Markt - BIOspektrum

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Markt - BIOspektrum
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03.11.2010
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BI OT ECH NOLOGIE · MAR KT
Drug Delivery Systems
Mit Nanopartikeln
Wirkstoffe ans Ziel bringen
GUNVOR POHL -APEL
DR. HOLGER BENGS – BIOTECH CONSULTING
richtigen Ort, sondern auch über einen
bestimmten Zeitraum freigesetzt werden, um
die erwünschte pharmakologische Wirkung
zu erzielen. Die Freisetzung des Wirkstoffes
kann über die Art der Bindung an den Nanoträger geregelt werden. Wirkstoffe, die in den
Träger eingeschlossen sind, müssen durch
die Matrix diffundieren und werden somit
langsamer freigesetzt als solche, die an der
Oberfläche gebunden sind.
Schutz vor dem Immunsystem
Die Wirkung von Arzneimitteln hängt in großem Maße von ihrer Darreichungsform ab. Bei den heute üblichen Applikationsformen wie Tabletten,
Kapseln oder Salben erreicht nur ein kleiner Wirkstoffanteil den
gewünschten Wirkort. Der Rest verteilt sich unspezifisch im Körper.
Dies kann etwa bei der Verabreichung von Zytostatika zu unerwünschten
Nebenwirkungen führen. Gerade bei Peptiden und Proteinen besteht
zudem die Problematik, dass sie im Magen-Darm-Trakt schnell abgebaut
werden. Eine verbesserte Wirksamkeit, Bioverfügbarkeit und Pharmakokinetik von Wirkstoffen ist durch die Verwendung von nanoskaligen Trägersystemen (Drug Delivery Systems) möglich, die seit den 1970er Jahren
erforscht werden [1]. Immer mehr Entwicklungen gelangen jetzt zur
Marktreife.
Anwendungsmöglichkeiten von
Wirkstofftransportsystemen
ó Nanopartikel für pharmazeutische Zwecke haben eine Größe zwischen 1 nm und
1000 nm. Sie können unter Anwendung verschiedener Methoden dazu genutzt werden,
Wirkstoffe gezielt in Organen oder erkrankten
Geweben anzureichern. Substanzen, die zwar
als Arzneimittelkandidaten identifiziert wur-
Eisenoxyd-haltiges Nanopartikel:
Der Eisenoxid-haltige Kern des Nanopartikels
wird von einer aus Aminosilanen bestehenden
Schutzhülle umgeben, die die Partikel vor
Agglomeration oder Sedimentation schützen.
(Bild: MagForce Nanotechnologies AG)
den, aber wegen zu geringer Löslichkeit in
biologischen Medien, oder dem zu schnellem
Abbau durch Enzyme oder Säuren therapeutisch unbrauchbar erschienen, werden inzwischen mit der Nanobiotechnologie für die therapeutische Anwendung getestet. Nanoskalige Trägersysteme können auch einen Transport von Arzneistoffen über die Blut-HirnSchranke ermöglichen. Dies lässt darauf hoffen, dass bislang nicht umsetzbare medikamentöse Therapiemöglichkeiten von Hirntumoren oder von Hirnerkrankungen wie Morbus Alzheimer, künftig möglich sind.
Zu den nanoskaligen Trägersystemen gehören Lipidvesikel wie z.B. kugelförmige Liposome, bei denen eine Doppelmembran aus
Phospholipiden einen wässrigen Kern umschließt. Neben Phospholipiden können auch
Sphingolipide oder nicht-ionische Bestandteile verwendet werden. Verschiedene Medikamente auf liposomaler Basis zur Behandlung von Pilzinfektionen, Augen- und Krebserkrankungen sind mittlerweile auf dem
Markt (s. Tabelle). Neben den Liposomen werden auch feste Trägersysteme wie Nanopartikel eingesetzt. Ausgangsmaterialien für diese Träger sind natürliche Polysaccharide oder
synthetische bioabbaubare Polymere. Nanopartikel weisen eine feste Matrix auf, bei
Nanokapseln umschließt eine polymere Hülle einen Kern. Der Wirkstoff soll nicht nur am
Nanopartikel, deren Oberfläche nicht modifiziert wurde, werden vom Immunsystem
schnell erkannt und entfernt. Deshalb wird
versucht, durch eine Anheftung von lipophilen Oberflächenstrukturen die Wechselwirkungen der Partikel mit Zellen des Immunsystems zu minimieren. Dies gelingt durch
das Einführen kettenförmiger Polyethylenglykol-Moleküle (PEG) oder anderer Moleküle, die eine PEG-Struktur beinhalten. PEG
unterdrückt das Andocken von Immunzellen,
was dazu führt, dass die Nanopartikel länger
im Körper verbleiben. Eine PEG-Ummantelung erhöht die Möglichkeit, dass die Nanoträger unterschiedlich große Zellzwischenräume von gesundem und krankem Gewebe
finden und durch sie hindurchtreten. In gesundem Gewebe haben Blutgefäße eine intakte Endothelschicht, die von Nanoträgern nicht
durchdrungen werden kann. Da aber insbesondere in Tumorgeweben die Blutgefäße eine
höhere Permeabilität aufweisen, reichern sich
Wirkstoffe in Tumorzellen an. Dies lässt sich
therapeutisch nutzen. Mittlerweile sind mehrere Zytostatika-haltige Arzneimittel auf dem
Markt, die eine verbesserte therapeutische
Wirksamkeit aufweisen (s. Tabelle).
