Markt - BIOspektrum
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Markt - BIOspektrum
776_830_BIOsp_0710 816 03.11.2010 14:26 Uhr Seite 816 BI OT ECH NOLOGIE · MAR KT Drug Delivery Systems Mit Nanopartikeln Wirkstoffe ans Ziel bringen GUNVOR POHL -APEL DR. HOLGER BENGS – BIOTECH CONSULTING richtigen Ort, sondern auch über einen bestimmten Zeitraum freigesetzt werden, um die erwünschte pharmakologische Wirkung zu erzielen. Die Freisetzung des Wirkstoffes kann über die Art der Bindung an den Nanoträger geregelt werden. Wirkstoffe, die in den Träger eingeschlossen sind, müssen durch die Matrix diffundieren und werden somit langsamer freigesetzt als solche, die an der Oberfläche gebunden sind. Schutz vor dem Immunsystem Die Wirkung von Arzneimitteln hängt in großem Maße von ihrer Darreichungsform ab. Bei den heute üblichen Applikationsformen wie Tabletten, Kapseln oder Salben erreicht nur ein kleiner Wirkstoffanteil den gewünschten Wirkort. Der Rest verteilt sich unspezifisch im Körper. Dies kann etwa bei der Verabreichung von Zytostatika zu unerwünschten Nebenwirkungen führen. Gerade bei Peptiden und Proteinen besteht zudem die Problematik, dass sie im Magen-Darm-Trakt schnell abgebaut werden. Eine verbesserte Wirksamkeit, Bioverfügbarkeit und Pharmakokinetik von Wirkstoffen ist durch die Verwendung von nanoskaligen Trägersystemen (Drug Delivery Systems) möglich, die seit den 1970er Jahren erforscht werden [1]. Immer mehr Entwicklungen gelangen jetzt zur Marktreife. Anwendungsmöglichkeiten von Wirkstofftransportsystemen ó Nanopartikel für pharmazeutische Zwecke haben eine Größe zwischen 1 nm und 1000 nm. Sie können unter Anwendung verschiedener Methoden dazu genutzt werden, Wirkstoffe gezielt in Organen oder erkrankten Geweben anzureichern. Substanzen, die zwar als Arzneimittelkandidaten identifiziert wur- Eisenoxyd-haltiges Nanopartikel: Der Eisenoxid-haltige Kern des Nanopartikels wird von einer aus Aminosilanen bestehenden Schutzhülle umgeben, die die Partikel vor Agglomeration oder Sedimentation schützen. (Bild: MagForce Nanotechnologies AG) den, aber wegen zu geringer Löslichkeit in biologischen Medien, oder dem zu schnellem Abbau durch Enzyme oder Säuren therapeutisch unbrauchbar erschienen, werden inzwischen mit der Nanobiotechnologie für die therapeutische Anwendung getestet. Nanoskalige Trägersysteme können auch einen Transport von Arzneistoffen über die Blut-HirnSchranke ermöglichen. Dies lässt darauf hoffen, dass bislang nicht umsetzbare medikamentöse Therapiemöglichkeiten von Hirntumoren oder von Hirnerkrankungen wie Morbus Alzheimer, künftig möglich sind. Zu den nanoskaligen Trägersystemen gehören Lipidvesikel wie z.B. kugelförmige Liposome, bei denen eine Doppelmembran aus Phospholipiden einen wässrigen Kern umschließt. Neben Phospholipiden können auch Sphingolipide oder nicht-ionische Bestandteile verwendet werden. Verschiedene Medikamente auf liposomaler Basis zur Behandlung von Pilzinfektionen, Augen- und Krebserkrankungen sind mittlerweile auf dem Markt (s. Tabelle). Neben den Liposomen werden auch feste Trägersysteme wie Nanopartikel eingesetzt. Ausgangsmaterialien für diese Träger sind natürliche Polysaccharide oder synthetische bioabbaubare Polymere. Nanopartikel weisen eine feste Matrix auf, bei Nanokapseln umschließt eine polymere Hülle einen Kern. Der Wirkstoff soll nicht nur am Nanopartikel, deren Oberfläche nicht modifiziert wurde, werden vom Immunsystem schnell erkannt und entfernt. Deshalb wird versucht, durch eine Anheftung von lipophilen Oberflächenstrukturen die Wechselwirkungen der Partikel mit Zellen des