Reaktion und eine qualitative
Verschärfung der Militarisierung und tendenziellen Faschisierung von
Staat und Gesellschaft:
Allgegenwärtigkeit
von
schwer bewaffnetem Militär und Polizeiapparat
im öffentlichen Raum,
massenhafte polizeiliche
und gerichtliche Übergriffe und Aggressionen
(und nicht zu knapp auch
solche der rassistischen
und faschistoiden Teile
der von manchen so hoch
geschätzten
Zivilgesellschaft!), Verschärfung der
militaristischen, chauvinistischen und rassistischen
Hetze des Staatsapparats,
der Politikerkaste und der
Medien. Reihenweise wurden Demonstrationen und
Versammlungen verboten,
Militante festgenommen
oder durch Hausarrest
„außer Gefecht gesetzt“,
Versammlungslokale und
„Treffpunktbars“ usw. geschlossen, Publikationsmaterialien und andere Infrastruktur beschlagnahmt,
beschädigt und vernichtet,
jegliche regierungs- und/
oder
kapitalismusfeindliche bzw. sogar nur irgendwie kritische Aktion,
Bewegung, Organisation
eingeschüchtert,
drangsaliert und streckenweise regelrecht terrorisiert.
Auch
bürgerlich-demokratische Kräfte wie z.B.
die Anti-AKW-Bewegung
„Sortir du nucléaire“ und
andere umweltbezogene
Bewegungen, speziell im
Zusammenhang mit dem
sogenannten „Klimagipfel“ in Paris, Frauenbewegungen, die Sans-papiersBewegung und selbstverständlich jede praktische
Regung gegen den Ausnahmezustand selbst wurden Ziel von Repression
und polizeilicher Gewalt.
Viele ließen sich allerdings
dennoch nicht daran hindern, von Beginn an in
geeigneten Formen und
mehr oder weniger entschieden und bewusst dagegen aufzutreten.
Laut Einsatzbilanz des Innen- und Justizministeriums kam es per Mitte Februar zu
• 3.340 meist nächtlichen
Hausdurchsuchungen - alle
begründet bloß mit der
"öffentlichen Ordnung"
und dem "allgemeinen
Interesse", nicht etwa mit
einem konkreten Verdacht
auf terroristische Aktivitäten
Zu den Attentaten und den ersten Tagen danach sowie zur Bedeutung des Ausnahmezustands siehe PR 61:
„Attentate in Paris - der Funkenflug wird stärker“
1
14
Proletarische Revolution 62
• 366 Festnahmen, wovon
316 "nur" in (bis zu 48stündigem) Polizeigewahrsam
mündeten, 51 in Untersuchungshaft (anscheinend
ein kleiner Rechenfehler
der Ministerien!)
• 563 Strafverfahren, die
sich auf alles Mögliche
bezogen (187 Fälle von
illegalem
Waffenbesitz,
167 Verstöße gegen das
Rauschgiftgesetz, ansonsten das Übliche wie Störung der öffentlichen Ordnung, Landfriedensbruch,
Widerstand gegen die
Staatsgewalt ...), aber nur
in 5 (!) Fällen auf einen
Terrorismusverdacht2 Darunter viele Verwaltungsstrafverfahren, aber auch
• 73 Schnellgerichtsverfahren aus dem Polizeigewahrsam heraus und
• 65 ordentliche Strafgerichtsverfahren
• 382 Fällen der Verhängung von "assignation à
résidence", einer Art Hausarrest3 - davon Anfang Februar 290 noch aufrecht
und dies in den meisten
Fällen bis zum (ungewissen) Ende des Ausnahmezustands4.
Die Masse der Razzien,
Hausdurchsuchungen und
Festnahmen konzentrierte
sich auf die ersten Tage
und Wochen nach den Attentaten und verdünnte
sich dann. Was es aufzubrechen, zu stürmen, zu
durchsuchen, zu beschlagnahmen gab und wen es
festzunehmen und anzuklagen galt, war dann
weitgehend erledigt - und
noch breitflächiger vorzugehen und alle angeblich
schon einmal polizeilich erfassten Menschen mit dem
Sicherheitsvermerk
„S“
und einem angeblich islamistischen „Hintergrund“
in ähnlich intensiver Weise zu malträtieren, hätte
- es wären dies nämlich
angeblich 11.700 Personen
(von insgesamt 20.000) gewesen - selbst bei noch
so viel hysterischem Eifer
die Polizei- und Armeekräfte überfordert bzw.
sie gezwungen, andere
„wichtigere“
Aufgaben
zu vernachlässigen wie die
Vereinnahmung bzw. Einschüchterung des „öffentlichen Raums“ durch tausendfache Polizeipräsenz.
Da aber immer mehr Stimmen, auch viele bürgerlichdemokratische und sogar
bourgeoise, über den Ausnahmezustand und seine
„Sinnlosigkeit“ bezüglich
der
Terroristenbekämpfung murrten und die
Regierung keinen ernsthaften Erfolg an der Terrorismus-Front vermelden
konnte, sah sich Hollande
veranlasst, doch noch auf
diese „Gefährder“ zurückzukommen und dem Staatsterrorismus
nochmals
neuen Schwung und neue
Munition zu geben. Am
4.2. entschied er, schrittweise auch diese 11.700
Menschen (und zweifellos
auch die restlichen 8.300!)
unter elektronische Überwachung zu stellen (von
der
Telekommunikation
bis zu den Bankkonten
und Kreditkarten)5.
Was aber hat das alles mit
dem IS- und sonstigem islamistischen Terrorismus
zu tun? Es wurden, heißt
es, bis Mitte Jänner 500
illegale Waffen (darunter
40, die angeblich unter
das Militärwaffengesetz
fallen) und 202 Drogen
gefunden, aber nicht ein
einziger Terrorist6. Diesbezüglich bestand die Ausbeute nur in 25 meist aus
der Luft gegriffenen Fällen von „Verdacht“ terroristischer Aktivitäten oder
deren angeblicher Vorbereitung oder auch nur des
Liebäugelns damit, aber
auch banal „verdächtiger“
Anschauungen,
Verhal-
Die Polizei versuchte zeitweilig, eine Brücke zu schlagen vom Rauschgift zum Terrorismus, indem Drogenhandel
zur Finanzierung terroristischer Aktivitäten „vermutet“ wurde, aber alle diesbezüglichen „Ermittlungen“ wur­
den inzwischen wieder eingestellt.
2
Hausarrest bedeutet in der Regel absolutes nächtliches Ausgehverbot, mehrmalige Meldepflicht bei der Polizei
tagsüber, häufig elektronische Armfesseln. Er zielt oft auf die banale Ausschaltung von Aktivisten. So wurden
z.B. eine Woche vor dem „Klimagipfel“ 24 „Umweltschützer“, die die Regierung für ein „wirkliches Problem für
die öffentliche Ordnung“ hielt, auf diese Weise ausgeknockt. Alle rechtlichen Einsprüche dieser 24 (wir sind ja
bekanntlich in einem Rechtsstaat!) wurden abgeschmettert.
3
Einige, sehr wenige und besonders willkürliche Fälle, die sogar in den Bourgeoismedien zu Schluckauf geführt
hatten, wurden in Berufungs- bzw. Beschwerdeverfahren von höherer Stelle wieder aufgehoben, die allermei­
sten allerdings wurden vom „Rechtsstaat“ im Stundentakt abgenickt.
4
Sogar im Staatsapparat gibt es Zweifel über die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme und wird sie eher für einen
neuen politischen und ideologischen Keulenschlag gehalten. Diese 11.700 Sicherheitsvermerke seien außerdem
gar nicht Ergebnis konkreter Ermittlungen, sondern eines „empirischen Algorithmus“, entstanden aus Vermu­
tungen und zufälligen Beobachtungen, Vernaderungen usw., also „Beweismaterial“, wie man es z.B. der DDRStasi zuschrieb, aber genauso bei der österreichischen Polizei findet, ein faschistoider „Raster“ halt.
5
15
Frankreich - Faschisierung und Demokratieabbau
tensweisen, Kleidungsgewohnheiten usw. Trotz des
wie üblich sehr beliebig
gefassten Terrorismus-Begriffs und der Hitze des
Gefechts kam es aber nur
in 4 Fällen zur Anklage.
Und auch in diesen Fällen ist unbekannt, ob die
Staatsmacht nicht etwa
z.B. kurdische Aktivisten
im Visier hat und gerade
nicht ISler.
Jedoch steht der Ausnahmezustand für Rassismus
und faschistoide Polizeimethoden. Zwar wurden
„staatsgefährdende“ Aktivitäten, Materialien, Organisationen jeder Art ins
Visier genommen, gleichgültig, ob mit arabischem
bzw. afrikanischem Hintergrund oder nicht, aber wieder zielte die reaktionäre
Dampfwalze in erster Linie auf Araber und Afrikaner. Viele „Verdachtsfälle“
waren pure Erfindungen
rassistischer Nachbarn, Arbeitskollegen oder Bosse7.
Die Polizei ging mit unglaublicher Brutalität vor:
Türen wurden, bevor die
Gesuchten öffnen konnten (mitten in der Nacht!),
eingetreten, eingeschossen und aufgesprengt, es
wurden in der Hitze des
Gefechts auch gerne einmal die falschen Türnummern bzw. Menschen erwischt, einige Menschen
wurden durch Schüsse und
Splitter verletzt, viele traumatisiert, sie mussten sich
niederknien (und wurden
manchmal verhöhnt, dass
sie nicht in Richtung Mekka knieten) und/oder wurden an Heizkörpern usw.
angekettet, während ihre
Wohnungen durchsucht
und vorsätzlich verwüstet
wurden8, sie wurden - oft
absichtlich vor den Augen ihrer kleinen Kinder
- gefesselt und in Handschellen abgeführt. Ein aus
Tschetschenien stammendes Ehepaar mit zwei Kindern wurde bei so einem
Polizeiüberfall neuerlich
schwer traumatisiert, weil
- wie die Frau sagte - sie
sich beim Erwachen plötzlich wieder wie in Grosny
fühlten. Die Zeitung Le
Monde schrieb in einem
Anflug von bürgerlicher
Rechtsstaatlichkeit
und
schlechtem Gewissen am
21.12. 2015 einen Artikel
mit der Überschrift „Improvisation, Pfusch, Brutalität“ und berichtete ab
23.11. in einer (inzwischen
nicht mehr auffindbaren)
Rubrik
„Observatorium
des Ausnahmezustandes“
über besonders schwere Übergriffe der Staatsmacht - und auch einige
skurrile wie z.B. die Festnahme eines orthodoxen
Geistlichen, der wegen
seiner schwarzen Kleidung und Kapuze in den
Verdacht des Islamismus
geriet, oder die gewaltsame „Erstürmung“, heißt
Zertrümmerung der unverschlossenen Tür eines
Übrigens fragen sich manche: Wie blöd muss ein Terrorist, ein Möchte-gern-Terrorist oder sonst jemand sein, dass
er in einer solch brisanten Situation Waffen, Dokumente, Unterlagen etc. bei sich zu Hause aufbewahrt? Deshalb
fragen sich auch manche: Stimmt überhaupt, was der Polizeiapparat an Erfolgen meldet?
6
Ein Beschäftigter namens Nacer bei der Wasserversorgung von Aix-en-Provence, die vom Veolia-Konzern gemana­
get wird, wurde beschuldigt, einen islamistischen Terroranschlag und die Verseuchung des städtischen Trinkwassers
geplant zu haben. Tatsächlich war er nachts bei einem unerlaubten Aufenthalt auf dem Firmengelände mit einigen
Plastikbehältern erwischt worden. In Wirklichkeit litt er unter einer schweren Hauterkrankung, die er auf die Che­
mikalien zurückführte, mit denen bei der Wasseraufbereitung hantiert wurde. Er hatte mehrmals eine unabhängige
Laboruntersuchung dieser Chemikalien gefordert, was aber von der Betriebleitung stets abgelehnt worden war.
Also nahm er die Sache selbst in die Hand und verschaffte sich „illegale“ Proben. Fälle wie diese gibt es viele. Auch
Kapitalisten nutzen die Gunst der Stunde. (Quelle: Dossier „Observatorium des Ausnahmezustandes“ der Zeitung
Le Monde)
7
Nur als ein Beispiel von vielen der Bericht von Lucien: „Ich ging zur Wohnungstür und sah, dass sie in zwei Teile
gespalten war. Dann sah ich einen behelmten und vermummten Mann mit einer Waffe, der mir befahl, mich auf den
Boden zu legen. Ich legte mich sofort hin. Dann legten sie mir Handschellen an, hoben mich auf und trugen mich
ins Badezimmer. Sie schrien sehr. Sie haben mich vor der Badewanne auf die Knie gezwungen ... Ich hörte großen
Lärm aus dem Wohnzimmer, Küche und Schlafzimmer. Glas zersplitterte. Später bemerkte ich, dass Matratzen und
Kopfpolster aufgeschlitzt sowie etliche Kleidungsstücke zerfetzt waren, Haushaltsprodukte überall in der Küche
verstreut, der Inhalt des Tiefkühlfachs auf den Boden geworfen, die Waschmaschine umgedreht, die Lampen in
Wohn- und Schlafzimmer zerbrochen, ebenso einige Möbelstücke ... Sie hatten Lust, sich auf diese Art zu vergnügen
... Welches Interesse gibt es, Sachen kaputt zu machen? Warum sticht man mit Messern in Gebrauchsgegenstände?
Was haben sie gewonnen, indem sie meine Vorhänge zerrissen?“ (Quelle: Dossier „Observatorium des Ausnahme­
zustandes“ der Zeitung Le Monde)
8
16
Proletarische Revolution 62
Frauenhauses für „Frauen
in Schwierigkeiten“, weil
„besorgte Bürger“ denunziert hatten, dass einige
dieser Frauen Schleier trügen.
Wozu das alles? Geht es nur
darum, dass sich die Sozialdemokratie im Hinblick auf
die 2017er Wahlen rechts
vom Front National positionieren möchte? Natürlich
möchte und betreibt sie
das. Sie steht an der Spitze
der „Reaktionarisierung“
(ein üblicher Ausdruck in
Frankreich) und Faschisierung von Staat und Gesellschaft. Aber um was geht
es ihr und der Bourgeoisie
über die Wahlen hinaus?
Es geht um die Einschüchterung und Terrorisierung
von Arbeiter/innenklasse
und Volk und speziell deren arabischer und afrikanischer Teile, es geht um
die Verbreitung eines Klimas der Unsicherheit und
Gefahr (welche aber nicht
vom Kapitalismus, sondern
von anderen obskuren
Quellen her kämen), es
geht um die Verbreitung
von Hysterie und Denunziantentum, es geht um
das Anheizen von Chauvinismus und Rassismus, es
geht darum, von den Ursachen der wirklichen Unsicherheit und Gefährdung
der Lage von Arbeiter/innenklasse und Volk abzulenken, es geht darum,
den Gewaltapparat des
Staates scharf zu machen
und endlich „robuster“
als bisher zum Einsatz zu
bringen, es geht auch um
großflächige Übungen für
den Bürgerkriegseinsatz,
um das Zusammenwirken
von Polizei, Militär, Geheimdiensten und weiteren Formationen (Feuerwehr, Rettung, Spitäler
...), es geht darum, die
Rechtsentwicklung des gesamten Parteien- und Medienspektrums voranzutreiben. Selten sieht man
so deutlich, dass in puncto
Reaktion nicht etwa der
ultrareaktionäre bzw. faschistoide Front National
die Sozialdemokratie und
die „Republikaner“ (Sarkozy) vor sich hertreibt,
sondern umgekehrt die
„sozialistische“ Regierung
alle ihre Konkurrenten
samt Sarkozy und dem
Front National. Angesichts
des derzeit gefahrenen
Kurses der „Sozialisten“
schauen sowohl Sarkozy
als auch LePen ziemlich
arm aus. Wieder einmal ist
die Sozialdemokratie die
politische Speerspitze der
imperialistischen Reaktion.
Trotzdem wird der Ausnahmezustand als solcher
nicht ewig aufrechtzuerhalten sein. Daher müssen
Gesetze und Verfassung
geändert werden, um die
Chose „nachhaltig“ zu
machen. So brachte die
„sozialistische“ Regierung
Ende Dezember eine Strafrechtsreform in die Nationalversammlung
(Parlament), die vorsieht, dass
der Ausnahmezustand für
einen erheblichen Teil aller Maßnahmen, für die
er bisher benötigt wurde, in Zukunft nicht mehr
benötigt wird (weitere
Entmachtung der Untersuchungsrichter zu Gunsten der Polizei, generelle
Erweiterung der Polizeibefugnisse, Erleichterung
der Internetüberwachung
sowie des Abhörens von
Personen und Räumen,
nächtliche Hausdurchsuchungen,
Leibesvisitationen und Durchsuchung
von Fahrzeugen ohne
konkreten Verdacht einer
Straftat, zeitweiliger Polizeigewahrsam ohne Recht
auf einen Anwalt, Verhängung des Hausarrests
....). Im Jänner folgte dann
das „Verfassungsprojekt
zum Schutz der Nation“,
das nunmehr den Ausnahmezustand ausdrücklich
in die Verfassung hineinschreibt und ihn damit verfassungsrechtlich absichert
und festlegt, dass er vom
Parlament ad infinitum
jeweils für weitere längstens vier Monate (bisher
drei) verlängert werden
darf. Zweitens beinhaltet
das Verfassungsprojekt die
Möglichkeit des Entzugs
der Staatsbürgerschaft im
Falle einer Verurteilung
wegen „Terrorismus“. Ursprünglich - angeblich! nur Menschen mit Doppelstaatsbürgerschaft zugedacht9, nahm die Regierung seit Dezember darauf
Kurs, diese Keule auf alle
unliebsamen
Franzosen
auszudehnen und brachte
auch einen solchen Geset-
Ca. 3,3 Millionen Franzosen haben eine Doppelstaatsbürgerschaft, davon zwei Drittel magrebinische, 10%
türkische, etliche westafrikanische, einige portugiesische ... Es geht hier also eigentlich darum, sich eine Hand­
9
Fortsetzung der Fußnote nächste Seite!
17
Frankreich - Faschisierung und Demokratieabbau
zestext zur Abstimmung.
Das „Verfassungsprojekt“
wurde am 10.2. von der
Nationalversammlung beschlossen und wird derzeit
in der Zweiten Kammer,
dem Senat, diskutiert, die
Strafrechtsreform wurde
am 8.3. beschlossen.
Der
Ausnahmezustand
wurde damit sozusagen
„regularisiert“ und der
Ausbau des Polizeistaats
wird sukzessive auch in Gesetz und Verfassung verankert. Dagegen muss der
demokratische Kampf geführt werden - ohne freilich wie viele bürgerliche
Gegner der Regierungspolitik einem bourgeoisen
Aberglauben zu erliegen,
weder in die Gerichte der
Bourgeoisie, noch in ihre
Gesetze und ihren „Rechtsstaat“. Gerade die derzeitigen
Entwicklungen
in Frankreich zeigen, dass
Bourgeoisie und Staatsapparat allen „Rechtsstaat“
und alle bürgerlich-demokratischen Rechte einfach
wegwischen, sobald sie
es für zweckmäßig halten
(und solange es keinen
ernsthaften revolutionärdemokratischen
Widerstand dagegen gibt). Der
Polizeistaat wird so oder
so ausgebaut - von Zeit zu
Zeit werden eben auch die
Gesetze und ggf. die Verfassung angepasst. Und
auch wenn das meist nur
ein Nachziehen gegenüber der schon geübten
Praxis ist, sagt es viel und
verweist es auf die „Nachhaltigkeit“, die der tendenziellen Faschisierung
zugedacht ist.
Gegen vieles davon gab
und gibt es Proteste und
Manifestationen
demokratischer Kräfte, klassenbewusster Gewerkschafter und revolutionärer
Organisationen, teilweise
sogar auch von Kräften
aus dem bürgerlich-demokratischen Lager. In einigen wenigen Fragen gibt
es sogar Widersprüche
innerhalb der Bourgeoisparteien (samt Rücktritten
von Funktionären, sogar
einer Ministerin, und Parteiaustritten prominenter
Exponenten). Der lauteste
Protest von dieser Seite
her gilt der Möglichkeit
des Entzugs der Staatsbürgerschaft, einer Frage, die zum Inbegriff der
„republikanischen Werte“
aufgeblasen wird, auch
von Leuten, die ansonsten die Verpolizeistaatlichung und Faschisierung
des Staates und der Gesellschaft mittragen. Soweit
Proteste oder „Sorgen“
aus der eigentlichen „classe politique“ kommen,
sind es meist nur „republikanische“ Rülpser, manchmal, am „linken“ Rand,
hört man Winseln über die
„republikanischen Werte“
und die „Aufwertung des
Front National“.
Die gesamte „classe politique“ Frankreichs marschiert mit ihrer Bourgeoisie nach rechts 10.
Sowohl die „Sozialisten“
als auch die „Republikaner“ Sarkozy‘s versuchen,
den Front National rechts
zu überholen. Im Hinblick
auf die Präsidentschaftswahlen 2017 soll der Kurs
nach ultrarechts auch programmatisch
verankert
und verdeutlicht werden.
habe zu schaffen, unbotmäßigen Menschen „aus“ Algerien,
Tunesien, Marokko, Westafrika und Türkei die Staatsbürger­
schaft entziehen und sie außer Landes expedieren zu können.
Hier wird eine weitere und noch tiefere Bresche geschlagen
in das „droit du sol“ (Recht auf Staatsbürgerschaft für jeden,
der auf dem Staatsterritorium geboren ist). Übrigens ist der
Entzug der Staatsbürgerschaft auch jetzt schon in Artikel 23-7
des Code Civil (Bürgerliches Gesetzbuch) vorgesehen, er heißt
dort bloß nicht „Verfall“ („déchéance“), sondern „Verlust“
(„perte“) der Staatsbürgerschaft; rechtlich gesehen ist das
dasselbe, aber, sagen die Scharfmacher, das Wort „Verfall“
enthielte eine „schärfere Dimension eines Straftatbestandes“
- es geht also hauptsächlich wieder um Propaganda und Het­
ze. Wichtiger aber ist, dass die Ausbürgerung bisher nicht in der Verfassung steht, jedoch der UNO-“Menschen­
rechtskonvention“ und anderem internationalem Recht widerspricht und daher anfechtbar(er) wäre.
10
Das gilt auch für PCF und „Parti de Gauche“ (Linkspartei“). Beide trugen zusammen mit den „Grünen“ die Ver­
hängung des ersten dreimonatigen Ausnahmezustands trotz Gemaule im November 2015 mit. Das „Verfassungs­
projekt“ lehnten am 10.2.2016 sowohl PCF als auch PdG und auch eine Mehrheit der „Grünen“ ab, insbesondere
den möglichen Entzug der Staatsbürgerschaft - mit der Begründung, man müsse die bürgerliche Republik und
ihre „Werte“ gegen den Front National verteidigen, aus dessen Programm die Forderung nach Ausbürgerung
unliebsamer Zeitgenossen direkt entnommen sei.
18
Proletarische Revolution 62
Bürgerlich-demokratische
Kritiker dieser Entwicklung
sprechen von „Lepenisierung“ des Parteienspektrums. Aber das tut so, als
triebe der Front National
die anderen Parteien vor
sich her, während doch in
Sachen „Sicherheit“ die
Sozialdemokratie die „Republikaner“ und den FN
inzwischen übertrumpft.
Marine LePen hat immer
öfter einem Valls nichts
entgegenzusetzen,
als
dass dieser die Forderungen des FN abkupfere
und im Unterschied zu ihr
als Ultrareaktionär nicht
wirklich glaubwürdig sein
könne.
Bleibt die Frage, warum
im übrigen Europa, auch
in Österreich, kaum über
diese Entwicklung in Frankreich gesprochen wird.
Die Orbáns und Kaczinskys
sind in aller Munde, über
die „Sozialisten“ Hollande
und Valls (und das viele
weitere solche Gesindel
überall in Europa, auch
in den imperialistischen
„Musterdemokratien“)
wird geschwiegen. Auch
die kriegstreiberische und
kriegshetzerische
Rolle
Frankreichs gegenüber Syrien (und besonders pointiert der französischen Sozialdemokratie seit ihrem
Regierungsantritt)11 oder
seine üble Rolle in Afrika
oder gegenüber Israel spielen in der Öffentlichkeit
kaum eine Rolle. Ebenso
wenig die Unterdrückung
der
Sans-papiers,
die
Schließung seiner Grenzen gegen unerwünschte
Migrant/innen (und das
lange vor Ungarn), die beständige Massenausweisung von Roma usw.
Wie verlogen, wenn sich
Imperialisten wie die französischen, deutschen oder
österreichischen nur über
ebenfalls böse und niederträchtige, aber nur zweitrangige Figuren in Osteuropa entrüsten!
(Korrespondenz aus Frankreich, Anfang März 2016)
Nachtrag 30.3.2016
Am 30.3.2016 erklärte Staatspräsident Hollande, er hätte entschieden, das Projekt
der Verfassungsreform, also
der „Konstitutionalisierung“
des Ausnahmezustands und
der Möglichkeit, für „terroristisch“ erklärten unliebsamen Menschen die Staatsbürgerschaft zu entziehen,
abzublasen. Grund ist nicht
in erster Linie anhaltender
Protest eines Teils der Bevölkerung, mehr oder weniger
bürgerlich-demokratischer
Kreise und eines Großteils des
„linken“ Parteienspektrums,
sondern vor allem die Quertreiberei der „Republikaner“,
der Partei von Sarkozy. Diese
hatten in der zweiten Kammer, dem Senat, nicht für das
Projekt gestimmt und es damit blockiert. Offensichtlich
wollten sie Hollande nicht
den Gefallen tun, sich als erfolgreicher Feldherr im „Krieg
gegen den Terrorismus“ und
als äußerst rechte Speerspitze
der Reaktion aufzuspielen.
Die „Sozialisten“ wiederum
werfen der „Rechten“ vor,
damit die „Sicherheit“ des
Landes zu gefährden. Was
ändert das? Nicht viel: Der
Ausnahmezustand wird halt
neuerlich und im Juni noch
einmal
verlängert,
auch
wenn er nicht ausdrücklich in
der Verfassung steht, und unerwünschten Personen muss
man halt anders beikommen,
wie ja bisher auch. Hollande
betonte, er würde trotz der
Quertreiberei der „Republikaner“ seinen reaktionären
Kurs unbeirrt fortsetzen,
denn die „Effizienz“ sowohl
des Ausnahmezustands als
auch der Aufstockung von
Polizei, Gendarmerie, Armee,
Zoll- und Justizwache hätten
sich klar erwiesen.
Interessant in diesem Zusammenhang eine Notiz in der aus der De­
zembernummer der Zeitschrift Afrique Asie: „Terrorismus: ein Staats­
skandal?“. Bernard Squarzini, Generaldirektor des französischen In­
landsgeheimdienstes von 2008 bis 2012, erklärte wenige Tage nach
den Attentaten vom 13. November in Paris, dass Syrien 2013 Frankreich
vorgeschlagen habe, bei der Terroristenbekämpfung zusammenzuar­
beiten, weil sich viele französische Terroristen in Syrien aufhielten,
und eine Liste dieser Leute an den französischen Geheimdienst zu
übergeben. Dieser Vorschlag sei von diesem an den damaligen Innen­
minister Valls weitergeleitet worden, der eine solche Zusammenarbeit
aber „aus ideologischen Gründen“ abgelehnt habe. Wir erinnern uns,
dass damals die französische Regierung unbedingt in den Syrienkrieg
eingreifen wollte, auch mit Bodentruppen, Hollande aber von den
USA, die das damals nicht wollten, ausgebremst wurde.
11
19
Frankreich heute - 2 Beispiele
1: Ausnahmezustand und Klassenjustiz
Am 12.1.2016 fällte das Berufungsgericht in Amiens das Urteil zweiter Instanz über acht Streikführer des mehrwöchigen Streiks bei Goodyear im Jänner 2014. Damals hatte die 1.143köpfige Belegschaft gegen die Betriebschließung gestreikt, den Betrieb besetzt und Produktionsleiter und Personalchef für 30 Stunden festgesetzt
(und übrigens medienwirksam mit Riesen-Sandwiches versorgt, um - von anderen solchen Betriebsbesetzungen
und „Geiselnahmen“ hinlänglich bekannte - späteren Vorwürfen, man hätte die armen Kerle hungern und
dürsten lassen, zu begegnen). Die Streikführer waren wenig später in erster Instanz zu 6 Monaten Gefängnis
auf Bewährung verurteilt worden. Die Betriebsleitung selbst wollte nicht weiter eskalieren und zog sogar ihre
zivilrechtliche Nebenklage zurück: es sei den beiden Herren ja nichts wirklich passiert. Die Staatsanwaltschaft
dagegen focht auf Weisung des Innenministers dieses Urteil an. Das Berufungsgericht verschärfte nunmehr
pflichtschuldig die Haftstrafe und verhängte 24 Monate Haft, davon 9 unbedingt und 15 bedingt auf 5 Jahre.
Eine scharfe Klassenjustiz drohte bei einer Regierung Valls sowieso, aber diesmal war sie deutlich schärfer als
in vergleichbaren Fällen bisher. Das ultrareaktionäre Klima des Ausnahmezustands heizt auch die Klassenjustiz gegen gewerkschaftliche Kämpfe an. Aus gutem bourgeoisen Grund: Ist denn etwa eine gewaltsame Besetzung von Privateigentum und die „Sequestrierung“ („Festsetzung“) von Kapitalisten und Managern nicht
ebenfalls Terrorismus? Es gab seither eine Reihe von gewerkschaftlichen Protestkundgebungen und Arbeitsniederlegungen gegen dieses Urteil.
2: Der Antiterroreinsatz am 18.11. in Saint-Denis
Am 18.11. hatte sich eine Razzia in Saint Denis (im Norden von Paris) zu einem „hochgradig überdimensionierten“ (Le Monde) Antiterroreinsatz ausgewachsen. Da Hollande und Valls schon tagelang Krieg trommelten, wurde Krieg inszeniert und die Öffentlichkeit ein paar Tage und Nächte lang mit Kriegsberichterstattung
überschüttet. Das Gebiet war weiträumig abgeriegelt und zerniert, das Haus sieben Stunden lang belagert
und bestürmt worden, 110 Sonderpolizisten und Soldaten hatten, auch von einem gepanzerten Fahrzeug und
einem Helikopter aus, 5.000 (!) Schüsse gegen eine zu erstürmende Wohnung abgegeben und Sprengstoff
für das Aufsprengen der Eingangstür eingesetzt. Angeblich hätten die in der Wohnung verbarrikadierten
Terroristen „mehr als zwei Stunden lang“ der Polizei und dem Militär schwere Feuergefechte mit „ununterbrochenem Dauerfeuer“ aus Maschinenpistolen (Kalaschnikows) geliefert, im Stiegenhaus Granaten auf die
„Einsatzkräfte“ geworfen und sie vom Dach aus mit einem Scharfschützengewehr beschossen. Schließlich wären drei Terroristen auf der Strecke geblieben, darunter Abdelhamid Abaaoud, der angebliche Mastermind der
Attentate vom 13.11., Hasna Aït Boulhacen, eine Cousine von Abaaoud, und eine dritte bis dahin nicht identifizierte männliche Person. Boulhacen, hieß es, hätte sich mit einem Sprenggürtel selbst in die Luft gesprengt,
dabei wäre auch Abaoud tödlich verletzt und durch ein Loch, das die Explosion in den Fußboden gerissen habe,
in die Wohnung einen Stock tiefer geschleudert worden. Die zerfetzten und überall herumliegenden Leichenteile der dritten Person hätten noch nicht identifiziert werden können, aber der abgerissene Kopf (samt
einem Teil der Halswirbelsäule), der durch ein Fenster auf die Strasse geflogen sei, verwiese auf eine männliche
Person. Das Haus selbst wurde durch Explosionen schwer beschädigt und ist einsturzgefährdet. Auf Seiten der
„Einsatzkräfte“ gab es fünf leicht verletzte Polizisten.
Am 23.11. gelangte dann ein Bericht der Kriminalpolizei über diese Operation an die Öffentlichkeit, der von
der ursprünglichen Darstellung der Einsatzpolizei in einer Reihe von Punkten abwich und „kein Licht in die
dunklen Aspekte dieses Einsatzes“ brachte, einer „Operation, die mit seltener Gewalttätigkeit und in extremer
Konfusion abgelaufen (ist)“ (Le Monde, 23.12.). Von den „Kriegswaffen“ der wild dauerfeuernden Terroristen,
angeblich Kalaschnikows, Granaten, Sprengstoff und ein Scharfschützengewehr, die die „Sintflut der Materialschlacht der Polizei“ (Le Monde) ausgelöst hätten, wurde nichts gefunden außer einer ungeladenen (!)
halbautomatischen (!) Browning Pistole, ohne eingesetztes Magazin, und einige Munition dazu. Tags darauf
wurde ergänzt, es sei im unteren Stock noch eine zweite Pistole gefunden worden, ebenfalls ungeladen und
ohne Magazin. Der Sprenggürtel, den angeblich Boulhacen gezündet hätte, konnte ebenfalls nicht gefunden
werden. Die aufgefundenen Patronenhülsen und Granaten seien noch nicht vollständig ausgewertet, aber es
stammten nahezu alle von den „Einsatzkräften“. Dass Augenzeugen und auch ein Polizist berichtet hatten,
die angebliche Terroristin Boulhacen, die sich angeblich selbst in die Luft gesprengt hätte, sei mit erhobenen
Händen am Fenster erschienen und habe die Polizei angefleht, man möge sie rauslassen („Monsieur, lassen Sie
mich bitte raus ...ich habe Angst .... er sprengt jemanden in die Luft...“), kommt in diesem Bericht nicht vor.
Polizei und Militär hatten die Gelegenheit zu einem überbordenden Einsatz genutzt, sei es zu Übungszwecken,
sei es zur Verängstigung, Einschüchterung und Eingewöhnung der ansässigen Bevölkerung. Auf Anfragen
von Le Monde und anderen Medien wollten die Generaldirektion der nationalen Polizei und die von deren
Sondereinheiten RAID keine weiteren Auskünfte erteilen, außer dass „von einem operationellen Standpunkt
aus die Intervention ein Erfolg gewesen“ sei und man nicht von „Unverhältnismäßigkeit“ sprechen könne. Und
ein Sprecher des Innenministeriums ergänzte, die Polizeieinheiten seien vor Ort halt aufgrund ihrer Informationslage und ihrer Einstimmung in einem „Gemütszustand“ gewesen, der zu so einem Einsatz geführt habe.
(Quelle: Le Monde vom 23.12.2015)
20
Proletarische Revolution 62
UKRAINE: Entwicklung seit dem Putsch
Vorbemerkung der Redaktion: Seit März 2016 ist die NATO-gestützte Regierung Jazenjuk (obwohl das voran­
gegangene Misstrauensvotum scheiterte) im raschen Zerfall. Nach bürgerlichen Umfragen ist die „Zustimmung
zu seiner Politik unter ein Prozent gefallen“ (WZ 31.3.16), aber er wird nach wie vor vom reichsten ukrainischen
Monopolkapitalisten, Rinat Achmetow im Regierungssessel gehalten. IWF, USA und EU arbeiten fieberhaft (aber
nicht gemeinsam) an neuen „Lösungen“. So wurde z.B. schon im letzten Jahr der ehemalige georgische (!)
Präsident Michail Saakaschwili als Gouverneur der ukrainischen Provinz eingesetzt und die US-Amerikanerin (!)
Natalie Jaresko wurde ukrainische Finanzministerin. Solange sich die ukrainischen Monopolkapitalisten („Oli­
garchen“) nicht auf eine neue, „stabile“ Regierung einigen, zahlt der IWF die nächsten 1,7 Mrd. USD nicht aus.
Darum wird wahrscheinlich Präsident Poroschenkos Vertrauter Wolodymyr Hrojsman bald neuer Regierungs­
chef der Ukraine sein, zumindest in der Westukraine… Übrigens hat die US-Obama-Regierung kürzlich bekannt
gegeben, dass in nächster Zeit ca. 4300 weitere US-Soldaten „an der NATO-Ostgrenze“, also voraussichtlich im
Baltikum stationiert werden sollen.
Die Ukraine ist seit Ende
2013 zu einem Paradebeispiel für imperialistische
Einflussnahme und die
Zerschlagung eines Landes
zugunsten der Kapitalistenklasse geworden. Einmal mehr treten mehrere
teilweise konkurrierende
Imperialismen auf, die in
ihrem Ringen um Einfluss
und Kapital ein Volk an
den Rand des Abgrunds
drängen. Einmal mehr ist
es aber auch für die revolutionären Kräfte notwendig, eine genaue Analyse
dieser Entwicklung offenzulegen.
Am 22.2.2014 kam es zur
Entmachtung des gewählten ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch sowie weiter Teile
seiner Partei (Partei der
Regionen) durch einen
quasi-Putsch. Die Bewertung inwieweit dieser Umsturz gerechtfertigt ist, beschränkt sich für uns aber
nicht auf die Rechtmäßigkeit dessen innerhalb des
kapitalistischen Systems,
sondern untersucht Inhalt
und Zweck sowie seine
Stellung zur ArbeiterInnenklasse. In der Außen- und
Nachbetrachtung können
wir davon ausgehen, dass
es sich um einen pro-west-
lichen, reaktionären Putsch
handelte. Wir müssen insbesonders hervorheben,
dass im Ergebnis lediglich
ein Teil der Bourgeoisie
durch einen anderen abgelöst wurde. Die Stellung
der unterdrückten ukrainischen ArbeiterInnenklasse hat sich hingegen nicht
verbessert. Gegenteiliges
ist der Fall.
Waren die Proteste gegen
das Janukowitsch-Regime
zu Beginn auch von sozialen Anliegen getragen,
wie etwa Kämpfe gegen
Pensionskürzungen, Korruption usw., so bekamen
sie in der Westukraine
vergleichsweise
schnell
pro-westlichen und nationalistischen Charakter und
wurden von rechts vereinnahmt, wobei im Osten des
Landes das sozial-kämpferische Element (schwach)
erhalten blieb.
Die wirtschaftliche Krise
und das IWF Diktat
Die Ukraine mit ihren
derzeit 45,4 Mio. Einwohnern ist gemessen
an Bodenschätzen ein
vergleichsweise
reiches Land. Es verfügt
über
umfangreiche
Eisen- und Steinkohlevorkommen, wobei
sich deren Förderung sowie die Stahlerzeugung
größtenteils im Osten des
Landes konzentrieren.1 Einen weiteren wichtigen
Wirtschaftsfaktor
bildet
die Landwirtschaft, welche ca. 8% des BIP sowie
21,3% der staatlichen
Ausfuhr ausmacht. Als einer der größten landwirtschaftlichen Produzenten
Europas produziert das
Land pro Jahr etwa 60 Mio.
Tonnen Getreide und 120
Mio. Tonnen Feldfrüchte.
Die lukrativen Böden sowie die vergleichsweise
niedrigen Löhne machen
die Ukraine daher besonders interessant für ausländische Agrarkonzerne.
Nichtsdestotrotz besteht
im Land ein doppeltes
Defizit sowohl im Staatshaushalt als auch im Außenhandel.2 Dafür wird
vor allem die im Land grassierende Korruption und
Schattenwirtschaft verantwortlich gemacht, auf die
Im Jahr 2011 erzeugte die ukrainische Stahlindustrie, wel­
che enorm konjunkturabhängig aber auch beschäftigungs­
intensiv ist, ca. 35 Mio. Tonnen Stahl.
1
21
Ukraine - Neokolonie und Kampfzone
schätzungsweise 60% der
allgemeinen Produktion
entfallen.
Bereits vor den Ereignissen
des Euromaidan (2013/14)
oder der Krise von 2008
zeigten sich in der ukrainischen Wirtschaft degressive Entwicklungen. Laut
Schätzungen des Economist kam es ab 1992 zu einer Verringerung des BIPs
um etwa 50%, welches
derzeit 8.700 USD pro
Kopf ausmacht (zum Vergleich: in Österreich soll
der Wert etwa bei 46.600
USD liegen).
Anfang 2015 bewilligte
der IWF 17,5 Mrd. USD für
das Land, wobei die letzte
Tranche noch nicht freigegeben wurde. Hinzu kamen auch noch zahlreiche
zusätzliche Hilfen aus der
EU und den USA. Im Gegenzug fordert der IWF
eine umfangreiche Implementierung neoliberaler
Reformen. Diese umfassen
vor allem das Einfrieren der
ohnehin schon niedrigen
Löhne sowie Kürzungen
in den Sozialausgaben. Bereits zu Beginn des März
2014, also kurz nach dem
Umsturz, hat Jazenjuk
dem IWF einschneidende
Kürzungen versprochen.
