jazzmag - Internationales Jazzfestival Saalfelden

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jazzmag - Internationales Jazzfestival Saalfelden
jazzmag
2015
www.jazzsaalfelden.com // #jazzsaalfelden // Jahrgang/volume 2015 // Ausgabe/edition Nr. 36 // Preis/price € 10,jazzmag | 1
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2 | jazzmag
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jazzmag | 3
Veranstalter: Tourismusverband Saalfelden,
Mag. Katharina Auer, BSc
sponsored by:
Intendanz: Michaela Mayer, Mario Steidl
Organisatorische Leitung: Daniela Neumayer
Organisationsassistenz:
Stefan Kaufmann, Sabrina Rieder, Monika Seer, Selina Hörl,
Lukas Grundner, Markus Unterweger, Sabine Hinterseer,
Simone Nill, Claudia Widmoser, Andrea Neumayr,
Maria Burgschwaiger, Marita Einwaller, Isabella De Lorenzo,
Stefanie Aigner, Sophia Pape
Programmierung:
Verein Zentrum Zeitgenössischer Musik
Obmann Arch. DI Wolfgang Hartl
Obmann-Stv. Dr. Matthias Neumayer
Der Verein ZZM (Zentrum Zeitgenössischer Musik)
ist der geistige Gründer und jahrelange Veranstalter des
Jazzfestivals Saalfelden. Dafür gebührt ihm besonderer
Dank. Der jetzige Veranstalter, der Tourismusverband
Saalfelden, baut auf dieser großartigen Arbeit auf.
Programmbeirat: Harry Lachner, Gerhard Spitzer,
Clemens Radauer, Franz Aschauer
Bühnenequipment: Bobby Leiser
Stagemanager: Clemens Radauer, Gregor Ladenhauf
Bühnensprecher: Harald Friedl
Ton- und Lichttechnik: Stagelight AG Showtechnik
Herausgeber, Medieninhaber
und für den Inhalt verantwortlich:
Tourismusverband Saalfelden – Jazzfestival Saalfelden
Mittergasse 21a · A-5760 Saalfelden
Tel. +43 (0) 6582 70660
office@jazzsaalfelden.com · www.jazzsaalfelden.com
D EFON
GmbH
SECURITY & EVENTMANAGEMENT
Textredaktion: Harry Lachner, Samir Köck,
Doris Schumacher
Übersetzungen: New York Text & Translation Studio
Photos Credits:
Atomic, Chris Lightcap, Berenice Hebenstreit, Géza Talabér,
Naomi White, Mario Lang, Larry Bercow, Matthew Shipp,
Mopdtk, Riccardo Tesi, D. Vass, Smart Metal Hornets, John
D. & Catherine T. MacArthur Foundation, Teun Verbruggen,
S.Gripoix, Eliseo Cardona, Domino Postiglione, Micke Keysendal, Julia Wesely, Kompost 3, Jos Demol, Sylvain Gripoix,
Petra Cvelbar, Lorence Ducommun, Jason Marck, Klezmer
Connection, Hazmat Modine, Özlem Bulut, Vucciria, Sabine
Hauswirth, Gregor Buchhaus, David Schellnegger, Fridolin
auf der Insel Fürchtistan
Druck | Layout | Finish:
Layout & Druck: Druck Wedl & Dick –
printed in Saalfelden 2015
Finish: Buchbinderei Fuchs, Saalfelden
media partner:
supported by:
37th International Jazzfestival Saalfelden
25. – 28. August 2016
klein: unter 80 mm Breite
Kultur
4 | jazzmag
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6 | jazzmag
content
content
08editorial
MainStage
CityStage
14
Maja Osojnik „All.The.Terms.We.Are“
64
The Klezmer Connection
16
Chris Lightcap’s Bigmouth „Epicenter“
Hazmat Modine
18
The Bureau of Atomic Tourism „Spinning Jenny“
Özlem Bulut
20
Rob Mazurek and Black Cube SP
„Return the Tides: Ascension Suite and Holy Ghost“
Madame Baheux
22
Atomic „Lucidity“
Riccardo Tesi & Banditaliana
24
Angelica Sanchez Quintet „Wires & Moss“
„Un ballo liscio“
26
Mostly Other People Do The Killing
„Mauch Chunk – Introducing Ron Stabinsky“
28
Steve Coleman and the Council of Balance
„Synovial Joints“
30
JÜ with Kjetil Møster „JÜ meets Møster“
32
Thomas de Pourquery ‚Supersonic’ „Play Sun Ra“
34
Ken Thomson and Slow / Fast „Settle“
69
Harri Stojka
36
Matthew Shipp Solo „I‘ve Been to Many Places“
„Hot Club de Vienne“
38
Fire! Orchestra „Ritual“
Großmütterchen Hatz Salon Orkestar
40
Christian Muthspiel Trio
„Homesick – Werner Pirchner zum 75. Geburtstag“
42
James Blood Ulmer
„Are You Glad to Be in America?“
ShortCuts
65Vucciria
Almkonzerte
Smart Metal Hornets
Kinderkonzert
70
Fridolin auf der Insel Fürchtistan
47editorial
48
Kompost 3
„Ballads For Melancholy Robots“
50
Graewe/Reijseger/Hemingway Trio
52
Donkey Monkey
54
Martin Küchen’s All Included
„Satan in plain clothes“
56
Régis Huby
„Equal Crossings“
58
Sao Paulo Underground
jazzmag | 7
editorial
Irgendjemand wird sicher bei dem einen oder anderen Konzert die Frage stellen, ob das jetzt nun Jazz ist oder nicht. Diese Frage ist vermutlich so alt wie der Begriff selbst. Ohne jetzt
den vergeblichen Versuch unternehmen zu wollen, zu einer
Definition zu gelangen, kann man immerhin so weit gehen und
behaupten, dass Jazz etwas ist, das sich einem Ausschließungssystem verweigert. Betrachtet man über die Jahrzehnte hinweg, wie repressive Gesellschaftssysteme den Jazz als
„subversive Gefahr“ gefürchtet haben, so drängt sich der Eindruck auf, dass der Jazz als „offenes System“ sensibel auf
soziale Veränderungen ebenso wie auf festgefahrene soziale
Machtstrukturen reagiert.
Jazz als soziales Phänomen, als begleitende oder konterkarierende Stimme suchte sich stets verschiedene Formen. Das
konnte allein in der Form einen Ausdruck finden: etwa in der
rückhaltlos freien Improvisation als schrill-tönender Gegenpol
zu einer repressiven Gesellschaftsstruktur. Oder ganz explizit: in einer programmatischen Titelgebung. Die sechziger
Jahre bieten ein riesiges Reservoir an Widerstandsformeln,
Absichtserklärungen und utopischen Slogans. Wobei es zuweilen genügt, wie James „Blood“ Ulmer eine entscheidende
Frage zu stellen: „Are You Glad To Be In America?“. Dass allein schon dieser Albumtitel aus dem Jahr 1980 als kritisch,
wenn nicht gar despektierlich wahrgenommen wurde, erzählt
viel von den Wahrnehmungsmechanismen in einem Land, das
in seiner Unabhängigkeitserklärung das „Streben nach Glück“
(„Life, Liberty and the Pursuit of Happiness“) zu einem Naturrecht erklärte. Ulmer formuliert seine in der aktuellen Diskussion um die Rechte von Schwarzen in den USA immer noch
mehr als berechtigte Frage musikalisch: in einer Form, in der
Funk, Blues, Soul und Jazz sich zu einem Ausdruck schwarzer
Selbstfindung und Selbstbehauptung zusammenschließen.
Damit sind einige der Punkte gestreift, die im Programm des
diesjährigen Festivals eine wesentliche Rolle spielen: die kreative Vermengung der Stile, die Erkundung der Randzonen und die Tradition einer Form der Widerständigkeit, die nicht
unbedingt das Etikett des explizit Politischen tragen muss.
Allein die Überdehnung fester Vorstellungen oder die Ausweitung eingefahrener Spielweisen genügen bereits, um den konservativ ausgerichteten Plattenkonzernen die Deutungshoheit
über den nur mehr marktkonform verwendeten Begriff „Jazz“
wieder abzusprechen.
Die Konzerte auf der Hauptbühne werden traditionell von einem österreichischen Projekt eröffnet - einem Auftragswerk
des Jazzfestivals Saalfelden. Heuer ist es die Elektronikerin
und Sängerin Maja Osojnik, die die Grenze zwischen Komposition und Improvisation auflöst - wie sie auch die gängigen
Unterscheidungen von „akustisch“ und „elektronisch“, „zeitgenössischer Musik“ und „Jazz“ obsolet werden lässt. Die
8 | jazzmag
At the 2015 Saalfelden Jazz Festival, some listeners will
wonder whether the music performed at one or the other
concert can rightfully be labeled as jazz. This question is
probably as old as the term itself. Without going on a futile
quest for a definition, we can say that jazz is a genre that
resists all attempts at exclusion. If we bear in mind that
repressive societies have considered jazz a “dangerous
subversion” for decades, we cannot help but notice that
as an “open system,” jazz is sensitive and reacts to social
changes and rigid structures of power.
As a social phenomenon and locus of resistance, jazz has
always tried to find different forms of expression. Through
free and unfettered improvisation, for example, jazz artists
have staged an in-your-face, loud attack on repressive social systems. In the 1960s, programmatic album titles provided a wealth of mottos for resistance by voicing activist
thoughts and formulating utopian slogans. Sometimes an
artist merely needs to ask a question: Are You Glad To Be
In America? James “Blood” Ulmer queried in 1980. The
fact that this album title was considered a disrespectful
critique reveals the deep-seated perceptual mechanisms
of a country that declared “Life, Liberty and the Pursuit of
Happiness” an inalienable right in its Declaration of Independence. To this day, Ulmer stages a musical discussion
about the rights of African-Americans in the United States.
In his work, funk, blues, soul, and jazz blend into a valid
expression of Black self-discovery and assertion.
This year’s program also aims at creatively blending styles,
exploring marginal zones, and continuing a type of resistance that does not need to be labeled explicitly political.
By breaking up rigid ideas and broadening musical possibilities, artists are able to contradict conservative music
labels that consider themselves the arbiters of what constitutes “jazz,” thereby making the genre conform to commercial standards.
An Austrian project commissioned by the Saalfelden Jazz
Festival has traditionally opened the concert series on the
Main Stage. This year, the electronic artist and singer Maja
Osojnik will blur the lines between composition and improvisation, thereby making the distinctions between “acoustic” and “electronic” music as well as “contemporary art
music” and “jazz” obsolete. The question of where sounds
originate would only generate a hierarchy. What matters is
the fluid element and confluence of sounds in this type of
music. As is the case with many other ensembles at this
year’s festival, Osojnik’s performance will celebrate the
creative moment—regardless of how structured it is. This
moment serves as a springboard for improvisation and exploration of marginal areas such as rock music.
Editorial
Frage nach dem Ursprung der Klänge sollte sich dabei nicht
mehr stellen - denn dies würde nur eine bestimmte Hierarchie
installieren. Dabei ist das Fließende, das Ineinander-Fließen
das Entscheidende an dieser Musik. Wie bei so vielen Ensembles des diesjährigen Festivals gerät der Auftritt zu einer Feier
des kreativen Augenblicks, ganz gleich, wie durchgestaltet die
Form sein mag, die als Ausgangspunkt für die Improvisation
dient, wie tief jeweils in die Randbereiche - wie etwa in die
Rockmusik - vorgedrungen wird.
Mochte die Unterscheidung zwischen europäischem und USamerikanischem Jazz in den 90er-Jahren noch eine gewisse
Berechtigung gehabt haben, sind die beiden Traditionsstränge heute enger miteinander verwoben, wie man am Beispiel
der Bands „Atomic“, „BOAT“ („The Bureau of Atomic Tourism“) oder dem Ensemble des französischen Saxophonisten
Thomas de Pourquery hören kann, der Sun Ra, dem großen,
utopistisch getriebenen Weltenflüchtler und Magier außerweltlicher Klänge, ein Hommage-Konzert widmet. Auf der anderen Seite finden sich im Spiel von amerikanischen Musikern
wie dem Pianisten Matthew Shipp mehr oder weniger stark
ausgeprägt Elemente einer europäischen Tradition - Spuren
der zeitgenössischen Musik oder europäischer Formideen.
While a distinction between European and American jazz
may have been somewhat justified in the 1990s, these
two strands are closely interwoven today. This becomes
evident in performances by bands such as Atomic, BOAT
(The Bureau of Atomic Tourism), and the ensemble led by
French saxophonist Thomas de Pourquery, who will pay
homage to Sun Ra—the utopian renegade and conjurer of
other-worldly sounds. Conversely, if we listen to the music
of American artists such as Matthew Shipp, we detect an
imprint of European traditions—traces of Contemporary Art
Music and European formal concepts.
What this year’s concerts have in common is a genreblasting impulse that challenges any kind of consensus in
a creative and provocative way. Even if the different forms
and acoustic concepts may be widely different in 2015,
they all create works that swim against the tide and bring to
the fore an unheard-of musical reality.
– H.L.
Möchte man die Ausrichtung des Festivals auf einen Nenner
bringen, der allen Konzerten gemein ist, dann vielleicht im
Moment des Grenzsprengenden, des jeden Konsens kreativ
- und auch provokativ - Herausfordernden. So unterschiedlich die jeweiligen Formen und Klangvorstellungen auch sein
mögen, so folgen sie doch alle dem Prinzip, Musik gegen die
Erwartung zu steuern und das Neue, das Unerhörte zur tönenden Wirklichkeit werden zu lassen.
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C H R I S T I A N
S T E I N W E N D E R
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jazzmag | 11
MainStage
12 | jazzmag
Congress Saalfelden
Maja Osojnik „All.The.Terms.We.Are“
Chris Lightcap’s Bigmouth „Epicenter“
The You
The Bureau of Atomic Tourism „Spinning Jenny“
Rob Mazurek and Black Cube SP
„Return the Tides: Ascension Suite and Holy Ghost“
Atomic „Lucidity“
Angelica Sanchez Quintet „Wires & Moss“ in R
Mostly Other People Do The Killing
„Mauch Chunk – Introducing Ron Stabinsky“
Steve Coleman and the Council of Balance
Gradischnig
„Synovial Joints“
JÜ with Kjetil Møster „JÜ meets Møster“
Thomas de Pourquery ‚Supersonic’ „Play Sun Ra“
Trio Joachim
Ken Thomson and Slow / Fast „Settle“
Matthew Shipp Solo „I‘ve Been to Many Places“
Fire! Orchestra „Ritual“
Christian Muthspiel Trio
„Homesick – Werner Pirchner zum 75. Geburtstag“
James Blood Ulmer
„Are You Glad to Be in America?“
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36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
Maja Osojnik
14 | jazzmag
MainStage
„All.The.Terms.
We.Are“
Austria, Slovenia, USA
Maja Osojnik – composition & concept, vocals, paetzold bass recorder, electronics
Kaja Draksler – piano
Audrey Chen – vocals, cello
Matija Schellander – double bass, modular synthesizer, electronics
Manu Mayr – double bass, electronic bass
Lukas König – drums
Ihre Spielwut ist erstaunlich. Maja Osojnik wirbelt durch eine
Vielzahl an Genres, die sie mal schroff nebeneinander stehen
lässt, dann wieder mit sensibler Hand verschmelzen lässt. Die
aus dem slowenischen Kranj gebürtige Sängerin, Flötistin und
Komponistin hat den Zugang zur Musik tatsächlich über die
Blockflöte gefunden. Millionen und Abermillionen an Kids müssen dieses Terror-Tool in der Volksschule zwischen die Lippen
pressen. Die Wenigsten entwickeln Liebe dazu. Anders Osojnik. Sicherlich ist es ihrer ersten Lehrerin, Mojca Zaplotnik, zu
verdanken, dass Osojnik sich in diesen eigentlich bescheidenen Klang verliebte, den sie jahrelang im Ensemble Camerata
Carniola praktizierte. Heute noch spielt sie die melodiensatte
Musik der Renaissance und des Mittelalters mit dem Flötenensemble Mikado. Daneben hat sie allerdings längst radikale
Ausdrucksformen lieben gelernt.