Immunsystems zu minimieren. Dies gelingt durch das Einführen kettenförmiger Polyethylenglykol-Moleküle (PEG) oder anderer Moleküle, die eine PEG-Struktur beinhalten. PEG unterdrückt das Andocken von Immunzellen, was dazu führt, dass die Nanopartikel länger im Körper verbleiben. Eine PEG-Ummantelung erhöht die Möglichkeit, dass die Nanoträger unterschiedlich große Zellzwischenräume von gesundem und krankem Gewebe finden und durch sie hindurchtreten. In gesundem Gewebe haben Blutgefäße eine intakte Endothelschicht, die von Nanoträgern nicht durchdrungen werden kann. Da aber insbesondere in Tumorgeweben die Blutgefäße eine höhere Permeabilität aufweisen, reichern sich Wirkstoffe in Tumorzellen an. Dies lässt sich therapeutisch nutzen. Mittlerweile sind mehrere Zytostatika-haltige Arzneimittel auf dem Markt, die eine verbesserte therapeutische Wirksamkeit aufweisen (s. Tabelle). Weitere Anwendungsfelder Nanopartikel können auch zur Therapie eingesetzt werden. Dendrimere, baumförmig verzweigte Makromoleküle, eignen sich als Träger für einen Therapiewirkstoff. Sie können kontrolliert mit spezifischen Eigenschaften synthetisiert werden. Ein Beispiel für ein solches Produkt ist Vivagel®, das antivirale Eigenschaften bei Infektionen mit humanem Immundefizienz-Virus (HIV) und Herpes-simplex-Virus (HSV) aufweist. Das Dendrimer reagiert mit Proteinfragmenten auf der Virusoberfläche und verhindert so ein Eindringen des Virus in die Zellen. Die Hypothermie-Behandlung von Tumoren stellt ein weiteres vielversprechendes Konzept dar. Das Verfahren beruht darauf, dass Tumorzellen auf erhöhte Temperaturen BIOspektrum | 07.10 | 16. Jahrgang 776_830_BIOsp_0710 03.11.2010 14:26 Uhr Seite 817 817 Tab.: Beispiele EU-weit zugelassener Medikamente auf der Basis nanoskaliger Wirkstoffträger Medikament Nano-Komponente Wirkstoff Indikation Hersteller Abelcet® Lipid Komplex Amphotericin B (a) Pilzinfektion Enzon Pharmaceuticals Inc., USA Macugen® Polymer-Protein Konjugat Pegaptanib (b) Maculadegeneration Pfizer Deutschland DaunoXome® Liposomen Daunorubicinum (a) Karposi-Sarkom Gilead Sciences Inc., USA Myocet® Liposomen Doxorubicin (a) Tumortherapie Zeneus Pharma, UK Abraxane Nanopartikel als Träger Paclitaxel (a) Tumortherapie Abraxis BioScience, Inc. , USA Pegasys® Polymer-Protein Konjugat Peginterferon-alfa-2a (b) Hepatitis C Roche, Schweiz a) Small molecule, b) Biological empfindlicher reagieren als gesundes Gewebe und dass Temperaturen ab 42° C einen zytotoxischen Effekt haben. Bei der Behandlung werden Eisenoxid-haltige Nanopartikel in den Tumor injiziert, und verbleiben dort aufgrund ihrer spezifischen Oberflächenstruktur. Durch Anlegen eines magnetischen Wechselfeldes werden die eisenhaltigen Nanopartikel in Schwingungen versetzt, die die nötige Temperatur erzeugen. Erste Arbeiten an diesem innovativen Forschungsansatz begannen bereits 1987 und zehn Jahre später wurde die MagForce Nanotechnologies AG als Spin-off der Charité Berlin gegründet. Heute ist das Berliner Unternehmen führend im Bereich der nanotechnologisch basierten Krebstherapie. Im Juni 2010 erhielt es nach jahrelanger intensiver Forschung die europäische Zulassung für seine Nano-Krebs®Therapie, die auch die Behandlung von Gehirntumoren beinhaltet. Marktentwicklung Medizinische Nanotechnologie ist nicht nur für die Grundlagenforschung interessant, auch die Pharmaindustrie ist mittlerweile auf diesem Gebiet aktiv. Zu den großen Pharmaunternehmen, die bereits in der Nanomedizin aktiv forschen, gehören Sanofi-Aventis, Merck KgAa, Bayer Schering Pharma AG oder Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG. In