Diese umfassen etwa das
Ende der Gas-Subventionierung und die Erhöhung
des Gaspreises, welche allein 2014 ca. 50% betrug.
Auch die Preise von Strom
und Wasser sind seit 2014
bis auf das Dreifache angestiegen. Weiters kam
es auch zu einer Erhöhung der Massenbesteuerung (MWSt, Genussmittel,
Treibstoffe, Medizin) sowie Sozialkürzungen (z.B.
Kindergeld). Die Inflation
der ukrainischen Währung
Hryvnia beträgt bis zu 70%,
was vom ohnehin geringen
Durchschnittslohn von 295
Euro netto im Monat nicht
mehr viel übrig lässt, zumal
noch regionale Preisunterschiede hinzukommen.3
Trotz der wirtschaftlichen
und politischen Krise, welche vor allem im Osten
zu einem weitgehenden
Produktionsstopp geführt
hat, ist Russland weiterhin
ein großer Handelspartner
der Ukraine. So konnte der
sog. „Transitkrieg“ zwischen den beiden Ländern
zuletzt entschärft werden.
War der Umsturz an sich
faschistisch?
Es
wäre
grundlegend
falsch, die Putschisten und
Maidan
Demonstranten
von 2013-14 pauschal als
faschistisch
abzustempeln. Derartige Verallgemeinerungen finden sich
jedoch zur Genüge, auch
innerhalb einer „Linken“.
Diese Herangehensweise
wird jedoch vor allem von
russischer Seite betrieben,
welche propagandistisch
eine Analogie zu den heroischen Leistungen der
SowjetbürgerInnen
herstellen
möchte.
Diese
„Rückbesinnung“,
ähnlich wie die Bezeichnung
„Volksrepublik“ in den
2
Die Wirtschaftsleistung betrug 2012 ca. 180,2 Mrd. USD.
3
http://www.bbc.com/news/world-europe-35483171 (21.02.2016)
aufständischen Gebieten
im Osten des Landes, ist
größtenteils nichts weiter
als sinnentleerte Phraseologie zum Zwecke einer
Massenmobilisierung
in
ihrem Sinne.
Allerdings ist es notwendig
herauszustreichen,
dass der Protest in Kiew
und Lwiw von Beginn an
von Faschisten mitgetragen und organisiert worden ist, so gern die EU und
die USA die anti-Janukowitsch Proteste auch als
rein pro-demokratisch und
liberal-bürgerlich hinstellen möchten.
Kern des Anstoßes – Das
„Assziierungsabkommen“
und die imperialistische
Politik
Die Ukraine bildete seit
je her eine wichtige strategische Position für die
unterschiedlichsten Mächte in der Weltgeschichte.
Heute bedeutet dieses
Land für die EU-Imperialisten vor allem Transitrouten für die Energieträger
Öl und Gas sowie Zugang
zum Schwarzen- und zum
Asowschen Meer sowie
Ausbeutungskapazitäten.
In Bezug auf einen wieder aktiver werdenden
russischen Imperialismus
spielt hier einiges an Besorgnis mit.4 Für die USImperialisten stehen eher
geostrategische Interessen
im Vordergrund.
Unter der Regierung Janukowitsch wurde jedoch
2010 die Blockfreiheit des
Seit Mai 2014 verstärkt Gazprom die Beziehungen zur VR China, sodass kürzlich erst Saudi-Arabien als größ­
ter Lieferant abgelöst werden konnte. Die österreichischen Imperialisten kommentierten dies erstaunlich
klar: „Eine Energieallianz mit dem Schwerpunkt „Asiatische Staaten“ wäre aber für Europa fatal!“ (Österrei­
chische Militärische Zeitschrift 1/2016 S.28)
4
22
Proletarische Revolution 62
Landes in die Verfassung
aufgenommen, was sowohl eine mögliche EU als
auch Nato-Mitgliedschaft
ausschloss.
Nichtsdestotrotz wurden Verhandlungen zu einem EU-Assoziierungsabkommen
aufgenommen. Derartige
Abkommen sind insbesondere als Mittel zu verstehen, um Staaten wie die
Ukraine oder auch Moldawien aus dem russischen
Einfluss zu lösen bzw. an
die EU zu binden. Auch sollen dabei die ukrainischen
Streitkräfte in den europäischen Militärkomplex
eingebunden werden. Es
ist die Rede von Verpflichtung zur „Kooperation“
und „Konvergenz“ in einer „Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“.5
Am 21.11.2013 wurde das
Abkommen von Seiten der
Janukowitsch-Regierung
jedoch verworfen und der
Protest, begünstigt durch
soziale Faktoren nahm seinen Lauf.
Kurz nach dem gewaltsamen
Regime-change
am 21.3.2014 wurde besagtes Abkommen dann
schleunigst unterzeichnet.
Im Dezember wurde die
Blockfreiheit gekippt und
bis 2020 strebt die Ukraine einen EU-Aufnahmeantrag sowie einen NatoBeitritt an. Diese Politik
läuft
selbstverständlich
dem russischen Imperialismus zuwider, dem eine
politisch und vor allem
militärisch neutrale Ukraine deutlich lieber gewesen wäre. Das neue am
Konflikt im Gegensatz zur
EU-Erweiterung am Baltikum ist neben einer bestehenden vergleichsweise
großen ethnischen Komponente auch eine Veränderung russischer Politik
an den Rändern seit dem
Südossetien-Konflikt 2008.
Russland wehrt sich gegen
eine Beschneidung seiner Macht, hervorgerufen
durch
Destabilisierung,
Annäherung an die Nato
sowie den potentiellen
Verlust von Militärbasen. Auch die Einbindung
von ukrainischen Militärs
in westliche Strukturen
schmerzt die russischen
Strategen besonders. So
verfügen diese noch immer über Kenntnisse der
sowjetisch geprägten strategischen und operativen
Vorgangsweise der russischen Generalität im Falle eines Konflikts mit den
Westmächten.
Auf der EU Seite ist qualitativ ein relativ geschlossenes
und
deutliches
Auftreten des EU-Imperialismus, allen voran des
deutschen
wahrzunehmen. Diese Entwicklung
ist wohl der Verschärfung
der Widersprüche in den
letzten Jahren geschuldet.
Der tendenzielle Fall der
Profitrate und die allgemeine Krise seit 2008 zeigen wieder einmal auch
hier ihre Auswirkungen in
Form des imperialistischen
Handelns.6 So äußern sich
einige Kapitalisten bereits
für die Aufhebung der
Krim-Sanktionen sowie zur
Notwendigkeit einer verbesserten Marktpräsenz
des Westens in der neuen
russisch dominierten Eurasischen Union. So spricht
der Vorsitzende des OstAusschusses der deutschen
Wirtschaft, Eckard Cordes
bereits von einem „Weg
zu einem gemeinsamen
Wirtschaftsraum“.7 Auch
Österreichs Außenminister
Sebastian Kurz forderte
bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2015 eine
solche Freihandelszone.
Die faschistischen Kräfte
in der Ukraine
Der anti-Janukowitsch Protest wurde von Beginn an
von bestehenden faschistischen Organisationen
mitgetragen. Obwohl die
Faschisierung des Landes
seit 2014 sichtbarer und
radikaler voran geht, ist
diese aber als Prozess zu
verstehen, der bereits mit
der Auflösung der Sowjetunion begann und befördert wurde. Viele der Kräfte berufen sich auf nach
1991 zu „Volkshelden“
gewordenen
Nazi-Kollaborateure und Antikommunisten.8 Die ukrainischen Nationalisten und
Faschisten stützen sich auf
ein Netz von diversen Parteien und Verbänden die
Vgl. EU-Ukraine Association Agreement Title II Art. 7
Bereits von Sept. 2013 bis Frühjahr 2014 beteiligte sich die Fregatte Hetman Sahajdatschay an diversen „AntiPiraterie“ Aktionen. Etwa der Nato Operation Ocean Shield sowie der EU NAVFOR Operation Atalanta, bei der
auch ukrain. Offiziere im Operationsstab mitwirken.
5
Das vglw. geringe Wirtschaftswachstum von 0,3% in der Eurozone und ein Einbruch des Außenhandels
werden wohl zukünftig weitere Bestrebungen der imperialistischen Mächte nach Freihandelszonen befördern.
Insbesondere das Russland-Embargo hat für die deutsche Wirtschaft eine gewisse Hemmfunktion.
6
7
Handelsblatt 31, 13.2.2015 S.6-7
23
Ukraine - Neokolonie und Kampfzone
sich im Zuge der MaidanProteste konsolidieren und
radikalisieren
konnten.
Bereits davor entstanden
eher lose gewaltbereite
rechtsextremistische Gruppierungen, die meist keiner bestimmten Organisation zuzuordnen waren.
Sie werden allgemein als
„titushky“ bezeichnet und
stammen oft aus dem Hooligan-Umfeld. Obwohl sich
bei ihnen keine klare Ideologie oder generelles Ziel
ausmachen lässt, so fallen
sie hauptsächlich durch
Prügelorgien auf. Hintermänner oder Personen in
leitender Funktion sind
auf Grund der spontanen
Organisationsform schwer
auszumachen.
Ganz anders sieht es beim
Prawyj Sektor (Rechten
Sektor) aus, dieser entstand
2013 als paramilitärischer
Arm ursprünglich zurückgehend auf die nationalistische Tryzub (Dreizack)
Bewegung. Diese Bewegung umfasste die SozialNationale Versammlung,
Karpatskaja Sich und dem
Weißen Hammer. Letzterer zeichnet sich insbesondere durch seine Nähe
zum radikal militanten neofaschistischen Gedanken-
gut aus. Der Rechte Sektor
rekrutierte sich aber auch
aus Mitgliedern anderer
bestehender Parteien und
Paramilitärs wie der UNAUNSO, Swoboda, dem Patriot der Ukraine sowie der
Gruppe 82. Einige davon
gingen bei der Parteigründung im März 2014 in
selbiger auf, wie etwa die
UNA-UNSO. Dabei blieben
die bewaffneten Verbände weitgehend autonom.
Ideologisch zeichnen sich
diese Organisationen als
national-chauvinistisch,
fremdenfeindlich, antirussisch, homophob, antifeministisch, antisemitistisch
und
antikommunistisch
aus, wobei es hier schwer
ist als Sammelbecken der
militanten Rechten klare ideologische „Ziele“
auszumachen. Die Faschisten machen bei ihren
Mitgliedern übrigens keinen Unterschied ob es sich
um „Russen“ oder „Ukrainer“ handelt. So kämpfen
in den Reihen des Prawyj
Sektor mehrere russische
Staatsbürger und russischsprachige Ukrainer.
Weiterhin im illegalen
Spektrum bewegt sich die
nationalsozialistische ukrainische Nationale Arbeiter
Partei von Yevhen Herasymenko. Sie zeichnete
sich insbesondere durch noch
radikaleren Antisemitismus sowie
tätliche Angriffe
auf
Minderheiten und MigrantInnen aus.
Sie
kooperiert
eng mit der anti-semitistischen und geschichtsrevisionistischen Interregional Academy of Personnel
Management (MAUP). Die
MAUP verfügt über enge
Kontakte zu den ukrainischen Konservativen. So
zählen der ehemalige VizePremier Wolodymyr Hrojsman und der Oligarch Georgy Shchokin zu ihren führenden Persönlichkeiten.
Auch der sich vergleichsweise oft in Österreich
aufhaltende US-amerikanische Holocaustleugner
und Verschwörungstheoretiker David Duke zählt
zu den Unterstützern.9
Zwar plante die neue bürgerliche Regierung unmittelbar nach dem Sturz
Janukowitschs eine Entwaffnung der rechten Verbände, aber auf Grund der
sich abzeichnenden Krise
im Osten und auf der Krim
verzichtete man darauf
und forcierte stattdessen
eine Integration in die
Streitkräfte, allen voran in
die Nationalgarde. Diese
Entscheidung ermöglichte
es den Rechten, nahezu
straffrei zu agieren. Sei es
nun der Brandanschlag auf
das Gewerkschaftshaus in
Odessa am 2.5.2014 mit
48 Toten oder die gezielte
Liquidierung von RegimeKritikern. Der kapitalistische Staat benützt die
faschistischen
Elemente
als Teil seines Machtpotentials. Die fortschreitende
Faschisierung von Gesellschaft, Staatsapparat und
Militär ist klar erkennbar,
jedoch auf Grund der inneren Lage und dem ver-
Ein Beispiel für die Faschisierung ist etwa die Herausgabe einer Gedenkbriefmarke 2009 für den Faschisten
und Massenmörder Stepan Bandera. Auch erreichten nach 2000 einige faschistische Parteien bei Wahlen in der
Westukraine bis zu 30%.
8
9
24
http://www.globalsecurity.org/military/world/ukraine/right-sector.htm (07.02.2016)
Proletarische Revolution 62
gleichsweise hohen Maß
an Volksbewaffnung noch
nicht vollständig durchführbar. Deshalb bereiten
sich die rechten Kräfte
auch auf eine Stabilisierung sowie eine Propaganda-Offensive,
allen
voran gegen linke Gruppen und Parteien sowie
„prorussische Elemente“,
vor. Die Zensur spielt hierbei eine wichtige Rolle.
Im September wurden
388 Personen darunter 41
Journalisten (davon zwei
vom Poroschenko äußerst
wohlgesonnenen BBC) aus
dem Land verbannt. Einige russische Journalisten
wurden bereits getötet,
eine Entwicklung, die
ihren Anfang mit EuroMaidan genommen hat.10
Eine Aufklärung der Taten
durch die bürgerliche Justiz? – Fehlanzeige! In der
Übergangsphase stellten
die Faschisten (Swoboda)
sogar den Generalstaatsanwalt. Ja es gibt sogar
eine Denunzierungswebsite (Mirotvorec) gegen
Journalisten und „Staatsfeinde“. Parlamentsmitglied und Berater des Innenministeriums
Anton
Gerashchenko lobt hier
ab und zu „Patrioten“ für
„erfolgreiche Missionen“.
Auch die Namen von Ermordeten wie Oleg Kalashnikov (Partei der Regionen) und Oles Busina
(dessen Schriften von der
Regierung untersagt wurden) fanden sich dort vor
deren Tod. Seit 2014 können linke AktivistInnen
innerhalb des Landes nur
noch verdeckt arbeiten.
Am 8.12.2015 wurde Mykola Shersun, Gewerkschaftsfunktionär in Rivne,
von vermummten Paramilitärs der Ukrainischen
Nationalen Selbstverteidigung attackiert.11
Derartige Vorfälle ereignen sich immer öfter in
diesem, nach EU-Definition, ach so demokratischen
Land.
Für die Rechtsextremen
und die Konservativen
bildet die Regierung Poroschenko einen gewissen
einigenden Faktor. Jedoch
scheint sich diese Dynamik
etwas zu verändern. Im
Sommer 2015 kam es bereits zu Zusammenstößen
von faschistischen Paramilitärs (Prawyj Sektor) mit
Polizeibehörden in Bezug
auf Zigarettenschmuggel.
Auch das schlechte Abschneiden von Prawyj Sektor bei den Wahlen sowie
das Bestreben Dmytro Jarosch (Führer des rechten
Sektors), eine neue Partei
zu gründen, spielen hier
eine Rolle. Bei dem im Oktober in einigen Landesteilen stattfindenden Regionalwahlen konnte sich
die Poroschenko-Klitschko
Partei (Solidarität) bei einer geringen Wahlbeteiligung von 47% dennoch
festigen. In einigen Städten wurde wegen der angeblichen Gefahr einer
Wahlfälschung aber gar
keine Wahl abgehalten.
Weiters waren die ca. 1,5
Mio.
Binnenflüchtlinge
von der Teilnahme überhaupt ausgeschlossen. Mit
Februar 2016 verschärften
sich auch generell die Konflikte um die bürgerlichen
Fraktionen und um Premierminister Jazenjuk.
Die Abkommen von Minsk
und das Kriegsregime in
der Ostukraine
Die bewaffneten Konfrontationen im Osten begannen ab Mitte April 2014,
nachdem sich Demonstranten der Opposition
gegen die Kiewer Regierung durch die Übernahme von Polizeistationen
selbst bewaffneten und
ein Amnestie-Ultimatum
aus Kiew ihnen gegenüber
ablief. Weiters schlugen
auch die Entwaffnungsaktionen der Regierung fehl.
Zu dieser Zeit formierten
sich auch bereits die sog.
„Volksrepubliken“ in den
Oblasten Donezk und Luhansk, welche als Kernzonen der russisch geprägten
Opposition gegen die neue
Regierung in Kiew gelten.
Ab Mai/Juni 2014 wurden
im Konflikt bereits schwere Waffen eingesetzt,
wobei die Kampfhandlungen stets punktuell
blieben und beide Seiten
nur kleinere Gebietsge-
Umfang der
Massenproteste
2014 gegen die
Kiewer Regierung
http://www.nytimes.com/2014/05/17/world/europe/united-nations-human-rights-ukraine.html?_r=2
2016)
10
(07.02.
11
https://ukraineantifascistsolidarity.wordpress.com/2015/12/11/rivne-local-head-of-trade-union-federation-at­
tacked-by-fascist-thugs/ (07.02.2016)
25
Ukraine - Neokolonie und Kampfzone
winne/Gebietsverluste erzielten.12 Jedoch galt gerade die 2. Schlacht um den
Donezker Flughafen vom
September 2014 bis Jänner
2015 als Symbol des Scheiterns des 1. Abkommens
von Minsk. Dieses Waffenstillstandsabkommen war
am 5.9.2014 zwischen der
Ukraine, Russland, dem
Donbass und der OSZE
zustande gekommen. Das
Folgeabkommen
Minsk
II wurde hingegen von
Deutschland, Frankreich,
Russland und der Ukraine
ausgehandelt. Die „Volksrepubliken“ und OSZE
spielten hier bereits eine
viel kleinere Rolle. Auch
hatten die westlichen
Kräfte auf Grund der vorhinein verhängten Sanktionen und der zur Debatte
stehenden
Ausweitung
ein gewisses Druckmittel
in der Hand. Die Bedingungen des Abkommens
umfassen:
Waffenruhe und den Abzug von
schweren Waffen aus einer
festgelegten Pufferzone,
einen Gefangenaustaustauch sowie Amnestiebestimmungen, einen erweiterten Autonomiestatus
der beiden Oblasten, eine
OSZE „Beobachtermission“,
den Abzug der ausländischen Kämpfer, Wiederherstellung von Grenzkontrollen zu Russland
und Kommunalwahlen. Bis
dato wurden viele dieser
Bestimmungen nur rudimentär (wenn überhaupt)
durchgesetzt. Minsk II
führte aber nicht zu einer
Befriedung der Ukraine,
die
Kampfhandlungen
wurden bei geringerer Intensität fortgesetzt. Faktisch ermöglichte diese bis
jetzt über ein Jahr andauernde Pattsituation lediglich eine engere Bindung
der Kräfte an die ausländischen Mächte sowie die
militärische Hochrüstung
im Hinterland.13 In der nur
mehr dünn besiedelten
Pufferzone ist derzeit kein
Wiederaufbau
möglich,
da es immer wieder zu
Kampfhandlungen kommt
und die Zukunft dort äußerst Unklar ist.
Für die rechts-nationalistischen und faschistischen
Kräfte in Kiew stellen
wichtige Bestandteile der
Minsker Abkommen, etwa
die Föderalisierung, einen
Landesverrat dar und sie
stehen dadurch in einem
gewissen Widerspruch zu
gemäßigteren
bürgerlichen Kräften.
Die Beurteilung der Lage
der Kräfte in der Ostukraine gestaltet sich etwas
schwieriger. Die „Volksrepubliken“ bzw. die „Konföderation Neurußland“
verfügt in keinster Weise
über durchgehende homogene staatliche Strukturen. Russland und seine
Versorgungskonvois
bilden einen wichtigen Bezugsfaktor der Menschen,
was zur weiteren Spaltung
des Landes beiträgt. Auch
wenn im Osten ein antifaschistischer Kampf propagiert wird, so müssen wir
uns stets vor Augen halten,
dass auch hier nationalistische, rassistische und religiös-fundamentalistische
Gruppen operieren. Einige
führende Persönlichkeiten
der Separatisten aus Donezk und Lugansk sind
selbst Oligarchen oder
stammen aus dem russischen Geheimdienstumfeld wie etwa Konstantin
Malofejew. Auch greifen
sie kaum die imperialistische Ausbeutung des
Landes an. Eher Gegenteiliges ist der Fall.14
Die Oligarchie, oder besser die extreme Konzentrierung des Kapitals, ist
als Ergebnis der revisionistisch-kapitalistischen
Entartung der ehemaligen
Sowjetunion zu verstehen. Es handelt sich speziell um die Nutznießer der
Reformen Glasnost und
Perestroika sowie um Kader, die sich auf alte Seilschaften stützen konnten.
Eine Problemstellung ergibt sich aus ihrer jeweiligen Zuwendung und Unterstützung. Diese ist teilweise schwer festzustellen
und wechselt gegebenenfalls auch. Die einzelnen
Oligarchen unterstützen
in der Regel jene Staaten
und Märkte, in denen ihre
Profitinteressen am besten
befriedigt werden. Daher
sehen wir sowohl prowestliche als auch pro-rus-
So konnten sich Mitte 2014 die Kiewer-Seite in Mariupol behaupten, während sich Donezker-Kräfte in Ilowajsk
und am zerstörten Flughafen Donezk durchsetzen konnten.
13
Dies gilt aber bei weitem nicht (wie es etwa die Bürgerlichen gerne glauben machen wollen) nur für den Don­
bass seitens Russland. Auch Poroschenko äußerte sich über diese „vorteilshafte“ Situation. Vgl. http://www.unian.
info/politics/1114423-poroshenko-russia-planned-to-annex-another-eight-ukrainian-regions.html (20.02.2016)
14
So forderten im März 2015 sowohl Igor Plotzniki (Volksrepublik Lugansk) als auch Alexander Sachartschenko
(Volksrepublik Donezk) von Deutschland und Frankreich einen Aufbau des Bankensektors in der Ostukraine.
12
26
Proletarische Revolution 62
sische „Oligarchen“, welche oft untereinander in
Rivalität und Konkurrenz
stehen. Derartiges geschah
in der Ostukraine mit dem
Kapital von Rinat Achmetow, der im Frühjahr 2014
aus der Stahlarbeiter-Belegschaft eine Truppe heraus rekrutierte die gegen
Betriebsversammlungen
vorging. So ist es Fakt, dass
sich die Kapitalisten beider
Seiten gegen Reformversuche (etwa der Verstaatlichung der Kohleminen)
ausgesprochen haben. Das
Eigentum der Kapitalistenklasse an den Produktionsmitteln soll nicht angetastet werden. Soll sich doch
die
ArbeiterInnenklasse
auf beiden Seiten niederschießen, Hauptsache der
Kapitalist kann seine Herrschaft erweitern.
Viele dieser Kapitalisten
weisen
auch
Verbindungen zu Faschisten oder
der organisierten Kriminalität auf. Enge Vertraute
von Präsident Poroschenko
(laut Forbes der 6. reichste
Ukrainer) verfügen über
Kontakte zu dem Mafiaboss Semjon Mogilewitsch.
Noch krasser ist der Milliardär Ihor Kolomojskyj –
ab März 2014 für ein Jahr
Gouverneur von Dnipropetrowsk, nach einem Zerwürfnis mit Poroschenko
aber abgesetzt – finanziert
er mit seinen Vermögen
neben den ukrainischen
Streitkräften
(vorrangig
die Luftwaffe) auch eine
Vielzahl von Milizen. Da-
runter das Dnipro
Bataillon welches
als seine private
Polizei
fungiert
sowie Donbas, Aidar, Asow, Dnepr
1 und Dnepr 2.
Das Dnipro Battalion erhielt bereits 10 Mio. USD Wahlergebnisse Okt.2014 nach regionalen Mehrheiten: Jazenjuk im Westen und
von ihm.15 Derzeit Mitte, Poroschenko im Norden und Süden, Oppositionsblock im Osten
existieren
etwa
Blackwater) oder Executive
30 Freiwilligenverbände
Outcomes geraten immer
von denen der bewaffnete
wieder wegen MenschenArm von Prawyj Sektor
rechtsverletzungen oder
allein etwa 5.000 Mann
Beteiligungen an Putschen
stellt.
in die Schlagzeilen. Sie
Neben faschistischen Mifungieren inzwischen als
lizen, der Armee und anmilitärische Steigbügelhalderen Freiwilligenverbänter für den ihnen jeweilig
den kämpfen auf beiden
zuzurechnenden ImperiSeiten auch eine Vielzahl
alismus, ohne dass dieser
ausländischer
Söldner,
unbedingt eigene Trupso etwa im Asow-Batailpenkontingente abstellen
lon (wohl auch deutsche
müsste. Sie stehen in AusNeonazis). Neben diesen
rüstungsgrad und Finanstellen auf Kiewer Seite
zierung kleineren Staaten
westliche PMCs (private
um nichts nach, weisen
military contractors) also
aber oft einen weitaus
bezahlte Söldnertrupps eihöheren Ausbildungsgrad
nen nicht geringen Anteil.
auf. Aber auch von rusOftmals handelt es sich
sischer Seite finden sich
um gut ausgerüstete ehederartige Unternehmen in
malige Angehörige von
der Ostukraine.
Spezialeinheiten, die neDie Revisionisten haben
ben Personenschutz und
nichts gelernt/verlernt
Werks/Objektschutz gerne
Die revisionistische KP der
auch zum Kampfeinsatz
Ukraine verbrachte die Zeit
herangezogen
werden.
zwischen 2013/14 mit erBereits 2014 berichtete
schütternder Anteilnahmsder Spiegel, dass sich 400
losigkeit am Protest. Ja es
ausländische Söldner der
kam sogar zur DiskreditieFirma Academi in der Ukrung aller Protestierenden
raine aufhalten und dabei
als „Faschisten“ und „Mörin Polizeiuniformen kämpder“17 Eine grundlegende
fen.16
Fehleinschätzung, ähnlich
Derartige Unternehmen
der Haltung zu Russland.
wie Academi (vormals
http://europe.newsweek.com/evidence-war-crimes-committed-ukrainian-nationalist-volunteers-grows-269604?
rm=eu (08.02.2016)
15
16
http://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-krise-400-us-soeldner-von-academi-kaempfen-gegen-separatistena-968745.html (07.02.2016)
27
Ukraine - Neokolonie und Kampfzone
Medienberichte zu den „antifaschistischen Volksrepubliken“ in der Ostukraine („Rovarossija“):
positiv in Lateinamerika, Afrika und Asien, negativ in Nordamerika, EUropa und Australien
Die Meinung, Russland sei
praktisch in den Konflikt
„hineingezogen“ worden
oder gar kein imperialistischer Staat, hält sich
noch immer in Teilen der
„Linken“. Diese Ansicht
wird gerade durch den
Nationalismus innerhalb
der revisionistischen KPs
befördert. Neben den russischen Imperialisten benützen eben auch die revisionistischen Parteien der
Region (KPU und KPRF)
derartige Formulierungen
oder
Diskreditierungen
des Protests an sich. In der
Konsequenz ergibt sich
der Fehler, dass man sich
dadurch auf Grund fehlender
Differenzierung,
auch hinter die Janukowitsch-Kapitalisten stellt
und das Vorgehen des
russischen Imperialismus
allgemein billigt. Es zeugt
auch von einer völligen
Fehleinschätzung der sozialen und ökonomischen
Komponente des Protests
sowie der Bedürfnisse der
ArbeiterInnenklasse. Die
Stellungnahmen der KPU
und der KPRF wirken in
Anbetracht der Tatsache,
dass es sich bei Russland
um ein offen kapitalistisch
und imperialistisch agierendes Land handelt, mehr
als widersprüchlich. Der
russische Imperialismus ist
historisch gewachsen und
fußt auf dem Sozialimperialismus der Chruschtschow
und Breschnew Ära. Allerdings sieht er sich seit der
vollen Restauration des
Kapitalismus
westlichen
Typs weiterhin einer Einkreisung
unterworfen.
Daher und um kulturelle
Bezugspunkte zu setzen
bedient er sich allzu gerne einer antifaschistischen
und antiimperialistischen
Rhetorik. Diese von den
Revisionisten
aufgegriffene Rhetorik ist aber
fern jeglicher marxistischleninistischer Kritik und
Bewertung der aktuellen
Lage. Mehr noch, sie ist
sogar die Verneinung des
leninschen Prinzips, dass
sich das Proletariat nie
einer
imperialistischen
Macht anschließen darf!
Nichtsdestotrotz
sehen
sich die linken Kräfte innerhalb der Ukraine einer massiven Repression
seitens des Staates und
der faschistischen Organisationen ausgesetzt. So
steht das Verbot der KPU
vom 16.12.2015 in einer
ganzen Reihe von legistischen Maßnahmen, welche sinnbildlich für eine
anti-kommunistische und
nationalistische Haltung
stehen. Im Mai 2015 etwa
wurde bereits das Verwenden von Symbolen der ArbeiterInnenbewegung untersagt.18 Im Juli wurde die
Partei schließlich von bürgerlich-demokratischen
Prozessen ausgeschlossen.
Weiters kommt es zusätzlich zu diesen Maßnahmen
ständig zu Aktionen seitens der Faschisten gegen
Linke. Prawyj Sektor führt
etwa Entführungen von
Funktionären durch, welche Tags darauf beim Verhör durch die Staatssicherheit wieder auftauchen.
Es kommt zu Hausdurchsuchungen oder schlicht
blanken Terror. Die linkskämpferische und antiimperialistische Organisation
Borotba sah sich auf Grund
massiver Repressalien, wie
etwa den Angriffen von
Faschisten auf ihre Büros,
gezwungen ihre Tätigkeiten in den Untergrund
zu verlagern. Das Borotba
Mitglied Andrej Brashewski z.B. wurde bereits zu
Tode geprügelt.19
http://www.workers.org/articles/2013/12/09/pro-imperialists-besiege-ukraine-communists-warn-fascist-coupattempt/ (07.02.2016)
17
18
Entsprechendes Gesetz verbietet sogar ein Singen der Internationale!
Das Parteiverbot der KPU sowie ihrer Abspaltungen wird inzwischen vor dem europ. Gerichtshof für Men­
schenrechte angefochten. Die Partei organisierte sich inzwischen bei der noch zugelassenen Dachorganisation
Linksopposition.
19
28
Proletarische Revolution 62
Bei diesen Maßnahmen
gegen die Organisationen
der
ArbeiterInnenklasse
bei gleichzeitiger Schonung, ja sogar Unterstützung rechtsextremer Kräfte zeigt sich wieder einmal die wahre Natur der
Beziehung des Faschismus
und des Kapitals zu einer
Diktatur des Finanzkapitals. Die bewaffneten Faschisten und ihre Organisationen, Hand in Hand mit
den anderen bürgerlichen
Parteien, ebnen den Weg
für die imperialistischen
Mächte und eine ihnen
hörige Bourgeoisie, indem sie vermeintliche und
wirkliche Widerstände in
der Ukraine beseitigen.20
Die Rolle des
österreichischen Kapitals
Seit März 1992 engagiert
sich die Raiffeisen-Bank in
der Ukraine und hat sich
(laut
Selbstdarstellung)
mit ihrer Tochtergesellschaft Aval eine „Spitzenposition“ im ukrainischen
Bankensektor verschafft.
In der Vergangenheit haben die dort vertretenen
österreichischen Banken
(RBI, Erste und Bank Austria) massiv Fremdwährungskredite
vergeben.
Laut Moodys belauft sich
die Summe der ausgegebenen Kredite auf 8 Mrd.
Euro. Im Zuge der Währungsentwertung
kam
es in der letzten Zeit zu
einem Verlustgeschäft.21
Zwischen 2013 und 14 verringerte die RBI bereits die
20
Beteiligungen in der Ukraine um 30%. Auch die
Unicredit verkaufte jüngst
erst die ukrainische Tochter Ukrsotsbank.22 2009
bewertete die Deutsche
Bank die Ukraine noch als
„ideale
Bankplattform“
mit
„Wachstumschancen“.23 Die Tätigkeiten
der Banken im Land sind
vielseitig, von der Ausgabe von Krediten und der
Einlage von Vermögen –
beides momentan bei den
UkrainerInnen
weniger
der Fall, reichen sie bis zur
Ermöglichung von Kapitalflucht und Spekulationsgeschäften mit ukrainischen
Staatsanleihen. Grundsätzlich lässt sich derzeit eher
von einem Rückzug des österreichischen Kapitals aus
dem Land sprechen.
Die Situation in der Ukraine ist gerade deshalb von
wichtiger Bedeutung, weil
sie sich zwischen den imperialistischen Riesen und
ihren Lakaien bewegt:
Dem US-Imperialismus und
bestimmten EU-Imperialisten einerseits und dem
erstarkenden
russischen
Imperialismus
andererseits. Um nicht von dem
einen oder dem anderen
erdrückt zu werden, muss
sich die ukrainische ArbeiterInnenklasse ihrer Position in diesem für den europäischen Raum entscheidenden Konflikt bewusst
werden, um selbstständig
auftreten zu können. Keine leichte Sache, zumal
die rechten Kräfte stark
sind und dies verhindern
möchten. Aber nicht nur
das, der faschistische Mob
marschiert, terrorisiert und
tötet! Dazu muss sich ein/e
jede/r positionieren! Aber
wie können die fortschrittlichen Kräfte in Österreich
die katastrophalen Entwicklungen in der Ukraine
effektiv bekämpfen? Indem wir vor allem die imperialistischen Praktiken
unseres eigenen Landes
angreifen! Dieser bürgerliche Staat hat sich durch
Ausbeutung und Knechtschaft bereits viele Völker, vor allem in Ost- und
Südost Europa, zum Feind
gemacht. Von der eigenen
Bevölkerung gar nicht zu
reden. Diese „OsteuropaOffensive“ des österreichischen Imperialismus gilt
es vorrangig zu stoppen!
Wer Geld für den Widerstand
spenden möchte: Die deutschen
Rote Hilfe e.V. hat ein eigenes
Hilfskonto für in der Ukraine ver­
folgte AntifaschistInnen:
Spendenkonto Rote Hilfe e.V.
IBAN: DE25260500010056036239
BIC:NOLADE21GOE
Stichwort: Antifa Ukraine
http://www.rote-hilfe.de/presse/bundesvorstand/560-stellungnahmeder-roten-hilfe-e-v-zur-spendenkampagne-fuer-verfolgte-antifaschistinnen-in-der-ukraine
Vgl. Stellungnahme der Union Borotba zum 1.Mai in PR60
http://derstandard.at/1392686643801/Oesterreichs-Banken-von-Wirren-in-Ukraine-schwer-getroffen (08.02.
2016)
21
http://derstandard.at/2000028865544/UniCredit-schliesst-Abkommen-fuer-Verkauf-der-Ukraine-Tochter-ab
(08.02.2016)
22
23
https://www.deutsche-bank.de/presse/de/content/presse_informationen_2009_4620.htm (08.02.2016)
29
KP Griechenland (marxistisch-leninistisch):
Flugblatt der KKEml, Februar 2016 – eigene Übersetzung aus dem Englischen
Nein zu den NATO-Operationen in der Ägäis!
Der Einsatz einer
starken
NATOSeestreitmacht
mit
Luftunterstützung in der
Ägäis „zur Überwachung der Migrant/innen-Wellen“, wie es in der
Resolution heißt,
stellt eine gefährliche und reaktionäre Entwicklung
für unser Volk genauso wie für die
Völker der Region
dar.
- Es bedeutet eine
klare Einmischung der
NATO in die zunehmende
imperialistische Konfrontation und Intervention
in Syrien und im Nahen
Osten, eine sehr gefährliche Entwicklung in einer
Zeit, wo die vorgeschlagene aber zweifelhafte
Feuerpause begleitet wird
von fortgesetzten Bombardements und Drohungen mit einer Ausdehnung
des Krieges.
- Es verstärkt das Drama
der Flüchtlinge, die von
den Bombardements und
Massakern der Imperialisten und ihrer Marionetten
in Syrien vertrieben werden und dann auf NATOKriegsschiffe stoßen, wodurch sie zu Werkzeugen
in der Konfrontation und
für die Ziele der Imperialisten und Regionalmächte
werden.
- Es eröffnet einen sehr gefährlichen Weg für unser
Land und sein Volk, da wir
direkt in die NATO-Kriegspläne verwickelt werden,
und auch weil wieder Fragen der Souveränität in
30
der Ägäis und Konfrontationen zwischen der türkischen und der griechischen
Bourgeoisie aufgeworfen
werden. Die SYRIZA-ANELRegierung hat nach ihrem
„Angebot“ für eine neue
U S - N AT O - M i l i t ä r b a s i s
die USA als „wertvollen
Freund“ bezeichnet und
mit der Stärkung der USgestützten israelisch-ägyptischen Achse einen weiteren Schritt in Richtung
verstärkter Abhängigkeit
gesetzt.
- Es ist ein Schritt vorwärts
in Richtung einer vollständigen Unterwerfung unter
die Forderungen der EU„Partner“ (Deutschland,
Frankreich) und dem transatlantischen „Verbündeten“ (USA), den Kriegsfalken, den Geiern, die unser
Volk ins Elend treiben.
Die Kommunistische Partei Griechenlands (marxistisch-leninistisch) verurteilt diese gefährliche Entwicklung und ruft unser
Volk auf, den antiimperialistischen und AntikriegsKampf zu verstärken. Wir
müssen dem Kampf unseres Volkes für Brot eine antiimperialistische Orientierung geben. Wir müssen
unsere Solidarität mit den
Migrant/innen und Flüchtlingen ausdrücken, indem
wir unseren gemeinsamen
Feind angreifen. Wir müssen hinarbeiten auf die
Schaffung einer alle Völker
umfassenden Widerstandsfront gegen den Angriff
des Systems und Regimes
der Unterwerfung.
Für eine Volksfront gegen
Imperialismus und Krieg!
US-NATO-EU-IMF raus aus
Griechenland!
Solidarität mit den Flüchtlingen und Migrant/innen!
KKE(ml)
Internationales Büro
Athen, 16. Februar 2016
info@kkeml.gr
Emmanouil Benaki Str. 43,
Athen 10678,
Griechenland
Proletarische Revolution 62
Klassenkämpfe in Griechenland und
Frage der sozialistischen Revolution
Sobald Syriza die Regierungsgeschäfte in Athen
übernommen und durch
ihre Politik de facto zum
geschäftsführenden politischen Ausschuss des Finanzkapitals
geworden
war, wurde aus einer reformistischen Partei, die
den Klassenkampf in die
parlamentarische Sackgasse führte, ihn abwürgte
und der Arbeiter/innenklasse eine schwere Niederlage bereitete, eine
offen arbeiter/innen- und
volksfeindliche Partei. Der
Verrat sogar am eigenen,
ohnehin
systemverträglichen Wahlprogramm hatte sofort nach den Wahlen
im Jänner 2015 begonnen,
aber allerspätestens nach
der Volksabstimmung im
Juli war er unübersehbar
geworden1.
Dennoch wurde diese Politik von vielen „Linken“
fast das ganze Jahr 2015
hindurch beschönigt und
gerechtfertigt. Wie konnten so viele die Augen
davor verschließen, dass
Syriza aus einem „falschen
Freund“ zur politischen
Repräsentanz des Klassenfeinds geworden war?
Natürlich ist es nicht immer leicht, sich von Vorurteilen zu lösen und einen
gewissen Tunnelblick zu
überwinden, auch ist es
natürlich so, dass wir hier
in Österreich in erster Linie unsere imperialistische
Bourgeoisie und ihre Rolle
in Griechenland bekämpfen müssen und aus dieser
beschränkten Perspektive
kann leicht, zumal die im-
1
perialistische Propaganda
die ganze Zeit weiter gegen Syriza hetzte, diese
als unschuldiges Opfer erscheinen. Trotzdem dürfen
nicht ewig die Augen vor
der traurigen Realität verschlossen bleiben.