Wien spielte bei dieser Sozialisierung eine Hauptrolle. Seit Mitte der Neunzigerjahre setzt sie erstaunliche musikalische Akzente in der ehemaligen Kaiserstadt. Ohne deutsche Sprachkenntnisse kam sie an, und binnen kurzer Zeit schenkte sie der
Wiener Musikszene ein neues Vokabular. Mit unterschiedlichsten Formationen. Etwa dem Low Frequency Orchestra, den
Subshrubs, FruFru und Rdeča Raketa. Zudem leitet sie das
Maja Osojnik Quartet und die Maja Osojnik Band. Wenn dann
noch Zeit blieb, komponierte sie etwa fürs RSO, das Radiosymphonie Orchester Wien.
Zur Eröffnung des 36. Jazzfestivals Saalfelden stellte sie, die
ihrem Stammensemble sehr treu ist, ausnahmsweise eine neue
Formation zusammen. Die hintersinnige Besetzung verspricht
Deliziöses an der Kante von Elektronik und Kammermusik.
Hinter dem Akronym A.T.T.W.A. verbirgt sich der Ansatz: All
The Terms We Are. Osojnik wird die gesellschaftlichen Bedingungen elegant unterlaufen: „Wir sind tags, styles, brands.
Wir werden bis ins letzte Detail beschrieben, ob wir es wollen,
brauchen oder nicht. Die Welt braucht Ordnung und Klarheit.
Die Kunst nicht. Sie muss das Faktische transzendieren.“
Maja Osojnik’s zest for making music is astonishing. Whirling
through a wide variety of genres, she abruptly leaves them side by
side, only to turn around and blend them together soulfully. Born
in the Slovenian town of Kranj, the singer, flutist, and composer
had a first exposure to music when she picked up the recorder.
In contrast to millions of children who have to press this “tool of
terror” between their lips in grade school and never develop a love
for it, Maja Osojnik took to the instrument. Her first teacher, Mojka
Zaplotnik, taught her to appreciate the recorder’s modest sound
and Osojnik subsequently performed with the Camerata Carniola
ensemble for several years. To this day, she plays the melodious
music of the Middle Ages and the Renaissance with the Mikado
ensemble. In addition, she has also learned to love radical forms
of expression.
Vienna has played a very important role in her musical socialization. Since the mid-1990s, Osojnik has left an indelible musical
imprint on the city. Even though she arrived in the former imperial
capital without knowing a word of German, she quickly bestowed
a new musical vocabulary upon it. In addition to performing in
bands such as the Low Frequency Orchestra, the Subshrubs, Fru
Fru, and Rdeča Raketa, the artist also heads up the Maja Osojnik
Quartet and the Maja Osojnik Band. On top of that, she writes
compositions for the Vienna Radio Symphony Orchestra in her
spare time.
In her opening act for the 36th Saalfelden Jazz Festival, Osojnik
will take the unusual step of not being loyal to her core ensemble
and perform with a new band instead. The band’s exquisite lineup promises to perform intriguing tunes that straddle the margins
between electronic and chamber music. The band’s acronym
A.T.T.W.A. stands for All the Terms We Are. Osojnik aims to elegantly subvert social conditioning: “We have become tags, styles,
and brands. We are described in every last detail whether or not
we want or need it. The world at large needs order and clarity. Art
doesn’t, but instead has to transcend the realm of the concrete.”
– S.K.
jazzmag | 15
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
Die Faszination scheint ungebrochen: Mitte der 90er-Jahre
zog es Chris Lightcap nach New York, wo er bald darauf mit
Schlagzeuger Gerald Cleaver und den Saxophonisten Bill
McHenry und Tony Malaby sein erstes Quartett formierte,
dessen erste Aufnahmen 1999 erschienen. Lightcap wird es
später zum Quintett erweitern. Gut zwanzig Jahre nach seiner
Übersiedlung veröffentlicht der Bassist nun eine Hommage an
New York City: „Epicenter“, ein Album, das die Atmosphäre einer Stadt widerspiegelt, deren Puls weit über normal zu
liegen scheint. Beschleunigtes Leben, Myriaden von Szenen,
Bildern, Geräuschen. Auch Momente der Ruhe finden sich vereinzelt. Lightcap fasst diese in alle Richtungen weisenden
Energieströme in beeindruckend stilsichere Kompositionen,
die zahlreichen Aspekten der Stadt und ihrer Musik gerecht
werden.
Diese virtuos inszenierte Vielstimmigkeit, durchpulst von einer
für die Stadt typischen Nervosität, verdichtet der Bassist zu
komplexen Kompositionen, die die Entgrenzung ihrer eigenen Form in sich tragen. Allein schon das an Reibungsqualität so reiche Zusammenspiel der beiden Saxophonisten Tony
Malaby und Chris Cheek - konterkariert vom Pianisten Matt
Mitchell und drängend rhythmisiert von Gerald Cleaver - vermittelt eine Ahnung jener Intensität des New Yorker Lebens
und Erlebens. Dass Chris Lightcap auf diesem Album auch
einen Song von Velvet Underground interpretiert, zeigt auch,
welcher Stellenwert der Rockmusik als Inspirationsquelle und
Fluchtpunkt der kreativen Phantasie zukommt: Auch wenn
deren Formalismen in Lightcaps musikalischen Dekonstruktionsprozessen weiter keine Rolle spielen.
Man könnte es auch als eine in diese N.Y.C.-Hommage eingewobene Referenz an eine Idee (wenn nicht gar an einen
Mythos) betrachten. Denn keine andere Rock-Band entwickelte Ende der sechziger Jahre eine so radikal-energetische,
grenzsprengende Ästhetik: ein Anschlag auf all das, wofür die
Musik jener Zeit stand. Chris Lightcap’s „Bigmouth“ spiegelt
all dies in Kompositionen, die trotz ihrer Dichte von einer bestechenden Klarheit gezeichnet sind.
Chris
Chris Lightcap has had a long-lasting love affair with New
York. Soon after moving to the city in the mid-1990s, he
teamed up with percussionist Gerald Cleaver and saxophonists Bill McHenry and Tony Malaby. After the quartet released its first album in 1999, Lightcap expanded the band
into a quintet. More than twenty years after moving to New
York, the bassist has now released a musical homage to the
city entitled Epicenter. The album gives musical form to the
racing pulse of the metropolis. Interspersed with some rare
moments of calm, myriad scenes, images, and noises dart by
as the musicians venture out on the fast lane. With great stylistic acumen, Lightcap strings a wide variety of energy streams
into complex compositions that reflect the many faces of the
city and its music.
Combined with the nervous pulse of New York, this virtuoso
polyphony demonstrates the delimitations of the compositional form. In particular, the friction-laden music-making of the
two saxophonists Tony Malaby and Chris Cheek— underlined
by an urgent rhythm from Gerald Cleaver and thwarted by pianist Matt Mitchell—gives listeners a notion of the intensity of
the New York experience. Chris Lightcap’s cover of a Velvet
Underground song highlights the inspirational and anchoring
force of rock music in the artist’s creative imagination even if
its formal structures do not figure prominently in the musical
deconstruction. We could even consider the Velvet Underground quotation of this homage as a reference to the idea—
or even the myth—of New York.
After all, no other rock band developed such a radically energetic, genre-blasting aesthetics in the late 1960s. Its music
was an attack on all contemporary trends. In his multifaceted
compositions for Bigmouth, Chris Lightcap reflects on all these ideas, imbuing them with a piercing sense of clarity.
– H.L.
USA
Chris Lightcap – bass
Tony Malaby – tenor saxophone
Chris Cheek – alto saxophone
Matt Mitchell – piano
Gerald Cleaver – drums
Lightcap's
Bigmouth
16 | jazzmag
MainStage
„Epicenter“
jazzmag | 17
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
The Bureau of
Atomic Tourism
„Spinning Jenny“
18 | jazzmag
MainStage
Seitdem der belgische Schlagzeuger Teun Verbruggen 2011
das Sextett The Bureau of Atomic Tourism (kurz: The BOAT)
gegründet hat, sind zwei Alben erschienen: Second Law of
Thermodynamics und Spinning Jenny. Die eine Hälfte der Besetzung wechselt, so ist in Saalfelden an der Gitarre Hilmar
Jensson zu hören (auf den beiden Aufnahmen ist es Marc Ducret), am Bass ist dieses Mal der Norweger Ingebrigt Haker
Flaten und an der Trompete der Schwede Magnus Broo zu
erleben.
Gründungsanlass war das Follow The Sound Festival in Antwerpen, und auch die erste Aufnahme ist live eingespielt. Die
Herangehensweise von The BOAT ist dementsprechend liveorientiert. Die Stücke entwickeln eine Eigendynamik, die in der
Individualität der einzelnen Musiker fußt und sich fast zufällig
zu einer quasi-Einheit aufschaukelt, doch dann zerfällt das
Gewebe genauso schnell wieder in seine Einzelteile. Es reiben
und kratzen sich die Klänge, seltene stille Momente wirken
schon wie ungewollt, als suchten The BOAT nur den richtigen Moment, um vom sicheren Boden aus in die Wogen der
Improvisation zu stürzen. „It’s interesting listening for tolerant
ears“, lautet die Schlussfolgerung eines Rezensenten zu dem
2014 erschienenen Album Spinning Jenny. Er tut damit dem
Sextett sowohl recht als auch unrecht. Die Musiker wissen,
was sie tun. Referenzen an Maschinenästhetik des industriellen Zeitalters geben der Musik den Anschein von geordnetem
Chaos. Doch genauso entspringen ihr Momente von lyrischer
Eleganz, etwa in den Klängen des Fender Rhodes oder in den
Bläser-Solos.
Es gibt keinen Moment des Stillstandes, es geht immer vorwärts, kein Retardieren, nicht einmal in den ruhigsten Passagen. Die Sehnsucht nach der unaufhörlichen Bewegung
scheint sich hier in Musik zu manifestieren.
Since founding the sextet The Bureau of Atomic Tourism (The
BOAT), Belgian drummer Teun Verbruggen has released two
albums: Second Law of Thermodynamics and Spinning Jenny.
At this year’s jazz festival, half of the band’s line-up will be
changing. While the albums were recorded with guitarist Marc
Ducret, the group’s line-up for Saalfelden will include Icelandic guitarist Hilmar Jensson, Norwegian bassist Ingebrigt Haker Flaten, and Swedish trumpeter Magnus Broo.
The ensemble was founded on the occasion of the 2011 Antwerp Sound Festival. The band has retained its live-oriented
approach to music-making since recording its first album on
the performance circuit. While still grounded in the individual
playing style of each band member, musical numbers develop
a dynamic of their own, building up to quasi-uniformity and
then disintegrating just as fast into their individual parts. In the
midst of sounds grating against each other, rare moments of
calmness randomly occur—as if The BOAT were looking for
the right moment to plunge from a secure base into the waves
of improvisation. “It’s interesting listening for tolerant ears,”
one reviewer wrote about the band’s 2014 album Spinning
Jenny. He is both right and wrong in his assessment. The musicians just know what they are doing. References to the machine aesthetics of the Industrial Age give their music a sheen
of order in the chaos. At the same time, moments of poetic
elegance emerge through the sounds of the Fender Rhodes
or the brass and woodwind solos.
The BOAT’s music never stands still. Relentlessly rushing forward, it never falls behind—not even in the calmest of moments. It’s as if the musicians were trying to express their
yearning for unstoppable movement through their art.
– D.S.
Belgium, Iceland, Sweden, USA
Teun Verbruggen – drums
Andrew D’Angelo – alto saxophone, bass clarinet
Magnus Broo – trumpet
Jozef Dumoulin – fender rhodes
Hilmar Jensson – guitar
Ingebrigt Håker Flaten – bass
jazzmag | 19
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
Das Motto dieses Konzertes scheint klar: eine Anspielung auf
John Coltrane („Ascension“) und Albert Ayler („Holy Ghost“).
Doch Rob Mazureks Projekt begnügt sich nicht mit stilistischen Referenzpunkten aus der Geschichte des freien Jazz
und ihren spirituell-hymnischen Erscheinungsformen. Es geht
ihm um die Gestaltung einer Musik des Übergangs. Zwischen
Leben und Tod, zwischen den Sphären.
Komponiert nach dem Tod seiner Mutter, zeichnet der Kornettist und Elektroniker in seinen Kompositionen den Weg zwischen Trauer und einer Feier des Lebens auf völlig klischeefreie
Weise nach. Zusammen mit dem brasilianischen Ensemble
Black Cube fächert er ein weites Gefühlsspektrum auf, das
die Idee der Wandlung auch musikalisch als eine „schamanistische Reise“ zelebriert - nicht in der Manier westlicher Trauermusik, sondern als leidenschaftliches, dynamisches Ritual
der Entgrenzung und Überschreitung. Es sind andere Formen.
Formen, die deshalb nicht weniger Gültigkeit oder existentielle Emotionalität in der Konfrontation mit dem Tod besitzen.
Zusammen mit dem brasilianischen Projekt Black Cube SP
gelingt es Rob Mazurek, den Moment des Abschieds in eine
so vitale wie kathartische Form überzuführen: Die Rhythmen
brasilianischer Musik - der traditionellen wie auch der Tropicalia - verbinden jene Elemente miteinander, die an scheinbar
entfernten Polen der Musik liegen: Klang-Elemente der psychedelischen Rockmusik, die Hymnik eines Albert Ayler und
die Beschwörungsintensität eines John Coltrane.
Man könnte die Musik als eine Reise ins Offene betrachten
- im Sinne einer Unvorhersehbarkeit. Damit aber würde man
einen wesentlichen Aspekt beiseite lassen: Rob Mazureks
intelligente Neu-Organisation des Ensemble-Klangs. Er lässt
zwar Raum für Improvisationen, aber die Entfaltung der Musik, ihre Gesamtgestalt ist durchkomponiert. Bei aller Vitalität
der Rhythmen erscheint die individuelle Expressivität zurückgenommen: zugunsten eines sich ständig neu definierenden
Beziehungsgeflechts zwischen den einzelnen Musikern. Polyphon, in jeder Hinsicht.
„Return the Tides:
Ascension Suite
and Holy Ghost“
Even though Rob Mazurek and Black Cube SP seem to have
a clear goal for their Saalfelden performance—to create musical allusions to John Coltrane’s album Ascension and Albert
Ayler’s Holy Ghost—they will not content themselves with making mere stylistic references to the history of Free Jazz and
its spiritual and hymn-like manifestations. Instead, they aim to
give an acoustic expression to the transition between life and
death and the spheres.
Composed after the death of his mother, the work of the cornetist and electronic musician oscillates between grief and a
celebration of life without resorting to clichés. Together with
the Brazilian ensemble Black Cube, Mazurek generates a
broad emotional spectrum that celebrates transformation as
a “shamanistic voyage”—a passionate, dynamic ritual of delimitation and transgression in stark contrast to Western funeral music. Even though these musical forms are different,
they are no less valid or emotional on an existential level when
confronting death. Mazurek and Black Cube SP succeed at
infusing the moment of farewell with vibrant, cathartic content. The rhythms of Brazilian music—both traditional ones
20 | jazzmag
and those created by Tropicália—connect seemingly contrary
elements culled from psychedelic rock, Albert Ayler’s hymns,
and John Coltrane’s conjuring sounds.
The ensemble’s music could be seen a voyage to open, unpredictable spaces. By merely using this one image, however, we would leave out an essential element of Mazurek’s
work: his intelligent reorganization of the ensemble sound.
Even though he leaves room for improvisations, his music’s
development and overall character is through-composed. In
spite of the forceful rhythms, individual expression seemingly takes a backseat to a constantly evolving web of relations
between musicians. This music is polyphonic in every sense
of the word.
