Freie Presse, Erscheinungsdatum 20140321
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LEBENSART Freitag, 21. März 2014 Freie Presse Schlacht der Tänzer STIL-FOUL Leicht neben dem Beat? Der Breakdance hat auch 30 Jahre nach seiner Erfindung in amerikanischen Ghettos nichts von seiner Untergründigkeit verloren. SEBASTIAN STEGER ÜBER ANFORDERUNGEN AN DAS RICHTIGE MITKLATSCHEN „Clap your hands everybody, if you got what it takes!“ rappte Kurtis Blow als einer der ersten KommerzHip-Hopper schon im Jahr 1980: „Klatscht alle in die Hände, wenn ihr das Zeug dazu habt!“ Denn das Klatschen im richtigen Takt ist gar nicht so einfach. Selbst unter eingefleischten Breakdancern, die ihren „Circle“ um den Tänzer bilden und ihm dabei klatschend einheizen, sitzt die Betonung nicht immer exakt: Der afroamerikanische Groove will es nämlich auf die „zwei“ und auf die „vier“! Denn im Funk, Soul und vor allem im Breakdance-affinen Hip Hop geht es darum, den Rhythmus auf den Gegenschlägen anzutreiben, statt im typisch deutschen UfftataMarsch-Schritt die „eins“ und die „drei“ zu beschweren. Unbedarft plumpe Mitklatschversuche im Publikum bringen den geübten Rhythmus-Menschen da gerne mal zur Weißglut: Da hilft nur konsequentes Richtigklatschen, in der Hoffnung, dass sich die Herde dem Leittier allmählich anpasst. Völlig daneben ist es wiederum, wenn sich hochnäsige Musikakademiker über den unmusikalischen Mob echauffieren und subversive Triolen und Synkopen klatschen… VON SEBASTIAN STEGER D ie Kontrahenten stehen sich gegenüber. Ihre Augenpaare blitzen sich an wie beim Western-Showdown, die Luft knistert vor Provokation: Allerdings werden hier keine Colts gezückt; auch die Kostüme und Kulissen stimmen nicht. Statt dem „Lied vom Tod“ wummert laute Hip-HopMusik aus den Boxen – und die Waffe ist der Tanz. Jetzt zeigt jeder seine besten „Moves“: Die Beine wirbeln durch die Luft, Rümpfe rotieren in aberwitziger Geschwindigkeit über den Boden, und manche aggressiven Figuren sind kaum von einem Kung-Fu-Training zu unterscheiden. Höher, schneller, weiter ist das Motto: Wird er den Salto schaffen? Wer ist biegbarer? Wer schafft die meisten Drehungen? Und vor allem: Wer hat eine wirklich originäre Bewegung drauf, die die Welt noch nicht gesehen hat? Der Wettbewerb vor begeisterungsfähigem Publikum war eben schon immer ein probates Mittel, um die besten Leistungen aus den Menschen herauszukitzeln: Im Jargon des Breakdance nennt sich dieses aufputschende Prozedere „Battle“, also „Schlacht“ – für den mittelsächsischen Raum ist besonders das Chemnitzer Festival „Soul Expression“ eine wichtige Institution. Die Tänzer, meistens in zwei gegnerischen Crews oder Gangs organisiert, wechseln sich in scheinbarer Willkür ab, provozieren sich – und begegnen sich dennoch mit Respekt, weswegen das Berühren des Gegners beim Tanzen strengstens verboten ist. Voller Adrenalin peitscht man sich hoch und spornt sich zu neuen Moves an. Und um die besten nicht gleich am Anfang zu verheizen, hebt man sich diese selbstverständlich bis zum Schluss auf. Kämpfen auf Augenhöhe Bei besonders gelungenen Figuren setzt es Applaus und begeistertes Johlen, am Ende gewinnt der Spaß und das gegenseitige Lernen: „Ein BBoy ist stets Schüler, nie ein Meister“, soll Mr. Wiggles von der legendären „Rock Steady Crew“ einmal gesagt haben. Freude haben nicht nur die Tänzer: Durch seine atemberaubende Akrobatik und die treibende Musik ist der Breakdance in jedem Konzert und auf jeder Straße