Gespräch mit Dr. Wolfgang Becker 09. Mai 2016 LUFO

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Gespräch mit Dr. Wolfgang Becker 09. Mai 2016 LUFO
Gespräch mit Dr. Wolfgang Becker 09. Mai 2016
LUFO: Können Sie etwas zum Konzept der Neuen Galerie
– Sammlung Ludwig im Alten Kurhaus sagen? War diese
als eine Art Provisorium bzw. Zwischenstufe gedacht?
Oder war es als längerfristige Ausstellungsinstitution
geplant?
Dr. Wolfgang Becker: Die Neue Galerie – Sammlung
Ludwig war von Anfang an eine Art „Versuchskaninchen“
der Beziehung zwischen dem großen Sammler Ludwig und
der kleinen Stadt Aachen. Die kleine Stadt Aachen
gewöhnte sich schmerzhaft aber schnell an diese experimentelle Institution. Da
Ludwig mit mir der Meinung war, dass man kein klassisches Museum in den Räumen
des Alten Kurhauses einrichten könnte, nannten wir es Neue Galerie. Ein Ballsaal in
einem Alten Kurhaus musste bespielt werden. Und es gab in Aachen ein
Zielpublikum aus Studentinnen und Studenten der Technischen Hochschule und
anderen Jugendlichen. So gestaltete ich von Anfang an 1969/70 ein sehr
gegenwärtiges Programm.
Ludwig kaufte schnell. Die Sammlung wuchs. Das Haus wurde zu klein. Viele Werke
wanderten in andere neue Ludwig-Museen. Die Neue Galerie entwickelte sich zu
einer „Premiereninstitution“, in der die Neuerwerbungen zuerst gezeigt wurden, um
dann an andere Häuser weitergegeben zu werden. Wollte man mehr behalten, müsste
Aachen ein größeres Haus bauen.
LUFO: So entstand dann die Idee von einem Museumsneubau?
Dr. Wolfgang Becker: Da auch das Suermondt-Museum auf eine Erweiterung
wartete, entstand der Gedanke einer Gesamtlösung: ein neues Museum zu bauen und
dort die Sammlung Ludwig der Neuen Galerie mit den Beständen des SuermondtMuseums zu verbinden – ein Zusammenspiel von Alt und Neu - freilich auch eine
frühzeitige Musealisierung des Neuen, denn der Entwurf des Münchener Architekten
Wilhelm Kücker sah vor, dass die Räume für moderne Kunst sich nicht wesentlich
unterscheiden würden von denen für alte Kunst. Ideologisch entsprach der Neubau
an der Monheimsallee den werterhaltenden Vorstellungen der CDU. Ludwig
wünschte sich Einstimmigkeit des Rates, aber die SPD-Fraktion lehnte ab. Das
Projekt wurde verworfen. Nun schlug die SPD mit Heinrich C. Friedhoff den Umbau
der Schirmfabrik Brauer vor zu einem Museum für zeitgenössische Kunst und die
Erhaltung und Erweiterung des Suermondt-Museums vor und erreichte
Einmütigkeit. Der Umbau eines Fabrikgebäudes reizte meine Experimentierlust und
Ludwig zog vergnügt mit. Er schlug den Namen vor: Ludwig Forum für internationale
Kunst.
LUFO: Welchen Einfluss hatte das Ehepaar Ludwig bezüglich kuratorischen
Entscheidungen? Durften Sie als Direktor der Neuen Galerie und auch später des
Ludwig Forum Ankäufe von Kunstwerken mit beschließen?
Dr. Wolfgang Becker: Wir waren sehr frei bei bei der Programmplanung des
Forums. Ludwig hatte eine bewegliche Sammlung und benötigte jemand, der diese
betreut, weniger einen Museologen als einen Animator und Vermittler. Er ließ mich
an Ankaufsgesprächen aktiv teilnehmen. Er liebte Kunstwerke, die handwerklich gut
gemacht waren und war kaum für Fotografien, Filme und Videoarbeiten zu
gewinnen. Zunehmend entwickelte er insbesondere im Ostblock diplomatisches
Geschick und politische Interessen. Der leidenschaftliche Sammler, der einzelnen
Werken nachjagte, trat hinter dem Kulturpolitiker und Museumsgründer zurück.
LUFO: Wie war die Konstellation zwischen Peter Ludwig als Sammler und den
verschiedenen Direktoren der Häuser, die Werke seiner Sammlung besaßen?
Dr. Wolfgang Becker: Ludwig hat nie darüber nachdenken wollen, sich ein
eigenes Museum zu schaffen, sondern immer Wert darauf gelegt, seine
Unsterblichkeit dadurch zu sichern, dass er mit öffentlichen Institutionen Verträge
abschließt, die seinen Namen annehmen. Die Zusammenarbeit mit uns Direktoren
der verschiedenen Häuser war freundschaftlich, weil wir tatsächlich alle Freiheiten
hatten, mit den Werken umzugehen. Wir konnten entscheiden, welche gezeigt
werden und welche in den Keller wandern. Eine kritische Auseinandersetzung mit
der Sammlung war immer möglich. Ludwig liebte den Widerspruch. Er wusste, dass
über ihn geredet wird. Andererseits nahm er keinen Anstoß an den Veranstaltungen,
Happenings, Performances, die in der Neuen Galerie und im Ludwig Forum
stattfanden; er wusste, dass sie die Häuser füllten. Das war ihm wichtig. Nichts
erschien ihm schlimmer als ein Museum ohne Besucher.
Dr. Wolfgang Becker, *1936 in Hannover geboren, ist ein deutscher Kunsthistoriker
und ehemaliger Gründungsdirektor der Neuen Galerie – Sammlung Ludwig und
des Ludwig Forum in Aachen. Er studierte von 1960 bis 1967 an der Universität von
Paris, der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und an der Universität
zu Köln Kunstgeschichte, Archäologie und Geschichte.
Abbildung: Dr. Wolfgang Becker, Foto: Marga Meier