– H.L.
MainStage
USA, Brazil
Rob Mazurek – compositions, cornet, electronics
Mauricio Takara – cavaquinho, percussion, electronics
Guilherme Granado – keyboards, synth, sampler, voice
Thomas Rohrer – rabeca, soprano saxophone
Rogerio Martins – percussion, voice
Rodrigo Brandão – voice
and
Rob Mazurek
Black Cube SP
jazzmag | 21
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
Atomic
„Lucidity“
22 | jazzmag
MainStage
Lange genug assoziierte man Jazz aus Norwegen mit dem unsäglichen Fjord-Klischee: kirchenhallgestützte Musik, die eine
räumliche Weite suggerieren soll und dem Hörer dafür den
künstlichen Studio-Hall als Zeichen des Authentischen verkauft. Mithin Musik also, die die direkte Konfrontation scheut
und statt dessen so etwas wie das „Erhabene“ als Unangreifbarkeit für sich reklamiert - und mit dieser Manier direkt ins
Esoterische mündet.
Zu den wichtigsten Formationen, die diese marketinggesteuerte Vorstellung über die Jahre hinweg produktiv desavouiert
haben, zählt das im Jahr 2000 gegründete Ensemble Atomic.
In seinem Bemühen um kreative Eigenständigkeit, um eine
Rettung des Widerständigen verbindet die Band die US-amerikanische Free Jazz-Tradition mit Elementen aus der europäischen Avantgarde: eine ideale Verbindung. Denn Atomic
gehen nicht den Weg jener European Free Music, die sich
selbst als Alternative zur US-geprägten Spielweise der freien
Improvisation betrachtete. Eine Strömung, die sich eher auf
die vielfältigen Traditionsstränge der eigenen Herkunftswelt
bezog - und die trotz ihres radikalen Freiheitsanspruches einem nicht-expliziten Regelwerk der „unberührbaren“ Formeln
zu folgen schien.
Bei Atomic dagegen herrscht kein Ausschließungsprinzip:
Hier geht man den umgekehrten Weg. Das Quintett definiert
seine Musik nicht über das, was tabu ist, sondern über die
neuen Wege, Formen und Formeln zu dekonstruieren, die
„atomisierten“ Teile in eine neue Beziehung zueinander zu
setzen. Aus einer Vielzahl von Stil-Elementen, die mal miteinander kombiniert, mal gegeneinander ausgespielt werden, gestaltet die Band einen unverwechselbaren Ensemble-Klang,
in dem die Gegensätze erst herausgestellt, dann aufgehoben
sind - und sich die freigesetzten Partikel schließlich wieder
zu einem geschlossenen Ganzen zusammenschließen. Aus
diesem Prozess, in dem Emphase und Intellektualität unentwirrbar verbunden sind, erwächst eine inhärent konfrontative
Musik, deren kreative Kraft sich erfolgreich gegen jedes Klischee wendet.
For a long time, Norwegian jazz has been associated with
clichés of music reverberating in church halls and spreading
over fjords. Through studio-generated echoes, this music is
supposed to evoke authentic images of vast landscapes. At
times, it shies away from direct confrontations—instead putting on an air of lofty untouchability and thus directly veering
off towards the esoteric.
Founded in 2000, the Atomic ensemble is one of the most
important bands to have kept a productive distance from these marketing-driven concepts. In an effort to reach creative
independence and safeguard resistance, the band masterfully interweaves American Free Jazz traditions with European
avant-garde elements. Atomic, however, does not tread the
paths of European Free Music that saw itself as an alternative
to American-style free improvisations. This type of music-making referred to its multifaceted traditions, seemingly following
the non-explicit rules of “untouchable” forms in spite of its
radical clamoring for freedom.
Never excluding anything, Atomic approaches music-making
from the other end. Rather than defining its music through taboos, the band seeks out new ways of deconstructing forms
and formulas, and of creating new relations between “atomized” parts. The quintet creates its inimitable sound from a
wide variety of sources combined with each other and played
off against each other. It creates contrasts only to dissolve
them again. All the particles released in the process are reassembled into a coherent unit. The result of this intricate link
between emphasis and intellectuality is an inherently confrontational music whose creative strength successfully defies any
cliché.
– H.L.
Norway, Sweden
Fredrik Ljungkvist – reeds
Magnus Broo – trumpet
Håvard Wiik – piano
Ingebrigt Håker Flaten – bass
Hans Hulbækmo – drums
jazzmag | 23
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
Angelica
Sanchez
Quintet
24 | jazzmag
MainStage
„Wires & Moss“
USA, France
Angelica Sanchez – piano
Marc Ducret – guitar
Ellery Eskelin – tenor saxophone
Drew Gress – double bass
Tom Rainey – drums
„Life Between“ nannte Angelica Sanchez eines ihrer Alben.
Damit positionierte sich die New Yorker Pianistin auf einem
Gebiet des Übergangs: Nicht nur, dass in ihrem Spiel mögliche musikalische Herkunftslinien nur mehr in abstrahierter
Form auftauchen. Vielmehr entwickelte sie mit ihrem konstruktivistisch-kühlen Ansatz einen völlig eigenen Stil.
Innerhalb weniger Jahre schuf sie ein Œuvre, das so vielgestaltig wie ausgeprägt individualistisch ist. Sanchez bewegt
sich souverän zwischen den Extrempolen spielerischer Dynamik, zwischen vertrackten Kompositionspassagen und frei
fließender Improvisation. Doch ganz gleich, welchem Extrem
sie sich auch annähert, stets vermittelt sie dabei auch eine
Ahnung der je „anderen Seite“ - so als betrachte sie ihr Spiel
beständig auch von einem Gegenpol aus. Wenn sie etwa ein
Thema in die freie Assoziation überführt, dann nur um auf
Umwegen wieder an den Anfang zurückzukehren. Doch es
ist nicht mehr derselbe Anfang. Was vielleicht als Variation
des Themas erscheinen mag, ist eher eine Erinnerung an den
Ausgangspunkt. Eine Erinnerung an die Möglichkeiten, die in
diesem Ausgang verborgen lagen.
Und nicht zuletzt zeigt Sanchez die Wege auf, wie sich ein festes formales Gerüst weiten kann, sich öffnet für eine Exkursion
in die Freiheit des assoziativen Spiels und die Rückführung in
veränderte Strukturen. Bei aller Freiheit, die sie den Musikern
ihres Quintetts lässt, bewahren die Stücke eine klare Kontur,
erscheint jedes Solo als fester Bestandteil der Komposition
- und nicht als Füller einer Leerstelle, die zur individuellen
Selbstdarstellung gedacht und genutzt wird.
Angelica Sanchez, die große Stilistin der aktuellen Improvisationsszene, beeindruckt mit einer ausgeprägten Nuanciertheit
des Anschlags, mit einem ausgeprägten Gespür für die feinen
Schattierungen des Klangs. Es ist Musik, in der die Übergänge zwischen Improvisation und Komposition nicht mehr erkennbar sind. Musik, in denen Emphase und Expressivität nie
die Grundstruktur, die ausgefeilte Form dominieren und damit
das Moment der Intellektualität zum Verschwinden bringen.
Sanchez‘ Ästhetik inszeniert eine perfekte Balance aus uneingeschränkter Imagination und der Konstruktion von Formen,
deren Festigkeit immer wieder in Frage gestellt wird.
Life Between, the title of one of Angelica Sanchez’ albums,
gives musical expression to the idea of transition. The New
York pianist not only highlights her origins in an abstract form
in this album—she also defines her own style of music-making
through a cool, constructivist approach.
Within just a few years, Sanchez has developed an oeuvre that
is both multivariegated and markedly individualistic. Sanchez
skillfully navigates between the poles of dynamic playfulness,
intricate compositions, and free-flowing improvisation. But
regardless of which extreme she steers towards, she always
conveys a notion of the “other side,” as if she were watching
her performance from one of the other poles. When she veers
off towards free association, she only does this to return to
the beginning. It is, however, not the same beginning as when
she started out.
What may be a variation on a theme is more of a memory of
the point of departure—or better yet, a memory of the possibilities hidden behind this point of departure. Sanchez also
demonstrates how a firm formal structure can open up to
free associative play and to a return to changed structures.
Even though she gives ample room to her musicians to express themselves, the musical numbers retain clear contours.
Rather than filling a gap, every solo seems to be a part of the
composition.
Known for her style-consciousness in contemporary improvisation, Angelica Sanchez impresses listeners with the nuance
of her touch and her keen sense of acoustic shades. In her
music, she blurs transitions between improvisation and composition. Emphasis and expression do not provide the basic
structure nor do they dominate finely chiseled forms, thus
reducing the momentum of intellectuality. Instead, Sanchez
strikes a perfect balance between limitless imagination and
constructed forms, whose firmness is repeatedly called into
question.
– H.L.
jazzmag | 25
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
Zwischen Philadelphia und Pittsburgh liegt eine Unzahl von
Städten und Ortschaften. Diejenigen, die Namensgeber für
Moppa Elliotts Stücke sind, haben keinesfalls mehr als fünftausend Einwohner. Mauch Chunk ist eine von ihnen und auch
der Titel des jüngsten Albums, auf dem sich die für ihre musikalische Diversität bekannte Band die Ehre gibt. Von Swing
bis Free Jazz, Avantgarde und Augenzwinkern wird hier kaum
etwas ausgelassen.
Man würde Moppa Elliott durchaus noch zur Kategorie „junger Musiker“ zählen, ist er doch noch bei weitem keine vierzig. Er hat eine eigenes Label, Hot Cup Records, spielt in
mehreren Formationen und gründete vor nunmehr fast zwölf
Jahren gemeinsam mit dem Trompeter Peter Evans, den er
Ende der Neunziger Jahre am Oberlin Conservatory of Music kennengelernt hatte, eine der aufsehenerregenden jungen
Jazzbands: Mostly Other People Do the Killing.
Der Name leitet sich von einem Zitat des Physikers Lew Termen ab, der vor gut hundert Jahren mit dem Theremin das
erste Instrument entwickelte, das elektronische Töne erzeugt.
Er soll gesagt haben, Stalin sei gar nicht so schlimm gewesen, schließlich hätten meistens die anderen Leute das Töten
übernommen.
Der Saxophonist John Irabagon, 2008 Gewinner des Thelonious-Monk-Wettbewerbs, stieß schließlich in New York zur
Band, Schlagzeuger Kevin Shea sprang in letzter Minute in
dem ersten Konzert von MOPDtK ein und blieb seitdem ein
Teil des Quartetts.
Mit den musikalischen Meilensteinen der Jazzgeschichte verfahren die vier Herren, nunmehr mit dem Pianisten Ron Stabinsky als neuem Bandmitglied, so konsequent wie unkonventionell. Sie komponieren, dekonstruieren, spielen nach,
improvisieren und das alles mit instrumentalistischer Virtuosität und einer großen Portion Humor.
Numerous small towns dot the highway from Philadelphia to
Pittsburgh. Those that have lent their names to Moppa Elliott’s
compositions number no more than 5,000 inhabitants. One of
them is Mauch Chunk. Its unusual name was used as a title
for the band’s most recent album. This musically diverse band
plays the gamut from swing to Free Jazz and tongue-in-cheek
avant-garde.
Still in his thirties, artist Moppa Elliott belongs to the category of “young musicians,” but has already established his
own label, Hot Cup Records. He also plays in different bands,
and together with Oberlin Conservatory classmate, trumpeter
Peter Evans, founded one of the most promising young jazz
bands almost twelve years ago.
Mostly Other People Do the Killing derives its name from a
quote by physicist Lew Termen, who invented the theremin—
the world’s first electronic instrument—over one hundred years ago. He supposedly said that Stalin was not so bad because mostly other people did the killing for him.
John Irabagon, 2008 winner of the Thelonius Monk Competition, joined the band when Elliott and Evans moved to New
York. Percussionist Kevin Shea, a last-minute replacement in
MOPDtK’s first concert, has not left the band ever since.
Pianist Ron Stabinsky is the band’s most recent addition. As
a team, the quartet gives musical milestones of jazz history a
consistently irreverent treatment. Equipped with virtuoso skills
and a good sense of humor, they compose, improvise, and
cover tunes from other musicians.
– D.S.
„Mauch Chunk –
Introducing
Ron Stabinsky“
26 | jazzmag
MainStage
USA
Moppa Elliott – bass
Jon Irabagon – saxophone
Ron Stabinsky – piano
Kevin Shea – drums
Mostly Other
People Do
The Killing
jazzmag | 27
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
Steve Coleman
and
the
Council of Balance
Ob nun rescher Hard Bop, afrikanischer Diasporajazz oder brachialer Hiphopjazz - wenn Saxofonist Steve Coleman spielte,
ging es immer schon um mehr als um bloße Unterhaltung. Der
Hörer soll „mit den natürlichen Rhythmen des Universums versöhnt werden“.
Coleman ist einer der wichtigsten Sucher im modernen Jazz, einer der stets für Überraschungen gut ist. Die Krallen hat er sich
als junger Mann in sehr illustren Formationen geschärft. So spielte er für Thad Jones und Mel Lewis, für Dizzy Gillespie und Stanley Cowell, aber auch für Gesangsstilistinnen wie Abbey Lincoln
und Cassandra Wilson. Parallel dazu entwickelte er vertrackte
Musiktheorien, die einerseits an traditionelles, afrikanisches Geheimwissen andocken, andererseits überraschte er mit kühnen
Entwürfen entlang erratischer Energiekonzepte und „heiliger“,
geometrischer Formen. Es wurde bald klar, dass Coleman einer
der wichtigen Sucher des zeitgenössischen Jazz ist.
Sein aktuelles Projekt „Synovial Joints“ ist das vielleicht ambitiöseste künstlerische Unternehmen, auf das sich der 58-jährige,
aus Chicago gebürtige Bandleader bislang eingelassen hat. Mit
einem 21-köpfigen Kollektiv namens Council of Balance (den
Namen verwendete Coleman schon für ein früheres titanisches
Werk, für das 1998 erschienene „Genesis & The Opening of
the Way“), reizt er die Möglichkeiten bauschiger Augenblickskomposition unter Berücksichtigung oben genannter Prinzipien aus. Das Ergebnis klingt erstaunlich verhuscht, beinah wie
halbvergessene Melodien aus den Vierzigerjahren.
Die vielschichtigen Klänge erklärend, spricht er von „Camouflage Orchestrations“, die von Sounds inspiriert sind, die er im
Regenwald des Amazonas aufgenommen hat. Manche der Ideen, die er verfolgt sind hunderte Jahre alt, andere sind spontane
Einfälle. Coleman sieht sich jedenfalls in einem musikalischen
Kontinuum mit so unterschiedlichen Geistern wie Johann Sebastian Bach, Béla Bartók und John Coltrane. Trotz der Vertracktheit seiner Gedanken entfaltet seine Musik große Sinnlichkeit. Das bringt ihm auch Anerkennung von Institutionen weit ab
vom Jazz-Zirkus. So wurden ihm im Vorjahr die Guggenheim
Fellowship und der Doris Duke Performing Artist Award verliehen. Ohne Zweifel, dieser Mann ist am Gipfel seiner Kunst.
Whether it is driving hard bop, African diaspora jazz, or bonebreaking hip-hop jazz—when Steve Coleman blows his horn,
he wants to do more than just entertain. His ultimate goal is to
“reconcile listeners with the natural rhythms of the universe.”
One of the most important pathfinders in modern jazz, Coleman honed his craft in illustrious formations such as Thad
Jones’, Mel Lewis’, Dizzy Gillespie’s, and Stan Cowell’s
bands. He also accompanied singers Abbey Lincoln and Cassandra Wilson. At the same time, he developed intricate musical theories based on traditional African knowledge, erratic
concepts of energy, and “sacred” geometric forms. As a result, the 58-year-old, Chicago-born bandleader has emerged
as one of the most important trail-blazers in contemporary
jazz, constantly staging surprises during his performances.
