Häuser im Dialog - Duplex Architekten
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Häuser im Dialog - Duplex Architekten
Häuser im Dialog. Ein Quartier entsteht. Häuser im Dialog Ein Quartier entsteht. mehr als wohnen steht für... … beispielhafte Weiterentwicklung der Genossenschaftsidee … bezahlbares Wohnen mit hoher architektonischer Qualität … Selbstverantwortung und Engagement im Zusammenleben … bauen und wohnen nach den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft … Dialog und Partnerschaft in Planung, Bau und Betrieb Projekt Hunziker-Areal … hohe Wohnqualität und vielfältige Wohnformen baugenossenschaft mehr als wohnen Arbeitsgemeinschaft Futurafrosch und Duplex Architekten, Zürich 100318_FEZ_HauserDialog_UMSCHLAG.indd 2-3 18.03.10 23:02 Projektbeteiligte: Bauherrschaft: baugenossenschaft mehr als wohnen im Baurecht der Stadt Zürich www.mehralswohnen.ch Städtebauliches Gesamtkonzept: Arbeitsgemeinschaft Futurafrosch und Duplex Architekten, Zürich mit Müller Illien Landschaftsarchitekten Architektur: Arbeitsgemeinschaft Futurafrosch und Duplex Architekten, Zürich Müller Sigrist Architekten Pool Architekten Architekturbüro Miroslav Šik Bauherrenberatung und Kostenplanung: b+p Baurealisation Impressum: Arbeitsgemeinschaft Futurafrosch und Duplex Architekten, Zürich und baugenossenschaft mehr als wohnen Zürich, April 2010 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 3 18.03.10 22:33 Häuser im Dialog Ein Quartier entsteht. DUPLEX architekten, Zürich Projekt Hunziker-Areal baugenossenschaft mehr als wohnen Arbeitsgemeinschaft Futurafrosch und Duplex Architekten, Zürich 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 4 18.03.10 22:33 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 1 18.03.10 22:33 Inhaltsverzeichnis Vorwort 3 Einleitung Städtebau zwischen Dialog und Regelwerk 5 Regelwerk Übersicht 1. Mantellinie 2. Subtraktionsprinzip 3. Fassadengliederung 4. Nutzungsverteilung 5. Adressen 6. Akzente 12 14 18 22 26 30 34 Dossier Hannes Mayer Housing Associations Daniel Kurz, Ursula Müller Zürich und der gemeinnützige Wohnungsbau Philippe Cabane Sozial nachhaltig leben! Lukas Kueng, Werner Waldhauser Was heisst Standard? Fanni Fetzer Zeitgenössische Kunst für eine zeitgenössische Genossenschaft 39 45 49 51 57 Appendix Futurafrosch, Duplex Architekten und Müller Illien Landschaftsarchitekten Situationsplan 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 1 60 18.03.10 22:33 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 2 18.03.10 22:33 Vorwort Mitten im Entwicklungsgebiet Leutschenbach am nördlichen Stadtrand entsteht ein neues Quartier mit 13 Häusern und 450 Wohnungen. Kein alltägliches Projekt! Seinen Ursprung hat dieses Projekt im Jubiläumsjahr «100 Jahre gemeinnütziger Wohnungsbau», das 2007 gefeiert werden konnte. Damals entstand die Idee, im Sinn und Geist der Wohnbaugenossenschaften der Gründerzeit in gemeinsamer Selbsthilfe eine wegweisende Bebauung zu realisieren, die ökologisch, ökonomisch sowie gesellschaftlich und sozial nachhaltig ist. mehr als wohnen setzt damit ein Zeichen für die Zukunft des genossenschaftlichen Wohnungsbaus in der Schweiz. Die neue Genossenschaft wird von über 50 gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaften und Wohnbaustiftungen getragen. Sie versteht sich als Innovations- und Lernplattform für die gesamte Genossenschaftsbewegung. Sie soll ermöglichen, gemeinsam Erkenntnisse zu sammeln, Neues auszuprobieren und neue Wege zu gehen. Grundlegend ist das genossenschaftliche Prinzip des «Zusammens», einer dialogischen Haltung, die davon ausgeht, dass mehrere mehr wissen als ein Einzelner und dass 1+1 mehr ergibt als 2. Dieses dialogische Prinzip fusst auf der genossenschaftlichen Wertschätzung des einzelnen Menschen und stellt seine Bedürfnisse und seinen Beitrag zum Ganzen in den Mittelpunkt. In einem neuartigen Wettbewerbsverfahren konnten vier Architekturbüros ausgewählt werden, die – und das kann als Glücksfall bezeichnet werden – auch willens und fähig sind, in dieser dialogischen Haltung zusammen zu arbeiten. Mit ihnen wurde es unter der Leitung des Städtebauteams möglich, ein gemeinsames Projekt zu entwickeln, das den Raum für die Realisierung dieser Vision schafft. Wir stehen heute mit dem Beginn der Vorprojektphase am Übergang von der Absicht zur Umsetzung. Der Anspruch, ein Leuchtturmprojekt zu entwickeln, bleibt trotz vieler Sachzwänge ungebrochen. Die Kommunikation, das Gespräch, die gemeinsame Suche nach Lösungen werden weiterhin eine anspruchsvolle Aufgabe bleiben. Einleitung Häuser im Dialog 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 3 3 18.03.10 22:33 Diese Broschüre soll für diese kommende Phase die Rahmenbedingungen aufzeigen und ein ständiger Begleiter sowie ein Nachschlagewerk für alle Beteiligten sein. Dem Prinzip des Dialogischen folgend, erhebt es keinen Anspruch auf abschliessende Vollständigkeit, sondern es ist eine Einladung zum Weiterdenken und -gestalten. Es bleibt zu danken. Der Genossenschaftsbewegung, die uns trägt, der Stadt Zürich als Baurechtsgeberin und Partnerin, den vielen interessierten Unternehmungen und unterstützenden Stiftungen sowie verschiedenen inspirierenden Hochschulen. Nicht zuletzt gilt der Dank den engagierten Architektinnen und Architekten des Städtebauteams von Futurafrosch und Duplex Architekten, die mit ihren Impulsen die Umsetzung unserer Vision massgebend mitgestalten sowie den Büros Müller Sigrist Architekten, Pool und Miroslav Šik. Peter Schmid baugenossenschaft mehr als wohnen, Präsident. 4 Häuser im Dialog Einleitung 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 4 18.03.10 22:33 Einleitung Städtebau im Spannungsfeld von Regelwerk und Dialog Städtebauliche Figur: Freiraum und Dichte Die städtebauliche Disposition des Masterplans basiert auf dem Gleichgewicht von Baukörper und urbanem Zwischen-Raum. Das dreidimensionale Spiel von Figur und Grund übersetzt die gegenseitige Abhängigkeit in einen städtischen Raum. Erst durch die Masse kann der definierte Leerraum entstehen. Die zu Grunde liegende hohe Bebauungsdichte ist einerseits Vorraussetzung für einen verantwortungsvollen Umgang mit dem verfügbaren Boden und Bedingung für energetisch effiziente Gebäude, andererseits birgt sie planerisches Potential. Durch die Reibung zwischen den einzelnen Bestandteilen bilden sich starke Orte. Das dialektische Zusammenspiel von Öffentlichkeit und privater Rückzugsmöglichkeit bildet die inhaltliche Grundlage und findet seine Umsetzung sowohl städtebaulich als auch architektonisch. Mit der gleichen Sorgfalt, mit welcher die einzelnen Gebäudekörper ausgestaltet werden, kümmern wir uns um die individuelle Programmierung und Gestaltung der unbebauten Flächen. Das Wechselspiel von Enge und Weite generiert eine Vielzahl von Möglichkeiten, auf den Wegen durch das Quartier unterschiedlichste stadträumliche Sequenzen wahrzunehmen. Gleichzeitig bleibt die Durchlässigkeit zur Umgebung gewahrt. Diese situative Vielfalt wird gestützt durch die Organisation der Erdgeschosse, welche ein reichhaltiges Programm an gemeinschaftlichen und publikumsorientierten Nutzungen aufweist. Die Landschaftsgestaltung reagiert mit einer qualitativen Ausdifferenzierung der Aussenräume. Die eindeutige Charakterisierung der Orte erlaubt grosse Selbstverständlichkeit und Sicherheit bei der Inbesitznahme der Aussenräume durch verschiedene Gesellschafts- und Altersgruppen. Orte des Zusammentreffens und der Interaktion funktionieren in der Regel nur auf der Basis von Rückzugsmöglichkeiten in individuelle Bereiche. Die architektonische Konzeption muss sich in der Folge ebenfalls an der urbanen Dichte und Nähe orientieren. Der Ausdruck der Häuser ist städtisch und lebt von der Spannung zwischen der Strenge der vorgegebenen Anordnung und der Interpretation im Einzelfall. Einleitung Häuser im Dialog 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 5 5 18.03.10 22:33 Ziel ist es, einen Ort zu generieren, der zum Identitätsträger für einen wachsenden und sich verändernden Stadtteil werden kann. Es entsteht ein Quartier, das sich durch hohe Wohnqualität für die künftigen Bewohnerinnen und Bewohner auszeichnet. Ein Quartier, welches auch für Anwohner in den bestehenden und geplanten Wohnbauten und für die Mitarbeitenden der zahlreichen Firmen in der Umgebung einen Ort des Aufenthalts und der Identifikation bietet. Dicke Typen: Mantelvolumen und «Luft» Als kleinste Einheit sind bis zu 30m tiefe Baukörper angedacht. Sie liegen in der Grösse irgendwo zwischen Haus und Block. Diese dicken Typen erinnern an die Typologie der italienischen Palazzine der 1930iger Jahre und beinhalten einen Mikrokosmos, der über die gewohnte Grössenordnung des herkömmlichen Mietwohnungsbaus hinausgeht. Als Grundlage für die architektonische Bewältigung der im Masterplan vorgegebenen Dichte ist die zu erzielende Nutzfläche kleiner als das Mantelvolumen zulassen würde. Die Differenz, diese 6 «Luft», steht jedem der Architekten zur Verfügung, um die Belichtung zu gewährleisten. Das kann durch Einschnitte von aussen, Aushöhlen von innen oder auch über doppelgeschossige Räume an der Fassade geschehen, welche das Licht bis in die Tiefe des Gebäudes bringen. Nachdem die im Wettbewerb prämierten Wohntypologien aller vier Architektenteams in einer ersten Bearbeitungsphase erfolgreich in den Masterplan implantiert wurden, kann rückblickend festgestellt werden, dass die Setzung von Mantelvolumen und «Luft» als Ausgangslage quasi zum Generator für den effizienten Umgang mit den dicken Typen geworden ist. Entstanden ist eine beispielhafte Sammlung von Strategien im Umgang mit grossen