Schleierhafte Religionsfreiheit –
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Schleierhafte Religionsfreiheit –
Thorsten Anger, WWU Münster Schleierhafte Religionsfreiheit – Islamische Bekleidungsvorschriften in der Schule Blickt man aus der Perspektive des deutschen Staatskirchen- oder Religionsverfassungsrechts auf das Jahr 2000 zurück, so wird erkennbar, dass es, obgleich von der katholischen Kirche als Heiliges Jahr reklamiert, ein Jahr der Muslime war. Ihre Anliegen beschäftigten Öffentlichkeit und Gerichte öfter als je zuvor. Gleich zweimal hatte sich das Bundesverwaltungsgericht mit Rechtsfragen des Islam zu befassen. So bestätigte es im Februar eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin, welches der Islamischen Föderation die Abhaltung von Religionsunterricht an Berliner Schulen gestattete. Präzedenzwirkung für die übrigen Bundesländer hatte diese Entscheidung gleichwohl nicht, da der Religionsunterricht in Berlin kein ordentliches Lehrfach ist. Mit Blick auf die Durchführung eines islamischen Religionsunterrichts ergiebiger waren daher zwei Entscheidungen der Verwaltungsgerichte in Düsseldorf und Münster, die Anträge verschiedener islamischer Gruppierungen auf Einrichtung eines solchen jeweils mit Hinweis auf den fehlenden Religionsgemeinschaftscharakter der Antragsteller zurückgewiesen haben. Eine bemerkenswerte Bundesverwaltungsgericht Wende dann in im seiner Rechtsprechung November in seiner hat das neuerlichen Entscheidung zum Halal-Schächten, dem betäubungslosen Schlachten nach islamischem Ritus, vollzogen. Nachdem es in seinem ersten Urteil zu der Problematik aus dem Jahr 1995 sowohl in der Schutzbereichs- als auch in der Eingriffsfrage einen sehr restriktiven Standpunkt vertreten hatte, die gesetzliche Untersagung dieser Schlachtmethode sollte nur einen Eingriff in 2 die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG darstellen, hat es nunmehr den Schutzbereich der Religionsfreiheit eröffnet gesehen und ebenfalls einen Eingriff bejaht. Es sah diesen dann aber jedenfalls dadurch gerechtfertigt, dass die Religionsfreiheit unter dem Vorbehalt der allgemeinen Gesetze stehe und die einschlägigen Bestimmungen des Tierschutzgesetzes diesen ausfüllten. Das Verwaltungsgericht Gießen beendete im November in erster Instanz einen bereits vier Jahre andauernden Rechtsstreit um einen Muezzinruf. Die dagegen geltend gemachten Bedenken, dieser könne Autofahrer erschrecken und stelle deshalb eine Verkehrsbeeinträchtigung im Sinne von § 33 Abs. 1 Nr. 1 StVO dar, wies es als unbegründet zurück. Das Oberverwaltungsgericht Koblenz wies – ebenfalls im November – eine baurechtliche Nachbarklage gegen die Errichtung eines Minarettes ab. Das Klägervorbringen, die „Provinz“ sei noch nicht reif für ein derartiges religiöses Bauwerk, überzeugte das Gericht nicht. Nachdem das Problem bislang vor allem in Frankreich und der Schweiz die Gerichte beschäftigt hat, gab die Frage der Zulässigkeit des Kopftuchtragens in der Schule – in diesem Fall jeweils durch Lehrerinnen – im vergangenen Jahr zweimal deutschen Gerichten Anlass zur Stellungnahme. Das Verwaltungsgericht Stuttgart wies im März den Antrag einer deutschen Muslimin afghanischer Herkunft auf Aufnahme in den staatlichen Schuldienst des Landes Baden-Württemberg zurück. Anders entschied das Verwaltungsgericht Lüneburg, das einer entsprechenden Klage einer zum Islam konvertierten Deutschen im Oktober stattgegeben hat. Die hiermit angesprochenen Anfragen an die deutsche Rechtsordnung, nicht zuletzt unsere Verfassungsrechtsordnung, sind Ausdruck eines 3 gesellschaftlichen Wandels, der sich mit dem Schlagwort der Multireligiosität bezeichnen lässt. Das Phänomen ist in Deutschland – anders als etwa in den Vereinigten Staaten – relativ neu. Die deutsche Bevölkerung war 1949, zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Grundgesetzes, sowohl ethnisch noch sehr homogen als auch konfessionell stark in zwei großen christlichen Kirchen verwurzelt. Eine zunehmende Säkularisierung sowie verstärkte Individualisierung des Religiösen haben neben der mit der Immigration einhergehenden religiösen Pluralisierung das Bild bereits sichtbar verändert und werden es weiter verändern. Vor allem die religiöse Pluralisierung der Gesellschaft bereitet gegenwärtig ungewohnte Schwierigkeiten, weil das Recht in einem bestimmten kulturellen Kontext steht und auch aus diesem heraus interpretiert wird und werden muss. Für das deutsche Staatskirchenrecht, das in anderen europäischen Staaten in seiner Form keine Entsprechung geschichtlichen findet, ist dies Erfahrungen, in evident. denen Es die beruht auf christlichen besonderen Kirchen die entscheidende Rolle spielten, nicht hingegen der Islam oder der Hinduismus, der bezeichnenderweise in Indien zu einer Verfassungsbestimmung führte, in der es heißt: The State shall in particular take steps for prohibiting the slaugther of cows. Die säkular-christlich geprägte deutsche Rechtsordnung stellt „fremde“ oder minoritäre Religionen bislang nur sehr eingeschränkt ausdrücklich in Rechnung. Ein Beispiel für eine solche Berücksichtigung ist die Vorschrift des § 4a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG, die Ausnahmen vom Verbot betäubungslosen Schlachtens vorsieht. Am aktuellen Streitfall des Bielefelder Metzgerlehrlings muslimischen Glaubens, der aus religiösen Gründen in