Es geht dabei aber auch
um die grundsätzliche Frage, wie der Klassenkampf
betrachtet und welche
Perspektive ihm zugemessen wird. Was Griechenland betrifft, ging es (und
geht es noch) dem Wesen
der Sache nach darum,
wie jemand sich entscheidet angesichts des Scheidewegs: Soll sich eine
Massenbewegung wie die
in Griechenland auf eine
revolutionäre Perspektive
hin entfalten oder soll sie
sich in ein reformistisches
Fahrwasser, in die Kapitulation und Niederlage
manövrieren lassen? Vor
diesem Scheideweg stand
die griechische Arbeiter/
innenbewegung - Syriza,
eine zutiefst kleinbürgerliche Reformpartei, stand
nie vor dieser Frage. Sie
hatte niemals weder eine
revolutionäre
Orientierung, noch einen wie immer gearteten „Sozialismus“ auf ihre Fahnen geschrieben. Mit einer Syriza
bräuchte daher eine solche
Auseinandersetzung nicht
geführt werden - aber
sich mit falschen Auffassungen innerhalb der sich
für revolutionär oder dem
Sozialismus zugeneigt betrachtenden „Linken“ auseinanderzusetzen ist notwendig.
„Kleineres Übel“, „unreife Lage“, „Gefahr des Faschismus“ ...
Die Argumente, die zur
Rechtfertigung der SyrizaPolitik vorgebracht wurden und teils immer noch
werden, sind allesamt nicht
neu und werden seit jeher
oft und gerne aus der ideologischen Werkzeugkiste
der Bourgeoisie gezogen.
Das wichtigste Argument
ist das vom „kleineren
Übel“. Bekanntlich gibt es
immer und überall ein jeweils „kleineres Übel“, das
geschluckt werden müsse,
um das größere zu vermeiden. Im Fall Griechenlands lautet das so: Dem
griechischen Volk ginge es
bereits derart verheerend,
dass Syriza unbedingt an
der Regierungsmacht gehalten werden müsse,
denn sie sei trotz alledem
immer noch besser, schütze das Volk immer noch
eher vor dem Ärgsten als
PASOK, ND und Konsorten. Den „Luxus“ einer
auf einen revolutionären
Umsturz gerichteten oder
auch nur einer radikal
antikapitalistischen
und
anti-neokolonialen Politik,
mit unwägbaren Risken
behaftet oder außerdem
realitätsfernen „Spekulation“, könne sich die Arbeiter/innenklasse dagegen
in so einer Lage nicht leisten. Es kam freilich wie es
kommen musste. Allerspätestens seit Oktober 2015
ist offensichtlich, dass
sich das „kleinere Übel“
in Griechenland rasch als
mindestens so schlimm he-
Zur Syriza und der Entwicklung in Griechenland siehe die Beiträge in der PR 61 aus Dezember 2015.
31
Griechenland - Klassenkampf und Revolution
rausstellt wie das frühere
und neuerlich befürchtete
größere. Syriza war schon
seit längerem zum Übel,
wenn auch nach Ansicht
vieler, zum „kleineren
Übel“ geworden, aber die
Vorschläge der Syriza vom
Juli (Vorschläge der Syriza,
nicht der „Troika“!), das
darauf folgende schulterklopfende und gleich nochmals aggressivere „Memorandum“ der Troika vom
August und seither dessen
Umsetzung durch Syriza im
Schnellzugstempo stellen
sogar die bisherige neokoloniale Unterwerfung und
arbeiter/innen- und volksfeindliche Politik in den
Schatten. Auf die Schandtaten der Vorgängerregierungen wurde noch eins
draufgesetzt. Der Verrat
als solcher überraschte
nicht, ein Blick auf das Parteiprogramm und dann
vor allem die Politik der
ersten Wochen genügte,
um damit zu rechnen. Was
aber überraschte, war das
Tempo und die „Radikalität“ des Verrats. Die düpierte Arbeiter/innen- und
Volksbewegung lag von
jahrelangem Kampf erschöpft und frustriert am
Boden und bekam durch
Syriza nochmals eins übergezogen. Dieser verheerende (wenn auch sicher
nur vorläufige!) Ausgang
jahrelanger Kämpfe bestätigt zum x-ten Mal die
Erfahrung der Arbeiter/
innenbewegung, dass die
Interessen der Arbeiter/innenklasse und des Volkes
nur im Klassenkampf gegen ihre Feinde im Betrieb
und auf der Strasse gewahrt bzw. durchgesetzt
werden können und dass
dieser - wenn er letztlich
erfolgreich sein soll - unter
32
einer revolutionären Perspektive geführt werden
muss, weil nur der Sturz
der Bourgeoisie und die
Überwindung des kapitalistischen Systems zur Abschüttelung der Ausbeutung und Unterdrückung
und des neokolonialen
Jochs führen kann. Alle
Kapitulation gegenüber
dem Klassenfeind und alle
diese fiesen „kleineren
Übel“ führen dagegen zur
Unterordnung unter die
Bourgeoisie, zur Kapitulation, zur Niederlage. Das
Märchen vom „kleineren
Übel“ soll nur die Massen
vom Kampf um ihre eigenen, denen der Bourgeoisie antagonistisch entgegengesetzten Klasseninteressen abhalten und das
Bourgeoisregime bzw. im
griechischen Fall auch das
neokoloniale Regime stabilisieren oder retten.
Andere, die es nicht mehr
übers Herz bringen, der
Syriza die Stange zu halten, bringen eine „linke“
Variante der systemaffirmativen und gegen jegliche revolutionäre Orientierung gerichteten Argumentation vor, sie anerkennen zwar „prinzipiell“
die Notwendigkeit einer
radikalen „Systemkritik“,
manche betonen vielleicht
auch inbrünstig ihr „sozialistisches Herz“, sie halten
aber dennoch eine revolutionäre
Orientierung
des Klassenkampfs (d.h.
eine Orientierung auf die
Revolution, auf den Sturz
der Bourgeoisie, nicht auf
irgendeinen
„revolutionären“ Schmarren) für
„nicht realistisch“, entweder heutzutage überhaupt
nicht (mehr) oder jedenfalls nicht „unter den ge-
gebenen
Umständen“.
Jede „revolutionäre Zuspitzung“ sei zu „gefährlich“, insbesondere immer
„jetzt“ - es dürfe nämlich
der griechischen Bourgeoisie und dem internationalen Finanzkapital nicht
zu nahe getreten oder sie
gar provoziert werden! Sie
schwenken daher folgerichtig auf systemverträgliche Reformpolitik à la
Syriza und reformistische
Pseudo-Auswege aus der
neokolonialen Abhängigkeit ein - und das vor lauter Ängsten und Sorgen
umso mehr, je zugespitzter
die Lage ist.
Oft handelt es sich dabei
sogar - jedenfalls in der
Phrase - um „Antikapitalisten“ und sogar „Marxisten“, die Gründe suchen, warum der Klassenkampf in Griechenland als
einzig möglicher Ausweg
aus der Misere nicht auf
die sozialistische Revolution orientiert und ganz
generell der Klassenkampf
nicht zugespitzt werden
dürfe. Auch das ist nicht
neu, es gibt immer „Gründe“ dafür, warum das, was
zwar „prinzipiell möglich“
ist, „jetzt“ eben nicht möglich ist, insbesondere wenn
sich die Lage zuspitzt und
es eigentlich um die Nagelprobe der „Systemkritik“, nämlich in der Praxis,
ginge. Sogar unmittelbar
vor revolutionären Erhebungen, ja sogar erfolgreichen Revolutionen wie
z.B. der Oktoberrevolution in Russland 1917 gab
es solche „Gründe“. Es ist
immer dasselbe: das eine
Mal sind Land und Lage
dafür subjektiv noch nicht
reif (also das Klassenbewusstsein und die Klassen-
Proletarische Revolution 62
organisation), das andere
Mal stehen übermächtige
Feinde dem entgegen2,
das dritte Mal gibt es noch
einen anderen Grund und
am besten alles zusammen. Aber selbst unter den
ungünstigsten und schwierigsten Bedingungen und
auch in nicht-revolutionären Zeiten geht es um
den Scheideweg: Soll eine
Massenbewegung wie die
in Griechenland auf eine
revolutionäre Perspektive
hin entfaltet werden oder
soll sie - unter welchem
Vorwand auch immer - in
ein reformistisches Fahrwasser manövriert werden? Dabei ist der Reformismus, das Fassadenrenovieren, das Aufpflastern
neuer Tapeten auf verschimmelte Mauern die so
ziemlich unrealistischeste
Perspektive für eine wirkliche Verbesserung der
Lage.
Manche, weniger „links“
stehend, projizieren die
bornierte Beschränkung
ihrer
Kapitalismuskritik
auf „Finanzhaie und Spekulanten“ auch auf Griechenland: so wie die „Empörten“ und „Occupier“
anderswo sollten auch
die Griechen nur an der
Fassade des Systems herummachen. Mit solchen
Leuten kann an und für
sich schwerlich über die
Notwendigkeit der Beseitigung des Kapitalismus (des
kapitalistischen Systems,
nicht einiger „Exzesse“
dieses Systems!) und die
sozialistische Revolution
diskutiert werden, aber
vielleicht können trotzdem einzelne davon überzeugt werden, dass der
Kampf für einen Kapitalismus mit „menschlichem
Antlitz“ ein Kampf gegen
Windmühlen und ein Hirngespinst ist.
Noch ein anderes Argument gegen den Klassenkampf im Allgemeinen
und einen revolutionären
Weg im Klassenkampf im
Besonderen besteht in
der Faschismuskeule. Würde Syriza nicht gewählt,
heißt es, und würde der
Klassenkampf nicht abgemildert, sondern weiter
verschärft und mit ihm
die „wirtschaftliche Lage“
(die der Bourgeoisie und
ihres Staates wohlgemerkt!), würde der Volkszorn nicht in geordnete
parlamentarische Kanäle
gelenkt, würde also die
bourgeoise
„Ordnung“
gefährdet, würde das Diktat der EU nicht akzeptiert
usw. - dann drohten Chaos und Zusammenbruch,
es wüchse der Einfluss
der Faschisten des „Goldenen
Morgengrauen“,
es bestünde die Gefahr
eines
ultrareaktionären
oder gar faschistischen
Auswegs der Bourgeoisie
usw. Anders gesagt: Damit die Bourgeoisie, im
griechischen Fall die griechische im Verbund mit der
internationalen
Finanzbourgeoisie, nicht zum
Faschismus greift, muss ihr
nachgegeben werden, sodass sie ihre Ziele ohne Faschismus erreicht. So eine
„Taktik“ war immer schon
der größte Holzweg. Noch
nie haben Zurückhaltung
und Nachgeben gegenüber der Reaktion zu deren
Mäßigung geführt, ganz
im Gegenteil, wie wir gerade am Beispiel Griechenlands im Sommer 2015
wieder gesehen haben.
Wir sind im Gegenteil der
Auffassung, dass der Bourgeoisie, die ja hinter dem
Faschismus steckt, im Klassenkampf entgegengetreten werden muss und der
Vormarsch des Faschismus
nur dadurch gestoppt
werden kann. Reaktion
und Bourgeoisie verstehen
nur eine Sprache, die des
Klassenkampfes und letztlich die der revolutionären
Gewalt.
... oder revolutionäre Perspektive
Keines dieser Argumente,
sich nicht strategisch auf
einen revolutionären Ausweg aus der Krise, also auf
die Vorbereitung einer sozialistischen Revolution zu
orientieren, ist stichhaltig.
Selbstverständlich war in
Griechenland, selbst als die
Massenbewegung noch im
Aufschwung war, also vielleicht bis 2013 oder längstens 2014, noch lange
keine revolutionäre Situation entstanden, also eine
Situation, in der objektiv
die herrschende Klasse
nicht mehr so wie bisher
weiter herrschen konnte
Nur dass Griechenland „objektiv noch nicht reif“ für die sozialistische Revolution sei, indem es noch Reste
vorbürgerlicher Produktionsverhältnisse gäbe, die „zuerst“ überwunden werden müssten, bevor es zur sozi­
alistischen Sache gehen könnte, behauptet wohl heute niemand mehr (vor dreißig, vierzig Jahren übrigens
schon noch, wegen der vielen bäuerlichen Clans usw.!). Allerdings läuft es auf dasselbe hinaus, wenn jemand
glaubt, dass eine Überwindung der neokolonialen Abhängigkeit in einer der sozialistischen Revolution vorge­
lagerten Etappe noch ohne Sturz der Bourgeoisherrschaft möglich sei.
2
33
Griechenland - Klassenkampf und Revolution
und die ausgebeutete und
geknechtete Klasse nicht
mehr so wie bisher weiter leben wollte. Auch die
subjektiven Bedingungen
waren längst nicht reif
dafür, das Klassenbewusstsein trotz heftiger Kämpfe
zu wenig geschärft und
entwickelt und vor allem
gab es noch keine ausreichend starke revolutionäre
kommunistische Führung,
keine ausreichend starke
marxistisch-leninistische
Partei, ohne die sowieso
gar nichts an zielstrebiger
und anhaltender Entfaltung des Klassenkampfes
geht. Die sozialistische Revolution ist zwar die historisch in Griechenland anstehende strategische Aufgabe, aber sie stand nicht
auf der praktischen Tagesordnung in dem Sinn, dass
sie unmittelbar angepackt
werden könnte. Bloß, darum geht es ja gar nicht,
sondern es geht darum,
dass die Klassenbewegung
selbst in jeder noch so beschissenen Situation auf
Basis einer im Hinblick auf
das strategische Ziel ausgearbeiteten Taktik auf
eine revolutionäre Perspektive hin entfaltet werden muss. In einer bereits
revolutionären Situation
geht es unmittelbar um
die Revolution, d.h. die Ergreifung der Staatsmacht
und die Zerschlagung des
bürgerlichen Staatsapparats. In einer noch nicht
revolutionären Situation
(und selbst bei einer noch
viel weniger als im Griechenland der letzten Jahre
entfalteten Massenbewegung) geht es darum, die
Kräfte der Revolution ide-
ologisch, politisch, organisatorisch, auch militärisch3
zu stärken, um diesem Ziel
näher zu kommen, wobei
der Aufbau einer Partei,
die den Klassenkampf führen, auf ein bewussteres
Niveau heben und ihm
Rückgrat verleihen kann,
im Mittelpunkt steht. Eine
wirklich radikal antikapitalistische, d.h. auf den
revolutionären
Ausweg
verweisende Propaganda,
das praktische Eingreifen
bzw. Organisieren der Tageskämpfe auf so einer
Linie, unter Losungen und
Forderungen, die auf radikale Besserung der Lage
und auf den Umsturz der
bestehenden Verhältnisse
zielen, der Partieaufbau,
kein Aufgehen in reformistischen,
parlamentarischen, pazifistischen Illusionen - darum geht es.
Darum geht es immer, in
jeder Situation, es geht
immer um das Hinarbeiten
auf das strategische Ziel
der sozialistischen Revolution, denn nie können
die Interessen und Ziele
einer demokratischen, antifaschistischen, antiimperialistischen, antikapitalistischen Massenbewegung
konsequent durch- bzw.
umgesetzt werden ohne
den radikalen Umsturz
der bestehenden kapitalistischen Verhältnisse.
Wenn sich eine revolutionäre Situation entwickelte ...
Dem reformistischen, spontaneistischen, anarchistischen oder sonstigen Kritiker einer solchen Sicht ist
das alles natürlich fremd,
erstens
überhaupt
zu
kommunistisch (er würde
wahrscheinlich
„stalinistisch“ sagen) und zweitens zu weit von der heutigen Realität entfernt, als
dass er dafür das geringste Interesse entwickeln
könnte. Aber sobald jemand erkennt, dass es nur
einen wirklichen Ausweg
aus der Hölle des Kapitalismus und Imperialismus
gibt, nämlich den, ihn zu
stürzen, also die sozialistische Revolution, dass
es also, sollte es nicht bei
der reformistischen und
illusionistischen Flickschusterei bleiben, keine andere klassenkämpferische
Alternative gibt als die
sozialistische Revolution,
dass das seinerzeit von
Rosa Luxemburg geprägte
Wort „Sozialismus oder
Barbarei“ eine immer bedrohlichere Wahrheit ist
- wenn das erkannt wird,
dann ist es naheliegend,
auch weitergehende Überlegungen über Entstehen
und Entwicklung einer
revolutionären Situation
sowie Bedingungen einer
revolutionären Erhebung
anzustellen. Nicht dass wir
glauben, wir würden damit morgen oder übermorgen praktisch konfrontiert,
aber irgendwann werden
wir damit konfrontiert
werden. Der Klassenkampf
verschärft sich in aller historischen Regel oft unerwartet rasch und heftig,
z.B. 1968 in Frankreich,
aber auch in den letzten
Jahren in Griechenland.
Das macht noch keine revolutionäre Situation aus,
aber auch durch so eine Situation muss mit einer kla-
Arbeiter/innen- und Volksmilizen zum Schutz gegen den Gewaltapparat des Staates und zur Abwehr faschi­
stischer Übergriffe, schrittweiser Aufbau militärischer Formationen (wie es z.B. in der Zwischenkriegszeit der
Rotfrontkämpferbund der KPD oder die Österreichische Arbeiterwehr der KPÖ.
3
34
Proletarische Revolution 62
ren revolutionären Strategie und Taktik durchgesteuert werden, durch eine
tatsächlich revolutionäre
Situation erst recht. Dazu
müssen wir uns, soweit das
heute schon sinnvollerweise möglich ist, rechtzeitig
mit den strategischen und
taktischen Fragen der Revolution beschäftigen.
Nehmen wir also, obwohl zugegebenermaßen
schwer vorstellbar unter
den heutigen Umständen
in Europa, aber für die
Zukunft so sicher wie das
Amen im Gebet, an, es
käme eines Tages in einem
europäischen Land wie
z.B. Griechenland dazu,
dass eine revolutionäre
kommunistische
Partei
auf Basis einer mächtigen
revolutionären
Massenbewegung und in einer
revolutionären Krise vor
der Möglichkeit stünde,
die Staatsmacht an sich
zu reißen (nicht natürlich
durch parlamentarisches
Gewusel, sondern durch
die Machtergreifung im
revolutionären Aufstand).
Könnte bzw. sollte sie
dann wagen, das in Angriff zu nehmen?
Zunächst einmal setzen
wir hier voraus eine mächtige und wirklich revolutionäre Massenbewegung
und eine wirklich revolutionäre Situation. Eine solche Situation, eine solche
revolutionäre Zuspitzung
der
Klassenwidersprüche war in Griechenland
- trotz heftiger Klassenkämpfe - zu keinem Zeitpunkt gegeben. Weder
erreichte die „Krise“ der
Bourgeoisie einen solchen
Punkt der Zersetzung ihrer
Macht, noch gab es eine
tatsächlich revolutionäre
Arbeiter/innenbewegung,
das heißt eine unter revolutionär kommunistischer
Führung. Also waren weder die objektiven noch die
subjektiven Bedingungen
für eine revolutionäre Erhebung gegeben. Aber
nehmen wir an, die griechische
Arbeiter/innenbewegung nähme einen
neuen Anlauf und es entstünde eine vorrevolutionäre Situation. Was dann?
Nach vorwärts blicken oder
nach rückwärts? Sind die
objektiven Bedingungen
für die Revolution trotz
Massenrevolten dennoch
noch nicht gegeben, erübrigt sich die Frage nach der
praktischen Inangriffnahme der Revolution. Wenn
ja, stellte sich die nächste
Frage: Sind auch die subjektiven Bedingungen so,
dass die Machtergreifung
durch einen bewaffneten
Aufstand (ohne Waffengewalt geht gar nichts!)
ins Auge gefasst oder sogar in Angriff genommen
werden könnte? Sind sie
ebenfalls gegeben, sicher
noch nicht vollständig im
gegebenen Moment, das
ist nie so, aber absehbar
in der Perspektive, dann
heißt das, auf diesen Aufstand Kurs zu nehmen
bzw., wenn die vorrevolutionäre in eine revolutionäre Situation übergeht,
ihn zu wagen.
In jeder beliebigen vorrevolutionären oder revolutionären Situation treten
nun aber in großer Zahl
„linke“ Leute auf, die, obwohl ihr Herz angeblich für
den Sozialismus schlägt,
vor dem einzig möglichen,
dem revolutionären Weg
zum Sozialismus zurückschrecken, und zwar umso
mehr, als diese Perspektive
näher rückt, und nichts anderes mehr zu tun haben,
als vor „verantwortungslosem Abenteurertum“ zu
warnen.
Warum meinen sie das
bzw. welche Vorwände
schieben sie vor? Hauptargumente ist immer erstens
die angeblich fehlende Bewusstheit und „Reife“ der
Arbeiter/innenbewegung an der sie übrigens jahraus,
jahrein tatkräftig gearbeitet haben, die sich aber
ihnen zum Trotz in revolutionären Zeiten sprunghaft steigert. Zweitens der
verängstigte Hinweis auf
eine Übermacht des ideologie- und waffenstrotzenden Feindes. Im Falle
der revolutionären Krise
wäre allerdings der Feind,
auch sein Gewaltapparat,
nicht mehr so übermächtig
wie heute. Er erscheint ja
heute nur so übermächtig,
weil ihm keiner entgegen
tritt.4 Treten ihm einmal
erhebliche
Abteilungen
der Arbeiter/innenklasse
und des Volkes unter einer
revolutionären Führung
entgegen und entsteht
eine revolutionäre Situation, dann zersetzt, desorganisiert und spaltet sich
die Feindesmacht, während zugleich die revolutionäre Arbeiter/innenbewegung sich radikalisiert,
Wir reden hier von Klassenkampf im Inneren. Auf der internationalen Ebene erleben wir ständig, welche Mühe
die Imperialisten bei ihrem Versuch, die Welt zu beherrschen, haben und was für Papiertiger sie sind, wie sie
trotz ihres Waffenarsenals eine Niederlage nach der andern einfahren (Afghanistan, Irak, Somalia, Libyen ...).
Auch in Syrien sind wenigstens die westlichen Imperialisten am Ende ihres Lateins.
4
35
Griechenland - Klassenkampf und Revolution
organisiert,
bewaffnet.
So ein Szenario ist keine
Phantasie, sondern genau
so war der Ablauf noch in
jeder wirklichen Revolution, so war es schon bei
der (bürgerlichen) Französischen Revolution 1789
gewesen, so war es 1871
bei der Pariser Commune
und so war es 1917 bei der
Oktoberrevolution. Was
gerade noch unvorstellbar war, wird in kürzester
Zeit Realität.
Was können sie sonst noch
gegen die Revolution anführen? Vermutlich die
imperialistische
Einkreisung des Landes. Das ist
eine Frage, die ernsthaft
geprüft werden muss,
aber ebenfalls in einem
revolutionären und nicht
in einem reformistischen
Geist.5 In der Tat ist es
zwar so, dass die Entwicklung des Klassenkampfes
in den verschiedenen Ländern ungleichmäßig und
ungleichzeitig
verläuft,
aber so voneinander unabhängig auch wieder nicht,
dass der Aufschwung einer
mächtigen revolutionären
Bewegung in einem Land
ein ganz isoliertes Ereignis
bliebe und es nicht auch
gleichzeitig einen Aufschwung der Klassenkämpfe und der revolutionären
Bewegung in dem einen
oder anderen weiteren
Land gäbe (speziell vielleicht in den Nachbarländern, was besonders wichtig wäre). Dazu kommt,
dass ein Aufschwung des
Klassenkampfes und erst
recht eine revolutionäre
Erhebung in einem Land
auch den Klassenkampf
in anderen Ländern direkt beflügelt6. Längst
vor einer revolutionären
Erhebung schon strahlen
heftige Klassenkämpfe in
einem Land aus auf andere
Länder, darunter vielleicht
die Nachbarländer, um
wie viel mehr täte das eine
tatsächliche revolutionäre
Erhebung. Sie erhielte dadurch auch internationale
Unterstützung.
Gerade
zwischen
Griechenland
und den Balkanländern
gibt es und gab es schon
in den letzten Jahren in
gewissem Maß eine solche
Wechselbeziehung,
eine Beziehung, die sich
bei weiterer Zuspitzung
der kapitalistischen Widersprüche in der Region und
einer revolutionären und
zugleich internationalistischen Bewegung in Griechenland sicher intensiviert hätte. Kurzum: Wenn
eines Tages in einem Land
wie Griechenland die sozialistische Revolution auf
der Tagesordnung stünde,
dann stünde die Arbeiter/
In den Diskussionen in der nepalesischen PCNU(m) spielte diese Frage vor der Machtübernahme durch ei­
nen revisionistischen Flügel und der Spaltung der Partei (2013) eine große Rolle: Ist eine Revolution in Nepal
möglich angesichts der Bedrohung durch Indien? Die Revisionisten entschieden sich gegen die Revolution,
unter anderen mit diesem Argument, die Revolutionär/innen gingen davon aus, dass eine siegreiche nepa­
lesische Revolution eine große Ausstrahlung auf Indien, vor allem auf die Grenzgebiete, mit denen es viel­
fältige Verflechtungen gibt, haben und den Volkskrieg der indischen Genossen der CPI(m) beflügeln würde,
sodass es der indischen Reaktion schwer fallen würde, militärisch gegen ein revolutionäres Nepal vorzuge­
hen, zumal Indien nicht der einzige äußere Akteur in Nepal ist. Bzw. dass ein solches militärisches Vorgehen
zu enormer Verschärfung der Klassenkämpfe in Indien führen würde. Die nepalesischen Genossen wiesen
damals daraufhin, dass für die Revisionisten „die Bedingungen immer ungünstig sind“.
5
Z.B. haben die Klassenkämpfe in Frankreich ab dem 3. Mai 1968 und der wochenlange Generalstreik von
14. Mai bis 18.Juni oder der „heiße Herbst“ 1969 in Italien die revolutionäre kommunistische und die Ar­
beiter/innenbewegung der anderen europäischen Länder beflügelt. Ein paar Funken sind sogar nach Öster­
reich geflogen und haben nicht nur die revolutionäre Studentenbewegung, sondern auch klassenbewusste
Arbeiter/innen angespornt und gestärkt - wie an Umfang und an der größeren Bewusstheit und Entschlos­
senheit der Streiks der folgenden Jahre gesehen werden konnte (nicht allerdings an der ÖGB-Streikstatistik,
denn die meisten der Streiks in den frühen 1970er Jahren waren „wilde Streiks“).
6
36
Proletarische Revolution 62
innenklasse dieses Landes
nicht alleine. Auch die Arbeiter/innenklasse anderer Länder leidet nämlich
unter derselben kapitalistisch-imperialistischen
Ausbeutung und neokolonialen Abhängigkeit.7
Wenn es zu einer
revolutionären
Erhebung käme ...
Dazu kommt noch eine
andere Lehre aus der Geschichte.
Revolutionäre
Situationen und Erhebungen entwickeln sich
nicht nach irgendeinem
Schema von pedantischen
Kleingeistern, sondern aus
der plötzlichen Zuspitzung
bestimmter Widersprüche
und aus Massenbewegungen heraus. Sie sind
keine
„Willensentscheidungen“ der Revolutionäre, sie sind „unkontrollierbar“, wild, Gräuel
jedes Reformisten. Es gibt
in der Geschichte nicht
selten den Fall, dass trotz
schwieriger bis widriger,
manchmal sogar außerordentlich widriger Umstände Massenrevolten ausbrechen und eine Qualität
erreichen, die die Revolution - wenn auch unter
schlechten Bedingungen
- auf die Tagesordnung
setzen8 - in so einem Fall
müssen sich die Kommunisten trotz aller widrigen
Bedingungen an die Spitze
dieser Bewegung setzen
und sie so weit als möglich
vorantreiben. Und die internationale revolutionäre
kommunistische
Bewegung müsste zusammen
mit allen Kräften, die gegen den Neokolonialismus
und eine Niederschlagung
der Volksbewegung auftreten, die Unterstützung
durch die internationale
Arbeiter/innenklasse und
die Völker, vor allem die
der Nachbarländer, organisieren.
Wir dürfen auch nicht vergessen, dass sich ein revolutionäres Szenario kaum
in einem „ruhigen internationalen
Fahrwasser“
abspielen würde, sondern
auf dem Hintergrund außergewöhnlicher Zuspitzung der Widersprüche im
Kapitalismus auch in internationalem Maßstab, was
sich in schweren Krisen und
Kriegen entlädt. Nahezu
alle Revolutionen in der
jüngeren Geschichte, d.h.
seit es den Imperialismus
gibt, standen im Zusammenhang mit Kriegen, die
Regime erschütterten und
„Reiche“ hinwegfegten.
Solche Situationen brauen sich wieder zusammen,
auch wieder nicht heute,
aber wahrscheinlich früher, als wir denken. Wir sehen ja bereits, wie sich die
Kriegsherde in Europa und
rundherum
entwickeln
(von der Ukraine über den
Nahen Osten bis Nordafri-
7
Das alles hat nichts mit der Vorstellung zu tun, eine Revolution in einem Land könne und dürfe nur in Angriff
genommen werden, wenn sie zugleich in vielen Ländern auf der praktischen Tagesordnung stünde. Als ob wir
uns das aussuchen könnten! Die trotzkistische Vorstellung von „Weltrevolution“ sieht z.B. so aus; aber dieselbe
trotzkoide „Denkweise“ findet sich auch bei manchen „marxistisch-leninistischen“ Linken. Heutzutage ist das
sehr stark eine Rückspiegelung der „Globalisierung“, aber es ist keineswegs neu und es diente noch jedes Mal
dem Abwiegeln der Revolution. Schon Lenin musste sich mit solchen Auffassungen auseinandersetzen: „Die
Ungleichmäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung ist ein unbedingtes Gesetz des Kapitalismus.
Hieraus folgt, dass der Sieg des Sozialismus zunächst in wenigen sozialistischen Ländern oder sogar in einem
einzeln genommenen Lande möglich ist. Das siegreiche Proletariat dieses Landes würde sich nach Enteignung
der Kapitalisten und nach Organisierung der sozialistischen Produktion im eigenen Lande der übrigen, der ka­
pitalistischen Welt entgegenstellen, würde die unterdrückten Klassen auf seine Seite ziehen, in diesen Ländern
den Aufstand entfachen und notfalls sogar mit Waffengewalt gegen die Ausbeuterklassen und ihre Staaten
vorgehen.“ (Lenin, „Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa“, Werke, Band 21, S.345f.)
Die Pariser Commune 1871 war eine Revolution, die erste proletarische Revolution, unter äußerst ungünstigen
Umständen und diese ungünstigen Umstände wurden von Reformisten und Renegaten aller Art dazu benutzt,
sie als sinnlosen, ja „verantwortungslosen“ Wahnsinn zu denunzieren - wie solche Kräfte es noch bei jeder bis­
herigen Revolution machten. Marx dagegen schrieb dazu: „Die Weltgeschichte wäre allerdings sehr bequem zu
machen, wenn der Kampf nur unter der Bedingung unfehlbar günstiger Chancen aufgenommen würde.“ (Brief
an Kugelmann vom 17.4.1871). Und Lenin ergänzt: „Marx vermochte auch zu erkennen, dass es Augenblicke in
der Geschichte gibt, wo ein verzweifelter Kampf der Massen sogar für eine aussichtslose Sache notwendig ist,
um der weiteren Erziehung dieser Massen und ihrer Vorbereitung zum nächsten Kampf willen.“ Und nochmals
Marx: „Die bürgerlichen Kanaillen von Versailles stellten die Pariser in die Alternative, den Kampf aufzunehmen
oder ohne Kampf zu unterliegen. Die Demoralisation der Arbeiter/innenklasse in dem letzteren Fall wäre ein
viel größres Unglück gewesen als der Untergang einer beliebigen Anzahl von ‚Führern’.“ „Marx, der im Septem­
ber 1870 den Aufstand eine Torheit genannt hat, bringt im April 1871, da er eine Volksbewegung, eine Mas­
senbewegung sieht, dieser die größte Aufmerksamkeit eines Teilnehmers an gewaltigen Ereignissen entgegen,
die in der weltgeschichtlichen revolutionären Bewegung einen Schritt vorwärts bedeuten… ‚Welche Elastizität,
schreibt er, welche historische Initiative, welche Aufopferungsfähigkeit in diesen Parisern!... Die Geschichte hat
kein ähnliches Beispiel ähnlicher Größe!’ Marx stellt die historische Initiative der Massen über alles.“ (Leninzitate
aus dem „Vorwort zur russischen Übersetzung der Briefe von Marx an Kugelmann“)
8
37
Griechenland - Klassenkampf und Revolution
ka); wir sehen die Entwicklung am Balkan mit seinen
nach der Zerschlagung Jugoslawiens gegründeten
Zwerg- und Kleinstaaten,
instabile
neokoloniale
Gebilde, teilweise regelrechte Protektorate, voller innerer Konflikte und
Widersprüche, die meisten
inzwischen zugrundegerichtet und immer tiefer
in Wirtschafts- und sonstigen Krisen versinkend;
wir sehen die Verschärfung der Widersprüche
im Getriebe der EU, die
sich derzeit gerade in der
„Flüchtlingsfrage“ besonders deutlich ausdrückt;
wir sehen die stramme
Rechtsentwicklung
der
europäischen
Bourgeoisien und die schleichende
Faschisierung der Gesellschaft - lauter Entwicklungen, die Destabilisierung der Bourgeoisregime
und früher oder später
Massenbewegungen und
Massenrebellionen
ankündigen. Die objektiven
Klassenwidersprüche verschärfen sich und werden
früher oder später die Arbeiter/innenklasse und die
Völker zwingen, sich gegen Kapitalismus und Imperialismus aufzulehnen.
In jedem beliebigen Land
bricht eine Revolution mit
größter Wahrscheinlichkeit nur in aufgewühlten
Zeiten aus - angesichts des
Grades an internationaler
Vernetzung von Ausbeutung und Unterdrückung
heutzutage erst recht.
Natürlich gäbe es keine
„Garantie“, dass eine revolutionäre Erhebung in
nur einem oder wenigen
38
Ländern, noch dazu womöglich kleinen, nicht am
Ende doch in einer Niederlage endet, aber selbst
die Niederlage wäre in so
einem Fall weniger katastrophal und demoralisierend als das über Jahre
hin quälende Sichtotlaufen und die verheerende
schleichende Niederlage,
die die griechische Arbeiter/innenbewegung erlitten hat. Natürlich würde
eine solche Niederlage die
Arbeiter/innenbewegung
dieses Landes für einige
Zeit zerschlagen und lähmen, aber auf lange Sicht
bliebe die Erfahrung, dass
wir stärker sind, als wir
glaubten, dass wir aufstehen und an Teilfronten
und zeitweise, das nächste Mal vielleicht ganz
siegen können, lebendig
und wirksam. Sie würde
vielleicht auch den Klassenkampf in anderen Ländern befruchten. Nichts
schädigt dagegen die Arbeiter/innenbewegung so
wie die Kapitulation, die
die Revisionisten und Reformisten vertreten. Selbst
die Niederlage eines Revolutionsversuchs mit all ihren Folgen ist nichts gegen
die Demoralisierung, die
daraus erwächst, dass in
einer revolutionären Situation die Revolution nicht
versucht wird.
In Griechenland bestand
in den letzten Jahren kei­
ne revolutionäre Situation
und es ging nicht unmit­
telbar um die Revolution.
Es ging aber darum, auf
die Revolution hinzuarbei­
ten, ideologisch, politisch,
organisatorisch, zugleich
auch schon militärisch,
durch das Vorantreiben re­
volutionär-demokratischer
Initiativen und Strukturen,
durch die Selbstorganisa­
tion von Arbeiter/innen­
klasse und Volk und insbe­
sondere durch den Aufbau
einer revolutionären kom­
munistischen Partei auf
dem Boden des MarxismusLeninismus. Da eine Befrei­
ung der griechischen Ar­
beiter/innenklasse und mit
ihr des griechischen Volkes
von Ausbeutung, Unter­
drückung und neokolo­
nialer Abhängigkeit und
Entmündigung unmöglich
ist ohne revolutionären
Umsturz der bestehenden
Verhältnisse, muss alles
politische Handeln am Ziel
dieses Umsturzes ausge­
richtet werden. „Träumer“
sind nicht die, die das tun,
Träumer sind die, die das
nicht tun, obwohl sie vor­
geben, das Wohl der Mas­
sen im Sinn zu haben. Das
praktische Ergebnis von re­
formistischer Politik dage­
gen haben wir vor uns in
der perversen Gestalt der
heutigen Syriza-Regierung
und in der Sackgasse und
Niederlage, in die diese die
Volksbewegung geführt
hat. Was ist auf lange Sicht
demoralisierender - eine
Niederlage sozusagen „in
offener Feldschlacht“, in
der die Arbeiter/innenklas­
se aufgestanden wäre und
das Haupt erhoben hätte,
oder eine entwürdigende
Niederlage in einem durch
reformistische Fesseln be­
hinderten und gebremsten
Kampf, in dem das Haupt
nicht erhoben werden
konnte?!
Proletarische Revolution 62
Philippinen:
Taktische Offensiven der Neuen Volksarmee (NPA)
Vorbemerkung der Redaktion: Normalerweise dokumentieren wir in der PR Texte von revolutionären
Organisationen, aber diesmal machen wir eine Ausnahme und zitieren (leicht gekürzt) den Feind.
Der reaktionäre „Philippine Star“, eine Tageszeitung der Kompradoren und Marionetten des USAImperialismus schreibt in einem Beitrag vom 2.März 2016 zum gerade staatfindenden Wahlkampf:
portunistische Großbetrie­
be‘ in Bukidnon fortsetzen
wird, weil die ‚Zerstörung
der Umwelt weitergeht‘
und dass sie nicht aufhören
werden, bis ‚diese Kapitali­
sten‘ gestürzt sind. Die Re­
bellen rufen die Arbeiter/in­
nen auf, sich für die wahre
Einheit einzusetzen, falls sie
ihren Job wegen der Stille­
gung der Betriebe verlieren.
(…)
Letztes Jahr griff die NPA
Plantagen in Mindanao
beinahe monatlich an, ver­
brannte schwere Maschi­
nen, Lastwagen, und Lie­
ferwagen, die mit Bananen
beladen waren, in Gebieten
wie z.B. T’boli und Surallah
in South Cotabato; Barobo
und Lianga in Surigao del
Sur; Quezon, Bukidnon;
Maco, Compostela Valley;
und Maasim, Sarangani Pro­
vince.
Nach Berichten ist die Zahl
der Angriffe in einem nicht
einmal einen Monat dau­
ernden Zeitraum bis zum
25. Februar schon beinahe
genauso hoch wie die Zahl
der Angriffe im ganzen Jahr
2015.
In weniger als
einem Monat
hat die NPA
vier Martig­
nani-SprühFahrzeuge
(für Insekten­
vernichtungs­
flüssigkei­
ten), ein La­
ger in einem
Verpackungs­
areal und an­
dere schwere
Ausrüstungs­
geräte
in
acht verschie­
denen Plantagen in Bukid­
non, Agusan del Norte und
South Cotabato niederge­
brannt.(…)
Die Folgen eines Rückzugs
dieser multinationalen Ba­
nanenplantagen sind ge­
waltig. Die Regierung wird
Einkünfte aus den nationa­
len und lokalen Steuern von
diesen Betrieben verlieren.
Und zwei Millionen Men­
schen werden entlassen.
Die Nationale Demokrati­
sche Front der Philippinen
(NDF) hat bereits große Ba­
nanenpantagen vor dem
Einsatz von Sprühflugzeu­
gen gewarnt, andernfalls
wären die Rebellen gezwun­
gen, ihre Flugzeuge abzu­
schießen. Tatsächlich haben
die Rebellen schon ein am
Boden geparktes Flugzeug
beschossen, um zu zeigen,
wie ernst es ihnen mit ihrer
Drohung ist.
Was wir brauchen, ist eine
Regierung, die ernsthaft
Schluss macht mit allen ih­
ren Feinden. Ja, wir haben
die Demokratie errungen,
aber sind wir in anderen Be­
reichen besser geworden?“
Artikel aus „Philippine Star“, 2.3.2016 – eigene Übersetzung
„Die sogenannte friedliche
EDSA-People Power Revo­
lution (1986) wurde allge­
mein als ein Sieg des phil­
ippinischen Volkes über die
20 Jahre andauernde Dik­
tatur von Marcos gesehen,
die gekennzeichnet war
von zahllosen angeblichen
Menschenrechtsverletzun­
gen durch das Militär und
die Polizei.
Einer der Gründe, warum
vom damaligen Präsidenten
Marcos von 1972 bis 1981
das Kriegsrecht ausgerufen
wurde, war es, die bürger­
kriegsartigen Kämpfe, das
wachsende Aufstandspro­
blem und die Drohung einer
kommunistischen
Macht­
übernahme zu verhindern.
Schauen wir uns an, was
heute los ist. Die Neue
Volksarmee (NPA) ist nach
wie vor sehr aktiv, beson­
ders in den ländlichen Ge­
bieten. Und obwohl die
EDSA-Revolution die Demo­
kratie im Land wieder her­
stellen konnte, hat sich die
Situation hinsichtlich Frie­
den und Ordnung deutlich
verschlechtert.
