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Freispruch für die kroatischen Generäle Ante Gotovina und Mladen Markač Autorin: Dr. Ljiljana Radonic Abstract Ende 2012 wurden Ante Gotovina und Mladen Markač vom Haager Berufungsgericht freigesprochen, das damit langjährige Haftstrafen aus der ersten Instanz aufhob. In Kroatien begrüßten das 96 Prozent der Bevölkerung und 100 000 Fans hießen die beiden Generäle am Zagreber Hauptplatz willkommen. Die Staatsspitze und die Medien waren sich weitgehend einig, dass damit die Operation „Sturm“ zur Befreiung der Krajina und der „Heimatländische Krieg“ (1991-1995) an sich reingewaschen wurden, auch wenn Premier und Präsident betonten, dass von „Einzelnen“ begangene Verbrechen noch geahndet werden müssen. In Serbien löste das Urteil hingegen Empörung aus. In der Berichterstattung dominierte erneut der Vorwurf, das ICTY habe damit seinen Charakter als politisches Tribunal bestätigt – eine Einschätzung, die auch die ehemalige Haager Chefanklägerin, Carla del Ponte, teilt. Opfer kamen in der Diskussion kaum zu Wort. Ante Gotovina schlug hingegen überraschend versöhnliche Töne an, was ihn für viele enttäuschte Veteranen in die Nähe eines Verräters rückte. Am 16. November 2012 hob der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) die erstinstanzliche Verurteilung General Ante Gotovinas zu 24 Jahren Haft im Berufungsverfahren auf. Außer dem Befehlshaber, der für die Rückeroberung der Zur Autorin: Ljiljana Radonic ist seit März 2013 APART-Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und arbeitet am Institut für Kulturwissenschaften und Theatergeschichte an einem Habilitationsprojekt zum Zweite Weltkrieg in postsozialistischen Gedenkmuseen. Sie wurde 2009 an der Universität Wien mit einer Arbeit über den Krieg um die versöhnende Erinnerung Vergangenheitspolitische Diskurse in Kroatien zwischen historischem Revisionismus und europäischen Standards promoviert, für die sie 2012 mit dem Michael Mitterauer-Preis für Gesellschafts-, Kultur- und Wirtschaftsgeschichte in Wien ausgezeichnet wurde. Zu ihren zahlreichen Publikationen gehören u.a. die Monographie Krieg um die Erinnerung - Kroatische Vergangenheitspolitik zwischen Revisionismus und europäischen Standards, Frankfurt am Main 2012; Ante in Kroatien und Europa - Ein verworrener Freispruch, in: sans phrase 2/2013 und Der erste postsozialistische Prozess gegen einen Kriegsverbrecher aus dem Zweiten Weltkrieg - Kroatien als Beispiel vorbildlicher Aufarbeitung? in: Österreichische Zeitschrift für Politikwissenschaft 1/2012. 2 seit 1991 unter serbischer Kontrolle befindlichen Krajina im August 1995 verantwortlich war, wurde auch der Chef der Sonderpolizei und stellvertretende kroatische Innenminister, General Mladen Markač, freigesprochen. Damit verurteilte das Haager Tribunal keinen Kroaten für auf kroatischem Territorium begangene Verbrechen. 1 Die vierjährige Flucht des nunmehr freigesprochenen Gotovina hatte Kroatiens EU-Beitritt entscheidend verzögert, da die damalige Chefanklägerin Carla del Ponte der kroatischen Regierung vorwarf, die Festnahme des vorgeblich in Kroatien befindlichen Generals nicht mit allen Mitteln zu unterstützen. Ende 2012 begrüßten laut Umfragen über 96 Prozent der kroatischen Bevölkerung den Freispruch 2 und bis zu 100.000 Begeisterte 3 feierten die Helden des damit als „reingewaschen“ geltenden Heimatländischen Krieges (Domovinski rat, wie der von 19911995 dauernde Krieg in Kroatien genannt wird) nach ihrer Ankunft in Kroatien am Hauptplatz von Zagreb. Damit ist achtzehn Jahre nach der Operation „Sturm“ (Oluja), bei der laut Angaben des Helsinki-Menschenrechtskomitees 4 über 600 SerbInnen ermordet, 22.000 serbische Häuser angezündet wurden und über 150.000 SerbInnen aus dem Land geflohen sind, noch kein Militär- oder Sonderpolizeiangehöriger für Kriegsverbrechen vor Gericht zur Verantwortung gezogen worden – auch wenn gegenwärtig mehrere Prozesse in Kroatien anhängig sind, etwa jener für sechs in Grubori Ende August 1995 ermordeten ZivilistInnen. 5 Sehr wohl wurden jedoch kroatienweit 2.380 Personen wegen anderer Verbrechen wie Mord, Vergewaltigung, schwerem Diebstahl und Brandstiftung im Zuge der Operation verurteilt.6 In Den Haag wurden hingegen bisher sechs Serben wegen in Kroatien begangener Verbrechen verurteilt, zwei wurden freigesprochen und drei Angeklagte sind während des Prozesses verstorben, der prominenteste unter ihnen Slobodan Milošević. Für in der Krajina begangene Verbrechen, vor allem im Zuge der grausamen und blutigen Vertreibung aller nichtserbischen BewohnerInnen im Zuge ihrer Errichtung 1991, wurde Milan Martić, der ehemalige Polizeichef Knins und späterer Außen- und Verteidigungsminister sowie zeitweiliger Präsident der „Serbischen Republik Krajina“ (RSK) wegen Mord, Folter, Verfolgung und Vertreibung zu 35 Jahren Haft verurteilt. Der Bürgermeister der KrajinaCitation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen Markač, in: Forum Geschichtskulturen, Croatia, Version: 1.0, 20.08.2013, URL: http://www.imrekertesz-kolleg.uni-jena.de/index.php?id=455 Copyright: Imre Kertész Kolleg Jena and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non‐commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact