Die Bedeutung der Verwarnung im Arbeitsrecht
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Die Bedeutung der Verwarnung im Arbeitsrecht
Vanessa Polcan Die Bedeutung der Verwarnung im Arbeitsrecht Nr. 114 der Reihe DISKUSSIONSPAPIERE des Forschungsinstituts für Arbeit und Arbeitsrecht an der Universität St. Gallen St. Gallen, November 2007 Vorwort Verwarnungen sind im Arbeitsrecht von grosser Bedeutung. einerseits vermögen sie dem Arbeitnehmer konkret schwächen bzw. Verbesserungspotential aufzuzeigen, andererseits verhindern sie, dass unnötig Kündigungen ausgesprochen werden. Zusätzlich sind Verwarnungen jedoch auch wesentliche Faktoren, wenn im Zusammenhang mit einer fristlosen Kündigung abgeklärt werden muss, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber noch zumutbar war oder nicht. Mit der vorliegenden Arbeit werden die theoretische und praktische Bedeutung der Verwarnung untersucht. Von besonderem Interesse sind dabei die Ausführungen zu den Schranken der Verwarnung. In der bisherigen Rechtsliteratur finden sich kaum Angaben zu problematischen Verwarnungsgründen wie Piercings, Tattoos, spezielle Haartrachten und aufreizende Kleidung. Die Autorin Vanessa Polcan hat auch diese schwierigen Abgrenzungsfragen beantwortet und konkrete Musterbeispiele für Verwarnungen am Ende der Arbeit geliefert. Die Arbeit ist an unserem Institut als Seminararbeitarbeit erstellt worden. Es ist nicht üblich Seminararbeiten zu veröffentlichen. Die Qualität der Arbeit und die Aktualität des Themas scheinen uns aber genügende Gründe zu sein, sie einer weiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Auch für eine Seminararbeit gilt die akademische Freiheit. Es versteht sich von daher von selbst, dass die in der Arbeit getroffenen Wertungen ausschliesslich die Meinung der Autorin wiedergeben und das FAA nicht binden. Im November 2007 Prof. Dr. Thomas Geiser PD Dr. Roland Müller Direktor FAA Referent DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT INHALTSVERZEICHNIS Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis ..................................................................................................... I Abkürzungsverzeichnis...........................................................................................III Literaturverzeichnis ................................................................................................ IV I Einleitung ....................................................................................................... 1 1 2 Problemstellung ............................................................................................................ 1 Begriffsbestimmungen ................................................................................................. 1 2.1 Disziplinarmassnahmen ....................................................................................... 1 2.2 a) 3 II 1 Verweis .................................................................................................................. 2 b) Verwarnung........................................................................................................... 2 Abgrenzungen............................................................................................................... 3 Rechtliche Grundlagen der Verwarnung ..................................................... 4 Gesetzliche Grundlagen............................................................................................... 4 1.1 Obligationenrecht (OR) ....................................................................................... 4 1.2 2. Verweis und Verwarnung.................................................................................... 2 Arbeitsgesetz (ArG) .............................................................................................. 5 Vertragliche Grundlagen.............................................................................................. 6 2.1 Grundlagen im Einzelarbeitsvertrag (EAV)........................................................ 6 2.2 Grundlagen im Gesamtarbeitsvertrag (GAV) .................................................... 6 2.3 Grundlagen im Normalarbeitsvertrag (NAV)..................................................... 7 3 III Fazit................................................................................................................................ 7 Die Verwarnung in der Praxis ...................................................................... 9 1 2 3 Form der Verwarnung.................................................................................................. 9 Inhalt der Verwarnung............................................................................................... 10 Häufigkeit von Verwarnungen.................................................................................. 10 3.1 In Kleinunternehmen ......................................................................................... 10 4 IV 1 3.2 In Mittelunternehmen......................................................................................... 11 3.3 In Grossunternehmen ........................................................................................ 11 3.4 Fazit...................................................................................................................... 12 Bedeutung der Verwarnung...................................................................................... 12 4.1 Arbeitspflicht (Art. 321 OR) ............................................................................... 12 4.2 Befolgung von Weisungen (Art. 321d OR)...................................................... 13 4.3 Sorgfalts- und Treuepflicht (Art. 321a OR) ...................................................... 14 Schranken der Verwarnung........................................................................ 16 Verfassungsmässige Rechte ....................................................................................... 16 1.1 Rechtsgleichheit (Art. 8 BV) .............................................................................. 16 1.2 Willkürverbot und Wahrung von Treu und Glauben (Art. 9 BV)................. 17 I DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT 2 INHALTSVERZEICHNIS 1.3 Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 BV) .................................................... 17 1.4 Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV) ............................................................... 18 1.5 Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 15 BV) ............................................... 18 Schutz der Persönlichkeit .......................................................................................... 18 2.1. Körperschmuck................................................................................................... 19 a) Piercings .............................................................................................................. 20 b) Tattoos ................................................................................................................. 21 c) 2.2 Haartracht ............................................................................................................ 21 Aufreizende Kleidung ........................................................................................ 22 2.3 Rauchen am Arbeitsplatz ................................................................................... 22 3 4 5 Datenschutz................................................................................................................. 24 Gefahr der missbräuchlichen Kündigung ................................................................ 25 Fazit.............................................................................................................................. 26 Zusammenfassung und Empfehlungen ..................................................... 27 1 2 Zusammenfassung ...................................................................................................... 27 Empfehlungen............................................................................................................. 28 2.1 Beispiel A ............................................................................................................ 28 V 2.2 Beispiel B ............................................................................................................ 29 Anhang ................................................................................................................. XXX II DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Abkürzungsverzeichnis Abs. Absatz ArG Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel (Arbeitsgesetz) vom 13. März 1964 (SR 822.11) Art. Artikel Aufl. Auflage Bd. Band BV Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101) bspw. beispielsweise bzgl. bezüglich DSG Datenschutzgesetz vom 19. Juni 1992 (SR 235.1) EAV Einzelarbeitsvertrag etc. et cetera f. / ff. folgend, e/fortfolgend, e GAV Gesamtarbeitsvertrag Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz i. e. S. im engeren Sinne i. S. v. im Sinne von i. V. m. in Verbindung mit i. w. S. im weiteren Sinne m. a. W. mit anderen Worten NAV Normalarbeitsvertrag OR Bundesgesetz betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches. Fünfter Teil: Obligationenrecht vom 30. März 1911 (SR 220) Pkt. Punkt Rz. Randziffer sog. so genannte, r S. Seite usw. und so weiter u. a. unter anderem/anderen, und andere vgl. vergleiche v. a. vor allem ZGB Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (SR 210) zit. zitiert z. B. zum Beispiel III DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT LITERATURVERZEICHNIS Literaturverzeichnis BAUMBERGER, ROGER Rauchen am Arbeitsplatz in: W. PORTMANN/J.-F. STÖCKLI (Hrsg.), Schriften zum Schweizerischen Arbeitsrecht. Heft 57. Bern: Stämpfli Verlag AG, 2002. CAVELTI, URS JOSEPH In: B. EHRENZELLER/PH. SCHWEIZER/K. A. MASTRONARDI/R. VALLENDER Gallerkommentar (Hrsg.), zur St. Schweizerischen Zürich/Basel/Genf: Bundesverfassung. J. Schulthess, 2002. DRODOWSKI, GÜNTHER/ Disziplin in Duden, Das Fremdwörterbuch. Bd. 5. 5. Aufl. MÜLLER, WOLFGANG/ Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich: Meyers Lexikonverlag: SCHOLZE-STUBENRECHT, WERNER/ 2001. WERMKE, MATTHIAS GEISER, THOMAS/ Arbeitsrecht in der Schweiz, Unterlagen zum Selbststudium mit MÜLLER, ROLAND Fragensammlung. Bern: Stämpfli Verlag AG, 2005. HÄFELIN, ULRICH/ Schweizerisches Bundesstaatsrecht. 