Mindanao (eine Inselprovinz
im Süden, PR), die 60% zum
Agrarexport des Landes bei­
trägt, ist ununterbrochen
von Gräueltaten der NPA
betroffen. Plantagen (usamerikanischer Konzerne,
PR), die hunderttausende
Arbeiter/innen
beschäfti­
gen, werden von den Re­
bellen angezündet und nie­
dergebrannt, wenn die Ge­
schäftsführung keine Revo­
lutionssteuern zahlen oder
nicht tun, was die Rebellen
verlangen. (…) Die NPA hat
bekannt gegeben, dass sie
diese Angriffe gegen ‚op­
39
Editorial von „Ang Bayan“ vom 21.2.2016, 14-tägiges Organ des Zentralkomitees der KP Philippinen
http://philippinerevolution.net/statements/20160222_ang-bayan-21-february-issue-revolution-not-elections - eigene Übersetzung
KP Philippinen: Revolution! Nicht Wahlen!
40
Da der Klamauk im Wahlkampf 2016 zunimmt,
sollten die Partei und alle
nationaldemokratischen
Kräfte den Schwindel und
die Inhaltsleere der Wahlen entlarven, damit das
philippinische Volk unentwegt seine Massenkämpfe
weiterführt, die organisatorische Stärke festigt und
den Weg des revolutionären Kampfes einschlägt.
Es ist hoch an der Zeit, die
grundlegenden Prinzipien zu bekräftigen und zu
propagieren, dass die lang
angestrebte Gesellschaftsveränderung nur durch
den revolutionären Kampf
erreicht werden kann, in
erster Linie in Form des bewaffneten revolutionären
Kampfes, der von einem
breiten
demokratischen
Massenkampf unterstützt
wird.
Während sich einige fortschrittliche und nationaldemokratische Kräfte für
eine kritischen Wahlbeteiligung engagieren, sollte
auch das Volk aufgerüttelt
werden, die reformistischen Illusionen zurückzuweisen, mit denen die reaktionären und konterrevolutionären kleinbürgerlichen Kräfte erbarmungslos hausieren gehen, nämlich, dass die Teilnahme an
den reaktionären Wahlen
eine entscheidende Veränderung bringen könnte.
Für die Reaktionären und
den US-Imperialismus spielen die Wahlen eine entscheidende Rolle für den
Erhalt des herrschenden
politischen Systems und
ihrer Klassendiktatur.
Durch den Wahlvorgang
sollen die reaktionäre Regierung und das politische
System der Großgrundbesitzer und Großbourgeoisie als „demokratisch“
erscheinen. Das verbirgt
den Klassencharakter des
herrschenden Staats und
schafft die Illusion, dass
diejenigen, die sich aufstellen und dann die reaktionäre Regierung bilden,
„vom Volk gewählt“ seien.
Die reaktionären Wahlen
spiegeln die verrottete Politik der parasitären herrschenden Klassen wieder,
der Großgrundbesitzer und
Kompradorenbourgeoisie
und insbesondere der bürokratischen Kapitalisten,
die mit den kriminellen
Syndikaten
verbunden
sind. Sie streben nach der
Regierungskontrolle
als
günstige Quelle für Vertragsabschlüsse,
Steuerbegünstigungen, Warenschmuggel und Schutz
ihrer kriminellen Tätigkeiten.
Die reaktionären Wahlen
sind schon dem System
nach betrügerisch. Die Betrugsformen reichen von
Stimmenkauf bis zur Einschüchterung und Zwangsmaßnahmen gegenüber
den Wähler/innen, um das
Wahlergebnis zu manipulieren.
Um den Wahlen mehr
Glaubwürdigkeit zu verleihen, führte der Staat 2010
ein automatisiertes Wahlsystem ein. Seit die Auszählung der
Stimmen
vor den Augen der Öffentlichkeit
verborgen
bleiben,
wurden Fälschungen
nur
noch
verbreiteter, massiver und
systematischer.
Die Kontrolle des USAImperialismus über die
Wahlen wurde ebenfalls
verstärkt. Die automatisierte Wahlindustrie wird
weltweit von ein paar Unternehmen
kontrolliert,
die mit den großen Monopolen verbunden sind. Für
den USA-Imperialismus ist
es einfacher geworden,
zu entscheiden, wer von
den Kandidat/innen an
die Macht gebracht wird,
insbesondere zentrale Beamte des reaktionären
Staates. Die Kontrolle des
USA-Imperialismus
über
die Politik der herrschenden Klasse hat sich weiter
verstärkt. Sie benutzen
reaktionäre Wahlen, um
die herrschende Klasse zu
festigen, Rivalitäten in ihren Reihen zu klären, die
Gewählten für ihre Machtpositionen zu weihen und
die Unterstützung unterschiedlicher Fraktionen zu
erhalten.
Die kommenden Wahlen
im Mai werden wieder
eine neue Marionette des
USA-Imperialismus
und
Vertreter der Klasseninteressen der Herrschenden
auf seinen/ihren Platz setzen.
Für das philippinische Volk
haben die reaktionären
Wahlen keine große Bedeutung. Die Menschen
Proletarische Revolution 62
sind sich bewusst, dass
dadurch lediglich die Gesichter in der Verwaltung
des reaktionären Staates
ausgewechselt
werden.
Das wird zu keinerlei Veränderung an der grundlegenden Politik führen.
Die nächste Regierung
wird nur die Ausbeutung
und Unterdrückung des
philippinischen Volkes mit
einer Politik der Förderung
der großen ausländischen
Kapitalisten fortsetzen.
Mitten in der sich verschärfenden und vertiefenden
Krise des herrschenden
halbkolonialen und halbfeudalen Systems, werden
die herrschenden Klassen
in den Philippinen nur
noch viel unterwürfiger
gegenüber dem USA-Imperialismus.
Schon jetzt wettstreiten
die führenden Präsidentschaftskandidaten um die
Aufmerksamkeit des USAImperialismus und präsentieren sich als glühende
Anhänger einer neoliberalen Politik. In den ihnen
angebotenen Programmen
findet sich auch überall
die Fortsetzung und Ausweitung des Public-Private-Partnership-Programms
(Investitionen privater Unternehmen in halbstaatliche Betriebe), das von den
großen einheimischen und
ausländischen Kapitalisten
wegen ihrer garantierten
Profite so sehnlichst gewünscht wird.
Ebenso
eingeschlossen
sind eine Politik der Lohndrückerei, der Aushebelung von Gewerkschaften
und die Förderung verschiedener Formen flexibler Arbeit. Damit verbunden ist eine Politik der Begünstigung von Landraub
für die Einrichtung und Er-
weiterung kommerzieller
Plantagen und zerstörerischer Bergbauvorhaben.
Der neue reaktionäre
Staat, der im kommenden
Mai 2016 unter Herrschaft
der USA eingerichtet wird,
kann nur noch abhängiger
und unterwürfiger gegenüber seinem imperialistischen Herrn sein. Die USA
werden die Errichtung eines Regimes absichern, das
bestimmt weiterhin Militärinterventionen und den
Aufbau von us-amerikanischen Militärstützpunkten
begünstigt und ihrem Ziel
der Stärkung ihrer Militärmacht in der asiatisch-pazifischen Region dient.
Angesichts der sich immer
weiter verstärkenden Armut und Unterdrückung
sollten die nationaldemokratischen Kräfte die
Propaganda-Bewegung
verstärken, die das halbkoloniale und halbfeudale
System entlarvt und das
philippinische Volk dazu
aufrüttelt, für den Sturz
von Imperialismus, Feudalismus und bürokratischem
Kapitalismus zu kämpfen.
Die revolutionären Kräfte
müssen die Schein-Demokratie der reaktionären
Wahlen entlarven. In einer
Zeit, wo die politischen
Kandidat/innen die Aufmerksamkeit der Menschen auf sich ziehen und
ihnen Unterhaltungen bieten, sollte das Volk noch
weiter zu Massenkämpfen
mobilisiert werden.
Zur gleichen Zeit nehmen
Aktivist/innen der Massenbewegung kritisch an den
Wahlen teil und unterstützen Kräfte und Politiker/
innen, die gegenüber der
nationaldemokratischen
Bewegung und der Volkswohlfahrt freundlich oder
unterstützend auftreten.
Patriotische und demokratische Parteien nehmen
auch teil, um Sitze für ihre
Vertreter/innen im Parlament zu gewinnen und zu
einer linken Opposition zu
werden, die die Anliegen
des Massenkampfes in den
reaktionären
Kongress
hineintragen.
Dieser Kongress sollte schonungslos entlarvt werden
als Instrument der Großgrundbesitzer, Großbourgeoisie und faschistischen
und kriminellen bürokratischen Kapitalisten. Die Illusion, dass das Volk einen
grundlegenden Wandel dadurch erreichen kann, dass
es sich auf den legalen und
parlamentarischen Kampf
allein verlässt, muss unermüdlich zerschmettert
werden. Erhöhen wir ununterbrochen die Militanz
des Volkes in seinem Widerstand gegen den herrschenden Staat.
„Revolution! Nicht Wahlen!“ ist der Ruf der philippinischen Volksmassen
in Ablehnung der reformistischen Illusionen, die von
der herrschenden Klasse
propagiert werden. Unter
Führung der Partei marschieren sie weiter auf dem
Weg des Volkskriegs mit
dem Ziel der Zerschlagung
des herrschenden Staates
und der Beseitigung des
ausbeuterischen und unterdrückerischen Systems.
41
Flugblatt der IA*RKP, Jänner 2016
Silvester-Skandal:
42
Zu Silvester wurden in
Deutschland
Tausende
Frauen se­xu­ell belästigt,
hunderte misshandelt und
nicht we­ni­ge verge­wal­tigt.
Solche
unerträglichen,
frau­en­feind­li­chen Vor­fälle
häu­fen sich immer dann,
wenn Fei­er­stim­mung, Al­
kohol und Mas­sen­aufläufe
zusammen­kom­men.
So
eine Si­tua­tion wird von
Macho-Männern
aus­ge­­
nützt, um mög­lichst unerkannt Jagd auf Frauen zu
ma­chen. Ganz im Ge­gen­
satz zur offiziell ver­kün­
de­ten Gleich­stellung der
Frau­en, ist es in Europa
(na­tür­lich auch in Österreich!) so, dass Frau­en
in Wirk­lich­keit nach wie
vor auf vielen Ebenen un­
ter­drückt und be­nach­­tei­
ligt sind. Die Lohnunterschiede und so­ge­nann­ten
„ F r a u­­ e n­ l o h n­ g r u p­ p e n “
sind nur ein offen­sicht­li­
cher sta­tis­­tischer Be­weis
dafür, ein anderer sind die
Sta­tis­ti­ken über sexuelle
Ge­walt an Frauen. Min­des­
tens jede zwei­te Frau in
Österreich wird zumindest
ein­mal im Le­ben ein Opfer
sexueller Gewalt, min­des­
tens 30% wer­den nach of­
fi­zi­ellen Daten sexuell miss­
braucht, ein gro­ßer Teil
da­von schon als Mäd­chen,
sehr oft von Ver­wandten
oder Be­kann­ten.
Sexismus und Rassismus
Trotz einiger rechtlicher
Verbesserungen (z.B. bei
Verge­wal­ti­gung in der
Ehe, teilweise Beweisumkehr,…) schä­tzen es
vie­le Frau­en immer noch
als sinnlos ein, sexuelle
Über­griffe bei der Polizei
überhaupt
anzuzei­gen
– abgesehen von den oft
demü­tigenden
Behandlungen bei der Anzeigenaufnahme („Jetzt zei­gen‘s
mir amal ge­nau, was er
angeblich gemacht hab­en
soll…“)
Die Männerherrschaft (Patriarchat) ist in Europa seit
mehr als 3000 Jahren ge­fes­
tigt und wird von der herrschenden Klas­se (trotz anderer Beteuerungen) auch
heute bewusst auf­recht­
er­hal­ten und zementiert,
u.a. als ein Spal­tungs­mit­
tel ge­gen die Arbei­ter/innenklasse (neben Religion,
Rassis­mus usw.).
Wenn die Herrschenden
und ihre Massenmedien über Frau­en­unter­
drückung und Gewalt gegen Frauen reden, dann
verfolgen sie immer üble
Zwecke.
Unübersehbar
ist das beim Dau­er­thema
„Sexmob in Köln“. Hier
wird stän­dig eine Ver­bin­
dung zu der Million Kriegs­
flücht­lingen von 2015
her­ge­stellt, obwohl sogar
nach den zweifelhaften
Po­li­zeiangaben von den
bisher er­wischten nichtdeutschen Be­teiligten ca.
95% nicht aus Syrien, Afghanistan, Irak, sondern
aus Marok­ko, Tunesien,
Türkei usw. stam­men.
Na­türlich passt es gut in
die Pläne der Herrschenden, wenn von Tausenden sexuellen Angriffen
in der Silvesternacht fast
nur diejenigen überhaupt
angezeigt werden, wo die
Tä­ter „wie Ausländer ausschauten“. Wenn du in
Wien zu Sil­ves­ter auf die
Polizei gehst und anzeigen willst, dass dir wer am
Ste­fansplatz auf die Brust
oder zwischen die Beine ge­
grif­fen hat, werden sie dir
sagen, dass sie jetzt wich­ti­
ge­res zu tun ha­ben. Das ist
patriarchale Scheiße, aber
all­ge­mein bekannt, dass
Frauen als „Freiwild“ behandelt wer­den und sich
selber da­ge­gen organisieren und schützen müs­sen.
Die Kölner Vorfälle haben
jedoch einige Besonderheiten, die erst nach und
nach bekannt wurden: So
schaute die Po­li­zei (wie
bei Angriffen auf Asylheime) tatenlos zu, ob­wohl
sie von Beginn an über die
sich aufschaukelnden Vor­
fälle in­for­miert war. Die
Polizei ließ die Übeltäter
ge­wäh­ren und trug da­mit
zu ihrer Ermunterung bei.
Nach ei­ni­gen Tagen gab
sie bekannt, dass es sich
bei den Übe­l­tä­tern vorwiegend um „Aus­länder“
handle, dann hieß es in
den Medien, es seien auch
Asylwerber aus im Kölner
Raum eingerichteten Un­
ter­brin­gungen
beteiligt
gewesen. Jetzt war man
endlich dort, wo man hin
wollte. Für die meis­ten
Medien und die „besorgte Öf­fentlichkeit“ (kei­nes­
wegs nur die ultrareaktionären und fa­schis­tischen
„be­sorg­ten Bür­ger“) aber
waren spätestens am 9.Jän­
ner die Übel­tä­ter zwei­fels­
frei „Asylanten“.
So wurden die Kölner
Angriffe zu einem „nationalen Er­eig­nis“ aufge-
Proletarische Revolution 62
bauscht, das der Reaktion
und dem Ras­sis­mus und
Chau­vinismus
hervorragend ins Konzept passt.
Wäre das nicht so, würde
schon nicht mehr darüber
ge­redet und hät­ten auch
nicht einige hundert Frauen An­zei­ge erstattet (per
9.Jän­ner waren es 379,
davon 40%, deren An­zei­
ge sich auch auf sexuelle
Belästigung bezieht), son­
dern wie z.B. beim Münch­
ner Oktoberfest üblich nur
ei­ni­ge wenige.
Auch der Zeitpunkt passt
genau im Hinblick auf
die
lau­fen­de
„Flücht­
lingsdebatte“ und den mit
ihrer Hilfe ins Au­ge ge­fass­
ten weiteren Rechtsruck
der Politik und der Staats­
gewalt. Da­für waren diese
Vorfälle ein gefundenes
Fres­sen. Sie die­nen als Öl
ins Feuer der Xenophobie
und des Rassismus. Und
auch im Ausland werden sie genuss­voll aus­ge­
schlach­tet. Z.B. kann die
österreichische Presse gar
nicht genug da­rü­ber berichten!
Wenn es zu solchen „merkwürdigen“ Berichterstattungen über Vorfälle in
Köln kommt, muss in erster
Linie nach den In­ter­es­sen
gefragt werden, denen sie
eventuell dienen. Es muss
konkrete Interessen gegeben haben, die vor Ort be­
find­li­che Polizei nicht einschreiten zu lassen, in den
da­rauf­fol­gen­den
Tagen
ein ausgesprochenes Verwirrspiel ab­zu­ziehen, al­les
zu tun, damit möglichst
viele betroffene Frau­en
An­zei­ge erstatten usw.
Ob in der Silvesternacht
auf Seiten der Übeltäterbanden wie auf der der
Polizei „alles nach Plan“
ablief oder nicht, wis­sen
wir nicht und es ist auch
nebensächlich. Tatsache ist,
dass alles, die „Vorfälle“
und ihre Ausschlachtung
in Po­li­tik und Me­dien, den
Interessen der Staatsmacht
und der Reaktion dien­te
und dient, um damit eine
Verschärfung ih­res rassis­ti­
schen und chauvinistischen
Kurses zu be­grün­den.
Die Bun­des­regierung hat
endlich einen Anlass für
den schon lange im Raum
stehenden
Kurswechsel von der an­geb­lichen
„Will­kommenskultur“ zur
Absperrungs-,
Ab­schie­
bungs- und Hetz­kultur
und die offen rassistischen,
chau­vinistischen und fa­
schistischen Kräfte in Köln
und im gan­zen Land bekamen neu­en Auftrieb. Es
gab Interessen und Gründe genug für Staats­macht
und die Polizei, die Aus­
schreitungen wohl­wol­lend
zu beobachteten. Selbst
wenn sie sich zurückhielt,
an­geb­lich „um in dieser
sen­sib­len Frage nicht den
Falschen in die Hände zu
arbeiten“, lag das objek-
tiv eher im Interesse eben
der Rassisten und Fa­schis­
ten, auch denen in den
Reihen der Polizei und des
sons­tigen Staatsapparats.
Vielleicht war der Staatsapparat so­gar mit Provokateuren an den Vorfällen di­rekt oder in­di­rekt
beteiligt. Vielleicht waren
auch Pro­vo­ka­teu­re faschis­
ti­scher oder halbfaschistischer Kreise im Spiel. In­
ter­essen in diese Richtung
gab es dort wie da alle­
mal. Es wä­re ein Wun­der,
wäre es nicht so gewesen.
Gäbe es Vor­fälle die­ser Art
nicht, würde die Reaktion
sie erfinden oder selbst ins­
ze­nieren. Mag sein, dass
es auch Kräfte gab, die
im ge­ge­be­nen Zeitpunkt
nicht die Ausländer- und
Flüchtlings­hetze noch zusätzlich füttern wollten
und sich deshalb zu­rück­
hiel­ten mit sofortigen
wilden Angriffen auf die
„Asy­lan­ten“. Dass es allerdings in den Reihen der
Polizei viele sol­cher Kräfte
geben soll (wie es ihnen
von „besorgten Bür­gern“
Erst Zustechen, dann Schreien …
Was machst du, um dich vor sexuellen Über­grif­fen zu schützen?
Also ich hab immer eine sogenannte „Auftrenn­hilfe“ in der Ta­sche. Das
ist so was wie eine 10 cm lange Häkelnadel, aber mit Spit­ze und scharf,
und gibt’s in jedem Nähbedarf um 2 €. Wenn ein Typ ungut kommt,
stech ich ihm diese Na­del in den Ober­schenkel und schrei dann laut: „Ich
kenn dich nicht, lass mich in ruh!“
Wenn du zuerst schreist, stellt er sich auf Wider­stand ein; wenn du zuerst
zustichst überraschst du ihn. Wenn du schreist: „Sex­tä­ter!“ oder „Ich
kenn dich nicht!“ machst du Um­stehenden deut­lich, dass es kein Bezie­
hungs­wickel ist – das isoliert ihn stär­ker als Beschimpfungen.
Und was ist, wenn mehrere Typen auf dich los­gehen?
Dann stichts du auf den Typen, der dir am nächs­ten steht, weil du kannst
nicht lang herumfum­meln, sonst sind sie ü­ber dir. Du musst sie rasch aus
der vermeintlich überle­ge­nen Po­si­tion brin­gen und dann wegrennen
oder umstehende Hel­­fe­r/in­nen ge­win­nen…
(aus einem Interview in „autodifesa femminile“, eigene Über­setzung
aus dem Italienischen)
43
Gegen Sexismus und Rassismus
verschie­de­ner
Schattierung vorgeworfen wird
und was als Grund für ihr
Nichteinschreiten behauptet wird), ist hoch­gradig
un­wahr­scheinlich.
Po­li­tisch müssen wir dem
Versuch der Bourgeoisie
entge­gen­getreten,
diese Vorfälle zum Vorwand
für verschärfte Aus­länderund Asylgesetze zu nehmen. Wir müssen die men­
schenunwürdigen Zustände in den Anhalte-, Über­
gangs- und Aufenthaltslagern und die rassistische
und men­schen­feindliche
Asylpolitik
anprangern
und bekäm­pfen. Es müss­te
also auf der ganzen Linie
genau das Ge­gen­teil dessen ge­sche­hen, was die
Reaktionäre samt den of­fe­
nen Rassisten und Faschisten jetzt wieder mit neuem Schwung fordern und
die Regierung plant.
Die demokratischen, antirassistischen, antifaschistischen Ini­ti­ativen, die
es ja in Deutschland fast
überall gibt, müs­sen be­son­
deres Augenmerk darauf
richten, die jetzt be­vor­ste­
hen­den noch massiveren
An- und Übergriffe gegen
Aus­län­de­r/innen,
Immigrant/innen, Flüchtlinge
usw. und auch alle ul­tra­
re­ak­ti­o­nären und faschistischen Aufmärsche und
Kund­ge­bungen zu bekämpfen und möglichst zu
ver­hin­dern.
Köln spielt dabei insofern
eine besondere Rolle,
als dort der „öf­fentliche
Raum“ seit Jahren zwischen den Fa­schis­ten der
„Pro-NRW“ und der HoGeSa („Hooligans gegen
Sa­la­fis­ten“) und Antifaschisten umkämpft ist und
in den letz­ten Jahren vie­le
faschistische Massenauf44
tritte durch­kreuzt werden konn­ten. Köln stand
in den letzten Jahren und
steht bisher immer noch
für ein Übergewicht der
anti­faschis­tischen Kräf­te
- die „Vor­fälle“ der Silvesternacht sind ein willkommener An­knü­pfungs­punkt
für die Reak­tio­nä­re und
Faschisten, die das seit lan­
gem in Frage stellen und
umdrehen wollen.
In Deutschland und Österreich verüben Männer jedes Jahr ei­ne sehr hohe
Zahl „sexueller Gewalttaten“, auch immer wie­der
Massenvergewaltigungen.
Die christlich-abendlän­di­
sche „häus­liche Gewalt“,
auch die sexuelle, der mas­
sen­haf­te Miss­brauch von
Kindern in ihren christlichabend­län­di­schen Fa­mi­lien,
die Gewalt gegen und der
sexuelle Miss­brauch von
Min­derjährigen in kirchlichen und öffentlichen „Er­
zie­hungs­einrichtungen“ das alles wird systematisch
so lan­ge und so weit wie
möglich totgeschwiegen
und ver­harm­lost. (Wenn
z.B. Anfang Jänner 2016
wieder einmal ein solcher
„Skan­dal“, Quälerei und
Missbrauch von ein paar
hundert
„Re­gens­burger
Domspatzen“ ganz kurz
ins Licht der Öffent­lich­keit
trat, war das eher Zufall.
Die vor ein paar Jahren
aufge­deck­te jahrzehntelange sexuelle Ge­walt im
Klos­ter­gym­na­si­um Kremsmünster/OÖ ist schon fast
wieder vergessen. Eben­­so
kommt es zu ganz ähn­li­
chen Vor­fälle wie in der
Sil­ves­­ter­nacht in Köln jedes Jahr bei Mas­sen­be­säuf­
nis­sen wie dem Münch­ner
Oktoberfest und Zelt­festen
in Österreich. Of­fen­­sicht­
lich sind das christlich-
abend­ländische Män­nerund Frau­­en­bild für so
etwas völ­lig ausreichend
und bedarf es da­zu keines „Kulturschocks“. Aber
selbst­ver­ständ­lich werden
die Kölner Vorfälle gerade
von denen aufgebauscht,
die über die einheimische
„Kul­tur“ von sexueller
und sexu­ali­sierter Ge­­walt
und von Miss­brauch den
Mantel des Schweigens
brei­ten.
Wenn
Innenministerin
Mikl-Leitner
verkündet,
dass „wir Frau­en uns sicher keinen Millimeter in
unserer
Bewe­gungs­frei­
heit einschränken lassen“,
müssen wir ihr ent­schie­den
ent­gegnen, dass sie nicht
zu den Kämpferinnen für
Freiheit und Frauenrechte
gehört, sondern zu den Un­
ter­drückern und zu denen,
die ein System aufrecht
erhalten, in dem Unter­drü­
ckung, Missbrauch und sexuelle wie an­de­re Gewalt
gegen Frau­en staatlich abgesichert werden. Die­ses
System heißt Ka­pi­talismus
und nützt das Patriarchat
zur Aufrechterhaltung der
Ausbeuterordnung. Nur
durch den engen Zusammenschluss von Arbeiterinnen und Ar­bei­tern kann
dieses Un­rechts­system in
einer proletarischen Re­
volution besiegt und können die Diktatur der Bourgeoisie, die Lohn­sklaverei
und das Patri­ar­chat beseitigt werden.
Proletarische Revolution 62
Ausplünderung durch asoziale
Lohnsteuerreform
… bei 1100 bis 1600 Bruttolohn zahlst du ein Viertel,
darüber gar ein Drittel an die Steuer!
Die Steuerfreigrenze von 11.000 € steuerpflichtigem Jahreseinkommen (d.h. nach Abzug der
ozialversicherungsbeiträge) wurde nicht erhöht. Dem entspricht ein Monatslohn von 1.107 € brutto
oder eine Pension von 966 €. Gerade für Niedrigverdiener wäre eine deutliche Entlastung das
Wichtigste an einer „sozialen“ Lohnsteuerreform gewesen. Aber statt die Steuerfreigrenze massiv
zu erhöhen, wird sie faktisch gesenkt, denn wegen der Geldentwertung sind 11.000 € heute nicht
mehr dasselbe wie 11.000 € im Jahr 2009. Den Niedrigstverdiener/innen bringt die „Reform“ gar
nichts. Zwar wurde eine 25%-Stufe wurde neu eingeführt, um zu vermeiden, dass ab 11.000 €
Jahreseinkommen die Lohnsteuer sofort auf 35% springt, aber diese Stufe gilt nur bis 18.000 €
(entspricht 1.581 € monatlich), ab dort geht es mit 35% Steuersatz weiter.
Lohnerhöhungen
durch
die sogenannte kalte Progression real mehr als aufgefressen (du rückst in die
nächsthöhere Steuerklasse
vor, obwohl du dir vom erhöhten Lohn nicht mehr
kaufen kannst als vorher).
Die Ausbeutung durch das
Kapital im Betrieb wird so
durch die Ausplünderung
über das Steuersystem
fortgesetzt.
Während die Lohn- und
Gehaltssumme zwischen
2009 und 2013 brutto nur
um 14% stiegen, stieg
das
Lohnsteueraufkommen im selben Zeitraum
um 24% - mit entsprechenden Folgen für den
Nettolohn. Die Lohnsteuerquote stieg dementsprechend von 13,7% im Jahr
2009 auf 14,9% 2013 und
schätzungsweise 15,5% im
Jahr 2015. (Siehe Grafik 1:
Lohnsteuerquoten).
Die Steuerreform 2015 tut
also nichts anderes, als den
Raubzug der letzten Jahre
zu einem sehr geringen
Teil für die nächsten ein,
zwei Jahre etwas abzuschwächen.
Dazu kommt die Entwertung des Lohnes durch die
Inflation: Die lächerlich geringen Lohnerhöhungen
der letzten Jahre deckten
für die niedrigeren Einkommensschichten, wo ja
die Wirkung der Geldentwertung wesentlich größer ist als das, was im Verbraucherpreisindex, also
der offiziellen Inflationsrate, zum Ausdruck kommt,
nicht einmal die Geld- und
Kaufkraftentwertung ab.
Flugblatt der IA*RKP, März 2016
Die von SPÖ und ÖGB viel
bejubelte
Lohnsteuerreform ist mit 1.Jänner 2016
in Kraft getreten und die
von uns, die über der Armutsgrenze leben, haben
gegenüber Dezember mehr
Lohn (netto) erhalten.
Wie schaut es aber bei den
niedrigsten
Einkommen
aus? Viele Frauen können
oft nur Teilzeitjobs annehmen und sind außerdem
wegen Arbeitsunterbrechungen und Stellenwechsel in den berüchtigten
„Frauenlohngruppen“
eingestuft, die weit unter
dem statistischen Durchschnittslohn liegen.
Eine halbwegs „soziale“
Lohnsteuerreform müsste
jedenfalls die Steuerfreigrenze drastisch anheben
und die Progression vor
allem für die niedrigen
und auch mittlere Einkommen drastisch senken, sie
aber zugleich für die hohen drastisch erhöhen. Die
Lohnsteuerreform
2015
tut das gerade Gegenteil,
ist also eine asoziale Reform. Trotzdem bringt sie
für viele eine vorübergehende Entlastung (bis zur
nächsten Lohn­erhöhung).
Seit der letzten Lohnsteuerreform 2009 (und auch
vorher) wurden gerade
bei den unteren Einkommen Jahr für Jahr alle
45
Lohnsteuerraub
Das alles zusammen - geringe Nominallohnerhöhungen (wenn überhaupt),
Inflation und kalte Steuerprogression - führten eben
zum Reallohnabbau der
letzten Jahre für große
Teile der Arbeiter/innenklasse und des Volkes.
Die
kalte
Progression
geht natürlich nach einer
kurzen Atempause unvermindert weiter. Genauso
war es auch nach der Reform 2009 gewesen; nach
Minuseinnahmen bei der
Lohnsteuer von damals 1,4
Mrd. € im Jahr 2009 war
bereits 2010 von der „Entlastung“ nicht mehr viel
übrig und 2011 wurde das
Aufkommen von vor der
Reform sogar schon wieder um 0,5 Mrd. € überschritten; es folgte ein
jahrelanger satter Anstieg
(insgesamt um 25% !).
Diesmal wird es genauso
kommen. Der staatliche
Räuber brüstet sich damit,
seinen Raubzug zwar fortzusetzen, aber für zwei
Jahre etwas abzumildern.
Auch zielt die Reform bewusst nicht darauf ab, die
Steuerlast der Arbeiter/
innenklasse und speziell
der Niedrigverdiener substantiell zu erleichtern.
Die „Menschen“, die Fay-
46
mann im Auge hat, sind
vornehmlich die Besserund vor allem die Best­
verdiener.
Die Grafik 2 (Abgabenbelastung) zeigt: Wer z.B.
15.000 € steuerpflichtiges Jahreseinkommen hat
wird um 300 € im Jahr
entlastet, wer 20.000 bis
30.000 € verdient, und das
sind die meisten, um vielleicht 800 €, wer 50.000 €
verdient schon um 1.500
€ und wer 120.000 € verdient um 2.200 €.
Von einer „sozialen“ Reform ist hier wirklich keine
Spur. Müsste nicht dafür
gesorgt werden, dass die
Entlastung umso größer
ist, je weniger du verdienst?
Übrigens: Die auf 5 Jahre
befristet eingeführte „Millionärssteuer“ mit dem
Spitzensteuersatz
von
55% betrifft nur ein paar
Dutzend Leute mit einem
steuerpflichtigen Monatseinkommen über 80.000
€. Aber selbst wenn das etwas für die Steuereinnahmen brächte, könnten sich
normale
Arbeiter/innen
oder Angestellte davon
nichts abbeißen.
Die Lohnsteuer ist aber bei
weitem nicht alles, was
Arbeiter/innenklasse und
Volk an Steuerausplünderung zu tragen haben.
Wichtiger noch sind die indirekten Steuern, v.a. die
Umsatzsteuern, über die
kaum geredet wird. Die
Steuerreform erhöht den
begünstigten Mehrwertsteuersatz von 10 auf 13%
z.B. in Gaststätten und
Restaurants, Hotels und
bei Tierfutter. Aber diese
nominelle Mehrwertsteuererhöhung ist zweitrangig, viel maßgeblicher ist,
dass sich das Mehrwertsteueraufkommen mit der
Teuerung automatisch erhöht.
Was also bei der Lohnsteuer weniger wird, wird bei
den indirekten Steuern
mehr. Insgesamt soll die
Mehrwertsteu­er 2016 gegenüber 2015 um 1,9 Mrd.
€ steigen. Steigen werden
auch Tabaksteuer, Mineralölsteuer, KFZ-Steuer und
Motorbezogene Versicherungssteuer,
Versicherungssteuer usw. - alles
zusammen um insgesamt
2,1 Mrd. €. Die viel gepriesene Lohnsteuerersparnis
ist damit bereits heuer
schon wieder fast futsch.
Die Segnungen der Lohnsteuerreform sind also erstens, soweit es sich um
angebliche „4,9 Mrd. €
direkt ins Börsel“ handelt,
blanke Lüge. Tatsächlich
geht es laut Budgetbericht
2016 nur um 2,5 Mrd. €.
Zweitens werden damit
die allein durch die Geldentwertung und die kalte
Progression erlittenen Reallohnverluste der letzten
Jahre bei weitem nicht
„kompensiert“. Drittens
schließlich - das sieht man
gut an der obigen Grafik wird sie „gegenfinanziert“
durch eine Erhöhung des
sonstigen Massensteuer-
Proletarische Revolution 62
aufkommens. Im Endeffekt hat die Reform nicht
einmal im ersten Jahr eine
nennenswerte
positive
Auswirkung auf die reale
Kaufkraft.
Die famose Reform hätte
natürlich auch durch eine
Erhöhung der tatsächlich
bestehenden Kapitalistensteuern „gegen­finan­ziert“
werden können, speziell
durch eine Erhöhung der
Körperschaftssteuer (d.i.
Einkommensteuer für Kapitalgesellschaften) entweder durch höheren offiziellen Steuersatz oder
durch Beseitigung von
Ausnahmen und Begünstigungen (Absetzbarkeit
nicht konkret begründeter, sondern „bilanzbezogener“
Rücklagen,
„Gruppenbesteuerung“,
Verlustvortrag usw.) Aber
das stand nicht einmal
zur Debatte. Die Körperschaftssteuer liegt auf dem
Papier bei 25%, in Wirklichkeit bei den Aktiengesellschaften in der jüngeren Vergangenheit stets
unter 10%. 2016 wird sie
laut Budgetplanung nochmals von 6,6 auf 6,3 Mrd.
€ sinken - trotz des behaupteten „Wirtschaftsauf­
schwungs“. Zugleich sieht
die
Steuerreform
ein
„Wirtschafts­paket“
von
200 Mio. € mit allerhand
zusätzlichen Förderungen
und Subventionen der
Kapitalisten vor (Förderungen für Klein- und Mit­
telbetriebe, Erhöhung der
„Forschungsprämien“ von
10 auf 12%, zusätzliche
steuerliche Begünstigung
von „Mitarbeiterbeteiligungen“). (Siehe Grafik 3:
Massensteuern)
Die arbeiter/innen- und
volksfeindliche
Struktur
des Steuersystems besteht
grundsätzlich einmal darin, dass sie die Finanzierung des Staates des Kapitals zum weitaus überwiegenden Teil auf die
Volksmassen abwälzt. Die
direkten und indirekten
Massensteuern
machen
2015 83% des Steueraufkommens aus. Dem stellen
wir die Losung entgegen,
dass sich die Kapitalisten
ihren Staatsapparat selber
zahlen, nicht aber die Arbeiter/innenklasse und andere Teile des Volkes selbst
auch noch den Staat ihres
Ausbeuters,
Plünderers,
Unterdrückers,
kurzum
ihres Klassenfeinds finanzieren müssen.
Diese Struktur besteht
zweitens darin, dass der
kapitalistische Profit der
Kapitalgesellschaften nicht
der „normalen“ Einkommensteuer unterliegt, sondern einem Körperschaftssteuersatz von 25%, der
durch die sehr flexiblen
„Gestaltungsmöglichkeiten“ systematisch auf
unter 10% gesenkt wird.
So kommt es, dass das Körperschaftssteueraufkommen seit einem Jahrzehnt
kaum gestiegen ist, sondern immer um lächerliche
6 Mrd.€ schwankte.
Die Struktur besteht drittens im Übergewicht der
indirekten Steuern. Die
indirekten Steuern sind
die hauptsächliche und zugleich am wenigsten unmittelbar wahrnehmbare
Steuerkeule, denn sie stecken „unsichtbar“ in den
Preisen. Sie machen einen
deutlich größeren Teil der
Massensteuern aus als die
Lohnsteuer, werden aber
genauso wie diese aus
den Löhnen gezahlt. Ohne
hier anzusetzen, bleibt
alles Schall und Rauch.
Würden - das ist nur eine
fiktive Rechenoperation
- die indirekten Massensteuern auf die Lohnsteuer umgelegt, würde diese
sich - wenn ansonsten das
bestehende Steuersystem
unverändert bliebe - weit
mehr als verdoppeln (genau gesagt um 135% steigen, wenn wir die Zahlen
aus 2015 zugrunde legen).
Das macht anschaulich,
welches Ausmaß die Steuerausplünderung
angenommen hat und dass der
übergroße Teil der Steuerlast, mindestens 70 der
82 Mrd. € Gesamtsteueraufkommen in 2015, von
Arbeiter/innenklasse und
Volk getragen werden. In
der Gestalt der indirekten
Steuern wird der Klassencharakter dieser Steuern
verdeckt: sie erscheinen
als neutral („jeder zahlt
das Gleiche“), obwohl na-
47
türlich ein Kapitalist oder
sonstiger „Reicher“, der
zehn oder hundert Mal
mehr Einkommen hat als
Arbeiter/innen, nicht zehn
oder hundert Mal soviel
konsumiert, sondern sich
allenfalls mit der Kapitalertragssteuer herumschlagen wird müssen (wenn
er nicht günstigere Wege
der Steuerhinterziehung
oder „Steuervermeidung“
findet).
Das Ziel der revolutionären
Arbeiter/innenbewegung
bestand immer und kann
nur darin bestehen, der
staatlichen Ausplünderung
ebenso wie der Ausbeutung in Produktion und
Lohnsystem entgegenzutreten, dafür radikale Losungen und „strategische“
Forderungen zu erheben
und letztlich mit dem kapitalistischen Staatsapparat auch das kapitalistische
Steuersystem zu zerschlagen.
Die Kapitalisten sollen
sich ihren Staat selbst
finanzieren! Daher:
Abschaffung aller
indirekten Steuern
und steuerähnlichen
Abgaben!
Einführung einer massiv
verstärkt progres­siven
Einkommensteuer!
Vollständige Steuerfreiheit für Einkommen bis
1.600 € monatlich (d.h.
bis zur Höhe eines zu erkämpfenden gesetzlichen
Mindestlohns bzw. einer
gesetzlichen Mindestpension)!
8.März – Internationaler Frauentag
Feiern oder kämpfen?
Als Arbeiterinnen werden
wir im Kapitalismus unterdrückt und ausgebeutet,
als Frauen der unterdrückten Klassen werden wir
jedoch besonders unterdrückt und ausgebeutet
– nicht nur von der herrschenden Kapitalistenklasse, wir sollen durch patriarchale Strukturen auch
innerhalb unserer Klasse
gespalten,
geschwächt
und zusätzlich unterdrückt werden!
Zur Situation der Frauen
weltweit - Zahlen und
Fakten:
Frauen stellen die Hälfte der
Menschheit (3,456.780.650),
erbringen weltweit 52% aller
Arbeitsleistungen, erhalten
aber nur 10% des Welteinkommens und besitzen 1%
des Eigentums. Von der geleisteten weiblichen Arbeit wird
nur ein Drittel bezahlt. Dies
gilt mit geringen Unterschieden sowohl für unterdrückte
wie imperialistische Länder.
48
2/3 der weltweit 1,3 Milliarden Menschen, die in Armut
leben sind Frauen.
Die Frauen der unterdrückten
Länder produzieren zwischen
60 und 80% der Grundnahrungsmittel und leisten den
Großteil der Arbeit in Landwirtschaft und Haushalt. Der
Anteil der Frauen im informellen Sektor (Kleinhandel,
Handwerk, Heimarbeit) wird
auf 60% geschätzt. Dies sind
Arbeiten zu Niedriglöhnen
ohne
Sozialversicherungen
oder rechtlichen Schutz, die
volkswirtschaftlich nicht erfasst werden.