Titled Synovial Joints, his most recent project probably is his
most ambitious one. With his 21-member collective Council
of Balance—a band name he used for his titan work Genesis
& the Opening of the Way as early as 1998—Coleman explores the possibilities of voluptuous spontaneous compositions
based on the principles described above. What emerges is
an astonishingly tender sound akin to half-forgotten melodies
from the 1940s.
He describes his multi-layered creations as camouflage orchestrations inspired by sounds he recorded in the Amazonian
rainforest. Sometimes he picks up ideas developed hundreds
of years ago; at other times he is totally spontaneous. Coleman sees himself in a musical continuum ranging from Johann
Sebastian Bach to Béla Bartók, and John Coltrane. In spite of
its complexity, his music comes across as very sensual. As
a result, he is recognized by institutions outside of the jazz
world: last year, for example, Coleman received a Guggenheim Fellowship and the Doris Duke Performing Artist Award.
This artist has undoubtedly reached the zenith of his career.
„Synovial Joints“
28 | jazzmag
– S.K.
USA
Steve Coleman – alto saxophone
Jonathan Finlayson – trumpet
Maria Grand – tenor saxophone
David Bryant – piano
Sean Rickman – drums
Rane Moore – clarinet/bass clarinet
Barry Crawford – flute/piccolo
Jeffrey Missal – trumpet/piccolo trumpet
Mike Lormand – trombone
Kristin Lee – violin
Elizabeth Weisser – viola
Jay Campbell – cello
Greg Chudzik – bass
Alex Lipowski – percussion
jazzmag | 29
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
JÜ Kjetil Møster
with
Hungary, Norway
Adam Meszaros – guitars
Erno Hock – electric bass
Andras Halmos – drums
Kjetil Møster – saxophones, clarinet
30 | jazzmag
MainStage
Es hat eine lange Tradition, das hässliche Geräusch als Gestus der Rebellion zu deuten. Wohlklang, das ist für viele eine
bürgerliche Scheußlichkeit, die es zu fliehen gilt. Hinab in die
Moshpits, in die Schlammgruben, umhüllt von furchterregendem Lärm. Dort wird man aufeinander springend, einander
umtanzend zum Archetypus Mensch. In einer symbolischen
Ent-Individuation im Schutze gewaltigen Lärms wird so deprimierender Alltag transzendiert, ja zuweilen sogar schamanistische Ekstase erzeugt. Das passiert auf Massenfestivals der
Metalheads genauso wie auf fortschrittlichen Jazzfestivals,
die es längst satt sind, sich an Traditionslinien zu orientieren,
die jahrzehntelang gegolten haben.
Jazz steht heute viel mehr für einen Modus der prinzipiellen
Offenheit gegenüber dem Fremden, dem Ungehörten, als
für ein fix umrissenes Genre. Im Idealfall wird so aus Störgeräuschen Musik, aus Wohlklang wüster Lärm. Vielleicht ist
ja das Tosen der Meeresbrandung der Ursprung der Musik?
Oder das Lärmen der Welt, noch bevor es in Stimmen und
Töne, in Signale und Worte, in Schüsse und Schreie zerfällt?
Weißes Rauschen, Urgeräusch versus notierte Klanggestaltung subtiler Art.
Das Geräusch ist aber auch Stoff der Tonkunst, wie sie das
Budapester Noise-Trio JÜ gemeinsam mit dem norwegischen
Saxofon-Provokateur und Bassklarinettisten Kjetil Traavik
Moster ersonnen hat. Gerade in so einem geräuschvollen Zusammenhang faszinieren die wenigen elegischen Momente,
wie sie etwa in „Morze (for Agoston Bèla)“ entwickelt wurden,
besonders intensiv. An anderer Stelle kollidieren antagonistische Soundwelten in einem Strudel, der zuweilen an den Osloer „Esoteric Circle“ erinnert, der sich einst unter dem Amerikaner George Russell formierte. Als junge Wilde gehörten ihm
damals Terje Rypdal und Jan Garbarek an. JÜ & Kjetil Moster
zeigen ähnliche Qualitäten. Mit gut entwickeltem Hang zum
Düsteren fusionieren diese vier Musiker Avant-Jazz mit dem
Gestus des Doom-Metal. Selbstverständlich unter besonderer
Rücksichtnahme auf die Belange von Wut und Agonie.
To some audiences, harmonious sounds are a bourgeois atrocity. For a long time, they have staged their rebellion by listening to ugly noises. They have descended into the moshpits,
where they are surrounded by hair-raising sounds. There they
jump and dance themselves to frenzy until they have become
mere human archetypes. In this act of symbolic deindividuization, they are sheltered by a huge cacophony. These listeners thereby transcend their depressing everyday routine
and at times even reach a state of shamanistic ecstasy. This
happens at mass festivals of metalheads just as much as at
progressive jazz festivals, where listeners are tired of following
the same decade-old routines.
Rather than denoting a rigidly defined genre, contemporary jazz signifies a mode of basic openness towards strange
sounds that have never been heard before. Ideally, these
acoustic interferences turn into music, with harmonious melodies flowing from chaos. Didn’t music originate from the
sound of ocean waves breaking on the shore, after all? Or can
it be traced back to the noise the world made long before it
broke apart into voices and sounds, signals and words, shots
and screams—white, original noises clashing with a subtle,
premeditated soundscape?
Noises are an integral part of music, as the Budapest trio JÜ
demonstrates in its collaboration with the Norwegian saxophone provocateur and bass clarinetist Kjetil Traavik Moster.
It is exactly in this noisy environment that rare elegiac moments such as “Morze (for Ágoston Béla)” surprise listeners
with their intensity. In other moments, antagonistic sounds are
sucked up into a vortex akin to the one created by the Oslo
band Esoteric Circle, which was founded by American artist
George Russell and once included the “savages” Terje Rypdal
and Jan Garbarek. JÜ & Kjetil Moster bring similar qualities to
light. With their well-developed penchant for somber sounds,
these four musicians fuse avant-garde jazz with doom-metal
gestures. Naturally, this venture is a furious and agonizing one.
– S.K.
„JÜ meets Møster“
jazzmag | 31
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
Mit Sun Ra ist es ein wenig wie mit dem Philosophen Gottfried
Wilhelm Leibniz. Dieser universale Geist der frühen Aufklärung
hat so viele Schriften hinterlassen, dass noch einige Generationen mit ihrer Aufarbeitung beschäftigt sein werden. Ähnliches
vollzieht sich mit den vielen ungehörten und unerhörten Klangzeugnissen dieses außergewöhnlichen Pianisten und Komponisten, der 1914 geboren wurde und 1993 die Erde verließ. Wohl
Richtung Saturn, seinem Lieblingsplaneten.
Sein Nachlass besteht aus mindestens 350 Alben und 200 Privataufnahmen, aber auch aus umfassenden musiktheoretischen und
philosophischen Kompendien, inklusive dem 500 Seiten dicken
„Book Of Information“, das ihm angeblich von den „Administrators of the galaxy empire“ einst in Istanbul eingeflüstert wurde.
Es soll die Geschichte des Universums bis zum 30. Jahrhundert
erzählen. Sun Ras Weltraumlyrik, die zuweilen wie Gebete gechantet werden, deutete an, dass er nicht vom Planeten Erde
stammte. „Some call me Sun, some call me Ra, you may call me
Sun Ra“ murmelte er manchmal am Anfang seiner Konzerte.
Mit bürgerlichem Namen hieß er schlicht Herman Blount. Seine
interplanetare Mission nahm er mit seinem 1952 gegründeten
Arkestra (ein Mischwort aus Arche und Orchester) auf. Die Titel
sagten alles: „Interstellar Low Ways“, „We Travel Spaceways“
und „Cosmic Tones For Mental Therapy“ hießen Werke von ihm.
Jede neue Generation weltoffener Hörer entdeckt ihn aufs Neue.
Sein alter Weggefährte, der 91-jährige Saxofonist und SteinerSpace-Effektflötist Marshall Allen, lenkt Sun Ras Arche unbeirrt
weiter. Dessen ungeachtet häufen sich auch die Hommagen an
den legendären Meister.
Saxofonist und Sänger Thomas de Pourquery beweist mit seinem
formidablen Opus „Play Sun Ra“, dass auch Frankreich Teil des
Alls ist. Seine eigens für dieses ehrgeizige Unternehmen zusammengestellte Formation Supersonic besteht aus Musikern, die
sonst in so jazzfernen Genres wie Rock, Electro und Drum´n´Bass
tätig sind. Allein diese Finte garantiert, dass der Blick auf das
epische, teils überraschend melodische Werk („Enlightenment“!)
ein überaus frischer ist. Hirnschmalz, Feinsinn und kosmische Intervention kommen hier ideal zusammen.
There are some similarities between jazz artist Sun Ra and German philosopher Gottfried Wilhelm Leibniz. The universally educated thinker of early Enlightenment left behind so many works
that several generations after ours will be busy sifting through
them. The same is the case with extraordinary pianist and composer Sun Ra, who was born in 1914 and left this earth in 1993—
probably for his favorite planet, Saturn.
His bold oeuvre of 350 albums and 200 private recordings includes works that have never been performed. Sun Ra also wrote
comprehensive compendiums on music theory and philosophy,
including the 500-page Book of Information, which the “administrators of the galaxy empire” supposedly whispered into his ear
in Istanbul. This work unravels the history of the universe until the
30th century. At times chanted in prayer-like fashion, Sun Ra’s
cosmic poetry points to the extraterrestrial origins of its creator.
“Some call me Sun, some call me Ra, you may call me Sun Ra,”
the artist sometimes whispered at the beginning of his concerts.
Born Herman Blount, Sun Ra started his interplanetary mission
with his Arkestra—a blend of the words ark and orchestra—in
1952. The titles of the albums— Interstellar Low Ways, We Travel Spaceways, and Cosmic Tones For Mental Therapy—are
evidence of this mission. Each new generation of curious listeners discovers Sun Ra for itself. His erstwhile fellow traveler,
91-year-old saxophonist and Steiner-space-effect flutist Marshall Allen, charts Sun Ra’s ark onwards unperturbed. An increasing number of performers not associated with the Arkestra also
pay homage to the legendary master.
In his impressive opus Play Sun Ra, saxophonist and singer Thomas de Pourquery proves that France is also part of the legend’s
universe. Assembled with the express purpose of performing
Sun Ra’s work, Pourquery’s band Supersonic includes musicians who usually prefer rock, electro, and drum ‘n bass to jazz.
This maneuver has allowed Pourquery and his team to shed a refreshing light on Sun Ra’s epic, sometimes surprisingly melodic
composition Enlightenment. Listeners experience a perfect confluence of keen intelligence, subtlety, and cosmic intervention.
Thomas de
Pourquery
‚Supersonic’
32 | jazzmag
– S.K.
MainStage
„Play Sun Ra“
France
Thomas de Pourquery – alto & soprano saxophones, vocals
Laurent Bardainne – tenor & baritone saxophones
Fabrice Martinez – trumpet
Arnaud Roulin – keyboards & piano
Fred Galiay – bass
Edward Perraud – drums
jazzmag | 33
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
Ken Thomson
and Slow / Fast
34 | jazzmag
MainStage
„Settle“
Ken Thomson ist ein Freund der großen Form, denn auf dem
Album Settle gibt es kaum eine Nummer von unter neun Minuten Dauer. Das mag für Jazzalben durchaus nichts Besonderes sein, aber hier ist es doch so, dass die Komposition im
Vordergrund steht, und nicht das Improvisieren verschiedener Solisten über ein Thema. Der formale Zusammenhang ist
Thomson und seinem Quintett also wichtiger als die solistische Profilierung einzelner Musiker, dennoch kommt ein jeder
mit seinen Qualitäten bestens zur Geltung.
Der Gitarrist mit Punkband-Vergangenheit, Nir Felder, wird
bereits als „Phänomen“ gehandelt und ist mit seinen zweiunddreißig Jahren der Jüngste im Kollektiv. Trompeter Russ
Johnson und Saxophonist Ken Thomson verstehen sich musikalisch blendend, und die Klangintensität ihres Zusammenspiels hat orchestralen Charakter, lässt mitunter sogar völlig
vergessen, dass hier nur zwei Instrumentalisten am Werk
sind. Sie sind die Gestalter von Fast/Slow, die der Musik Witz
und Charakter geben. Ken Thomson schöpft musikalisch aus
verschiedenen Töpfen, seine Musik behält jedoch stets einen kohärenten Klang, angereichert mit Elementen aus Rock,
Unisono-Bläserpassagen in (beinahe) Mariachi-Manier, sich
wiederholenden Patterns oder anderen kompositorischen
Strukturen, die generell unter dem Emblem „zeitgenössische
Musik“ zusammengefasst werden.
Die auffallend ruhigen, fast introvertierten Gitarrensoloparts
auf dem Album Settle (2014 auf NCM East Records erschienen) stellen einen wunderbaren Kontrast zur kompositorischen Komplexität der Stücke und der allgemein eher bläserlastigen Performance dar, sodass sich ein äußerst vielseitiges
Gesamtes ergibt, das jede Menge Überraschungen bereithält.
So ist der Name Fast/Slow nicht zufällig gewählt, ist doch die
Band für Thomson eine Weiterentwicklung seiner Aktivität in
der Punk/Rock/Jazz-Band Gutbucket, deren Musik, so Thomson in einem Interview, mehr „fast“ als „slow“ sei.
Fast/Slow besteht seit fünf Jahren in unveränderter Besetzung
und hat mit Settle ihr bislang zweites Album veröffentlicht.
When listening to Slow/Fast’s album Settle, listeners quickly
learn that bandleader Ken Thomson likes big forms—hardly
any number comes in under nine minutes. Even though this
may not be that uncommon on jazz albums, the compositional rather than improvisational focus of Settle makes it a
unique work. Instead of soloing in the limelight, Thomson and
his quintet concentrate on creating formal cohesion while still
allowing their high-caliber musical skills to shine through. Nir
Felder, a 32-year old former punk rocker and the youngest
member of the band, is considered an “insider’s tip” in the jazz
world. The fact that trumpeter Russ Johnson and saxophonist
Ken Thomson are on the same wavelength becomes apparent
in the intense volume and the orchestra-like sound of their
joint music-making. At times, Johnson and Thomson make
listeners forget that it is just the two of them in the woodwind
and brass sections. They give shape to Slow/Fast’s drive,
imbuing the music with humor and character. While drawing
from various sources of inspiration, Ken Thomson still succeeds at creating a coherent sound from rock music, woodwind and brass passages played in unison in the manner of
mariachi bands, repeating patterns, and other compositional
structures from what is commonly referred to as “contemporary music.” The album’s strikingly calm, almost introverted
guitar solos contrast wonderfully with complex compositions
and the band’s woodwind and brass focus, thereby creating
multifaceted musical pieces that are full of surprises. It was
not by accident that Ken Thomson chose Slow/Fast as a band
name. In an interview, he said that he considered the ensemble a continuation of his work with the punk/rock/jazz formation
Gutbucket, whose music veered towards the fast rather than
the slow side. In existence for five years, Slow/Fast has had
the same musical line-up. Released in 2014 by NCM East Records, Settle is their second album.
– D.S.
USA
Ken Thomson – bass clarinet, alto saxophone
Russ Johnson – trumpet
Nir Felder – guitar
Adam Armstrong – bass
Fred Kennedy – drums
jazzmag | 35
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
Er ist so etwas wie der Antipode all jener Jazzpianisten, die
sich von der eigenen Gefühligkeit zu endlosem Kreisen um
sich selbst getrieben sehen: Denn Matthew Shipps phantasievolles Spiel und seine intelligenten Formideen sind von einer
bestechenden Klarheit und einem radikalen Gestaltungswillen
gezeichnet.