dorothea.warneck(at)uni-jena(dot)de 3 Hauptstadt und später ebenfalls Präsident und Außenminister, sowie Premier der RSK, Milan Babić, erhängte sich 2006 während seiner dreizehnjährigen Haftstrafe, nachdem er sich der Verbrechen gegen die Menschheit schuldig bekannt hatte und als „Insider“ gegen Milošević und andere serbische Angeklagte hätte aussagen sollen. Goran Hadžić, ebenfalls zeitweiliger Präsident der RSK, und zwei Mitglieder der Sondereinsatztruppe der Staatsicherheit im serbischen, damals jugoslawischen Innenministerium, stehen Mitte März 2013 noch vor Gericht. Wer ist Ante Gotovina? Keine Kroatien-bezogene Anklage erregte bislang so viel internationale Aufmerksamkeit wie jene gegen Ante Gotovina, der zwischen der Anklageerhebung 2001 und seiner Festnahme in Teneriffa 2005 das größte Hindernis für die Eröffnung der EU-Beitrittsverhandlungen mit Kroatien war. Der Fischersohn Ante Gotovina hatte in den 1970er Jahren Jugoslawien verlassen und war mit 17 Jahren der französischen Fremdenlegion beigetreten. 1991 kam er – inzwischen mit französischer Staatsbürgerschaft – in das nunmehr unabhängige Kroatien zurück und trat der Volksgarde bei.7 In der Operation Oluja war er Kommandant des Sektors Süd und wurde nach der Rückeroberung der Krajina Befehlshaber der Kroatischen und der Bosnisch-Kroatischen Armee. Nach dem Tod von Präsident Franjo Tuđman (1922 – 1999) und dem Wahlsieg seines Nachfolgers, Stjepan Mesić, und der sozialdemokratisch angeführten Koalition unter Ivica Račan im Jahr 2000, trat Gotovina als einer der Unterzeichner des „Briefes der 12 Generäle“ 8 in Erscheinung. Ausgelöst durch die Verhaftung von fünf mutmaßlichen Verantwortlichen für Morde an SerbInnen 1991 in Gospić kritisieren die Generäle die „immer weiter verbreitete Kriminalisierung des Heimatländischen Krieges, sowie die Beleidigung und Geringschätzung“ der kroatischen Armee: „Wir halten es für unzulässig und unehrenhaft, über die Verteidiger und Invaliden des Heimatländischen Krieges nur im Zusammenhang mit der Handvoll derjenigen zu sprechen, die sich an seiner Reinheit versündigt oder gegen Gesetze verstoßen haben, während zugleich alles Positive Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen Markač, in: Forum Geschichtskulturen, Croatia, Version: 1.0, 20.08.2013, URL: http://www.imrekertesz-kolleg.uni-jena.de/index.php?id=455 Copyright: Imre Kertész Kolleg Jena and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non‐commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact dorothea.warneck(at)uni-jena(dot)de 4 und Großartige verschwiegen wird, an dem die überwältigende Mehrheit der Söhne Kroatiens mitgewirkt hat.“ 9 Wegen des Briefes, in dem die kroatische Führung dazu aufgerufen wurde, die Ehre und Würde der kroatischen Offiziere und Soldaten zu verteidigen, wurden die sechs noch aktiven Generäle am Tag darauf von Präsident Mesić frühzeitig pensioniert, da es Militärangehörigen in Kroatien verboten ist, sich mit politischen Bekundungen an die Öffentlichkeit zu wenden. Wenige Monate nach dem Ende der zehnjährigen Regierungszeit des autoritär regierenden Präsidenten Franjo Tuđman und seiner Partei HDZ (Hrvatska demokratska zajednica), drohte der öffentliche Protest der Helden des Heimatländischen Krieges die als „Verräter“, „Bolschewisten“ und un-kroatisch stilisierte Regierung zu destabilisieren. 10 Seit Ende März 2013 ist bekannt, wie sich Gotovina seine Zukunft in Freiheit vorstellt: er wird in Dalmatien Thunfische züchten.11 Der Gerichtsprozess am ICTY Die mit Ante Gotovina angeklagten Generäle Ivan Čermak und Mladen Markač stellten sich 2004 nach der ICTY-Anklageerhebung freiwillig. Čermak, Garnisonskommandant von Knin während der Operation Sturm, wurde durch das erstinstanzliche Urteil 2011 freigesprochen. Markač und Gotovina wurden hingegen des „joint criminal enterprise“ zum Zwecke der dauerhaften Vertreibung der serbischen Bevölkerung aus der Krajina für schuldig befunden. Beide hatten laut erstinstanzlichem Urteil die Operation beim Treffen aller Verantwortlichen auf der Insel Brijuni wenige Tage zuvor geplant und vorbereitet, den illegalen Beschuss von Städten in der Krajina befehligt und keine hinreichenden Maßnahmen unternommen, um Verbrechen gegen die serbische Bevölkerung zu unterbinden und zu bestrafen. Sie wurden am 15. April 2011 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit (Vertreibung, Deportation, Mord und inhumane Behandlung) sowie wegen Raub und Zerstörung öffentlichen und privaten Eigentums zu 18 bzw. 24 Jahren Haft verurteilt.12 Eineinhalb Jahre später, am 16. November 2012 sprach das Berufungsgericht die beiden Generäle vom Vorwurf des „joint criminal enterprise“ frei. Die erste Instanz hatte laut dem Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen Markač, in: Forum Geschichtskulturen, Croatia, Version: 1.0, 20.08.2013, URL: http://www.imrekertesz-kolleg.uni-jena.de/index.php?id=455 Copyright: Imre Kertész Kolleg Jena and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non‐commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact dorothea.warneck(at)uni-jena(dot)de 5 neuen Urteil nicht begründen können, wie sie aus der Analyse der Verhältnisse beim Beschuss von gewissen Stellungen aus für alle vier Krajina-Städte den gleichen 200-MeterStandard definieren konnte: Das Gericht hatte alle Granateinschläge, die mehr als 200 Meter von legitimen militärischen Zielen entfernt Zerstörungen angerichtet hatten, für illegal erklärt, diesen Standard jedoch nicht hinreichend begründet. 