6. Aufl. Zürich/Basel/Genf: HALLER, WALTER Schulthess, 2005. HÄFELIN, ULRICH/ Allgemeines Verwaltungsrecht. 4. Aufl. Zürich/Basel/Genf: MÜLLER, GEORG Schulthess, 2002. HUBER, ROLF Rechtsprobleme Universität der Zürich. Personalakte. Zürich: Dissertation, Zentralstelle der Studentenschaft, 1985. MEILI, ANDREAS In: H. HONSELL/N. P. VOGT/TH. GEISER (Hrsg.), Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, Art. 1 – 456 ZGB. 3. Aufl. Basel/Genf/München: Helbing & Lichtenhahn, 2006. MÜLLER, JÖRG PAUL Elemente einer schweizerischen Grundrechtstheorie. Bern: Verlag Stämpfli & Cie AG, 1982. IV DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT MÜLLER, ROLAND LITERATURVERZEICHNIS Betriebliches Dissertation, Disziplinarwesen. Universität Zürich. Bern: Verlag Stämpfli & Cie AG, 1983. MÜLLER, ROLAND A. Arbeitsgesetz. Kommentar. 6. Aufl. Zürich: Orell Füssli Verlag AG, 2001. REHBINDER, MANFRED IN: A. MEIER-HAYOZ (Hrsg.), Berner Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Das Obligationenrecht, Art. 319 – 330a OR. Bd. 6, 2. Abteilung, 2. Teilbd., 1. Abschnitt. Bern: Verlag Stämpfli & Cie AG, 1985. REHBINDER, MANFRED Schweizerisches Arbeitsrecht. 15. Aufl. Bern: Verlag Stämpfli Verlag AG, 2002. REHBINDER, MANFRED In: H. HONSELL/N. P. VOGT/W. WIEGAND (Hrsg.), Kommentar zum Schweizerischen Obligationenrecht I, Art. Privatrecht, 1 – 529 OR. 2. Aufl. Basel/Frankfurt am Main: Helbing & Lichtenhahn, 1996. REHBINDER, MANFRED/ In: H. HONSELL/N. P. VOGT/W. WIEGAND (Hrsg.), Basler PORTMANN, WOLFGANG Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Obligationenrecht I, Art. 1 – 529 OR. 3. Aufl. Basel/Genf/München: Helbing & Lichtenhahn, 2003. RIESSELMANN-SAXER, REBEKKA Datenschutz im privatrechtlichen Arbeitsverhältnis. Dissertation, Universität Zürich. Bern: Stämpfli Verlag AG, 2002. SCHÜRER, HANS UELI Arbeit und Recht. Zürich: Verlag SKV, 2004. SCHWEIZER, RAINER J. In: B. EHRENZELLER/PH. SCHWEIZER/K. A. Gallerkommentar MASTRONARDI/R. VALLENDER zur (Hrsg.), J. St. Schweizerischen Bundesverfassung. Zürich/Basel/Genf: Schult-hess, 2002. STÖCKLI, JEAN-FRITZ Der Inhalt des Gesamtarbeitsvertrages in: M. REHBINDER (Hrsg.), Schriften zum Schweizerischen Arbeitsrecht. Heft 32. Bern: Verlag Stämpfli & Cie AG, 1990. V DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT STÖCKLI, JEAN-FRITZ LITERATURVERZEICHNIS In: H. HAUSHEER (Hrsg.), Berner Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Das Obligationenrecht, Art. 356 – 360 OR. Bd. 6, 2. Abteilung, 2. Teilbd., 3. Abschnitt. Bern: Stämpfli Verlag AG, 1999. STREIFF, ULLIN/ Arbeitsvertrag. Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR. 6. VON KAENEL, ADRIAN TILCH, HORST/ARLOTH, FRANK Aufl. Zürich/Basel/Genf: Schulthess, 2006. Verwarnung im Arbeitsrecht in Deutsches Rechtslexikon, Band 3: Q-Z. München: Verlag C. H. Beck, 2001. TOBLER, ROLF/FAVRE, CHRISTIANE/ Arbeitsrecht, Obligationenrecht (Art. 319 – 362 OR), Gleichstel- MUNOZ, CHARLES/ lungsgesetz, Arbeitsgesetz. Kommentierte Gesetzesausgabe. GULLO EHM, DANIELA Lausanne: Bis & Ter Verlag, 2006. VI DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT I Einleitung 1 Problemstellung EINLEITUNG Die Bedeutung der Verwarnung im Arbeitsrecht wurde bis anhin kaum untersucht. Dies führt dazu, dass weder ausreichend Literatur noch Rechtsprechung vorzufinden sind. Weitaus öfters wurden Disziplinarmassnahmen wie die Verwarnung bzw. Abmahnung im deutschen Recht behandelt, jedoch stimmt dessen Verwarnung aufgrund ihrer strengeren Regelung1 mit der schweizerischen nicht überein. Deshalb wäre bei einem Vergleich oder beim Einbezug deutscher Literatur von der Abmahnung auszugehen, denn deren Verhängung ist ebenso wenig von der Mitbestimmung eines Betriebsrates abhängig wie die Verwarnung in der Schweiz. Diese Arbeit konzentriert sich aber trotz mangelnder Untersuchungen auf das schweizerische Recht. Um die Bedeutung der Verwarnung im Arbeitsrecht etwas besser zu erfassen, wurde in verschiedenen Betrieben eine elektronische Umfrage durchgeführt2, deren Ergebnisse in Kapitel III der Arbeit eingearbeitet sind. Um eine klare Abgrenzung des Themas vornehmen zu können, werden zu allererst einige Begriffsbestimmungen angeführt. 2 Begriffsbestimmungen Damit die Verwarnung im Arbeitsrecht eingeordnet werden kann, wird zuerst der Begriff der Disziplinarmassnahmen erläutert, danach der Begriff des Verweises und anschliessend wird anhand dieser Erläuterungen die Verwarnung definiert. 2.1 Disziplinarmassnahmen Disziplin leitet sich vom lateinischen ab und bedeutet ein auf Ordnung bedachtes Verhalten, bzw. Unterordnung oder bewusste Einordnung3. Disziplinarmassnahmen sind also dazu da, Rechtswidrigkeiten seitens des Arbeitnehmers, wie Verstösse gegen Anordnungen und Weisungen des Arbeitgebers oder gegen Verhaltenspflichten, zu verhindern4 aber auch dessen bewusste Ein- und somit auch Unterordnung zu fördern. Im Falle von Widerhandlungen werden Massnahmen ergriffen, um die Ordnung zu wahren oder wieder herzustellen. Oft wird diesbezüglich von der sog. Betriebsjustiz gesprochen. Zu differenzieren sind dabei die allgemeinen und die besonderen Disziplinarmassnahmen, 1 2 3 4 wobei zu ersteren Entlassungen und In Deutschland ist die Verhängung einer Verwarnung von der Mitbestimmung des Betriebsrates abhängig. Vgl. dazu TILCH/ARLOTH, 2001, S. 4629. Der Fragebogen ist der Arbeit als Anhang beigelegt. Disziplin in Duden, das Fremdwörterbuch, 1990, S. 194. REHBINDER, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, 1996, S. 1729, Rz. 7. 1 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT EINLEITUNG Schadenersatzforderungen sowie die Verweise5 und Verwarnungen6 zu zählen sind7. Diese dienen der Unterlassung bestimmter Verhaltensweisen und können jederzeit ausgesprochen werden, sofern die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind8. Die besonderen Disziplinarmassnahmen9 bedürfen gemäss Art. 38 Abs. 1 Hs. 2 ArG einer angemessenen10 Regelung in einer Betriebsordnung. Auf diese wird jedoch nicht näher eingegangen, da sie ausserhalb des zu behandelnden Themenkreises liegen. 2.2 Verweis und Verwarnung Aus dem in Art. 321d OR festgehaltenen Weisungsrecht11 des Arbeitgebers ergibt sich das Recht, Verweisungen und Verwarnungen auszusprechen. Worum es sich dabei handelt, wird in den nachfolgenden zwei Abschnitten aufgezeigt. a) Verweis Der Verweis ist die mildeste Variante aller möglichen Disziplinarmassnahmen und kann sowohl in schriftlicher als auch in mündlicher Form ausgesprochen werden12. Er ist mit der umgangssprachlichen Rüge und dem Tadel zu vergleichen. Fehlerhaftes Verhalten wird festgestellt und dem entsprechenden Mitarbeitenden vorgetragen bzw. vorgelegt – dies meist verbunden mit dem Hinweis auf das erwünschte, korrekte Verhalten. b) Verwarnung Die Verwarnung ist eine Kombination aus Verweis und Drohung13. Sie beinhaltet die für den Wiederholungsfall konkret umschriebene Konsequenz, welche bis zur (fristlosen) Kündigung reichen kann. Ausgeschlossen sind jedoch rechts- und sittenwidrige Androhungen, wie bspw. das Nichtausstellen eines Arbeitszeugnisses. Dieses muss gemäss Art. 330a i. V. m. 362 OR (auf Verlangen) zwingend ausgestellt werden. Der Mitarbeitende wird m. a. W. dazu angehalten, das ordnungswidrige Verhalten künftig zu unterlassen, andernfalls würden unangenehme Folgen daraus 5 6 7 8 9 10 11 12 13 Vgl. dazu Kapitel I 2.2. Vgl. dazu Kapitel I 2.3. GEISER/MÜLLER, 2005, S. 52, Rz. 230. REHBINDER, 2002, S. 81, Rz. 154. Im Gesetz werden die besonderen Disziplinarmassnahmen Ordnungsstrafen genannt und beinhalten Geldbussen, Lohnkürzungen, Nacharbeit, Versetzung, Verlängerung der Probezeit oder Suspendierung. Vgl. dazu REHBINDER, 1996, S. 1729,Rz. 7. Angemessen ist eine Regelung, wenn die zu bestrafenden Handlungen ausreichend bestimmt sind und ein Verfahren vorgesehen wird, das den rechtsstaatlichen Anforderungen genügt. Vgl. dazu REHBINDER, 2002, S. 82, Rz. 155. Dazu unten Kapitel II 1.1. MÜLLER, 1983, S. 90. MÜLLER, 1983, S. 75. 2 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT EINLEITUNG resultieren14. Im Gegensatz zum Verweis, ist bei der Verwarnung aus Beweisgründen die schriftliche Form vorzuziehen15. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, das Vorkommnis in der entsprechenden Personalakte festzuhalten. Dieser Vermerk dürfte allerdings aufgrund der Verhältnismässigkeit nach Ablauf einer bestimmten Zeit wieder aus der Datenbank zu entfernen sein16. 3 Abgrenzungen In dieser Arbeit soll ausschliesslich die Verwarnung behandelt werden. Jegliche anderen allgemeinen Disziplinarmassnahmen sowie Ordnungsstrafen sind auszuklammern. So werden in einem ersten Schritt die gesetzlichen und vertraglichen Rechtsgrundlagen untersucht, anschliessend – mit Hilfe der Auswertung der Umfrage – die Verwarnung in der Praxis genauer betrachtet und die Grenzen der Verwarnung aufgezeigt. In einem fünften und letzten Kapitel wird die Arbeit kurz zusammengefasst und mittels eines Beispiels einer juristisch korrekten Verwarnung abgerundet. 14 15 16 Die konkrete/n Folge/n sind dabei klar und deutlich darzulegen. STREIFF/VON KAENEL, 2006, S. 750. Vgl. auch MÜLLER, 1983, S. 92. RISSELMANN-SAXER, 2002, S. 58. 3 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT II RECHTSGRUNDLAGEN Rechtliche Grundlagen der Verwarnung Das ganze zweite Kapitel dient dazu, die rechtlichen Grundlagen für die Verwarnung aufzuzeigen. Da zwischen gesetzlichen und vertraglichen Grundlagen zu differenzieren ist, werden das Obligationenrecht und das Arbeitsgesetz in einem ersten Teil und der Einzel-, Gesamt- und Normalarbeitsvertrag in einem zweiten Teil untersucht. Die Verfassung wird in diesem Kapitel bewusst nicht aufgeführt, da sie bzgl. der Verwarnung lediglich Schrankenbestimmungen in Form von unverletzlichen und unverzichtbaren Grundrechten enthält17. 1 Gesetzliche Grundlagen 1.1 Obligationenrecht (OR) Ein arbeitsrechtliches Verhältnis charakterisiert sich durch eine Arbeitsleistung, welche gegen Entgelt auf eine bestimmte oder unbestimmte Dauer entrichtet wird und bei dem der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber untergeordnet ist18. Ausfluss dieses Subordinationsverhältnisses und somit auch Charakteristika des Arbeitsverhältnisses ist u. a. das Weisungsrecht (Direktionsrecht) des Arbeitgebers, bzw. die Befolgungspflicht des Arbeitnehmers. Diese beiden Aspekte werden in Art. 321d OR festgehalten und bringen zum Ausdruck, dass der Arbeitgeber generell-abstrakte Regeln anordnen kann, nach welchen die Arbeit in einer bestimmten Art und Weise zu erfüllen ist und/oder nach welchen sich die Arbeitnehmenden zu verhalten haben19. Diesbezüglich können auch besondere Weisungen erteilt werden, die sich an einen einzelnen Arbeitgeber richten und sich auf eine bestimmte Situation beziehen20. Je nach Anweisungsinhalt handelt es sich um Konkretisierungs- oder Verhaltensweisungen21. Eine weitere Kategorisierungsmöglichkeit des allgemeinen Begriffes der Weisung ist die Unterteilung in Fach-, Ziel- und Verhaltensanweisungen22. Nimmt sich der Arbeitgeber das Recht, selbständige Weisungen zu erlassen, steht ihm dieses nur insofern zu, als die Pflichten des Arbeitnehmers nicht bereits durch Gesetz, Betriebsordnung, Gesamtoder Normalarbeitsvertrag geregelt sind23. 