Auch in den Industriestaaten
betragen die Durchschnittslöhne für Frauen (außerhalb
der Landwirtschaft) immer
noch 75% des Einkommens
der Männer.
Jährlich sterben eine halbe
Million Frauen bei der Geburt des Kindes oder an Komplikationen
während der
Schwangerschaft. In vielen
Gesell­schaften sind Frauen
und Mädchen schlechter ernährt und krankheitsanfälliger. Weltweit nimmt die
Gewalt gegen Frauen zu
(körperliche,
sexualisierte,
psychisch-emotionale, soziale
und ökonomische Gewalt).
Jede 5. Frau in Österreich erlebt als Erwachsene körperliche und oder sexuelle Gewalt. 90% aller Gewalttaten
passieren im nahen sozialen
Umfeld. Allein in Deutschland
sind nach Schätzungen vier
Millionen Frauen häuslicher
Gewalt ausgesetzt.
Laut UNHCR waren 2014 60
Millionen Menschen auf der
Flucht (innerhalb und außerhalb des eigenen Landes) –
die Hälfte davon sind Frauen.
Die aktuelle Situation der
Frau in Österreich
Die Erwerbstätigenquote der
15- bis 64-jährigen Frauen
stieg in den letzten zehn
Jahren von 61,6% (2003) auf
67,6% (2013). Damit liegt
sie deutlich über dem EUDurchschnitt (58,8%). 2013
waren 70,6% der Frauen im
Alter von 25 bis 49 Jahren mit
Kindern unter 15 Jahre teilzeitbeschäftigt (Männer nur
6,5%).
Proletarische Revolution 62
Unter kapitalistischen Verhältnissen bedeutet Gleichberechtigung für eine Frau, eine
eigenständige Kapitalistin zu
sein, eine führende Position
einzunehmen, oder – für die
Arbeiterin bedeutet es – gleiche Unterdrückung und Ausbeutung wie für den Arbeiter. Der Kampf um Gleichstellung hat seine Berechtigung,
hat aber kein identisches Ziel,
denn ihm liegen grundlegend
unterschiedliche Interessen
zugrunde. Die Arbeiterinnen
haben ebenso wenig Interesse daran ausgebeutet zu
werden, wie die bürgerliche
Frau kein Interesse zeigt, ihre
Privilegien und Machtpositionen freiwillig aufzugeben
– es würde ihre bisherige Existenz und Identität zerstören
und den radikalsten Bruch
mit ihrer eigenen Klasse, eine
Unterordnung ihrer Interessen unter die Führung der
ArbeiterInnenklasse fordern.
So sind es einzig die Arbeiterinnen und werktätigen
Frauen, welche ein objektives
Interesse an der Zerschlagung
dieses Systems haben. Nur
mit der aktiven Beteiligung
der Arbeiterinnen am Klassen­
kampf kann Unterdrückung
und Diskrimi­nierung konsequent bekämpft werden. Ein
konsequenter Kampf für unsere Interessen als Frauen der
Arbeiter/innenklasse bedeutet uns nicht mit Reformen,
„Zugeständnissen“
(recht­
lichen Verbesserungen, mehr
Lohn, gleich­geschlechtliche
Ehen…) der Herrschenden ab­
speisen zu lassen und die Klassenspaltung hinzu­nehmen.
Als Arbeiterinnen müssen wir
Gleich­berechtigung in unserer Klasse einfordern und
erkämpfen, sowie unseren
Posten in der ersten Reihe
im Klassenkampf beziehen!
Als Kommu­nis­tinnen kämpfen wir Schulter an Schulter
mit den fortschrittlichen und
revolutionären Angehö­rigen
unserer Klasse – für die Zerschlagung des Kapitalismus,
des bürgerlichen Staates und
all seiner Unterdrückungsmechanismen!
In einer Klassengesellschaft
bedeutet Gleichberechtigung
gleichberechtigt unterdrückt
zu werden:
Klassenbefreiung ist Frauenbefreiung!
Denn eins ist klar: Unter der
Herrschaft des Kapitals werden wir, sowie die gesamte
Klasse der ArbeiterInnen
niemals frei sein. Auch um
gegen die spezielle Unterdrückung der proletarischen
Frauen konsequent zu kämpfen, müssen wir eine neue
Gesellschaft errichten – eine
im Interesse der Arbeiter/innenklasse, den Sozialismus.
Flugblatt der KOMAK-ML, März 2016
Gleichstellung ist keine
Gleichberechtigung!
Demonstration:
8. März 2016 - Internationaler Frauenkampftag
Treffpunkt: Praterstern, 1020
Wien, 17 Uhr
Ohne Frauen keine
Revolution!
Ohne Revolution keine
Frauenbefreiung!
Leben in Elend und
Unterdrückung
ODER
organisieren und
kämpfen!
Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern in Österreich:
Betrachten wir die Einkommenssituation aller unselbständig Erwerbstätigen, so lagen
die mittleren Bruttojahreseinkommen der Frauen 2013 um 39,1% unter jenen der Männer. Bezogen auf die ganzjährig Vollzeitbeschäftigten sank die Einkommensdifferenz
zwischen Frauen und Männern von 22,5% im Jahr 2004 auf 18,2% 2013. Vergleicht man
die auf Brutto­stunden­ver­dienste standardisierten Löhne und Gehälter von Frauen und
Männern in der Privatwirtschaft, dann sank der Gender Pay Gap laut Eurostat von 25,5%
2006 auf 23,0% 2013. Im EU-Vergleich zählt Österreich damit weiter zu den Ländern
mit den größten geschlechtsspezifischen Lohn­unter­schie­den. In Schweden (15,2%) oder
Dänemark (16,4%) liegt der Gender Pay Gap dagegen trotz hoher Frauenerwerbstätigkeit und hoher Teilzeit­beschäftigung der Frauen unter bzw. im EU-Durchschnitt (EU-27:
16,4%). Alleinlebende Pensionistinnen, Alleinerzieherinnen und Mi­gran­tinnen sind besonders armuts­gefähr­det!
Niedrigere Erwerbseinkommen und Versiche­rungs­verläufe, die vor allem durch Kinder­
erziehung Lücken aufweisen, führen auch zu niedrigeren Pensionen. Die mittlere Alters­
pensio­nen der Frauen lag laut Hauptverband der öster­rei­chischen Sozialversicherungsträger im Jahr 2013 mit 852 Euro um 51,8% unter jener der Männer mit 1.769 Euro. Laut
EU-SILC 2013 waren 24% der alleinlebenden Pensionistinnen, aber nur 11% der alleinlebenden Pensionisten armutsgefährdet. Ein-Eltern-Haushalte – das sind fast ausschließlich
Frauen mit ihren Kindern – haben mit 27% ebenfalls ein erhöhtes Armuts­risiko.
Zahlen und Fakten: Statistik Austria
49
Aufruf des Feministischen Frauenbndnisses zum 8. März 2016
Schluss mit Sexismus, Rassismus
und imperialen Kriegen
Schluss mit Sexismus
Sexismus ist keine Frage
der „Kultur“, Nationalität oder der sozialen Herkunft, sondern tragende
Struktur des Patriarchats
weltweit!
Die sexistischen Angriffe
von Männern(-gruppen) auf
Frauen - in Köln und anderen
Orten - haben Frauen durch
Anzeigen öffentlich gemacht.
Wenn wir Frauen uns verteidigen, schreien oder wegrennen müssen, schauen die
meisten einfach zu oder weg!
Sexistische Gewalt an Frauen
wird kaum hinterfragt. Der
sexistische Täter ist selten
„der Unbekannte“, sondern
- wie durch die jahrzehntelangen weltweiten Kämpfe der Frauenbewegungen
sichtbar gemacht wurde meist der „bekannte“ Vater,
Bruder, Onkel, Lebensgefährte, Freund, Nachbar, Lehrer,
Arzt, Arbeitskollege, „Chef“
u.a.m.
Die Männergewalt an Frauen
und Mädchen ist Bestandteil
des strukturellen Sexismus
wie auch: Bekleidungs- und
Verhaltensvorschriften
für
Frauen, Bildungs-und Berufsverbote,
Zwangsehen,
Genitalverstümmelung, niedrige
Frauenarbeits-Löhne,
geschlechtshierarchischer
Arbeitsteilung, Abtreibungsverbote u.a.m. Sexismus als
Ideologielehrt Frauen sich
schuldig und schmutzig zu
fühlen,
„geduldig“
und
stumm zu bleiben. Wenn wir
sexistische Gewaltbenennen,
werden wir als lächerlich,
gewalttätig oder prüde bezeichnet. Von klein auf wird
uns erklärt, dass wir uns vor
dem „Unbekannten“ und
„Fremden“ fürchten und
beim „eigenen Mann“ Schutz
suchen sollen. Aber wir sind
niemandes Besitz. Wir wollen
nicht beschützt, betreut oder
eingesperrt werden. Wir sind
vor allem wütend! Wir fürch-
50
ten weder das „Unbekannte“
noch das „Fremde“. Wir nehmen uns Raum und Bewegungsfreiheit und kämpfen
für die Freiheit für Frauen!
Gegen die sexistische Dominanzkultur gestalten wir kollektiv FrauenLesbenRäume,
organisieren
feministische
Selbstverteidigung, FrauenLesbenDemos u.a.m.- als öffentliche Kraft für gelebte
aktive Frauensolidarität.
Schluss mit Rassismus
Wir lassen uns nicht für
rassistische Hetze benützen! Rassismus ist ein System von Spaltung, Entrechtung und Ausbeutung
weltweit.
Die sexistischen Angriffe in
Köln werden in den Medien
und vom Staat für rassistische
Politik gegen Flüchtlinge benutzt. Rechte Bürgerwehren,
linksliberale Medien und MinisterInnen sprechen plötzlich von Frauenrechten und
der Verteidigung „unserer
Werte“. Von welchen Werten
sprechen sie? - Dassin Europa ein Großteil der Frauen
von ihrem Arbeitslohn nicht
eigenständig leben kann?
Dass muslimische Frauenmit
Kopftuch auf der Straße bespuckt werden? Dass Schwarze Frauen als „exotisch“ und
sexualisiert angegriffen oder
kriminalisiert werden? Dass
Lesben beschimpft oder verschwiegen werden? Dass
Frauen allgemein in den
Medien, in der Werbung bis
zur Pornoindustrie als sexualisierte Objekte dargestellt
und vermarktet werden?
Dass Frauen alltäglich in Beziehungen misshandelt werden und jährlich fast jede
Woche eine Frau von ihrem
(Ex)Partner ermordet wird?
Oder meinen sie die Vergewaltigungskultur, die wir alltäglich erleben müssen? Oder
die Kultur der „gang bangs“,
der inszenierten Gruppenver-
gewaltigungen in den Großbordellen, und eine Kultur,
die Frauen, die in der Sexindustrie arbeiten als „unanständige Frauen“ ausgrenzt
und kriminalisiert? Sie nennen ihre Werte demokratisch.
Was ist an Unterdrückung demokratisch? Wir finden diese
sexistischen und rassistischen
Verhältnisse im Namen der
liberalen Gleichberechtigung
unerträglich! Die rassistische
Hetze macht den geflüchteten Mann zum Feindbild
und geflüchtete Frauen zu
stummen Opfern einer so genannten „fremden Kultur“.
Doch wir schweigen nicht!
Menschen flüchten aufgrund
von Krieg, Verfolgung und
Armut. Fluchtgründe für
Frauen aufgrund sexistischer
Gewalt
(Vergewaltigung,
Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung
u.a.m.)
werden(noch immer) nicht
als selbstverständliche Asylgründe anerkannt. Frauen,
die über Familiennachzug
nach Österreichkommen, erhalten kein eigenständiges
Aufenthaltsrecht. Sie werden mit rassistischen Gesetzen in die Abhängigkeit von
einem (Ehe)Mann gezwungen. Frauen, die aus Frauenhandelsstrukturen flüchten,
erhalten kein selbstverständliches Aufenthaltsrecht. Ihnen droht die Abschiebung,
wenn sie nicht bereit sind
mit Polizei und Justiz zu kooperieren! Wir kooperieren
nicht! Wir brauchen aktive
Solidarität! Die Regierungen
der EU bauen Stacheldrahtzäune gegen flüchtende
Menschen und errichten so
genannte „hot spots“ als Selektions- und Sammellager.
Die EU-Außengrenzen werden mit Frontex militärisch
hochgerüstet, wodurch jährlich tausende Menschen u.a.
im Mittelmeersterben. Die
österreichische
Regierung
spricht von Obergrenzen
und will 50.000 geflüchtete
und migrierte Menschen mit
Proletarische Revolution 62
Militärtransportern abschieben. Wir sehen dies als einen
Krieg gegen Menschen auf
der Flucht! Wir machen da
nicht mit und lassen uns nicht
in dieses System integrieren!
Rassistische Politik bewirkt
eine Spaltung, Vereinzelung
und soziale Verschärfung für
alle. Durchbrechen wir die
Grenzen und reißen die Zäune ein. Und stellen wir uns
gegen die wachsende Faschisierung. Wir kämpfen für Bewegungsfreiheit und gleiche
soziale und politische Grundrechte für Alle!
Weltweit kämpfen Frauen
für ihre Rechte, gegen Krieg,
Ausbeutung und Männerdominanz. Wir können viel
voneinander lernen. Unsere gemeinsame Sehnsucht
für die Freiheit aller Frauen
weltweit verbindet uns.
Schluss mit Waffenproduktion und imperialen Kriegen
gung, Pornografie und organisierte Prostitution sind
strukturierende Grundlagen
für Militarismus und Teil der
Kriegsführung.
Aktuell wird - im Namen der
europäischen Flüchtlingspolitik - u.a. die türkische Regierung finanziell und militärisch unterstützt, um Menschen aus Kriegsgebieten
von Europa fernzuhalten.
Diese türkische Regierung
führt einen Krieg gegen die
kurdische Zivilbevölkerung
und ihre basisdemokratische
Selbstverwaltung im kurdischen
Frauen-FreiheitsKampf. Durchbrechen wir die
mediale Zustimmung zu Massakern, militärischer Belagerung und Vertreibung der
Bevölkerung. Die kurdische
Frauenbewegung in Nordkurdistan/Türkei ruft nach
internationaler Frauensolidarität. Eine Frauensolidari-
tät, die Grenzen überschreitet und gemeinsam gegen
Krieg und Männerdominanzkämpft. Die als solidarische
Kraft Perspektiven eines freien und gemeinschaftlichen
Lebens ernst nimmt und sich
dem zunehmenden Militarismus und Nationalismus
entgegen stellt. Für eine solidarische Welt ohne Krieg,
Rassismus und Sexismus. Für
eine solidarische Ökonomie
und kollektives, selbstverwaltetes Wirtschaften ohne
Waffen, Profite, Ausbeutung, und Unterdrückung!
Frauen – verbünden wir uns
und gehen gemeinsam auf
die Straße.
Feminismus ist eine revolutionäre Kraft, um die HERRschenden Bedingungen zu
durchbrechen.
Feministisches Frauenbündnis zum 8. März 2016
Krieg bedeutet Zerstörung, Hunger, Mord, Vergewaltigung, Verfolgung
und Vertreibung - und
Profite für die Rüstungsindustrie und Transnationalen Konzerne.
Die EU beteiligt sich aktiv an
den Kriegseinsätzen in Osteuropa, im Mittleren Osten,
Afrika, Asien und Südamerika. Wir sind aktuell Zeuginnen eines grausamen und
militarisierten Wettbewerbs
über die Verteilung von Rohstoffen und Märkten für ein
kapitalistisches System, das
einhergeht mit der Kontrolle
und Überwachung der Bevölkerung im Namen der „Sicherheit“. Öffentliche Gelder,
die in die Rüstungsindustrie
und in die Aufrüstung von
Polizei, Militär und „Staatssicherheit“ fließen, sind Millionen Euros, die uns alle für
soziale Infrastrukturen und
das „Gemeinwohl“ fehlen.
Die Waffen, die hier produziert werden, morden mit in
aller Welt. Und Vergewalti-
51
„Nord-Süd-Konflikt“ oder Antiimperialismus?
http://monthlyreview.org/2015/07/01/imperialism-and-the-transformation-of-values-into-prices/
Kritik an „Imperialismus und die Transformation von Werten in Preise“,
Artikel von von Lauesen und Cope in der „Monthly Review“, July-August 2015
“ungleichen Tausch”, der
üblicherweise nur eine
politisch eingefärbte moralische Kategorie ist, eine
solide ökonomische Basis
zu verpassen. Die “Transformation von Werten in
Preise”, wie sie es nennen,
ist in der Tat eine wichtige
Frage für das Verständnis
der Ausbeutung der kolonialen, halbkolonialen,
neokolonialen und sonstigen vom Imperialismus
abhängigen Länder, denn
sie thematisiert Mehrwerttransfer und Mehrwertumverteilung und begnügt
sich nicht mit augenscheinlichen Preis- und sonstigen
Ungerechtigkeiten.
Leider wird man rasch
enttäuscht, denn auch
Lauesen und Cope landen
wieder nur bei einer Binsenweisheit: Die Kapitalisten der imperialistischen
Länder kaufen im “Global
South” (in weiterer Folge einfach: der “Süden”,
obwohl das weniger elegant und wissenschaftlich
klingt) billig ein, um in den
imperialistischen Ländern
(dem “Norden”) teuer zu
verkaufen. Diese Banalität
nennen sie “Transformation der Werte in Preise”
und dafür versuchen sie,
eine neuartige und originelle “marxistische” Erklärung zu präsentieren:
Möglich sei das, meinen
sie, weil “in einer Welt,
in der der Marktpreis der
Güter dazu tendiert, global zu konvergieren, während der Marktpreis der
Arbeitskraft variiert ..., ist
das Resultat eine Umverteilung von Wert aus Ländern mit einem niedrigen
Marktpreis der Arbeitskraft in Länder mit einem
hohen Marktpreis derselben ist.” (p.62) Anders
ausgedrückt heißt das (am
Beispiel ihrer Referenzware, dem iPad): Wenn das
iPad überall auf der Welt
zu ziemlich einheitlichen
Preisen verkauft wird
(was beiläufig überhaupt
nicht stimmt), macht das
Kapital, wenn es das iPad
in einem Billiglohnland
produzieren lässt, einen
höheren Profit, als wenn
es dies in einem Land
mit höheren Löhnen tut.
Apple zieht daher einen
Extraprofit aus dem chi-
Warum die Anführungszeichen? Das Phänomen, das üblicherweise als „ungleicher Tausch“ beschrieben wird,
ist vielschichtig. Immer geht es um Mehrwerttransfer, also um Mehrwertumverteilung in dem Sinn, dass von dem
einem Kapital produzierter Mehrwert von einem anderen Kapital als Profit realisiert wird, aber teilweise spielt
sich das ab über Mechanismen der Wertbildung selbst, die im Einklang stehen mit dem Wertgesetz in seiner
kapitalistischen Form. Von ungleichem Tausch kann dann nur sehr bedingt und in schlampiger Ausdrucksweise
gesprochen werden. Die Verwandlung von Werten in Produktionspreise, die bei Lauesen und Cope im Zentrum
steht, ist im strengen wissenschaftlichen Sinn kein ungleicher Tausch, sondern bloß die kapitalistisch verwandelte
Form (gleichen) Tausches. Es käme ja auch niemand auf die Idee, die Bildung gesellschaftlicher Werte (gegenüber
verschiedenen individuellen Werten) als ungleichen Tausch zu bezeichnen - und ebenso wenig die Verwandlung
der Werte in Produktionspreise durch den Ausgleich der Profitraten, sei es innerhalb einer nationalen Wirtschaft
(z.B. Kärnten und Wien), sei es global. Nur soweit das Wertgesetz verletzt wird und Mehrwertumverteilung
über die Verwandlung von Werten in Marktwerte und Produktionspreise hinaus stattfindet, handelt es sich um
ungleichen Tausch im wahren (marxistischen) Sinn des Wortes. Das ist der Fall beim Kapitalexport in Form von
Verschuldung der neokolonialen und abhängigen Länder, aber auch bei den vielfältigen Formen der das Wert­
gesetz verletzenden Mehrwertumverteilung im Handel, von ökonomischer Monopolmacht bis hin zu Raub und
Plünderung. Lauesen und Cope selbst verwenden den Begriff „ungleicher Tausch“ nur gelegentlich, handeln
aber das Paradebeispiel ihrer Transformation, das iPad, haargenau in der Art eines, noch dazu willkürlichen und
jenseits aller ökonomischen Gesetze, nur durch imperialistische und monopolistische Macht bestimmten „unglei­
chen Tausches“ ab.
1
52
Der Artikel von Lauesen
und Cope erschien in einer
Doppelnummer des Magazins Monthly Review,
die wieder einmal dem
“New Imperialism” gewidmet war, über den man in
diesem Magazin schon allerhand lesen konnte. Die
Einbettung des Artikels in
diese Doppelnummer und
der Anklang von Marxismus im Titel verheißen
- wieder einmal! - neue
Entdeckungen und Enthüllungen. In der Tat lässt
der Artikel - anders als die
sattsam bekannte pseudomarxistische oder wenigstens mit einer Art bürgerlichem
“Marxismus”
kokettierende Leier über
“Zentrum und Peripherie”
etc. - gleich am Anfang
aufhorchen. Ökonomische
Analyse, noch dazu marxistische, statt moralisierende Phrase scheint der
Leitsatz der beiden Autoren zu sein. Da sie den
“ungleichen Tausch”1 für
die Hauptsache bei der
Ausbeutung der neokolonialen und abhängigen
Länder halten, geht es ihnen speziell darum, dem
Proletarische Revolution 62
nesischen iPad und da der
Marxist ja weiß, dass hinter
dem Profit der Mehrwert
steckt und dieser durch
produktive Arbeit geschaffen wird, eignet sich
Apple ganz offensichtlich
Mehrwert aus dem “Süden” an. Das ist unbenommen, aber die Frage nach
dem Warum und dem Wie
dieses Mehrwerttransfers
wird so nicht beantwortet. Müsste nicht die Analyse dieser Transformation
sich auch ein bisschen mit
der Wertebene, nicht nur
mit der Preisebene befassen? Der Artikel handelt
leider, sobald er konkret
wird, wieder nur - wie
jede bürgerliche Betrachtung - von Preisen. Sobald
es über Preisbildung und
dadurch verursachte Profitumverteilung, wie sie
auf der Oberfläche der
Gesellschaft
erscheinen,
hinaus auf den Wert und
seine verwandelten Formen, den Marktwert und
den Produktionspreis, und
auf den Mehrwert zugeht,
findet man einerseits eine
unvollständige und fehlerhafte “Zusammenfassung”
eines Teils der Marx’schen
Wert- und Mehrwerttheorie2, die völlig aufgepropft
und ohne Bezug zur eigentlichen Analyse und deren Schlüsselthese bleibt,
und andererseits recht
armselige und hauptsächlich falsche Ansätzen der
ökonomischen Analyse der
Wertbildung im Monopolkapitalismus und Imperialismus, der Frage der Weltmarktpreise, des globalen
Ausgleichs der Profitraten,
auch der vergleichenden
Analyse des Werts der Arbeitskraft usw. usf., womit
die aus der Luft gegriffene
Schlüsselthese “abgepolstert” werden soll.
Dabei beginnt der Artikel vielversprechend. Die
Autoren berufen sich auf
den Marxismus, worüber
man sich freut, wenn auch
angesichts des heutigen
bürgerlichen
“Marxismus”, über den man überall stolpert, mit Skepsis.
Sie weisen richtig darauf
hin, dass die “hauptsächlichen Mechanismen für
den Transfer von Wert
(aus dem “Süden” in den
“Norden”, wie sie schreiben) ... die Aneignung von
Mehrwert durch Direktinvestitionen, der ungleiche
Tausch ... und die Ausplünderung durch den Schuldendienst” (p.54) sind. Sie
haben eine weitere Komponente vergessen, die an
Bedeutung immer mehr
gewinnt, nämlich die Migration und die damit
heute verbundene Überausbeutung ausländischer
Arbeitskräfte in den imperialistischen Ländern. Aber
abgesehen davon sind das
die relevanten Mechanismen der globalen Ausbeutung und Ausplünderung.
Sie haben auch absolut
recht damit, sich auf die
Frage nach ökonomischen
Mechanismen und Gesetzmäßigkeiten zu konzentrieren - und nicht auf
bloße Kolonial- und Neokolonialpolitik, Gewalt
und Korruption, monopolistisches Preisdiktat, alles
ebenfalls wichtige Faktoren der imperialistischen
Ausbeutung, aber nicht
hauptsächlicher
Gegenstand ihrer Untersuchung.
Leider verfolgen sie von
den angeführten “hauptsächlichen Mechanismen”
nur einen weiter, nämlich
den “ungleichen Tausch”.
Aus welchen Gründen
immer haben sie ihr Untersuchungsobjekt
auf
den “ungleichen Tausch”
eingeschränkt, vermutlich
weil sie diesen für den
weitaus wichtigsten “Mechanismus” halten, und in
weiterer Folge handelt der
Artikel daher nur mehr
von dieser einen Ebene der
Ausbeutung und Ausplünderung der vom Imperialismus abhängigen Länder.
Dagegen wäre an und für
sich noch nichts einzuwenden, es handelte sich dann
eben um die Analyse eines
Teilbereichs des Problems.
Allerdings müsste klar sein,
dass damit von vornherein
nur ein, noch dazu relativ
kleiner Teil der imperialistischen Ausbeutung abgedeckt wird, und zweitens
ist die Crux dabei, dass sie
in weiterer Folge fast alle
Im Wesentlichen referieren sie auf p.60/61 mehr schlecht als recht die Verwandlung der Werte in Produkti­
onspreise durch den Ausgleich der Profitraten (vgl. Marx, Kapitel 9 des „Kapital“ Band III, bei gleichzeitigem
„Vergessen“ des Kapitels 10), was sie allerdings für ihre Theorie des „ungleichen Tausches“ überhaupt nicht
bräuchten, da diese rein auf Preisunterschieden bei der Arbeitskraft ansetzt, sodass dieser Bezug nur Verwirrung
stiftet. Es bleibt dem Leser überlassen, sich in diesem Kuddelmuddel zurechtzufinden und sich entweder für
den abstrakt-“analytischen“ Wertansatz auf p.59-61 („The Value-Price Transformation“), der einen marxistischen
Bezug darstellt, aber ansonsten zu nichts dient, zu entscheiden oder für den davon unberührten konkret-“posi­
tivistischen“ Preisansatz ab p.61 („The Global Framework“), der schlussendlich am Beispiel des iPad abgehandelt
wird.
2
53
Nord-Süd-Konflikt oder Antiimperialismus?
Ausbeutung und Ausplünderung des “Südens” unter “ungleichen Tausch”
subsumieren, auch solche
“Mechanismen”, die damit wenig bis gar nichts zu
tun haben - wodurch wiederum eine ganz falsche
Sicht des “ungleichen
Tausches” befördert wird.
Ein Beispiel: Es gibt eine
“Grauzone” zwischen ausbeuterischem Handel und
ausbeuterischen Direktinvestitionen in Gestalt von
Kapitalisten im “Süden”,
die zwar rechtlich gesehen “selbständig”, aber in
Wahrheit nichts als Handlanger
imperialistischer
Konzerne sind. Viele imperialistische
Konzerne
halten sich solche “Scheinselbständige”. Das hat
viele Vorteile. Über diese
Firmen und Firmennetzwerke beteiligen sich an
bzw. organisieren imperialistische Konzerne die
exzessive Überausbeutung
der Arbeitskraft und sind
damit in Wahrheit direkte
Ausbeuter in der Produktionssphäre. Dies hat
mit “ungleichem Tausch”
überhaupt nichts zu tun,
erscheint aber als “ungleicher Tausch”, als “Umverteilung” von Mehrwert
über den Handel, in der Zirkulationssphäre. In Wirklichkeit ist es keine Umverteilung, sondern Produktion von Mehrwert (unter
exzessiven Bedingungen)
und nur eine verschleierte
Form von Direktinvestitionen, von direkter Partizipation an der Ausbeutung
der dortigen Arbeitskraft.
Die Ausbeutung und Ausplünderung, der z.B. die
bangladeschische Textilmonokultur unterworfen
ist, gehört nicht in die Rubrik “ungleicher Tausch”,
54
sondern in die Rubrik “Direktausbeutung” - ebenso wie der Uran”handel”
zwischen Niger und Frankreich, der zusätzlich in
die Rubrik Kolonialismus
gehört.
I. “Die Politische Perspektive” - Klassenkampf oder wohlwollende Anteilnahme an
der “Dritten Welt”?
Lauesen und Cope betreiben sozusagen einen teleologischen “Marxismus”.
Sie haben ihr “neu-imperialistisches”
politisches
“Weltbild” schon vorfabriziert und garnieren es mit
ein paar mehr oder weniger geeigneten “marxistischen” Elementen. Wir
fassen daher dieses politische “Weltbild” gleich
einmal vorweg zusammen:
Gearbeitet und produziert
würde heutzutage in der
Hauptseite nur mehr im
“Süden”, während der
“Norden” aus “post-industriellen”
Gesellschaften
bestünde (p.55). Die “Konsumtionsgesellschaften”
im “Norden” stünden
den “Produktionsgesellschaften” des “Südens”
gegenüber (p.57). Der
“Süden” wäre die “Werkstatt der Welt” (p.57). Daraus folgt: “Nicht nur die
Kapitalisten des Nordens
profitieren materiell von
der Überausbeutung der
Niedriglohn-Arbeit im Süden”, sondern auch die
Arbeiterklasse des “Nordens” lebte wesentlich
von der Ausbeutung des
“Südens”. Der aus dem
“Süden” herausgepresste
Mehrwert würde zu einem
erheblichen Teil “nicht als
Unternehmensprofit
realisiert, sondern (Anm.:
von der Arbeiterklasse des
“Nordens”) als Konsumentennutzen in Gestalt billigerer Produkte”. Folglich
wären “die Kernschichten
der Bevölkerung unbeabsichtigte
Nutznießer
der Ausbeutung (des ‘Südens’)” (p.65). An die Stelle des “alten” Klassenwiderspruchs zwischen Bourgeoisie und Proletariat ist
bei Lauesen und Cope der
zwischen Bourgeoisie und
Proletariat des “Nordens”
einerseits und dem “Süden” andererseits getreten. Für die “Marxisten”
Lauesen und Cope stehen
sich nicht Arbeit und Kapital gegenüber, sondern
“südliche” Produzenten
und
privilegierte
und
schmarotzende
“nördliche” Konsumenten.
“Realisierung von Mehrwert nicht als Profit, sondern als Konsumentennutzen” - was für ein Unsinn!
Mehrwert kann nur als
Profit realisiert werden,
um sich dann in den eigentlichen Unternehmerprofit, Zins, Grundrente
(und allerhand unproduktive Verwendungen) aufzuspalten, und überhaupt
kann sich Wert nicht als
stofflicher Nutzen “realisieren”. Wahrscheinlich
meinen Lauesen und Cope
mit diesem Nonsens-Satz
ohnedies, dass die “nördlichen” Kapitalisten Nutzen aus dem Billigimport
von Konsumgütern ziehen, weil dies den Wert
und damit die Reproduktionskosten der Arbeitskraft
im “Norden” senkt, daher
die Senkung der Löhne erlaubt und so ihren Profit
erhöht - aber das ist nicht
Realisierung des im Süden
produzierten Mehrwerts,
sondern Erhöhung des im
Proletarische Revolution 62
“Norden”
produzierten
Mehrwerts.
Die “Political Perspective”
(p.66), die daraus resultiert, kennt man schon bis
zum Erbrechen: Die Arbeiterklasse des “Nordens”
sei, da “überbezahlt (‘superwaged’) ... und ... nur
scheinbar
produktiver”
(p.65) und eigentlich korrumpierter Schmarotzer,
für den Klassenkampf
nicht mehr zu haben.
Noch viel “wichtiger” ist
ihnen aber, dass auch die
Intellektuellen,
“Globalisierungskritiker”
usw.,
kurz: die “sozialistischen
Kräfte” des “Nordens”
(Arbeiter finden sich ja ihrer Meinung nach darunter nicht mehr) sich nicht
mehr mit irgendeinem illusionären Klassenkampf
in den “Metropolen” abstrudeln bräuchten, sondern allenfalls den Kampf
der Arbeiter und armen
Bauern des “Südens” unterstützen könnten - da
sie, diese Sorte von “sozialistischen Kräften”, selbst
anscheinend,
ergänzen
wir, wie durch ein Wunder
und obwohl es ihnen in
der Regel wesentlich besser geht als der Arbeiterklasse, von der Korrumpierung ideologisch weniger
betroffen sind als diese
bzw. gar nicht. Die im “Süden” sollen halt kämpfen,
obwohl das auch nichts
mehr heißt im Vergleich
zu den revolutionären
Befreiungsbewegungen
früherer Jahrzehnte, aber
sie haben dafür wenigstens noch objektiv ihre
guten Gründe, ein “objektives Interesse und die
Fähigkeit, dem globalen
Neoliberalismus zu widerstehen”3 (p.66). Auf uns im
“Norden” bräuchten sie
jedenfalls nicht zu zählen,
denn die Arbeiterklasse
im “Norden” habe beides
nicht.
Man hört solches, die Ausbeutung im “Norden”
durch Fokussierung auf
die des “Südens” beschönigendes und von Klassenwidersprüchen und Klassenkampf
ablenkendes
Geschwätz übrigens (fast)
nur im “Norden“. Im “Süden”, wo man den Imperialismus anders erfährt und
erlebt, hört man so etwas
nicht (oder kaum). Dort
wissen oder spüren Arbeiterklasse und Volk, dass
ohne Klassenkampf auch
in den imperialistischen
Ländern, gegen den gemeinsamen Feind, zumindest für seine Zersetzung
und Schwächung, auch
ihr Kampf gegen den Neokolonialismus verdammt
schlechte, jedenfalls wesentlich schlechtere Karten hat. Beispiele? Die
Befreiungsbewegungen in
Angola, Mocambique, Guinea-Bissau und Cabo Verde
riefen eine revolutionäre
Situation in Portugal hervor - wäre nicht auch vielleicht die weitere Entwicklung in den ehemaligen
portugiesischen Kolonien
nach ihrer Befreiung vom
Kolonialismus anders verlaufen, wenn es in dieser
Situation in Portugal eine
erfolgreiche sozialistische
Revolution gegeben hätte? Der algerische Befreiungskampf hat den Klassenkampf in Frankreich
enorm beflügelt (und übrigens auch dazu beigetragen, zumindest ansatzweise die revisionistische
Spreu vom revolutionären
Weizen zu trennen) - wäre
es nicht hilfreich gewesen,
wenn sich damals, Anfang
der 1960er Jahre, in Frankreich eine mächtige revolutionäre Arbeiterbewegung gebildet hätte, die
sich dem Neokolonialismus
gegenüber den soeben “in
die Unabhängigkeit entlassenen” jungen Staaten
in den politischen, ökonomischen und militärischen
Arm geworfen hätte?
Wer dagegen die Arbeiterklasse des “Nordens”
gegen Arbeiterklasse und
unterdrückte Völker des
“Süden” ausspielt, betreibt das Werk der imperialistischen Bourgeoisien.
Verachtung für die “korrumpierte” Arbeiterklasse
in den imperialistischen
Ländern, bei Ignoranz gegenüber ihrer wirklichen
Lage, dafür “klassenloses”
Mitleid für die Armen des
“Südens”, ebenfalls bei
Ignoranz gegenüber ihrer wirklichen Lage, ihren
wirklichen Problemen, den
dort relevanten Klassenwidersprüchen und Perspektiven des Klassenkampfes
... und das alles mit einer
“sozialistischen”
oder
“marxistischen” Tarn- und
manchmal Narrenkappe
auf - lauter Fabrikate der
ideologischen
Fälscherwerkstatt der Bourgeoisie!
Am Schluss des Artikels
(p.66) verfallen die beiden
zu allem Überdruss noch
auf einen nostalgischen
In üblicher „globalisierungskritischer“ Manier verwechseln auch Lauesen und Cope den Kampf der „Empörten“
gegen den „Neoliberalismus“, also kleinbürgerlichen „Kampf“ gegen bestimmte Auswüchse des Kapitalismus,
mit dem proletarischen Klassenkampf gegen Kapitalismus und Imperialismus.
3
55
Nord-Süd-Konflikt oder Antiimperialismus?
Rückblick auf die kämpferischen 1960er und 1970er
Jahre, als auch in den imperialistischen
Ländern
noch gegen Kapitalismus
und Imperialismus gekämpft wurde. Wie das?
Lebte womöglich der imperialistische
“Norden”
damals noch nicht vom Neokolonialismus bzw., noch
etwas früher, vom “alten”
Kolonialismus?
Tatsächlich glauben anscheinend
sämtliche Kämpfer gegen
den “Neu-Imperialismus”,
dass es Mehrwerttransfer
großen Stils und qualitativ neuer Dimension vom
“Süden” in den “Norden”
erst seit den 1970er Jahren
gibt. Heute jedenfalls würde nirgendwo mehr ernsthaft gekämpft, weder im
“Norden”, noch im “Süden”, aber für den “Süden” wäre es immerhin
vorstellbar, obwohl auch
dort zwar die objektiven
Faktoren, das gewaltige
Wachstum der dortigen
Arbeiterklasse, vorhanden
seien, aber nicht die “subjektiven Kräfte”. Dieses
ganze Jammertal ist überschrieben mit “The Political Perspective”.
II. Imperialismus gegen
neokoloniale Abhängigkeit oder “Norden”
gegen “Süden”?
Bevor wir uns den “ungleichen Tausch” näher ansehen, muss geklärt werden,
zwischen wem getauscht
wird. Aus marxistischer
Sicht stehen auf der einen Seite die imperialistischen Bourgeoisien und
auf der anderen die vom
Imperialismus unterdrückten Völker bzw., in geographischen Kategorien
ausgedrückt, die imperialistischen und die vom
Imperialismus neokolonisierten und abhängigen
Länder. Bei Lauesen und
Cope dagegen wird dieser
Widerspruch in bekannter
“globalisierungskritischer” Manier verdeckt
und versteckt durch den
zwischen dem “Norden”
und dem “Süden”. Mehr
als 80% der weltweit in
der Industrie arbeitenden
Lohnabhängigen, schreiben sie, schufteten heute
bereits im “Süden” (p.57)
- und sie tun das, wird
suggeriert, hauptsächlich
für den “Norden”. Wer ist
dabei wer? Der “Norden”
besteht für die beiden Autoren offensichtlich nur
aus den klassischen “westlichen” imperialistischen
OECD-Ländern (EU, USA,
Japan, Kanada, Australien
plus ein paar Anhängsel
wie Südkorea, Israel, Neuseeland usw.), wo nur mehr
eine Minderheit der Industriebeschäftigten arbeitet,
nämlich etwa 15% - der
Rest von “mehr als 80%”
schuftet im “Süden”. 80%
im “Süden” - das geht sich
schon rein rechnerisch nur
aus, wenn imperialistische
Länder wie China und Russland zum ausgebeuteten
und ausgeplünderten “Süden” gezählt werden.
China, ein imperialistisches
Land, das andere Länder
in riesigem Ausmaß ausbeutet und ausplündert,
liegt nicht nur geografisch
betrachtet weitgehend im
Norden, sondern gehört
auch politisch-ökonomisch
zum imperialistischen Lager4. Für Lauesen und
Cope dagegen gehört es
zum “Süden”, zu den vom
Imperialismus abhängigen
Ländern. Es ist absurd, das
nicht nur bevölkerungsmäßig, sondern inzwischen
auch in vieler Hinsicht
ökonomisch größte imperialistische Land der Erde
nicht zur imperialistischen
Seite des Widerspruchs zu
rechnen. In China alleine arbeitet mehr als ein
Drittel (35%) der globalen
“industrial
workforce”,
nämlich 250 von 700 Millionen, das heißt 35 der
Lauesen und Cope’schen
weltweit 80%. Zwar nicht
der Größenordnung, aber
der Sache nach und vor
allem auch politisch ebenfalls absurd ist es, das imperialistische
Russland
zum “Global South” zu
rechnen. Und noch einige
weitere Länder profitieren
aus der Ausbeutung anderer Länder, zumindest
China ist ein imperialistisches Land. Dessen ungeachtet ist der Kapitalismus in China durch ungleichmäßige, un­
gleichzeitige und kombinierte Entwicklung gekennzeichnet. Neben in jeder Hinsicht höchstentwickelter findet
sich auch noch rückständige Produktion, darunter auch immer noch die von Billig- und Billigstschund für den
Export, aber auch technologisch hochwertige Industriegüter. China ist im Eilschritt auf dem Weg der kapitali­
stischen „Modernisierung“. Rückständige Produktionsmethoden und Produkte wurden und werden zunehmend
aufgegeben. Industrien wie die Textilindustrie in Bangladesh gibt‘s schon einige Jahre nicht mehr und Zustände
wie in Dagongmai auch nicht, und es hat sich auch eine neue Arbeiterbewegung entwickelt. In vielen Bereichen
steht China in dieser Hinsicht auf der „nördlichen“, in anderen noch auf der „südlichen“ Seite. Es findet nicht nur
Mehrwerttransfer aus China hinaus, sondern auch solcher nach China statt. Als Ganzes trägt China inzwischen
den Charakter eines imperialistischen, ergo „nördlichen“ Landes.