13 Zu dieser einvernehmlichen Einschätzung kamen alle fünf Berufungsrichter. Drei der fünf Richter kamen ferner zu dem Schluss, der durch diese Regel als illegal bestimmte Beschuss sei die Kernbegründung für die Existenz eines „joint criminal enterprise“ gewesen und ohne diesen Teil des Urteils sei die Verschwörung zur Vertreibung der serbischen Bevölkerung nicht mehr beweisbar. Sie gingen daraufhin der Frage nach, ob bei Wegfall dieses Anklagepunktes die beiden Beschuldigten für alternative Verbrechen haftbar gemacht werden könnten und kamen zu dem Schluss, das sei nicht möglich, da sich die Schreiben der Anklage nur in Fußnoten dieser Frage zugewandt hätten, die erste Instanz ihr zu wenig nachgegangen sei und die Berufungsinstanz keine Fülle neuer Beweise suchen könne, weil die Angeklagten dagegen keine Berufungsmöglichkeit mehr hätten. Also wurden die hohen Strafen gänzlich aufgehoben und die Angeklagten mit sofortiger Wirkung entlassen. Im neuen Urteil wird die erste Instanz in einem relativ harschen Tonfall als völlig irregeleitet dargestellt, ihr Urteil als nicht im geringsten nachvollziehbar und gänzlich fragwürdig. Ferner beurteilen zwei der fünf Berufungsrichter die Mehrheitsentscheidung ihrer Kollegen, gegen die sie gestimmt hatten, als „fatalen Fehler“, mit der sie „fundamental nicht übereinstimmen“, da das Urteil „jedem Gerechtigkeitssinn widerspricht“.14 Ein derartig willkürlich erscheinendes Urteil war offenbar nicht geeignet, die selbstkritische Auseinandersetzung mit Kriegsverbrechen in den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens anzustoßen, wie im folgenden Überblick über die Debatten zu zeigen sein wird. Ante Gotovinas versöhnliche Töne Während ganz Kroatien – wenn man den Umfragen Glauben schenken darf – jubelte, spielte der als Held gefeierte Gotovina nach seiner Freilassung eine überraschende Rolle. Der Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen Markač, in: Forum Geschichtskulturen, Croatia, Version: 1.0, 20.08.2013, URL: http://www.imrekertesz-kolleg.uni-jena.de/index.php?id=455 Copyright: Imre Kertész Kolleg Jena and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non‐commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact dorothea.warneck(at)uni-jena(dot)de 6 weniger prominente General Markač sagte vor 100.000 Anhängern auf dem Zagreber Hauptplatz, er habe die Heimat immer im Herzen getragen, „und die Heimat, das seid Ihr“.15 Er zeigte sich froh darüber, dass nun jeder Kroate im Ausland werde sagen können, „wir“ hätten die Heimat – wie er zweimal wiederholte – „ohne den geringsten Schandfleck“ befreit. Gotovina hingegen schlug ganz andere Töne an. Nüchtern stellte er fest, der Krieg sei vorbei, nun müsse man sich der Zukunft zuwenden, und zwar „alle gemeinsam“. Und er bedankte sich unerwartet bei dem (sozialdemokratischen) Präsidenten und beim Premier sowie den Verteidigungs-, Justiz- und Außenministern der neuen Mitte-Links- Regierungskoalition, die von seinen Anhängern oftmals als „Verräter“ gebrandmarkt worden waren. Dies trug ihm am Tag seiner Ankunft aus Den Haag Pfiffe und Buh-Rufe seiner tendenziell rechts der politischen Mitte angesiedelten Anhänger ein. Das erste Interview16 gab er wenige Tage später einer Belgrader Zeitung. Im Telefon-Mitschnitt kann man hören, wie er den vertriebenen Serben ausrichten lässt, sie sollen nach Kroatien zurückzukehren, denn Kroatien sei „ebenso ihre Heimat, wie sie auch meine ist.“ Auf die Aufforderung der Journalistin, er möge sie explizit zur Rückkehr einladen, antwortet Gotovina: „Wie kann ich jemanden einladen, zu seinem Haus zurückzukehren? Das ist ihr Haus. … Das ist nicht mehr meines als ihres. Diejenigen, die hier ein Haus haben und zurückkommen wollen, brauche ich nicht einzuladen. Sie sollten zurückkommen.“ 17 Auf die Frage, ob er den Institutionen raten werde, die während der Operation begangenen Verbrechen zu verfolgen, erwiderte Gotovina, wer sei er, den Institutionen zu erklären, wie sie ihre Arbeit zu erledigen hätten. Er sei „ein gewöhnlicher Bürger Kroatiens, wie jeder andere, sei er Ungar, Italiener, Russe, Serbe oder Deutscher, das ist ihre Heimat genauso wie meine.“ 18 Bei einer Ansprache in Zadar sorgte er ferner für Verwunderung, weil er vor allem betonte, die Stadt sei von Bürgern unterschiedlicher Nationalität verteidigt worden.19 Bei der Rückkehr nach Pakoštane, dem dalmatinischen Ort an der kroatischen Küste, in dem er aufgewachsen war, riefen 30.000 Einheimische und Gäste „Ante, Ante, Ante“ und er antwortete nach elfjähriger Abwesenheit, endlich habe er den Weg nach Hause gefunden, er sei glücklich, seine Freunde sollten sich freuen, das sei der Abend ihres Sieges. Er bedankte Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen Markač, in: Forum Geschichtskulturen, Croatia, Version: 1.0, 20.08.2013, URL: http://www.imrekertesz-kolleg.uni-jena.de/index.php?id=455 Copyright: Imre Kertész Kolleg Jena and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non‐commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact dorothea.warneck(at)uni-jena(dot)de 7 sich bei den Anwesenden für die ihm erwiesene „christliche Liebe“ und bat sie: „Diese christliche Liebe, die wir gezeigt haben, sollten wir nun weiter verbreiten, um morgen zu sehen, dass jeder Mensch hier in unserer Heimat glücklich lebt und sich glücklich fühlt.