17 18 19 20 21 22 23 MÜLLER, 1983, S. 56. Vgl. Art. 319 OR. Art. 321d Abs. 1 OR. REHBINDER, Berner Kommentar, 1985, S 153, Rz. 3. MÜLLER, 1983, S. 53. REHBINDER/PORTMANN, Basler Kommentar, 2003, S. 1699, Rz.3. SCHNÜRIGER zit. in MÜLLER, 1983, S. 51. 4 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT RECHTSGRUNDLAGEN Auf der Gegenseite hat der Arbeitnehmer die Anordnungen und Weisungen des Arbeitgebers nach Treu und Glauben zu befolgen24. Die Befolgungs- bzw. Gehorsamspflicht des Arbeitnehmers ergibt sich jedoch nicht nur aus Art. 321d Abs. 2 OR, sondern genauso aus der in Art. 321a OR statuierten Treue- und Sorgfaltspflicht sowie der geschuldeten Arbeitspflicht25. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Weisungsrecht nicht nur das Recht zu verweisen, sondern auch jenes zu verwarnen – also zusätzlich zum Verweis eine Massnahmenandrohung auszusprechen. Diese können gesetzlicher oder anderweitiger Natur sein. Die, für den Wiederholungsfall im Gesetz geregelten, möglichen Konsequenzen sind z.B. die in Art. 336 OR statuierte ordentliche oder die in Art. 337 OR geregelte ausserordentliche Kündigung sowie die Schadenersatzforderung in Art. 321e OR. Die Folgen der Missachtung von Anordnungen und Weisungen seitens des Arbeitnehmers sowie Verwarnungsrechts die seitens Schranken des des Arbeitgebers Weisungsund als und somit dessen auch des Kehrseite die Befolgungspflicht des Arbeitnehmers werden bewusst nicht an dieser Stelle behandelt, sondern in den dafür bestimmten Kapiteln: namentlich in Kapitel III bei den entsprechenden Pflichten des Arbeitnehmers26, bzw. in Kapitel IV bei den Schranken der Verwarnung. 1.2 Arbeitsgesetz (ArG) Aus dem Arbeitsgesetz lässt sich keine brauchbare Bestimmung für die Rechtfertigung des Verwarnungsrechts herauslesen. Der einzige in Frage kommende Artikel wäre Art. 38 ArG, welcher Regelungen bezüglich der Betriebsordnungen enthält. Da diese jedoch nur zur Verhängung von Ordnungsstrafen zwingend sind, nicht aber für die allgemeinen Disziplinarmassnahmen, zu welchen auch die Verwarnung zu zählen ist,27 fällt Art. 38 ArG zumindest als konstitutive Grundlage für das Verwarnungsrecht ausser Betracht. Eine fakultative Regelung der Verwarnung in der Betriebsordnung könnte hingegen in Betracht gezogen werden. Jedoch würde dann nicht mehr das ArG, sondern die Betriebsordnung die rechtliche Grundlage darstellen. 24 25 26 27 Art. 321d Abs. 2 OR. REHBINDER, Berner Kommentar, 1985, S. 164 ff., Rz. 17 ff. Vgl. auch Kapitel III 4. Kapitel III 4.1 bis 4.3. Vgl. dazu MÜLLER, 2001, S. 147, RZ. 2. 5 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT RECHTSGRUNDLAGEN 2. Vertragliche Grundlagen 2.1 Grundlagen im Einzelarbeitsvertrag (EAV) Grundsätzlich gelten für den Einzelarbeitsvertrag die Bestimmungen der Art. 319 ff. OR. Sofern diese absolut zwingend ausgestaltet sind, dürfen gemäss Art. 361 Abs. 1 OR keinerlei abweichenden Vereinbarungen getroffen werden – weder zu Ungunsten des Arbeitnehmers, noch des Arbeitgebers. Andernfalls sind diese nach Abs. 2 nichtig. Von relativ zwingenden Gesetzesbestimmungen kann zwar abgewichen werden, jedoch nur zu Gunsten der einen Seite, namentlich jener des Arbeitnehmers. Auch diese, in Art. 362 Abs. 1 OR aufgelisteten Artikel, unterliegen ansonsten gemäss dessen Abs. 2 der Nichtigkeit. Beim dispositiven Recht ist es schliesslich zulässig, die gesetzlichen Regelungen im Rahmen des Gesetzes beliebig zu individualisieren. Wurde von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, anderweitige Abreden zu treffen, sind die Gesetzesbestimmungen, analog zu Art. 360 Abs. 1 OR, lediglich subsidiär zu den Einzelabreden und somit auch zum EAV anzuwenden. 2.2 Grundlagen im Gesamtarbeitsvertrag (GAV) Der Gesamtarbeitsvertrag gilt gemäss Art. 357 OR während der ganzen Vertragsdauer sowohl für den Arbeitgeber, als auch für den Arbeitnehmer unmittelbar. Er beinhaltet Regelungen bzgl. des Abschlusses, Inhalts und der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Welchen spezifischen Inhalts die GAV sind, hat STÖCKLI ausführlich behandelt28. So werden Verwarnungen einerseits im Zusammenhang mit den Modalitäten und Formvorschriften der Kündigung erwähnt, andererseits mit Bezug auf die Disziplinarmassnahmen im Rahmen der Haftung des Arbeitnehmers. Die der Kündigung vorangehende Verwarnung hat den Zweck, Übereilungen und Missverständnissen vorzubeugen, indem dem Arbeitnehmer sein negatives Verhalten durch den Arbeitgeber bewusst gemacht wird29. Da sie aber bereits im Weisungsrecht gesetzlich verankert ist, bedürfte sie keiner vertraglichen Grundlage mehr. Durch die Nennung im GAV erhält sie im Disziplinarmwesen jedoch ein umso grösseres Gewicht30. Als Beispiel aus der Praxis soll der GAV zwischen der Schweizerischen Post und den vertragsschliessenden Gewerkschaften dienen31. Darin wird konkretisiert, unter welcher Voraussetzung gezwungenermassen eine Verwarnung zu erfolgen hat: 28 29 30 31 Dazu ausführlich STÖCKLI, Der Inhalt des Gesamtarbeitsvertrages, 1990. STÖCKLI, 1990, S. 153. STÖCKLI, 1990, S. 353. Zu finden unter http://www.swisspost.ch/en/uk_gb06_14_gav_kg.pdf. 6 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT RECHTSGRUNDLAGEN „Der Kündigung […] aus Gründen, die von der/dem Mitarbeitenden persönlich zu vertreten sind […], muss eine schriftliche Verwarnung mit Kündigungsandrohung vorausgegangen sein.“ 2.3 Grundlagen im Normalarbeitsvertrag (NAV) Die Regelung von Normalarbeitsverträgen ist Sache der Kantone. Sie sind für die Bezeichnung der erlassenden Behörden zuständig32. Inhalt des NAV kann grundsätzlich jede Regelung sein, die auch in einem EAV zugelassen ist – mit dem Unterschied, im Genuss einer erweiterten Inhaltsfreiheit zu stehen33 und branchenbzw. berufsspezifische Bestimmungen enthalten zu können. Diese betreffen ebenfalls den Abschluss, Inhalt und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, so dass wohl auch Verwarnungen geregelt werden könn(t)en. Praktische Bedeutung entfaltet der NAV vorwiegend dort, wo sich der GAV nicht durchsetzen konnte34. Aufgrund dessen dürfte der NAV als rechtliche Grundlage für die Verwarnung weniger interessant und gebräuchlich sein. 3 Fazit Rechtliche Grundlagen für Verwarnungen im Arbeitsverhältnis sind nur sehr spärlich vorhanden. Das OR gibt diesbezüglich mit den Regelungen über den Einzelarbeitsvertrag am meisten her. Aus dem Weisungsrecht in Art. 321d OR kann sowohl das Recht des Verweises, als auch jenes der Verwarnung abgeleitet werden. Zum einen aus Abs. 1, der den Arbeitgeber zu allgemeinen Anordnungen und besonderen Weisungen ermächtig, zum anderen aus dem in Abs. 2 festgehaltenen Umkehrschluss, dass der Arbeitnehmer die Anweisungen zu befolgen hat. Diese Befolgungspflicht ergibt sich schliesslich auch aus der Arbeits- und Treuepflicht. Aus dem Arbeitsgesetz ergibt sich nichts Vergleichbares. Dieses beinhaltet in Art. 38 lediglich Bestimmungen im Zusammenhang mit der Betriebsordnung, welche für die Verwarnung an und für sich nicht relevant ist. Als gesetzliche Grundlage dient daher lediglich das OR. Bei den Verträgen ist v. a. der Gesamtarbeitsvertrag entscheidend. Neben den gesetzlichen Regelungen kann er die Verwarnung in verschiedener Hinsicht nochmals anführen und hebt dadurch deren Bedeutung noch stärker hervor. Da der GAV durchaus die Möglichkeit besitzt, das Recht der Verwarnung festzuhalten, wird der NAV diesbezüglich annähernd bedeutungslos. Denn der Normalarbeitsvertrag erhält 32 33 34 TOBLER/FAVRE/MUNOZ/GULLO EHM 2006, S. 459 Pkt. 2.1. STÖCKLI, Berner Kommentar, 1999, S. 354, Rz. 3. REHBINDER, Basler Kommentar, 1996, S. 1893, Rz. 2. 7 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT RECHTSGRUNDLAGEN insbesondere in jenen Bereichen Gewichtung, in denen sich der GAV nicht durchsetzen konnte – wie z.B. in der Land- oder Hauswirtschaft35. Der EAV bildet nur insofern Grundlage für die Verwarnung, als er abweichende Regelungen zu den dispositiven und relativ zwingenden Gesetzesbestimmungen beinhaltet oder diese explizit nochmals zum Ausdruck bringt. Das Verhältnis der rechtlichen Grundlagen untereinander verhält sich wie folgt: An oberster Stelle steht das zwingende Gesetzesrecht, gefolgt vom GAV36 und der Betriebsordnung37. Anschliessend folgen EAV, NAV und an letzter Stelle, nach den dispositiven Gesetzesnormen, die Weisungen des Arbeitgebers, wobei die Rangfolge aufgrund des Günstigkeitsprinzips38 nicht absolut gilt39. 35 36 37 38 39 REHBINDER, Basler Kommentar, 1996, S. 1893, Rz. 2. Vgl. Art. 358 OR. Vgl. Art. 38 Abs. 3 ArG. Das Günstigkeitsprinzip besagt, dass jene Regelung, die für den Arbeitnehmer strenger ist, der günstigeren zu weichen hat. REHBINDER, Basler Kommentar, 1996, S. 1696, Rz. 2. 8 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT III PRAXIS Die Verwarnung in der Praxis Um die Bedeutung der Verwarnung nicht nur theoretisch zu analysieren, sondern auch Stimmen aus der Praxis zu integrieren, wurde eine elektronische Umfrage durchgeführt. Dazu wurden rund 120 E-Mails an verschiedene Unternehmen verschickt, wovon mehr als 40% (50) beantwortet wurden. Fünf der Befragten entschuldigten sich. Sie könnten aus verschiedenen Gründen keine Antworten liefern. Ein Formular wurde leer zurück geschickt und die restlichen Retournierungen wurden zu einem erfreulich grossen Teil vollständig beantwortet. Diese 44 effektiv brauchbaren Antworten bilden die Grundlage der nachfolgenden Auswertung. 40 der Betriebe sind dem Arbeitsgesetz unterstellt und vier dem öffentlichen Recht. Die Rücklaufquote kann zwar durchaus als gut bezeichnet werden, jedoch gibt die Auswertung der Fragebögen sicherlich nicht die Qualität her, die bei einer vollumfänglichen Beantwortung möglich gewesen wäre. Trotzdem sollen aus dem 40%igen Rücklauf möglichst repräsentative Schlüsse gezogen werden. An erster Stelle wird untersucht, in welcher Form Verwarnungen ausgesprochen werden, gefolgt von deren Inhalten und Häufigkeit, analysiert anhand der jährlich ausgesprochenen Verwarnungen, wobei Klein-, Mittel und Grossbetriebe einander gegenübergestellt werden. Final wird die Bedeutung der Verwarnung bzgl. verschiedener gesetzlicher Pflichten untersucht. 