Der Titel seines Albums „I‘ve Been to Many Places“ mag zunächst eine Rückschau nahelegen. Und tatsächlich greift der
Pianist hier Stücke auf, die er früher in einem anderen Kontext,
mit verschiedenen Ensembles gespielt hat. Eine Einübung in
Selbstreflexion könnte es sein. Eine Bewusstwerdung der eigenen Entwicklung, die Shipp in den letzten Jahren vollzogen
hat. Doch es ist eine Selbstpositionierung in der Gegenwart,
auf die der Pianist seinen Blick richtet. Damit wirft er eine
entscheidende Frage aufs Neue auf - nicht nur für sich: Wie
lassen sich Improvisation und Komposition auf so innovative
Weise miteinander verbinden, dass dieser Antagonismus als
ein nur mehr scheinbarer entlarvt wird?
Matthew Shipp nutzt dafür zunächst ein weites Feld an Referenzen: Aus dem Jazz wie aus der europäischen Klassik,
die zuweilen zitathaft, dann wieder in verwandelter und kaum
mehr erkennbarer Gestalt in den Fluss seiner Improvisationen
integriert werden. Was er allerdings vermeidet, ist das Zitat
um seiner selbst oder des einfachen Effekts willen. Seine Verknüpfung von komplex strukturierten Themen mit motivisch
offenen Improvisationen, in denen der Geist des assoziativen
freien Spiels ständig an einer intellektuellen Formgestaltung
reflektiert wird, ist einzigartig.
Shipps Formenspiel mit Idiomen vergangener und gegenwärtiger Musik in teils abstrahierter, teils expliziter Form erzählt von einer Praxis der steten Verwandlung, Modifizierung,
Amalgamierung und Re-Kombination von Motiven - eigenen
wie fremden. Mit seiner unbestrittenen technischen Brillanz
zeichnet er auf diese Weise das Bild einer gegenwärtigen Musik, die allein der beständigen Reflexion und einer unbeirrbaren Innovationsbestrebung verpflichtet ist.
Matthew Shipp is somewhat an antithesis to other jazz pianists who—driven by their own emotions—endlessly revolve
around themselves: his imaginative play and intelligent conceptual ideas are crystal clear and radical.
The title of his most recent album, I’ve Been To Many Places,
may suggest that he is staging a retrospective. And indeed,
the pianist does revive tunes that he performed with other formations in different contexts. Although he may be reflecting
on his development over the last few years in this work, the
pianist is firmly rooted in the present. In the process, he raises
an important question about newness that does not only concern him: how can improvisation and composition be combined in such an innovative way that this apparent antagonism
is unmasked as a fake?
For this purpose, Shipp teases out a broad field of references
from jazz to European classical music. At times, he incorporates both elements in his improvisational flow as quotes, or
in a changed or hardly recognizable form. What he avoids,
however, are quotes for their own sake or for mere effect. By
linking intricately structured themes with open-ended improvisational motifs, he creates a unique form of free association,
which in turn reflects formal intellectual concepts.
Shipp’s abstract and explicit toying with different idioms
of past and present styles attests to a practice of constant
change, modification, amalgamation, and recombination of
his own and other people’s motifs. Equipped with an incontestable technical brilliance, he paints a picture of contemporary music steeped in consistent reflection and an imperturbable zest for innovation.
– H.L.
USA
Matthew Shipp – piano
„I‘ve Been
to Many Places“
36 | jazzmag
MainStage
Matthew
Shipp Solo
jazzmag | 37
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
Fire! Orchestra
38 | jazzmag
MainStage
Zunächst von Mats Gustafsson, Johan Berthling und Andreas
Werliin als Trio konzipiert, wuchs sich das Projekt zu veritabler
Orchestergröße aus. Es war zunächst eine Musik, die sich an
den Rändern entlang bewegte, die von der Zone des Übergangs her das Zentrum der angrenzenden Genres und deren
Stilpräferenzen in Frage stellte. Hier wurden die Delirien des
Free Jazz in ein Koordinatensystem mit dem eruptiven Klang
der avancierten Rockmusik positioniert. Eine gewisse Grundhaltung des Trios hat sich auch im Fire! Orchestra bewahrt:
Einen Raum vielfältiger Austauschmöglichkeiten zu schaffen
und dabei eine erfrischende Respektlosigkeit gegenüber jeglicher Kategorisierungsroutine an den Tag zu legen.
Dieses Projekt funktioniert zwar in Teilen wie ein großes, frei
improvisierendes Ensemble. Aber im Vordergrund steht eher
die ständige Überschreitung von Genre-Grenzen. Das heißt,
es ist Musik, die eine ständige Bewegung (das Kreisen um
sich selbst nicht ausgenommen) der Stasis einer festen Form
und deren Erfüllung vorzieht. Insofern ist das Ausgreifen auf
andere Terrains geradezu zwingend, ebenso wie ihre Relevanz sogleich wieder in Frage zu stellen. Anklänge an den
Post-Rock finden sich hier, Andeutungen an durchgestaltete
Songs, klar arrangierte und ausgefeilte Riffs.
Doch alles, was aus der Formelsammlung des Gegenwärtigen
diesseits und jenseits des Jazz stammt, wird hier vom Orchestra nur aufgegriffen, um es sogleich in subversiver Absicht zu
unterlaufen: jene genretypischen Referenz-Pole, die in der Improvisation kurz aufscheinen und am Ende nur mehr erahnbar
bleiben. Die in ihrem ganzen Selbstanspruch (vom Allmachtsanspruch der Song-Form ganz zu schweigen) durch souverän
praktizierte Ironie an den Rand der Identitätskrise getrieben
werden. Das Fire! Orchestra feiert auf beeindruckende Weise
das Ende der Eindeutigkeiten: Jedes Stilfragment wird Teil eines variablen Beziehungsnetzes, das eine anhaltende, in zahllosen Facetten schillernde Bewegung beschreibt.
First conceived by Mats Gustafsson, Johan Berthling, and Andreas Werliin as a trio, this project has grown into a veritable
orchestra. Their music initially lived on the margins, questioning the center of neighboring genres and stylistic preferences
from transitional zones. The trio has been known for crossing
delirious Free Jazz sounds with advanced rock music eruptions. Fire! Orchestra has preserved the trio’s basic affinity
towards making room for manifold, refreshing exchanges and
defying any attempts at categorization.
Partly working as a big, freely improvising ensemble, the band
constantly crosses the boundaries between genres. Even
though the band’s music-making sometimes goes around in
circles, the ensemble prefers consistent movement to complying with the norms of static forms. Although excursions
to other terrains become a necessity, the band quickly calls
these terrains’ relevance into question. Allusions to post-rock
and through-composed songs occur, as do clearly structured,
intricate riffs.
Fire! Orchestra picks and chooses elements from the toolboxes inside and outside of contemporary jazz only to immediately subvert them. References to certain genres appear
briefly in improvisations, but quickly dissolve into allusions.
As the band ironically questions these references’ self-expectations—and we are not even talking about the song form’s
illusions of omnipotence here—these quotations are driven
towards an identity crisis. Fire! Orchestra stages an impressive celebration denoting the end of clearly defined forms.
Every stylistic fragment is woven into a system of variables
that creates consistently vibrant movement into innumerable
directions.
– H.L.
Norway, Sweden
Mats Gustafsson – tenor saxophone
Johan Berthling – el bass
Andreas Werliin – drums
Mariam Wallentin – voice
Sofia Jernberg - voice
Anna Högberg – alto saxophone
Mette Rasmussen – alto saxophone
Lotte Anker – alto & tenor saxophones
Jonas Kullhammar – bass saxophone
Goran Kajfes – cornet
Niklas Barnö – trumpet
Mats Äleklint – trombone
Per-Åke Holmlander - tuba
Andreas Berthling – electronics
Finn Loxbo – guitar
Julien Desprez – guitar
Martin Hederos – keyboard
Mads Forsby – drums
„Ritual“
jazzmag | 39
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
Christian
Muthspiel Trio
„Auf dieser Platte sing ich Lieder für die brave Bourgeoisie, für
Zivil- und Chauvinisten, Kanzel und Militaristen und für klerikale Brüder, und vielleicht a paar für dich“. Mit diesen Worten
lockte der heute legendäre Tiroler Vibraphonist und Komponist Werner Pirchner 1975 in sein überaus geistreiches, spritzig-witziges Opus „Ein halbes Doppelalbum“. Jahrelang war
es eine hochpreisige Vinyl-Preziose. Dank Walter Gröbchen
und seinem wieder aktivierten Label Schallter (das 1981 von
Eberhard Forcher und Rudi Nemeczek gegründet wurde und
heute wieder kuratiert wird) ist dieses Zeugnis einer Rebellion
einer neuen Generation wohlfeil gemacht worden.
Als Alpen-Zappa hat man Pirchner mangels anderer Vorstellungsmöglichkeiten damals tituliert. Kühn hat er alpenländische Folklore, Jazz, Rock und freie Improvisation unter ein
einziges Zeltdach gebracht. Christian Muthspiel, 1962 in Judenburg geborener, hochkarätiger Komponist, Dirigent, Posaunist und Pianist, hat bei seiner Hommage für das Jazzfestival Saalfelden natürlich mehr im Blick als diese singuläre
Aufnahme Pirchners. 2007 erforschte Muthspiel auf seinem
Album „Against The Wind“ die Musik von Pirchner und dem
charismatischen, leider ebenfalls schon verstorbenen Gitarristen Harry Pepl. Die beiden früh Verglühten bildeten jahrelang
ein sogenanntes „Jazz-Zwio“, das zwischen musikalischer
Brillanz und scharfem Witz irrlichterte. Der nachdenkliche
Muthspiel nahm damals etwas vom Anarcho-Witz heraus,
und konzentrierte sich auf Hintergründiges und Melancholisches. In raren Momenten glückte es Muthspiel, die Grenzen
zwischen Melancholie und Frohsinn aufzulösen.
Damals schon dabei war Vibraphonist Franck Tortiller, neu
ist nun Bassist und Sänger Jerome Harris. Nach Muthspiels
Befund dachte Pirchner als Jazzmusiker kompositorisch, als
Komponist improvisatorisch. An dieser Erratik wird sich das
Trio mit viel Lust abarbeiten. Eine würdigere Hommage an den
großen Widerspenstigen der österreichischen Jazzszene, der
auch viele heute noch auf Sendung befindliche Signations für
Ö1 gestaltete, kann man sich kaum vorstellen.
“On this album, I sing songs for the well-behaved bourgeoisie,
for civilians and chauvinists, for the bully pulpit and militarists, for
our brethren from the clergy, and maybe a few for myself”—with
these enticing words the legendary Tyrolean vibraphonist and
composer Werner Pirchner advertised his ingeniously witty album
Ein halbes Doppelalbum in 1975. For years, this work was only
available in a high-priced vinyl edition. Thanks to Walter Gröbchen and his relaunched label Schallter—which was founded by
Eberhard Forcher and Rudi Nemeczek in 1981 and is curated by
them today—a new generation can now listen to this rebellious
album.
For lack of other conceptualizations, Werner Pirchner was once
called “a Zappa from the Alps” because of his bold fusion of Alpine folklore, jazz, rock, and free improvisation. Christian Muthspiel,
who was born in the Styrian town of Judenburg in 1962, will pay
homage to Pirchner in Saalfelden this August. The highly acclaimed composer, conductor, trombonist, and pianist will naturally
do more than just focus on Pirchner’s album. On his 2007 work
Against the Wind, for example, Muthspiel explored Pirchner’s
music as well as that of charismatic guitarist Harry Pepl, who, like
Pirchner, passed on too soon. For years, Pirchner and Pepl manned a “Jazz Zwio,” whose performances expressed the duo’s
musical brilliance and razor-sharp wit. Rather than focusing on
the duo’s off-the-wall anarchism in his 2007 album, Muthspiel
was more contemplative, choosing to highlight more subtle and
melancholic notes. Only in rare moments did Muthspiel succeed
at blurring the lines between melancholy and cheerfulness.
At the time, vibraphonist Franck Tortiller aided him in his effort. In
2015, bassist and singer Jerome Harris joined the band. According to Muthspiel, Pirchner wore his composer’s hat when playing jazz, and his improviser’s hat when composing. In Saalfelden, the trio will navigate these erratic waters. There is hardly any
other formation that could pay a better tribute to one of Austria’s
greatest jazz rebels, whose signature tunes can be heard on the
country’s public radio station Ö1 to this day.
– S.K.
„Homesick – Werner Pirchner
zum 75. Geburtstag“
40 | jazzmag
MainStage
Austria, France, USA
Christian Muthspiel – trombone, piano,
e-piano, toy-piano, voice
Franck Tortiller – vibraphone
Jerome Harris – bass guitar, guitar, voice
jazzmag | 41
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
„Are you glad to be in America?“ Eine kritisch getönte Frage, die den Titel eines der wichtigsten Alben des Gitarristen
James „Blood“ Ulmer aus dem Jahr 1980 wieder aufgreift und aktualisiert. Der Gitarrist, 1942 in South Carolina geboren, erscheint als eine Figur, durch die viele unterschiedliche
Strömungen hindurchfließen - und die, wie in einem Prisma
gebrochen, aufgespaltet werden. Einen Songtitel des Albums
könnte man für sein Credo halten: „Jazz Is The Teacher, Funk
Is The Preacher“.
Jazz als lehrreiches Moment einer gewissen Rationalität, Funk
als erhebendes, spirituelles Lebensgefühl. So könnte man die
beiden von ihm kombinierten Begriffe interpretieren. Aber ein
wesentlicher Bestandteil kommt noch hinzu: die Tradition des
Blues, der sich Ulmer nach einigen Jahren verstärkt zuwandte. Diese Trias aus Jazz, Blues und Funk repräsentiert nicht
zuletzt einen Ausdruck schwarzer Selbstfindung und Selbstbehauptung. Denn die Frage nach dem Glück einer Existenz in
Amerika scheint nicht so einfach beantwortbar zu sein.
Zum einen war die Musik, auf die sich Ulmer bezieht, in den
späten siebziger Jahren noch nicht in ausreichendem Maße
als Zeichen einer eigenständigen kulturellen Schöpfung anerkannt. Zum anderen bietet gerade sie ein immenses Reservoir an Ideen und Formen - nicht zuletzt als Ausdruck einer
kritischen Haltung dem weißen politischen und musikalischen Establishment gegenüber. So wie etwa der Free Jazz
zu Beginn der sechziger Jahre auch ein politisch mehr oder
weniger explizites Zeichen des Widerstandes war. Und einer
der maßgeblichen Exponenten des freien Jazz war der Saxophonist Ornette Coleman, in dessen Ensemble Ulmer spielte und dessen „harmolodisches“ System er für seine eigene
Spielweise adaptierte. Er erweiterte damit seine Alchimie der
Stile um einen wesentlichen Aspekt, eine entscheidend neue
Ausdrucksweise. Trotz verblüffender Wandlungen und Richtungswechsel, die der Gitarrist in seiner Entwicklung vollzogen hat, steht im Zentrum seiner Musik die Vereinbarkeit von
freier Improvisation mit komplexen Arrangements - und einem
belebenden Groove.
Are You Glad to Be in America? is a question with critical hues,
and the title of one of the most important—and recently updated—albums by guitarist James “Blood” Ulmer, created in
1980. Born in 1942 in South Carolina, the artist has incorporated and reflected many different trends in his work in a prismlike fashion. One track on the album could be considered
Ulmer’s motto: “Jazz Is the Teacher, Funk is the Preacher.”
Ulmer’s view on the two genres could be interpreted the following way: while jazz teaches a certain kind of rationality,
funk communicates an uplifting, spiritual attitude towards
life. Added to the mix is the tradition of blues, to which Ulmer
turned several years into his career. This holy trinity of jazz,
blues, and funk also is itself an expression of African-American self-discovery and assertion. After all, the question of
whether the pursuit of happiness has been successful cannot
be answered that easily in the United States.