Gebäudetiefen, die dem Anspruch an den experimentellen Charakter des Projekts gerecht wird. Rahmenbedingung: Regelwerk und Spielraum Die Balance zwischen experimenteller Vielfalt in der Architektur und Kontinuität der Stadt spielt für das Projekt eine zentrale Rolle. Ziel ist nicht die absolute Diversität einer Häuser im Dialog Einleitung 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 6 18.03.10 22:33 Mustersiedlung, sondern das Schaffen eines emergenten Systems, bei dem durch Zusammenspiel seiner Teile neue Qualitäten «auftauchen» (lat. emergere: auftauchen, hervorkommen, sich zeigen). Die geometrische Ähnlichkeit der einzelnen Bausteine leistet hier einen wichtigen Beitrag. Für die Umsetzung der architektonischen Gestaltung befinden wir uns auf der Suche nach weiteren Gemeinsamkeiten, die das Quartier zusammenbinden. Diese werden jedoch nicht in einer Art Katalog von oben diktiert, vielmehr generieren wir einen Nährboden für den autonomen nachbarschaftlichen Dialog. Wie Spielregeln sichert das Regelwerk in 6 Punkten einige grundlegende Bedingungen für das erfolgreiche Zusammenspiel der Einzelteile. Die planerischen Eckpunkte der Gebäude werden eindeutig festgelegt, gleichzeitig bleiben aber Freiräume zur Gestaltung erhalten, welche eine Interpretation im Einzelfall nicht nur gewähren, sondern erfordern. Als Ausgangspunkt sind die Gesamtvolumen mit Mantellinien im Masterplan definiert. Zusammen mit der vorgegebenen Verteilung der öffentlichen Nutzungen bilden sie die Grunddisposition für das Quartier. Die weitere Bearbeitung der Baukörper erfolgt dann durch die jeweiligen Architektenteams mit dem individuell zugeteilten Raumprogramm und eigenen Entwurfsstrategien. Die Regeln formulieren dabei sowohl Einschränkungen als auch Freiheiten. Die Regeln beziehen sich auf alle wesentlichen Teile der architektonischen Konzeption. Dank der Gemeinsamkeiten auf den verschiedenen Ebenen der Gestaltung – sei es beispielsweise die Entwicklung der eigentlichen Gebäudeform, die Fassadengliederung oder die Anordnung der privaten Eingänge – erhalten die Gebäude den gewünschten städtischen Charakter und fügen sich über das Bild der Einzelgebäude zu einem Stadtteil zusammen. Diese Einheit in der Vielfalt bildet letztlich die Grundlage für Orientierung, Identifikation mit dem Ort und Wohlbefinden der Anwohner und damit für die Identität dieses neuen Quartiers. Wir setzen dazu auf eine dezentrale Steuerungsmethode, auf die Intelligenz der kleinsten Einheit des einzelnen Architekten. Dadurch ist maximale Qualität und Unabhängigkeit in der Planung ebenso garantiert wie die hochwertige UmEinleitung Häuser im Dialog 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 7 7 18.03.10 22:33 setzung der Gesamtstrategie, selbst bei langfristiger Realisierung des Bauprojekts. Jeder Architekt erarbeitet für die Gestaltung des eigenen Baukörpers aus den Grundlagen ein Konzept des Dialogs mit seiner direkten Umgebung. Volumetrische Einschnitte, Lage und Ausrichtung von Erdgeschossnutzungen und Eingangssituationen im Zusammenhang mit den Platz- und Gassensituationen und die Setzung der privaten Aussenräume werden ebenso aufeinander abgestimmt wie die Fragen von Fassadengliederung, Öffnungsverhalten und Materialität. Dialog: Partitur statt Baugesetz In einer gewachsenen Stadt fügen sich neue Bauwerke in die bestehende Struktur ein und stricken diese weiter zu einer neuen Dichte. Planer reagieren auf den Bestand und setzen sich mit dem Kontext auseinander. Im Fall des Projekts mehr als wohnen, wo diese Nachbarschaft bisher nur teilweise existiert, müssen andere Wege gefunden werden für diese Art der Auseinandersetzung mit dem Ort, dem Kontext. Gemeinsamkeiten in Ausdruck, Massstab und Struktur sind massgebende 8 Faktoren einer städtebaulichen Entwicklung jenseits der reinen Anhäufung von Einzelbaukörpern, wie sie in der Agglomeration typisch ist. Die Abstimmung der charaktergebenden Eigenschaften – wie sie beim Bauen im Bestand selbstverständlich ist – erfordert beim Neubau eines kleinen Stadtteils einen vertieften Dialog. Dabei handelt es sich ebenso um einen Dialog zwischen Personen wie um einen Dialog zwischen Häusern und Inhalten. Das Dialogprinzip ist in der Genossenschaftsbewegung keine neue Erfindung und kann faktisch als Grundabsicht einer gemeinnützigen Bauträgerschaft bezeichnet werden. Neuartig ist allerdings die Anwendung nicht nur innerhalb der Genossenschaft, sondern auch gegenüber Drittpersonen als Methode der Lösungsfindung in der Planung. Die öffentliche Hand, die Bauträgerschaft und die Planer entwickeln in diesem System die Themen und Programme gemeinsam. Die städtebaulichen Absichten werden im fortlaufenden Austausch koordiniert. Lösungen für scheinbar paradoxe Problemstellungen wie nachhaltige Stadtentwicklung werden, basierend auf der komplexen Auseinandersetzung der architektonischen Gestaltung mit Häuser im Dialog Einleitung 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 8 18.03.10 22:33 sozialen, technischen und finanziellen Rahmenbedingungen, erarbeitet. Das Dialogprinzip, welches schon in der Entwicklung des Projekts von mehr als wohnen und des komplexen Wettbewerbsverfahrens begründet wurde, wird nun auch auf die architektonische Umsetzung übertragen. Arbeitssitzung Architektenpaar intern Bauherrensitzung "Einzelgespräche" WORKSHOP, alle Phase Überarbeitung In der Konsequenz fasst das Regelwerk die stadträumlich relevanten Ziele in einer Art Absichtserklärung übergeordnet zusammen. Als harte Faktoren sind technische Randbedingungen vorgegeben, welche einzuhalten sind und die städtebauliche Strategie sichern. Gleichzeitig ist jeweils eine entwerferische 1. Einzelgespräch: 2. Einzelgespräch: PRÄSENTATION > Raumprogramm > Gebäudefigur > Konzept Gemeinsamkeiten a) Volumetrische Einschnitte b) Eingänge / Gegenüber EG > Grundrisstypologie > Wohnungsschlüssel > Konzept Gemeinsamkeiten c) Setzung priv. Aussenräume d) 3-teilige Fassadengliederung > Grundrisse, Schnitte m 1:200 > Wohnungen exemplarisch > Modell 1:200 mit Fassadenrelief > Wohnungsschlüssel aktuell > Konzept Gemeinsamkeiten a) Volumetrische Einschnitte b) Eingänge / Gegenüber EG c) Setzung der priv. Aussenräume d) 3-teilige Fassadengliederung 4 Häuser / Testphase: Januar Februar März DPX, FF pool MüSi Sik Phase Vorprojekt 3. Einzelgespräch: START VORPROJEKT + 10 Häuser: April Mai > Konzept Gemeinsamkeiten: d) 3-teilige Fassadengliederung e) Materialisierung 4. Einzelgespräch: Juni > Konzept Gemeinsamkeiten: e) Materialisierung d) Öffnungsverhalten Detail DPX, FF pool MüSi Sik Phase Vorprojekt /Bauprojekt Alle Häuser: Juli 5. Einzelgespräch: > Konzept Gemeinsamkeiten: d) Fensterformate, Geländer e) Farben August September DPX, FF pool MüSi Sik Schematisches Terminprogramm Entwurfsprozess Einleitung Häuser im Dialog 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 9 9 18.03.10 22:33 Absicht formuliert, welche Inhalte beschreibt, veranschaulicht und die Grundlage für eine freiere Interpretation bildet. Die architektonischen Mittel bei der konkreten Umsetzung sind frei, um der experimentellen Vielfalt Raum zu geben. und Gemeinschaft, welches wir uns sowohl für den Planungsprozess als auch für das künftige Alltagsleben auf dem Hunzikerareal wünschen. Arbeitsgemeinschaft Futurafrosch und Duplex Architekten, Zürich. Anstatt ein Farbkonzept und einen Katalog der zu verwendenden Materialien zu definieren, geben wir den Sitzungsrhythmus für bilaterale Arbeitsbesprechungen unter den Architekten vor. Der Terminplan der Zusammenarbeit liest sich denn auch wie eine Partitur. Nebst der nachbarschaftlichen Auseinandersetzung mit dem direkten Gegenüber auf den verschiedenen Seiten sind in diesem System zu jedem Zeitpunkt auch die übergeordneten Interessen auszutauschen und zu wahren. Zwischen den städtebaulichen Nachbarn entstehen Geschwister und Zwillinge, Verwandtschaften und Wahlverwandtschaften bei gleichzeitiger Selbständigkeit der einzelnen Teile. Die autonome Selbststeuerung ist ein Wagnis ins Ungewisse, gleichzeitig ist das dazu notwendige gegenseitige Vertrauen die wichtigste Vorraussetzung für das angestrebte Gleichgewicht von Individualität 10 Häuser im Dialog Einleitung 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 10 18.03.10 22:33 Einleitung Häuser im Dialog 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 11 11 18.03.10 22:33 Regelwerk Ergänzend zum kantonalen PBG und der kommunalen BZO gelten folgende Regeln: 1. Mantellinie Die dreidimensionale Mantellinie definiert im Masterplan das maximale Gebäudevolumen. Die Mantellinie muss grundsätzlich bebaut werden. Einzelne vorspringende Gebäudeteile wie Erker und Balkone dürfen die Mantellinie punktuell überschreiten, solange die kubische Wirkung erhalten bleibt. 2. Subtraktionsprinzip Die ausserordentliche Gebäudetiefe von bis zu 32 m erfordert zusätzliche Massnahmen, um eine optimale Belichtung der Wohnungen zu gewährleisten. Daher beinhaltet die 12 vorgeschlagene Mantelvolumetrie etwa 12% «Luft», welche in der Ausarbeitung der einzelnen Häuser nach freien Gestaltungsprinzipien subtrahiert werden kann. Hof- und Fassadeneinschnitte sind möglich, soweit die Mantelhüllfläche auf jeder Fassadenseite überwiegend besetzt bleibt. Die gebaute Masse soll in ihrer Primärvolumetrie jedoch weiterhin lesbar bleiben. 