4
56
Proletarische Revolution 62
auf regionaler Ebene, z.B.
Indien (mit 15% der Weltindustriebeschäftigten),
Brasilien (3%), in kleinerer
Dimension auch Südafrika
(also die restlichen BRICS).
Diese Länder pauschal
zum “Global South” zu
rechnen und ihren ebenfalls und immer stärker
ausgeprägten zumindest
regionalhegemonistischen
und ausbeuterischen Aspekt “vergessen”, heißt,
den Widerspruch zwischen
imperialistischen
und abhängigen Ländern
zu vernebeln und Konfusion zu verbreiten. Rechnet
man aus dem imposanten
Schaubild auf S.56, nach
dem über 80% aller Industriebeschäftigten
im
“Süden” schufteten, China
heraus, landet man schon
bei “nur mehr” 45%. Rechnet man auch Russland zur
Gänze und die restlichen
BRICS-Staaten wenigstens
mit ihrem “nördlichen”
Aspekt, also sagen wir zur
Hälfte, heraus, landet man
bei höchstens 35%. Also:
Nur 35% der Industriearbeiter/innen der Welt
arbeiten tatsächlich
im
„Globalen Süden“, nicht
80% wie Lauesen/Cope
behaupten.
Die Theorie vom “Global
South” und der Pseudowiderspruch zwischen “Norden” und “Süden ist, ob
die Autoren das subjektiv
wollen oder nicht, poli-
tische Falschmünzerei zur
Verwischung der Klassenund grundlegenden Widersprüche auf der Welt
und zur Untergrabung des
internationalen Klassenkampfes. Die chinesischen
Imperialisten freilich werden sich freuen, wenn ihnen von “marxistischer”
Seite bestätigt wird, was
sie jahraus, jahrein zwecks
Lug und Trug von sich
selbst behaupten, nämlich
dass sie ihn gewisser Weise
das “größte Entwicklungsland” seien und nicht zu
den Imperialisten, sondern
zur “Dritten Welt” (so
hieß nämlich der “Global
South” bis vor wenigen
Jahren) gehörten - was diese ihnen allerdings immer
weniger glaubt.
III. “Produktionsgesellschaften” versus
“Konsumtionsgesellschaften”?
Schauen wir uns jetzt den
Widerspruch
zwischen
den “Produktionsgesellschaften” des “Südens”
und den “Konsumtionsgesellschaften” des “Nordens” an. China z.B. produziert, hieße das, während
z.B. die EU konsumiert.
Dazu müsste China das von
ihm Produzierte exportieren und die EU selbiges
importieren. China müsste
daher eine gewaltige Exportquote und die EU eine
gewaltige
Importquote
haben.5 Ist das tatsächlich der Fall? Anscheinend
liegt diese banale Frage
außerhalb des Interessensbereichs von Lauesen und
Cope. China hat eine Exportquote am BIP von 22%
(2014). Das heißt, 78%
oder mehr als drei Viertel
der chinesischen Produktion sind für die chinesische
Verwendung (private, als
Konsumgüter, und produktive, als Produktionsmittel) bestimmt. Mehr
als drei Viertel der chinesischen Arbeiterklasse arbeiten also rein statistisch
für das Inland. Diese 78%
werden zwar ebenfalls
ausgebeutet und überausgebeutet, aber nicht um
billige Produkte für den
“nördlichen” Markt zu erzeugen.6 Dass die “nördlichen” Imperialisten auch
daran profitieren, auch
am Inlandsmarkt, z.B. in
Form von Absatzmärkten
und von aus ihren Direktinvestitionen gezogenen
Profiten, ist eine andere
Geschichte, die mit “ungleichem Tausch” zwi-
Wir gehen bei den folgenden Zahlen von den Handelsbilanzen aus, also dem Export bzw. Import von Gütern,
und vernachlässigen den von Dienstleistungen, weil er in der Frage des „ungleichen Tauschs“ zwischen „Nor­
den“ und „Süden“ nicht die entscheidende Rolle spielt. Z.B. machen die Güterexporte Chinas 91% seiner Ge­
samtexporte aus, die Güterimporte der EU 75% ihrer Gesamtimporte.
5
6
Auch die restlichen 22%, der Export, muss zuerst einmal in China produziert werden - da aber China auch eine
fast gleich große Importquote (20%) hat, gleichen sich beide Seiten fast aus. Der Export Chinas besteht übrigens
im Gegensatz zu den Vorstellungen des konsumierenden Ignoranten nicht v.a. aus T-Shirts, Kinderspielzeug, Pla­
stikblumen und i-Phones, sondern - um die wichtigsten Branchen zu nehmen - aus Elektrischen Maschinen (12%),
Geräten für Nachrichtentechnik (12%), Büromaschinen etc. (10%) - und natürlich Rüstungsgütern, die in der
Außenhandelsstatistik nicht adäquat abgebildet werden, aber mindestens 10% der Gesamtexporte ausmachen.
57
Nord-Süd-Konflikt oder Antiimperialismus?
schen dem “Global South”
und dem “Norden” nichts
zu tun hat7.
Kommen wir zu den “Konsumtionsgesellschaften”
des “Nordens” und nehmen wir das Beispiel der
EU. Die EU hat eine Importquote am BIP von 30%
(2015). Es werden also
70% aller in der EU konsumierten oder im weiteren
Produktionsprozess
vernutzten Waren innerhalb
der EU produziert und nur
etwa 30% importiert. Die
EU hat andererseits eine
Warenexportquote
von
32% und auch diese Waren müssen ja zuerst in der
EU produziert werden. Die
EU produziert also sogar
mehr Waren, als sie selbst
konsumiert oder produktiv vernutzt. Dazu kommt,
dass keineswegs aller EUImport aus dem “Süden”
kommt, ganz im Gegenteil: 63% des Imports kommen aus anderen imperialistischen Ländern und nur
37% aus dem “Süden”.
37% von 30% sind nicht
weniger, aber auch nicht
mehr als 11% des BIP.
Einer Überlegung wert ist
es, dass im Inneren der EU
sich ja ebenfalls abhängige, neokoloniale und
sogar koloniale Länder
(Bosnien, Kosovo...) befinden, erhebliche Teile des
Balkan. Müsste man diese
nicht auch dem “Süden”
zurechnen? Aber welches
Gewicht haben diese Länder in Bezug auf unsere
Frage? Wie viel Handel
und damit zwangsläufig
“ungleichen Tausch” treiben sie mit den imperialistischen Kernländern der
EU? Der gesamte Balkan
(Ex-Jugoslawien, Albanien, Rumänien und Bulgarien) steht nur für 2% des
EU-BIP, spielt also in der
globalen Betrachtung keine Rolle. Deshalb hat ja
auch die Eurozone alleine,
also in gewisser Hinsicht
der Kern der EU, ebenfalls
eine Importquote von 31%
und eine Exportquote von
34%, also nur unbedeutend mehr als bei der EU
insgesamt.
Noch ein Blick auf den
sonstigen “Norden”. Die
Importquote der USA ist
13%, seine Exportquote
9%. Die USA leben noch
weniger als die EU überwiegend vom “ungleichen
Tausch”, wie es Lauesen
und Cope nahelegen. Dafür sind bei den USA die
anderen Formen der Ausbeutung und Ausplünderung des “Südens”, die
bei Lauesen und Cope nur
zu Beginn erwähnt, aber
nicht weiter behandelt
werden, stärker ausgeprägt (verschiedene Formen des Kapitalexports,
von den Direktinvestitionen über den Schuldendienst bis zur Nutzung des
Dollar als Weltwährung).
Die Importquote Japans
ist 17%, die Exportquote
16%, beides ebenfalls weit
unter EU-Niveau.
Fassen wir diese Fakten
zusammen, erheben sich
- wieder am Beispiel Chinas und der EU - folgende
Fragen: Inwiefern ist angesichts dieser Export- und
Importquoten z.B. China
eine “Produktionsgesellschaft”, die EU hingegen
eine “Konsumtionsgesellschaft”? Inwiefern lebt
die EU sehr maßgeblich,
wenn nicht hauptsächlich
vom billigen Konsum von
in China und anderswo
im “Süden” produzierten
Waren? Inwiefern wird
der in China produzierte
Mehrwert überwiegend
im “Norden” realisiert,
“als Konsumentennutzen
in Gestalt billigerer Produkte” (p.65), also in Form
von “südlichen” Subventionen für den “nördlichen”
Konsumenten? Nicht dass
nicht Mehrwert aus China
nach Europa fließen würde, aber nicht in der von
Lauesen und Cope suggerierten
Größenordnung
- und vor allem nicht, um
zu einer Subvention an
die Arbeiterklasse Europas
zu werden (ohne nämlich,
dass durch die Verbilligung
von Konsumwaren nicht
im Gegenzug deren Lohn
gesenkt würde).
Noch kurz zu Österreich: Österreich hat eine
überdurchschnittliche
Import- wie auch Exportquote, nämlich 36% bzw.
37%. Das hat klarerweise
auch mit der Kleinheit des
Landes zu tun. Lebt also
Österreich mehr noch als
die anderen Imperialisten
vom “ungleichen Tausch”
mit dem “Global South”?
Bei weitem nicht aller Import kommt aus dem “Sü-
Dass ein Teil der chinesischen Produktion die von nicht-chinesischen imperialistischen Konzernen ist, zum Teil
für den chinesischen Inlandsmarkt, zum Teil zwecks Exports und davon wiederum zu einem Teil zwecks Exports
in den imperialistischen „Norden“, tut nichts zur Sache. Er ist Teil des chinesischen Wertprodukts und schafft chi­
nesischen Mehrwert. Die Eigentumsverhältnisse der in China tätigen Firmen sind für viele Fragen wichtig, aber
nicht für die Tatsache, dass es sich um chinesische Wert- und Mehrwertproduktion handelt - die auf dem Weg
von Direktinvestitionen von ausländischen Kapitalen angeeignet und zum Teil ins Ausland transferiert wird.
7
58
Proletarische Revolution 62
den”, vielmehr kommen
71% des österreichischen
Imports aus der EU (davon
57% aus der Eurozone).
Weitere 11% des österreichischen Imports kommen
aus anderen OECD-Staaten außerhalb der EU (incl.
USA, Japan), ebenfalls
zweifelsfrei
“Norden”.
Aus China, das als imperialistisches Land eigentlich
auch dem Norden zuzurechnen wäre, kommen
2% des österreichischen
Imports, aus Russland 4%.
Der langen Rede kurzer
Sinn: aus dem “Süden”,
wenn man China und Russland nicht zu diesem “Süden” rechnet, dafür das
eine oder andere Balkanland schon, kommen nur
höchstens 10% aller österreichischen Importe (oder,
bei einer Importquote von
36%) ganze 3,6% des BIP.
Dazu kommt die Exportquote von 37% - da sich
Import und Export mehr
als ausgleichen, wird in
Österreich sogar eine Spur
mehr produziert als kon­
sumiert.
Nimmt man diese Zahlen,
erweist sich das Bild, das
Lauesen und Cope zeichnen, als Hirngespinst.
Das schlechte Gewissen
des
“globalisierungskritischen” Kleinbürgers wird
durch die “Global South”Schablone eventuell befördert, der Klassenkampf
gegen die imperialistische
Bourgeoisie
hingegen
nicht.
Die chinesische Arbeiterklasse schuftet also statistisch gesehen zu 22% für
den Export, aber zu 78%
für die chinesische Reproduktion und Akkumulation. Politisch steht sie zu
100% der chinesischen
Bourgeoisie und ausländischem Kapital, das Direktinvestitionen in China
getätigt hat, gegenüber.
Die Arbeiterklasse der EU
schuftet zu 32% für den
Export , aber zu 68% für
die Reproduktion und Akkumulation des Kapitals in
der EU, wobei der Export
in der Hauptseite in andere imperialistische Länder
geht (China mit 20% des
EU-Gesamtexports,
USA
mit 14% und Russland mit
10% usw.) und nur ein
Teil in den “Süden”. Politisch steht sie zu 100%
der/den
europäischen
Bourgeoisie(n) und ausländischem Kapital, das
Direktinvestitionen in der
EU getätigt hat, gegenüber. Der entscheidende
Klassenwiderspruch verläuft in China wie im imperialistischen “Norden”
zwischen Proletariat und
Bourgeoisie im jeweiligen
Land/in den jeweiligen
Ländern und dieser Widerspruch ist auch im Weltmaßstab einer der grundlegenden Widersprüche.
Zu diesem kommt ein
zweiter
grundlegender
Widerspruch, der zwischen
dem Imperialismus und
den unterdrückten Völkern, der aber den ersteren nicht etwa überwiegt
oder gar aushebelt. Diese beiden grundlegenden
Widersprüche bestimmen
den internationalen Klassenkampf.
IV. Realitätscheck dieser
Zahlen durch das wirkliche Leben
Zahlen erscheinen manchmal als abstrakt, machen
wir sie also anschaulicher.
Der normale österreichische
Lohnabhängige
gibt fast sein ganzes oder
tatsächlich sein ganzes
Geld und nicht selten mehr
als das aus für das Lebensnotwendige an Wohnung,
Kleidung und Ernährung,
auch ein Smartphone, allenfalls noch ein Auto usw.
Das weitaus meiste davon
und auch die Produktionsmittel zur Produktion dieser Konsumgüter werden
nicht im “Süden”, sondern
im “Norden” produziert:
Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion,
Wohnbau und Bauwirtschaft überhaupt, Energiewirtschaft (außer dem
Import von Öl und Gas,
sehr wohl jedoch die Raffinierung), Transportwirtschaft,
Stahlerzeugung
und andere Metallurgie,
große Teile z.B. des Maschinenbaus, Kraftwerksbaus, Stahlwerksbaus, der
Verkehrstechnik, Gesundheitswesen, Schulwesen,
Restaurants und Cafés und
andere Dienstleistungssektoren usw. usf. - das alles
ist österreichischen oder
EU-Ursprungs, also aus
dem “Norden”. Natürlich
stößt man überall auch
auf T-Shirts aus Asien, Autos aus Japan, Elektrogeräte asiatischen Ursprungs
und last but not least auf
das iPhone, das Lauesen
und Cope für die typische
59
Nord-Süd-Konflikt oder Antiimperialismus?
“Neoliberale Industrialisierung”?
Lauesen und Cope leben in einer “neoliberalen” Scheinwelt. Die “substanzielle Industrialisierung des Südens in
den letzten drei Jahrzehnten ...wurde möglich durch den Zerfall der sowjetischen und osteuropäischen ‘real existierenden sozialistischen’ Wirtschaftssysteme und die Öffnung Chinas für den globalen Kapitalismus.” (p.55).
Tatsächlich gab es eine substanzielle Industrialisierung in der Sowjetunion und nach dem Zweiten Weltkrieg in
Teilen Osteuropas (z.B. Albanien, Polen, Rumänien, Bulgarien) sowie Chinas und Koreas erst nach der Befreiung
von Imperialismus und Kapitalismus, während die anschließende Restauration des Kapitalismus diese wieder
untergrub und der schließliche Kollaps der Sowjetunion und der revisionistischen Regime in Osteuropa auch
zum weitgehenden Zusammenbruch der dortigen Wirtschaft und zu einer regelrechten Entindustrialisierung
führte, die teilweise bis heute andauert. Umgekehrt besteht die durch den “Neoliberalismus” beförderte Industrialisierung in den meisten Fällen, auch wenn sie große und bisher nicht dagewesene Dimensionen annimmt,
nur in einer vom Imperialismus abhängigen, auf dessen Bedürfnisse zugeschneiderten einseitigen Entwicklung.
Das was sich in vielen Ländern des “Südens” abspielt, kann man nur sehr euphemistisch als Industrialisierung
bezeichnen. Der Aufstieg Chinas bildet eine historische Ausnahme. Sogar Indien hat keine im vollen Sinn auf
eine eigenständige Entwicklung gerichtete Industrialisierung zustandegebracht. Gar nicht zu reden von den
Lauesen und Cope aufgezählten Beispielen Indonesien, Vietnam, Brasilien und Mexico und schon gar nicht von
solchen Ländern, die tatsächlich nur “verlängerte Werkbänke” oder Bergwerke der Imperialisten sind (wie z.B.
Bangladesh oder viele afrikanische Länder).
Weltware überhaupt halten - aber das ist nur der
kleinere Teil dessen, was
in Österreich konsumiert
wird8. Jede Leserin und
jeder Leser können sich
selbst einmal überschlagsmäßig ausrechnen, wieviel
sie von ihrem Monatseinkommen für Produkte aus
dem „Süden“ ausgeben:
Miete,
Betriebskosten,
Essen, Transport, Gesundheit, Bildung, Kultur,…
- wieviel Euro bleiben da
noch für Waren aus dem
„Süden“?
V. Aussagekraft
der Export- und
Importquoten?
Gegen die obigen Zahlen
bzw. ihre Aussagekraft
gibt es statistische Einwände und sie sind in einem
gewissen Maß berechtigt. Diese Zahlen beruhen nämlich allesamt auf
Preis- und nicht auf Wert-
größen, denn Wertgrößen
würde man in der bürgerlichen Statistik vergeblich
suchen.9 Vielleicht, könnte
man ja fragen, sind die Exportquote Chinas und die
Importquote der EU nur
deshalb so niedrig, wie
sie ausgewiesen werden,
weil die Preise dieser Waren weit unter ihren Werten liegen? Und vielleicht
exportiert umgekehrt der
“Norden” zu Preisen über
den Werten? Vielleicht
versteckt sich also die
Mehrwerttransfer gerade
hinter diesen “falschen”,
von den Werten abweichenden Preisen, also hinter falschen Zahlen? An
diesen Einwänden ist etwas dran, aber nicht das
und nicht so, was und wie
die meisten “Globalisierungskritiker” glauben.
Es stimmt, dass die Preise
nicht nur von den Werten abweichen können,
sondern dies unweigerlich alleine schon durch
die
Marktbewegungen
aufgrund der Konkurrenz
der Kapitale untereinander tun, aber die Preise
werden nicht beliebig in
der
Zirkulationssphäre
gebildet (“Angebot und
Nachfrage”) und können
sich nicht beliebig von
den aus der Produktionssphäre stammenden Werten los lösen. Die Preise
gravitieren (schwanken)
um den Wert bzw. seine
“verwandelte” Form, den
Marktwert und letztendlich den Produktionspreis.
Dazu kommen dann Faktoren wie monopolistische
Preisbildung, Überausbeutung der Arbeitskraft etc.
Oft kommen auch “außerökonomische” Faktoren
dazu wie Raub, Plünderung, politische Monopolstellungen,
Schutzzölle,
Marktabschließungen und
-einschränkungen etc.
Der österreichische oder generell „nördliche“ Inhalt ist oft nicht sofort sichtbar, z.B. wenn bei einem aus­
ländischen Auto oft jede Menge österreichischer Karosseriestahl, Motoren und Getriebe, Steuerungschips
und viele andere Teile verarbeitet wurden. Ähnliches gilt für viele andere Branchen. Sogar in so mancher
asiatischen Textilie steckt Lenzing Modal.
9
Kein stichhaltiger Einwand ist, dass das BIP als Maßstab für Export- und Importquote nicht tauge, da es nur
aus aufaddierten Preisen besteht und keine Wertgröße repräsentiert und so alles Mögliche, auch unproduk­
tive Tätigkeiten in sich einschließt. Das ist wahr, aber es gilt genauso für die Berechnung des Exports und
Imports – das Verhältnis wird also weitgehend korrekt widergespiegelt.
8
60
Proletarische Revolution 62
Die Statistik auf Basis der
Preise kann daher und wird
sogar verzerren, aber nicht
in einem Ausmaß, dass das
die obigen Größenverhältnisse und die getroffenen
Aussagen in Frage stellen würde. Dazu kommt,
dass man die Dimension
des Tauschhandels nicht
überschätzen darf. Aus
dem “Global South” (den
Balkan als “innere” Neokolonie der EU schon dazu
gerechnet) kommen insgesamt nur 10% der Gesamtimporte Österreichs.
Es können diese 10% mehr
an Wert repräsentieren
als die Preise ausdrücken,
aber nicht ein Vielfaches.
In einzelnen Fällen, bei
einzelnen Produkten kann
das ausnahmsweise anders
sein, aber nicht für den Gesamtimport. Wenn die Gesamtimporte 36% des BIP
ausmachen und der Anteil
des “Global South” (samt
Balkan) an den Gesamtimporten 10% ist, dann
machen diese letzteren
Importe 3,6% des BIP aus
und der daraus resultierende “Konsumentennutzen” ist dementsprechend
schon rein statistisch beschränkt. Die obigen Zahlen veranschaulichen daher trotzdem, wenn auch
mit dieser Einschränkung,
dass zwar selbstverständlich der imperialistische
“Norden” den “Süden”
auch über den “ungleichen
Tausch”ausbeutet,
dass aber diese Form oder
Ebene der Ausbeutung des
“Südens” nicht das überwältigende Gewicht hat,
das Lauesen und Cope ihm
beimessen.
Außerdem gibt es auch
Verzerrungen in der entgegengesetzten Richtung:
Die o.a. Export- und Im-
portquoten übertreiben
in der Regel, für manche
Länder sogar sehr erheblich, weil sie auch Transithandel
einschließen.
Wenn ein Land aus einem
anderen Land Waren bezieht und diese an ein drittes weiterverkauft, gehen
sie in seine Export- und Importquote ein, ohne aber
in diesem Land produziert
worden zu sein. Dass das
so sein muss, auch wenn
es statistisch schwer oder
gar nicht dingfest zu machen ist, sieht man daran,
dass die respektiven Quoten bei einigen Ländern
unvorstellbar hoch sind.
So hätte z.B. die Slowakei
eine Exportquote von 83%
oder Ungarn 73% - und
fast eben so hohe Importquoten. Das ist, wenn man
bedenkt, dass einige Wirtschaftszweige
zwangsläufig lokal sind, gänzlich
unmöglich und es kann
sich nur um Transithandel
handeln.
VI. Klassenwidersprüche oder Breitengrade?
Der Pseudo-Widerspruch
zwischen “Norden” und
“Süden” ist nur eine modernisierte
Neuauflage der diversen “Dritte
Welt”-Theorien und nur
dazu angetan, den Klassenkampf zu unterminieren. Dies einem Lauesen
oder Cope nahe bringen
zu wollen, wäre indes vergebliche Liebesmüh’, denn
mit Klassenkampf haben
die beiden Autoren nichts
am Hut. Dafür schrecken
sie vor keiner noch so lächerlichen Bourgeois-Plattitüde zurück. “Nach dem
Ökonomen der Weltbank
(das auch noch!), Branko Milanovic, ... ist die
Ungleichheit heute nicht
mehr überwiegend durch
Klassenzugehörigkeit bestimmt ... , sondern fast
ausschließlich
dadurch,
wo man wohnt. Letzteres
bestimmt zu 80% die globale Ungleichheit” (p.57
und die diesen Schrott
noch mehr aufplusternde
Milanovic’sche Grafik auf
p.58). Die Klassenzugehörigkeit spielte demnach
nur zu 20% eine Rolle,
also eigentlich keine nennenswerte. Das ist nicht
sehr viel gescheiter als
für ein imperialistisches
Land zu sagen: ob man
arm oder reich ist, hängt
höchstens zu 20% von der
Klassenzugehörigkeit ab,
aber zu 80% von der “location”, nämlich ob man
in einem Penthouse eines
Nobelviertels oder in einer verschimmelten Souterrain-Wohnung schräg
unter der Stadtautobahn
haust. Freilich, dass man
z.B. im Jemen geboren ist
und nicht in Österreich,
kann man sich nicht aussuchen - aber der, der in der
verschimmelten Wohnung
schräg unter der Stadtautobahn wohnt, kann sich
das auch nicht aussuchen.
An jeder Stelle des Planeten gibt es Klassen und
Klassengegensätze
und
sie bestimmen das Leben.
Auch im “Global South”
hängt es in erster Linie
davon ab, welcher Klasse
man angehört, Reiche gibt
es auch dort genug. Natürlich geht es im Durchschnitt den Menschen in
den imperialistischen Ländern wesentlich besser als
denen im “Global South”,
auch den armen Menschen
hier immer noch besser als
den armen dort - das ist
das Ergebnis einer langen
Geschichte der imperialis61
Nord-Süd-Konflikt oder Antiimperialismus?
tischen Ausbeutung der
Kolonien und Neokolonien einerseits und der Arbeiterbewegung, der Klassenkämpfe, revolutionärer
Krisen usw. andererseits,
also all dessen, was Marx
als die “historische und
moralische
Dimension”
des Werts der Arbeitskraft
fasste. Aber überall gibt es
Ausbeuter und Ausgebeutete. Die Ausbeuter beider
Sphären halten zusammen
- und die Ausgebeuteten
beider Sphären sollten das
auch. Dass der Wert der
Arbeitskraft hier und dort
nicht derselbe ist und auch
ihre
Lebensverhältnisse
nicht, hilft weder den einen, noch den anderen,
wenn sowohl den einen als
auch den anderen tendenziell der Lohn unter diesen
jeweiligen Wert gedrückt
wird.
Es geht für uns in den imperialistischen
Ländern
darum, den Klassenkampf
hier zu führen und die
Klassenkämpfe im “Süden”
und die Kämpfe der unterdrückten Völker zu unterstützen und für die Einheit
der internationalen Arbeiterklasse zu kämpfen, wobei - was unseren Beitrag
betrifft - der Klassenkampf
hier, die Schwächung des
Imperialismus, die Behinderung und Störung seiner Machenschaften auch
der Arbeiterklasse der
abhängigen und neokolonialen Länder und den
unterdrückten Völkern am
meisten nützt. Wer eine
“Dichotomie”
zwischen
“Norden” und “Süden”
jenseits der Klassen dahingehend theoretisiert,
dass ein Klassenkampf
hier sowieso sinn- und
jede
gewerkschaftliche
Bemühung nutzlos wäre,
weil wir ja alle, auch die
Arbeiterklasse, “materiell
von der Überausbeutung
der südlichen NiedriglohnArbeit profitieren” (p.65),
ist ein Bourgeoisbüttel.
VII. Seltsame Kurven ...
Wir kommen jetzt zum
Herzstück des Artikels, zur
eigentlichen Analyse der
Transformation der Werte in Preise (p.59ff.). Die
übliche “globalisierungskritische” Meinung, sofern marxistisch gefärbt10,
be steht darin, dass durch
“ungleichen Tausch” die
Preise dergestalt von den
Werten abweichen, dass
der “Süden” zu unter den
Werten liegenden Preisen
in den imperialistischen
“Norden”
exportiert11.
Die ganze Chose läuft auf
Mehrwerttransfer
und
Umverteilung in der Zirkulationssphäre
hinaus
und, da außerdem noch
Imperialismus, Finanzkapital und Monopolmacht im
Spiel sind, auf üble, gegen
den “Süden” gerichtete
Machenschaften auf der
Preisebene. Lauesen und
Cope landen - entgegen
ihrem Vorsatz zur Entschlüsselung der dahinter
liegenden ökonomischen
Gesetzmäßigkeiten - letztlich ebenfalls dort, aber
auf einem verschlungenen
Weg und nicht ohne diesen mit einem auf ihren
Argumentationsbedarf
hin zurechtgeschneiderten
“Auszug” Marx’scher Theorie (p.60f.) aufzumotzen.
Sie thematisieren die Tatsache der Transformation
der Werte in Preise; gehen
auch davon aus, dass diese Transformation nicht
nur oder in erster Linie
eine Frage von Gewalt,
Korruption und monopolistischem Preisdiktat sein
kann, sondern - wenn das
Ganze nicht eine zufällige
Entgleisung des Kapitalismus sein sollte - nach
ökonomischen Gesetzmäßigkeiten ablaufen muss;
sie sprechen auch an, dass
es hinter der Zirkulationssphäre eine Produktionssphäre von Wert und Mehrwert geben muss - aber
sie können keine Brücke
von der Produktionssphäre zur Zirkulationssphäre
schlagen und den Prozess
und die Mechanismen der
Transformation von Werten in Preise nicht erhellen
und landen trotz einiger
10
Wer nicht vom Marxismus angehaucht ist, wird sich wahrscheinlich nicht für die Frage der Transformation
von Werten in Preise interessieren, da ihm gar nicht geläufig ist, dass es überhaupt Werte hinter den Preisen
gibt. Üblicherweise begnügt sich der „globalisierungskritische“ Mensch mit der Ansicht, dass es sich doch wohl
irgendwie um „Ausbeutung“ handeln muss, wenn Hungerlöhne in Bangladesh gezahlt und die T-Shirts in den
imperialistischen Ländern weit über den Produktionskosten verkauft werden. (Logische politische Schlussfolge­
rung daraus übrigens: Würden die dortigen Löhne erhöht, die Arbeitsbedingungen verbessert und notfalls auch
der hiesige Preis des T-Shirts erhöht, wäre die „Ausbeutung“ überwunden, zumindest die extreme, sodass man
zumindest kein schlechtes Gewissen mehr haben müsste.)
Die Frage des „ungleichen Tausches“ stellt sich klarerweise nur für diejenigen Waren, die vom „Süden“ in den
„Norden“ exportiert werden bzw. umgekehrt, nicht für diejenigen, die dort konsumiert oder als Produktions­
mittel verbraucht werden, wo sie produziert werden. Sie stellt sich also nur für den weitaus geringeren Teil aller
Waren.
11
62
Proletarische Revolution 62
“marxistischer” Girlanden
wieder nur bei der gemeinplätzigen “Erkenntnis” des billigen Kaufens
und teuren Verkaufens,
bei der Beschreibung und
Anprangerung
imperialistischer Preispolitik und
Preisbildung.
Das Herzstück des Artikels
ist so aufgebaut: Das Kapitel zur “Wert-Preis-Transformation” (p.59f.) greift
einen Teil der Marx’schen
Wert- und Mehrwerttheorie heraus (die Verwandlung der Werte in Produktionspreise) und repräsentiert sozusagen die marxistische Theorie, leider eine
verengte und zurechtgestutzte Theorie; das nächste Kapitel zum “Globalen
Rahmen” (p.61f.) skizziert,
ohne jeden Beleg oder jede
stichhaltige Begründung,
ein aus der Luft gegriffenes Bild des Rahmens,
in dem sich diese Transformation heute angeblich
abspielt, mit einer falsche
Sicht von Weltmarkt und
Weltmarktpreisen; das folgende Kapitel “Das Kernstück von Apple” (p.63f.)
schließlich präsentiert am
Beispiel des iPad ein nicht
nur zweifelhaftes, sondern
an und für sich der Sache
(der Transformationsproblematik von Werten in
Preise) in keiner Weise dienendes Zahlenwerk, das
die “Analyse” der beiden
Autoren belegen soll. Das
Unternehmen
scheitert
kläglich. Sie können ihre
“Erkenntnis” nicht schlüssig erklären und auch keinen Zusammenhang herstellen mit dem “Beispiel”
des iPad. Das iPad-Kapitel
treibt sich - wie viele andere Teile des Artikels - ausschließlich in der Zirkulationssphäre um, es handelt
nur von Preisen. Weder
sind dahinter liegende
Werte
angesprochen,
noch deren Transformation in Preise. Die marxistische Werttheorie ist zu
bürgerlicher Kalkulation
und
Betriebswirtschaft
verkümmert12. (Das iPad ist
übrigens ein zwar sehr beliebtes und spektakuläres,
aber leider kein gutes, da
für die große Masse der
Warenwelt nicht repräsentatives Beispiel.)
Lauesen und Cope steigen
ein mit einer Grafik zur
“Wert- und Preisbildung
in der globalen Produktionskette” am Beispiel von
Computern (p.59 - siehe
Chart 3, diese Seite oben!),
die zwei einander gegenüber liegende Kurven zeigt,
eine nach oben offen und
12
Das drückt sich in seltsamen Kategorien, wahrscheinlich für den „neuen Imperialismus“ neu erfunden, aus,
darunter im „scheinbaren Mehrwert“ (p.65) und im „dunklen Mehrwert“ (p.63f.). Scheinbarer Mehrwert sei,
wenn durch billig aus dem „Süden“ importierte Konsumgüter die Löhne der Arbeiter im „Norden“ relativ (rela­
tiv! denn eigentlich sind sie „superwaged“) niedriger gehalten werden können, als dies ohne diese Billigimporte
möglich wäre, und wenn dadurch sowie auch durch billig importiertes konstantes Kapital (Rohstoffe, Zwischen­
produkte, Maschinen etc.) ein scheinbarer „Mehrwert“ entstünde. Sorry, das ist nicht „scheinbarer ‚Mehrwert‘“,
sondern schlicht und einfach Mehrwert. Wenn der Wert der Arbeitskraft gesenkt werden kann und das konstan­
te Kapital sich verbilligt, erhöht sich der Mehrwert des „nördlichen“ Kapitalisten. „Dunkler“ Mehrwert für das
Kapital im „Norden“ sei, wenn z.B. im „Süden“ der Wert der Arbeitskraft bzw. Lohn durch informelle, nichts
mit dem Lohnverhältnis zu tun habende Umstände gesenkt werde (gemeint ist damit z.B. Verringerung der
Reproduktionskosten durch von der Familie betriebene Subsistenzwirtschaft) oder wenn wegen fehlender Um­
weltstandards auch keine Kosten für deren Einhaltung anfielen. Ersteres erhöht durch die dadurch ermöglichte
Lohnsenkung bzw. wenn es „Standard“ ist sogar ein Sinken des Werts der Arbeitskraft den lokalen Mehrwert,
der dann zum Teil, manchmal zum Großteil in den Taschen „nördlicher“ imperialistischer Kapitale landet. Zwei­
teres schafft überhaupt keinen Mehrwert, hält aber die Kosten des lokalen Kapitals niedriger, als sie sonst wären.
Die Bourgeois nennen solche vermiedenen Kosten „Opportunitätsgewinne“ (und übrigens durch Pech nicht ein­
gefahrene Gewinne „Opportunitätsverluste“, eine wichtige Größe, die die in der Buchhaltung gerne zum Ver­
schleiern der tatsächlichen Profite benutzt wird). Schlechtere oder gar keine Umweltstandards schaffen ebenso
wenig Mehrwert wie z.B. die größere Ergiebigkeit einer Mine oder staatliche Subventionen für den Bourgeois
usw. usf. Laueses/Cope stolpern auch an dieser Stelle über ihr ständiges Mischmasch von Wert- und Preiskate­
gorien und generell ihren dilettantischen Umgang mit marxistischen Kategorien. Hier verwechseln sie offenbar
auch Wertproduktivität mit stofflicher Produktivität (anders ausgedrückt: abstrakte und konkrete Arbeit).
63
Nord-Süd-Konflikt oder Antiimperialismus?
eine nach unten, die beide aussehen wie eine Art
zugespitzter Hyperbeln.
Erstere, ein “smiley”, wie
sie sagen, zeige die bürgerliche Vorstellung von
Wertbildung (“Wertschöpfung” auf jeder Stufe der
Kapitalverwertung
und
des Kapitalkreislaufs auf
Basis von Preisen), nach
der die Masse der bürgerlich verstandenen “Wertschöpfung” an den beiden
Rändern, den vor- und
nachgelagerten Bereichen
der eigentlichen industriellen Produktion erfolgt.
Die zweite, ein “sour smiley”, repräsentiere die
marxistische Auffassung
(auf Basis von Wertproduktion), nach der die
Masse der Wertschöpfung
in der Mitte der Kurve, in
der Produktion, erfolgt.
Beide Kurven unterscheiden zwischen dem Mittelteil der eigentlichen
Produktion (beim iPad
z.B. in China) und solchen
Tätigkeiten, die dieser vorgelagert (“Management,
Finanzen, Design, Forschung & Entwicklung”)
und nachgelagert (“Marketing,
Markenpflege,
Werbung, Verkauf”) und
in den USA bzw. anderen
imperialistischen Ländern
angesiedelt sind. Die bürgerliche
“smiley”-Kurve
erweckt den Eindruck, die
eigentliche
Produktion
sei fast gar nichts “wert”,
die “marxistische” “sour
smiley”-Kurve zeige dagegen, dass es umgekehrt sei
und die vor- und nachgelagerten Tätigkeiten fast
gar keinen Wert produzierten. Ersteres ist selbstverständlich falsch, aber
auch zweiteres ist so nicht
richtig, denn vieles davon
64
sind ebenfalls Tätigkeiten,
ohne welche die Produktion des iPad nicht möglich
wäre und daher produktive Tätigkeiten. Beide
Kurven sind im Grunde
nur wohlmeinende moralische Projektionen, die
mittels einer Zeichnung
überzeugen sollen. Offenbar, schließen die beiden
Autoren aus ihrer Grafik,
weichen die Verrechnungsoder Verkaufspreise auf
den verschiedenen Stufen
der Produktion substantiell von den respektiven
Werten ab.
Lauesen und Cope machen
sich in weitere Folge an
die Aufgabe, das in der
Grafik abgebildete Phänomen marxistisch zu erklären, d.h. nicht durch willkürliche Machenschaften
der imperialistischen Bourgeoisien, sondern auf Basis ökonomischer Gesetzmäßigkeiten. Sie schreiben zunächst noch ganz
richtig: “Obwohl ... der
Marktpreis einer Ware regelmäßig von ihrem Wert
abweicht, ist er letztlich
durch diesen bestimmt.”
(p.59) Deshalb gehen sie
ja der Frage nach: “Wenn
eine Korrelation zwischen
dem Wert im marxistischen
Sinn und dem Marktpreis
besteht, wie spielt sich
dann diese Transformation ... ab?” (ebenda) Das
genau ist die Frage.
Ihr Ansatz ist simpel, aber
eben zu simpel: “In einer
Welt, in der die Marktpreise
der Waren dazu tendieren, global zu konvergieren, während die Marktpreise der Arbeitskraft
wegen des historischen
und zeitgenössischen Klassenkampfes variieren, ist
das Resultat eine Umverteilung von Wert aus Ländern mit niedrigem Preis
der Arbeitskraft zu solchen mit hohem.” (p.62)
Sie vergessen - nicht nur
an dieser Stelle - bei den
Bestimmungsgründen des
Werts der Arbeitskraft das
Entscheidende, die Reproduktionskosten derselben,
den Wert der Waren, die
in diese Reproduktion eingehen, also rein ökonomische Bestimmungsgründe. Kann sich die Arbeitskraft - als Klasse - nicht
mehr reproduzieren, ist
es auch mit der Ausbeutung, dem Mehrwert und
dem Kapital vorbei. Aber
das hier nur nebenbei.
Sie behaupten nun tendenziell stark konvergierende, suggerieren aber
eigentlich schon fast einheitliche Weltmarktpreise
(siehe auch die Referenz
auf Grossmann in Fußnote
13). Das enthält das Körnchen Wahrheit, dass es
tendenziell in diese Richtung geht, es stimmt, dass
die Tendenz zur immer
weitergehenden Entwicklung des Weltmarkts in die
Breite und in die Tiefe (das
ist ja die “Globalisierung”,
v.a. auch die der Produktion) in diese Richtung
wirkt, aber alle, die mit
offenen Augen durch die
Welt gehen, sehen, dass
es per heute offensichtlich
für die allermeisten Waren
bzw. Wirtschaftssektoren
bei weitem keine (einheitlichen)
Weltmarktpreise
von Bangladesh bis in die
USA gibt. Für die allermeisten Waren - mit Ausnahme
börsengehandelter
Rohstoffe und einiger extrem monopolisierter Bereiche wie z.B. bei einiger
Proletarische Revolution 62
Hochtechnologie
(einschließlich technologieintensiver Rüstungsgüter) stimmt es nicht. Nicht einmal das Coca Cola und der
Burger von McDonald’s,
früher der Inbegriff der
“Weltware”, haben einen
einheitlichen Weltmarktpreis, ganz im Gegenteil,
und der heutige Inbegriff
derselben, das iPad und
das iPhone, haben es auch
nicht, auch ganz im Gegenteil. Gar nicht zu reden von
allen wesentlichen Waren
und Dienstleistungen, die
der Ernährung, Wohnung,
Kleidung usw. der Arbeiter dienen. Kein einziger
Arbeiter und keine einzige
Arbeiterin auf der ganzen
Erde zahlt global konvergierende Weltmarktpreise für Lebensmittel,
Wohnung, Kleidung, Gesundheit, Ausbildung der
Kinder und auch nicht für
das Auto, das iPad oder
einen allfälligen Urlaub.