“20 Außerdem zog es Gotovina im Gegensatz zu Markač vor, in den Marien-Wallfahrtsort Maria Bistrica zu fahren, anstatt der Gedenkveranstaltung für den Kampf um die ostkroatische Stadt Vukovar 1991 beizuwohnen. 21 Gotovinas zurückhaltende Auftritte nach der siebenjährigen Haft sorgten bei seinen Anhängern für heftige Irritationen. Schließlich standen seit 2001 in vielen Dörfern vor allem entlang der dalmatinischen Küste Schilder mit seinem Konterfei, auf denen stand, Gotovina sei ein „Held, kein Verbrecher“, immer wieder auch um den Hinweis ergänzt, Präsident Mesić und Premier Račan seien Verräter, weil sie mit dem Tribunal zusammenarbeiteten und im Falle Mesićs mehrfach dort ausgesagt hatten. Die Zeitung Hrvatski list 22 aus Zadar titelt „Das Volk fragt sich: Ist das unser Gotovina?“ und der Chefredakteur antwortet, er spreche eher wie „ein religiöser Missionar, ein NGO-Aktivist oder ein übernationaler Pazifist“. 23 Der radikal-nationalistische und Serbenfeindliche Sänger Marko Perković alias „Thompson“ 24 (der zwar immer wieder bestreitet, mit einem Ustaša-Lied über das KZ Jasenovac die dort ermordeten Opfer verhöhnt zu haben, wovon aber immer neue Video-Aufnahmen auftauchen) interpretierte bei einem Konzert zu Ehren der Freilassung in Split, Gotovina habe „nicht gemeint, dass er den kroatischen Institutionen glaubt, er fühlt so wie wir“ und schloss mit den Worten: „man muss mit den Verrätern abrechnen“ 25. Die Vereinigung „Stopp der Verfolgung der Verteidiger Kroatiens“ bezichtigte Gotovina gar des Verrates, denn „auch wenn es von Ante kommt, es ist zu viel!“ Ante sei nicht bereit, mit ihnen den (kompromisslosen, durch und durch kroatischen) Staat zu schaffen, für den sie gekämpft hätten, während jetzt das Volk in Müllcontainern wühle, um zu überleben, und das „im Schatten der Schwulen und Lesben, die Schulter an Schulter mit den Vertretern der aktuellen Regierung durch Kroatien paradieren.“ 26 Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen Markač, in: Forum Geschichtskulturen, Croatia, Version: 1.0, 20.08.2013, URL: http://www.imrekertesz-kolleg.uni-jena.de/index.php?id=455 Copyright: Imre Kertész Kolleg Jena and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non‐commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact dorothea.warneck(at)uni-jena(dot)de 8 Die Reaktionen der kroatischen Staatsführung Ebendiese Vertreter der aktuellen Regierung schlossen sich nicht nur der Christopher Street Day-Parade Zagreb Pride nach dem Angriff auf die Split Pride 27 an der dalmatinischen Küste an, worauf der obige Kommentar anspielt, sondern reagierten auch zurückhaltend auf den Freispruch der Generäle. Der Tenor lautete, Gotovinas Freispruch sei wichtig für Kroatien, da er nicht als Sündenbock für einzelne wirkliche Kriegsverbrecher herhalten dürfe. Regierungschef Zoran Milanović erinnerte zunächst daran, das Urteil sei mit einer bloß knappen Mehrheit zustande gekommen, was zeige, wie schmal der Grat zwischen Recht und Unrecht sei. „Offensichtlich standen zwei unschuldige Menschen vor Gericht, was nicht heißen soll, der Krieg sei nicht blutig gewesen und es seien keine Fehler gemacht worden, aber dafür ist der Staat verantwortlich, und nicht Gotovina und Markač.“ 28 Präsident Josipović betonte, es sei wichtig, vor Gericht festzustellen, dass es keine kriminelle Vereinigung gegeben habe. 29 Dennoch seien Verbrechen begangen worden, die man nicht vertuschen dürfe und als Rechtsstaat müsse man die Verantwortlichen dafür bestrafen, egal, ob es sich um Kroaten, Serben, Chinesen oder irgendjemand anderen handle.30 Diese Aussage ist ambivalent, denn einerseits macht sie deutlich, dass der Verweis auf die serbischen Verbrechen bei der Diskussion der kroatischen nicht fehlen darf, andererseits ließe sie sich auch als Ruf nach einer universalistischen Rechtsprechung verstehen, für die es irrelevant ist, ob die mutmaßlichen KriegsverbrecherInnen dem eigenen Kollektiv angehören oder nicht. Josipović betont ferner: Für Morde, zerstörte und angezündete Dörfer, geraubtes Eigentum und andere Verbrechen an „unseren serbischen Mitbürgern“ müssten die verantwortlichen Einzelnen zur Rechenschaft gezogen werden. Auf die Andeutung des Jutarnji list 31, man könne nun ohne Hypothek und ohne den Schandfleck einer kriminellen Vereinigung der EU beitreten, betont Josipović, das verpflichte aber zum Ausbau des Rechtsstaates, zum Schutz der Minderheiten- und Menschenrechte und zu einer regionalen und europäischen Politik der Versöhnung. Er schließt jedoch mit den Worten, das befreie nun auch Franjo Tuđman, der in jener Zeit eine große Rolle gespielt habe, von der politischen Hypothek. 