3. Fassadengliederung Für das übergeordnete Zusammenspiel der Einzelbauten und der gemeinsamen Massstäblichkeit ist im Ausdruck auf eine dreiteilige Gebäudestruktur zu achten. Die architektonischen Mittel zur erkennbaren Ausbildung eines Sockelbereichs und eines Dachabschlusses sind frei. Häuser im Dialog Regelwerk 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 12 18.03.10 22:33 4. Nutzungsverteilung Die Zuweisung der Nutzungen im Erdgeschoss ist für den Charakter der städtebaulichen Orte massgebend und deshalb verbindlich. Gemeinschaftliche und publikumsorientierte Nutzungen lagern sich um die Plätze an. Wohnnutzungen erhalten die notwendige Privatheit durch die abgewandte Lage und die Anordnung im Hochparterre. Die Eingänge zu den Wohnungen sind in der Folge an den platzabgewandten Strassenseiten und Engstellen anzuordnen. Dadurch werden wiedererkennbare Strassenzüge gebildet, welche aus den Eingängen der Häuser identifizierbare Adressen machen. Durch die dicken Volumen hat ein Haus in der Regel mehrere Adressen. 6. Akzente 5. Adressen Die den Plätzen zugeordneten Fassaden sollen weitgehend für gemeinschaftliche Nutzungen freigespielt werden. Der zentrale Platz ist die städtebauliche Mitte. Die dem Platz zugewandten Fassaden unterstützen seine Akzentuierung und unterscheiden sich von den abgewandten Fassaden durch ihren repräsentativen Charakter. Regelwerk Häuser im Dialog 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 13 13 18.03.10 22:33 1. Mantellinie Die Regel Die dreidimensionale Mantellinie definiert im Masterplan das maximale Gebäudevolumen. Die dreidimensionale Mantellinie muss grundsätzlich bebaut werden, zumindest im Sockelgeschoss ist sie scharf einzuhalten. Einzelne vorspringende Gebäudeteile wie Erker und Balkone dürfen die Mantellinie punktuell überschreiten, das Volumen soll jedoch als Einheit erkennbar bleiben. Die äusseren Abmessungen und die Geometrien der Einzelhäuser sind im Masterplan definiert und stehen in direkter Abhängigkeit zu den jeweiligen Nachbargebäuden. Die gestaffelten Gebäudehöhen sichern die schrittweise geringere Dichte zum Park hin. Die Geschosshöhen sind einheitlich festgelegt. Das Erdgeschoss hat eine Höhe von 4m, die Normalgeschosse sind 2.9m und der Dachrand 70cm hoch. +22.1m +19.2m +19.2m +19.2m +22.1m +16.3m +22.1m +16.3m +22.1m +19.2m +16.3m +19.2m +16.3m +13.4m 14 Häuser im Dialog Regelwerk 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 14 18.03.10 22:33 Jean Nouvel «Der Monolith» Murten, 2002 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 15 18.03.10 22:33 1. Mantellinie Die Absicht «Mein Haus», sagt Georges Spyridaki, «ist durchscheinend, aber nicht aus Glas. Eher wäre es aus einer Art Rauch. Seine Wände verdichten und verdünnen sich nach meinem Wunsch. Manchmal ziehe ich sie eng um mich zusammen wie einen Isolierungspanzer. (..) aber manchmal lass ich die Wände meines Hauses sich entfalten in ihrem eigenen Raum, welcher die unendliche Ausdehnung ist.» Gaston Bachelard, Poetik des Raumes, 1958. 16 Häuser im Dialog Regelwerk 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 16 18.03.10 22:33 Erwin Wurm «Palmers» 1997 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 17 18.03.10 22:33 2. Subtraktionsprinzip Die Regel Die ausserordentliche Gebäudetiefe von bis zu 32 m erfordert zusätzliche Massnahmen, um eine optimale Belichtung der Wohnungen, zu gewährleisten. Zur Sicherung der Qualität nach innen, für die Wohnräume und nach aussen, für die städtischen Zwischenräume, kann deswegen – in direkter Auseinandersetzung mit den Nachbarn – das Bauvolumen bearbeitet werden. Die vorgegebene Mantelvolumetrie beinhaltet dazu etwa 12% «Luft», welche in der Ausarbeitung der einzelnen Häuser nach freien Gestaltungsprinzipien subtrahiert werden kann. Somit sind Hof- und Fassadeneinschnitte möglich, wobei die Mantelhüllfläche auf jeder Fassadenseite überwiegend besetzt bleiben soll. Damit die gebaute Masse in ihrer Primärvolumetrie weiterhin lesbar bleibt, ist das Sockelgeschoss von dieser Regel ausgenommen. Die durch diese Massnahmen geformten Bauvolumen ermöglichen auf der Ebene des Städtebaus attraktive Aussenräume und vertiefen den individuellen Charakter der einzelnen Gebäude. 18 Häuser im Dialog Regelwerk 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 18 18.03.10 22:33 Sergej Hein «Berlin Block Tetris» Video still, 2009 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 19 18.03.10 22:33 2. Subtraktionsprinzip Die Absicht Ach ja, wenn ich es nur ertragen könnte, alleine zu sein, ich meine, vor mich hin zu quasseln, ohne dass mich eine Menschenseele hört. Pause. Nicht dass ich mir einbilde, du hörst viel, nein, Willie, Gott bewahre. Pause. Es gibt vielleicht Tage, an denen du gar nichts hörst. Pause. Aber auch Tage, an denen du antwortest. Pause. So dass ich mir jederzeit sagen kann, selbst wenn du nicht antwortest und vielleicht nichts hörst, Winnie, etwas davon wird gehört, ich rede nicht nur zu mir selbst, das heisst in die Wüste, was mir immer unerträglich war - auf die Dauer. Pause. Das eben ermöglicht mir weiterzumachen, das heisst, weiterzureden. Pause. Wenn du hingegen sterben solltest - Lächeln - um im alten Stil zu reden - Lächeln verschwindet - oder weggingst und mich allein liessest, was würde ich dann tun, was könnte ich tun, den lieben langen Tag, ich meine, zwischen dem Klingeln zum Wecken und dem Klingeln zum Schlaf? Pause. Nur mit zusammengepressten Lippen vor mich hinstarren. Lange Pause, während der sie es tut. Sie zupft nicht mehr. Kein Wort mehr, so lange ich noch Atem holte, nichts, das die Stille dieses Ortes störte. Pause. Ausgenommen vielleicht, hin und wieder, 20 immer wieder, einen Seufzer in meinen Spiegel. Pause. Oder einen kurzen... Lacher, falls der alte Witz mir nochmal einfallen sollte. Pause. Sie lächelt. Lächeln wird immer breiter und scheint jeden Moment in ein Lachen zu münden, als plötzlich ein Ausdruck der Angst an seine Stelle tritt: Mein Haar! Pause. Habe ich mein Haar gebürstet und gekämmt? Pause. Ich hab‘ es vielleicht getan. Pause. Normalerweise tue ich es. Pause. {...} Was würdest du sagen, Willie? Pause. Dreht sich ein wenig weiter zu ihm: Was würdest du sagen, wenn du von deinem Kopf sprächest, es oder sie? Pause. Von deinem Kopf, meine ich. Pause. Dreht sich noch ein wenig weiter zu ihm: Von deinem Kopf Willie, was würdest du sagen, wenn du von deinem Kopf sprächest, es oder sie? Lange Pause. Willie: Ihn Winnie: wendet sich wieder nach vorn. Erfreut: Oh, du wirst heute mit mir sprechen, es wird ein glücklicher Tag werden! Pause. Freude verschwindet. Wieder ein glücklicher Tag. Pause. Samuel Beckett, Glückliche Tage, 1975. Häuser im Dialog Regelwerk 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 20 18.03.10 22:33 «Tango Encuentro» Theatre de Poche Mai 2005 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 21 18.03.10 22:33 3. Fassadengliederung Die Regel Für das übergeordnete Zusammenspiel der Einzelbauten und der gemeinsamen Massstäblichkeit ist im Ausdruck auf eine dreiteilige Fassadengliederung zu achten. Die Ausbildung eines Sockels, einer Hauptfassade und eines Dachbereichs ist projektspezifisch und kann mittels der jeweils eigenen architektonischen Mittel erfolgen. Trotz allenfalls unterschiedlichem Höhenverlauf und individuellem Ausdruck, entsteht durch diese gestalterische Gemeinsamkeit ein Bezug zwischen den Gebäuden, welcher aus Einzelhäusern ein Quartier bildet. Die traditionelle Gliederung der Fassaden mit einem verstärkten Bezug zum Boden und einer ausformulierten Begrenzung in der Höhe, gibt den Neubauten den notwendigen Halt und stärkt den urbanen Ausdruck des neuen Stadtteils auf dem Hunzikerareal. 22 Häuser im Dialog Regelwerk 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 22 18.03.10 22:33 Meili, Peter Architekten, Staufer & Hasler Architekten «Kino Riffraff» Zürich, 1997/98 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 23 18.03.10 22:33 3. Fassadengliederung Die Absicht «Zeitgenössischer Städtebau entsteht also aus der Reibung zwischen der Idee einer neuen Stadt und der Substanz der alten. Das macht ihn nicht nur komplexer, sondern auch ehrgeiziger: denn die Idee muss ausreichend stark sein, sich in der Auseinandersetzung mit dem Vorhandenen zu behaupten, zugleich aber auch bescheiden genug, das Vorhandene zu respektieren.» «Die Stadt machen nicht die grossen und eindrucksvollen Monumente aus, die auf den Werbebroschüren und auf den Postkarten abgebildet werden, sondern die vielen einzelnen Viertel mit ihrem Kontinuum von Wohnhäusern, die alles andere sind als im ursprünglichen Sinn merkwürdig. Im Gegenteil deklinieren sie facettenartig jene Normalität, auf welcher die Lebensfähigkeit und Lebensqualität einer Stadt viel eher gründet als auf den Höhepunkten ihrer Sehenswürdigkeiten. Es ist die Normalität des Einfachen, nicht des Banalen; des Gewöhnlichen, nicht des Üblichen; des Originalen, nicht des Originellen.» V. M. Lampugnani, Verhaltene Geschwindigkeit, 2002. 