Das Schlüsselelement der
Lauesen-Cope’schen
Erklärung der Wert-PreisTransformation, das einzig
Originelle an dem ganzen
Artikel, ist also schon rein
empirisch gesehen hinfällig.
Vergeblich hofft man ab
p.59, dass sie Fakten für
ihre Behauptung anführen, aber sie bringen nur
zwei Zitate (p.62). Eines
des marxistischen Ökonomen Henryk Grossmann
aus 1929 (“Das Akkumulations- und Zusammenbruchsgesetz des Kapitalismus”), wo dieser - in
einem ganz anderen theoretischen Zusammenhang
- auf die Tendenz des Imperialismus zur Herausbildung eines Weltmarkts,
der sich von dem des 19.
Jahrhunderts
qualitativ
unterscheidet,
hinweist
und auf die in weiterer Folge auch Schritt für Schritt
tendenziell
konvergierenden Weltmarktpreise,
dabei allerdings in der Formulierung - 1929, vor fast
einem Jahrhundert und
ein halbes Jahrhundert,
bevor der “Neoliberalismus” und die “Globalisierung” die Bühne betraten!
- weit über das Ziel hinausschießt13, aber den Finger
auf eine wichtige Entwicklung legt und natürlich nicht ahnen konnte,
dass ihm jemand fast ein
Jahrhundert später etwas
für 1929 unterstellen würde, das es selbst 2016 nur
ausnahmsweise gibt. Das
zweite Zitat stammt von
einem gewissen Howard
Nicholas aus 2015, es mutet sehr abstrakt-”strukturalistisch” an und sagt nur,
dass im Kapitalismus jede
einzelne Ware integraler
Bestandteil des Gesamtsystems der Warenproduktion und der Kapitalverwertung und -akkumulation
sei, die zu ihrer Produktion
verausgabte Arbeit daher
integraler Teil der gesamten verausgabten Arbeit für
die gesellschaftliche Gesamtproduktion, der Weltarbeit sozusagen, ihr Wert
daher integraler Bestandteil des gesamten welt-
weit produzierten Werts,
des Weltwerts sozusagen,
usw. usf. Das ist alles richtig, aber deshalb muss es
lange keine einheitlichen
Weltmarktpreise gaben.
Lauesen und Cope setzen
fort, dass diese bahnbrechende Erkenntnis “wahr
(ist) für nationale wie internationale Wirtschaftssysteme ..., während der
Preis der Arbeitskraft, der
Lohn, auf einer globalen
Ebene enorm zwischen
dem Norden und dem Süden differiert.” (p.62)
Eine marxistische Erklärung des “Paradoxons”
ist das alles nicht - und es
gibt auch keine. Die Behauptung von Lauesen
und Cope ist nicht nur empirisch falsch, es ist auch
theoretisch absurd, einen
globalen Weltmarktpreis
für alles und jedes, also
auch für die lebensnotwendigen Waren, die die
Reproduktionsgrundlagen
der Arbeitskraft bilden, zu
behaupten, aber zugleich
auf eine “enorme Differenzierung” des Werts
der Arbeitskraft, die sich
in den Löhnen ausdrückt,
zu verweisen. Es blieben
dann zur Erklärung der
nationalen Verschiedenheit der Löhne nur mehr
sozusagen soft facts übrig,
historische und kulturelle
Faktoren, von der Lebensweise bis zur Geschichte
der Klassenkämpfe, die
es selbstverständlich gibt,
die aber nicht ausreichen.
Auch die Arbeiter des “Südens” müssen sich und die
13 „Heute werden die Preise der wichtigsten Rohstoffe und Endprodukte international gebildet, auf dem
Weltmarkt. Wir haben es nicht länger mit einem nationalen Preisniveau zu tun, sondern mit einem Niveau,
das sich auf dem Weltmarkt bildet.“ (Grossmann) Das stimmte als historische Tendenz und für die wichtigsten
Rohstoffe, aber sicher nicht für die Konsumgüter (Endprodukte), nicht einmal im Jahr 2016. Das Buch Gross­
manns wurde übrigens wegen seiner Mängel 1930 von Eugen Varga einer ausführlichen Kritik unterzogen
(„Akkumulation und Zusammenbruch des Kapitalismus“, in der Zeitschrift „Unter dem Banner des Marxis­
mus“, 1930, p.60-95)
65
Nord-Süd-Konflikt oder Antiimperialismus?
Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft
„Der Wert der Arbeitskraft, gleich dem Wert jeder andren Ware, ist bestim­
mt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifischen
Artikels notwendigen Arbeitszeit“ (Marx, Kapital Bd.I, S.178) Das bedeu­
tet, dass der Lohn in jeden Land (im Durchschnitt) immer so hoch ist, dass
die Arbeiter/innen sich und ihre Familien versorgen und die Erziehung und
Ausbildung der nächsten Generation von Lohnarbeiter/innen sichern kön­
nen. (vgl. Politische Ökonomie – Lehrbuch (1955), S.126)
Klasse reproduzieren können - bei mit den imperialistischen Ländern vergleichbarem Preisniveau
und ihren tatsächlichen
Löhnen wäre das undenkbar.
Der Erklärungsansatz des
Artikels besteht jedoch
gerade in diesem behaupteten wundersamen
Widerspruch zwischen einer angeblichen weit fortgeschrittenen Konvergenz
der Preise für das Gros der
Waren - und “enorm differenzierten” Preisen der
Arbeitskraft, d.h. Löhne.
Eine Analyse des Werts
der Arbeitskraft, ihrer Reproduktionskosten,
im
“Norden” wie im “Süden”
wäre der einzige Weg zur
Aufklärung des Wunders,
zu seiner Widerlegung
oder seiner Bestätigung
- aber gerade das müssen
Lauesen und Cope mit allen Mitteln umschiffen.
Sie interessieren sich nicht
wirklich für die nationalen
und regionalen Unterschiede des Werts der Arbeitskraft, für die ökonomischen Grundlagen solchen Unterschiede. Gleich
auf der ersten Seite des
Artikels (p.54) dehnen sie
ihr Argumentarium für die
“miserablen Niedriglöhne
in diesen Ländern” (des
“Südens”) auf eine Reihe
von Faktoren aus:
(1) durch die Exportabhängigkeit des “Südens” verursachter Zwang für die
Arbeiter, in der Konkur66
renz um Marktanteile an
dem großen “nördlichen”
Konsumgütermarkt bestehen zu müssen, (2) der Abfluss von Wert und natürlichen Ressourcen, welche
sonst für die Entwicklung
der Produktivkräfte einer
nationalen Wirtschaft eingesetzt werden könnten,
(3) die ungelöste Landfrage, was zu einem Überangebot an Arbeitskräften
führt, (4) repressive Kompradorenregierungen, die
dem Neoliberalismus verpflichtet sind und keine
Lohnerhöhungen hergeben, aus Angst, damit die
Arbeiter zu Forderungen
nach mehr politischer
Macht anzuspornen (Anm.:
Lohnerhöhungen führen
zur Forderung nach mehr
politischer Macht?), (5)
militarisierte Grenzen, die
die Migration der Arbeiter
verhindern.
Faktor (1) ist ein klassenversöhnlerischer Unsinn,
denn die Arbeiter des
“Südens” kämpfen gegen
ihre Kapitalisten, Kompradoren wie ausländische,
und nicht um Marktanteile
an den “nördlichen” Märkten durch “ihre” Exporte
dorthin - oder haben wir
es hier mit einem Doppelgänger des angeblichen
gemeinsamen Klasseninteresses von Bourgeoisie
und Proletariat des “Nordens” (an der Ausbeutung
des “Südens”) in Gestalt
eines angeblichen gemeinsamen Klasseninteresses
von Bourgeoisie und Proletariat des “Südens” (an
der Eroberung von Marktanteilen im “Norden”) zu
tun? Mit ganz gleichem
Recht könnte man sagen,
die österreichischen Arbeiter kämpfen um Marktanteile auf den Weltmärkten
und für die Lohndrückerei
sei ergo dessen der Weltmarkt zuständig und nicht
das österreichische Kapital. Die bisherige Menschheit nennt diesen Faktor,
der keineswegs nur im
“Süden” wirkt, banal die
Konkurrenz. Der Faktor
(2) findet ebenfalls auch
im “Norden” eine Entsprechung in Form ungeheuerlicher
Ressourcenverschwendung und -vernichtung, nur dass man es
sich als imperialistisches
Land leichter leisten kann.
Sogar zu Faktor (3) gibt es
im “Norden” etwas Vergleichbares, nicht wegen
einer ungelösten vorkapitalistischen Landfrage,
aber wegen der “ungelösten” kapitalistischen Jobfrage, die sich in Entvölkerung ganzer Landstriche
und Regionen ausdrückt.
Faktor (4) bedeutet der
wissenschaftlichen
Sache nach das Drücken der
Löhne unter den Wert
der Arbeitskraft und er
wirkt massenhaft auch in
den imperialistischen Ländern in Form von enormer
Lohndrückerei und Lohndumping (gesteigert durch
hohe Arbeitslosenraten),
Prekarität und Armut in
den imperialistischen Ländern. Und auch Faktor (5)
gilt - wie wir gerade an
den europäischen Grenzen erleben - mindestens
genauso, wahrscheinlich
sogar stärker für die Länder des “Nordens”, wenn
Proletarische Revolution 62
man die faktische Durchlässigkeit oder Nichtdurchlässigkeit der Grenzen als
Maßstab nimmt.
Übrigens gibt es, obwohl
die nationalen Lohnniveaus enorm divergieren,
auch bei den Löhnen in
gewissem Rahmen und unter gewissen Bedingungen
Tendenzen zu Annäherungen, allerdings, das ist
wahr, im Vergleich zu den
sonstigen Märkten sehr
bescheidene14.
Ja, folks, es herrschen Kapitalismus und Imperialismus, ökonomisch, politisch und militärisch, im
“Norden” wie im “Süden”
und wir brauchen den
Klassenkampf im “Norden” und im “Süden”, den
gemeinsamen Kampf für
die internationale proletarische Revolution. Mitleid
des “Nordens” für den
“Süden” bei gleichzeitiger
relativer
Schönfärberei
der Ausbeutung und Verbreitung von Defaitismus
im “Norden” brauchen wir
nicht und wir haben davon
auch schon viel zu viel.
Résumé: Lauesen und Cope
haben keine marxistische
und genau genommen gar
keine Antwort auf die von
ihnen gestellte Frage: Wie
spielt sich dieser Transfer
von Mehrwert durch “un-
gleichen Tausch” ab? Ihr
Transformations”modell”
besteht nur aus Preisverzerrungen und Umverteilung der Preismasse. Gegen
den eigenen plakativen
Vorsatz bleiben sie in der
Zirkulationssphäre hängen
und damit der Wahrnehmung des Handelskapitals
verhaftet: Billig kaufen,
um teuer zu verkaufen.
Kurioserweise plagte sie
anscheinend während des
Schreibens des Artikels
das schlechte marxistische
Gewissen: “Es wäre unfair
(disingenuous = wörtlich:
unehrlich), zu behaupten,
dass dies (Anm.: ihre These) den Begriff der Ausbeutung aus der Produktions- in die Zirkulationssphäre verschiebt.” (p.62)
Es ist nicht unfair, folks, es
ist die Wahrheit!
VII. ... und falsches
Zahlenwerk (am
Beispiel des iPad)
Das Zahlenwerk auf p.63ff.
über das iPad ist zweifellos
als schlagender Beweis für
die Lauesen und Cope’sche
Theorie der Wert-PreisTransformation gedacht,
liefert aber ebenfalls keine neuen Erkenntnisse.
Der Fabrikspreis des iPad,
also der Verkaufspreis von
Apple an den Handel, im
Geschäftsjahr 2010/11 in
Höhe von $ 275 und der
Endverkaufspreis von 499
$ wird gegenübergestellt
nicht etwa dem Einkaufspreis von Apple für das aus
China importierte Assembling-Produkt oder noch
besser: den anfallenden
Gesamtkosten (einschließlich der “nördlichen”),
sondern nur den in China
angefallenen direkten ($
33 oder $ 45, je nachdem,
ob man den Wert von p.63
oder p.64 nimmt) bzw. indirekten Lohnkosten ($
35), zusammen $ 68 oder
$ 80, je nachdem. So soll
es beim Leser hängen bleiben: $ 275 bzw. sogar $
499 gegen $ 68 (oder $ 80)
- was für eine ungeheuerliche Profitgier! Dass es
eine gewaltige Preisschere
in der “Produktionskette”
auf dem Weg von China in die USA gibt, steht
außer Frage, und ebenso, dass die bürgerliche
“smiley”-Kurve durch ihre
seltsamen Vorstellungen
von Wertbildung dies zu
rechtfertigen sucht. Aber
wie groß ist diese Schere
wirklich? Die $ 68 oder $
80 beinhalten viele Kostenfaktoren bzw. Wertbestandteile nicht. Sie enthalten nur die eigentlichen
Fertigungslöhne, aber nicht
andere “südliche” Lohnkosten wie z.B. die Löhne für
14
Man denke z.B. an die Lohnentwicklung der rumänischen Dacia-Arbeiter des französischen Renault-Kon­
zerns. Durch harte gewerkschaftliche Kämpfe konnten die Dacia-Beschäftigten seit den großen Streiks 2008
erhebliche Lohnerhöhungen erkämpfen, damals in kürzester Zeit um + 50 bis 60% und seither nochmals in
mehreren Wellen. Grundlage des erfolgreichen Kampfes war und ist natürlich die zunehmende Verflechtung
der Warenmärkte und - in wesentlich geringerem Maß, aber doch auch zunehmend - auch der „Arbeitsmär­
kte“ (Personalverflechtungen mit Frankreich, gewerkschaftliche Kontakte der Renault-Arbeiter verschiedener
Länder, inzwischen auch (noch!) Migrationsmöglichkeit aufgrund der EU-Zugehörigkeit, was z.B. auch den
Import billigerer rumänischer Arbeiter in die französischen Renault-Werke erlaubt ...) gepaart mit einer au­
ßergewöhnlich günstigen Entwicklung der Kampfkraft. Eine äußere günstige Bedingung war die aufgrund
der extrem hohen Exportquote von 95% hohe Profitabilität von Dacia. (Wir diskutieren hier nicht die Pro­
bleme, die sich auf der anderen Seite aus der gewaltigen Aufspreizung der Löhne in Rumänien ergeben.) Ein
anderes Beispiel sind die sehr starken Lohnerhöhungen in Slowenien ab ca.1995, zu denen die slowenische
Kapitalistenklasse (und Auslandsinvestoren) gezwungen waren, um einer Massenauswanderung gut ausge­
bildeter slowenischer Arbeiter/innen nach Österreich und Deutschland entgegenzuwirken.
67
Nord-Süd-Konflikt oder Antiimperialismus?
begleitende produktive
Tätigkeiten (z.B. Werksinfrastruktur,
Anlagenwartung,
Betriebsbuchhaltung, usw.), was aber
dem chinesischen Produzenten ebenfalls abgegolten werden muss und
in den Wert und, wenn
alles mit rechten kapitalistischen Dingen zugeht,
auch in den Preis eingeht,
den Apple zu zahlen hat.
Dazu kommen noch unproduktive Lohnkosten
(von der Bilanzbuchhaltung bis zum Wach- und
Sicherheitsdienst zur Niederhaltung der Arbeiter),
die ebenfalls gedeckt
werden müssen. Sie enthalten auch nicht den
Preis bzw. Wert des übertragenen konstanten Kapitals, also die Kosten des
chinesischen Produzenten
bzw. Kapitalisten beispielsweise für Rohstoffe
und Rohmaterial, Hilfsund Betriebsstoffe, Anlagenabschreibung, Werkzeug usw., Verpackung,
Lager- und Transportkosten, also alles konstante
Kapital, das wertmäßig
im
Produktionsprozess
auf das Produkt übertragen wird. Das heißt, der
tatsächliche Einkaufspeis
ist sicher weit höher als
$ 68 oder 80. Auf der USSeite fallen ebenfalls der
chinesischen Produktion
vor- und nachgelagerte
Kosten an, teils unproduktive, aber trotzdem
Kosten, teils produktive,
genauso wertproduktiv
wie die Arbeit des chinesischen Fabrikarbeiters,
und für sie müssen USLöhne gezahlt werden.
Zu den produktiven gehören jedenfalls ein Teil
des Design, die Forschung
& Entwicklung (v.a. Software-Entwicklung
für
Betriebssystem und Gerät), die Organisation der
ganzen Produktionskette,
die Transport- und Lagerfunktion im Bereich des
Verkaufs und auch ein gewisser Anteil am Posten
Marketing, Werbung etc.,
der in technischer Produktinformation, Benutzerhandbüchern, Internetseiten für die technische
Beratung und Problembe-
handlung, den regelmäßigen Software-Updates
und anderem mehr besteht. Kurzum: Die Berechnungen auf p.63/64 sind
Larifari und Makulatur15.
So schürt man vielleicht
berechtigte
Empörung
über die Ausbeutung der
asiatischen, namentlich
chinesischen
Arbeiter
wie auch über den Druck
von Apple auf die chinesischen Kapitalisten, es ist
vielleicht gut antiimperialistisch gemeint, aber als
marxistische Analyse völlig unbrauchbar.
Der Artikel ist beendet
bzw. gelesen, aber die im
Titel aufgeworfene Fra­
ge der Verwandlung der
Werte in Preise bzw. des
globalen Mehrwerttrans­
fers ist unbeantwortet.
Da Lauesen und Cope
zu ihrer Beantwortung
nichts beigetragen ha­
ben, müssen wir uns sel­
ber daran machen. Einen
Beitrag dazu werden wir
in der nächsten Nummer
der Proletarischen Revo­
lution veröffentlichen.
In der Studie von Kraemer, Linden, Dedrick „Capturing Value in Global Networks“, auf die sich Lauesen und
Cope beziehen, wird angegeben, dass die Kosten des iPad 2011 53% des Endverkaufspreises ausmachen, das
wären immerhin $ 264 (von den $ 499). Von diesen Kosten entfallen 38% auf die reine Produktion und 15% auf
die Distribution (Handel, Transport, Lagerung, Verkauf...) und von den reinen Produktionskosten wiederum 7%
auf Löhne und 31% auf Materialkosten. Die nach Abzug der Kosten verbleibenden 47% des Endverkaufspreises
verteilen sich nach dieser Studie auf Profite, davon 17% auf Profite der Zulieferer aus China, Taiwan, USA, Japan,
Korea und 30% auf solche von Apple. Lauesen und Cope hätten bloß die Seite 5 der Basisstudie richtig abschrei­
ben brauchen, um ihrem Rechenkunststück wenigstens ein bisschen mehr Hand und Fuß zu verleihen.
15
68
Proletarische Revolution 62
Iran und Türkei - “verlängerte Werkbänke“?
Oft hört man, die Türkei, der Iran, einige Staaten des Mittelmeerraums seien “verlängerte
Werkbänke” der imperialistischen Länder. Stimmt das bzw. in welchem Ausmaß stimmt
es? Der Iran hatte eine Exportquote von 21,3% (und, hier spielt der imperialistische Boykott eine Rolle, eine Importquote von 12,2%). Die Türkei hatte 2014 eine Exportquote
von 19,7% (und eine Importquote von 30,3%). Auch hier bleiben offensichtlich in beiden Fällen etwa vier Fünftel der Produktion im Inland. Auch die türkische und iranische
Arbeiterklasse arbeiten daher zu vier Fünftel nicht für den “Norden”, sondern für die
inländische Wirtschaft. Auch ihr Hauptwiderspruch ist nicht der zu den Konsumenten
des “Nordens”. Zweitens spielt, soweit exportiert wird, sich die Masse des Exports nicht
mit dem “Norden” im Sinne von Lauesen und Cope ab. Fast der gesamte Export des Iran
geht in Länder, die Lauesen und Cope dem “Global South” zurechnen: 39% nach China, 16% nach Indien, 14% in die Türkei, nur 9% nach Japan (vornehmlich Öl), 7% nach
Südkorea, nur 2% in die EU und Null in die USA. Vermutlich spielt sich allerdings bisher
einiger Handel über Drittländer ab. Nur 2% der iranischen Wirtschaftsleistung werden
in den “westlichen” imperialistischen “Norden” exportiert und weitere 8% in das imperialistische China - und auch beides zusammen ist bescheiden. Was wird exportiert? Fast
nur Erdöl, Erdölerzeugnisse, Erdölderivate, Gas, metallurgische Erze. Das Bild der “verlängerten Werkbank” wäre daher für den Iran irreführend. Zutreffen mag es auf einzelne Wirtschaftszweige - und es werden natürlich Bodenschätze für die imperialistischen
Länder (vor allem für China) extrahiert und raffiniert, aber da geht es in erster Linie um
Rohstoffe, nicht um eine Werkbank. Anders ist das bei der Türkei, deren Exporte zu etwa
der Hälfte in die EU gehen (die USA sind kein wesentlicher Exportmarkt) und auch wesentlich “industrialisierter” und diversifizierter sind, aber auch im Falle der Türkei reden
wir nur von 10% des BIP (50% EU-Anteil an der 20% Exportquote). Nicht mehr als ein
Zehntel der in der Türkei produzierten Waren geht also in den „Globalen Norden“ à la
Lauesen und Cope.
Broschüren herausgegeben und übersetzt von einem linken iranischen Aktivisten in Wien, Öster­
reich, Kontaktadresse: Amerlinghaus, Stiftg.8, 1070 Wien. Mailadresse: linksaktivist(at)gmx.at
69
4 überflüssige Thesen zum „Reformismus auf der
Höhe der Zeit“ (M. Birkner)
Kommentar zu Birkners Thesen: Wie geht’s weiter? 4 Thesen zur Re-Organisierung der Linken in
Österreich“ (3.2.2016) http://mosaik-blog.at/wie-gehts-weiter-4-thesen-zur-re-organisierung-der-linken-in-oesterreich/
M.Birkner:
Die folgenden Thesen verstehen sich als Diskussionsbeitrag
in der aktuellen Debatte über
die Re-Organisierung der Linken in Österreich.
1 Soziale (Massen)Bewegun
gen sind die zentralen AkteurInnen gesellschaftlicher Veränderung
Bedeutende
soziale
Fortschritte wurden und werden
in erster Linie durch soziale
Bewegungen erkämpft und
nicht durch Parteien; letztere
dienten bestenfalls der Sicherung dieser Errungenschaften
im Rahmen von Gesetzen.
Soziale Bewegungen gehorchen jedoch eigenen Regeln,
sie sind zyklisch und meistens
eher kurzlebig. Das muss kein
Nachteil sein, hat aber ein Problem: Erfolgreich erkämpfte
Errungenschaften,
können
nur von Dauer sein, wenn sie
in den existierenden Institutionen verankert werden. Diese
Prozesse gehen immer auch
mit einer Veränderung dieser Institutionen selbst einher
– und genau daran müsste sich
eine zukunftsorientierte Politik orientieren: Die Offenheit
gegenüber sozialen Bewegungen und die Bereitschaft
zur (Selbst)Transformation als
zentrale Elemente einer neuen linken Politik. Einer Politik,
die keinen Alleinvertretungsanspruch stellt, sondern sich
als Dienstleisterin für soziale
Bewegungen begreift. Das
bedeutet sich als Organisation zu beschränken, mit dem
Ziel Räume für kommende
Bewegungen und Kämpfe zu
öffnen.
70
Paul N.:
4 Thesen, die die Welt nicht braucht
Paul Nebenan zu einem Diskussionsbeitrag von Martin Birkner
Einmal juckt‘s die Leute da, und das andre Mal kratzen sie sich
ganz woanders. So entstehen soziale Bewegungen und so ver­
gehen sie wieder. Ebenso aber sieht man die Wundheilung der
Krätze als soziale Bewegung. So kann man soziale Bewegungen
dann identifizieren mit etwaigen Protestbewegungen gegen
Tempolimits auf Autobahnen, mit Tierrechts- bzw. Tierbefrei­
ungsbewegungen oder Hausbesetzerbewegungen, oder aber
mit Feminismus oder Arbeiterbewegung. Lauter inkommen­
surable Größen, die jeweils als soziale Bewegungen eingestuft
werden. Martin Birkner macht in seinen 4 Thesen zur „Re-Or­
ganisiserung der Linken in Österreich“ da keinen Unterschied.
Sähe er einen, so könnte er natürlich nicht so salopp über sie
hinwegschreiben: „sie sind zyklisch und meistens eher kurzle­
big“. Sind sie zyklisch in dem Sinne, dass die einen sozialen Be­
wegungen, welche auch immer, dahingehen und andere, welche
auch je, einsetzen, oder aber sind sie zyklisch in dem Sinne, dass
sie in periodischen Zeitläuften ihre Intensität, ihre Erscheinungs­
form oder auch ihren Charakter ändern? So unterschiedlich der
Sachverhalt auch ist, lässt uns Birkner dennoch im Unklaren
darüber, was er meint. Nichtsdestotrotz weiß er darüber zu be­
richten, dass soziale Fortschritte „in erster Linie durch soziale
Bewegungen und nicht durch Parteien“ erkämpft würden und
erkämpft worden seien. Welche Art von Parteien, ob nämlich
den Fortschritt behindernde oder den Fortschritt fördernde, ist
Birkner auch piepschnurz. Klar, die Radlerinnenbewegung lässt
sich nicht von der Autofahrerinnenpartei vertreten und oponiert
gegen deren Gesetzgebung, aber die große Mehrheit der Arbei­
terInnenbewegung im ausgehenden 19. Jahrhundert sah in der
Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) ihre Organisation.
Darum waren schließlich die erkämpften Errungenschaften auch
von nicht geringer Dauer, weil sie eben von der Partei der Bewe­
gung, also von ihren bewusstesten Teilen, in den Institutionen
verankert werden konnten. Nebenbei hat die Partei in Wien bei­
spielsweise auch gar nicht nur in die Institutionen hineingearbei­
tet, sondern indessen den sozialen Wohnbau vorangetrieben, so­
zusagen Institutionen in Stein überhaupt erst erschaffen. Birkner
stellt diesem alten Modell aus Fleisch und Blut eines gegenüber,
das wohl dem modernen Kapitalismus, der Dienstleistungsgesell­
schaft entnommen ist. Er fordert eine „neue linke Politik“, „die
keinen Alleinvertretungsanspruch stellt, sondern sich als Dienst­
leisterin für soziale Bewegungen begreift“. Wer aber soll diese
Politik machen? Eine „Organisation“ „mit dem Ziel Räume für
kommende Bewegungen und Kämpfe zu öffnen“. Weiß Birkner,
was er sagen will? Wie öffnet man Räume? Hat er die Schlüssel?
Die „Organisation“ wäre der Verein der linken Hauswarte oder
-wärter? Und die Räume werden jetzt und heute für die Ungebo­
renen offen gehalten? Ist das eine Reservierung für die zukünf­
tigen Reservationen? Kann man das alles auch virtuell?
Proletarische Revolution 62
M.Birkner: Soziale Bewegungen können
nicht geplant werden
Soziale Bewegungen gehorchen ihren eigenen Rhythmen,
sie entwickeln autonome Organisierungsformen und einen politischen Eigensinn. Sie
entstehen nicht im luftleeren
Raum, sondern durch die geduldige Arbeit von AktivistInnen und organisatorischen
Zusammenhängen.
Soziale
Bewegungen können jedoch
nicht am Reißbrett entworfen
werden. Dem ist auch im Rahmen der Re-Organisierung der
Linken Rechnung zu tragen.
Da in Österreich soziale Bewegungen traditionell schwach
sind, können wir diese neue
politische Macht nicht aus
einer Massenbewegung heraus aufbauen. Es wird jedoch
überlebensnotwendig
sein,
Offenheit zu den kommenden
Bewegungen zu bewahren.
Dies bedeutet nicht die Bevormundung sozialer Bewegungen, sondern ein Handeln
auf gleicher Augenhöhe sowie
die Akzeptanz unterschiedlicher Rhythmen von Bewegungen und Organisationen.
Paul N.:
Dann belehrt uns Birkner darüber, dass soziale Bewegungen
nicht geplant werden können. Da schau aber her! Soziale Bewe­
gungen entstehen, wenn es nach Birkner geht, auf eher mysteri­
öse Weise. Natürlich können sie „nicht am Reißbrett entworfen
werden“. Der „Raum“, der ihnen reserviert würde, dürfe auch
nicht „luftleer“ sein, da entstünden sie nicht. Birkner weist also
darauf hin, dass es sich bei sozialen Bewegungen um Menschen
handle, besser gesagt, dass soziale Bewegungen sich nicht bei
Konstrukteuren oder Architekten, sondern da bemerkbar ma­
chen, wo sich Menschen tatsächlich bewegen. Haben das jetzt
alle kapiert? Hoffentlich, denn jetzt wird’s schwer. „Da in Öster­
reich soziale Bewegungen traditionell schwach sind, können wir
diese neue politische Macht nicht aus einer Massenbewegung
heraus aufbauen.“ Worauf bezieht sich das grammatikalische
Objekt des zitierten Satzes, „diese neue politische Macht“?
Wohl auf die in Österreich „traditionell schwachen sozialen Be­
wegungen“: Schwache politische Macht, aber immerhin, ein po­
litisches Mächtlein. Und dieses Mächtlein können wir nicht aus
einer Massenbewegung heraus aufbauen. Hätte Birkner nicht
einfacher sagen können, dass er auf Österreichisch mit keiner
Massenbewegung nicht rechnet? Wobei wir ja Charakter und
Zweck der Massenbewegung noch gar nicht kennen. Birkner
hält sich bedeckt. Weil‘s „überlebensnotwendig“ sein werde (für
wen und warum?), bewahrt er allerdings eine Offenheit zu den
nicht näher beschriebenen Bewegungen und erlässt ein linkes
Toleranzpatent. „Dies bedeutet nicht die Bevormundung sozi­
aler Bewegungen, sondern ein Handeln auf gleicher Augenhö­
he sowie die Akzeptanz unterschiedlicher Rhythmen von Bewe­
gungen und Organisationen.“
Im Grunde verkleidet Birkner eine alte Diskussion in moderne
Worte. Was ehedem die „Klassenpartei“ war, ist bei ihm „die Lin­
ke“ oder „die Linken“ bzw. sogar auch „die Organisation der Lin­
ken“, nach deren „Re-Organisation“ natürlich. Vermutlich würde
er „die Linken“ moderndeutsch aber lieber als „Community“ be­
zeichnen, was sich ja gar so gut damit trifft, dass ihm die diversen
„Bewegungen“ die Klassen ersetzen. Schlagworte, wie „gegen
Bevormundung“, „gleiche Augenhöhe“ oder „Akzeptanz“, die
Birkner pluralistisch und demokratiereif auf uns niederträufeln
lässt, sind nur die Umgehung der alten verleumderischen Argu­
mentation, dass eine Arbeiterpartei sich anmaße, „von außen“
Bewusstsein in die Massen zu tragen. Birkner, der das Verhält­
nis von Partei und Klasse nicht begriffen hat und natürlich auch
nicht die Verleumdung durchschaut hat, weiß sich anarchistisch
selbst aber auch nicht zu helfen. Und eben darum, weil er mit
seiner (konstruierten) Linken letztlich selber im Abseits steht,
missbraucht er seine Toleranz gegenüber „den Bewegungen“.
71
Reformismus auf der Höhe der Zeit?
M.Birkner: 2. Es gibt keine ArbeiterInnenbewegung mehr
Die nicht demokratisch legitimierte Institution der SozialpartnerInnenschaft diente
lange der Integration des
Großteils der ArbeiterInnenklasse in das herrschende System. Eine wirkliche ArbeiterInnenbewegung gab es in der
zweiten Republik nur in Spuren. Die Gewerkschaften waren fest in die kapitalistischen
Herrschaftsmechanismen eingebunden und tolerierten
dementsprechend auch keine
autonomen Kämpfe der ArbeiterInnen. Die SozialpartnerInnenschaft existent heute
nur als „Zombie“, in der mehr
als Abwehrkämpfe in diesem
Rahmen nicht mehr möglich
sind. Wie fest die SozialpartnerInnenschaft dennoch im
Denken und Handeln von ÖGB
und AK verankert ist zeigt jedoch etwa die Steuerreform.
Zentrale Auseinandersetzun
gen jenseits von „mehr im
Börsel“, wie z.B. drängende
ökologische Fragen, die Sicherung und Verbesserung sozialer Dienstleistungen oder Geschlechtergerechtigkeit sind
mit ihnen nicht durchsetzbar.
Es existieren zwar Ansätze
von Widerstand jenseits der
etablierten
Organisationen
(rund um Themen wie Prekarisierung oder Carearbeit), diese
sind jedoch noch weit davon
entfernt, eine gemeinsame
politische Agenda und dementsprechende Kampfformen
auszubilden.
Paul N.:
Seine zweite These leitet Birkner mit einem Griff in die rheto­
rische Trickkiste ein. Mit provokant aufgelegtem Blödsinn er­
öffnet er: „Die nicht demokratisch legitimierte Institution der
SozialpartnerInnenschaft …“, und fährt nach dieser gewaltigen
Lüge mit einer zweiten fort: „… diente lange der Integration des
Großteils der ArbeiterInnenklasse in das herrschende System.“
Die erste Lüge soll die zweite verstecken. Die Sozialpartnerschaft
ist nämlich durch die österreichische Gesellschaft und Arbeiter­
schaft durchaus demokratisch legitimiert, soweit man den Be­
griff der bürgerlichen Demokratie zugrundelegt. Denn es erach­
ten durchaus viele ÖsterreicherInnen die Sozialpartnerschaft als
durchaus positiv, wenn sie vielleicht auch keine absolute Mehr­
heit bilden. Dennoch ist es den Kritikern der Sozialpartnerschaft,
wie sehr sie auch Recht hatten, bis heute nicht gelungen, zu
überzeugen. Mag sein, dass sie Birkner überzeugt haben, und er
eben deshalb die Sozialpartnerschaft als illegitim sieht, aber da­
rum ist sie noch lange nicht demokratisch unlegitimiert. Auch die
fehlende Transparenz bei gewissen Entscheidungen, vielleicht
demokratisch problematisch, besagt keineswegs, dass diese In­
stitution nicht demokratisch legitimiert wäre. Die Parteien, wel­
che zur Sozialpartnerschaft historisch gestanden sind, werden
meistens alle vier Jahre wiedergewählt. Zu dieser Demokratie
stehen die WählerInnen. Dass die Sozialpartnerschaft in Zeiten
wie den heutigen anders gewichtet ist, heißt nur, dass sich ihre
Legitimation ändern muss, soll sie noch weiter bestehen. Sie ist
aber demokratisch nicht weniger legitimiert wie das von Birkner
in dem Zusammenhang benützte Binnen-I der „SozialpartnerIn­
nenschaft“.
Die zweite Lüge ist aber, dass die Sozialpartnerschaft der Integra­
tion des Großteils der ArbeiterInnenklasse in das herrschende Sy­
stem gedient habe. Erstens einmal suggeriert das Verb „dienen“,
welches ein ziel- und zweckgerichtetes Handeln bezeichnet,
Absicht. Von welcher Seite? Von Seiten der ArbeiterInnenklasse
selbst? Das meint Birkner wohl nicht, denn dann hätte er wohl
kaum den Mut die Sozialpartnerschaft als nicht legitimiert zu
bezeichnen. Hatten also im Klassenkampf tatsächlich beide Sei­
ten identische Absichten? Zweitens aber suggeriert diese These
einen Skandal. Der Skandal bemüht einmal mehr die Phrase vom
Verrat der Sozialdemokratie. Die Sozialpartnerschaft ist aber al­
les andere als Verrat, jedenfalls eben nicht am Großteil der öster­
reichischen ArbeiterInnenklasse, sondern höchstens Verletzung
der anarchistisch-religiösen Gefühle des Herrn Birkner. Was über­
haupt ist das herrschende System? Das sozialpartnerschaftliche
System? Das kann es nach Birkner nicht sein, denn dann wäre ja
wohl logisch, dass sich die ArbeiterInnenklasse, die dieses System
legitimiert, sich auch darein integriert. Es ist vermutlich das kapi­
talistische System gemeint, aber hierin wiederum ist die gesamte
ArbeiterInnenklasse und nicht nur ein Großteil seit Anbeginn in­
tegriert: Lohnarbeit und Kapital – zwei Seiten ein und derselben
Sache; so fest sind die beiden miteinander identisch, dass man
früher den Kapitalismus gar nicht so nannte, sondern viel öfter
noch „Lohnsystem“. Wir sehen, dass es in dieser These Birkner,
nachdem er in der ersten versucht hat die eher bolschewistische
Linie des Proletariats schlechtzureden, jetzt darum geht auch die
reformerische, sozialdemokratische mit Dreck zu beschmeißen.
Damit im Zusammenhang steht auch der nächste Anwurf, dass
man an der letzten Steuerreform erkennen könne, wie wenig
sich die dahinterstehende politische Fraktion um die gesell­
schaftspolitischen Anliegen kümmere. Das Wichtigste sei ihnen
dass die ArbeiterInnenschaft „mehr im Börsel“ habe. Birkner lie­
fert natürlich keinen Begriff von den Aufgaben von Partei und
Gewerkschaft. Dass eine Gewerkschaft sich um die Gesamtheit
72
Proletarische Revolution 62
M.Birkner: Paul N.:
der gesellschaftspolitischen Bedingungen in
einem Lande kümmert ist ja vornehmlich nur
von Solidarność und dem polnischen Popen
bekannt. Normalerweise haben gewerkschaft­
liche Bemühungen mehr mit den unmittelbaren
ökonomischen Angelegenheiten der Arbeiter­
schaften zu tun: Lohn, Arbeits- und Freizeit, Ar­
beitsplatzsicherheit und -sicherung oder auch
die Rechtssicherheit gegenüber den Arbeitge­
bern usw. usf. Und so betrachtet geht natürlich
die Einmischung einer Gewerkschaft in fiskal­
politische Belange weit über ihre Zuständig­
keiten hinaus. Aber auch da verkennt Birkner
die Lage. Es hat nämlich die letzte Steuerreform
für den Großteil der ArbeiterInnenklasse kein
„Mehr im Börsel“ gebracht. Man muss also kei­
neswegs zufrieden sein mit den gewerkschaft­
lichen Aktivitäten in Österreich.
Die gesellschaftliche Arbeit ist das Zentrum der
sozialen Frage
Die gesellschaftliche Arbeitsteilung wie auch ihr
Gegenbegriff, die Zusammensetzung der lebendigen Arbeit stehen nach wie vor im Zentrum
kapitalistischer Gesellschaftsformationen. An
ihr orientieren sich in letzter Instanz die großen politischen Weichenstellungen. Solange das
neoliberale Paradigma dabei nicht gebrochen
werden kann, wird der Zwang zur Lohnarbeit
einhergehen mit der Abwertung unbezahlter
Arbeit sowie die Produktion gesellschaftlichen
Reichtums mit der Zunahme von Arbeitslosigkeit und Armut. Daran wird auch die beste Antidiskriminierungspolitik nichts ändern. Durch
die Vervielfältigung von Arbeitsverhältnissen
und Formen der Arbeitsorganisation ist der
kulturelle Zusammenhang der traditionellen
ArbeiterInnenbewegung verloren gegangen.
Die vielzitierte „Einheit der ArbeiterInnenklasse“ war zwar immer schon ein Konstrukt auf
Kosten der vielfältigen Lebensrealitäten von
ArbeiterInnen (nicht zuletzt bestimmt durch
geografische Verortung, Geschlecht, Alter und
Qualifikation), dennoch funktionierte diese
Konstrukt im Rahmen der klassischen ArbeiterInnenorganisationen zumindest soweit, dass
die Repräsentation proletarischer Interessen
durch Parteien, Gewerkschaften und Vorfeldorganisationen politisch wirksam werden konnte.