For one, even though these genres were not really considered
a product of independent cultural creation in the late 1970s,
they in particular have supplied artists with an immense reservoir of ideas and forms. Artists have been able to express
their critical attitude towards white politicians and the music
industry establishment with the help of funk and blues—just
like free jazz was a more or less explicit sign of political resistance in the early 1960s. It is no accident that Ulmer performed with one of the trail-blazers of free jazz, saxophonist
Ornette Coleman, adopting his “harmolodic” system for his
own music-making. He thereby added an important new form
of expression to his alchemy of styles. In spite of the many astonishing artistic paths the guitarist has taken throughout his
career, he still strives to bring free improvisation in harmony
with intricate arrangements and exhilarating grooves.
– H.L.
USA
James Blood Ulmer – guitar, vocals
Ronny Drayton – guitar
David Murray – tenor saxophone
Oliver Lake – alto saxophone
Hamiet Bluiett – baritone saxophone
Calvin Jones – bass
G. Calvin Weston – drums
Aubrey Dayle – drums
„Are You Glad
to Be in America?“
42 | jazzmag
MainStage
James
Blood
Ulmer
jazzmag | 43
Club der Freunde
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American
Jazz Heroes
Besuche bei 50 Jazz-Legenden
von Arne Reimer
Insgesamt 50 persönliche Porträts in Worten
und Bildern von Jazz-Legenden wie Ron Carter,
Yusef Lateef, Jim Hall, Milford Graves, Cecil
Taylor, Roswell Rudd und Gary Bartz
„,American Jazz Heroes‘ wird von der
Presse gelobt wie lange kein deutsches
Jazzbuch mehr, und das völlig zu Recht.
Ein Buch, das man erst dann gern ver-
228 Seiten im LP-Cover-Großformat,
schenkt, wenn man es selbst besitzt.“
Gewicht: 2 Kilo
(Dr. Wolfram Knauer, Jazzinstitut Darmstadt)
jazzmag | 45
Shortcuts
kunsthaus nexus
46 | jazzmag
Kunsthaus Nexus
Kompost 3 „Ballads For Melancholy Robots“
Graewe/Reijseger/Hemingway Trio
Donkey Monkey
Martin Küchen’s All Included „Satan in plain clothes"
Régis Huby „Equal Crossings“
Sao Paulo Underground
Der Autor Alfred Andersch hat sie in einer kurzen Reiseskizze
beschrieben, jene kleine Gesprächsrunde, irgendwo im Paris
des Jahres 1956. Man diskutiert über Schönberg und Webern,
über Musik und Mathematik, über den Jazz eines Lennie Tristano. „Ein Gefühl, das aus einer klaren Berechnung hervorgeht, ist besser als eines, das direkt aus dem Gefühl kommt“,
meint einer der Beteiligten, ein schwarzer Jazz-Schlagzeuger.
Kunst sei etwas, das aus Berechnungen hervorgehe. Gefühle
und Ahnungen hätten alle möglichen Leute. Was einen Künstler auszeichne, sei die Fähigkeit, seine Gefühle mit Hilfe von
klaren Berechnungen formulieren zu können: „Wenn ich will,
dass die Zuhörer etwas fühlen, muss ich selbst kühl bleiben.“
In one of his travel vignettes, author Alfred Andersch described a conversation that took place somewhere in Paris in
1956. Several music aficionados were discussing Schönberg
and Webern, music and mathematics, and Lennie Tristano’s
jazz style. “A feeling that emanates from rational calculations
is better than one that comes directly from the gut,” a black
jazz percussionist said during this conversation. According to
him, art originated from rational thought. All kinds of people
had feelings and intuition. What made artists stand apart was
the ability to express their feelings based on clear calculations, “If I want listeners to feel something, I must stay calm
and composed.”
Diese Idee der Konstruktion, der Rationalität eines Entwurfs
mag eng mit der Musik jener Zeit verbunden sein, wirft aber
immer noch ein Licht auf den nach wie vor aktuellen Antagonismus von Form und Freiheit: Wie entwickelt sich das Unvorhersehbare innerhalb vorgesehener Parameter - wie ein
anderer Autor nur wenige Jahre später formulieren sollte - und
nach welchen Prinzipien? Und: Wie prägend ist die Idee eines
intuitiven Spiels, das allzu oft mit dem Begriff der Improvisation identifiziert wird?
Even though this idea of construction and rational design may
be closely linked to the music of the era, it still sheds light
on the antagonism between form and freedom that has survived to this day. How—as another author asked a few years
later—does the unpredictable develop within certain predetermined parameters? According to which principles does it
evolve? And how much of an imprint does the idea of intuitive
music-making, which is all to often identified with the term
improvisation leave?
Mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Betrachtung Anderschs scheinen die Positionen weiter auseinander gedriftet
zu sein: Weniger in der Praxis der Musiker selbst als vielmehr
in den Vorstellungen, die man sich vom Jazz macht, die man
- von Ideologemen durchsetzt - medial verbreitet. Ein einziges Konzert allein kann die unterschiedlichen Positionen gewiss nicht klären. Vielleicht verhärtet es im Überschwang des
glücklichen Augenblicks sogar die individuelle Einstellung.
Doch eine Abfolge von Konzerten, die einer jeweils gänzlich
anderen ästhetischen oder konzeptionellen Ausrichtung folgen, wie jene bei den Short Cuts, trägt ein wenig zur Erhellung
der Probleme, zur Relativierung der eigenen Position bei. Zu
wünschen wäre es.
More than half a century after Andersch made his observations, the positions seem to have drifted apart even further—
though less in the practice of music itself than in the ideas jazz
ideologues spread in the media. One concert alone cannot
clarify the different positions. Exhilarated by a moment of joy,
one’s individual view might solidify even more. Tailored to a
totally different aesthetic concept, a series of concerts such
as Short Cuts may, however, shed more light on this discussion and relativize individual positions. At least we can hope
it will.
Und wie endete jener Abend in Paris? „Während Lennie Tristano seine extreme und schwierige Musik machte, verlief der
Rest der Nacht wie alle Nächte mit Denise - sprühend, die Zeit
auslöschend und gelassen...“
And how did this evening in Paris end? “While Lennie Tristano played his extremely difficult music, the rest of the night
went on like all nights with Denise—vivacious, relaxed, extinguishing time …”
– H.L.
jazzmag | 47
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
Austria
Martin Eberle – trumpet, slide-trumpet, flugelhorn
Benny Omerzell – rhodes, hammond, reed instruments, piano
Manu Mayr – electric & double bass
Lukas König – drums, percussion, synthesizers
Die Musiksoziologie der Zukunft wird nicht umhin können, die
Zukunftsgläubigkeit zeitgenössischer Künstler zu bestaunen.
Das Wiener Kollektiv Kompost 3, im Dunst der Wiener Jazzwerkstatt zu Vitalität gekommen, ist da keine Ausnahme.
Ihre abenteuerlichen Klangcollagen, die in anderen Landstrichen wohl als Kriegsmaterial definiert werden würden, bemühen sich mit aller Kraft den Sound einer Zeit abzubilden, die
längst nicht gekommen ist. Philosoph Theodor Wiesengrund
Adorno würde ihre geräuschvolle Dichtung wohl nicht als Konsumgut, dafür aber als Form einer Ideologie des Unbewussten verdächtigen. Die Art von Improvisation, die hier gepflegt
wird, ist resche Reaktion auf seelische Eintrübungen von gesellschaftlicher Seite her. Sie könnte jene Spezies von Musikfreunden locken, die Adorno maliziös den „Ressentiment-Hörer“ genannt hat. Damit meinte er Musikliebhaber, die sich mit
einer fanatischen Ausschließlichkeit an rätselhaften und/oder
kompliziert-artifiziellen Ästhetiken erfreuen, deren grundsätzliche Hermetik bereits Teil der Botschaft ist. Sie werden durch
ihre Ablehnung des in der Konsumgesellschaft zwangsläufig
existierenden „Musikbetriebs“ scheinbar zu Nonkonformisten,
und gerade dadurch zu Anhängern von „Ordnungen und Kollektiven um ihrer selbst willen“. Adorno weiter: „Dafür zeugen
die stur sektenhaften, potentiell wütenden Gesichter…doch
ist alles mit Weltanschauung verkoppelt und verbogen.“
In der heutigen Welt aber gibt es Wichtigeres als eventuelle Selbsttäuschung im Rahmen ästhetischer Prozesse. Das
Zwangskollektiv der Atomisierten lechzt nach Utopien, nach
Alternativen in der kapitalistischen Alternativlosigkeit. Die
können bei Kompost 3 in der unorthodoxen Kombination von
Groove und Abstraktion, von klanglicher Meditation und wüstem Geräusch entdeckt werden. Die Herren arbeiten ehrlich
daran, dem avantgardistischen Gestus wieder Schockpotential zu verleihen. Die Gegentonphilosophie der Herren Eberle,
Omerzell, Mayr und König schert sich wenig um ihre Wirkung.
Was sie treibt, ist allein die Lust an der schieren Devianz.
48 | jazzmag
Future generations of music sociologists will be astounded
by how much artists of the 21st century believed in the future. Founded by collaborators of Wiener Jazzwerkstatt, the
Viennese collective Kompost 3 is no exception to this rule.
Even though its boldly layered collages may sound martial
to some ears, the band forcefully tries to give shape to the
sound of an era that won’t dawn for a long time. Philosopher
Theodor Wiesengrund Adorno would have defined their poetic noise as an ideology of the unconscious rather than a
consumer good. Their type of improvisation is a fresh reaction to society-induced sadness. It could draw an audience
that Adorno maliciously defined as “resentment listeners.” By
using this term, Adorno described listeners who only enjoy
mysterious and/or complicated and artificial aesthetics whose
basically hermetic character is part of its message. Rejecting
the “music business”—a logical outgrowth of consumer society—these people seemingly become non-conformists and,
for precisely that reason, appreciate “organizational principles
and collectives in and of themselves.” According to Adorno,
“their obstinate, cult-like, and potentially furious faces attest
to this fact … yet everything is tied to and reflected through
their weltanschauung.”
In today’s world, there are more important things than potential self-deception in the framework of aesthetic processes.
The compulsive collective of the nuclear age is yearning for
utopias and alternatives to capitalist one-way streets. Kompost 3 finds these alternatives in the unorthodox combination
of groove and abstraction, meditative sounds and ferocious
noises. Rather than worry about the effect of their countertone music, Messrs. Eberle, Omerzell, Mayr, and König try to
imbue avant-garde gestures with shock value. In this, they are
driven by a shared desire for absolute deviance.
– S.K.
Shortcuts
Kompost 3
„Ballads For
Melancholy Robots“
jazzmag | 49
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
Germany, Netherlands, USA
Georg Graewe – piano
Ernst Reijseger – cello
Gerry Hemingway – drums
Graewe
Reijseger
Hemingway Trio
50 | jazzmag
Shortcuts
Das Ringen um eine individuelle Sprache, eine eigene Ästhetik, die sich nicht von den Strömungen der Tradition vereinnahmen lässt: So könnte man das Werk des international
so renommierten Pianisten und Komponisten Georg Graewe
umschreiben. Ein Werk, das über die Jahre hinweg so ungeheuer vielgestaltig geworden ist. Einen zentralen Platz nimmt
dabei das Trio mit Ernst Reijseger und Gerry Hemingway ein.
Dessen Musik mag der freien Improvisation verpflichtet sein
- dem steten Fluss der Ideen, die von den drei Musikern eingebracht, aufgegriffen und weitergedacht werden. Doch sind
alle drei auch ausgewiesene Komponisten mit einem ausgeprägten Gespür für stringente, formale Gestaltung.
Graewe, Reijseger und Hemingway sind etwa gleich alt, geboren zwischen 1954 und 1956 und gehören damit so zu einer Generation von Musikern, für die die Erschütterung und
die Verheißungen des Free Jazz bereits fester Bestandteil der
Geschichte waren. Was diese Generation prägte, war nicht
allein der Jazz - sondern gleichermaßen die Rockmusik, die
Musik fremder Kulturen, die zeitgenössische komponierte
Musik.
Auf je andere Weise zeigt sich bei den drei Musikern die Affinität gerade zur Klangsprache der zeitgenössischen Musik, deren Kalkül, deren Formideen sie mit dem Prinzip der
ungebundenen Improvisation versöhnen. Doch allein diese
Spurenelemente der Geschichte könnten in keiner Weise der
Ästhetik des Trios gerecht werden. Denn zugleich markiert
sein Spiel einen Gegenpol zum stilistischen Vielerlei. Zum einen richtet sich die Musik des Trios gegen die eingetrübten
Innerlichkeits-Poeten, deren auf bewusstlose „Genussfähigkeit“ abzielende Formelhaftigkeit. Zum anderen enthält sich
das Trio einer nur emphatischen Verdichtung, die lediglich
auf die Überwältigung des Hörers, auf das vordergründig
Spektakuläre abzielt. Stattdessen entwerfen die drei Musiker
einen Klangraum, der die Struktur der Musik, ihre Abstraktionen so klar wie möglich zutage treten lässt. Hier rückt nichts
an Deutung oder Bedeutung vor die Musik. Es geht nur um
sie selbst - und das, was sie in sich birgt.
Internationally renowned pianist and composer Georg Graewe
is known for never letting his independent musical language
and aesthetics be usurped by tradition. Over the years, his
work has acquired an impressively polymorphic character.
One central element in this work is his collaboration with Ernst
Reijseger and Gerry Hemingway. Even though the trio’s music
may be committed to free improvisation—i.e., a constant flow
of new ideas they each develop, pick up from one another,
and spin along—these three composers also are finely attuned to stringent formal approaches.
Born between 1954 and 1956, Graewe, Reijseger, and Hemingway belong to a generation of musicians who consider
the shocking promises of Free Jazz part and parcel of music
history. This generation was marked not only by jazz, but also
by rock and world music, as well as contemporary compositions.
Even though an affinity for contemporary music surfaces differently in the three musicians, its calculated approach and
formal ideas reconcile all of them with the principles of unfettered improvisation. As the trio creates a counterbalance to a
mere hodgepodge of styles, these historical trace elements
do not suffice to describe their aesthetics. On the one hand,
their music is directed towards the formulaic, lulling efforts by
poets of interiority to create enjoyment on a subliminal level.
On the other hand, the trio refrains from creating a type of
emphasis that overwhelms listeners with its superficially spectacular sound. Instead, the three artists create a soundscape
that brings into focus the structure of music and its abstractions as sharply as possible. No interpretation or search for
meaning muddle their music. It’s all about the music itself—
and its inner core.
– H.L.
jazzmag | 51
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
Donkey
Monkey
Zwischen György Ligeti und Carla Bley…, so deuten die Ver-
“Somewhere between György Ligeti and Carla Bley”—this is
weise auf dem Album Hanakana an, der (nach dem 2007 auf
how Hanakana, Donkey Monkey’s second album after their
Umlaut Records erschienenen Debutalbum Ouature) zweiten
2007 Umlaut Records release Ouature— has been descri-
Veröffentlichung des französisch-japanischen Duos. Eve Ris-
bed. The French-Japanese duo includes Eve Risser and Yuko
ser studiert Querflöte, zeitgenössische Musik und Jazz, bevor
Oshima. Before concentrating on piano and improvisation,
sie sich auf das Klavier und die Improvisation konzentriert.
Risser studied flute, contemporary music, and jazz. Oshima’s
Yuko Oshimas musikalische Wurzeln liegen in der japanischen
musical roots can be traced back to the Japanese rock and
Rock- und Avantgardeszene. Vor fünfzehn Jahren zieht sie
avant-garde scene. Fifteen years ago, she moved to France to
nach Frankreich, um in Straßburg ebenfalls Improvisation und
study contemporary music and improvisation in Strasbourg.
zeitgenössische Musik zu studieren.