1 Form der Verwarnung Eine Verwarnung ist grundsätzlich an keine Formvorschrift gebunden und kann daher sowohl mündlich als auch schriftlich erfolgen. Da die Verwarnung jedoch nicht nur einen Verweis enthält, sondern auch die Warnung, dass im Wiederholungsfalle weitere Konsequenzen folgen40, ist aus Beweisgründen die Schriftform vorzuziehen. So wird in 38,6% der Betriebe zuerst mündlich verwarnt und anschliessend die Verwarnung schriftlich abgefasst, wobei der mündliche Teil der Verwarnung oft im Sechs-AugenPrinzip41 abläuft. Die Abschrift hat der Mitarbeitende schliesslich als Zeichen seiner Kenntnisnahme (und seines Einverständnisses bzgl. der Massnahmen) zu unterzeichnen. Weitere 50,1% verwarnen lediglich schriftlich und eine Minderheit von 40 41 Die häufigste und wohl wirkungsvollste Androhung ist jene der Kündigung. Das Sechs-Augen-Prinzip entspricht dem Vier-Augen-Prinzip mit dem Unterschied, dass das Gespräch nicht zwischen zwei, sondern im Beisein drei Personen stattfindet. 9 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT PRAXIS 4,5% nur mündlich. Bei letzteren ist jedoch zu vermuten, dass die Verwarnung mit der Verweisung verwechselt bzw. dieser gleichgesetzt wurde42. 2 Inhalt der Verwarnung Die Verwarnung weist bei den meisten Unternehmen eine identische oder zumindest sehr ähnliche Struktur auf. Die Form spielt dabei keine Rolle. Sowohl bei mündlichen als auch schriftlichen Verwarnungen wird an erster Stelle immer das Fehlverhalten festgehalten, um daraufhin aufzuzeigen, welches Verhalten korrekt und folglich erwünscht ist. Anschliessend wird dem Mitarbeitenden mittels Androhung der im Wiederholungsfall einzuleitenden Konsequenzen deutlich gemacht, dass ein solches Verhalten in Zukunft nicht mehr geduldet wird. Oftmals wird diesbezüglich eine Frist festgesetzt, welche dazu dient, den Zeitpunkt festzulegen, bis zu welchem sich das entsprechende Verhalten verbessern muss bzw. in welchem Zeitraum sich die verwarnte Person keine ähnlichen Verhaltensweisen erlauben darf, ansonsten die angedrohten Konsequenzen durchgesetzt werden. Diese Bewährungsfristen reichen von drei bis sechs Monaten bis hin zu zwei bis fünf bzw. zehn Jahren und haben bei Ablauf das Dahinfallen der Verwarnung bzw. bei den beiden letzten Beispielen sogar die Löschung aus der Personalakte zur Folge. Bei der Zehnjahresfrist ist anzumerken, dass diese der absoluten Verjährung des Obligationenrechtes entspricht und die Verwarnung nach deren Ablauf schon von Gesetzes wegen hinfällig wird. In zwei der vierzig Betriebe wird am Ende der schriftlichen Verwarnung zusätzlich eine Rechtsmittelbelehrung abgegeben. Bei Verwarnungen, die zuerst mündlich ausgesprochen und danach schriftlich abgefasst werden, wird einführend das bereits erfolgte Gespräch erwähnt und sodann daran angeknüpft. 3 Häufigkeit von Verwarnungen Grundsätzlich kann gesagt werden, dass Verwarnungen sehr selten ausgesprochen werden. Um die Häufigkeit genauer zu untersuchen, werden die Klein-, Mittel- und Grossbetriebe jedoch gesondert betrachtet. Anschliessend werden die drei Kategorien in einem kurzen Fazit direkt miteinander verglichen. 3.1 In In Kleinunternehmen diesem Kapitel werden sowohl Mikro- als auch Kleinunternehmen zusammengefasst. Als Mikrounternehmen werden Betriebe verstanden, in denen keine 42 Die ausbleibenden 6,8% sind jene Unternehmen, die dazu keine Stellung genommen haben. Entweder mit der Begründung, dass sie keine Verwarnungen aussprechen oder dass aus Gründen der Vertraulichkeit und des Persönlichkeitsschutzes keine Angaben gemacht werden. Diese Antwortbögen sind auch jene, die für die nachfolgenden Kapitel keine Ergebnisse liefern. 10 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT PRAXIS bis maximal neun Mitarbeitende beschäftigt werden, zehn bis 49 derer sind in Kleinbetrieben zu zählen43. Gemäss dem Bundesamt für Statistik machen diese 97,9% aller marktwirtschaftlichen Unternehmen aus44. Dennoch sind lediglich 11,3% der 44 Betriebe als Makro- bzw. Kleinunternehmen zu qualifizieren. Diese beschäftigen durchschnittlich 17,5 Mitarbeitende und sprechen jährlich nicht einmal eine Verwarnung aus. Aufgrund der sehr seltenen Verwarnungen sind auch kaum je weitergehende Massnahmen zu ergreifen. 3.2 In Mittelunternehmen Als mittlere Betriebe werden jene Unternehmen bezeichnet, in denen 50 bis 249 Angestellte ihre berufliche Tätigkeit ausüben. 1,8% aller schweizerischen Unternehmungen gehören zur Kategorie der Mittelunternehmen45, zu welchen auch 20,4% der hier auszuwertenden Unternehmen zählen. Der Beschäftigungsdurchschnitt liegt bei 134 Personen, von welchen in der Regel weniger als eine im Jahr verwarnt wird. Bei mehr als der Hälfte der Verwarnten bleiben Wiederholungen aus, womit der Zweck erfüllt ist und zu keinen weiteren Massnahmen gegriffen werden muss. Bei den weniger erfreulichen 40% müssen die Androhungen gegenüber den entsprechenden Personen durchgesetzt werden. Welche Konsequenzen exakt in Frage kommen, wird aus den Antworten bedauerlicherweise kaum ersichtlich. Verschiedentlich wurde jedoch die Vertragsauflösung – also die Kündigung – als Beispiel erwähnt. 3.3 In Grossunternehmen 3% aller marktwirtschaftlichen Unternehmen beschäftigen mehr als 249 Mitarbeitende und zählen somit zu den Grossunternehmen46. Zu diesen 3% gehören auch alle übrigen, und somit die meisten Betriebe (68,3%), die an der Befragung teilgenommen und Antworten geliefert haben. Ihr durchschnittlicher Beschäftigungsgrad liegt bei rund 4400 Personen, wobei die Spannweite der Unternehmen mit einer Anzahl von 250 bis zu solchen mit 41'000 Mitarbeitenden recht breit gelagert ist. Auf die etwas mehr als 4400 Mitarbeitenden fallen jährlich zirka 20 Verwarnungen aus, wovon zwei bis drei durchgesetzt werden müssen47. Als Folge eines Weiderholungsfalles resultiert 43 44 45 46 47 Bundesamt für Statistik (BFS), Betriebszählung (BZ) 2005, Gefunden am 26. Juni 2007 unter http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/06/02/blank/key/01/groesse.html. Gemäss Stand vom 30. November 2006. Gefunden am 26. Juni 2007 unter http://www.bfs.admin.ch/bfs/portal/de/index/themen/06/02/blank/key/01/groesse.html. BFS, BZ 2005. BFS, BZ 2005. 20% der Grossunternehmen konnten auf die Fragen „Wie viele Verwarnungen werden jährlich ausgesprochen?“ sowie „Wie viele der durch die Verwarnung ausgesprochenen Androhungen müssen jährlich durchgesetzt werden?“ keine Antworten geben, da sie grösstenteils keine Statistik darüber führen bzw. keine Stellung dazu nehmen wollen oder können. 11 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT PRAXIS daraus häufig die ordentliche oder aber in schweren Fällen auch die fristlose Kündigung. 3.4 Fazit Aus den vorangehenden Erläuterungen ist ersichtlich, dass die prozentuale Anzahl der Verwarnungen gemessen an der Anzahl der Mitarbeitenden mit zunehmender Unternehmensgrösse abnimmt. Gehen wir bei den kleinen Unternehmen davon aus, dass durchschnittlich jedes zweite bis jedes vierte Jahr jemand verwarnt wird, sind das jährlich 1,5 bis 3% aller Angestellten, die einer Verwarnung unterliegen48. Bei den Mittelunternehmen sind es lediglich noch 0.75% aller Mitarbeitenden und bei Grossbetrieben wird im Schnitt knapp ein halbes Prozent verwarnt. Bei der Durchsetzung verhält es sich gleichermassen. Je grösser der Betrieb, desto weniger Verwarnungen müssen durchgesetzt werden. Für die Kleinbetriebe wird für die Durchsetzung der Verwarnung von der Hälfte aller Fälle ausgegangen, womit alle 4 bis 8 Jahre eine Person die Konsequenzen ihres Verhaltens effektiv zu tragen hat – was durchaus realistisch erscheint. Bei den mittleren Unternehmen sind gemäss den Angaben, die in den vorangehenden Kapiteln gemacht wurden, weniger als die Hälfte und in den Grossbetrieben lediglich noch 13,5% Wiederholungsfälle zu verzeichnen. 4 Bedeutung der Verwarnung Die Verwarnung ist in der betrieblichen Praxis in verschiedenen Bereichen von Bedeutung. Die meisten der genannten Fälle, die gegebenenfalls zu Verwarnungen führen, fallen unter mindestens einen der Bereiche der Arbeits-, Sorgfalts- oder Treuepflicht. Was unter diesen Begriffen konkret zu verstehen ist, wird in den nachfolgenden Kapiteln in Kürze erläutert. Abgerundet werden diese Unterkapitel durch die Zusammenstellung der dem entsprechenden Kapitel angehörenden Antworten aus den Unternehmungen. 4.1 Arbeitspflicht (Art. 321 OR) Die Arbeitspflicht ist das Hauptcharakteristikum der Arbeitsleistung und wird in Art. 321 OR geregelt. Der Arbeitnehmer hat die vertraglich übernommene Arbeit zu entrichten. Diese kann er, sofern nichts anderes vereinbart ist, nicht an andere weiter delegieren, sondern hat sie persönlich zu leisten. Welchen Inhalts die zu leistende Arbeit ist, wird in der Regel im Einzelarbeitsvertrag vereinbart und beinhaltet alle 48 Bei den Kleinunternehmen sind an dieser Stelle Vermutungen aufzustellen, die realistisch erscheinen, da aus der Umfrage hervorgeht, dass kaum je Verwarnungen ausgesprochen werden. 12 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT Tätigkeiten, die üblicherweise PRAXIS vom Arbeitnehmer werden49. erledigt Eine 50 Konkretisierung erfährt sie durch das Weisungsrecht des Arbeitgebers . Auch Ort und Zeit der Arbeit werden durch die verschiedenen Verträge festgelegt. V. a. die zeitliche Komponente spielt in der Praxis eine wichtige Rolle. Denn Arbeitszeiten können entweder fix oder aber nur partial geregelt sein, wie z. B. bei der gleitenden Arbeitszeit, Teilzeitarbeit, dem Job Sharing oder Ähnlichem. Bei den festgelegten Arbeitszeiten sind die Mitarbeitenden anwesenheitspflichtig51, so dass ein Zuspätkommen, unentschuldigtes Fernbleiben und ähnlich gelagerte Fälle Verstösse gegen die vertraglichen Vereinbarungen darstellen. Für Verletzungen der Arbeitspflicht, namentlich die Schlecht- oder Nichterfüllung des Arbeitsinhalts, -ortes oder der Arbeitszeit, stehen dem Arbeitgeber verschiedene Sanktionsmöglichkeiten zur Verfügung. Neben der Kündigung, Lohnverweigerung oder dem Geltendmachen von Schadenersatzansprüchen können auch Konventional- oder Ordnungsstrafen verhängt werden. Aus der Umfrage ging hervor, dass insbesondere die verschiedenen Aspekte der Arbeitspflicht Anlass zu Verwarnungen geben können. So wurden u. a. das Missachten von Arbeitsbedingungen, Weisungen52, Sicherheitsvorschriften, Personalverordnungen aber auch „Blaumachen“, mehrfaches Zuspätkommen und zu langes Krankschreiben53 als mögliche Verwarnungsgründe erwähnt. Des Weiteren sind an dieser Stelle auch der Alkohol- und Drogen- sowie der Internetmissbrauch anzuführen. Denn durch den Alkohol- und Drogenkonsum wird die Leistungsfähigkeit aber auch die Sicherheit54 reduziert, womit die Arbeitspflicht höchstens noch schlecht erfüllt wird. Ähnlich gelagert ist der Fall, in dem das Internet für private Zwecke verwendet wird. Hier wird der Leistungsabfall zwar nicht durch die verminderte Leistungsfähigkeit verursacht, aber durch eine vom Arbeitsinhalt abweichende Beschäftigung, welche dem Fernbleiben von der Arbeit nahe kommt. 