Mit einer dermaßen institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung war wahrhaftig ein Staat zu
machen. Die Ideologie eines neutralen Staates,
der durch die institutionelle Besetzung durch
die ArbeiterInnenorganisationen zu einem Medium der Emanzipation werden kann, ist nicht
länger aufrecht zu erhalten. Sowohl der „Realsozialismus“ als auch das Scheitern der Sozialdemokratie zeigen heute die Beschränktheit staatlichen politischen Handelns auf, wenn es um die
Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung
geht. Eine Re-Organisierung der Linken, die die
soziale Frage wieder ins Zentrum rückt, muss
Die zweite These ist von Birkner „Es gibt kei­
ne ArbeiterInnenbewegung mehr“ betitelt. Im
zweiten Teil seiner diesbezüglichen Erläute­
rungen geht er näher darauf ein. Dabei räumt er
zunächst ein: „Die gesellschaftliche Arbeitstei­
lung wie auch ihr Gegenbegriff, die Zusammen­
setzung der lebendigen Arbeit stehen nach wie
vor im Zentrum kapitalistischer Gesellschafts­
formationen.“ Freilich ist das ein schwer zu ver­
stehender Satz, denn man muss erst dahinter­
steigen, in welcher Beziehung, außer der will­
kürlich „ästhetischen“, in die Birkner sie setzt,
gesellschaftliche Arbeitsteilung und lebendige
Arbeit zueinander stehen. Sodann ist zu klä­
ren, was „Zusammensetzung der lebendigen
Arbeit“ heißen will, aber einzusehen, dass Birk­
ner natürlich durch sie erst zum antonymischen
Gegensatz von (Arbeits)„-teilung“ und „Zusam­
mensetzung“ kommt. Die dritte Schwierigkeit
ergibt sich aus der Behauptung, dass sozusagen
Begriff und Gegenbegriff im Zentrum der ka­
pitalistischen Gesellschaftsformation stünden,
als ob am Himmel nicht der Mond, sondern sein
Begriff um die Erde kreiste. In Wirklichkeit ist
es natürlich so, dass bis auf den heutigen Tag
Lohnarbeit und Kapital den Grundwiderspruch
der kapitalistischen Gesellschaft bilden. Daran
„orientieren sich … die großen politischen Wei­
chenstellungen.“ Warum Birkner dann dem
neoliberalen Paradigma noch einen Seitenhieb
versetzt, wo er doch schon gegen die Sozial­
partnerschaft gewettert hat, bleibt in einem an­
tikapitalistischen Sinn allerdings unklar. Warum
nach Birkner einander Einheit und Vielfalt in
Bezug auf die Arbeiterklasse ausschließen sol­
len, erst recht. Wieso soll das eine weniger real
als das andere sein? Vielleicht aber verwechselt
Birkner nur mit Mehrheit und Einfalt der demo­
kratischen Gesellschaft? Birkners Behauptung,
dass es keine ArbeiterInnenbewegung mehr
gäbe, richtet sich nach dem äußeren Schein.
Tatsächlich ist sogar ein Teil jener gesellschaft­
lichen Unruhen, die er selbst Bewegung nennt,
73
Reformismus auf der Höhe der Zeit?
M.Birkner: zwar wohl oder übel auch im staatlichen Rahmen agieren, ist jedoch gut beraten, diesen als
zu überschreitendes Problem und nicht als Horizont zu verstehen. Eine Fokussierung auf die
soziale Frage bedeutet dementsprechend eine
die aktuellen Tendenzen der Transformation
der Arbeit in Rechnung stellende Strategie, die
sich nicht auf den nationalen wohlfahrtsstaatlichen Umverteilungsreformismus begrenzt.
Paul N.:
nichts anderes als ArbeiterInnenbewegung in
concreto. Birkners Behauptung ist nur der tief­
ern Tatsache geschuldet, dass momentan die ge­
sellschaftliche Linke im Nichts verpufft, was Bir­
kner sich freilich zuzugeben scheuen muss, sähe
er sich doch sonst selbst als einen Teil davon.
3. Eine neue linke repräsentative Formation ist notwendig
Ich schreibe im Folgenden von der Notwendigkeit einer „neuen repräsentativen Formation“
(NRF), um die Differenz zur klassischen Partei
sichtbar zu machen. Klassische Parteien beruhten auf der Repräsentation sozialer Großgruppen und ihrer Bewegungen im bürgerlichen
Staat. Diese Form der Repräsentation ist mit
dem Ende des Fordismus unwiederbringlich
in die Krise geraten: sowohl durch die Bewegungen von und nach 1968 als auch durch die
siegreiche neoliberale Konterrevolution dagegen.
Heute verweist der neoliberal gewendete Kapitalismus jede Möglichkeit einer kulturell vermittelten Einheit der Arbeitenden ins Reich der
Legenden. Die Re-Organisierung der gesellschaftlichen Linken kann sich nicht mehr auf
die identitätsstiftende Gemeinsamkeit von Arbeits- bzw. Ausbeutungserfahrungen gründen,
zu unterschiedlich sind auch die Bedürfnisse
und Interessen einzelner Klassensegmente.
Dies bedeutet auch, dass es kein revolutionäres
Subjekt im Singular mehr gibt. Eine NRF muss
ihren Zusammenhalt daher aus anderen Quellen speisen:
- Klare Frontstellung gegenüber dem politischen Gegner, den kapitalistischen und staatlichen Eliten
- Anerkennung von Unterschiede bei der Suche nach gemeinsamen Handlungsfeldern
- kollektive soziale Experiment e
- erfolgreiche und somit gemeinschaftsstiftende
Kampagnen
- Re-konstruktion einer neuen großen Erzählung vom „Guten Leben für Alle“
Eine NRF kann das politische Vakuum links von
SPÖ und Grünen füllen, wirksame Deutungsangebote für all jene machen, die von der Politik
der großen Koalition genug haben, die rassistische Politik der FPÖ nicht mittragen und den
Grünen eine Antwort von „links unten“ auf die
soziale Frage nicht zutrauen.
74
In seiner dritten These erklärt uns Birkner, dass
die Arbeiterschaft im „neoliberal gewendeten
Kapitalismus“, wie er offenbar „den bösen
Kapitalismus“ bezeichnet, im Gegensatz zum
„guten“, gar keine Einheit mehr bilden könne,
weil die Bedürfnisse einiger ArbeiterInnen (Bir­
kner schreibt: „einzelner Klassensegmente“) zu
unterschiedlich seien. Weil sich also „einzelne
Klassensegmente“ Extrawürste brieten, gäbe es
„kein revolutionäres Subjekt im Singular mehr“.
Das bedeutet ungefähr so viel und nicht mehr,
als wenn man sagte, dass jede Klasse aus lau­
ter einzelnen Personen bestehe und sich daher
keine Klasse jemals als revolutionäres Subjekt
konstituieren könne. Aber Birkner verbindet ja
etwas anderes mit dieser Aussage, nämlich dass
mit dieser Entwicklung von der Singularität zur
Partikularität hin auch die Parteiorganisationen
obsolet seien, die auf der „Repräsentation so­
zialer Großgruppen und ihrer Bewegungen“
beruht hätten. Selbstverständlich ist natürlich
auch das wiederum Birkners Sichtweise, denn
in Wirklichkeit hatten sich ja die funktionstüch­
tigen ArbeiterInnenparteien genau umgekehrt
die Aufgabe gestellt, die Partikularität in eine
Singularität (sprich: revolutionäre Einheit) über­
zuführen. Birkner fordert nun die Bereitstellung
einer neuen Partei, einer neuen repräsentativen
Formation, kurz: die sich nicht Partei nennt,
sondern NRF. Er nennt auch einige Punkte von
denen er glaubt, dass sie wichtig seien, um den
Zusammenhalt der NRF zu gewährleisten. Diese
Punkte sind aber nur so dahingesagt und wenig
verständlich. Im Großen und Ganzen meint Birk­
ner darin, dass man gegen die staatlichen Eliten
Stellung beziehen solle, sich die Sorgen der Leu­
te anhören solle, mit ihnen reden und manches
ausprobieren solle und danach wäre noch so
etwas wie Sinnstiftung (die „große Erzählung
vom ‚Guten Leben für Alle‘“) angebracht. Mit
dieser Empfehlung für die zuvor im Geiste ge­
gründete NRF will Birkner zu den parlamen­
tarischen Parteien Österreichs in Konkurrenz
treten, sucht allerdings nicht nach neuen Lö­
sungen, sondern bloß „wirksame Deutungsan­
gebote“. Ja, warum nicht wieder auf das uralte
politische Instrument Orakel zurückgreifen?!
Proletarische Revolution 62
M.Birkner: Paul N.:
Es braucht einen Reformismus auf Höhe der Zeit
Vom Trugbild der revolutionären Partei sollten wir uns ein
für alle Mal verabschieden. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts zeigt, dass der Staat kein Vehikel einer radikalen
Veränderung der Gesellschaft sein kann. Aspekte einer radikalen Veränderung sind vielmehr der Bruch mit dem kapitalistischen Normalbetrieb durch soziale Massenbewegungen
und andererseits der Aufbau neuer, post-kapitalistischer und
post-staatlicher Institutionen. Beides kann und soll von einer
NRF unterstützt, nicht aber ersetzt werden. In nicht-revolutionären Phasen beschränkt sich die Reichweite einer NRF wohl
auf Kampagnen zur Durchsetzung von Reformen in enger
Tuchfühlung mit existierenden Bewegungen und Kämpfen.
Birkners Reformismus, den er
„auf Höhe der Zeit“ nennt,
zeigt sich in der Folge noch
von seiner widersprüchlichen
Seite, denn nachdem er ja bei­
spielsweise die ArbeiterInnen­
bewegung schon längst für
tot erklärt hat, möchte er jetzt
wiederum brechen mit „dem
kapitalistischen
Normalbe­
trieb durch soziale Massenbe­
wegungen“. Er will lieber im
„politischen Vakuum links von
SPÖ und Grünen“ den Auf­
bau „post-kapitalistischer und
post-staatlicher Institutionen“
forcieren. Nicht in nichtrevo­
lutionärer Phase zwar, denn
dann bekommt er im Vakuum
keine Luft, aber ansonsten viel­
leicht ein bisschen Räte ohne
Republik. Deuten darf man ja!
4. Für eine politische Neuzusammensetzung der Subjekte
AktivistInnen sozialer Bewegungen, linke Intellektuelle, Aktive in linken NGOs und im Bereich solidarischer Ökonomie,
kritische Gläubige: Das Potenzial einer NRF wird umso größer sein, je vielfältiger das Mosaik der Beteiligten ist. AktivistInnen mehr oder weniger linker Parteien und ihrer Vorfeldorganisationen werden eine wichtige Rolle beim Aufbau
einer NRF spielen. Um zu einer qualitativ anderen Form von
Politik zu gelangen, braucht es jedoch eine deutlich breitere
Zusammensetzung, andere und vielfältige Formen von
Know-How inhaltlicher und organisatorischer Art. Dabei ist
sowohl die Unter- als auch Überschreitung des Nationalstaats
von Bedeutung: Zum einen die Verankerung im gesamten
Bundesgebiet und somit eine kritische Reflexion der WienLastigkeit der Linken, zum anderen ein Selbstverständnis als
Teil der transnationalen Linken, die weiß, dass die zentralen
politischen, sozialen und ökologischen Probleme im Rahmen
nationalstaatlicher Politik nicht gelöst werden können.
Die Beteiligung sozialdemokratischer AktivistInnen an einer
NRF ist notwendig und wünschenswert. Dies liegt einerseits
in der quantitativen Schwäche der Linken begründet, andererseits soll eine neue linke Kraft eine inhaltliche Breite
repräsentieren, die auch genuin sozialdemokratische Positionen beinhaltet. Unabhängig von den politischen Positionen
wird jedoch die aus den sozialdemokratischen Organisationen mitgebrachte Organisationskultur ein Problem bei der
Formierung einer NRF darstellen. Die Art der Gremienarbeit
Zuletzt nimmt Birkner Dr.
Frankensteins Arbeit wieder
auf. Er plädiert „für eine po­
litische Neuzusammensetzung
der Subjekte“ und arbeitet
sich an den „diversen Linken“
ab. In Wirklichkeit will er di­
ese Subjekte aber nicht neu
zusammensetzen, wie es ohne
Absicht sein paternalistischer
Sprachstil vortäuscht, sondern
er will, dass sich diese erneut
zusammensetzen (besser noch:
zusammenbewegen oder -for­
mieren), um quasi eine neue
Politik innerhalb bzw. im Rah­
men der eben konzipierten
NRF zu entwerfen. Auf Sozial­
demokraten will der Reformist
„auf Höhe der Zeit“ natürlich
nicht verzichten; das Reformi­
stische widersagt ihm ja nicht,
nur das Organisatorische.
und der (innerparteilichen) Machtpolitik der SPÖ sind Paradebeispiele für strukturell undemokratisches Handeln. Sie dürfen in
einer neuen Organisation nicht bestimmend werden, was angesichts einer oft jahrzehntelangen Sozialisierung in SP-Apparaten
keine leichte Aufgabe darstellt.
75
Reformismus auf der Höhe der Zeit?
M.Birkner: Paul N.:
Mit den Gewissheiten der alten Linken brechen
Eine Linke, die gesellschaftliche Bedeutung erringen will, muss
wahrnehmbare Deutungsangebote für einen Ausweg aus der
gegenwärtigen Vielfachkrise des Kapitalismus machen. Diese sollen den Raum für mögliche Verbindungen von Massenbewusstsein, sozialen Bewegungen und repräsentativer Politik öffnen.
Eine derartige Perspektive kann nur aus einer offensiven und
zukunftsgerichteten Analyse entwickelt werden.
Aktuellen Verhältnissen ist nicht mit politischen Rezepten aus der
Garküche der 1960er-Jahre beizukommen. Heute stellt sich die
soziale Frage als qualitative – und das heißt auch als ökologische:
Wie ist ein „Gutes Leben für Alle“ möglich? Weder die Staatsorientierung noch der Lohnarbeitsfetisch oder das – in der Linken
leider nach wie vor weit verbreitete – Wachstumsparadigma sind
dafür brauchbare Ansätze. Eine zeitgemäße emanzipatorische
Politik in Richtung einer sozial-ökologischen Transformation
muss diese sozial und ökologisch fatalen Vergesellschaftungsmuster überschreiten. In diesem Sinne ist eine emanzipatorische
Politik mehr als Umverteilung plus Anerkennung. Es ist er Kampf
ums Ganze: um die Verteidigung und Gewinnung alter und neuer Gemeingüter, das Recht auf Bewegungsfreiheit, „Einkommen
zum Auskommen“ – zum Beispiel in Form eines Bedingungslosen
Grundeinkommens, soziale Sicherheit und politische Beteiligung
für alle auf allen Ebenen, auch in der Ökonomie.
Es geht um den Aufbau einer neuen politischen Kraft unter der
Perspektive des Primats sozialer Bewegungen – bei gleichzeitig weitgehender Abwesenheit letzterer. Angesichts der anhaltenden Schwäche sozialer Bewegungen in Österreich kann der
Aufbau einer NRF nicht aus einem Bewegungszyklus heraus in
Angriff genommen werden. Eine NRF muss die Gratwanderung
meistern, die soziale Frage ins Zentrum ihrer Politik rücken,
gleichzeitig und gleichrangig auf zweierlei Art: als Umverteilungsfrage und als Kritik der „imperialen Lebensweise“ und
des damit verbundenen, ökologisch verheerenden Arbeits- und
Konsumethos der globalen Mittelklassen. Dies ist der Einsatz einer organisatorischen Neuzusammensetzung der Linken. Dazu
braucht es den Mut, mit liebgewonnenen Gewohnheiten und
Politikformen zu brechen. Nur die Anerkennung von Unterschieden, die Neugier auf das „noch nie Dagewesene“ sowie ein solidarischer Dialog auf Augenhöhe wird uns erlauben, gemeinsam
die ausgetretenen Pfade zu verlassen.
76
Die abschließenden Bemer­
kungen Birkners sind die ver­
bale Bewegung im Deutungs­
raum vielfacher Repräsentanz
trivialer Irrelevanz. Dabei ficht
Birkner nun einen „Kampf
ums Ganze“ und geht der pro­
toethischen Frage nach dem
„guten Leben für alle“ nach.
Qualitativ erwartet er sich‘s
auch aus der Ökologie und
quantitativ („mehr im Börsel“)
wohl aus der Ökonomie. Die
ausgetretenen Pfade werden
als Umverteilungsfrage oder
als Kritik der „imperialen Le­
bensweise“ auf Augenhöhe
des Grundeinkommens bedin­
gungslos zu den Gemeingü­
tern der Bewegungsfreiheit
… oder zum „noch nie Dage­
wesenen“. Das Orakel spricht:
„Mit den Gewissheiten der al­
ten Linken brechen!“
Proletarische Revolution 62
Boykott, Desinvestition und
Sanktionen gegen Israel
BDS-Stellungnahme zu den Diffamierungen (Anfang März 2016)
Wir wollen im Folgenden auf die Hauptvorwürfe, Falschdarstellungen und Denunziationen eingehen:
BDS Austria ist ein Zusammenschluss von Einzelpersonen und lokalen Vereinen und Initiativen, die dem
palästinensischen Aufruf nach weitgreifenden Boykott, Sanktionen und Investitionsentzug gegen Israel aus dem Jahr 2005 folgen. Weltweit wird diese, der Gewaltfreiheit verpflichtete Kampagne von
unzähligen, zum Teil namhaften Personen, Gruppen, Initiativen und Institutionen, darunter dem südafrikanischen Erzbischof Desmond Tutu, der US-amerikanischen Bürgerrechtsaktivistin und Humanwissenschaftlerin Angela Davis, dem amerikanisch-israelischen Friedensaktivisten Jeff Halper, dem weltberühmten britischen Astrophysiker Stephen Hawking uvm. – getragen. Die internationale BDS-Kampagne
folgt damit dem Beispiel der Anti-Apartheidbewegung, die mit ähnlichen Maßnahmen das rassistische
System in Südafrika zu Fall gebracht und zu einer Aussöhnung geführt hat. Die drei zentralen Forderungen von BDS stehen im Einklang mit völkerrechtlichen und menschenrechtlichen Grundlagen und
lauten:
- Ende der Besatzung und fortgesetzten Kolonisierung palästinensischen Landes und Abriss der Mauer
- Anerkennung der Grundrechte der arabisch-palästinensischen BürgerInnen Israels auf völlige Gleichheit
und
- Respektierung und Umsetzung der Rechte der palästinensischen Flüchtlinge, in ihre Heimat und zu
ihrem Eigentum zurückzukehren, wie es in der UN Resolution 194 vereinbart wurde.
Von Beginn an hat sich die internationale BDS-Kampagne unmissverständlich gegen jede Form von Rassismus, Antisemitismus, antijüdischer Stereotype oder Vorurteile ausgesprochen. Nicht zuletzt wird die
BDS-Bewegung nicht nur von jüdischen Israelis unterstützt (Boycott from Within), sondern auch von einer wachsenden Anzahl jüdischer Organisationen und Individuen weltweit. Diese wehren sich damit vor
allem auch gegen die Gleichsetzung von Judentum und Jüdischsein mit Zionismus und der israelischen
Staatspolitik sowie der damit einhergehenden Instrumentalisierung ihrer Zugehörigkeit. Als Beispiele
seien an dieser Stelle die Organisation „Jewish Voice for Peace“ in den USA, „Independent Jewish Voice
Canada“ und in Europa verschiedene Mitgliedsorganisationen des Dachverbands „European Jews for A
Just Peace“ genannt.
Den in dem „Offenen Brief an Bürgermeister Dr. Michael Häupl, die Stadt Wien sowie die Verantwortlichen im Amerlinghaus“ (ausgesendet via OTS am 7. März 2016 Vormittags) aufgestellten Verleumdungen entgegnen wir im Detail:
BDS Austria stellt sich als lokaler Kampagnenträger unzweideutig gegen jede Form des Rassismus und
Antisemitismus. Die von der APA in einer Pressanfrage gestellte Frage „zur soziodemographischen bzw.
ethnischen Zusammensetzung“ der Aktivistinnen und Aktivisten sowie die Frage, ob sich „unter ihren
Mitgliedern z.B. auch Juden“ befänden (E-Mail des verantwortlichen Redakteurs der APA an BDS Austria,
07.03.2016), empfinden wir als höchst befremdlich, da wir keinerlei „ethnische Zugehörigkeitslisten“ führen. Um die im Kern höchst fragwürdige Anfrage dennoch zu beantworten: Unter den Aktivistinnen und
Aktivisten von BDS Austria befinden sich Menschen unterschiedlicher „ethnischer“
Herkunft und religiöser (und nicht-religiöser) Bekenntnisse, auch jüdische AktivistInnen. Die Behauptung, BDS Austria oder namentlich der aktuelle Pressesprecher
Oliver Hashemizadeh hätten Hamas als Widerstandsbewegung bezeichnet, ist eine
glatte Lüge – man kann es leider nicht höflicher ausdrücken. Die Behauptung stützt
sich auf eine Rede bei einer Kundgebung vom September 2014 (https://www.youtube.
com/watch?v=8jKAC-rCD-4). Erstmals aufgetaucht ist diese Falschbehauptung im Bericht des Vereins wifno (WIFNO REPORT 02/2015), zu dessen Vorstand Andreas Peham
(auch bekannt unter dem Pseudonym „Heribert Schiedl“) zählt. Pehams Engagement
gegen Rechtsextremismus, Neonazismus und eine höchst anrüchige österreichische
http://www.bds-info.at/index.php/aktuelles/39-stellungnahme-von-bds-austria-zu-den-diffamierungengegen-bds-die-israeli-apartheid-week-und-gegen-das-amerlinghaus
Seit etwa zwei Wochen wird als Reaktion auf die jährlich stattfindende, internationale „Israeli Apartheid Week“ (IAW) ein konzertierter, medialer Feldzug gegen den lokalen Kampagnenträger BDS Austria
geführt. Den Anfang dieser Kampagne setzte Benjamin Weinthal, Mitarbeiter des neokonservativen
US-amerikanischen Think-Tanks „Foundation for Defense of Democracies“ mit einem Artikel in der „Jerusalem Post“ und in der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“. Zeitgleich erhöhten lokale Akteurinnen und Akteure rund um die, als Reaktion auf BDS Austria gegründete, Plattform „Boycott Antisemitism“ den Druck auf das „Kulturzentrum Spittelberg im Amerlinghaus“, in dessen Räumlichkeiten
zwei Veranstaltungen im Rahmen der IAW stattfinden sollten. In einem „Offenen Brief“ an den Bürgermeister Michael Häupl und an das Amerlinghaus wiederholten die VerfasserInnen die an Rufmord grenzenden Diffamierungen gegen BDS Austria und stellten unrichtige Zusammenhänge her, die die Menschenrechts-Kampagne BDS und deren lokalen VertreterInnen als „antisemitisch“ denunzieren sollen.
Auch die Wiener ÖVP und die FPÖ schlossen sich am 07.03.2016 jeweils mit einer OTS-Aussendung der
politischen Erpressung an und forderten das Aus des Kulturzentrums Spittelberg. Dem „Kulturzentrum
Spittelberg im Amerlinghaus“ wurde schließlich seitens der Stadt Wien – namentlich der Magistratsabteilung 13 – unverhohlen der Entzug von Subventionen gedroht. In einem Telefonat hieß es sogar, die
Rot-Grüne Stadtregierung könnte aufgrund der beiden Veranstaltungen im Amerlinghaus zum Rücktritt
gezwungen werden.
77
Zionismus und Apartheit - BDS
Partei wäre in höchsten Tönen zu loben und jeder Kritik erhaben, ließe sich Andreas Peham nicht zugleich dafür
hergeben, antirassistische und linke Gruppen aufgrund ihrer Position zu den israelischen Menschenrechtsverletzungen zu diffamieren.
Zu den im „Offenen Brief“ und in einer Anfrage der APA erwähnte Behauptung, es häuften sich an US -amerikanischen Universitäten Vorfälle antisemitischen Gewalt; Lehrveranstaltungen von jüdischen ProfessorInnen
würden regelmäßig gestört, als Jüdinnen und Juden ausgemachte Studierende am Campus belästigt:
BDS hat als internationale zivilgesellschaftliche, gewaltfrei agierende Kampagne klare und unmissverständliche
Richtlinien, an die sich jede in ihrem Namen arbeitende lokale Gruppe zu halten hat. Zu diesen Richtlinien zählt
u.a., dass der Boykottaufruf sich explizit NICHT gegen jüdische Einzelpersonen oder Unternehmen richtet, sondern ausschließlich gegen israelische wie nicht-israelische Produkte, Unternehmen und Institutionen, die sich an
der Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung beteiligen und die Besatzung und Apartheid Israels stützen, nicht zuletzt indem sie von dieser profitieren. Dementsprechend ruft die BDS-Kampagne auch weder dazu
auf, wahllos alles „Jüdische“, noch alles „Israelische“ zu boykottieren, weil es jüdisch oder israelisch ist. Das wäre
in der Tat antisemitisch und eine solche undifferenzierte Logik und Vorgehensweise lehnt BDS daher ganz unmissverständlich ab. Der Boykott hingegen zielt auf die Überwindung einer politischen Struktur und fragt daher
nicht nach ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit.
BDS Austria war in den vergangenen 12 Monaten umgekehrt einigen physischen Angriffen von militanten GegnerInnen aus den sogenannten „antideutschen“ Gruppierungen ausgesetzt, bei denen es auch zu Ermittlungen
seitens der Polizei kam. So griffen vier Personen aus „antideutschen“ Zusammenhängen im Juni 2015 einen Infotisch von BDS Austria an und versuchten damit eine angemeldete Versammlung zu stören (https://www.youtube.
com/watch?v=o8PpMi6mpes), was zweifelsfrei ein Delikt gemäß Strafgesetzbuch darstellt. Über den Stand der
Ermittlungen bzw. des möglichen Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft wurden wir bisher nicht informiert. Im
August 2015 kam es am Graben in Wien zu einem Vorfall, bei dem ein Aktivist von BDS Austria mit körperlicher
Gewalt konfrontiert war (Ohrfeige und Kinnhaken). Die AngreiferInnen gaben in dem anschließenden Wortgefecht nach dem körperlichen Angriff zu verstehen, sie könnten die „Israelitische Kultusgemeinde“ (Mitunterstützerin der Plattform „Boycott Antisemitism“) zu Hilfe rufen und – Zitat – „dann geht es hier richtig ab“. Eine
Aufzeichnung des Vorfalls auf Video wurde der Staatsanwaltschaft übermittelt und ist online unter https://www.
youtube.com/watch?v=tjoxL4LmrgU dokumentiert.
Die Behauptung, die Veranstaltung fände bewusst zum 78. Jahrestag des Anschlusses Österreichs an das „Deutsche Reich“ statt, ist haarsträubender Unfug. Die „Israeli Apartheid Week“ findet jedes Jahr Ende Februar, Anfang März statt. Es ist bezeichnend und grenzt schon an die Methoden von VerschwörungstheoretikerInnen, mit
welchen Mitteln versucht wird BDS in ein falsches Licht zu setzen.
Auch der in der OTS-Aussendung behauptete Zusammenhang zwischen BDS Austria und einer kurzlebigen Studenteninitiative aus dem Jahr 2003 ist eine – oft wiederholte – Diffamierung, die nicht zutrifft. Es gibt weder
einen personellen, noch organisatorischen Zusammenhang zwischen jener „Sedunia“ und BDS Austria.
Als BDS Austria sind wir erschüttert über die Mittel und Methoden unserer KritikerInnen, deren Ziel es zu sein
scheint, jede Diskussion über den israelisch-palästinensischen Konflikt mit allen erdenklichen Mitteln abzuwürgen. Dass dabei weder vor Diffamierungen, blanken Lügen, politischem Druck auf Veranstaltungsräume und
sogar körperlicher Gewalt nicht zurückgeschreckt wird, zeigt, mit welcher undemokratischen Gesinnung hier
gegen eine berechtigte Kritik an israelischer Staatspolitik und gegen eine Menschenrechtsgruppe vorgegangen
werden soll.
Das Kulturzentrum Amerlinghaus informierte uns heute, dass der Vorstand dem politischen Druck nicht mehr
standzuhalten in der Lage ist. Der Vortrag des israelischen Aktivisten Ofer Neiman wird daher vom Amerlinghaus
verlegt und findet selbstverständlich dennoch am Donnerstag, 10.03.2016 um 18 Uhr statt (Ort wird noch bekannt gegeben). BDS Austria lädt außerdem am Mittwoch um 13 Uhr zu einer Pressekonferenz mit Ofer Neiman
im Cafe Stein (Währingerstrasse 6-8, 1090 Wien) ein. Bei der Kundgebung am 11. März 2016 von 16 bis 20 Uhr am
Stephansplatz wird unter anderen auch die 91jährige Holocaust-Überlebende und BDS-Aktivistin Hedy Epstein
sprechen.
Wir laden alle Interessierten herzlich dazu ein, sich selbst ein Bild
zu machen.
Im Anschluss dokumentieren wir die OTS-Meldungen gegen BDS
Austria und die IAW 2016:
Karin Stanger (ÖH, Gras) und UnterstützerInnen
http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20160307_OTS0090/offener-brief-anbuergermeister-dr-michael-haeupl-die-stadt-wien-sowie-die-verantwortlichen-imamerlinghaus
FP-Lasar fordert klare Positionierung gegen Antisemitismus in Wien (FPÖ)
http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20160307_OTS0187/fp-lasar-fordert-klarepositionierung-gegen-antisemitismus-in-wien
Juraczka: Weiterer Skandal rund um das Amerlinghaus (ÖVP)
http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20160307_OTS0156/juraczka-weiterer-skandal-rund-um-das-amerlinghaus?asbox=box1&asboxpos=1
Stellungnahme des Vorstandes des Vereins Kulturzentrum Spittelberg (Amerlinghaus) http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20160307_
OTS0203/stellungnahme-des-vorstandes-des-vereins-kulturzentrum-spittelberg-amerlinghaus
78
Inhalt
Editorial
Österreich
Faschi­sie­rung:
Asylverweige­rung, Spal­tung und
Hetze, Faschisierung von Staat und
Gesellschaft (SPÖVP – FP)
3
SPÖ und 12.Februar 1934
8
Schluss mit faschist. Hetze...!
10
Asylrecht abgeschafft
11
Frankreich
Reaktionärer Schub
14
Ausnahmezustand
20
Antiterroeinsätze
20
Ukraine
Zwei Jahre nach dem Putsch
21
Griechenland
KKEml: Nein zur NATO-Operation
in der Ägäis
Klassenkämpfe und sozialis­tische
Revolution
Was tun
... in revolutionärer Situration?
... bei revolutionärer Erhebung?
30
31
34
37
Philippinen
Taktische Offensiven der NPA
39
Wahlen - Revolution
40
Österreich
Klassenkämpfe und
Volkskämpfe
Silvesterskandal - Sexismus
42
Steuerreform
45
Feiern oder kämpfen? (komakml-Flugblatt) 48
Lohnunterschiede Frauen-Männer
Schluss mit Sexismus, Rassismus und Krieg (Feministisches
Frauenbündnis 8.März)
49
50
(klein)bürgerliche
Theorien
„Nord-Süd-Konflikt“ oder
Antiimperialismus?
52
„Werkbank“ Iran und Türkei?
69
„Reformismus auf der Höhe der
Zeit“ (4 Thesen)
70
BDS-Stellungnahme zu
Verleumdungen 77
In den letzten 6 Monaten hat sich deutlich gezeigt, dass die sogenannten „zivilgesellschaftlichen“ Mobilisierungen und Graswurzelbewegungen politisch unwirksam sind. Während in Österreich
zehntausende Freiwillige in ihren Wohnorten praktische Solidarität mit den Heimatvertriebenen und Auswander/innen üben und
hunderte wöchentlich oder gar täglich Hilfsgüter zu den Verzweifelten an den Grenzen Österreichs, Ungarns und verschiedener
Balkanstaaten bringen, zur selben Zeit errichtet die österreichische Regierung kilometerlange Zäune, Anhaltelager, Überwachungsanlagen und Militärcamps. Auch wenn über 100.000 Voices
for Refugees am Wiener Heldenplatz zusammenkommen, kann
das offensichtlich nicht die Abschaffung des Asylrechts und die
Militarisierung des öffentlichen Lebens an Grenzen und in „Aufnahmelagern“ verhindern, oder auch nur deutlich einbremsen.
Die „Zivilgesellschaft“ mit ihren verständnis­heischenden Appellen
an die Vernunft und Menschlichkeit der Herrschenden ist gescheitert. Solange nicht entschlossene Kräfte an Einfluss gewinnen, die
sagen: Das sind unsere Brüder und Schwestern, Unterdrückte und
Ausgebeutete wie wir, und nur zusammen werden wir im Kampf
gegen unseren gemeinsamen Feind, die kapitalistische Ausbeuterklasse, die Verhältnisse für uns alle verändern! – solange eine solche revolutionär-demokratische Massenbewegung unter Führung
der Arbeiter/innenklasse nicht erstarkt, werden die Herrschenden
mit den Flüchtlingen und mit uns tun, was sie wollen bzw. für sich
und ihre Profitinteressen am besten halten.
Die vorliegende Nr.62 der Proletarischen Revolution konzentriert
sich, soweit es die tagtäglichen Aktivitäten der IA*RKP und ihr
nahestehenden Kräfte betrifft, auf Fragen des Demokratieabbaus
und der Faschisierung. Dazu dokumentieren wir mehrere Flugblätter und bringen einen Artikel, der sich mit der Einschätzung
der FPÖ und der Faschisierung in Österreich beschäftigt. Ergänzend dazu gibt es einen Beitrag über die jüngsten Entwicklungen
in Frankreich, das nicht erst seit den Anschlägen in Paris 2015 ein
Vorreiter in der EU in Bezug auf faschistischen Ausnahmezustand,
Grenzschließung und Massendeportation (v.a. von Roma) ist.
Da der Medienwirbel um die Syrienkonferenzen einen viel näher
gelegenen Brennpunkt der zwischenimperialistischen Konkurrenz permanent überdeckt, bringen wir einen Artikel zur Ukraine.
(Kiew ist gleich weit von Wien entfernt wie Paris, und näher als
Athen oder Barcelona!)
In Fortsetzung unserer Auseinandersetzung mit den Entwicklungen in Griechenland (in der vorangegangenen PR 61) bringen wir
einen Beitrag zu den dortigen Klassenkämpfen und der Perspektive der sozialistischen Revolution.
Im theoretischen Teil der PR62 setzen wir uns kritisch mit zwei
Strömungen auseinander, die in der aktuell schwachen Klassenkampf-Situation ihre äußerst schädliche Wirkung entfalten können: Einerseits geht’s um den sogenannten „Nord-Süd-Konflikt“
am Beispiel eines Artikels von Lauesson/Cope in der Monthly Review, und andererseits um vier (überflüssige) Thesen aus dem Eck
der autonomen Bewegung über „einen Reformismus auf der Höhe
der Zeit“ und eine „zeitgemäße emanzipatorische Politik“ …
Als unser Beispiel aus dem „globalen Süden“ und zu unseren Ansichten über eine „zeitgemäße emanzipatorische Politik“ bringen wir einen Bericht über die Aktivitäten der Neuen Volksarmee
(NPA) auf den Philippinen.
Abschließend möchten wir aufgrund verschiedener (kritischer)
Anfragen darauf hinweisen, dass die Proletarische Revolution in
der derzeitigen Situation nicht viel mehr leisten kann, als die tatsächliche revolutionäre kommunistische Bewegung in Österreich
widerzuspiegeln. Nehmt an Aktionen und Diskussionen aktiv teil,
schreibt Flugblätter und Beiträge und beteiligt euch daran, die
Zeitschrift besser zu machen!
Kollektiv Proletarische Revolution
Für neue Leser/innen:
Die „Proletarische Revolution“ erscheint seit 2001. Sie greift mit revolutionär-kommunistischen Positionen in aktuelle Kämpfe und in damit verbundene praktische und
theoretische Auseinander­setzungen ein. So setzt sie die Tradition der von den Marxisten-Leninisten Österreichs 1963 gegründeten „Rote Fahne“ und
der 1972 bis 1980 erschienen österreichischen (Wochen-) Zeitung
„Klassenkampf“ fort. Das Kollektiv Proletarische Revolution stellt
sich die Aufgabe, durch die Verbindung der Erfahrungen und Lehren von nahezu 200 Jah­ren revolutionärer, internationaler Arbeiter/innen-Bewegung mit dem aktuellen Klassenkampf in Österreich und weltweit einen Beitrag zu leisten zur Bewusst­machung und
Revolutio­nierung der Arbeiter/innenklasse im heutigen Österreich.
Die „Proletarische Revolution“ kämpft in der Tradition der internationalen revolutionär-kommunistischen Bewegung. Diese hat sich
vor einem halben Jahr­hundert intensiv mit den Fehlern der Kommunistischen Partei der Sowjetunion auseinandergesetzt und ab Anfang der 1960er Jahre einen scharfen Kampf gegen die Wegbereiter
des bürokrati­schen Staatskapitalismus in der Sowjetunion
geführt. Die theoretische und praktische Verteidigung einer
marxistisch-leninistische Generallinie für die Weltrevolution
hat damals zur Gründung neuer, revolutionär-kommunistischer Zeitungen und Parteien geführt, die sich an der chinesischen Kulturrevolution unter Mao Zedong orientierten.
Das Kollektiv Proletarische Revolution geht davon aus, dass
ohne positive Berücksichtigung der theoretischen und praktischen Leistungen der chinesischen Kulturrevolution die
Theorie und Praxis der revolutionären kommunistischen Bewegung nicht ent­sprechend den aktuellen Anforderungen
des revolutionären Klassenkampfs weiterentwickelt werden
können.
Die „Proletarische Revolution“ bringt in 4 bis 6 Ausgaben jährlich sowohl agitatorische und pro­pa­gandistische
Aufrufe, Stellungnahmen und Redebeiträge zu aktuellen
Kämpfen als auch wissen­schaftliche Untersuchungen, Analysen und Thesen von österreichischen und international relevanten Parteien und Organisationen der revolutionären
kommunistischen Weltbewegung.
Die „Proletarische Revolution“ ist unabhängig von Staat und Kapital und finanziert
sich aus­schließ­lich aus Spenden, Abo-Einnahmen und anderen freiwilligen Beiträgen.
Abo-Bedingungen siehe Umschlag hinten!
Die „Proletarischen Revolution“ kann als pdf-Datei im Netz unter <prolrevol.wordpress.com> heruntergeladen werden.
Kollektiv Proletarische Revolution
Proletarier/innen aller Länder, vereinigt euch!
Proletarische
Revolution
Nr.62
unabhängig
von Staat und Kapital
16. Jg.
revolutionär-kommunistische Zeitung in Österreich
im 146. Jahr
der Pariser Kommune
Spendenempfehlung: 2,- Euro
April 2016
Impressum:
Medieninhaber, Herausgeber,
für den Inhalt verantwortlich
Kollektiv
Proletarische Revolution
c/o Stiftgasse 8, 1070 Wien
www.prolrevol.wordpress.com
Die Proletarische Revolution liegt in folgenden
Buchhandlungen / Vereinslokalen auf (und ist dort
auch käuflich zu erwerben):
- Buchhandlung Frick, 1010 Wien, Schulerstraße 1-3
- Buchhandlung des ÖGB, 1010 Wien,
Rathausstraße 21/Ecke Universitätsstraße
- Literaturcafe Buchhandlung Lhotsky, 1020 Wien,
Rotensterngasse 4/Ecke Taborstraße
- Marxer Lesestube, 1030 Wien, Marxergasse 18
- Buchhandlung Jauker, Sampogasse 4, 1140 Wien
- Buchhandlung Alex, 4020 Linz, Hauptplatz 21
- Buchhandlung Hacek, 9020 Klagenfurt, Paulitschgasse 5-7
- Rotes Antiquariat, Rungestraße 20, D-10179 Berlin
- M 99, Manteuffelstraße 99, D-10997 Berlin
- Buchladen Rote Straße, Nikalokirchhof 7, D-37073 Göttingen
- Aufbau Buchvertrieb, Kanonengasse 35, 8004 Zürich
Flugblätter der IA*RKP als Broschüren auf Persisch
Im Abo
kostet die PR für 1 Jahr
im Inland 20,-,
Sozialabo 15,im Ausland 30,- Euro
Die Konkurrenz der imperialistischen Mächte
führt zum Krieg,
wenn die proletarische Revolution dem Krieg nicht zuvorkommt!