24 Häuser im Dialog Regelwerk 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 24 18.03.10 22:33 Marcel Duchamp «Bicycle Wheel» Paris, 1913 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 25 18.03.10 22:33 4. Nutzungsverteilung Die Regel Die mehrseitige Orientierung der Parzelle mit einer Stadtseite und einer Parkseite prägt die Funktionen der verschiedenen Orte innerhalb der neuen Bebauung und damit auch den architektonischen Ausdruck. Inbesondere im Bereich des Erdgeschosses ist die Zuweisung der Nutzungen auf die Einzelgebäude für den Charakter der städtebaulichen Orte massgebend und deshalb verbindlich. Bodennahe Wohnnutzungen erhalten die notwendige Privatheit in erster Linie durch die abgewandte Lage an der Parkseite. Weil die allgemeine Grünfläche gleichzeitig von Fassade zu Fassade reicht, sind die Wohnungen leicht erhöht zum Boden, ausschliesslich im Hochparterre anzuordnen. Gemeinschaftliche und publikumsorientierte Nutzungen befinden sich im überhohen Erdgeschoss und lagern sich um die Plätze an. Laden Atelier Laden Mobilitätsstation Öffentlich Laden Restaurant Atelier Gewerbe Privat Gewerbe Bibliothek Atelier 26 Laden Laden Gewerbe Atelier Kita Stadt Land Atelier Restaurant Gewerbe Häuser im Dialog Regelwerk 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 26 18.03.10 22:33 Philipp Hegnauer «Der Friseur» Chandigarh, 2009 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 27 18.03.10 22:33 4. Nutzungsverteilung Die Absicht Mr. Utterson stepped out and touched him on the shoulder as he passed. «Mr. Hyde, I think?» Mr. Hyde shrank back with a hissing instake of the breath. But his fear was only momentary; and though he did not look the lawyer in the face, he answered coolly enough: „That is my name. What do you want?» Mr. Hyde appeared to hesitate; and then, as if upon some sudden reflection, fronted about with an air of defiance; and the pair stared at each other pretty fixedly for a few seconds. «Now I shall know you again,» said Mr. Utterson. «It may be useful.» ... Robert Louis Stevenson, «The Strange Case of Dr. Jekyll an Mr. Hyde» , 1886. «I see you are going in,» returned the lawyer. «I am an old friend of Dr. Jekyll‘s - Mr. Utterson, of Gaunt Street - you must have heard my name; and meeting you so conveniently, I tought you might admit me.» «You will not find Dr. Jekyll; he is from home,» replied Mr. Hyde, blowing the key. And then suddenly, but without lookin ug, «How did you know me?» he asked. «On your side,» said Mr. Utterson, «will you do me a favour?» «With pleasure,» replied the other. «What shall it be?» «Will you let me see your face?» asked the lawyer. 28 Häuser im Dialog Regelwerk 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 28 18.03.10 22:33 Schloss Schönbrunn «Janus und Bellona» um 1780 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 29 18.03.10 22:36 5. Adressen Die Regel Die Eingänge zu den Wohnungen sind generell an den platzabgewandten Strassenseiten und in den Engstellen anzuordnen. Die privateren Zwischenräume, welche sich innerhalb des Quartiers in erster Linie als Erschliessung und nicht als Aufenthaltsorte eignen, bieten die notwendige Intimität für die Hauseingänge. Es werden wiedererkennbare Strassenzüge gebildet, welche aus den Eingängen der Häuser identifizierbare Adressen machen. Die den Plätzen zugeordneten Fassaden sollen den publikumsorientierten Charakter stärken. Sie 30 Häuser im Dialog Regelwerk 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 30 werden weitgehend für gemeinschaftliche Nutzungen freigespielt. Das Raumprogramm zeichnet sich ab in den Fassaden und steigert den Grad an Öffentlichkeit. Durch die dicken Volumen hat ein Haus in der Regel mehrere Adressen. Je nach Organisation der inneren Erschliessung der Gebäude entsteht eine Durchlässigkeit, welche für ortskundige Bewohnerinnen und Bewohner direkte Verbindungen von Platz zu Platz, von Ort zu Ort ermöglichen. Orte der Fassaden Orte der Adressen 18.03.10 22:36 Susanne Völlm «Lochergut» Zürich, 2004 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 31 18.03.10 22:36 5. Adressen Die Absicht 1. Wenn Sie sich in der Fremde aufhalten und Landsleute treffen: befällt Sie dann Heimweh oder dann gerade nicht? 2. Hat Heimat für Sie eine Flagge? 3. Worauf könnten Sie eher verzichten: a. auf Heimat? b. auf Vaterland? c. auf die Fremde? 4. Was bezeichnen Sie als Heimat: d. Erinnerungen an die Kindheit? 7. Haben Sie schon Auswanderung erwogen? 8. Welche Speisen essen Sie aus Heimweh (z.B. die deutschen Urlauber auf den Kanarischen Inseln lassen sich täglich das Sauerkraut mit dem Flugzeug nachschicken) und fühlen Sie sich dadurch in der Welt geborgener? Max Frisch, Fragebogen, 1972. a. ein Dorf? b. eine Stadt oder ein Quartier darin? c. einen Sprachraum? d. einen Erdteil? e. eine Wohnung? 5. Gesetzt den Fall, Sie wären in der Heimat verhasst: könnten Sie deswegen bestreiten, dass es Ihre Heimat ist? 6. Was lieben Sie an Ihrer Heimat besonders: a. die Landschaft? b. das Brauchtum? c. dass Sie dort ohne Fremdsprache auskommen? 32 Häuser im Dialog Regelwerk 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 32 18.03.10 22:36 Strandkrebse «Rückzugslöcher» Strand von Ganpadipule, 2009 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 33 18.03.10 22:36 6. Akzente Die Regel Für die angestrebte Qualität des Projekts Hunziker-Areal sind die Aussenräume ebenso wichtig wie die Gebäude. Die Bauvolumen finden in den Leerstellen der Plätze ihre direkte Korrespondenz. Jeder Platz zeichnet sich aus durch eigene Funktionen und einen eigenen Charakter. Im Sinne einer Umkehrung der Betrachtungsweisen, ist der Gestaltung der Platzfassaden besonderes Gewicht beizumessen. Der effiziente Einsatz der zur Verfügung stehenden Mittel erfordert klare Prioritäten und Akzente an strategischen Stellen. 34 Der zentrale Platz bildet dabei die städtebauliche Mitte. Der Hauptplatz soll in seinem Wesen gestärkt werden. Die dem Platz zugewandten Fassaden unterstützen seine Akzentuierung durch ihren besonders repräsentativen Charakter und setzen sich damit von den abgewandten Fassaden ab. Häuser im Dialog Regelwerk 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 34 18.03.10 22:36 Peter Märkli Architekt «Wohn- und Geschäftshaus» Zürich, 2007 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 35 18.03.10 22:37 6. Akzente Die Absicht Us emene lääre Gygechaschte Ziet er sys Inschtrument Und dr Chaschte verschwindet. Und er spilt ohni Boge Es Lied ohni Wort Und er treit en Zilinder Doch drunder ke Chopf Und ke Hals und ke Lyb Keni Arme no Bei Das het er alles verlore im Chrieg. Und so blybt no sys Lied Nume das isch no da Denn ou e Zilinder Het er nie kene gha. Mani Matter, 1969. 36 Häuser im Dialog Regelwerk 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 36 18.03.10 22:37 Rachel Whiteread «House» 1993 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 37 18.03.10 22:37 38 Häuser im Dialog Dossier 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 38 18.03.10 22:35 «Housing Associations» Lose Spekulationen über Identität, Strasse und Wohnraum. Hannes Mayer Im Unterschied zum Einfamilienhaus stossen akkumulierte Wohnformen, sei es in Form von Blöcken, Riegeln, Türmen oder auch Clustern, häufig auf Skepsis. Gleichzeitig erleben die Städte durch ein Gemisch aus Ökonomie und Ökologie eine Renaissance. Die Gartenstadt und Siedlung nach anglo-amerikanischem Vorbild verliert mit dem Niedergang des Autos als verklärtes Ideal individueller Freiheit an Bedeutung. An ihre Stelle treten Ideen von urbanem Vokabular, die jedoch bestehende Ansprüche in der Bevölkerung nicht ignorieren können. Ein vielversprechendes Mittel scheint das Quartier. Im Gegensatz zur Autonomie des Einfamilienhauses in Suburbia schwingt beim Quartier das Zwischenmenschliche, die menschliche Begegnung und ein örtliches Zugehörigkeitsgefühl mit. Zumeist ist das Quartier geografisch nicht einmal genau zu definieren, es ist ebenfalls menschliche Ermessenssache. Somit zeichnet sich das Quartier beinahe zwingend durch eine erkennbare oder fühlbare Identität aus und gruppiert unter diesem Mantel seine Bewohner - mehr als funktionalistische Schlafstadt muss es sein. Doch die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist über weite Strecken eine Entwicklung in umgekehrter Richtung gewesen. Diese Entwicklung ist am Beispiel England und insbesondere London gut nachvollziehbar. London erlebte seinen Bevölkerungsrekord zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Insbesondere das East End mit seinen endlosen Reihen von kleinen viktorianischen Häuschen mit rückwärtigen Gärten galt als Moloch, als Nest für Kriminalität, Amoral und Krankheiten und wurde nicht selten verkörpert durch das Bild von Jack the Ripper in Bethnal Green. Zweifelsohne waren die Zustände erbärmlich, doch zeichnete sich eben das East End auch durch für Aussenstehende schwer zugängliche, jedoch für die Bewohner essentielle Quartiere in Form von so- Terraced Houses in East End, London Dossier Häuser im Dialog 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 39 39 18.03.10 22:35 zialen Netzwerken aus. Der Umgang mit Wohnen im East End zeigt paradigmatisch die Herausforderungen für den Massenwohnungsbau auf, gibt Beispiel für Ideale, für Scheitern und Erfolge. Le Corbusier sprach im Hinblick auf die Zustände vom Boden als «Tuberkulose-Spender»1 und begründete damit seine mittels Piloti vom Grund entbundenen, schwebenden Bauten. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, und angesichts der damaligen Zustände nachvollziehbar, war das Bauen der klassischen Moderne auf Hygiene und Sauberkeit ausgerichtet. In England entwickelte sich dabei in Reaktion zu Corbusiers Unité d’Habitation das Konzept der «Streets in the Sky», welches auf Alison und Peter Smithson zurückgeht. Laubengänge werden auf mehrere Meter erweitert und er- A.&P.Smithson, Robin Hood Gardens. 