der Zwischenprüfung von der bundesrechtlich verankerten Pflicht entbunden werden will, eine 4 Schweinehälfte als Nachweis erworbener Fähigkeiten zu zerlegen und auszubeinen, werden aber auch die rechtstechnischen Schwierigkeiten und Grenzen deutlich, die zum Teil konträren religiösen Bedürfnisse verschiedener Bevölkerungsteile legislativ aufzufangen. Die vom Staat zu leistende Integrationsaufgabe bleibt, solange keine politischen Initiativen ergriffen werden, in den meisten Fällen eine solche des Verfassungsrechts. Mit der Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit einer Befolgung islamischer Bekleidungsvorschriften in der öffentlichen Schule, einem aktuellen und zudem sichtbaren Prüfstein im Umgang mit religiösen Minderheiten in Deutschland, soll im Folgenden ein kleiner Teilausschnitt dieser umfassenderen Problematik näher dargestellt werden. Dabei ist zunächst auf den Islam und die Schlüsselbestimmung bei Lösung der meisten sich aus seiner Präsenz ergebenden Konflikte, die grundrechtliche Gewährleistung der Religionsfreiheit, einzugehen, um im Anschluss an die hier gefundenen Ergebnisse konkrete Fragestellungen islamischer Bekleidungsvorschriften in der Schule beantworten zu können. Was die Religion des Islam betrifft, so spielt diese im Kontext der religiösen Pluralisierung in Deutschland eine herausgehobene Rolle. Das resultiert zum einen schlicht aus der Größe ihrer Anhängerschaft. Das Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland in Soest gab im März vergangenen Jahres bekannt, dass die Zahl der in Deutschland lebenden Muslime die DreiMillionen-Grenze überschritten hat. Für ganz Westeuropa wird von inzwischen etwa 15 Millionen islamischen Gläubigen ausgegangen. Die Muslime sind, auch in unseren Nachbarländern, ganz überwiegend 5 Immigranten, die zum Teil bereits seit mehreren Generationen in ihrer neuen Heimat leben. Die Zahl der Einbürgerungen von Ausländern aus muslimischen Herkunftsländern stieg in den letzten Jahren in Deutschland stark an. Das ist meines Erachtens neben anderen Indikatoren ein besonders sichtbarer Ausdruck für einen Einstellungswandel innerhalb der muslimischen Bevölkerungsgruppe, die zwar bereits in der Vergangenheit menschenrechtliche Gewährleistungen ohne Unterschied zur einheimischen Bevölkerung in Anspruch nehmen konnte, diese nunmehr aber weiter gehend als bisher ausschöpft. Abgesehen von der numerischen Größe hat die besondere Rolle des Islam auch etwas mit den Inhalten dieser Religion und ihrer Wahrnehmung in der Öffentlichkeit zu tun. Sie gilt vielen als mit westlichem Denken unvereinbar, als fremd und konfliktuell. So wird stets auf die dem Islam von seiner Grundidee her unbekannte Unterscheidung von weltlicher und geistlicher Sphäre hingewiesen, die in der okzidentalen Rechts- und Verfassungsentwicklung eine Grundkonstante ist. Menschenrechtsverletzungen in islamischen Staaten werden mit dieser Religion ebenso verbunden wie grausame Strafen der Scharia, Intoleranz und die Unterdrückung der Frau, um nur einige Punkte zu nennen. Die verfassungsrechtliche Diskussion bleibt hiervon, das haben bereits mehrere Autoren kritisch angemerkt, nicht unbeeindruckt. Ein Bonner Staatsrechtler stellte einem Beitrag über den Wandel des deutschen Staatskirchenrechts kürzlich folgendes Zitat voran: „In 50 Jahren gehört der Dom uns“ – und darunter findet sich der Text: „Eine Gruppe jugendlicher Türken, skandierend, mit gereckten Fäusten, vor dem Kölner Dom“. An der 6 Juristischen Fakultät in Erlangen wurde unterdessen der Begriff der Leitkultur rechtlich fruchtbar gemacht und etwa zur Lösung der Frage angeboten, ob sich eine Moschee im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB in die Umgebung einfügt. Die Beispiele ließen sich fortsetzen. Friedrich Müller Staatskirchenrechts, hat die mir die hier große durch Ideologieanfälligkeit die Verknüpfung mit des der Immigrationsproblematik noch erhöht erscheint, bereits in den siebziger Jahren beklagt und dazu angemerkt: „Staatskirchenrecht ist kein besonderer Bezirk unserer Rechtsordnung“ und „Staatskirchenrechtliche Normen sind so zu interpretieren wie alle anderen Normen staatlichen Rechts“. Diesem zutreffenden Hinweis soll hier gefolgt und über mögliche Vorverständnisse soweit wie möglich ein „veil of ignorance“ gebreitet werden. Wendet man sich der Verfassungsdogmatik zu, so erweist sich die grundrechtliche Garantie der Religionsfreiheit als Schlüssel für die Integration „fremder“ Religionen in unsere Rechtsordnung und damit als Grundnorm der multikulturellen Gesellschaft. Trotz ihrer großen Bedeutung für die harmonische Koexistenz der verschiedenen religiösen Lebensformen ist es bis heute nicht gelungen, die Probleme, welche die Auslegung dieser wichtigen Norm aufwirft, zufrieden stellend zu lösen. Das hat zur Folge, dass es keineswegs allseits geteilte Meinung ist, dass die Einhaltung religiös gebotener Bekleidungsvorschriften dem Grundrecht der Religionsfreiheit unterfällt. Der Interpret stößt bei Art. 4 GG zunächst auf die nach wie vor viel diskutierte Frage, ob der Staat zum Inhalt dieser Norm überhaupt eine Aussage treffen kann oder ob die Auslegung nicht stattdessen allein den 7 Grundrechtsträgern zu überlassen ist. Mit anderen Worten: Trifft es zu, dass der Staat Religionsfreiheit nur garantieren kann, weil er sie nicht definieren muss? Ist allein das Selbstverständnis