Weitere Anwendungsfelder
Nanopartikel können auch zur Therapie eingesetzt werden. Dendrimere, baumförmig verzweigte Makromoleküle, eignen sich als Träger für einen Therapiewirkstoff. Sie können
kontrolliert mit spezifischen Eigenschaften
synthetisiert werden. Ein Beispiel für ein solches Produkt ist Vivagel®, das antivirale
Eigenschaften bei Infektionen mit humanem
Immundefizienz-Virus (HIV) und Herpes-simplex-Virus (HSV) aufweist. Das Dendrimer
reagiert mit Proteinfragmenten auf der Virusoberfläche und verhindert so ein Eindringen
des Virus in die Zellen.
Die Hypothermie-Behandlung von Tumoren stellt ein weiteres vielversprechendes
Konzept dar. Das Verfahren beruht darauf,
dass Tumorzellen auf erhöhte Temperaturen
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Tab.: Beispiele EU-weit zugelassener Medikamente auf der Basis nanoskaliger Wirkstoffträger
Medikament
Nano-Komponente
Wirkstoff
Indikation
Hersteller
Abelcet®
Lipid Komplex
Amphotericin B (a)
Pilzinfektion
Enzon Pharmaceuticals Inc., USA
Macugen®
Polymer-Protein Konjugat
Pegaptanib (b)
Maculadegeneration
Pfizer Deutschland
DaunoXome®
Liposomen
Daunorubicinum (a)
Karposi-Sarkom
Gilead Sciences Inc., USA
Myocet®
Liposomen
Doxorubicin (a)
Tumortherapie
Zeneus Pharma, UK
Abraxane
Nanopartikel als Träger
Paclitaxel (a)
Tumortherapie
Abraxis BioScience, Inc. , USA
Pegasys®
Polymer-Protein Konjugat
Peginterferon-alfa-2a (b)
Hepatitis C
Roche, Schweiz
a) Small molecule, b) Biological
empfindlicher reagieren als gesundes Gewebe und dass Temperaturen ab 42° C einen
zytotoxischen Effekt haben. Bei der Behandlung werden Eisenoxid-haltige Nanopartikel
in den Tumor injiziert, und verbleiben dort
aufgrund ihrer spezifischen Oberflächenstruktur. Durch Anlegen eines magnetischen
Wechselfeldes werden die eisenhaltigen Nanopartikel in Schwingungen versetzt, die die
nötige Temperatur erzeugen. Erste Arbeiten
an diesem innovativen Forschungsansatz
begannen bereits 1987 und zehn Jahre später
wurde die MagForce Nanotechnologies AG als
Spin-off der Charité Berlin gegründet. Heute
ist das Berliner Unternehmen führend im
Bereich der nanotechnologisch basierten
Krebstherapie. Im Juni 2010 erhielt es nach
jahrelanger intensiver Forschung die europäische Zulassung für seine Nano-Krebs®Therapie, die auch die Behandlung von
Gehirntumoren beinhaltet.
Marktentwicklung
Medizinische Nanotechnologie ist nicht nur
für die Grundlagenforschung interessant,
auch die Pharmaindustrie ist mittlerweile auf
diesem Gebiet aktiv. Zu den großen Pharmaunternehmen, die bereits in der Nanomedizin aktiv forschen, gehören Sanofi-Aventis,
Merck KgAa, Bayer Schering Pharma AG oder
Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co.