40 schliessen zumeist zweigeschossige Wohnungen nach Oben und Unten. Dahinter stand das Konzept, durch den direkten Zugang zu den Wohnungen und über die «Strasse im Himmel», den von dunklen Korridoren gekennzeichneten Massenwohnungsbau aufzulösen. Die Strassen werden zum Zeichen des positiv besetzten öffentlichen Raums, von dem aus, die einzelnen gestapelten «Häuschen» erschlossen werden. Konsequenterweise wurden eben diese Konzepte als Ersatz für die im grossen Massstab abgerissenen Slum-Quartiere verwandt. Beispiele dafür sind solch bekannte Projekte wie Robin Hood Gardens von Alison and Peter Smithson (1972), Balfron (1965) und Trellick Tower (1972) von Ernö Goldfinger oder auch Siedlungen wie Aylesbury (1963-77) in Süd-London oder Park Hill in Sheffield (1961). Trotz ihrer Gesamtdimensionen waren die Planungen durchaus getragen von einem positiven Menschenbild, einer friedlichen, spielfreudigen Gesellschaft - doch billige und konstruktiv schlechte Ausführung sowie eine problematische Belegungspolitik ohne soziale Durchmischung in ebenso problematischer Lage konterkarierten die Konzep- Häuser im Dialog Dossier 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 40 18.03.10 22:35 te. Die Dramen, welche sich auf der Strasse abspielten und vor denen man sich in das Haus zurückzog, setzten sich in der Himmelsstrasse fort und waren damit im Haus. Die Verknüpfung von Kriminalität und Gebäude entwertete die Bauten in der Allgemeinwahrnehmung beträchtlich und manche waren alsbald berüchtigt. Die anhaltende Diskussion um den Abriss des Robin Hood Gardens Estate zeigt, dass innovative und von gutem Geist und Willen der Architekten entwickelte Projekte nicht zwingenderweise erfolgreich sein müssen. Massenwohnungsbau in seiner engen Verflechtung mit der Gesellschaft und ihrem Aufbau, mit seiner Abhängigkeit von Politik und staatlicher Förderung, kann eben auch nur bei gutem Willen aller Beteiligten langfristig erfolgreich sein. E. Goldfinger Trellik Tower. E. Goldfinger Balfron Tower. Dennoch, die Keule der polemischen Kritik «man würde Pinkelecken entwerfen», welche im Architekturstudium in Deutschland oder der Schweiz jegliche Abweichung von gefassten Blöcken und Blockrand trifft, scheint allzu pessimistisch. In beinahe wissenschaftlicher Form wird dies an Hand des Balfron und Trellick Tower von Dossier Häuser im Dialog 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 41 41 18.03.10 22:35 Goldfinger veranschaulicht und macht Mut, an das architektonische Experiment zu glauben. War der Trellick Tower in den Siebziger- und Achtzigerjahren mit einem derart schlechten Image behaftet, dass sich selbst Sozialwohnungsberechtigte weigerten, dorthin zu ziehen, muss heute auf dem freien Markt bis zu 250’000 Pfund für eine 50 Quadratmeter grosse Wohnung bezahlt werden. Die Bausubstanz ist durchaus gut, die Lage in London Pimlico heute exzellent, die Wohnungen zwar zumeist klein, aber ausserordentlich hell und mit grandioser Aussicht gesegnet. Zudem kamen dem Bauwerk durch den besonderen GradeII* Denkmalschutz hochwertige Sanierungen zu Gute. Auch der Vorgängerbau, der Balfron Tower in Poplar, in unmittelbarer Nachbarschaft von Robin Hood Gardens, erfreut sich trotz seiner nach wie vor tristen Umgebung zunehmender Beliebtheit. Auch hier ist die Bausubstanz gut und das Gebäude denkmalgeschützt. Architekt Ernö Goldfinger lebte selbst einige Monate in einer Wohnung seines Gebäudes, schmiss Partys für die Bewohner, um Rückmeldung über die Wohnqualität zu erhalten, und übertrug die Erfahrungen auf den Trellick Tower. Aus dieser kontinu42 ierlichen Observation von Wohnalltag im eigenen Werk sind Bauten entstanden, die durch die Verknüpfung von architektonischer Raumund Bauqualität, durch das Zusammenbringen von Kreativität, Theorie und Alltag Krisen überstehen, heute wieder den Ansprüchen entsprechen und damit Ausdruck einer langfristigen Nachhaltigkeit sind. Die «gestapelten» Einfamilienhäuser, wie sie insbesondere in Grossbritannien, aber auch in Holland entwickelt wurden, entspringen einer Tradition des «my home is my castle», welche dem Mietwohnungsbau in Mitteleuropa gegenübersteht. Dieser ist überwiegend gekennzeichnet von Geschosswohnungen, MvRdV, Silodam. Foto: P. Gmür Häuser im Dialog Dossier 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 42 18.03.10 22:35 zumeist über innenliegende Zonen erschlossen sind. Gegenüber dem Individualismus und dem Recht auf Haus und Eigentum steht hier eine Grundannahme des sozialen Wesens. Nicht das Haus ist der Ausgangspunkt, sondern Wohnungsbau als eigene Gattung. Doch auch in Mitteleuropa hat sich durch den Wohlstand der Hang zum eigenen Haus bestätigt und damit einhergehend stieg die Wohnfläche pro Person stetig an. In der Schweiz lag sie im Jahr 2000 bereits bei 44 Quadratmetern2. Die Individualität hat sich als Sozialprinzip durchgesetzt und gesellschaftliche Rahmen- und Regelwerke, welche sich insbesondere im Wohnungsbau von Vorteil erweisen (Ruhezeiten und Lautstärke, Dienste, Pflichten etc.), haben ihre grundsätzliche Akzeptanz eingebüsst. Das stellt die Frage, wie das Zusammenleben heute und in der Zukunft organisiert sein muss, beziehungsweise wo und inwieweit Zusammenleben überhaupt möglich ist. Wenn Wohnungsbau nach Toleranz- und Rücksichtsvermögen der einzelnen Bewohner verlangt, so ist die Vermeidung der Toleranzgrenze die grosse Herausforderung für den Entwurf der Wohnungsorganisation und des Gesamtgefüges. Je diverser die Zusammensetzung der Bewohner, und dies wird in der Regel angestrebt, desto wichtiger wird die Ausformulierung der Pufferzonen, wird das Verhältnis von Rückzugsort und Gemeinschaftsräumen. Ein wichtiges Argument für das genossenschaftliche Wohnen sind die Vorteile, welche aus dem «gemeinsamen Leben» geschöpft werden können, die besonderen verfügbaren Möglichkeiten durch die Mitbenutzung von gemeinsamen, für das Wohnen ungewöhnlichen Räumen, Ateliers und Gästewohnungen. Während sich in der digitalen Welt das «sharing» und «cycling» bereits grösster Beliebtheit erfreut, steht dem «sharing» auf physischer und räumlicher Ebene der Durchbruch oder die Rückkehr noch bevor. Es geht also um den Möglichkeitsraum und nicht allein um die Wohnungsversorgung. Gemeinschaft zu planen, ein Quartier zu planen, das nicht nur dem Namen nach eins ist, ist des Architekten Traum und doch zum Dasein einer Utopie verdammt. Die Entwicklung eines Viertels, einer Planung wird immer einen Prozess darstellen, Ernst Bloch würde sagen, Dossier Häuser im Dialog 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 43 43 18.03.10 22:35 das Gärende kommt hinzu3. Um den Prozess des Wohnens zu antizipieren, wurde für mehr als wohnen die Planung zur Strategie, der Entwurf selbst zum Prozess. Das Gemeinschaftliche soll sich schon in der Konzeption niederschlagen, die Fähigkeit zur Toleranz nicht nur bei den Bewohnern, sondern auch bei den Architekten unter Beweis stellen. Die gemeinsame Leistung in der Kunst findet sich vor allem in der Musik. Sie ist seit Jahrhunderten gekennzeichnet, gesteuert und überliefert durch Partituren und Regelwerke. Einsätze, Art, Geschwindigkeit und Lautstärke regeln die Dominanz einzelner Elemente im Gesamtraum und stellen Verhältnisse her. Auch hier führte die Moderne zur Auflösung der vollständigen Notation, und es entwickelten sich Systeme, die den individuellen Möglichkeitsraum dem Diktat vorziehen. John Zorn, ein schwer einzuordnender Musiker aus New York, schrieb seine musikalischen Themen auf Karteikarten und händigte diese an die Musiker zur freien Interpretation aus. Seine Worte lassen sich auf den architektonischen Planungsprozess übertragen, vor dem alle Beteiligten an mehr als wohnen stehen. 44 Es sind Glückwünsche für das Gelingen eines ambitionierten Vorhabens: «I‘m not going to sit in some ivory tower and pass my scores down to the players. I have to be there with them, and that‘s why I started playing saxophone, so that I could meet musicians. I still feel that I have to earn a player‘s trust before they can play my music. At the end of the day, I want players to say: this was fun it was a lot of fucking work, and it‘s one of the hardest things I‘ve ever done, but it was worth the effort.»4 Hannes Mayer (geboren 1981 in Stuttgart) ist Architekt und seit 2009 Redaktor der archithese. Er studierte Architektur in Cottbus, Eindhoven und London, wo er 2007 M-A-O / architecture and optimism gründete. 1 Le Corbusier: The Radiant City, New York 1967 (first English Edition / Erstpublikation als La ville radieuse 1933) 2 Bundesamt für Statistik auf Basis der Eidgenössischen Volkszählung. 3 Ernst Bloch, Neuzeitliche Philosophie II: Deutscher Idealismus, Die Philosophie des 19. Jahrhunderts – Leipziger Vorlesungen zur Geschichte der Philosophie, Band 4, Frankfurt 1985 4 In: Shuffle and cut, Interview between Tom Service and John Zorn, in The Guardian, 07.03.2003 Häuser im Dialog Dossier 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 44 18.03.10 22:35 Zürich und der gemeinnützige Wohnungsbau Daniel Kurz Ursula Müller Seit 1907 fördert die Stadt Zürich den gemeinnützigen Wohnungsbau durch wirksame Finanzhilfen und eine aktive Bodenpolitik. Damit ermöglichte sie in einer Zeit grassierender Wohnungsnot den Durchbruch für den genossenschaftlichen Wohnungsbau, der zusammen mit den kommunalen Wohnsiedlungen heute rund 25 Prozent des Stadtzürcher Wohnungsangebots stellt und zum sozialen Ausgleich in der Stadt wesentlich beiträgt. Zum hundertjährigen Jubiläum dieser erfolgreichen Zusammenarbeit wurde die baugenossenschaft mehr als wohnen gegründet, die für die Zukunft des Wohnens und der Stadtentwicklung neue Perspektiven eröffnet. Gemeinnütziger Wohnungsbau war in Zürich nie mit dem tristen Sozialwohnungsbau europäischen Zuschnitts zu vergleichen. Er wird von einer grossen Zahl relativ kleiner und demokratisch verfasster Baugenossenschaften getragen, die für Menschen mit kleinem oder mittlerem Einkommen nicht nur billige, sondern bessere Wohnungen anbieten wollen, als sie der Markt bereithält. Seit den 1920er Jahren wirkten die städtische Bodenpolitik, die Stadtplanung und die Baugenossenschaften eng zusammen und liessen in Wollishofen und im Friesenberg, im Letten und im Sihlfeld Wohnquartiere eigenen Typs entstehen. Wegleitend war das Ideal der Gartenstadt, das einen Ausgleich zwischen