der Grundrechtsträger für die Bestimmung der Begriffsinhalte entscheidend? Mit Blick auf das Ergebnis einer solchen Rechtsordnung Ansicht würde in ist das einem schlechterdings solchen Fall jede unvorstellbar. Die Ordnungsfunktion aufgeben. Zutreffend kann deshalb nur ein objektiver Interpretationsansatz sein. Selbst bei Bejahung eines solchen Ansatzes sehen allerdings viele Autoren keine Notwendigkeit, sich mit dem verfassungsrechtlichen Begriff der Religion näher zu befassen und ihn von dem der Weltanschauung abzugrenzen. Zum Teil wird diese Aufgabe sogar als unmöglich eingestuft. Dem ist entschieden zu widersprechen. Die Religion ist das zentrale Schutzgut des Art. 4 GG, auch wenn sie dort als Substantiv keine ausdrückliche Erwähnung findet. Eine Auslegung der Bestimmung ohne Berücksichtigung der Charakteristika der Religion läuft Gefahr, den Aussagegehalt der Norm zu verfehlen. Zwei essentielle Wesensmerkmale der Religion seien daher kurz genannt. Es geht einerseits um Sinngebung und andererseits um Handlungsorientierung, die jeweils auf eine transzendente Wirklichkeit bezogen sind. Das ist insbesondere für die Auslegung des Begriffes der Religionsausübung von Bedeutung. Werden Art. 4 Abs. 1 und 2 GG näher betrachtet, so scheint der Wortlaut der Bestimmung einem Verständnis, das von einem einheitlichen Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit ausgeht, entgegen zu stehen. Der Wortlaut differenziert klar zwischen Glaube, Bekenntnis, Gewissen und Religionsausübung. Jedenfalls bei der Interpretation sollte daher zunächst 8 hieran angeknüpft werden. Dabei zeigt sich bereits bei der Auslegung des Begriffes des Glaubens, dass das vom Bundesverfassungsgericht vertretene weite Verständnis desselben nicht zutreffend sein kann. Nicht nur die herkömmliche Wortbedeutung, sondern gleichfalls eindeutige Belege aus der Entstehungsgeschichte sprechen dafür, dass dieser Begriff auf innere Vorgänge, also das forum internum, die Gedankenwelt, bezogen ist. Auch mit Blick auf die interne Systematik der Vorschrift macht eine solche Interpretation Sinn. Legt man dies zu Grunde, so wird deutlich, dass religiöse Bekleidungsvorschriften kein Problem der Glaubensfreiheit sind. Schwieriger gestaltet sich daneben die Bestimmung des Bekenntnisbegriffes. Unstreitig werden dadurch, und das ist auch durch die Wortbedeutung gedeckt, die religiöse Äußerungsfreiheit sowie die freie Entscheidung über die Zugehörigkeit zu einer religiösen Denomination geschützt. Fraglich ist, ob ebenfalls sonstiges religiös motiviertes Verhalten darunter gefasst werden kann. Wird das Bekennen wie ein „für etwas Zeugnis ablegen“ gelesen, so wäre dies nicht ausgeschlossen. Die Entstehungsgeschichte ist diesbezüglich unergiebig: Im Parlamentarischen Rat wurde von einem von der Glaubens- und der Religionsausübungsfreiheit verschiedenen Bedeutungsgehalt ausgegangen, geklärt wurde der Begriff jedoch nicht. Meines Erachtens liegt ausgehend von der Wortbedeutung und unter Berücksichtigung der Systematik des Art. 4 GG ein Verständnis nahe, welches neben Äußerungen auch solches positives Tun umfasst, das intentional gerade darauf gerichtet ist, die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Glauben anderen gegenüber äußerlich zum Ausdruck zu bringen. Der handlungsbezogene Anwendungsbereich der Bekenntnisfreiheit 9 bleibt damit sehr begrenzt und macht die gesonderte Gewährleistung der Religionsausübung nicht entbehrlich. Bei Zugrundelegung dieses Begriffsverständnisses kann religiöse Bekleidung dem Bekenntnis unterfallen, muss dies aber nicht. In islamischen Ländern wird man etwa dem Kopftuch nur in seltenen Fällen Bekenntnischarakter zumessen, weil es in der Regel allein um die religiös gebotene Bedeckung einer Blöße geht, nicht aber um die Manifestation der Religionszugehörigkeit. Soziologische Studien zeigen jedoch, dass die religiöse Motivation muslimischer Frauen in einer säkularisierten Umwelt anders ausgeprägt sein kann und dass das Kopftuchtragen dann mitunter durchaus Bekenntnischarakter hat. Die Frage, wie der Begriff der Religionsausübung in Art. 4 Abs. 2 GG zu verstehen ist, erweist sich bei der Auslegung der Grundrechtsbestimmung des Art. 4 GG als besonders heikel. Die Spannbreite der vertretenen Meinungen ist hier sehr groß. Festzustellen ist, dass sich aus dem Wortlaut eine Beschränkung auf Kultushandlungen nicht herleiten lässt. Dieser Befund wird durch die Entstehungsgeschichte bestätigt. In den Beratungen des Parlamentarischen Rates wurde ausdrücklich ein weites, nicht auf kultische Handlungen beschränktes Verständnis der Religionsausübung vertreten, das dort auch unwidersprochen blieb. Die hiergegen heute vorgebrachten systematischen Bedenken, mit denen die Gefahr einer Erosion des Grundrechtssystems und die Entwicklung der Religionsfreiheit zum Supergrundrecht oder zu einer zweiten allgemeinen Handlungsfreiheit geltend gemacht wird, überzeugen im Ergebnis nicht. Soweit von Grundrechten oft als punktuellen Gewährleistungen gesprochen wird, erzeugt dies die falsche Assoziation, die Schutzbereiche bezögen sich allesamt auf einen ganz 10 spezifischen, eben kleinen, punktuellen Lebensausschnitt. Dabei wird übersehen, dass die einzelnen Grundrechtsschutzbereiche durchaus sehr unterschiedlich zugeschnitten sind, was die Systemwidrigkeit einer fallweisen Annäherung an Art. 2 Abs. 1 GG