32 Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen Markač, in: Forum Geschichtskulturen, Croatia, Version: 1.0, 20.08.2013, URL: http://www.imrekertesz-kolleg.uni-jena.de/index.php?id=455 Copyright: Imre Kertész Kolleg Jena and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non‐commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact dorothea.warneck(at)uni-jena(dot)de 9 Der ehemalige Präsident Mesić, der im Jahr 2000 die Generäle wegen ihres offenen Briefes in Pension geschickt, in Den Haag ausgesagt und sich während seiner Präsidentschaft für die Verfolgung von Kriegsverbrechen eingesetzt hatte 33, stellt im Gegensatz zu seinem Nachfolger klar, man dürfe angesichts der Urteile keinesfalls Tuđmans Politik amnestieren. Er wunderte sich auch über jene katholischen Geistlichen, die meinten, die Kirche und ihre Gebete von der Urteilsverkündigung hätten zur Freilassung beigetragen: Wie könnten ihre Gebete den gewünschten Effekt gehabt haben, wenn das Urteil eineinhalb Monate vor der Verkündung verfasst worden war, fragte er sich. „Und wenn wir schon die Richter durchzählen wollen, für den Freispruch votierten ein Jude, ein Türke und ein Protestant, während zwei Katholiken für eine Strafe waren. Ich weiß nicht, offenbar gab es ein Problem in der Leitung.“ 34 In Bezug auf die heftigen serbischen Reaktionen auf den Freispruch fügte Mesić an, Serbien habe „im Gegensatz zu Deutschland keine Katharsis“ erlebt: Deutschland sei ein Musterbeispiel für „sehr strenge Strafen für neonazistische Ausfälle, für Demokratie und Hingabe für den europäischen Einigungsprozess“, während man in Serbien Milošević weniger für die Absicht verurteile, die Grenzen Serbiens auszudehnen, als vielmehr dafür, damit nicht erfolgreich gewesen zu sein – und zugleich den Tschetnik-Führer Draža Mihailović zum Antifaschisten erkläre. Serbische Reaktionen und die ehemalige ICTY-Chefanklägerin Die Staatspitze Serbiens reagierte auf den Freispruch mit der Einfrierung der bevorstehenden Übergabe von Beweismaterial an das Tribunal und die allgemeine Zusammenarbeit wurde auf ein rein technisches Level heruntergestuft. Der serbische Premier Ivica Dačić sagte, das Urteil „bestätigt die Behauptungen jener, die sagen, das Haager Tribunal sei kein Gericht, sondern erfüllt im Vorhinein auferlegte politische Aufgaben.“ 35 „Es ist klar, dass das Tribunal keine juristische, sondern eine politische Entscheidung gefällt hat. Das trägt nicht zur Stabilisierung der Lage in der Region bei. Dieser Spruch der Richter wird alte Wunden wieder aufreißen“ 36, erklärte der serbische Präsident Tomislav Nikolić und fuhr fort, das Urteil rücke SerbInnen in Kroatien in die Position der Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen Markač, in: Forum Geschichtskulturen, Croatia, Version: 1.0, 20.08.2013, URL: http://www.imrekertesz-kolleg.uni-jena.de/index.php?id=455 Copyright: Imre Kertész Kolleg Jena and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non‐commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact dorothea.warneck(at)uni-jena(dot)de 10 Schuldigen, obwohl sie gerade in der Krajina Opfer des größten Pogroms nach dem Zweiten Weltkrieg geworden seien. 37 In serbischen Medien verlief also der öffentliche Diskurs – wie in Kroatien – entlang bereits bekannter Opfernarrative. Ferner wurden die Euphorie der kroatischen Bevölkerung nach dem Freispruch und die Tatsache betont, dass Kroatien sofort ein Flugzeug und zwei Minister geschickt habe, um die ehemaligen Generäle aus Den Haag abzuholen. 38 Während die Medien wochenlang voll von Reaktionen kroatischer und serbischer PolitikerInnen waren, finden sich darin kaum Reaktionen der Opfer der Operation Sturm. Rade Matijaš aus Knin fühlt sich „furchtbar und elend“, „(…) angespuckt von der ganzen Welt und der internationalen Öffentlichkeit, vermittelt über das Haager Tribunal. Wir Krajiner sprechen seit heute Morgen untereinander: ‚Habe ich wirklich meine eigenen Nachbarn und Freund ermordet, habe ich wirklich mein Haus angezündet und bin dann davon spaziert, nach Serbien und ins Exil gegangen, weil das schön ist‘. Die Fragen sind schrecklich, unlösbar, und es gibt keine Antwort. Also werden wir am Sonntag das einzige tun, was wir tun können, eine Kerze anzünden, und zu Gott beten, denn sonst bleibt uns niemand mehr.“ 39 Die damalige Chefanklägerin des Tribunals, Carla del Ponte, betonte gegenüber der Belgrader Zeitung Blic 40, sie sei „voller Solidarität mit den serbischen Opfern, an denen Verbrechen begangen wurden.“ Sie beschreibt den Freispruch als „ungerecht“, sie sei „schockiert“, „sehr überrascht“ und „bestürzt“. Über die Gründe für den Freispruch spekulierte sie, dass statt Beweisen „Politik, Lobbying-Gelder oder etwas anderes eine Rolle“ gespielt haben könnten. Das wird im kroatischen Novi list sehr kritisch beurteilt: Del Ponte trage „(…) mit Sicherheit die größte Verantwortung für den katastrophalen Misserfolg der Haager Ankläger, die gerade dank ihrer Megalomanie und ihres Politisierens die Opfer während und nach der Operation Sturm vernachlässigten und im Stich ließen und stattdessen einem imaginären, vom verstorbenen Franjo Tuđman angeführten ‚joint criminal enterprise‘ hinterherjagten und nicht den Verantwortlichen für die realen und konkreten Verbrechen (…) Den Aspekt der Verantwortung Gotovinas und Markačs als Befehlshaber hat die Anklage nicht einmal zu beweisen versucht, sicher, die Haager Richter würden ihre Megalomanie schlucken. Doch das ist nicht geschehen.“ 41 Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. 