ein energiestrotzender Hingucker. Dabei ist der Begriff gegen Ende der 1970er eigentlich nur ein Wortbe- B3 Break-Dance-Stile Popping So bezeichnet man alle kantigen, mechanischen Bewegungen im Breakdance. Zum Popping gehört unter anderem auch der so genannte „Robot Dance“, bei dem die Tänzer möglichst maschinenhafte, mechanische Bewegungen ausführen und wie Roboter wirken. Dabei gibt es wahre Meister, die geschminkt und kostümiert als perfekte Blechkameraden durchgehen! FOTO: IMAGO Breakdance ist ein wichtiger Bestandteil der urbanen Subkultur. helf der Massenmedien, um die sagenumwobene Kultur aus dem Süden der New Yorker Bronx griffig an den Mann zu bringen. Stattdessen ist „B-Boying“ der umständlich zu sprechende, aber historisch korrekte Terminus: Der B-Boy nämlich ist jener Tänzer, der sich gegen Ende der Siebziger in den ausgedehnten Instrumental-Parts der Disco-Musik (den sogenannten „Breaks“) in wundersamer Eigendynamik bewegte. Bei den Battles wurden, entgegen allem späteren Sexismus im Hip Hop, übrigens auch B-Girls nie schief angeschaut. Der Breakdance schart bis heute eine enorm tolerante Szene um sich – denn man trifft sich auf Augenhöhe. Es zählt einzig und allein das Können. Zu seiner Entstehungszeit war der Tanz der Ausdruck einer Straßenkultur: Statt sich gegenseitig in Bandenkriegen abzuziehen, kämpfte man lieber auf dem Parkett um Respekt und Aufmerksamkeit. Noch heute wird der Tanz von Sozialpädagogen gern als Maßnahme gegen den Sinnverlust in der Jugend eingesetzt – gleichzeitig ist er längst im Mainstream angekommen: Keine Fernseh-Tanzshow ohne einen Aspiranten, der mit Street Dance brilliert – wahlweise garniert mit dem kantigen Robot Dance oder jüngeren Stilen wie Shuffle. Dessen Beliebtheit liegt vor allem darin, dass einige Grund-Bewegungen ziemlich schnell gelernt sind. Hat man erst mal das „Top-Rocking“, also das Tan- zen im Stehen intus, kann die Akrobatik losgehen: Mit den „Footworks“ ist das Tanzen am Boden inklusive dem berühmten Six-Step gemeint, also dem krebsartigen Kreisen der Beine um den eigenen Körper. Bei den sogenannten „Powermoves“ wiederum geht es um das Rotieren um die eigene Achse, etwa, wenn sich Kopf oder Rücken förmlich in den Boden schrauben. Zeit und blaue Flecke Idealerweise übt man in der HobbyGruppe oder im Tanzstudio – da geht das Abschauen und das Üben vor dem Spiegel am leichtesten. Aber keine Angst, Anfänger werden hier nicht ausgelacht. Stattdessen greift man ihnen freundschaftlich unter die Arme. Zwar tanzt man beim Breakdance allein, dafür herrscht in der Gang jedoch ein elektrisierendes Gruppen-Gefühl. Das ist auch bitter nötig – denn das B-Boying ist oft harter Leistungssport, der schnell demotivieren kann: Manche Steps benötigen Unmengen an Zeit, bis sie wirklich sitzen, außerdem kommt man an blauen Flecken, Prellungen und Schürfwunden kaum vorbei. Positiver Nebeneffekt: Der Tanz stählt alle Muskelgruppen im Körper. Immerhin ist selbst der RekordKunstturner Fabian Hambüchen der Meinung, dass er manche Bewegungen der Break-Profis beim besten Willen nicht nachahmen könnte… Locking Ausladende Bewegungen, wirbelnde Arme, weite Schritte: Das Locking ist eigentlich eine eigene Tanzform, die später vom Breakdance vereinnahmt wurde. Die so genannten Locks sind heute Grundelemente des Top-Rocking, also des Tanzens im Stehen. Kommen pantomimische und illusionistische Elemente nach der Schule des großen Marcel Marceaus hinzu, spricht man vom „Electric Boogie“-Stil. Up-Rocking