relativiert. Bezieht man die erwähnten Wesensmerkmale der Religion unter teleologischen Gesichtspunkten in die Interpretation mit ein, so entspricht ein weites Verständnis von Religionsausübung dem mit Art. 4 GG zu schützenden Phänomen „Religion“ in besonderem Maße. Eine Beschränkung auf Kultushandlungen andererseits würde zu dem paradoxen Ergebnis führen, dass darunter fallende rein fakultative Handlungen, etwa das Erbringen bestimmter Opfergaben, den Schutz der Religionsfreiheit genössen, als unbedingt verpflichtend empfundene religiöse Bekleidungsvorschriften, die dem Kultus nicht zuzurechnen wären, in der eigenen religiösen Sinndeutung der betroffenen Personen aber einen viel höheren Stellenwert einnehmen, jedoch nicht. Wird bedacht, dass das Grundgesetz bei einem solchen Verständnis hinter die Gewährleistung des Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 zurückfallen würde, deren Genese die Mitglieder des Parlamentarischen Rates nach den Schrecken des Nationalsozialismus sehr aufmerksam verfolgt haben, so vermag dies kaum zu überzeugen. Entscheidend für die Frage, was unter den Begriff der Religionsausübung im Einzelnen fällt, ist daher das Selbstverständnis der Grundrechtsträger, soweit es sich innerhalb des durch den Religionsbegriff und die Gewährleistungsstruktur der Norm vorgegebenen Rahmens hält. Diese Form des Rekurses auf Selbstverständnisse ist nicht mit einem Grund- 11 rechtssubjektivismus zu verwechseln. Die objektive Auslegung der Norm setzt dem Selbstverständnis im Einzelfall durchaus Grenzen. Wird durch ein entsprechendes Selbstverständnis, das könnte man gleichwohl einwenden, nicht doch das ganze Leben zum Gottesdienst, ja ein einziger durch Art. 4 GG vorbehaltlos geschützter Religions-Freiheitsraum? Diese Frage stellte sich Walter Leisner zu Beginn der achtziger Jahre und sie ist bis heute aktuell geblieben. Die von ihm gefürchtete Konsequenz ist jedoch eher theoretischer Natur. Der Begriff der Religionsausübung im Kontext einer Verfassungsordnung, welche die Bereiche des Weltlichen und des Geistlichen unterscheidet, scheint mir bei einem Handeln, das als religiöses anerkannt werden will, eine bestimmte Reflexion auf Seiten des Grundrechtsträgers vorauszusetzen. Es sollte danach nicht genügen, Anhänger einer religiösen Lehre, etwa des Islam, zu sein, die tendenziell alle menschlichen Handlungen in einem religiösen Licht erscheinen lässt. Vielmehr ist für jede einzelne Handlung, deren religiöser Charakter geltend gemacht wird, eine aktuelle religiöse Motivation aufzuzeigen. Anders lässt sich die mitunter sehr differierende Religiosität von Menschen, die sich formal dem gleichen religiösen Gedankensystem zugehörig fühlen, nicht erfassen und auch eine missbräuchliche Geltendmachung des Grundrechtsschutzes nicht abwehren. Im Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG landet man daher, das wäre Leisner heute zu antworten, gegebenenfalls ohne jedes Zutun, in dem der Religionsfreiheit hingegen nicht. Bei einem solchen Verständnis bestehen, das ist ersichtlich, keine Schwierigkeiten, die Befolgung religiöser Bekleidungsvorschriften den Garantien religiöser Freiheit zuzuordnen. In der Regel wird es sich um eine Form der Religionsausübung handeln. 12 Der Streit, ob die Bestimmung des Art. 140 GG i. V. m. Art. 136 Abs. 1 WRV als eine Schrankenregelung der religiösen Freiheitsgarantien des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gelesen werden kann, soll hier nicht aufgegriffen werden. Hingewiesen sei nur auf die jüngste Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Halal-Schächten, in der davon ausgegangen wird, dass die Religionsfreiheit unter dem Vorbehalt allgemeiner Gesetze steht. Ich halte diese Ansicht für richtig und lege sie im Folgenden zu Grunde. Zum Abschluss dieses ersten Teiles noch eine kurze Anmerkung zur Gewissensfreiheit. Das Verständnis dieser Garantie hat sich im Laufe der Jahrhunderte ganz erstaunlich gewandelt. Die ursprünglich religiöse Bedeutung der Gewährleistung ist zu einer säkularen geworden, die sich in ihrer Schutzrichtung von den religiösen Freiheiten inzwischen deutlich unterscheidet. Dem Begriff der Religionsfreiheit ließ sich die Gewissensfreiheit, das hat Ernst-Wolfgang Böckenförde nachgewiesen, schon zur Weimarer Zeit nicht mehr unterordnen. Das aber hat nicht nur zur Konsequenz, dass die Gewissensfreiheit als ein eigenständiges Grundrecht zu begreifen und die Annahme eines einheitlichen Schutzbereiches von Glaubens- und Gewissensfreiheit, wie sie bis auf den heutigen Tag begegnet, nicht möglich ist, sondern auch, dass Art. 136 Abs. 1 WRV nicht als Schranke dieser Gewährleistung dienen kann. Da die Befolgung religiöser Bekleidungsvorschriften oft auf der Beachtung imperativer religiöser Normen beruht und der Zwang zur Nichtbefolgung daher zu einer ernsten seelischen Konfliktlage führen würde, ist zumeist ebenfalls das eigenständige und vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht der Gewissensfreiheit einschlägig. 