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Exemplarisch für andere Institutionen wird hier die im Medienportal der Bürgervereinigung Peščanik aus Belgrad stattgefundene Diskussion zum Fall Gotovina 42 umrissen, da sich darin kritische Stimmen sowohl aus Kroatien als auch aus Serbien zum Freispruch der Generäle finden. Die AutorInnen diagnostizieren übereinstimmend, dass das Urteil negative Folgen für das Zusammenleben und die nachbarstaatlichen Beziehungen haben wird und schätzen den kroatischen Gewinner-Nationalismus als „giftiger“ als den serbischen Verliererdiskurs ein. Bemerkenswert ist jedoch vor allem, dass sich die aus Serbien stammenden AutorInnen nicht nur kritisch mit dem Mechanismus der Selbstviktimisierung der serbischen Gesellschaft auseinandersetzen und dass der Juraprofessor Marko Milanović dem eigenen Kollektiv gegenüber selbstkritisch diagnostiziert, die serbischen Anführer seien die größten Verbrecher in den Kriegen der 1990er gewesen. 43 Darüber hinaus betont der Anwalt Bogdan Ivanišević, wie kompliziert der Fall sei: „Diejenigen, die davon überzeugt sind, dass die serbischen Zivilisten Opfer einer Vertreibung wurden, sollten sich dessen bewusst sein, dass die überwiegende Mehrzahl der Serben weggegangen ist, bevor es zu physischem Kontakt welcher Art auch immer zwischen ihnen und der kroatischen Armee und Polizei gekommen ist. Darin unterscheidet sich dieser Fall von zahlreichen anderen Fällen, in denen sich das ICTY mit verbrecherischer Zwangsumsiedlung und Deportation befasst hat.“ 44 Was vielfach als kroatische Abwehrstrategie verworfen wird, wird hier als realer und wichtiger Sachverhalt gegenüber vereinfachenden Erzählungen festgehalten. Bei den Beiträgen aus Kroatien sticht jener des ehemaligen Feral Tribune-Redakteurs Viktor Ivančić hervor, der die Unerträglichkeit der kroatischen Siegeseuphorie in bekannt satirischer Weise thematisiert, die einen buchstäblich sein Verzweifeln an der vorherrschenden Stimmung spüren lässt. Neben unzähligen Heldenstilisierungen wie der Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen Markač, in: Forum Geschichtskulturen, Croatia, Version: 1.0, 20.08.2013, URL: http://www.imrekertesz-kolleg.uni-jena.de/index.php?id=455 Copyright: Imre Kertész Kolleg Jena and the author, all rights reserved. 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Kroatische Politiker müssten nun vielmehr im Sinne der Wiedergutmachung initiativ werden, rational und mit Empathie handeln, denn auf serbischer Seite führe die Implikation, dass es im Wesentlichen kein Verbrechen gegeben habe, zu Frustration, die in Hass übergehen könne. Das Handeln des offiziellen Kroatien sei nun entscheidend für die zukünftigen Beziehungen zwischen Kroaten und Serben. 46 Einig sind sich die AutorInnen aus beiden Ländern darin, dass der Freispruch zu einer weiteren Marginalisierung jener Stimmen führen wird, die sich für eine schonungslose Aufklärung und Aufarbeitung aller begangenen Verbrechen ohne Rücksicht auf „patriotische“ Gefühle einsetzen. Von Heldenfeiern und ungeklärten Verbrechen Trotz all dieser unterschiedlichen Bewertungen wurde Gotovina in einigen kroatischen Städten zum Ehrenbürger erklärt. Den Anfang machte Split, wo Gotovina Befehlshaber war, dann kamen Zadar, Osijek (zusammen mit Markač) und Dubrovnik. Auf der anderen Seite führte der bereits zur erstinstanzlichen Urteilsverkündung von kroatischen Bürgerrechtsorganisationen 2011 veröffentlichte dringende Appell an die kroatische Justiz, die Verbrechen im Zuge und unmittelbar nach der Operation Sturm nicht ungestraft zu lassen, bisher – bei noch laufenden Prozessen – zu keinem Ergebnis: Ungesühnt blieb etwa der Mord an mindestens zehn Männern und Frauen im Alter von rund 80 Jahren in Golubić bei Knin am 6. August 1995; der Angriff auf eine Flüchtlingskolonne am 7./8. August, bei dem Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen Markač, in: Forum Geschichtskulturen, Croatia, Version: 1.0, 20.08.2013, URL: http://www.imrekertesz-kolleg.uni-jena.de/index.php?id=455 Copyright: Imre Kertész Kolleg Jena and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non‐commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact dorothea.warneck(at)uni-jena(dot)de 13 einige Dutzend vorwiegend sehr alte Männer und Frauen auf Traktoranhängern durch Schüsse aus dem Wald oder Granaten ermordet wurden; neun am 12. August in Komić bei Korenica ermordete Zivilisten, unter ihnen eine 74-jährige bei lebendigem Leibe in ihrem Haus verbrannte Frau; sieben am 27. August in Kistanje ermordete Zivilisten (die 1996 erhobene Anklage wurde aus Mangel an Beweisen zur erneuten Untersuchung gegen Unbekannte zurückgestellt, seit März 2012 läuft ein neuer Prozess gegen fünf Angeklagte) oder neun in Varivode am 28. September Ermordete im Alter zwischen 60 und 85 Jahren (sechs Polizisten wurden freigesprochen, die Untersuchung gegen unbekannt damit neu eingeleitet – zehn Jahre nach dem Freispruch noch ohne neue Erkenntnisse). 47 Seit Ende 2011 ist in Kroatien eine sozialdemokratisch angeführte Koalition an der Regierung, welche die seit 1990 fast 48 ungebrochen regierende „Kroatische Demokratische Gemeinschaft“ (HDZ) ablöste. In den 1990ern hatten Präsident Frano Tuđmans aktive Unterstützung der Anschlussbestrebungen des kroatischen Teils Bosnien-Herzegowinas an das „Mutterland“ und der Revisionismus in Bezug auf das kroatische NS- Kollaborationsregime der Ustaša das Land international isoliert. 