4.2 Befolgung von Weisungen (Art. 321d OR) Zur korrekten Erfüllung der Arbeit gehört auch die Befolgung von Weisungen, sofern sie 49 50 51 52 53 54 innerhalb der gesetzlichen und vertraglichen Grenzen liegen. Wo das REHBINDER/PORTMANN, Basler Kommentar, 2003, S. 1684, Rz. 5. Vgl. Kapitel III 4.2. REHBINDER/PORTMANN, Basler Kommentar, 2003, S. 1685, Rz. 11. Die Befolgung von Weisungen wird im Kapitel III 4.2 behandelt. Da die Missachtung von Weisungen bereits an dieser Stelle angeführt wird und die Befolgungspflicht ein Teil der Arbeitpflicht darstellt, wir das Beispiel im nächsten Kapitel kein weiteres Mal erwähnt. Beim Beispiel des zu langen Krankschreibens, war u. a. das ausbleibende Arztzeugnis problematisch. Sicherheit einerseits i. S. v. gesundheitlicher Sicherheit, bspw. wenn im Produktionsbereich gearbeitet wird, andererseits aber auch die Sicherheit, dass nichts vertauscht wird, verloren geht etc.. 13 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT PRAXIS Weisungsrecht überschritten wird, endet die Befolgungspflicht. Wichtige Schranke dafür bildet, wie oben55 bereits erwähnt, der vereinbarte Tätigkeitsbereich. Lediglich diejenige Arbeit, die üblicherweise vom Arbeitnehmer zu erledigen ist, kann angeordnet werden. Jede darüber hinausgehende Anweisung liegt ausserhalb des Tätigkeitsbereiches und muss somit nicht befolgt werden56. Eng damit in Verbindung steht die Anforderung des unmittelbaren Zusammenhanges zwischen Weisung und Arbeit oder Betrieb. Weisungen dürfen hiernach lediglich als Konkretisierungen zur Ausführung der Arbeit bzw. zum Verhalten im Betrieb ausgesprochen werden57. Diese Beschränkung der Weisungs- und somit auch Befolgungspflicht ist gleichzeitig Ausfluss des Prinzips von Treu und Glauben, welches neben der Fürsorgepflicht, insbesondere des Persönlichkeitsschutzes, ebenfalls zu wahren ist58. 4.3 Sorgfalts- und Treuepflicht (Art. 321a OR) Aus der nur sehr abstrakt geregelten Treuepflicht des Art. 321a OR ergibt sich, dass der Arbeitgeber ausnahmsweise auch ausserdienstliche Weisungen an den Arbeitnehmer erlassen kann. Dies betrifft sowohl das Konkurrenzverbot und das Verbot der Schwarzarbeit, als auch Anweisungen im Zusammenhang mit Fabrikations- und Geschäftsgeheimnissen. Der Arbeitnehmer hat grundsätzlich alles zu unterlassen, was dem Arbeitgeber wirtschaftlich schadet59. Aufgrund dessen ist auch mit dem zur Verfügung gestellten Material (sog. Produktionsmittel) sorgfältig umzugehen. Des Weiteren gehören auch die in Art. 321b OR statuierte Rechenschafts- und Herausgabepflicht und die Pflicht zur Leistung von Überstunden (Art. 321c OR) zur Treuepflicht. Auf diese wird jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter eingegangen, da sie von den Unternehmen in keinster Weise erwähnt wurden60. Die Sorgfaltspflicht hält den Arbeitnehmer an, seine Aufgaben sorgfältig auszuführen, was u. a. die fachgerechte Verwendung der Produktionsmittel voraussetzt. Sie stellt jedoch keine eigenständige Vertragspflicht dar, sondern hält Voraussetzungen für die Schadenersatzpflicht des Art. 321e OR fest. lediglich die 61 Als unter die Sorgfalts- und Treuepflicht fallende Vorkommnisse, die verwarnt würden, sind die Entwendung und unsorgfältige Behandlung von Produktionsmitteln und (Original-)Akten zu nennen. 55 56 57 58 59 60 61 Vgl. Kapitel III 4.1. Ausser in absoluten Ausnahmesituationen. Auf diese wird jedoch nicht näher eingegangen. REHBINDER, Berner Kommentar, 1985, S. 166, Rz. 21. Ausführlicher dazu: Kapitel IV 1.2 und 2. STREIFF/VON KAENEL, 2006, S. 125. Ausführungen dazu sind in den verschiedenen Kommentaren bei den entsprechenden Artikeln zu finden. REHBINDER/PORTMANN, Basler Kommentar, 2003, S. 1690, Rz. 1. 14 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT PRAXIS Alle weiteren genannten Fälle sind keiner der drei Pflichten zuzuordnen, sondern gehören dem Persönlichkeitsschutz an und sind daher in Kapitel IV 2 zu integrieren. 15 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT IV SCHRANKEN Schranken der Verwarnung Die Freiheit jedes Handelns erfährt dort ihre Grenzen, wo sie in den rechts- und sittenwidrigen Bereich, in die Freiheit eines anderen eingreift. So sind auch der Verwarnung Schranken gesetzt. Werden diese übertreten, ist die Verwarnung nach der Regel des Art. 20 OR für nichtig zu erklären. Als Schranken der Verwarnung werden nach den verfassungsmässigen Rechten das Persönlichkeitsrecht sowie der Datenschutz im Speziellen behandelt. Final wird aufgezeigt, unter welchen Bedingungen der Arbeitgeber Gefahr der missbräuchlichen Kündigung läuft. 1 Verfassungsmässige Rechte Als rechtliche Grundlage ist die Schweizerische Bundesverfassung zwar bzgl. des Rechts der Verwarnung keine hilfreiche Quelle, umso mehr aber für dessen Beschränkung62. Obwohl die BV grundsätzlich die Beziehung zwischen dem Staat und den Bürgern regelt, sollen die Grundrechte gemäss Art. 35 Abs. 3 BV bei entsprechender Geeignetheit auch zwischen Privaten ihre Wirkungen entfalten können (sog. Dritt- oder auch horizontale Wirkung). Die Frage der Drittwirkung der im Grundrechtskatalog63 enthaltenen Rechte stellt sich v. a. bei Rechtsverhältnissen, in denen sich die Privaten einander nicht gleichgestellt gegenübertreten64 – wie bspw. im arbeitsrechtlichen Verhältnis der Arbeitgeber und Arbeitnehmer65. Im Grundsatz sind in Bezug auf die Drittwirkung folgende Punkte zu beachten: Bestehen parallel zu den Grundrechten entsprechende Gesetzesnormen, wird die Drittwirkung durch deren Vollzug realisiert66. Indirekt entsteht die horizontale Wirkung mittels grundrechtskonformer Auslegung der Normen und bei Gesetzeslücken sogar mit direktem Rückgriff auf die Grundrechte selbst67. Des Weiteren existiert die direkte Drittwirkung dort, wo sie in der Verfassung selbst explizit vorgesehen ist68. 1.1 Rechtsgleichheit (Art. 8 BV) Die Rechtsgleichheit beinhaltet das Gleichbehandlungsgebot und das Diskriminierungsverbot, wobei das eine jeweils die Kehrseite des anderen darstellt. 62 63 64 65 66 67 68 MÜLLER, 1983, S. 56. Art. 7 bis 36 BV. MÜLLER, 1982, S. 85. Durch das Subordinationsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer entsteht ein ähnliches Verhältnis wie zwischen Staat und Bürger. Der Staat ist dem Bürger genauso übergeordnet wie der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer. MÜLLER, 1982, S. 86. SCHWEIZER, St. Galler Kommentar, 2002, S. 488, Rz. 19 ff.. Beispiele solcher Verfassungsnormen sind u. a.: Art. 10 Abs. 3, Art. 17 Abs. 3 und Art. 28 Abs. 3 BV. 16 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT SCHRANKEN Gleichbehandlung wird grundsätzlich dadurch erreicht, indem Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt wird. Das heisst, das Gebot der Gleichbehandlung wird im Falle einer vorgenommenen Unterscheidung, für die kein vernünftiger oder sachlicher Grund besteht, oder bei einer „Gleichbehandlung“, bei der aufgrund der Verhältnisse Unterscheidungen hätten vorgenommen werden müssen, verletzt69. Liegt aber ein sachlicher oder vernünftiger Grund vor, kann eine Ungleichbehandlung durchaus gerechtfertigt sein70. Bei der Verwarnung ist bspw. an die notwendigerweise unterschiedlichen Anforderungen an die Angestellten der verschiedenen Betriebsabteilungen zu denken71. Das Diskriminierungsverbot hingegen gilt absolut und ist ausnahmslos einzuhalten. Niemand darf zwecks Herabwürdigung oder Ausgrenzung unterschiedlich behandelt werden – auch nicht indirekt72. 1.2 Willkürverbot und Wahrung von Treu und Glauben (Art. 9 BV) Ähnlichkeiten mit dem Gleichheitsgebot weist das Willkürverbot auf. Stellt sich bei ersterem die Frage nach der gleichen Behandlung von gleich gelagerten Fällen, so ist bei zweitem zu entscheiden, ob sich der einzelne Akt per se auf sachliche oder vernünftige Gründe stützen lässt73. Unter Privaten kann Art. 9 BV höchstens indirekt, z.B. über den Art. 2 ZGB, zur Anwendung gelangen. Die Wahrung von Treu und Glauben fordert „loyales und vertrauenswürdiges Verhalten im Rechtsverkehr“74. Nicht nur im öffentlich-rechtlichen Bereich soll Vertrauensschutz gewährleistet und Rechtsmissbrauch und widersprüchliches Verhalten verhindert werden, sondern auch im Privatrecht75. 1.3 Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 BV) In Art. 10 regelt die BV den Grundsatz des Persönlichkeitsschutzes und erklärt in Abs. 2, dass jeder Mensch das Recht auf persönliche Freiheit, insbesondere auf die körperliche und geistige Unversehrtheit und die Bewegungsfreiheit, besitzt76. Darunter wird u. a. auch das Recht auf individuelle Selbstbestimmung verstanden, welche die Verfügungsfreiheit über den eigenen Körper sowie das eigene Leben beinhaltet77. 69 70 71 72 73 74 75 76 77 SCHWEIZER, St. Galler Kommentar, 2002. S. 106. Rz. 38. HÄFELIN/HALLER, 2005, S. 218, Rz. 756. Z.B. Verstösse gegen die Sicherheitsvorschriften, die in der Produktionsabteilung einzuhalten sind, jedoch in der Verwaltung des entsprechenden Betriebes (logischerweise) nicht. Zwei dermassen unterschiedliche Arbeitsplätze rechtfertigen eine ungleiche Behandlung der Produktions- und kaufmännisch Angestellten. HÄFELIN/HALLER, 2005, S. 221 f., Rz. 774 ff.. HÄFELIN/HALLER, 2005, S. 234, Rz. 814. Vgl. HÄFELIN/MÜLLER, 2002, S. 128, Rz. 622. HÄFELIN/HALLER, 2005, S. 235 f.. Dazu Kapitel IV 2. SCHWEIZER, St. Galler Kommentar, 2002, S. 160, Rz. 25. 17 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT 1.4 SCHRANKEN Schutz der Privatsphäre (Art. 13 BV) Von Art. 13 BV ist als Schranke der Verwarnung v. a. der zweite Absatz von Bedeutung: der Anspruch auf Schutz vor Missbrauch persönlicher Daten. Da der Datenschutz jedoch in Kapitel IV 3 noch näher betrachtet wird, soll hier auf weitergehende Ausführungen verzichtet werden. 