13 Wie gestaltet sich nun anhand der so umrissenen verfassungsrechtlichen Vorgaben die Lösung praktischer Konfliktfälle mit islamischen Bekleidungsvorschriften in der öffentlichen Schule? Ich möchte mit einem ganz einfach gelagerten, in der Praxis durchaus vorkommenden Beispielsfall beginnen, die berührten Elternrechte und Fragen der Religionsmündigkeit hier aber außen vor lassen. Im Ausgangsfall stelle man sich eine Schülerin muslimischen Glaubens vor, die in der Schule ein Kopftuch trägt. Lehrer wirken mit pädagogischem Impetus auf sie ein oder üben Druck aus, das zu unterlassen, eventuell wird sie dafür sanktioniert, unter Umständen sogar, wie im vergangenen Jahr in Hessen – nicht in Frankreich –, vom Unterricht ausgeschlossen. Die erste Frage, die begegnet, ist die nach der Eröffnung des Grundrechtsschutzbereiches der Religionsfreiheit. Hier könnte argumentiert werden, und dies geschieht immer wieder – jetzt auch im Falle des Bielefelder Metzgerlehrlings –, der Schutzbereich sei nicht eröffnet, weil es sich nicht um ein religiös motiviertes Verhalten handele. Bekanntlich können Kopftücher aus ganz unterschiedlichen Gründen getragen werden und die bayerische Justiz stand im bayerischen Zwangsverschleierungsfall auf dem Standpunkt, dass ein Kopftuch keinerlei religiöse Implikationen habe. Die Antwort ergibt sich in diesem Fall glücklicherweise aus Art. 4 GG. Es ist zunächst – wie aufgezeigt – auf den Sinnhorizont des Grundrechtsträgers abzustellen. Danach spielt es keine Rolle, ob das Kopftuch eventuell als ein politisches Symbol verstanden werden kann und dass die Mehrheit der Musliminnen weltweit kein Kopftuch trägt. Eine muslimische Kopftuchträgerin kann sich plausibel auf Suren des Koran berufen, die ihr die Verhüllung des Kopfhaares 14 zumindest anraten. Mehr als eine Plausibilitätskontrolle steht dem Staat in diesem Bereich nicht zu. Eine Koranexegese kann und darf er mangels eigenen religiösen Wissens nicht betreiben. Der Schutzbereich ist damit in der Regel als eröffnet zu betrachten. Im Übrigen oft ebenfalls jener der Gewissensfreiheit, weil Musliminnen Kopftücher nicht nur tragen, weil sie es gerade schick finden, sondern sie zumeist ein als imperativ verstandenes religiöses Gebot befolgen wollen. Es liegt etwa in einer Sanktion des Kopftuchtragens auch unzweifelhaft ein Eingriff in diese Grundrechte. Weil neben der Religionsfreiheit regelmäßig zugleich die Gewissensfreiheit betroffen ist, bedürfte es für eine Einschränkung der Grundrechte der Schülerin in jedem Fall kollidierenden Verfassungsrechts. Kollidierende Grundrechte der Mitschüler kommen nicht in Betracht, weil hier eine Schülerin ein Kopftuch trägt, keine Amtsperson. Es bleibt daher nur der staatliche Erziehungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 GG, der teilweise im Hinblick auf die Bestimmung des Art. 3 Abs. 2 GG, das heißt die Erziehung zur Gleichberechtigung von Mann und Frau, als beeinträchtigt angesehen wird. Die entscheidende Frage ist, ob dem Kopftuch staatlicherseits ein Sinn beigemessen werden darf, der von einer Unvereinbarkeit des Tragens mit Art. 3 Abs. 2 GG ausgeht. Ein neuerer Ansatz in der Literatur möchte zur Lösung des Problems die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 5 Abs. 1 GG, wie sie für die Fälle mehrdeutiger Meinungsäußerungen entwickelt wurde, fruchtbar machen. Danach wäre hier wohl die Unterstellung der negativen Konnotation des Kopftuches ausgeschlossen. Ich meine, dass es eines solchen Rückgriffes nicht bedarf, weil die fragliche Beurteilung des Kopftuchtragens auf eine vor dem Hintergrund des Art. 4 GG und der 15 religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates unzulässige Bewertung religiöser Inhalte hinauslaufen würde. Was das Kopftuch bedeutet, weiß zunächst nur deren Trägerin. Ist der religiöse Sinngehalt, den sie dem Tuch gibt, im Hinblick auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau unbedenklich, dann hat der Staat dies zu akzeptieren. So sind auch bislang niemals Überlegungen angestellt worden, ob von Frauen der Sikhs bisweilen getragene Kopftücher oder solche bei bestimmten christlichen Sekten, die sich dafür auf Bibelstellen berufen, ein Problem des Art. 3 Abs. 2 GG darstellen. Allenfalls dann, wenn die Schülerin eine unter Gleichberechtigungsgesichtspunkten bedenkliche Einstellung selbst klar zu erkennen gibt, könnte dies dem staatlichen Erziehungsauftrag zuwider laufen. Allerdings ist hier bei genauerem Hinsehen nicht das Kopftuch als solches das Problem, sondern eine bestimmte Geisteshaltung, die aber Gegenstand staatlicher Erziehungsbemühungen sein kann. Der Erziehungsauftrag gegenüber der Schülerin selbst ist demnach in keinem Fall beeinträchtigt und kann als kollidierendes Verfassungsrecht, das zur Rechtfertigung einer Einschränkung des Kopftuchtragens heranzuziehen wäre, nicht dienen. Angenommen wird aber, dass eine Beeinträchtigung des staatlichen Erziehungsauftrages darin liegen kann, dass das Kopftuch mitunter gezielt und provozierend Intoleranz ausstrahlt und so die gegenüber der ganzen Klasse wahrzunehmende Erziehungsaufgabe zur Toleranz gefährdet. In Einzelfällen könne sein Tragen deshalb aus diesem Grunde untersagt werden. Meines Erachtens ist dem Staat aus den genannten Gründen die Möglichkeit genommen, das Kopftuch derart zu deuten. Abgesehen davon wären auch hier Ansatzpunkt für schulische Bemühungen nicht das Tuch, sondern 16 gegebenenfalls problematische Einstellungen der Schülerin und solche ihrer Mitschüler. Eine Sanktionierung oder Untersagung des Kopftuchtragens muslimischer Schülerinnen in öffentlichen deutschen Schulen ist daher im Ergebnis in jedem Fall verfassungswidrig. Wie verhält es sich nun, und das wäre eine zweite Konstellation, in den Fällen, in denen die Schülerin nicht mit einem Kopftuch in der Schule erscheint, sondern mit einem Tschador, der vom Gesicht nur noch einen Sehschlitz freilässt? In manchen islamischen Ländern werden die Bekleidungsregeln des Koran so orthodox ausgelegt, dass auch das Gesicht zu verhüllen ist, weil insbesondere den weiblichen Lippen eine starke erotische Ausstrahlung beigemessen wird. Die Schutzbereichsfrage ist vergleichbar zu beantworten wie für das Kopftuch. Maßnahmen der Sanktion oder Untersagung würden ebenfalls einen Eingriff darstellen. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung staatlichen Handelns wird zum Teil als völlig unproblematisch angesehen. So heißt es in einem schulrechtlichen Standardwerk: „Soweit der Schleier als Ausdruck islamischen Fundamentalismus gilt, der im Widerspruch steht zu der westlichen Kultur der Autonomie des Handelnden und Denkenden, zur Kultur der Toleranz Andersdenkenden gegenüber und deren Gleichberechtigung im gesellschaftlichen und politischen Leben, ist dies mit dem staatlichen Erziehungsauftrag offensichtlich nicht in Einklang zu bringen.“ Ob dieser Ansicht zu folgen ist, wird streitig diskutiert. Die Lösung liegt, denke ich, auch hier in einer richtigen Anwendung des Art. 4 GG, der eine entsprechende Interpretation des Schleiers verbietet. Die Problematik des 17 Falles ist deshalb nicht in der Bedeutung des Gesichtsschleiers begründet, sondern in dem Umstand, dass die Mimik des Mädchens nicht mehr erkennbar ist. Inwiefern dies ausreichen kann, um eine Untersagung zu rechtfertigen, ist ebenfalls umstritten. Der Frage soll hier nicht weiter nachgegangen, sondern nur auf ein Problem hingewiesen werden, das begegnet, wenn eine Beeinträchtigung des Art. 7 Abs. 1 GG bejaht wird. Ist im Schulrecht der Länder eine ausreichend bestimmte, der Bedeutung Ermächtigungsgrundlage für des eine Art. 4 GG Untersagung gerecht vorhanden? werdende Das wird überwiegend verneint. Die Problematik ist als solche nicht neu, sondern hat die Gerichte bereits in den achtziger Jahren beschäftigt, als einem Schüler das Tragen einer „Stoppt Strauß“-Plakette während des Unterrichts untersagt werden sollte. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof war damals der Ansicht, dass die vorhandenen Ermächtigungsgrundlagen für staatliche Maßnahmen unter dem Gesichtspunkt der hinreichenden Bestimmtheit nicht ausreichten. Das Bayerische Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen ist daraufhin binnen kurzem novelliert worden. Eine dritte Fallkonstellation, die ich nur kurz anreißen möchte, betrifft jene auf die Einhaltung religiöser Bekleidungsvorschriften gestützte Forderung nach Befreiungen vom koedukativ erteilten Sport- und Schwimmunterricht. Die islamischen Bekleidungsvorschriften untersagen es muslimischen Frauen, in Sportbekleidung vor männlichem Publikum aufzutreten. Bislang ist die Frage der Befreiungen vor allem freiheitsrechtlich diskutiert worden. Neuerdings wird, beeinflusst durch Arbeiten von Charles Taylor und Will Kymlicka, vorgeschlagen, die Probleme gleichheitsrechtlich zu lösen, ein 18 Gedanke, der sich auch in Arbeiten von Martin Heckel zum Gleichheitssatz im Staatskirchenrecht findet. Als Schlüsselbestimmung wird Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG ausgemacht, aus dem sich ein Anspruch auf Befreiung ergeben könne. Die Respektierung der religiösen Anschauungen und Verhaltenspflichten ist danach das Unterlassen einer verbotenen Benachteiligung, weil die religiöse Minderheit dadurch benachteiligt wird, dass sie sich nicht in Übereinstimmung mit den Anforderungen ihres Glaubens verhalten kann. Ich meine, dass das bei einem durch die Entstehungsgeschichte gestützten Verständnis der Bestimmung als einem Diskriminierungsverbot, das die nur mittelbaren Ungleichbehandlungen nicht erfasst, nicht zutreffend sein kann. Eine Verpflichtung, vom Unterricht zu befreien, lässt sich dann nicht mit dem Verbot, wegen des Glaubens zu diskriminieren, begründen, denn in der einheitlichen Unterrichtspflicht liegt keine explizit am Glauben anknüpfende Ungleichbehandlung. Gefordert wird in diesen Fällen ja keine Gleichbehandlung, sondern im Gegenteil eine Ungleichbehandlung und dies gerade aus Gründen des Glaubens. Die auf Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG gestützte gleichheitsrechtliche Argumentation führt deshalb in eine falsche Richtung. Die Probleme sind hier vielmehr solche des Art. 4 GG und die der Gewichtung der Koedukation als einem einer Befreiung entgegenstehenden staatlichen Belang. Abschließend zu der gegenwärtig wohl umstrittensten Frage der Beachtung islamischer Bekleidungsvorschriften in der Schule: Darf eine Lehrerin im Unterricht ein Kopftuch tragen? Das Thema hat viele Facetten und begegnet auch in verschiedenen Konstellationen. Ich möchte die gerichtlich entschiedene Variante aufgreifen, dass eine Lehramtsanwärterin, die sich um 19 Aufnahme in den staatlichen Schuldienst bemüht, darauf besteht, aus religiösen Gründen nicht nur privat, sondern ebenso während des Schulunterrichts ein islamisches Kopftuch zu tragen. Die Vergabe eines öffentlichen Amtes richtet sich nach Art. 33 Abs. 2 GG und den entsprechenden Vorschriften der landesrechtlichen Beamtengesetze, in Nordrhein-Westfalen ist das § 7 Abs. 1 LBG. Danach besteht zwar grundsätzlich kein Anspruch auf Übernahme in ein öffentliches