Stadt und Land versprach und sich von der unruhigen, lärmerfüllten und als ungesund erkannten Stadt des 19. Jahrhunderts absetzte. Statt düsteren und überfüllten Wohnungen, statt rauchigen Hinterhöfen und mangelhafter Hygiene wollten die Genossenschaften möglichst helle Wohnungen in grüner Umgebung; im Streben nach Licht, Luft und Sonne verzichteten sie auf die höchstmögliche Ausnützung der Grundstücke, und mit Farbe und künstlerischem Schmuck unterstrichen sie ihren kulturellen Anspruch. Die Idee der Gleichberechtigung und der sozialen Integration kam in einer grosszügigen und einheitlichen Architektur der Kolonien zum Ausdruck. In der Baugenossenschaft fanden Arbeiterfamilien erstmals ein eigenes Bad, Zentralheizung und die Privatsphäre einer Familienwohnung ohne störende Untermieter. Diese Ideale prägten den genossenschaftlichen Wohnungsbau im 20. Jahrhundert. Dossier Häuser im Dialog 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 45 45 18.03.10 22:35 Während vieler Jahrzehnte orientierten sich die Baugenossenschaften an einem klar umrissenen, einheitlichen Zielpublikum: Klassische Schweizer Kleinfamilien mit alleinverdiendem Vater, Hausfrau und zwei bis drei Kindern. Später stellte das Alterswohnen besondere Anforderungen, und seit den 1960er Jahren ist die Integration fremdsprachiger Mitglieder ein Thema der Genossenschaftsdemokratie geworden. In der postindustriellen Gesellschaft mit ihrer Vielfalt von Lebensentwürfen, Lebensphasen und Orientierungen hat dieses einheitliche Familien- und Bewohnerbild breitere Risse bekommen. Singlesund Paarhaushalte sind heute sehr viel zahlreicher als die klassischen Familien. Und die klassische Innenstadt mit ihrer Dichte und der typischen Verbindung von Wohnen und Arbeiten erlebte seit den 1970er Jahren eine Renaissance. Wer heute die Stadt verbessern will, orientiert sich nicht mehr primär am ordnenden Geist der Gartenstadt, sondern an der Diversität des Grossstadtlebens. Damit rücken neue Wohnformen und Wohnbedürfnisse ins Blickfeld, neue Formen der Gemeinschaft und des sozialen Austauschs. Gefragt ist eine Stadt der kurzen Wege und ein 46 städtischer Raum, der auf kleinem Raum Qualitäten bietet. Die StadtplanerInnen im Amt für Städtebau haben in den vergangenen beiden Jahrzenten versucht, in den Entwicklungsgebieten der Stadt solche Diversität zu ermöglichen. Freiflächen ordnen den öffentlichen Raum, schaffen Vernetzungsmöglichkeiten und ermöglichen das Nebeneinander von Wohnen und kommerziellen Nutzungen. Die Grösse der Areale und Baufelder macht dies zu einer schwierigen Aufgabe, denn es gilt, entgegen den reinen Marktgesetzen, in den grossen Bauprojekten eine lebhafte und harmonische Mischung der Nutzungen möglich zu machen. Das Engagement der Investoren ist dabei unverzichtbar. Die baugenossenschaft mehr als wohnen ist im Entwicklungsgebiet Leutschenbach ein wichtiger Akteur, der besondere städtische Qualität garantiert. Denn sie betrachtet ihr Baufeld nicht als ein Areal, sondern als Stadtquartier im Kleinen, das mit seiner Umgebung in einem lebendigen Austausch steht. Wenn Baugenossenschaften auf städtischem Land neue Wohnsiedlungen planen, sind Architekturwettbewerbe zwingend. Aber auch Häuser im Dialog Dossier 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 46 18.03.10 22:35 auf ihrem eigenen Land entwickeln die Genossenschaften neue Projekte fast immer auf diesem Weg. Das Amt für Hochbauten organisiert und begleitet diese Verfahren für die Stadt Zürich und oft auch im Auftrag der Genossenschaften. Da in den letzten 10 Jahren sehr viel geplant und neu gebaut wurde, hatten Wohnbau-Wettbewerbe einen entscheidenden Stellenwert für die Entwicklung der Stadt und ihrer Quartiere. Die Kultur des Wettbewerbs hat in den letzten Jahren viel zur Innovation im Wohnungsbau und damit zum Bild der wachsenden Stadt Zürich beigetragen: Es wurden Grundrissformen entwickelt, die unterschiedliche Wohnformen zulassen, Diversität und Vielfalt waren das hauptsächliche Kennzeichen der zahlreichen Wettbewerbe. Diese Qualitäten setzten sich trotz den gleichzeitig hohen Anforderungen an die Wirtschaftlichkeit und die ökologische Nachhaltigkeit der Projekte durch. wohnte Prioritäten und Lebensgewohnheiten in Frage: wie viel Konsum, wie viel Wohnfläche und wie viel Mobilität braucht es zu einem erfüllten Leben? Die baugenossenschaft mehr als wohnen erforscht diese Fragen an Hand ihres ersten Projekts auf dem Hunzikerareal in Zürich. Daniel Kurz (geboren 1957, Dr. phil.) ist Historiker und seit 2001 Leiter der Fachstelle Information am Amt für Hochbauten der Stadt Zürich. Ursula Müller (geboren 1967) ist dipl. Architektin ETH/SIA. Sie ist stellvertretende Direktorin am Amt für Hochbauten der Stadt Zürich und als Leiterin des Fachbereichs Projektentwicklung an zahlreichen Wettbewerbsverfahren massgebend beteiligt. Leitbild der städtischen Entwicklung ist heute die 2000-Watt-Gesellschaft. Dabei geht es längst nicht nur ums Energiesparen mittels dichter Gebäudehüllen und Nutzung erneuerbarer Wärmequellen. Die 2000-Watt-Gesellschaft stellt geDossier Häuser im Dialog 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 47 47 18.03.10 22:35 48 Häuser im Dialog Dossier 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 48 18.03.10 22:35 Sozial nachhaltig leben! Philippe Cabane «Wir bauen keine Siedlung, sondern ein Quartier» war das Credo des SiegerInnenteams Futurafrosch und Duplex architekten in ihrem Wettbewerbsbeitrag für eines der wohl ambitioniertesten Zürcher Wohnbauprojekte der vergangenen Jahrzehnte. Hinter dem Ganzen steckt ein innovatives und anspruchsvolles Programm der baugenossenschaft mehr als wohnen. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, eine zukunftsweisende Antwort auf die Frage eines nachhaltigen Wohnungsbaus im 21. Jahrhundert zu geben. Ziele sind eine soziale Durchmischung von Jung und Alt sowie Familien und Alleinstehenden in gemeinschaftlichen Wohnformen und Nachbarschaften. Konkrete Programmpunkte sind grosse Wohngemeinschaften und Satellitenwohnungen, die als Kleinwohnungen zu einer Art Wohngemeinschaft zusammengefasst sind, eine Gästepension und verschiedene, auch flexibel nutzbare Wohnungstypen. Gemeinschaftliche Einrichtungen sowie Versorgungsangebote und ein angemessener Anteil von Arbeitsplätzen sollen das Quartier zusätzlich beleben. Innovativ ist mehr als wohnen auch in Bezug auf das Wettbewerbsverfahren. Über einen Projektwettbewerb wurde ein städtebauliches Ge- samtkonzept gewählt und die vier interessantesten Beiträge zu den Grundrisslösungen beauftragt, den Entwurf eines Teils des Quartiers in einem kooperativen Entwurfsprozess zu übernehmen. Ein nachhaltiges Stück Stadt heisst demnach vor allem Durchmischung von Menschen mit unterschiedlichen Lebensstilen, Altersklassen und Kaufkraft. Es heisst auch ein Wohnumfeld, das dazu auffordert, sich sozial und nachbarschaftlich zu engagieren. Und Differenz wird schliesslich durch unterschiedliche Architektursprachen sichtbar nach aussen repräsentiert. An Stelle der gewohnten Grossformen in Zeilen oder Blocks sieht das städtebauliche Konzept einen Cluster von kleineren Solitären vor, die eng aneinander ein System von Wegen, Plätzen und Freiräumen mit stark städtischem Charakter ausbilden. Wo (städtische) Öffentlichkeit und Gemeinschaftlichkeit gefragt sind, betonen neben den publikumsorientierten Angeboten auch gewerblich nutzbare Ateliers den öffentlichen Charakter dieser Gassen und Wege. Die Gebäude als solche erlauben genügend Privatheit und persönliche Identifikation. Diese Rückzugsmöglichkeit ist eine wichtiDossier Häuser im Dialog 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 49 49 18.03.10 22:35 ge Voraussetzung für ein lebendiges gemeinschaftliches Zusammenleben. Die Wahl eines solchen städtebaulichen Konzepts ist ein wegweisender Entschluss der Bauherrin. Ein heute praktisch generell vertretenes Credo im Wohnungsbau ist die Realisierung möglichst gleichwertiger Qualitäten für alle Wohnungen. Die «städtebaulichen» Lösungen für solch analoge Standards sind bekannt und manifestieren sich als uniformierte Individualität von suburbanen Lebensstilen. Mehrfamilienhäuser in Zeilen oder Solitären: gleich ausgerichtet, gleich erschlossen, gleiche Gartenseiten und durch das Prinzip des Sichtschutzes optimierte Individualität. Das städtebauliche Muster in dicht an dicht gestellten Blocks betont dagegen unterschiedliche Wertigkeiten und Standards. Bei entsprechend sorgfältiger architektonischer Bearbeitung ergibt dies einen bunten Strauss unterschiedlicher Qualitäten für die unterschiedlichen Bedürfnisse eines sozial durchmischten Quartiers. Zu erwähnen bleibt schliesslich Partizipation als genossenschaftliches Credo schlechthin. Die Bedeutung von Mitverantwortung für eine nachhaltige Quartierentwicklung ist 50 heute allgemein anerkannt. mehr als wohnen sieht eine Reihe von partizipativen Instrumenten und gemeinschaftlichen Strukturen vor. So soll ein Verein, der kulturelle Aktivitäten organisiert, die Quartierbewohner sozio-kulturell verankern. Wichtig ist aber auch, dass Integration und die soziale Pflege von Unterschieden in erster Linie im nachbarschaftlichen Alltag einer Hausgemeinschaft stattfindet. Mit dem Bauprojekt werden zwar eine Reihe von notwendigen Bedingungen für Gemeinschaftlichkeit geschaffen, ein wesentlicher Erfolgsfaktor liegt doch auch in der Kultur der Bewirtschaftung. Gerade hier beweist sich die Stärke des vorliegenden Städtebaus. Die Formel «Eine Adresse, eine Treppe, ein Haus.» eröffnet Chancen zu einer in den Alltag eingebundenen und auf persönliche Verantwortung abzielenden Bewirtschaftung von