den kommenden Jahren enden viele Patente auf Wirkstoffe. Die Pharmaunternehmen benötigen innovative Ansätze, um weiterhin den lukrativen Markt der Neuzulassungen beliefern zu können. Hierzu bieten sich nanoskalige Wirkstoffsysteme als eine Möglichkeit an. In seinem Positionspapier „Nanobiotechnologie/Nanomedizin“ geht der Verband forschender Arzneimittelhersteller e. V. (vfa) davon aus, dass unter optimistischen Annahmen in den nächsten zehn bis 15 Jahren fast die Hälfte aller Arzneimittel auf der Nanobiotechnologie basieren können. BIOspektrum | 07.10 | 16. Jahrgang Nach einer Studie von Ernst & Young 2007 machten die Umsätze mit Nanomedizin-Produkten im Jahr 2006 in den USA 8,5 Mrd. USD aus, davon entfielen 6 Mrd. USD auf nanoskalige Wirkstofftransportsysteme. Bis 2021 soll der Umsatz auf 70 Mrd. USD steigen. Es wird von einer jährlichen Wachstumsrate von 20 Prozent ausgegangen. Deutschland – Nanotech-Land? Deutschland hat das große Potenzial der Nanobiotechnologie im Bereich des Gesundheitswesen frühzeitig erkannt und bereits im Jahr 2000 erste Förderprogramme aufgelegt, in denen auch die Nanomedizin eingeschlossen war. Seit 2005 läuft die Initiative „Nanotechnologien für Life Sciences und Gesundheit“ des Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), kurz „NanoforLife“ genannt, die industriegeführte Forschungs- und Entwicklungsvorhaben im Bereich Wirkstofftransport unterstützt. Eine weitere Fördermaßnahme trägt den Titel „KMU innovativ: Nanotechnologie – NanoChance“. Sie soll Entwicklungsvorhaben von kleineren Unternehmen und insbesondere von Start-ups kofinanzieren. Auch in der in 2010 überarbeiteten High-Tech Strategie der Bundesregierung zählt die Nanotechnologie zu den Schlüsseltechnologien innovativer Produkte und Verfahren. Start-ups, die innovative wissenschaftliche Forschungsergebnisse in Produktideen umsetzen, machen den größten Teil der forschenden deutschen Unternehmen in der Nanomedizin aus. Da die Entwicklungsdauer eines Medikamentes bis zu 16 Jahren betragen kann, sehen die Geschäftsmodelle vieler Start-ups und auch KMU vor, die Wirkstoffe nur bis zu dem Punkt zu entwickeln, an dem sich die Wirksamkeit nachweisen lässt. Vor dem Eintritt in die klinischen Studien suchen sie sich dann einen größeren Partner. Andere Unternehmen hingegen wie die Capsolu- tion Pharma AG, die Celares GmbH oder die NanoDel Technologies GmbH sind darauf spezialisiert, kundenspezifische Drug Delivery Systeme zu entwickeln. Die früh begonnenen und konsequent fortgeführten Anstrengungen zahlen sich aus. Deutschland nimmt eine Vorreiterrolle in Europa ein. Nach einer Studie der EU aus dem Jahr 2008 [3] waren 81 Pharmazeutische Unternehmen in F&E-Projekte aus dem Bereich der Nanomedizin eingebunden. Bei 37 Unternehmen handelt es sich um in Deutschland angesiedelte Unternehmen und von diesen sind wiederum allein 19 Start-ups und zehn KMU. Auch bei der Entwicklung von Produkten liegt Deutschland mit 50 Prozent Anteil in der Produktpipeline an der Spitze. Der Standort Deutschland hat aufgrund seiner heutigen Position das Potenzial am stark wachsenden weltweiten Markt der Nanomedizin auch in Zukunft eine große Rolle zu spielen. ó Literatur [1] Allan S. Hoffman, Journal of Controlled Release 132, 153– 163, 2008 [2] Volker Wagner et al., Nature Biotechnology Vol 24, 1211– 1217, 2006 [3] Volker Wagner et al. Nanomedicine: Drivers for Development and possible impacts. European Comission Joint Research Centre, 2008 Korrespondenzadresse: Dr. Gunnar Pohl-Apel Dr. Holger Bengs-Biotech Consulting Varrentrapstraße 40–42 D-60486 Frankfurt a. M. gpa@holgerbengs.de