Amt, jedoch kann sich jener der Verwaltung eingeräumte Beurteilungsspielraum derart verengen, dass nur noch die Entscheidung für die Einstellung rechtmäßig ist. Davon ist das Verwaltungsgericht Lüneburg in seiner Entscheidung ausgegangen. In den Fällen des religiös motivierten Kopftuchtragens stand jeweils nur in Frage, ob die Bewerberinnen die für das Amt erforderliche Eignung mitbrachten. Vom Verwaltungsgericht Stuttgart ist das wegen des Kopftuches verneint worden. Der fragliche Begriff der Eignung erfasst die für das jeweilige Amt notwendigen charakterlichen Eigenschaften. Kein Eignungsmangel kann sich nach Art. 33 Abs. 3 Satz 1 und 2 GG aus dem Merkmal des Bekenntnisses eines Bewerbers ergeben. Das Verwaltungsgericht Lüneburg sah diese Bestimmung als verletzt an, weil mit dem Abstellen auf das Kopftuchtragen an das verpönte Bekenntnismerkmal angeknüpft werde. Ein solcher Standpunkt ließe sich auf der Basis bisheriger Rechtsprechung und der herrschenden Meinung tatsächlich vertreten. Das ist jedoch kritikwürdig, denn der Wortlaut der Bestimmung deutet in eine andere Richtung. Vieles spricht dafür, dass der in Art. 33 Abs. 3 GG zweimal begegnende Begriff des Bekenntnisses in Anlehnung an eine Bedeutungsvariante in Art. 4 GG zu 20 verstehen ist und nur die religiöse Denomination meint. In Art. 33 Abs. 3 Satz 2 GG ist dies – entgegen der herrschenden Auffassung – aufgrund des insofern völlig eindeutigen Wortlauts, der von der Zugehörigkeit zu einem Bekenntnis spricht, sicherlich so. Vor dem Hintergrund geschichtlicher Erfahrungen und dem Telos der Bestimmung ist davon auszugehen, dass es der Vorschrift darum geht, den Zugang zu einem öffentlichen Amt – insofern ist der Begriff Zulassung in Art. 33 Abs. 3 Satz 1 GG entsprechend zu lesen – nicht von einer bestimmten Religionszugehörigkeit abhängig zu machen. Selbst diese kann im Sinne einer Gebetsbuchpolitik Anknüpfungspunkt für Diskriminierungen sein, wie der Fall der konfessionellen Staatsämter zeigt. Nicht ausgeschlossen ist bei einem solchen Verständnis der Norm, dass nach der Einstellung zu erwartende religiös motivierte Handlungen in die Eignungsprüfung mit einbezogen werden, denn bei diesen geht es nicht mehr um die außerdienstliche, private religiöse Sphäre des Bewerbers, die der Staat in der Regel nicht berücksichtigen darf, sondern um ein Verhalten, das Dienstpflichten beeinträchtigen kann. Einer Berücksichtigung des Kopftuchtragens steht daher Art. 33 Abs. 3 GG nicht entgegen. Daraus folgt, dass eine Abwägung stattzufinden hat zwischen den Grundrechten der Lehrerin, die ihr nach richtiger Ansicht und entgegen aktuellen Versuchen, das besondere Gewaltverhältnis für diesen Fall wieder zu beleben, auch im Dienst zustehen, und den durch Art. 33 Abs. 5 GG vorausgesetzten dienstlichen Pflichten, die sie mit dem angestrebten Amt übernimmt. Dazu gehört bei Lehrerinnen und Lehrern neben der allgemeinen beamtenrechtlichen Pflicht zur amtsangemessenen Mäßigung und Zurückhaltung selbstverständlich die Beachtung der Grundrechte von Eltern 21 und Schülern sowie die Beachtung des Gebots der religiös-weltanschaulichen Neutralität des Staates, das die Lehrperson zwar nicht unmittelbar, aber über den Umweg ihrer Dienstpflichten trifft. Fraglich und besonders umstritten ist, ob es zu einem Konflikt mit den Schülergrundrechten kommen kann. Zu denken ist an deren negative Religionsfreiheit, da in dieser Konstellation – anders als im Ausgangsfall – ein staatlicher Amtsträger ein religiös motiviertes Kleidungsstück trägt. Dabei kann nur ein Eingriff in den Glaubensaspekt in Betracht kommen, weil die Schüler weder zu einem Bekenntnis noch zur Teilnahme an fremder Religionsausübung gezwungen werden. Damit sind erneut sämtliche Streitfragen aufgeworfen, die bereits der Kruzifix-Fall der Grundrechtsdogmatik beschert hatte. Wohl unstreitig ist, dass ein Eingriff in die negative Glaubensfreiheit nicht nur in den Fällen der Gehirnwäsche, sondern auch bei gezielter Indoktrination zu bejahen ist. Genügt jedoch gleichfalls der Anblick eines aus religiösen Gründen getragenen Kleidungsstücks? Die Frage ist nur über eine Klärung des Eingriffsbegriffs zu beantworten. Dieser hat bei der Religionsfreiheit in Parallele zum Schutzbereich eine stark subjektive Komponente. Das leuchtet unmittelbar ein, wenn die Forderungen nach Unterrichtsbefreiungen bedacht werden. So sind christliche Schülerinnen in der Regel nicht in ihrer Religionsfreiheit berührt, wenn sie am koedukativen Schwimmunterricht teilnehmen sollen. Selbst bei Anerkennung dieser subjektiven Dimension ist ein Eingriff jedoch dann zu verneinen, wenn er mit Blick auf das Schutzgut der negativen Glaubensfreiheit, die selbstbestimmte religiöse Gedankenfreiheit, objektiv auszuschließen ist oder die bei einem weiten Eingriffsverständnis notwendig 22 einzuführende Eingriffsschwelle nicht überschreitet. Das möchte ich hier annehmen. Die Befürchtung, Kinder könnten allein durch den Anblick einer kopftuchtragenden Lehrerin zum Islam bekehrt oder sonst in ihren religiösen oder weltanschaulichen Überzeugungen beeinflusst werden, halte ich für unbegründet, sie lässt sich durch die Erkenntnisse der Psychologie nicht stützen. Eine darauf gerichtete, gezielte staatliche Einflussnahme liegt ohnehin nicht vor. Zudem kann die Lehrerin die Bedeutung ihrer Kleidung den Kindern gegenüber relativieren, das Kreuz