Risser and Oshima founded Donkey Monkey to blend their in-
Die beiden gründen das Duo Donkey Monkey, in dem sie
fluences into one coherent gesamtkunstwerk. What goes into
erfolgreich die verschiedenen Einflüsse und Prägungen zu
this successful mix are vocals, drums, piano, and sparingly
einem Gesamtkunstwerk verschmelzen lassen. Stimmen,
used electronic elements driven by rock and minimal music,
Schlagzeug, Klavier und sparsam eingesetzte Electronics
and the harmonic richness of jazz. There are also some Ja-
ergeben ein Konglomerat der Musikstile, mit dem Drive von
panese words sprinkled in only to be dissected into syllables
Rock und Minimal Music, der harmonischen Vielfalt des Jazz,
again—thereby emerging as a semantic and acoustic experi-
mit Einsprengseln aus der japanischen Sprache, auseinander-
ence that has been reassembled into a new aesthetic entity
genommen, in Silben zerfallen, vom semantischen zum klang-
and reduced to absurdity by repetition. The artists still mana-
lichen Ereignis geworden, zusammengesetzt zu einem neuen
ge to imbue their performances with dense, yet clear subtlety
ästhetischen Ganzen, in der Wiederholung ad absurdum ge-
that immediately calls into question anything we have to say
führt… Und doch ist das Ganze mit Subtilität so dicht und klar
about their music.
vorgetragen, dass alles, was man darüber zu sagen hat, sich
According to a press release, Hanakana is “a new animal in
im gleichen Moment selbst in Frage stellt.
the jungle that is Europe.” The duo likes to present itself as a
Das ist „das neue Tier des europäischen Dschungels“, so der
musical equivalent to Marcel Duchamp’s mustachioed Mona
Pressetext des Duos. Als musikalisches Pendant zu Marcel
Lisa. Judging from their idiosyncratic interpretations of tradi-
Duchamps Mona Lisa mit Schnauzbart präsentiert sich Don-
tion and their refreshingly unconventional approach to music,
key Monkey. Und zweifellos, mit einer derartigen Auffassung
it is safe to assume that the future holds much in store for
von Tradition, gekoppelt mit der erfrischenden Unkonventio-
this pair. Very active on the jazz circuit in different formations,
nalität der beiden Musikerinnen, ist von dem Duo noch einiges
Donkey Monkey is currently working on its third album.
zu erwarten. Nicht wenig beschäftigt in den unterschiedlichsten Formationen, arbeiten die beiden Damen derzeit am dritten Donkey Monkey-Album.
52 | jazzmag
– D.S.
Shortcuts
France, Japan
Eve Risser – piano
Yuko Oshima – drums
USA
Tony Malaby – saxophone
Tom Rainey – drums
jazzmag | 53
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
Norway, Sweden
Martin Küchen – saxophones
Thomas Johansson – trumpet
Mats Äleklint – trombone
Jon Rune Strøm – double bass
Tollef Østvang – drums
Martin Küchen’s
All Included
54 | jazzmag
Shortcuts
„Satan in Plain
Clothes“
Mephisto in Zivil. Oder: das Teuflische in neuem Gewand.
Tatsächlich erscheint der Kern der Improvisationsmusik des
skandinavischen Ensembles All Included neu eingekleidet wobei das Innere der musikalischen Organisationsprinzipien
und das Äußere des Klangs beständig ineinander greifen und
sich gegenseitig beeinflussen und verändern.
Bass, Schlagzeug, drei Bläser: Mit dieser Instrumentierung
agiert das Quintett im Grund wie eine kleinformatige Bigband,
deren entlegenster Teil ihrer Wurzeln noch die Randbezirke
des Hardbop berührt, über die Kompaktausgabe der Free
Jazz-Ensembles bis in die Spielpraxis und Ideenwelt eines
aktuellen Dekonstruktivismus reicht - was nichts anderes bedeutet, als dass keiner schematisierten Spielweise über den
Weg zu trauen ist.
Allein eine von innen heraus getriebene Auflösung formaler
Strukturen, ihre in präziser Verkehrung neu definierte Gestalt
ermöglicht es, sich eine Freiheit jenseits der gängigen Modelle zu erspielen. So eng verzahnt die Improvisationen sind, so
weit greifen sie auch auf Stilfiguren jenseits der Jazztradition
zu - wenn etwa ein konventioneller Rock-Rhythmus vage aufscheint, nur um sich dann wieder im Fluss der Improvisation
oder in den so wuchtig wie präzise gesetzten Themenblöcken
aufzulösen. All Included: Ein Quintett also, das die Verheißung
auf Stilpluralismus, Virtuosität und Emotionalität bereits im nicht ganz unironisch gewählten - Namen trägt.
Mit seiner außergewöhnlichen Dynamik und seiner so ausgeklügelt angelegten Klangdichte, den geschickt ineinander
verwobenen Linien positionieren sich die fünf Musiker auf der
Grenze zwischen individueller Klangsprache und kollektiver
Ausgestaltung eines Stückes - alles gerät dem Quintett zu
einer Gratwanderung zwischen Form und Freiheit, zwischen
der Behauptung der eigenen künstlerischen Identität und einer sensiblen Interaktion in einem andauernden musikalischen
Gespräch. Eines, das Übereinstimmung und Widerspruch einschließt: Rede und Gegenrede, Kommentar und Abschweifung. All Included, eben.
“The devil dons a new dress style”—this is how the transformation of the improvisational core of the Scandinavian ensemble All Included could be described. In its typically Mephistophelean manner, this Scandinavian group fluidly interweaves
structural principles with exterior sound surfaces, thereby
creating a dense web of constantly changing references.
Relying on a bassist, a percussionist, and three horn players,
the quintet actually works like a small big band that traces the
remotest of its roots to the margins of hardbop. As a compact
edition of a free jazz ensemble, All Included is also familiar
with current deconstructivist playing styles and conceptual
ideas. What it all boils down to is that their music-making cannot be put in any boxes.
Driven by a yearning to dissolve formal structures and their
ability to create new musical shapes by precisely reversing old
ones, the quintet has been able to transcend run-of-the-mill
ideas. Even though their improvisations might dovetail very
closely, the musicians reach far outside the realm of jazz for
stylistic influences. Allusions to conventional rock rhythms
suddenly appear and then dissolve into the improvisational
flow and monumental, yet precisely defined thematic blocks.
The band’s tongue-in-cheek name bears proof of its programmatic concept: advocating stylistic pluralism, virtuoso performance, and an emotional touch.
This exceptionally dynamic ensemble succeeds at creating
an intricately dense sound that skillfully interweaves the five
musicians’ individual performance with the collective. The
quintet thus performs a balancing act between form and freedom, between asserting their artistic identity and engaging in
a continuous musical conversation. Their music-making is full
of harmony and contradiction, opinion and objection, commentary and diversion. It’s just all included.
– H.L.
jazzmag | 55
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
Régis Huby
Mit seinem neu formierten Quartett kredenzt der französische
Violinist und Komponist Régis Huby eine elektro-akustische
Kammermusik der subtilen Art. Die raffinierte Reizgestaltung
erfolgt, wie schon der Titel andeutet, egalitär. Huby ist dabei
der Primus inter Pares. Bei ihm laufen die herausfordernden
Sounds zusammen, werden frisch aufgeladen wieder in die
Runde geschickt, auf dass sich das Neue abermals Bahn brechen kann.
Als klassisch geschulter Jazzgeiger und Arrangeur von vielerlei atemberaubenden Projekten kennt Huby die Weisheit von
definierten Strukturen. Werkzeug seiner Dekonstruktion ist
eher das Skalpell denn die Spitzhacke. Die Jahre am Konservatorium in Rennes sowie die Erfahrung, die er in intensiven
musikalischen Dialogen mit Granden wie Louis Sclavis, Joachim Kühn und Dominique Pifarely gesammelt hat, wirken sublim nach. Auch die Kollaborationen mit so unterschiedlichen
Kollegen wie Anouar Brahem, Denis Colin und Ute Lemper
öffneten neue Horizonte für Hubys Konzept von Improvisation. Er hat schlicht Sinn fürs Schöne und verwechselt diese
Strebung weder mit Rückwärtsgewandtheit noch mit Vergangenheitsüberhöhung.
Huby findet seine Inspiration oft in den Köpfen anderer. Das
ist keineswegs eine Schande. „Das Schöpferische in jedem
Wesen zeige sich darin, dass der Wille zur Macht jene Dinge
wahrnehmen muss, die ihm assimilierbar sind“, befand dereinst Friedrich Nietzsche. So gesehen ist es nur logisch, dass
der Menschenfreund Huby sich mit Kollegen kurzschließt.
Das Resultat seiner lebenden Dia- und Polyloge ist frei von
jeglicher Geziertheit. Zuweilen zeigen sich in karg wirkenden
Texturen auch wilde Emotionen, oder drängen sich in kühnen
Entwürfen nur zarte Gefühle. Übertrainierte Instrumentalisten
scheut er. Denn dann lebt die Musik nicht in jener Weise, wie
es in ihr potenziell angelegt ist.
Das Unerwartete muss sich also stets Bahn brechen können.
Wenn es Zeit ist, muss es wie ein Fieber ausbrechen und das
Bewusstsein des Hörers unaufhaltsam durcheinander bringen. Hubys Klanguniversum kann sehr infektiös, sehr glühend
sein. Dann gilt: Nicht zur Besinnung kommen und rasch jegliche Bodenhaftung verlieren. Schall und Wahn – sie gehören
zueinander!
56 | jazzmag
With his newly formed quartet Equal Crossing, French violinist
and composer Régis Huby has developed a subtle variety of
electro-acoustic chamber music. The band’s refined musical
output is an egalitarian one, as reflected in the group’s name.
A first among equals, Régis Huby holds the strings to challenging sounds. After recharging them, he sends them out to his
bandmates so they can venture towards new frontiers.
A classically trained jazz violinist and arranger of many breathtaking projects, Huby knows about the wisdom of clearly
defined structures and prefers the scalpel to the pickaxe as
an instrument of deconstruction. His training at the Rennes
Conservatory and intense musical dialogues with jazz greats
Louis Sclavis, Joachim Kühn, and Dominique Pifarely have
left a sublime mark on his musical creations. Collaborations
with colleagues such as Anouar Brahem, Denis Colin, and Ute
Lemper have opened new horizons in Huby’s improvisational
concept. He just has a knack for beauty, and never confuses
it with putting the past on a pedestal in a backward fashion.
Huby is definitely not acting as a copycat when he draws inspiration from other artists’ works. “The creative aspect of
every creature becomes apparent in that the will for power
has to notice all the things that it can assimilate,” Friedrich
Nietzsche once wrote. That is why it is only logical that Huby,
a philanthropic spirit, engages in dia- and polylogues with
other colleagues to create artifice-free music. At times, his
apparently barren textures bring to light wild emotions. On the
other hand, his bold works may also harbor tender feelings.
Huby shies away from collaborations with overly trained instrumentalists because, in his mind, music does not reach its
full potential in that kind of set-up.
In his works, the unexpected always needs to be able to surface, intermittently breaking out like a fever and relentlessly
stirring listeners’ consciousness. Huby’s musical universe includes infectious and fiery sounds only to come back to its
senses and quickly veer off towards the transcendental realm.
Sound and fury simply belong together!
– S.K.
Shortcuts
France
Régis Huby – violin
Marc Ducret – guitar
Bruno Angelini – piano
Michele Rabbia – drums
„Equal Crossings“
jazzmag | 57
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
Sao Paulo
Underground
58 | jazzmag
Shortcuts
USA, Brasil
Rob Mazurek – cornet, electronics
Guilherme Granado – keyboards, synths, sampler, voice
Mauricio Takara – percussion, cavaquinho, electronics
Vielleicht hatte der Begriff Underground damals ja noch nicht
so viel von seiner Bedeutung eingebüßt. Jedenfalls belegte
Rob Mazurek sein 1996 entwickeltes Projekt mit diesem Etikett. Seinen Ursprung hatte es in einem Workshop in Chicago, in einer just sehr kreativen Szene, die Bands wie Isotope
217 oder Tortoise hervorbrachte. Mazurek formierte mehrere
Inkarnationen des Chicago Underground: vom Duo über das
Quartett bis zum Orchestra.
Damals, in den neunziger Jahren, erschienen bereits die
Genre-Grenzen aufgelöst. Isotope 217 repräsentierte in Teilen
das, was man aus einer gewissen Sprachlosigkeit heraus mit
dem Begriff Post-Rock belegte: die Formalismen waren verschwunden. An ihre Stelle traten neue Formkonzepte, neue
Klangkombinationen. Und just dies - plus die freie Improvisation - spiegelte sich auch in den verschiedenen Chicago Underground Formationen. Seit Mazureks Umzug nach Brasilien ist
Sao Paulo Underground sein am längsten aktives Ensemble.
Hier ergänzen sich auf so verblüffend organische Weise Samba- oder Bossa Nova-Rhythmen mit elektronischen Experimentalklängen, ausgreifenden Jazz-Improvisationen, dass
man kaum von Eklektizismus zu sprechen wagt.
Mit dieser Band gelingt es Mazurek, einen völlig eigenständigen Ensemble-Klang zu kultivieren. Einen Klang, der uns an
jenen Ort führt, wo die Gegensätze aufgehoben scheinen: mitten ins Herz brasilianischer Urbanität. Doch die trägt nicht nur
die Zeichen einer atmosphärischen und emotionalen Überhitzung. Mazureks kühle Klangexperimente, seine großen kompositorischen Fähigkeiten machen Sao Paulo Underground
zu einem kreativen Experimentallabor: Das Ensemble hat
über die Jahre hinweg vermieden, sich selbst zu wiederholen. Nichts wirkt hier eingefahren. Jedes Konzert, jedes Album
bringt neue Formen hervor, zeigt neue Klangmöglichkeiten
auf. Insofern besitzt „Underground“ immer noch seine Bedeutung: als Experimentierfeld, das sich der Vereinnahmung widersetzt, als Gegenströmung unterhalb des Offensichtlichen.
It may well be that the term “underground” had a more subversive meaning when Rob Mazurek chose it as a name to
launch a musical project in 1996. The formation was founded
in the very creative ambiance of a Chicago workshop, which
brought forth bands such as Isotope 217 and Tortoise. Chicago Underground went through several incarnations, from duo
to quartet and orchestra.
As early as the 1990s, boundaries between genres seemed
to have dissolved. Isotope 217 partly represented what—for
lack of other terms—would be labeled as “post-rock.” New
concepts and combinations of sounds came to replace old
formalisms. In its different formations, Chicago Underground
captured just these new trends in free improvisation. Existing
since his move to Brazil, São Paulo Underground has been
Mazurek’s longest-lasting musical collaboration. This ensemble serves up an astonishingly organic blend of samba and
bossa nova rhythms, experimental electronic sounds, and
sweeping jazz improvisations. The term “eclectic” does not
even begin to cover the band’s musical style.
In this formation, Mazurek successfully cultivates a completely independent ensemble sound. Its musicians take listeners
to a realm where opposites seemingly no longer exist—i.e.,
to the heart of a vibrant Brazilian urbanity, which does not
merely bear the marks of atmospheric and emotional overheating. Instead, Mazurek’s cool sound experiments and great
skills as a composer turn the band into a creative laboratory.
Over the years, the ensemble has avoided repetition. As a result, nothing seems staid. New forms of music-making and
novel acoustic possibilities surface at each concert and in
every album. “Underground” therefore has retained its original meaning, denoting a field of experimentation that resists
a mainstream takeover—a countertrend beneath the surface
of the obvious.
– H.L.
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62 | jazzmag
CITYSTAGE
rathausplatz saalfelden
presented
by
The Klezmer Connection
Hazmat Modine
Özlem Bulut
Madame Baheux
Vucciria
Riccardo Tesi & Banditaliana
„Un ballo liscio“
jazzmag | 63
36 th INTERNATIONAL JAZZFESTIVAL SAALFELDEN
The Klezmer Connection
Austria
Georg Winkler – clarinet
Marion Ellmer – vocals, guitar,
percussion
Hubert Kellerer – accordion
Peter Aradi – acoustic bass
Bernie Rothauer – drums, percussion,
guitar
Die fünf hochklassigen MusikerInnen präsentieren ihr neues Programm
„Klezman!a“, mit dem sie so sensibel
wie kraftvoll die reichen Traditionen jiddischer Musik ins Heute transportieren.