49 Premier Ivo Sanader hatte seit seinem Amtsantritt 2003 zwar einen klaren Europakurs verfolgt, aber die Feinbilder aus dem Zweiten Weltkrieg reaktiviert, als er 2005 mehrfach „die Serben“ implizit als die neuen Faschisten im Krieg der 1990er Jahre und Kroatien als den neuen Juden“ bezeichnete. 50 Die neue Vize-Regierungschefin, Außenministerin und Chef-Verhandlerin des kroatischen EUBeitritts, Vesna Pusić, war hingegen bereits Mitte der 1990er Jahre eine ausgewiesene Kritikerin der Bosnien-, aber auch der Geschichtspolitik der HDZ 51, als die kroatische Öffentlichkeit von pluralistischen Debatten noch weit entfernt war. Es wird sich zeigen, ob einerseits die Beteuerungen eingelöst werden, alles zu unternehmen, um die ‚wirklichen‘ Verantwortlichen für die Verbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Auf der anderen Seite zeigen die Protestdemonstrationen mit über 20.000 TeilnehmerInnen in der 1991 weitgehend zerstörten Stadt Vukovar gegen die Wiedereinführung der kyrillischen Schrift als zweite Amtsschrift in Orten mit mehr als einem Drittel serbischer Bevölkerung, wie stark die Tagespolitik nach wie vor mit der Vergangenheit verbunden ist. Denn das sei „nicht das, Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen Markač, in: Forum Geschichtskulturen, Croatia, Version: 1.0, 20.08.2013, URL: http://www.imrekertesz-kolleg.uni-jena.de/index.php?id=455 Copyright: Imre Kertész Kolleg Jena and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non‐commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact dorothea.warneck(at)uni-jena(dot)de 14 wofür wir gekämpft haben und gestorben sind“ 52, so der Präsident einer Vereinigung der Verteidiger Vukovars. General Mirko Norac wurde 2005 an Kroatien überstellt und 2008 in Zagreb für 1991 an SerbInnen in Gospić begangene Verbrechen zu sieben Jahren Haft verurteilt. 2 Novi list, 18.11.2012. 3 Slobodna Dalmacija, 16.11.2012, http://www.slobodnadalmacija.hr/Hrvatska/tabid/66/articleType/ArticleView/articleId/193880/Default.aspx 4 http://hho.hr/wp-content/uploads/2012/11/Izjava-br-8-2011-.pdf 5 http://www.documenta.hr/en/crime-in-grubori.html 6 Večernji list, 27.11.2012, http://www.vecernji.hr/vijesti/zbog-zlocina-tijekom-oluje-nakon-nje-osudeno-2380-osoba-clanak479955 7 Nach einer steilen Militärkarriere in Kroatien und der „Kroatischen Militärverteidigung” (HVO) in Bosnien-Herzegowina befehligte er mehrere wichtige Kriegsoperationen und wurde Befehlshaber des Militärdistrikts Split. 8 http://hr.wikisource.org/wiki/Otvoreno_pismo_dvanaestorice_hrvatskih_ratnih_zapovjednika_hrvatskoj_javnosti. Diese und alle folgenden Übersetzungen stammen von der Autorin, L.R. 9 http://hr.wikisource.org/wiki/Otvoreno_pismo_dvanaestorice_hrvatskih_ratnih_zapovjednika_hrvatskoj_javnosti 10 Vier der zwölf Generäle fanden sich später vor dem Haager Tribunal wieder, Norac wurde in Zagreb verurteilt und Janko Bobetko starb, ohne nach Den Haag ausgeliefert worden zu sein, die sozialdemokratische Regierung von Račan verweigerte 2002 seine Auslieferung. Bobetko hatte 1993 eine Militäroperation befehligt, bei der rund 100 SerbInnen ermordet wurden. 11 http://www.slobodnadalmacija.hr/Zadar/tabid/73/articleType/ArticleView/articleId/205721/Default.aspx 12 http://www.icty.org/x/cases/gotovina/tjug/en/110415_judgement_vol1.pdf, http://www.icty.org/x/cases/gotovina/tjug/en/110415_judgement_vol2.pdf 13 http://www.icty.org/x/cases/gotovina/acjug/en/121116_judgement.pdf 14 http://www.icty.org/x/cases/gotovina/acjug/en/121116_judgement.pdf 15 http://www.youtube.com/watch?v=UUEsVYJzJWk 16 http://www.kurir-info.rs/gotovina-ekskluzivno-srbi-vratite-se-u-hrvatsku-clanak-515720 17 Ebd. 18 Ebd. 19 Novi list, 30.11.2012. 20 Novi list, 21.11.2012. 21 Novi list, 30.11.2012. Schon als General war Gotovina als religiöser Mensch bekannt. So tauchte bei seinem Prozess ein Video vom 6. August 1995 auf, als die kroatische Armee unter seiner Führung Knin eingenommen hatte. Bevor er die Befehlsgewalt an (den 2011 durch die erste Instanz freigesprochenen) Ivan Čermak übergibt, schreit Gotovina darin seine untergebenen Offiziere an, wie es denn möglich sei, dass um 17 Uhr der Präsident nach Knin komme, aber die Feuerwehr und zivile Sicherheitskräfte noch nicht hier wären, noch kein Kreuz im Saal hinge und Barbaren und Vandalen ihr Unwesen trieben, die nur wegen Kriegsbeute Krieg führten und ihren Sold in Form von Kriegsbeute erhielten (http://www.antegotovina.com/default.aspx?clanak=2424). 22 http://hic.hr/hrvatski-list01.htm 23 Zit. nach Novi list, 8.12.2012. 24 http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/pop/marko-perkovic-der-hass-saenger-1492143.html 25 http://www.dalmacijanews.com/Vijesti/View/tabid/74/ID/104616/Vatromet-u-Splitu-Jesu-li-ovo-prekobrojni-topnickiudari-FOTO.aspx 26 http://www.politikaplus.com/novost/68647/zvonimir-trusic-optuzio-generala-ante-gotovina-nas-je-izdao 27 http://www.taz.de/!94963/ 28 Novi list, 24.11.2012. 29 Jutarnji list, 16.11.2012, http://www.jutarnji.hr/ivo-josipovic--ovom-presudom-na-domovinski-rat-napokon-je-stavljenatocka--/1066858/ 30 Novi list, 24.11.2012. 