Liegenschaften. Die klar über die Gebäude identifizierbaren Hausgemeinschaften von mehr als wohnen stellen damit ein hervorragendes Experimentierfeld dar, neue Modelle partizipativer Bewirtschaftung von Liegenschaften zu erproben. Philippe Cabane ist freischaffender Soziologe und Städteplaner. Er ist Projektentwickler und Coach des nt/Areal (Vereine keim und ViP) in Basel. Häuser im Dialog Dossier 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 50 18.03.10 22:35 Was heisst Standard? Lukas Kueng im Interview mit Werner Waldhauser Lukas Kueng: Herr Waldhauser, Sie sind gegenwärtig für das Projekt Hunziker-Areal in beratender Funktion für den Bereich Gebäudetechnik tätig. Das Projekt fasziniert durch ein sehr ambitioniertes Nachhaltigkeitskonzept. Sowohl ökonomische, ökologische als auch soziale Ziele sollen sicherstellen, dass auf dem Hunziker-Areal ein «Stück Stadt» entstehen kann, welches die Zielsetzungen der 2000-Watt-Gesellschaft erfüllt. Wie beurteilen Sie diesen Anspruch heute? Werner Waldhauser: Das ist natürlich ein sehr anspruchsvolles Konzept. Damit ein Projekt wie Hunziker-Areal wirklich nachhaltig ist, muss ein optimales Gleichgewicht zwischen vielen einzelnen Aspekten gefunden werden. Ressourceneffiziente Konstruktionen und Materialien, energieeffiziente Bauweisen, und massgeschneiderte Technologien helfen, die Energieeffizienz von Gebäuden zu optimieren. Damit ist aber ein nachhaltiger Betrieb eines solchen Quartiers noch längst nicht sichergestellt. Neben den technischen Möglichkeiten ist ein wesentlicher Faktor zu nennen, der für einen nachhaltigen Betrieb von Gebäuden von zentraler Bedeutung ist: Das Verhalten der Nutzer. LK: Lassen Sie uns zuerst über die technischen Aspekte reden. Bereits im Wettbewerbsverfahren war eine Erfüllung der Anforderungen von Minergie-P Eco gefordert. Es handelt sich dabei um das Zertifikat mit den gegenwärtig höchsten Auflagen an Energieeffizienz und Sparsamkeit im Betrieb. Wie stehen Sie zu diesen Energie-Labels? WW: Ich unterstütze die energetischen Anforderungen von Minergie-P. Wir müssen heute Gebäude so energieeffizient wie möglich betreiben, denn der Gebäudepark macht immerhin mehr als einen Drittel des Gesamtenergieverbrauchs der Schweiz aus. Hier haben wir noch viele Möglichkeiten. Es stellt sich bei diesen Zertifizierungssystemen aber immer auch die Frage nach der Verhältnismässigkeit der Auflagen. Damit habe ich persönlich Mühe. Vorgaben wie etwa die mechanisch kontrollierte Lüftung und die Dichtigkeitskontrolle, die man dann zwingend machen muss, um das Label zu erhalten. Es ist theoretisch nachweisbar, dass Gebäude bei «vernünftigem» Benutzerverhalten auch ohne mechanisch kontrollierte Lüftung die energetischen Auflagen von Minergie-P erfüllen können und zwar mit viel geringerem techDossier Häuser im Dialog 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 51 51 18.03.10 22:35 nischem Aufwand und oft auch mit tieferen Kosten. LK: Können Sie mir das erklären? WW: Ja, und zwar am Beispiel der sogenannte «Komfortlüftung»: Diese wurde eingeführt, weil die Gebäude aufgrund der dichten Gebäudehüllen und ungenügendem Lüftungsverhalten der Bewohnerinnen und Bewohner im Winter zu feucht wurden. Dies hat dann zu Bauschäden wie etwa Schimmelpilzbefall etc. geführt. Durch das Vorschreiben dieser Lüftungen führt man jetzt die Feuchtigkeit, die früher durch (unerwünschte) Undichtheiten und angemessenem (oder leider oft auch übertriebenem) Lüftungsverhalten der Bewohnerinnen und Bewohner von alleine wegdiffundiert ist, mechanisch ab. Die weitverbreiteten zentralen Komfortlüftungen laufen jetzt 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr, obwohl es für den Komfort und auch zur Vermeidung von Bauschäden einen viel geringeren Luftwechsel braucht. LK: Man kämpft gewissermassen mit zusätzlichen technischen Mitteln gegen die negativen Folgen, die durch verbessere technische Mittel entstanden sind? 52 WW: Ja, und es geht noch weiter: Heute sind diese Wohnungen alle zu trocken, insbesondere im Winter. Der nächste Schritt wäre dann zusätzlich eine mechanische Befeuchtung. Selbstverständlich kombiniert mit Wärme- und Feuchtigkeitsrückgewinnung. Das ist in hohem Masse paradox. Sie müssen sich das wie eine Energiesparlampe vorstellen. Die spart auch nur Energie, wenn sie brennt, ist sie ausgeschaltet, benötigt sie hingegen gar keine Energie. LK: Mit welchen Alternativen arbeiten Sie? WW: Am wichtigsten erscheint mir eine bedarfsgerechte und verhältnismässige Lösung dieser Probleme. Ich vertrete die Haltung, dass man die Ursachen verstehen muss, anstatt deren Folgen zu bekämpfen. Die reine Verfügbarkeit ausgeklügelter Lüftungsanlagen mit zentraler Luftaufbereitung und Wärmerückgewinnung erscheint mir keine Rechtfertigung für deren Verwendung, wenn einfachere und intelligentere Alternativen bestehen. Ein Beispiel: Bei heutigen Gebäudetiefen haben Sie im Innern der Wohnungen meist gefangene Bäder. Diese müssen zwingend mechanisch entlüftet werden. Die Ventila- Häuser im Dialog Dossier 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 52 18.03.10 22:35 toren sind dabei meist an das Licht gekoppelt und laufen demnach nur bei Bedarf. Deren Kapazität reicht für die Vermeidung von Feuchtigkeitsproblemen aus, vorausgesetzt, entsprechende Nachströmöffnungen ermöglichen die notwendige Frischluftzufuhr. Infolge der kurzen Laufzeit kann auf eine Wärmerückgewinnung verzichtet werden (vergl. Prinzip Energiesparlampe). Zudem kann bei geschickter Anordnung solcher Nachströmöffnungen z.B. von der Abwärme des Kühlschranks profitiert werden, um die Luft zu erwärmen. Feuchtigkeitsregulierende Materialien wie Lehmputze und ähnliches lösen das Feuchtigkeitsproblem auch ohne technische Unterstützung. In der Kombination solcher Systeme in Abhängigkeit des Bedarfs besteht viel Raum für neue Ideen und Innovation. LK: In der Schweiz ist das Minergie-Label inzwischen auch zu einem Marketing-Instrument geworden. Bauherren können über eine Zertifizierung ihr Umweltbewusstsein zum Ausdruck bringen. Gerade öffentliche Bauherren wie die Stadt Zürich sind den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft politisch verpflichtet. Was würde es bedeuten, wenn für das Hunziker-Areal, welches sich ja im Eigentum der Stadt befindet, auf einer Zertifizierung beharrt würde? WW: Ich glaube nicht, dass irgendjemand eine Zertifizierung vorschreiben kann. Das wäre total unsinnig, denn Labels sind immer auch Innovationsbremsen. Durch das Fixieren bestimmter Anforderungen für die Zertifizierung wird die Zeit ja nicht angehalten. Die Möglichkeiten entwickeln sich weiter, man kann auch besser sein als diese ganzen Labels, selbst wenn formal nicht alle Anforderungen erfüllt sind. Wie nachhaltig ein Gebäude ist, zeigt sich sowieso erst im Betrieb. Und wie bereits am Anfang erwähnt: Das Nutzerverhalten, dessen Einfluss mindestens +/- 40% beträgt, kann natürlich in einem Zertifizierungssystem nicht berücksichtigt werden, relativiert aber die «scharfen» Grenzwerte. LK: Damit wären wir beim zweiten Aspekt: Die Komfortansprüche der Bewohner haben einen grossen Einfluss auf den nachhaltigen Betrieb von Häusern, Quartieren und Städten. Wie beurteilen Sie hier die Situation? WW: Im Bereich des Bauens sind wir heute recht gut unterwegs. Was Dossier Häuser im Dialog 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 53 53 18.03.10 22:35 das Verhalten der Gesellschaft angeht, sind wir jedoch noch weit von der 2000-Watt-Gesellschaft entfernt. Wenn man im Bereich der Technik Verbesserungen erzielt, gleichzeitig jedoch der Bedarf nach Wohnfläche und Komfort laufend steigt, ist das ziemlich unsinnig. Ich sehe eine der grossen Chancen von mehr als wohnen darin, die Bewohner wieder vermehrt für ihr Wohnumfeld zu sensibilisieren. LK: Was heisst das konkret? WW: Die vielen technischen Einrichtungen, die heute zur Verfügung stehen, haben zu einer Automatisierung geführt, die letztlich den Menschen teilweise entmündigt hat. Die ganzen Wohnungslüftungen suggerieren, dass man nicht mal mehr die Fenster öffnen muss. Weil scheinbar alles von alleine funktioniert, begreifen die Leute auch die Zusammenhänge nicht mehr – wie eben, dass sie selber Feuchtigkeit abgeben und deshalb ab und zu ihre Wohnungen lüften müssen. Es gibt einen Grund, weshalb man früher die Bettdecken morgens aus dem Fenster gehängt hat. Solche Überlieferungen, die durchaus ihren praktischen Nutzen haben, gehen immer mehr verloren. 54 LK: Wie kann man einem solchen Wissensverlust entgegenwirken? WW: Nur durch Information. Die Aufklärung der Bewohner wird für mehr als wohnen eine zentrale Rolle spielen. Der Nutzer muss wissen, wie sein Gebäude funktioniert, was er selber zu einem nachhaltigen Betrieb beisteuert oder beisteuern kann. Wichtig ist, dass die Verantwortlichen der Genossenschaften, die sehr wohl für diese Zusammenhänge sensibilisiert sind, dieses Wissen auch an die zukünftigen Nutzer weitergeben. LK: Das Projekt Hunziker-Areal umfasst rund 450 Wohnungen. Gemessen an dieser Zahl, bietet es die Chance, dereinst rund 1000 Bewohner zu einem nachhaltigeren Verhalten zu animieren. Glauben Sie, dass man über ein solches Projekt die Leute dazu bewegen kann, ihr Verhalten und ihre Komfortansprüche zu ändern? WW: Ja, das müssen wir schon versuchen! 