1.5 Glaubens- und Gewissensfreiheit (Art. 15 BV) Jede Überzeugung, unabhängig des Inhalts oder der Herkunft, welche die Beziehung des Menschen zum Göttlichen, zum Transzendenten zum Inhalt hat, wird als Glauben bezeichnet. Das Gewissen verleiht dem Leben ethische Massstäbe und wirkt daher identitätsstiftend. Da sie immer im Zusammenhang mit der religiösen Überzeugung wahrgenommen Gewissensfreiheit, wurde, der oft entstand wieder der Doppelbegriff zusammengefasst der wird Glaubens- unter dem und Begriff „Religionsfreiheit“. Mittels Art. 15 BV sollen eben diese beiden Freiheiten gewährleistet werden. D.h., es soll jeder Person offen stehen, einer Religion beizutreten, anzugehören aber auch auszutreten oder gar ganz fernzubleiben. Dieses unabdingbare Grundrecht ist auch unter Privaten indirekt anzuerkennen.78 Meines Erachtens kann die Glaubens- und Gewissensfreiheit in engem Zusammenhang mit dem Diskriminierungsverbot gesehen werden. Denn wer aufgrund seiner religiösen Zugehörigkeit im Vergleich zu allen anderen unterschiedlich behandelt wird, kann als Opfer einer Diskriminierung bezeichnet werden. Hiernach sind z. B. Verwarnungen wegen „Tragen eines Kopftuches“ nicht haltbar, sofern diese wirklich religiösen Charakter haben. Ausnahmen können allenfalls im Einzelfall durch die Neutralität des Staates begründet werden – bspw. in öffentlichen Schulen. Hierdurch würde jedoch nicht die Religionszugehörigkeit an sich untersagt werden, sondern „lediglich“ das Kopftuch-Tragen als Ausdruck des Glaubens, wobei dann konsequenterweise, als Folge der Gleichbehandlung, auch das sichtbare „Tragen eines Kreuzes“ zur Verwarnung führen müsste. 2 Schutz der Persönlichkeit In Art. 28 ZGB ist der Schutz gegen Verletzungen der Persönlichkeit verankert und umfasst den physischen, psychischen und sozialen Schutzbereich79. In Art. 328 OR wird er dahingehend konkretisiert, dass der Arbeitgeber die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu schützen, auf seine Gesundheit Rücksicht zu nehmen sowie für die 78 79 CAVELTI, St. Galler Kommentar, 2002, S. 225 ff.. Vgl. MEILI, ANDREAS, Basler Kommentar, 2006, S. 253, Rz. 17. 18 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT SCHRANKEN Wahrung der Sittlichkeit zu sorgen hat. Speziell hervorgehoben wird dabei das Verbot der sexuellen Belästigung. Der Arbeitgeber ist dafür verantwortlich, dass keinerlei sexuellen Übergriffe stattfinden. Sollten sich solche trotzdem ereignen, obliegt ihm die Pflicht, jegliche weiteren Nachteile für das Opfer zu unterbinden. Gemäss Abs. 2 dieses Artikels umfasst der Schutz der Persönlichkeit den Schutz von Leben, Gesundheit und persönlicher – sowohl körperlicher als auch geistiger – Integrität80. Die Massnahmen, um diesen Schutz zu gewähren, sind anhand der Erforderlichkeit, dem Stand der Technik und den Verhältnissen des Betriebes zu ergreifen. Diese Regelung, welche im Arbeitsgesetz in Art. 6 konkretisiert wird, setzt dem Weisungsrecht auf der einen Seite Grenzen, auf der anderen Seite eröffnet sie ihm neue „Möglichkeiten“. Zweites v. a. dann, wenn Massnahmen zum Schutz gegen Dritte, wie z.B. Mitarbeitende oder Vorgesetzte, ergriffen werden müssen, eine Entlassung aber nicht verhältnismässig wäre81. Als Beispiel aus den Unternehmungen ist ganz allgemein der fehlende Respekt gegenüber den Mitmenschen zu nennen. Darunter können die verschiedenen Verhaltensweisen wie Mobbing, Rassismus aber auch die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz subsumiert werden. Die Grenzen werden der Verwarnung durch die Sachlichkeit und den darin enthaltenen Anspruch des Arbeitnehmers auf Gleichbehandlung gesetzt. Dadurch werden willkürliche Entscheidungen verhindert bzw. können bei allfälliger Übertretung des Schutzbereiches für nichtig erklärt werden. Sie finden gemäss Art. 2 Abs. 2 ZGB keinen Rechtsschutz82. Mit den eher neueren Trendlinien, wie den Piercings, Tattoos, speziellen Haartrachten aber auch der aufreizenden Kleidung und dem Rauchen (trotz Rauchverbot), kommen neue Problemkreise auf – und mit Ihnen die Frage der Persönlichkeitsverletzung. Ebendiese werden nachfolgend daraufhin untersucht, ob sie Anlass zu Verwarnungen geben können, gegebenenfalls, ob diese legitimiert sind, und andernfalls, ob dadurch das Recht auf Schutz der Persönlichkeit verletzt wird. 2.1. Körperschmuck Unter Körperschmuck werden an dieser Stelle Piercings und Tattoos an sichtbaren Körperstellen als auch spezielle Haartrachten, wie bspw. Rastas und Dreadlocks83, in Betracht gezogen. Dabei wird einerseits zu differenzieren sein, ob der Körperschmuck 80 81 82 83 Darunter sind insbesondere der Schutz vor sexueller Belästigung, das Diskriminierungsverbot und die Gleichstellung von Mann und Frau zu verstehen. Vgl. dazu MÜLLER, 2001, S. 51 f., Rz. 9. REHBINDER/PORTMANN, Basler Kommentar, 2003, S. 1743, Rz. 7 f.. MÜLLER, 1983, S. 54. Dreadlocks sind aus dünnen Haarsträhnchen geflochtene kleine Zöpfchen. Der Unterschied zu den Rastas liegt lediglich in der Machart, wobei hierfür viele verschiedene Techniken in Frage kommen. Im Ergebnis sind Dreadlocks und Rastas jedoch weitestgehend identisch und entsprechen der Frisur des weltberühmten Reggae-Sängers Bob Marley. 19 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT SCHRANKEN schon zur Zeit der Vertragsentstehung getragen wurde oder erst im Nachhinein, und andererseits, ob die entsprechenden Arbeitnehmer in direktem Kundenkontakt stehen oder eher im Hintergrund tätig sind. Wird von letzterem ausgegangen hat eine weitere Unterscheidung zu erfolgen, nämlich zwischen Angestellten in handwerklichen und industriellen Betrieben und solchen im kaufmännischen Bereich. a) Piercings Piercings an sichtbaren Körperstellen wie z. B. der Nase, den Augenbrauen oder Lippen können vor allem im Dienstleistungssektor, bei welchem direkter Kundenkontakt gepflegt wird, störend bzw. auf die Klientel inkompetent und unseriös wirken. Da ein solcher Eindruck im Widerspruch zum Interesse des Arbeitgebers liegt, stellt sich die Frage, ob dieser dazu befugt ist, seinen Mitarbeitenden das Tragen dieses Körperschmuckes zu verbieten – zumindest während der Arbeitszeit. Um diese Frage zu entscheiden, ist eine Abwägung der Interessen des Arbeitnehmers, welcher in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt wird, und des Arbeitgebers, der an einer zufriedenen Kundschaft und dementsprechend einem positiven Geschäftsgang interessiert ist, vorzunehmen. Wird bereits in den Arbeitsbedingungen festgelegt, dass das Tragen von Piercings nicht geduldet wird, liegt bei Widerhandlung eine Vertragsverletzung vor, welche durchaus geeignet ist, eine Verwarnung zu legitimieren. Gesetztenfalls das Piercingverbot gelangt erst nach der Anstellung an den Arbeitnehmer und er hat dieses bereits beim Vorstellungsgespräch getragen, wurde er jedoch damals in keinster Weise auf ein entsprechendes Verbot aufmerksam gemacht, scheint eine diesbezügliche Verwarnung eher schikanös und dürfte nicht gerechtfertigt sein. Davon ausgenommen ist die Situation, in dem die entsprechende Verordnung dem Bewerber vor Vertragsschluss vorgelegt wurde84. Zu denken ist aber auch an die Situation, in der das Piercing erst nach der Anstellung gestochen wurde. In diesem Fall dürfte abzuwägen sein, ob und inwiefern ein Untersagen von Piercings angemessen ist. Als Hilfe können die vier Voraussetzungen des Art. 36 BV herangezogen werden, welche erfüllt sein müssen, damit ein Freiheitsrecht rechtmässig eingeschränkt werden kann: eine genügende gesetzliche Grundlage, ein überwiegendes öffentliches Interesse, die Verhältnismässigkeit85 und der Schutz des Kernbereiches des entsprechenden Grundrechts. Da jedoch keine Grundrechtsprüfung zum Schutz des Privaten vor dem 84 85 Wird das Thema „Piercing“ bspw. beim Bewerbungsgespräch durch den Arbeitgeber nicht angesprochen, obwohl der Bewerber ein solches trägt, darf dieser nach Treu und Glauben davon ausgehen, dass dem Piercing keine Bedeutung beigemessen wird. Die Verhältnismässigkeit i. w. S. lässt sich in die Geeignetheit, die Erforderlichkeit und die Verhältnismässigkeit i. e. S. – die Zweck-Mittel-Relation – unterteilen. 20 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT SCHRANKEN Staate vorliegt, dürfte das öffentliche Interesse durch das Interesse des Arbeitgebers bzw. des Unternehmens zu substituieren sein und als genügende gesetzliche Grundlage dürften auch Betriebsverordnungen oder -reglemente ausreichen. Ob eine Verwarnung in einem solchen Fall nun persönlichkeitsverletzend wirkt, kann nicht pauschalisierend beantwortet werden, sondern ist nach den auf den Einzelfall bezogenen Umständen zu entscheiden. Die Umfrage ergab, dass Piercings zwar zum grössten Teil kein Thema sind, dass aber dort, wo auf ein gepflegtes Äusseres Wert gelegt wird, entsprechende Richtlinien erlassen werden und diese bereits beim Bewerbungsgespräch angesprochen werden. Dadurch werden die Anforderungen von Anfang an transparent dargelegt, womit Verwarnungen bei Widerhandlungen, ohne zu zögern, ausgesprochen werden können. Da die „Intoleranz“ gegenüber Piercings vorwiegend aus ästhetischen Gründen besteht und somit vorwiegend in Berufen mit unmittelbarem Kundenkontakt zu beobachten ist und darüber hinaus meines Erachtens in keiner beruflichen Tätigkeit die Sicherheit des Arbeitnehmers durch das Tragen von Piercings gefährdet wird, soll letztere Unterscheidung, in welchen Bereichen der Arbeitnehmer tätig ist, gar nicht erst vorgenommen werden. b) Tattoos Bei den Tattoos liegt der Sachverhalt ähnlich wie bei den Piercings. Daher gilt oben Gesagtes hier in gleicher Weise. Als Unterschied sei lediglich angefügt, dass Tattoos grundsätzlich problemlos verdeckt werden können, sofern sie sich nicht im Gesicht oder an den Händen befinden, und eine Verwarnung mit der Auforderung, dieses zu entfernen, daher unverhältnismässig wäre – nicht aber mit dem Inhalt, es künftig zu verdecken. c) Haartracht Als spezielle Haartrachten kommen nicht nur Rastas, sondern auch Irokesen, farbige Haare oder anderweitig ausgefallene Frisuren in Betracht. Auch bei diesen kann grundsätzlich auf oben Erwähntes verwiesen werden. Ergänzend dazu muss an dieser Stelle jedoch letztere Differenzierung vorgenommen werden. Während die kunstvollen Frisuren im kaufmännischen Bereich mit lediglich mittelbarem Kundenkontakt86 kaum Bedeutung erlangen, können in denjenigen Bereichen, in denen an Maschinen gearbeitet wird, v. a. lange Haare jeglicher Art die Sicherheit teils massiv gefährden 86 Beim mittelbaren Kundenkontakt sind face-to-face Kontakte ausgeschlossen - d.h. auf Telefonkontakte reduziert. 