Dieses Aufputschen hat nur eine Funktion: das Herausfordern des Tanz-Gegners durch provozierende Gesten. Dazu gehören Kampfsport-Bewegungen und wilde Gestik. Aber Vorsicht: Das Berühren des Kontrahenten ist strengstens verboten und führt in den Battles sofort zur Disqualifikation! (sest) Mit Magie und Michael Jackson Gruppen wie die „Flying Steps“ haben den Breakdance eindrucksvoll ins Hochglanz-Showgeschäft gehoben. VON SEBASTIAN STEGER T anz ist Magie! Kaum jemand hatte dieses Prinzip so gut verstanden wie Michael Jackson: Die Fantasie des Publikums sollte bei seinen Shows quasi „mittanzen“ und immer wieder herausgefordert werden. Entsprechend sorgte der Meister für ausreichend Illusionen: Mit der legendären „Lean“-Pose hebelte er scheinbar die Schwerkraft aus, und die Münder blieben offen stehen, wenn er beim „Moonwalk“ den Eindruck erzeugte, sich gegen seine eigene Laufrichtung zu bewegen. Wie hat er das gemacht? Wie konnte er die Gesetze der Physik überlisten? Das fragte sich auch der Berliner Vartan Bassil, als er als Kind vom „King Of Pop“ und Filmen wie „Beat Street“ inspiriert wurde, sich voll und ganz dem Breakdance zu widmen. Die Karriere des Energiebündels begann 1993, als er mit seinem Kumpel Amigo die B-Boy-Gruppe „Flying Steps“ gründete – schon ein Jahr später gewann er das „Battle Of The Year“ und wurde damit quasi zum Breakdance-Weltmeister. Es folgten Auftritte in Musikvideos, einige CD-Produktionen sowie die Gründung einer eigenen Tanzschule. Mit dem Projekt „Flying Bach“, so manchem vielleicht noch bekannt als Berliner Bewerber für den Eurovision Song Contest im Jahr 2011, vertanzte die Gruppe das „Wohltemperierte Klavier“ in einer Mischung aus Street Dance, Akrobatik, Klassik und Pop – wofür sie den KlassikSonderpreis des Echos erhielten. Immerhin 30 Jahre nach dem großen Breakdance-Hype klingt das nach einer prägnanten Entwicklung – doch der Visionär muss immer FOTO: RUUD BAAN/RED BULL Die Tanzgruppe „Flying Steps“. wieder neue Grenzen sprengen. Jetzt ist das Thema Magie an der Reihe – und Jacksons Geist kommt dank Bassil durch die Hintertür wieder zurück auf die Bühne. Mit der Show „Flying Illusion“ wagt sich die Trup- pe nun an eine Show, in der Breakdance in Verbindung mit 3D-Projektionen und Zaubertricks ein neues Level erreichen soll. „Mich hat die Faszination am Tanz seit meiner Kindheit nicht mehr losgelassen. Mit der Magie hat das gemeinsam, dass man immer wieder die Möglichkeiten neu ausloten und so für Begeisterung sorgen kann“, so Bassil, der diesmal allerdings nicht selbst mittanzt, sondern den künstleri- schen Leiter der Show gibt. Für die Tricks hat er den Magier Florian Zimmer mit ins Boot geholt, die Musik wurde eigens für das Projekt komponiert und zusammen mit einem Symphonie-Orchester eingespielt. Die visuellen Effekte wiederum stammen von der Pfadfinderei, welche im Berliner Milieu der elektronischen Musik zu einem renommierten Animations-Team herangewachsen ist. Ein Breaker, der in der „Windmill“-Figur seine Beine herumwirbelt und dadurch wie ein Helikopter in die Lüfte abhebt? Ein Tänzer im Handstand, der nur durch die Kraft seiner Fingerspitzen über die Bühne „läuft“? Der aktuell kursierende Trailer zur neuen Show verspricht einiges – und B-Boys aus aller Welt dürften dieses Wochenende gespannt nach Berlin blicken… DIE SHOW „Flying Illusions“ ist von heute bis Montag im Berliner Tempodrom zu sehen, danach gastiert das Ensemble bis Ende Mai in Frankfurt und Oberhausen.