KG. In den kommenden Jahren enden viele
Patente auf Wirkstoffe. Die Pharmaunternehmen benötigen innovative Ansätze, um weiterhin den lukrativen Markt der Neuzulassungen
beliefern zu können. Hierzu bieten sich
nanoskalige Wirkstoffsysteme als eine Möglichkeit an. In seinem Positionspapier „Nanobiotechnologie/Nanomedizin“ geht der Verband forschender Arzneimittelhersteller e. V.
(vfa) davon aus, dass unter optimistischen
Annahmen in den nächsten zehn bis 15 Jahren fast die Hälfte aller Arzneimittel auf der
Nanobiotechnologie basieren können.
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Nach einer Studie von Ernst & Young 2007
machten die Umsätze mit Nanomedizin-Produkten im Jahr 2006 in den USA 8,5 Mrd.
USD aus, davon entfielen 6 Mrd. USD auf
nanoskalige Wirkstofftransportsysteme. Bis
2021 soll der Umsatz auf 70 Mrd. USD steigen.
Es wird von einer jährlichen Wachstumsrate
von 20 Prozent ausgegangen.
Deutschland – Nanotech-Land?
Deutschland hat das große Potenzial der
Nanobiotechnologie im Bereich des Gesundheitswesen frühzeitig erkannt und bereits im
Jahr 2000 erste Förderprogramme aufgelegt,
in denen auch die Nanomedizin eingeschlossen war. Seit 2005 läuft die Initiative „Nanotechnologien für Life Sciences und Gesundheit“ des Bundesministerium für Bildung und
Forschung (BMBF), kurz „NanoforLife“ genannt, die industriegeführte Forschungs- und
Entwicklungsvorhaben im Bereich Wirkstofftransport unterstützt. Eine weitere Fördermaßnahme trägt den Titel „KMU innovativ: Nanotechnologie – NanoChance“. Sie soll
Entwicklungsvorhaben von kleineren Unternehmen und insbesondere von Start-ups kofinanzieren. Auch in der in 2010 überarbeiteten
High-Tech Strategie der Bundesregierung
zählt die Nanotechnologie zu den Schlüsseltechnologien innovativer Produkte und Verfahren.
Start-ups, die innovative wissenschaftliche
Forschungsergebnisse in Produktideen umsetzen, machen den größten Teil der forschenden deutschen Unternehmen in der
Nanomedizin aus. Da die Entwicklungsdauer
eines Medikamentes bis zu 16 Jahren betragen kann, sehen die Geschäftsmodelle vieler
Start-ups und auch KMU vor, die Wirkstoffe
nur bis zu dem Punkt zu entwickeln, an dem
sich die Wirksamkeit nachweisen lässt. Vor
dem Eintritt in die klinischen Studien suchen
sie sich dann einen größeren Partner. Andere Unternehmen hingegen wie die Capsolu-
tion Pharma AG, die Celares GmbH oder die
NanoDel Technologies GmbH sind darauf spezialisiert, kundenspezifische Drug Delivery
Systeme zu entwickeln.
Die früh begonnenen und konsequent fortgeführten Anstrengungen zahlen sich aus.
Deutschland nimmt eine Vorreiterrolle in
Europa ein. Nach einer Studie der EU aus dem
Jahr 2008 [3] waren 81 Pharmazeutische
Unternehmen in F&E-Projekte aus dem
Bereich der Nanomedizin eingebunden. Bei
37 Unternehmen handelt es sich um in
Deutschland angesiedelte Unternehmen und
von diesen sind wiederum allein 19 Start-ups
und zehn KMU. Auch bei der Entwicklung
von Produkten liegt Deutschland mit 50 Prozent Anteil in der Produktpipeline an der Spitze. Der Standort Deutschland hat aufgrund
seiner heutigen Position das Potenzial am
stark wachsenden weltweiten Markt der
Nanomedizin auch in Zukunft eine große Rolle zu spielen.
ó
Literatur
[1] Allan S. Hoffman, Journal of Controlled Release 132, 153–
163, 2008
[2] Volker Wagner et al., Nature Biotechnology Vol 24, 1211–
1217, 2006
[3] Volker Wagner et al. Nanomedicine: Drivers for
Development and possible impacts. European Comission Joint
Research Centre, 2008
Korrespondenzadresse:
Dr. Gunnar Pohl-Apel
Dr. Holger Bengs-Biotech Consulting
Varrentrapstraße 40–42
D-60486 Frankfurt a. M.
gpa@holgerbengs.de