So virtuos wie fokussiert vereinen sich
die Instrumente zu einem einmaligen
Klanggemälde, einem vitalen Mosaik
von Lebensfreude, Melancholie und
Sinnlichkeit. Mit „Klezman!a“ lädt uns
die Klezmer Connection ein, nachhaltig
den Moment zu feiern!
These five high-calibre musicians will
showcase the rich heritage of Yiddish
music in a finely tuned, yet energetic new
program titled “Klezman!a.” With their
instruments, these virtuoso musicians
weave a unique fabric of sounds in which
joie de vivre contrasts with sensual melancholy. With its new program, the Klezmer Connection invites listeners to enjoy
the here and now.
Hazmat Modine
USA
Wade Schumann – diatonic
harmonica, guitar, banjitar, vocals
Erik Della Penna – vocals, banjo, guitar
Charles Burnham – background
vocals, violin
Josef Daley – sousaphone
Tim Keiper – drums, percussion
Steve Elson – baritone & tenor
saxophones, clarinet, duduk, flute
Michael Gomez – acoustic &
electronic guirars, steel guitar
Pamela Fleming – trumpet, flugelhorn
Man stelle sich die Metropole New York
City als einen großen Kochtopf vor, und
Hazmat Modine als einen höchst exotischen Eintopf, der darin brodelt.
Die edelsten Zutaten des musikalischen
Festmahls werden in Form von klassischer amerikanischer Musik, Gitarren,
Violine, Blech- und Holzbläsern, Harmoniegesang zusammengetan, und
mit der universellen Präsenz von Wade
Schumans kongenialem Mundharmonikaspiel abgeschmeckt und dem Zuhörer auf dem Silbertablett serviert.
Hazmat Modine serves up an exotic,
bubbling stew in the big cauldron of
New York City. Only the choicest ingredients go into this stew—classical
American music, guitar, violin, brass,
and woodwind sounds, voices singing
in harmony, and Wade Schuman’s congenial performance on the harmonica.
All this is served on a silver platter.
Özlem Bulut
TURKEY, Ukraine, Austria
Özlem Bulut – vocals, oud
Marco Annau – piano
Andrej Prozorov – saxophone
Werner Laher – bass
Jörg Mikyla – drums
64 | jazzmag
Das aktuelle Album der in Anatolien
geborenen Sängerin Özlem Bulut samt
Combo bringt wortgewandte Liebesbotschaften und Politisches in (türkischem) Schmäh verpackt. Ein Feuerwerk der Sinnlichkeit wird musikalisch
entfacht, das bis zum letzten Ton in den
Bann zieht. So positioniert sich die kurdische studierte Opernsängerin, selbstbewusst auf dem Cover ihrer zweiten
CD. Mit geschickten Händchen werden
die Eigenkompositionen kreativ arrangiert und lustvoll von der Formation
gespielt. Gemeinsam mit dem Wiener
Komponisten Marco Annau entstand
eine ansprechende Mischung aus türkischer (Volks-)Musik und Pop.
Anatolian-born singer Özlem Bulut
most recent album blends eloquent
love poetry with politics and Turkish
humor. Taking a cue from her own
name—“Özlem” means “yearning” in
Turkish—the singer lights up a firework
of musical sensuality that draws listeners to the dance floor and keeps them
spell-bound to the last note. A resident
of Vienna, the classically trained Kurdish
musician confidently poses on the cover of her second album, on which she
skillfully arranged Oriental, jazz, folk,
and electronic music. Together with the
Viennese composer Marco Annau, she
has created an infectious blend of Turkish (folk) music and pop.
CITYSTAGE
Madame Baheux
Austria
Jelena Popržan – vocals, viola
Ljubinka Jokič – vocals, guitar
deeLinde – cello, vocals
Lina Neuner – acoustic bass
Maria Petrova – drums, percussion
Wenn sich fünf Spitzenmusikerinnen
solchen Kalibers dazu entschließen, gemeinsame Sache zu machen, dann darf
man mit etwas Besonderem rechnen.
Schließlich haben sich bereits alle fünf
in der heimischen Weltmusikszene und
darüber hinaus einen Namen gemacht.
Nun begibt man sich im Kollektiv auf
die Spurensuche der eigenen musikalischen Wurzeln. Doch wer glaubt,
das Fünfergespann würde sich mit der
reinen Traditionspflege begnügen, der
irrt gewaltig. Das Quintett formt einen
höchst eigenen Stil, der in einer großen
musikalischen Vielfalt seinen Ausdruck
findet.
When five virtuoso musicians decide
to team up, listeners can expect something out of the ordinary—especially
because the fame of every single one of
them has spread far beyond the borders
of Austria’s world music scene. Even
though the band is collectively tracing
each member’s musical roots, it does
not content itself with merely cultivating
traditions. Instead, the quintet has developed a highly individualized musical
language, in which their diverse cultural
heritage comes to the fore.
Vucciria
Italy
Peppe Perna – vocals, guitar,
jaw harp
Toti Denaro – vocals, bass, guitar,
mandoline, drums
Manu Mazé – vocals, accordion
Nicoló Loro Ravenni – vocals,
saxophone, clarinet, flute
Vucciria ist nach dem täglichen Altstadtmarkt in Palermo benannt und belebt ein
aus internationalen Einflüssen zusammen gewachsenes Kulturgut wieder, und
präsentiert dieses in einer unvergleichlich charmanten, frischen und mitreißenden Weise. Es ist eine unheimlich heitere Mischung aus Erzählung und guter
Musik, wenn Giuseppe Perna und Toti
Denaro mit dem typischen sizilianischen
Charme den Konzertbesuchern die Geschichten um die einzelnen Stücke erklären. Die außergewöhnlichen Stimmen
von Giuseppe und Toti, das musikalische
Können der „Instrumentalisten“, sowie
eine ansteckende Fröhlichkeit machen
die Auftritte von Vucciria zu einem Erlebnis für Auge, Ohr und Seele.
Vucciria derives its name from the market in the old town of Palermo, a rich
cultural heritage site. The band showcases the market’s diverse cultural
influences in a charmingly fresh and
rousing manner. When Giuseppe Perna
and Toti Denaro explain to listeners the
stories behind their songs with typical
Sicilian charm, good cheer spreads
throughout the audience. Giuseppe and
Toti’s inimitable voices, the virtuoso
performance of the band’s musicians,
and their infectiously joyful sound make
for a treat for the eye, ear, and soul.
Riccardo Tesi & Banditaliana „Un ballo liscio“
Italy
Riccardo Tesi – accordion
Maurizio Geri – vocals, guitar
Claudio Carboni – saxophone
Gigi Biolcati – percussion
Seit über 30 Jahren hält Riccardo Tesi
die Stellung als einer der einfallsreichsten Interpreten auf dem Organetto, dem
diatonischen Knopfakkordeon. Als Ethnomusikologe erforschte er den Liscio,
den Walzer seiner Heimat Toskana,
aber auch süditalienische Tarantelle
und Tammuriate, die Traditionen Sardiniens, des Balkans oder Madagaskars
ebenso wie den Jazz oder die Filmmusik Nino Rotas. All das verschmelzt er
mit seiner Banditaliana zu einer facettenreichen, fließenden und leicht tanzbaren Kunstmusik. Es ist Musik ohne
Grenzen, frisch und sonnig, innovativ
und gleichzeitig eng mit ihren Wurzeln
verbunden.
For over 30 years, Riccardo Tesi has
been known as one of the most inventive players of the organetto, the diatonic button harmonica. An ethnomusicologist, he researched the liscio, a
Tuscan waltz, as well as the Southern
Italian tarantella and tammuriata dances, and musical traditions from Sardinia, the Balkans, Madagascar, jazz,
and Nino Rota’s film music. Together
with Banditaliana, he blends all these
influences into a multifaceted and fluid
music that listeners can dance to easily. It is without borders, fresh and full of
sunshine—innovative, but closely tied
to its roots.
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Die Zeitung für Leserinnen
jazzmag | 67
almkonzerte
Huggenberg, Saalfelden
Harri Stojka "Hot Club de Vienne"
Vorderkühbühelhof, Saalfelden
Großmütterchen Hatz Salon Orkestar
presented by
Stöcklalm, Leogang
Smart Metal Hornets
presented by
68 | jazzmag
almkonzerte
Harri Stojka „Hot Club de Vienne“
„Hot Club de Vienne“ ist Harri Stojkas
Hommage an Django Reinhardt, den
Meister des Gipsy-Jazz der 30er und
40er Jahre.
Austria
Harri Stojka – guitar
Peter Strutzenberger – acoustic bass
Claudius Jelinek – guitar
Herbert Berger – clarinet, saxophone, harmonica
Gidon Öchsner – guitar
Das leichtfüßig-virtuose melodische
Dahinfließen und die komplizierten Harmoniestrukturen Reinhardts verbindet
Stojka mit seiner eigenen, auch von
Bebop und Modernjazz beeinflussten
Tonsprache und findet so zu einer ganz
persönlichen Auseinandersetzung mit
dem Gipsy Jazz und Modern Jazz.
“Hot Club de Vienne” is Harri Stojka’s
homage to Django Reinhardt, the Gypsy
jazz virtuoso of the 1930s and 40s.
Stojka interweaves Reinhardt’s masterfully mellifluous melodies and intricate
harmonic structures with his own musical language. Inspired by Bebop and
other musical influences, Stojka creates
a very personal approach to Gypsy and
modern jazz.
Großmütterchen Hatz Salon Orkestar
Franziska Hatz, Namensstifterin dieser
in Wien basierten Formation, rührt mit
ihrem spielfreudigen Salon Orkestar seit
ihrer Gründung 2010 kräftig in der österreichischen Konzertszene um.
Austria
Franziska Hatz – accordion, voice
Richie Winkler – saxophone, clarinet
Simon Schellnegger – viola
Julian Pieber – percussion
Klezmertraditionen aber auch Pop,
Folk-Rock, Ska und Jazz beeinflussen
diese vierköpfige Gruppe, deren facettenreiche Auftritte mit Energie, verblüffendem Können und viel Humor bestechen.
Franziska Hatz, founder of the witty
and energetic Salon Orkestar, has been
stirring things up in the Vienna music
scene since 2010.
This energetic, multifaceted quartet
blends klezmer with pop, folk-rock, ska,
and jazz in an astonishingly skillful and
humorous way.
presented by
Smart Metal Hornets
Ein Blech- und zwei Holzbläser (Saxofonisten), deren Hauptanliegen „Humorvoller Groove“ ist.
Austria
Christoph Wundrak – flugelhorn,
eufonium, cornet, tuba
Johannes „Joe“ Harpf – baritone &
tenor & soprano saxophones,
bass clarinet
Gernot Strebl – tenor & soprano &
alto saxophones, clarinet
Und zwar in einem stilistischen Feld von
schräger Volxmusik über witzige Arrangements von Rock-Klassikern bis zu
jazzigen/rockigen eigenen Werken, die
keine Berührungsängste mit anderen
musikalischen Welten haben.
One brass and two woodwind players
on various saxophones are intent on
creating a humorous groove by blending offbeat Austrian folk music with
witty arrangements of classic rock music and their own jazz and rock sounds.
This trio definitely likes to venture out
into different musical fields.
presented by
jazzmag | 69
kinderkonzert
Der Pilot Herr Fridolin
auf der Insel Fürchtistan
Von unbändiger Reise- und Abenteuerlust
getrieben, begeben sich Fridolin und Florentina mit ihrem wilden Jazz-Flugzeug
und dem Publikum auf eine bewegte
Reise voller Überraschungen: Sie werden
vom schlechten Wetter überrascht, von
hereinbrechender Dunkelheit, von der ansteigenden Flut, aber für die größte Überraschung sorgen doch die ganz und gar
mysteriösen „Schrecksigittolupen“ auf
der Insel Fürchtistan! Obwohl die Furcht
vor dem Unbekannten oft groß ist, überwiegt doch stets die Musik und vertreibt
alle Ängste, die mit Hilfe des Publikums
schnell weggesungen sind. Steigt ein und
seid dabei!
presented by
Club der Freunde
Jazzfestival
Saalfelden
HANS KUPELWIESER
ÜBERFORMEN
27.–30.8.2015
Öffnungszeiten:
Do 17:00 – 20:00 Uhr
Fr & Sa 11:00 - 16:00 Uhr
So 11:00 – 13:00 Uhr
Führung durch die Kuratorin Petra Noll:
Sa 11:00 – 12:00 Uhr
70 | jazzmag
Adventurous travelers Fridolin and Florentina go on a wild and eventful ride on a
jazz plane. During their voyage, they have
to deal with adverse circumstances such
as inclement weather, nighttime darkness, and the rising tide. On Fürchtistan
Island, the mysterious “Schrecksigittolupe” creatures have many surprises in
store for them. Even though the children’s
fear of the unknown might be big, music
comes to their rescue. The audience also
does its share to sing away the jitters. Get
on board and enjoy the ride!
AUSTRIA
Benedikt Gräwe – vocals
Juliana Haider – vocals
Christian Wegscheider - piano
Florian Bramböck – saxophone
Andy Mayerl – acoustic bass
Klaus Hofer – drums, percussion
jazz vip
Die Organisatoren des Jazzfestivals Saalfelden bedanken sich
sehr herzlich bei den nachstehenden Unternehmen, Institutionen und Personen für die Unterstützung durch den Kauf
eines VIP Tickets.
Die ersten und schnellsten Ticketkäufer im Jahr 2015:
jazzvip
The organizers of Jazzfestival Saalfelden would like to thank
the following companies, institutions, and people for supporting the festival by puchasing a VIP ticket.
The first and fastest VIP ticket buyer 2015:
Dr. Bernd und Bernadette
Burghartswieser
Hasenauer Installations GmbH
D-67433 Neustadt
ElisabethHasenauer
5760 Saalfelden
Tourismusverband Maria Alm Architekturbüro Aigner KG
5761 Maria Alm
ChristaMüller
5760 Saalfelden
Gemeinde Maishofen
Bürgermeister Franz Eder
5751 Maishofen
Gemeinde Leogang
BGM Josef Grießner | 5771 Leogang
G.A. Service GmbH
Wolfgang Duller | 5020 Salzburg
Bernd Defant
5771 Leogang
Dr. Edith Defant-Thuswaldner
5760 Saalfelden
Michael Weißensteiner
5760 Saalfelden
Franz Zauner
4910 Ried im Innkreis
Dipl.-Ing. Christoph Aigner
5760 Saalfelden
Christoph Beer
Gerhard Leuc
Tina Hertel
9020 Klagenfurt
Andreas Höllebauer
2700 Wiener Neustadt
Robert Groger
5760 Saalfelden
Hans-Peter Radauer
5020 Salzburg
Salzburg Touralpin Touristik GmbH
D-O7570 Wünschendorf
D-O7548 Gera
Buchhandlung Wirthmiller KG
Alice Loske-Wirthmiller
5760 Saalfelden
Andrea Dozi
I-O6129 Perugia
Zentrum
Zeitgenössischer Musik
Frau Wallner | 5751 Maishofen
Arch. DI Wolfgang Hartl
5760 Saalfelden
Leopold Radauer
Hannes Biechteler
5760 Saalfelden
musik
LESEN
80935 München
CAFÈ
... 6 X IM JAHR
Interviews, Features, Storys, Hintergrundberichte und
Rezensionen über die interessantesten Musiker und
Musikerinnen aus Jazz, Blues, Weltmusik, (Post-)
Rock, Indie, Singer/Songwriter, Electronica, Ambient,
Neue Musik, Improv und Free. Und vieles mehr.
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jazzmag | 71
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