23-24 Grad Raumtemperatur gelten heute z.B. auch im Winter als Standard, obwohl 20 Grad absolut ausreichend wären. Man muss dann halt in der kalten Jahreszeit auch zu Hause wieder einen Häuser im Dialog Dossier 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 54 18.03.10 22:35 Pullover tragen. Obwohl ich nicht die Ansicht vertrete, dass man den Leuten ein bestimmtes Verhalten aufzwingen sollte, kann man es doch verantworten, den Komfortansprüchen bestimmte Grenzen zu setzen. Der Mensch ist zum Glück lernfähig. LK: Kann sich mehr als wohnen solche Massnahmen überhaupt leisten oder sind nicht auch die Genossenschaften inzwischen von einem Markt abhängig, der sich auf ein bestimmtes Komfortangebot eingependelt hat, das heutzutage bereitgestellt werden muss, wenn man Wohnungen vermieten will? WW: Im Gegenteil. Gerade die Genossenschaften können hier einen Beitrag leisten, dieses Komfortniveau auf ein vernünftiges Mass zu reduzieren. Es wird sich manch einer überlegen, im Winter wieder einen Pullover anzuziehen wenn seine 4.5-Zimmer-Wohnung dafür nur 2000 CHF Miete im Monat kostet, da bin ich überzeugt. Hier kommen die Ziele der Wohnbauförderung einer nachhaltigen Entwicklung in mehrfacher Hinsicht entgegen. Günstiger Wohnraum mit einem leicht reduzierten Komfort, der dafür umso sparsamer ist im Betrieb. Das wäre ein sehr nachhaltiges Modell für zeitgenössisches urbanes Wohnen. LK: mehr als wohnen geht demnächst in die Vorprojektphase. Erfahrungsgemäss nehmen die idealistischen Ziele solcher Projekte mit zunehmendem Planungs- und Baufortschritt kontinuierlich ab. Viele Projekte, die mit hohen Zielsetzungen gestartet sind, endeten letztlich im Durchschnitt. Was muss sichergestellt werden, dass mehr als wohnen wirklich zum Leuchtturmprojekt für eine ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit im lokalen Umfeld und über dieses hinaus wird? WW: Hier sind jetzt alle Beteiligten in der Pflicht, die bisher definierten Ansprüche einzulösen. Sowohl die Bauherrschaft, die Architekten, die Planer als auch die künftigen Bewohner müssen bereit sein, von Standards abzuweichen. Bezogen auf die Energiediskussion bedeutet dies, mehr zu wollen als der Standard vorsieht, auch wenn damit absurderweise die Auflagen für eine Zertifizierung nicht erreicht werden sollten. Bezogen auf Nutzung und Betrieb bedeutet dies eine Reduktion der Ansprüche auf ein Niveau unterhalb des etablierten Standards, Dossier Häuser im Dialog 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 55 55 18.03.10 22:35 das mit gutem Gewissen verallgemeinert werden könnte. LK: Zuversichtlich? WW: Ja, eigentlich schon. Mein bisheriger Eindruck ist sehr gut. Alle Beteiligten sind engagiert und unternehmen viel, um den Prozess innovativ und transparent zu gestalten. Es geht darum, über das Ganze zu denken und trotzdem für jedes Gebäude eine optimale Lösungen zu finden. Dies wird sicherlich teilweise mit einem zusätzlichen Aufwand verbunden sein. In Anbetracht der Zielsetzungen und der Grösse des Projektes ist ein solcher aber sicher gerechtfertigt! LK: Herr Waldhauser, herzlichen Dank für dieses Gespräch. Lukas Kueng ist dipl. Architekt ETH und seit Januar 2007 Partner von SLIK Architekten in Zürich. Er betreut als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Netzwerk Stadt und Landschft (NSL) der ETH Zürich Forschungsprojekte im Bereich Städtebau. Werner Waldhauser, HLK-Ingenieur HTL/SIA, ist Verwaltungsratpräsident der Waldhauser Haustechnik AG in Münchenstein und St. Gallen sowie Dozent für Haustechnik an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Er hat die erste Projektphase des Projekts von mehr als wohnen als Experte für Fragen der Nachhaltigkeit betreut. 56 Häuser im Dialog Dossier 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 56 18.03.10 22:35 Zeitgenössiche Kunst für eine zeitgenössische Genossenschaft Fanni Fetzer Kunst kommt meist in Museen vor und daher geht im alltäglichen Verständnis oft vergessen, dass uns Kunst auch ganz anders als museal, gesammelt, als Kostbarkeit gehortet begegnen kann. Zeitgenössische Kunst für eine zeitgenössische Genossenschaft glaubt an Kunst, die mehr kann, als nur schön und wertvoll sein. Kunst, die wir in unserem täglichen Leben um uns haben wollen, die wir brauchen, die uns bedeutend ist. Zeitgenössische Kunst erstrebt im Kontext der Stadtentwicklung eine langfristige Auseinandersetzung der Bevölkerung mit ihrem Quartier. Die Kunst ist Teil der Identität eines Ortes. Das Bekenntnis zur zeitgenössischen Kunst vertraut auf die identitätsstiftenden Qualitäten von Kunst. Kunst erzählt Geschichten, berührt Menschen und verbindet sie über soziale Unterschiede, Generationen und kulturelle Hintergründe hinweg. Nicht Dekoration, nicht Wertanlage, nicht Prestige, nicht lästige Zusatzauflage, nicht Dokumentation, nicht Illustration soll mit zeitgenössischer Kunst am Bau betrieben werden. Vielmehr wird behauptet, dass Kunst Inhalte vermittelt, die sich anders nicht transportieren lassen. Sensibel gegenüber sozialen, politischen Fragestellungen, aber immer bestrebt um adäquate ästhetische Umsetzung, ist Kunst ein Teil von mehr als wohnen und damit des Lebens. Um Qualität zu erreichen, verpflichtet sich das Projekt Kunst am Bau zur Professionalität. Im Vertrauen auf gute Kunst und im Bewusstsein, dass die Bewohnerinnen und Bewohner der Genossenschaft mit der zeitgenössischen Kunst den Alltag teilen. Dabei muss zeitgenössische Kunst nicht aus sich selbst heraus verständlich sein. Kunst ist eine Sprache, die zu sprechen es sich zu lernen lohnt. Der Charakter der Genossenschaft mehr als wohnen wird durch die zeitgenössische Kunst nicht nur respektiert, sondern gestärkt. Kunst soll die Identifikation der Genossenschaft mehr als wohnen mit ihrem grossen Bauprojekt stärken, gleichzeit aber mehr als wohnen breiteren Kreisen ausserhalb der Genossenschaft bekannt machen. Die Namen der geladenen Künstlerinnen und Künstler soll Neugier und Aufmerksamkeit auch ausserhalb der Genossenschaft wecken, diese ersten Namen geben den Anspruch des Gesamtprojekts vor Dossier Häuser im Dialog 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 57 57 18.03.10 22:35 bezüglich Architektur, Nachhaltigkeit, Zusammenleben, kurz Lebensqualität. Für die Kunstvermittlung sind auch traditionelle, klassische Formen gefragt wie Führungen, eine Publikation, Workshops. Die Zukunft der Kunst soll genossenschaftsintern nach den Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner geregelt werden. Denkbar sind auch Atelieraufenthalte von Künstlerinnen und Künstlern in der Genossenschaft - dies müsste sich nicht auf die bildende Kunst beschränken, sondern wäre gerade auch spartenübergreifend sehr attraktiv. Fanni Fetzer (geboren 1974, lic. phil.) ist seit 4.2006 Leiterin des Kunsthauses Langenthal. Sie ist Mitglied der Kunstkreditkommission Basel-Stadt und war als Kuratorin und Jurymitglied an zahlreichen Projekten von Kunst am Bau und Kunst im öffentlichen Raum in Basel und Zürich beteiligt. Interaktion im Quartier meint vor allem auch, dass die zeitgenössische Kunst im Alltag der Bewohnerinnen und Bewohner ankommen und stattfinden soll. Gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Hintergründe und Entwicklungen unserer Zeit werden vom Projekt Kunst am Bau nicht ausgeklammert, sondern im Gegenteil bewusst miteinbezogen. Denn die zeitgenössische Kunst reflektiert in immer neuen Sprachen die Bedingungen der menschlichen Existenz. 58 Häuser im Dialog Dossier 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 58 18.03.10 22:35 Appendix Häuser im Dialog 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 59 59 18.03.10 22:35 F E D J G H C A B 60 I Häuser im Dialog Appendix 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 60 18.03.10 22:35 N L K M J 0 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 61 5 10 25m Appendix Häuser im Dialog 61 18.03.10 22:35 62 Häuser im Dialog Appendix 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 62 18.03.10 22:35 Dank Marcia Akermann, Martin Alder, Stefan Baumberger, Marco Bertollini, Werner Brühwiler, Ruth Buchholz, Philippe Cabane, HC Daeniker, Albert Deubelbeiss, Heinz Dick, Carol Egger, Nathanea Elte, Andreas Fankhauser, Janet Fasciati, Fanni Fetzer, Daniela Frei, Otto Frei, Sabine Frei, Raphael Frei, Matthias Gallati, Ludovic Gillon, Dominik Greuter, Sonja Grigo, Thilo Gruber, Kornelia Gysel, Hans Haug, Andreas Hofer, Willi Hüsler, Rita Illien, Katrin Jaggi, Anne Kaestle, Ueli Keller, Viràg Kiss, Tanja Kinberger, Adrian König, Hugo Köpfli, Stefan Köppel, Denis Kopitsis, Andreas Kopp, Elisabeth Krüsi, Lukas Kueng, Daniel Kurz, Nikolas Lill, Gerold Loewensberg, Pirmin Mader, Konrad Mangold, Kathrin Martelli, Alex Martinovits, Hannes Mayer, Marc Mayor, Lorenz Meng, Klaus Müller, Pascal Müller, Ursula Müller, Nicola Nett, Urs Primas, Dagmar Reichert, Patrizia Reimann, Harald Rogg, Roger Ryffel, Peter Schmid, Peter Schneider, Ruedi Schoch, Dan Schürch, Lukas Schweingruber, Philip Shaddock, Katrin Siebert, Peter Sigrist, Miroslav Šik, Alfons Sonderegger, Mischa Spoerri, Monika Sprecher, Astrid Staufer, Stephan Theurillat, Claudia Thiesen, Iris Vollenweider, Martin Vollenwyder, Werner Waldhauser, Lenita Weber, Heiri Weidmann, Tomoki Yasuda, Peter Zeugin, Felix Zimmermann. Appendix Häuser im Dialog 100318_FEZ_HiD_ABSATZ.indd 63 63 18.03.10 22:35 Häuser im Dialog. Ein Quartier entsteht. Häuser im Dialog Ein Quartier entsteht. mehr als wohnen steht für... … beispielhafte Weiterentwicklung der Genossenschaftsidee … bezahlbares Wohnen mit hoher architektonischer Qualität … Selbstverantwortung und Engagement im Zusammenleben … bauen und wohnen nach den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft … Dialog und Partnerschaft in Planung, Bau und Betrieb Projekt Hunziker-Areal … hohe Wohnqualität und vielfältige Wohnformen baugenossenschaft mehr als wohnen Arbeitsgemeinschaft Futurafrosch und Duplex Architekten, Zürich 100318_FEZ_HauserDialog_UMSCHLAG.indd 2-3 18.03.10 23:02