31 http://www.jutarnji.hr/ 32 Jutarnji list, 16.11.2012, http://www.jutarnji.hr/ivo-josipovic--ovom-presudom-na-domovinski-rat-napokon-je-stavljenatocka--/1066858/ 33 Mesić besuchte 2003 als erstes Staatsoberhaupt die KZ-Gedenkstätte Jasenovac und betonte die Notwendigkeit einer Aufarbeitung der Verbrechen aus beiden Kriegen: „Jetzt leben wir endlich in unserem kroatischen Staat, der frei und demokratisch ist. Wir haben ihn in einem aufgezwungenen, brutalen Krieg verteidigt. Die Idee eines eigenen Staates ist groß. 1 Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen Markač, in: Forum Geschichtskulturen, Croatia, Version: 1.0, 20.08.2013, URL: http://www.imrekertesz-kolleg.uni-jena.de/index.php?id=455 Copyright: Imre Kertész Kolleg Jena and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non‐commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact dorothea.warneck(at)uni-jena(dot)de 15 Aber es gibt keine Idee, die die Ermordung Unschuldiger, um präzise zu sein – eine Politik der Ermordung Unschuldiger – rechtfertigen könnte. Das ist unwürdig und unzulässig. Heute und hier in Jasenovac will ich als Präsident der Republik Kroatien mein tiefes Bedauern wegen all der unschuldigen Opfer aussprechen, die von jenen ermordet wurden, die die Idee des kroatischen Staates als Deckmantel für Morde, Raub und Verfolgung missbraucht haben, egal wann und in welchem Kontext. […] Wir wissen, was passiert ist, wir verschließen die Augen nicht vor der Wahrheit, sind bereit, uns den Tatsachen zu stellen. Wir vergessen nicht und werden nicht zulassen, dass es sich wiederholt. Das kroatische Volk darf keine Geisel jener sein, die mit ihren Verbrechen seinen Namen beschmutzt haben. Wenn wir den Verbrechern die Flucht in die Anonymität erlauben oder sogar ermöglichen, wird die Hypothek des Verbrechens auf das ganze Volk übergehen. Das darf nicht passieren. Das darf weder jenen gelingen, die uns überzeugen wollten, dass die Mehrheit des kroatischen Volkes das Ustascha-Regime unterstützt hat, was historisch nicht stimmt, noch jenen, die mit dem Schleier eines erzwungenen, aufgesetzten Vergessens versuchen, die auf kroatischer Seite im Heimatländischen Krieg begangenen Verbrechen zu verdecken.“ Novi list, 12.05.2003 34 Novi list, 25.11.2012, http://www.novilist.hr/Vijesti/Hrvatska/Stjepan-Mesic-Gotovina-nikada-ne-bi-zavrsio-u-Haagu-damu-je-HDZ-dozvolio-razgovor-s-istraziteljima. 35 http://www.glas-javnosti.rs/clanak/politika/glas-javnosti-16-11-2012/ivica-dacic-u-pravu-su-kada-kazu-da-haski-tribunalnije-sud. 36 Der Spiegel, 16.11.2012, http://www.spiegel.de/politik/ausland/serben-entsetzt-ueber-freispruch-fuer-kroatischen-generalante-gotovina-a-867667.html 37 http://www.blic.rs/Vesti/Hronika/353340/SNS-Presudom-Gotovini-legalizovani-strasni-zlocini-Ljajic-Haski-tribunalizgubio-svaki-kredibilitet 38 http://www.alo.rs/vesti/aktuelno/haski-sud-220-000-srba-je-dobrovoljno-odselilo-iz-hrvatske-a-njih-1-960-su-se-samiubili-video/4438 39 http://www.slobodnaevropa.org/content/srbija-presuda-ne-donosi-pravdu-za-zrtve-oluje/24772774.html. Eine Reportage über die Situation der Überlebenden und der in die Krajina Zurückgekehrten, über verlassene Dörfer und eine quälende Erinnerungen stammt aus dem Sommer 2012 (http://www.lupiga.com/vijesti/index.php?id=7090). 40 http://www.blic.rs/ 41 Novi list, 21.11.2012. 42 http://pescanik.net/2011/10/presuda-gotovini/ 43 http://pescanik.net/2012/11/sta-je-pogresno-u-presudi-gotovini/ 44 http://pescanik.net/2012/11/odluka-haga-nije-uverljiva/ 45 http://pescanik.net/2012/11/dajte-mi-jos/ 46 http://pescanik.net/2012/11/kako-izbjeci-da-nas-presuda-ne-osudi-na-sukob/ 47 Nacional, 15.7.2011, http://www.nacional.hr/clanak/106293/ubojstva-civila-tijekom-i-nakon-oluje-barbarska-kronologijauzasa 48 Von 2000-2003 war ebenfalls eine sozialdemokratisch angeführte Koalition an der Regierung und leitete die Demokratisierung Kroatiens und die Öffnung der Medienlandschaft nach der Ära des autoritär regierenden Präsidenten Franjo Tuđman ein. 49 Vgl. Radonic, Ljiljana: Krieg um die Erinnerung. Kroatische Vergangenheitspolitik zwischen Revisionismus und europäischen Standards, Frankfurt/M. 2010. 50 So sagte er bei seinem Besuch der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem: „Die Welt steht heute vor großen Problemen, aber man darf auch die Aggression, die Kroatien erduldet hat, nicht vergessen, da auch wir Opfer eines so schrecklichen Wahnsinns wurden, wie es der Nationalsozialismus und der Faschismus waren und wir, die Bürger Kroatiens, wissen am besten, was es bedeutet, Aggression zu ertragen.“ (Vjesnik, 29.6.2005) 51 Vgl. Vesna Pusić: Demokracije i diktature. Politička tranzicija u Hrvatskoj i jugoistočnoj Europi. Zagreb 1998. 52 http://www.atvbl.com/novi-protest-u-vukovaru-zbog-cirilice Citation: Radonic, Ljiljana: Freispruch für die kroatischen Generäle. Ante Gotovina und Mladen Markač, in: Forum Geschichtskulturen, Croatia, Version: 1.0, 20.08.2013, URL: http://www.imrekertesz-kolleg.uni-jena.de/index.php?id=455 Copyright: Imre Kertész Kolleg Jena and the author, all rights reserved. This work may be copied and redistributed for non‐commercial, educational purposes, if permission is granted by the author and usage right holders. For permission please contact dorothea.warneck(at)uni-jena(dot)de