21 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT SCHRANKEN und zu Unfällen führen. Die Gefahr besteht bspw. darin, dass sich Haare in den Maschinerien verfangen. Deshalb werden in solchen Betrieben stets Sicherheitsvorschriften erlassen, die vorschreiben, die Haare zusammen zu binden und/oder unter Umständen auch unter speziellen Hauben zu verstauen. Ähnliche Vorschriften sind auch im Bereich der Hygiene denkbar, wobei hier nicht die Arbeitnehmer selbst in ihrer Gesundheit geschützt werden sollen, sondern die Kunden, Patienten usw.. V. a. in Lebensmittelgeschäften und gewissen Abteilungen in Krankenhäusern sind solche Reglemente denkbar. Wird gegen diese Sicherheits- oder Hygienevorschriften verstossen, liegt eine Arbeitspflichtverletzung vor, worauf eine Verwarnung ausgesprochen werden kann. 2.2 Aufreizende Kleidung Bei der aufreizenden Kleidung besteht im Grundsatz dasselbe Problem wie beim Körperschmuck. Wird die/der Angestellte von Anfang an auf allfällige Erwartungen oder Vorstellungen aufmerksam gemacht, bedeutet eine Widerhandlung die Verletzung der bestehenden Ordnung, wodurch eine Verwarnung gerechtfertigt wird. Erfolgt die Anweisung, bestimmte Kleider (nicht) zu tragen, jedoch erst nachträglich, sind die Entscheidungsfreiheit und die Persönlichkeit der betroffenen Person tangiert – schliesslich machen Kleider Leute. Genau aufgrund dieses Sprichwortes fordert aber auch der Arbeitgeber die Angestellten zu seriöser Kleidung auf. Seine Interessen, wie z. B. das Image des Geschäftes, die Leistungsfähigkeit der anderen Arbeitnehmer oder Ähnliches, stehen jenen des/der Angestellten gegenüber, den Kleidungsstil als Teil der Persönlichkeit beizubehalten. Eine Interessenabwägung im konkreten Fall ist daher unausweichlich und es wird im Einzelfall zu entscheiden sein, ob eine Weisung und somit bei deren Missachtung eine Verwarnung verhältnismässig ist. Schliesslich bleibt die Definition von „aufreizend“ reine Interpretationssache. 2.3 Rauchen am Arbeitsplatz Durch die Raucher werden die Passivraucher einerseits belästigt, andererseits aber auch gesundheitlich geschädigt87. Die schädlichen Giftstoffe einer Zigarette, aber auch anderer Rauchwaren, werden vom Raucher nicht nur inhaliert, sondern entfalten sich beim Verbrennen der Zigarette auch und gelangen so direkt in die Luft und somit in Lunge und Blut des Passivrauchers. Diese Schadstoffaufnahme führt zu vermehrten Erkrankungen und folglich zu Absenzen. Abgesehen von der schädigenden Wirkung auf die Nichtraucher vermindert sich aufgrund der steten Belästigung durch den Rauch 87 Ausführlich dazu BAUMGARTNER, Rauchen am Arbeitsplatz, 2002. 22 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT SCHRANKEN auch die Arbeitsmotivation des passivrauchenden Arbeitnehmers und damit dessen Leistungsfähigkeit. Unter Umständen entstehen ihm sogar Kosten für die Reinigung von Kleidern, die nicht entstehen würden, wenn nicht geraucht würde. Dass der Raucher selbst aufgrund seiner Sucht nachhaltige Schäden erleidet, ist unumstritten. Er erkrankt häufiger und bleibt dem Arbeitsplatz daher öfters fern. Leistungsausfälle führen zu reduzierter Produktivität, was erhöhte Kosten verursacht, die vom Arbeitgeber zu tragen sind88. Er hat durch den Raucher doppelte Kostenfolgen zu verzeichnen. Auf der einen Seite stehen die Produktionsausfälle wegen krankheitsbedingter Abwesenheit des Rauchers selbst, auf der anderen Seite die sinkende Arbeitsmoral und die zunehmenden Absenzen des Passivrauchers. Unter diesen Umständen ist der Wunsch nach einem rauchfreien Arbeitsplatz nicht nur aus Sicht des Passivrauchers sondern auch aus Sicht des Arbeitgebers verständlich. Fraglich ist, ob der Arbeitgeber das Rauchen am Arbeitsplatz verbieten kann. Dazu ist Art. 10 BV heranzuziehen. Abs. 1 gewährt das Recht auf Leben und damit nicht nur das physische Dasein, sondern auch die psychische und physische Integrität89. Diese ist beim Passivraucher unbestritten betroffen, da er durch den Rauch und die darin enthaltenen Giftstoffe gesundheitlich geschädigt wird. Die aktiven Raucher berufen sich dagegen gerne auf Abs. 2, welcher die persönliche Freiheit statuiert, das Recht auf Selbstbestimmung über ihren Körper und ihr Leben90. Beide Interessen sind absolut gerechtfertigt, jedoch sollte dem Raucher bewusst sein, dass er durch seine Gewohnheit nicht nur über sich selbst bestimmt, sondern gleichzeitig den Mitmenschen ihre eigene Entscheidungsfreiheit entzieht bzw. sehr stark beschränkt. Darüber hinaus ist eine Sucht, worunter das Rauchen durchaus subsumiert werden kann, kein wesentlicher Aspekt zur Persönlichkeitsentfaltung91. Last but not least: An oberster Stelle steht das Recht auf Leben und somit die Gesundheit und Lebensqualität eines Menschen92. Der Arbeitgeber hat also das Recht oder sogar die Pflicht, als Teil seiner Fürsorgepflicht gegenüber den Mitarbeitenden, ein Rauchverbot am Arbeitsplatz zu erlassen. Immer mehr Betriebe machen von dieser Möglichkeit Gebrauch. Falls nicht zu einem absoluten Verbot gegriffen werden will, bestünde als angemessener Mittelweg die Möglichkeit, das Rauchen lediglich in als Raucherzimmer bezeichneten Räumen zu gestatten und dies allenfalls nur zu bestimmten Zeiten. An solche Gebote 88 89 90 91 92 BAUMGARTNER, 2002, S. 21. Die physische Integrität verbietet u. a. Strafen, die das Leben oder die Gesundheit gefährden. Die psychische Integrität erlaubt dem Menschen sein Handeln nach einer bestimmten Situation zu richten. Vgl. BAUMGARTNER, 2002, S. 27. Die persönliche Freiheit schützt jedoch lediglich Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten, die für die Persönlichkeitsentfaltung relevant sind. Vgl. BAUMGARTNER, 2002, S. 27. BAUMGARTNER, 2002, S. 29. BAUMGARTNER, 2002, S. 30. 23 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT SCHRANKEN bzw. Verbote sind alle gebunden. Genauso wie in Betrieben mit Explosions- oder Brandgefahr, in welchen das Rauchverbot als Selbstverständlichkeit zu den Sicherheitsmassnahmen mit dazu gehört. Bei allfälligem Fehlverhalten können Verwarnungen ausgesprochen und bei Wiederholung die Konsequenzen durchgesetzt werden. 3 Datenschutz Der in Art. 13 Abs. 2 BV erfasste Datenschutz wird im Obligationenrecht (Art. 328b) konkretisiert und erlaubt dem Arbeitgeber, Daten über seine Arbeitnehmer zu sammeln, soweit sie sich auf Leistungen und Verhaltensweisen des Arbeitnehmers beziehen, die unmittelbar in Beziehung zum konkreten Arbeitsverhältnis stehen. In Bezug auf die Verwarnung dürfte v. a. die Personalakte von Bedeutung sein. Diese umfasst alle gesammelten Daten, die bezüglich der Person eines Arbeitnehmers gesammelt wurden (sog. Personaldaten)93, wobei die Person bestimmt oder zumindest bestimmbar sein muss94. Bei der Führung von Personalakten ist insbesondere auf die Zulässigkeit des Inhalts95 zu achten. Die Datensammlung darf u. a. keine unrechtmässig beschafften Informationen enthalten sowie weder gegen Treu und Glauben verstossen noch unverhältnismässig sein96. Als unrechtmässig wird eine Datenbeschaffung angesehen, bei der gegen (un-) geschriebene strafrechtliche oder auch zivilrechtliche Normen verstossen wird, deren Beschaffung also auf deliktischem Verhalten oder in der Verletzung von Treu und Glauben beruht97. Solche gespeicherten Informationen dürfen später nicht zum Inhalt einer Verwarnung gemacht werden. Als Beispiel sei an ein Bewerbungsgespräch zu denken98, in dem der Arbeitgeber der bewerbenden Person Fragen stellt, die ihr Persönlichkeitsrecht berühren bzw. in dieses eingreifen99. In einer solchen Situation läuft der Bewerber bei Verweigerung der Antwort Gefahr, die Stelle nicht zu erhalten, so dass er situationsbedingt zum „Notwehrrecht der Lüge“ greifen darf100. Zwar besteht noch immer kein Recht zur Unwahrheit, doch hat der Arbeitgeber diese durch seine 93 94 95 96 97 98 99 100 HUBER, 1985, S. 49. Art. 3 lit. a DSG. Personalakten beinhalten Personalien und Adressdaten, Bewerbungsunterlagen, Arbeitsvertrag bzw. Anstellungsschreiben, Angaben über Arbeitsunfälle und über Ferien, Daten über Einkommen und Vermögen sowie Beurteilungen (dazu gehören u. a. auch allfällige Disziplinarmassnahmen) u. a. Vgl. dazu HUBER, 1985, S. 52 f.. Art. 4 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 2 DBG. RIESSELMANN-SAXER, 2002, S. 25. Bereits die Bewerbungsunterlagen und Personalfragebögen bzw. Vorstellungsgespräche kommen als Bestandteile einer Personalakte in Frage. Vgl. HUBER, 1985, S. 59. Bspw. Fragen bzgl. Krankheiten, welche die Arbeitsfähigkeit in keinster Weise einschränken, oder Vorstrafen, die nicht im Zusammenhang mit der Arbeit stehen usw. Vgl. dazu GEISER/MÜLLER, S. 42 f., Rz.190. GEISER/MÜLLER, 2005, S. 43 f., Rz. 191 ff.. 24 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT SCHRANKEN unrechtmässige, persönlichkeitsverletzende Frage selbst verursacht. Folglich wird ihm die Notlüge des Arbeitnehmers als Grund für eine fristlose Kündigung bzw. als Verwarnungsgrund entzogen. Ein solches Verhalten des Arbeitgebers würde rechtsmissbräuchlichen Charakter besitzen und somit gegen den in Art. 2 ZGB aufgeführten Grundsatz von Treu und Glauben verstossen.101 Zusätzlich spielt der Zeitpunkt der Datenerhebung eine wichtige Rolle102. Denn Eintragungen von Vorkommnissen, deren Ansprüche aufgrund von Verjährung oder Verwirkung nicht mehr geltend gemacht werden können, sind aus der Personalakte zu löschen103. Bis dahin wird keine Vernichtung schlechthin verlangt. Dennoch sollten die Daten bzgl. Fehlverhaltens von Zeit zu Zeit überprüft und allenfalls entfernt werden, denn die Speicherung ist nur solange zulässig, als der konkrete Vertragszweck sie erfordert, und dies ist bei Bewährung des Betreffenden nicht mehr der Fall104. Meines Erachtens sind auch solche Ereignisse aus der Begründung einer Verwarnung raus zuhalten. 4 Gefahr der missbräuchlichen Kündigung Eine Kündigung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung und in den Art. 334 ff. OR geregelt. Die ordentliche Kündigung bedarf weder einer bestimmten Form, noch einer Begründung oder eines sie rechtfertigenden Grundes. Sie bleibt auch im Falle einer missbräuchlichen Kündigung rechtsgültig, hat jedoch gemäss Art. 336a OR eine Geldentschädigung zur Folge. Um der Missbräuchlichkeit auszuweichen, hat ein sachlich hinreichender Grund zu bestehen105. Dieser kann betrieblich bedingt sein oder in der Natur des Arbeitnehmers liegen. Ist zweites der Fall, sollte der Kündigung eine juristisch korrekte Verwarnung vorausgehen, inkl. Zielvereinbarung und Bewährungsfrist106. „Juristisch korrekt“ bezieht sich sowohl auf die Formulierung, als auch und insbesondere auf den Inhalt. Dieser hat nicht nur rechtmässig zu sein, also innerhalb der gesetzlichen und verfassungsmässigen Schranken zu liegen, sondern auch genügend bestimmt. Die allenfalls drohende Kündigung muss deutlich und eindeutig angekündigt werden. Falls eine auf Anhieb fristlose Kündigung unverhältnismässig ist, kann auch ihr eine Verwarnung vorausgehen. Im Gegensatz zu der ordentlichen Kündigung wird aber nicht nur ein sachlich hinreichender, sondern ein wichtiger Grund vorausgesetzt, 101 102 103 104 105 106 GEISER/MÜLLER, 2005, S. 44, Rz. 192 f.. HUBER, 1985, S. 102 f. 107. HUBER, 1985, S. 109. HUBER, 1985, S. 107 ff.. SCHÜRER, 2004, S. 149. SCHÜRER, 2004, S. 149. 