an der Wand kann Gleiches nicht. Scheidet ein Eingriff in Art. 4 GG aus, so ist noch an einen solchen in das Grundrecht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG zu denken, das auch die religiös-weltanschauliche Erziehung umfasst. Zum Teil wird ein Eingriff bejaht, weil das Elternrecht ein absolutes Bestimmungsrecht der Eltern über das Kind enthalte. Damit wird zugleich eine Aussage über die Reichweite des Elternrechts in der Schule getroffen. Dass es ebenfalls in der Schule zur Geltung kommt, ist heute, anders als zur Weimarer Zeit, nahezu einhellige Auffassung. Aber wird es dadurch zur Lex regia des Schulrechts? Bei einer systematischen Zuordnung der Bestimmungen des Art. 7 GG und des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG wird man das, entgegen manch anderer Auffassung, verneinen müssen. Das Elternrecht ist in der Schule überhaupt nur dann betroffen, wenn es um die Gesamt- oder Lebensplanerziehung des Kindes, das heißt besonders wichtige Kernbereiche inhaltlicher und organisatorischer Art, geht. In dieser Einflussnahme auf die Gesamterziehung des Kindes hat das Hineinwirken des Elternrechts in die Schule seinen Grund, aber ebenso seine Grenze. Es ist dort von vornherein 23 deutlich schwächer ausgeprägt als außerhalb der Schule. Diese gebotenen Grenzziehungen sollten ernst genommen werden. Für den vorliegenden Fall scheint sich mir daraus Folgendes zu ergeben: Das Kopftuchtragen einer Lehrerin hat erzieherisch betrachtet allenfalls eine mittelbare, auf die Vorbildfunktion des Lehrers zurückzuführende Bedeutung, jedenfalls als solches keinen missionarischen Charakter. Vom Tragen sonstiger ausgefallener Kleidung hebt es sich kaum ab. Zwar wird die Ansicht vertreten, dass es selbst in letzteren Fällen zu Kollisionen mit dem Elternrecht kommen kann, die über eine Abwägung zu lösen seien. Diesen Ansatz, der bei jedem modischen Ohrring des Lehrers stets auf Abwägungen hinauslaufen würde, halte ich aufgrund der nur beschränkten Reichweite des Elternrechts in der Schule indes für verfehlt. So haben die Verwaltungsgerichte in den Fällen, in denen Lehrer Kleider in bhagwantypischen Farben trugen, unter dem Gesichtspunkt des Elternrechts bezeichnenderweise nicht auf die äußere Erscheinung als solche abgestellt, sondern das Grundrecht einzig und allein deshalb als berührt angesehen, weil die Kleidung aus religiösen Gründen getragen wurde. Die Gesamt- oder Lebensplanerziehung des Kindes sollte, wird der Wortsinn in seiner Restriktion ernst genommen, durch das schlichte Tragen eines Kopftuches seitens einer Lehrperson, das unmittelbare erzieherische Folgen weder bezweckt noch hat, jedoch nicht betroffen sein, selbst dann nicht, wenn der Grund des Tragens ein religiöser ist. Anderenfalls wäre die Gefahr einer Hypertrophie des Elternrechts im schulischen Bereich unübersehbar. Durch das Kopftuchtragen einer Lehrerin wird daher in den Schutzbereich des Grundrechts der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG nicht eingegriffen. 24 Möglich bleibt allerdings ein Verstoß gegen objektives Verfassungsrecht. In Betracht zu ziehen ist eine Verletzung des Prinzips staatlicher Neutralität in religiös-weltanschaulichen Fragen, gegen das etwa mit dem staatlich angeordneten Anbringen von Kreuzen in Klassenzimmern aufgrund der darin enthaltenen Parteinahme zugunsten einer Religion verstoßen wird. Das Tragen religiös motivierter Kleidungsstücke durch Lehrer ist dem Staat jedoch nicht in gleicher Weise zuzurechnen wie das gesetzlich angeordnete Schulkreuz. Eine plausible Begründung, warum sich der Staat mit gewöhnlicher Bekleidung der Lehrer nicht, mit der aus religiöser Motivation getragenen aber doch identifizieren sollte, ist noch nicht dargebracht worden. Darüber hinaus ist die religiös-weltanschauliche Neutralität im Schulbereich, den der Staat in seine Obhut genommen hat, anders als in laizistischen Systemen nicht als distanzierende, sondern – und hier möchte ich abermals Ernst-Wolfgang Böckenförde folgen – als übergreifende zu verstehen, die für Religiosität Raum lässt. Insofern kann der Staat aus Neutralitätsgesichtspunkten an seine Lehrer nicht mit der Forderung herantreten, auf jede religiöse Lebensäußerung zu verzichten. Er tut dies bekanntlich auch in den parallel gelagerten Fällen der Meinungsäußerungen nicht. Und schließlich ein letzter Gesichtspunkt. Die Dienstpflichten der Lehrerin würden selbstverständlich Wahrnehmung des auch dann staatlichen beeinträchtigt, Erziehungsauftrages wenn ihr durch die das Kopftuchtragen unmöglich würde. Davon wäre etwa auszugehen, wenn durch das Tuch veranlasst Tumulte in der Klasse ausbrächen. Das Kopftuch ist jedoch nur ein Seidentuch und keine Satanskluft. Dass es zu Unterrichtsbeeinträchtigungen kommt, ist bislang nicht belegt worden. Aus 25 Bundesländern, die das Kopftuchtragen zulassen, wird Derartiges nicht berichtet. Die bloß theoretische Gefahr ist aber, so hat das Ver- waltungsgericht Lüneburg zu Recht entschieden, allein kein Grund, die Einstellung in ein Probebeamtenverhältnis zu versagen. Insofern gilt für die Lehrerin, obwohl hier viele Punkte offen bleiben mussten, im Ergebnis der Ausspruch des Ministerpräsidenten Teufel: Entscheidend ist nicht, was sie auf dem Kopf, sondern was sie im Kopf hat. Oder wie es eine große deutsche Tageszeitung frech, aber treffend zur Debatte formulierte: „Tuch drüber.“