25 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT SCHRANKEN wobei nach Art. 337 Abs. 2 OR als wichtiger Grund jeder Umstand zählt, bei dessen Vorliegen der kündigenden Partei eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Indiz für die Unzumutbarkeit stellt der Zerstörungsgrad des Vertrauensverhältnisses dar. Zur „Ermittlung“ der Unzumutbarkeit können drei generelle Punkte zur Hand genommen werden: das Vorliegen einer objektiven Unzumutbarkeit, kein anderes Mittel zur Behebung der Störung ausser der fristlosen Kündigung und sofortiges Handeln107. Wiederholt der Delinquent, der mit der ausdrücklichen Androhung der fristlosen Kündigung im Wiederholungsfalle seines Verstosses verwarnt wurde, sein Fehlverhalten und liegen nicht mindestens diese drei Voraussetzungen vor, ist die Kündigung missbräuchlich. 5 Fazit Obwohl die verfassungsmässigen Grundrechte als Rechtsgrundlage nicht herangezogen werden können, dienen sie ohne weiteres als Schranke der Verwarnung, entfalten jedoch nur in sehr seltenen Fällen direkte Drittwirkung. Ihre Wirkung unter Privaten ist daher hauptsächlich eine mittelbare. D.h., die Verfassung wird v. a. dann bedeutsam, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe ausgelegt oder Gesetzeslücken gefüllt werden müssen, aber auch, wenn sich die Grundrechte in Gesetzen wieder finden und so bei deren Vollzug angewandt werden. Zu diesen zählen u. a. auch der Persönlichkeitsschutz gemäss Art. 28 ZGB, der in Art. 328 OR zusätzlich konkretisiert wurde, und der Datenschutz des Art. 328b OR mit Konkretisierungen im DSG. In Bezug auf den Schutz der Persönlichkeit wurde in der Umfrage nach der Bedeutung der Verwarnung bzgl. moderner Trends geforscht. Diese scheinen jedoch lediglich eine minime Rolle zu spielen. Bei jenen, die auf ein gewisses Erscheinungsbild achten, die aus Sicherheitsgründen eine bestimmte Kleidung vorschreiben oder Anforderungen bzgl. der Haare stellen, führen dementsprechende Reglemente, Verordnungen oder andere Vorschriften. Diese sind für die entsprechenden Mitarbeitenden verbindlich. Verstösse können diesbezüglich aufgrund der Verletzung der Arbeitspflicht verwarnt werden, scheinen in der Praxis aber nicht vorzukommen108. Schliesslich sind Verwarnungen mit Kündigungsandrohungen bzgl. Vorkommnissen, die im Schutzbereich persönlicher Rechte stehen, missbräuchlich – ebenso, wenn der Kündigung keine Verwarnung voraus ging oder die Kündigungsandrohung nicht unmissverständlich erfolgte. 107 108 SCHÜRER, 2004, S. 171 f.. Die Arbeitnehmer halten sich laut Umfrage vorwiegend an solche Vorschriften, andernfalls seien schon Verweise wirksam. 26 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT ZUSAMMENFASSUNG & EMPFEHLUNGEN V Zusammenfassung und Empfehlungen 1 Zusammenfassung Nach einführender Problemstellung und Begriffsdefinition wurden die rechtlichen Grundlagen dargelegt, wobei sich als wichtigste das OR, der EAV und der GAV erwiesen. Um der Arbeit einen praktischen Aspekt zu verleihen, wurde mittels einer Umfrage die Verwarnung in der Praxis untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass Verwarnungen vorwiegend schriftlich vorgenommen oder aber in einem ersten Schritt mündlich ausgesprochen und in einem zweiten schriftlich abgefasst werden – ersteres zu 50,1% letzteres zu 38,6%. Unabhängig davon beinhalten alle Verwarnungen an erster Stelle das Fehlverhalten, welches anhand des Soll-Zustandes begründet wird. Daraufhin werden die bis zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erreichenden Ziele festgesetzt109. Werden diese nicht erreicht, ist die bereits in der Verwarnung klar und deutlich angedrohte Massnahme durchzusetzen. Dabei handelt es sich in den meisten Fällen um die Kündigung. In der schriftlichen Abfassung der mündlichen Verwarnung werden zudem einführend die am Gespräch beteiligten Parteien, der Ort und das Datum aufgeführt und abschliessend wird die Unterschrift des Verwarnten als Bestätigung seiner Kenntnisnahme verlangt. Verwarnungen werden v. a. aufgrund von Verletzungen der Arbeitspflicht sowie Sorgfalts- und Treuepflichtverletzungen ausgesprochen und erhalten sowohl in kleinen als auch grossen Betrieben eine wesentliche Bedeutung. Diese nimmt jedoch, genauso wie deren Durchsetzungsrate, mit zunehmender Unternehmensgrösse ab. Ihre Grenzen erfährt die Verwarnung einerseits in verfassungsmässigen Grundrechten andererseits in gesetzlich statuierten, persönlichen Rechten. Im Zusammenhang mit dem Persönlichkeitsschutz wurden die Betriebe auf die Bedeutung der Verwarnung bzgl. neueren Trends, wie Piercing, Tattoos u. a. befragt. Diese Themen scheinen jedoch keinerlei Relevanz zu erlangen, da die Regeln bereits im Voraus klar kommuniziert werden und sich die Betroffenen daran halten. In Bezug auf die missbräuchliche Kündigung, welche als letzter Punkt untersucht wurde, hat die Verwarnung drei verschiedene Rollen inne: erstens bei der Kündigung, der keine Verwarnung voran ging, obwohl sie aufgrund der Umstände angemessen gewesen wäre. Der Missbrauch wird hierbei durch die Kündigung als unverhältnismässig eingreifende Massnahme impliziert. Geht die Verwarnung über die Schranken hinaus, ist sie mitsamt der angedrohten und durchgesetzten Kündigung 109 Als Zielsetzung stehen zwei Alternativen zur Verfügung: Einerseits das Ziel, das Verhalten bis zum entsprechenden Zeitpunkt zu verbessern, andererseits, dass gleich gelagerte Vorkomnisse bis zum festgesetzten Zeitpunkt nicht geduldet werden, also zu unterlassen sind, was einer Art Bewährungsfrist gleichkommt. 27 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT ZUSAMMENFASSUNG & EMPFEHLUNGEN rechts- oder sittenwidrig und daher ebenfalls missbräuchlich. Des Weiteren ist die (fristlose) Kündigung missbräuchlich, wenn sie für den Fall des wiederholten Fehlverhaltens bzw. der ausbleibenden Verbesserung nicht unmissverständlich angedroht wurde. 2 Empfehlungen Als Abschluss sollen Empfehlungen für eine korrekte Verwarnung abgegeben werden. Da jedoch die relevanten Aspekte bereits in vorangehendem Kapitel kurz zusammengefasst wurden, soll die Arbeit an dieser Stelle durch zwei, meines Erachtens, gelungene Verwarnung abgeschlossen werden. Diese stammen als Beispiele aus zwei der befragten Betriebe und stellen mögliche schriftliche Verwarnungen als Folge bereits erfolgter Verweise dar110. 2.1 Beispiel A Verwarnung Sehr geehrte Frau Müsterli In diversen Gesprächen im Februar 2006 mit Frau Müller haben Sie zum Ausdruck gebracht, dass wir in Zukunft von einer funktionierenden Zusammenarbeit in der Gruppe ausgehen können und Sie Ihre Wirkung bezüglich des Verhaltens gegenüber Ihren Teammitgliedern erkannt haben und entsprechend ändern werden. Vor kurzem haben wir von verschiedenen Stellen vernommen, dass Ihr anfänglich merkbar gebessertes Verhalten sich wieder verschlechtert und zu erneuten Reklamationen geführt hat. Dies nehmen wir zum Anlass, Sie zu verwarnen. Sollte sich Ihr Verhalten gegenüber Ihren Teammitgliedern nicht umgehend spürbar bessern, sehen wir ungezwungen, das Arbeitsverhältnis mit Ihnen aufzulösen. Einen solchen Schritt einleiten zu müssen, würden wir ausserordentlich bedauern. Wir bitten Sie, ein Exemplar dieses Schreibens zum Zeichen Ihrer Kenntnisnahme unterschrieben zu retournieren. Freundliche Grüsse 110 Aus Gründen der zu gewährleistenden Anonymität werden keine (Firmen-)Namen bekannt gegeben. Zudem sind die eingefügten Namen und Daten frei erfunden. 28 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT 2.2 ZUSAMMENFASSUNG & EMPFEHLUNGEN Beispiel B Verwarnung Sehr geehrter Herr Mustermann Wir beziehen uns auf die mit Ihnen geführten Gespräche betreffend des massiven/wiederholten Internetmissbrauchs: Im Rahmen einer Überprüfung der Internet-Benutzung wurde festgestellt, dass Sie in extensiver Weise für private Zwecke auf das Internet zugegriffen (oder auf unzulässige Seiten im Internet) und damit Arbeitszeit und Einrichtung der Bank wiederholt und massiv missbraucht haben. Im Gespräch vom 12. Juli 2005 mit Frau Müsterli haben sie diesen Sachverhalt anerkannt. Mit Ihrem Verhalten haben Sie gegen die …111 verstossen. Wir erteilen Ihnen hiermit eine Verwarnung und halten unmissverständlich fest, dass wir ein solches Verhalten nicht dulden. Eine erneute Widerhandlung kann weitere disziplinarische Massnahmen bis hin zur fristlosen Entlassung zur Folge haben. Zudem behalten wir uns vor, Ihr Fehlverhalten bei der Bonuszuweisung für das Geschäftsjahr JJJJ zu berücksichtigen. Wir hoffen dass Sie künftig …112 und alles unternehmen werden, damit sich ähnliche Vorkommnisse nicht wiederholen. Diese Verwarnung wird bei Wohlverhalten nach Z113 Jahren aus Ihrem Personaldossier entfernt. Als Zeichen Ihrer Kenntnisnahme bitten wir Sie, die beiliegende Kopie unterzeichnet an Ihren HR CRM zu retournieren. Freundliche Grüsse … … … Ich bestätige, diese Verwarnung erhalten und den Inhalt zur Kenntnis genommen zu haben: Ort, Datum: 111 112 113 Unterschrift: Hier hat das entsprechende Reglement, Gesetz, die Verordnung, Weisung usw. aufgeführt zu werden. Hier ist das künftig erwartete Verhalten kundzutun. Bei dieser Unternehmung liegt die Frist bei 2 – 5 Jahren. 29 DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT EIGENSTÄNDIGKEITSERKLÄRUNG Anhang Fragebogen bezüglich der Bedeutung der Verwarnung im Arbeitsrecht Welcher Branche gehört Ihr Betrieb an? Wie viele Arbeitnehmer sind in Ihrem Betrieb beschäftig? Ist Ihr Betrieb dem Arbeitsgesetz unterstellt? In welchen Fällen werden Verwarnungen ausgesprochen? In welcher Form (mündlich oder schriftlich) werden Verwarnungen ausgesprochen? Welchen Inhalts sind diese Verwarnungen? Wie werden sie formuliert? XXX DIE BEDEUTUNG DER VERWARNUNG IM ARBEITSRECHT EIGENSTÄNDIGKEITSERKLÄRUNG Wie viele Verwarnungen werden jährlich ausgesprochen? Wie viele der durch die Verwarnung ausgesprochenen Androhungen müssen jährlich durchgesetzt werden? Sind in Ihrem Betrieb Verwarnungen in einem oder mehreren der folgenden Bereiche ein Thema? Piercings Tattoos spezielle Haartrachten aufreizende Kleidung Rauchen trotz Rauchverbot Falls ja, welche und inwiefern? XXXI