Thomas Helfer Wissensarbeit

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Thomas Helfer Wissensarbeit
Thomas Helfer
Bausteine der Wissensarbeit:
Wissensmanagement - Vernetzung von Wissen - Interdisziplinäre Kommunikation
Zusammenfassung
In einer sich entwickelnden Informations- und Wissensgesellschaft werden
Information und Wissen zu entscheidenden Ressourcen. Einerseits verlangen neue,
komplexe Problemstellungen nach der Entstehung von neuem Wissen, andererseits
ist es kaum mehr möglich, die vorhandenen Informationsfluten effektiv zu nutzen.
Diese Entwicklung erfordet neue Methoden und Managementtechniken im Umgang mit
Wissen. Die dafür notwendigen Organisationsformen und Koordinations- und
Steuerungsmechanismen existieren jedoch bestenfalls erst schemenhaft und müssen
noch entwickelt und gestaltet werden. Wissensmanagement, Vernetzung von Wissen
und interdisziplinäre Kommunikation könnten wichtige Bausteine hierfür darstellen.
1. Information und Wissen
Grundlegend für einen kompetenten Umgang mit den Ressourcen Information und Wissen
ist eine Klärung der Begrifflichkeiten. Es stellt sich die Frage: Was ist Wissen, worin
unterscheidet sich Wissen von der Information?
Betrachtet man den Begriff Wissen, stellt man fest, dass viele verschiedene Definitionen und
Betrachtungsweisen existieren. Besonders anschaulich nähern sich folgende Definitionen
dem Begriff Wissen:
•
„Wissen bezeichnet das Netz aus Kenntnissen, Fähigkeiten und
Fertigkeiten, die jemand zum Lösen einer Aufgabe einsetzt.“1
•
„Wissen ist die Fähigkeit zum sozialen Handeln, als die Möglichkeit,
etwas in Gang zu setzen.“2
•
„Wissen entsteht als Ergebnis der Verarbeitung von Informationen
durch das Bewusstsein.“3
Aus der letzten Definition wird deutlich, wie eine Unterscheidung zwischen Information und
Wissen vorgenommen werden kann:
Die Information ist an keinen Träger gebunden, sie kann nicht angepasst und
weiterentwickelt werden, was für eine Problemlösung jedoch unabdingbar ist. Wissen ist
davon abhängig, ob und wie die Information vernetzt wird, ist von der Person und deren
Sozialisation, Lernprozessen, Erfahrungen, Fähigkeiten und dem jeweiligen Kulturkreis
abhängig. Trotzdem ist die Information notwendig, damit Wissen entstehen kann. Die
Information fungiert sozusagen als „Rohstoff“ für die Entstehung von Wissen:
11
2
3
HERBST, D.2000, S. 9
STEHR; N. 2001, S. 62
NORTH, K. 1998, S. 23
Abb. 1: Von der Information zum Wissen
Das so entstehende Wissen lässt sich einteilen in explizites und implizites Wissen, wobei
sich die Handhabung von explizitem Wissen bei weitem einfacher darstellt, da dieses Wissen
nicht an einen Träger gebunden ist. Explizites Wissen setzt sich hautsächlich aus
Informationen zusammen, es lässt sich in Worte fassen und in Zahlen ausdrücken und
problemlos mit Hilfe von Daten, wissenschaftlichen Formeln, festgelegten Verfahrensweisen
oder universellen Prinzipien mitteilen. Die Arbeit mit dieser Art von Wissen ist also
gleichbedeutend mit einem Computercode oder einer chemischen Formel. Dieses Wissen
stellt jedoch nur die Oberfläche der Gesamtheit des Wissens dar, das für eine bestimmte
Aufgabenbewältigung notwenig ist. Implizites Wissen lässt sich kaum fassbar machen, es ist
auf eine Person bezogen und entzieht sich dem formalen Ausdruck. Es lässt sich nur schwer
mitteilen. Diese Art von Wissen ist verankert in der Tätigkeit und in oft langjährigen Erfahrung
eines Individuums und ist daher nur schwer darstellbar und weiterzugeben. Die Fülle und der
Reichtum des impliziten Wissens jedes Einzelnen sind explizit nicht berechenbar, weil zu
viele Faktoren zu berücksichtigen wären, die zum großen Teil nicht bekannt sind und auch
nicht bekannt sein können. Das macht auch die Darstellung und den Austausch von
implizitem Wissen so schwer. Implizites Wissen lässt sich am ehesten noch bildhaft oder
handelnd vermitteln. Meist sind beide Wissensformen für die Bewältigung einer Aufgabe
wesentlich, auf keine Form des Wissens können wir als Einzelne oder als Gemeinschaft
verzichten.4
2. Von der Notwenigkeit eines konzeptionellen Umgangs mit Informationen
und Wissen
Der Faktor Wissen hat im Laufe der Entwicklung von der Industriegesellschaft zur
Informationsgesellschaft hin zur Wissensgesellschaft gegenüber den klassischen
Produktionsfaktoren Boden, Kapital und Arbeit beständig an Bedeutung hinzugewonnen.
Mittlerweile steht die Bedeutung dieses vierten Produktionsfaktors außer Frage. Heute kann
Wissen für eine Volkswirtschaft als wertvoller und wichtiger angesehen werden als alle
Bodenschätze und Industrieprodukte.5
Der explosive Zuwachs von Wissen und die Möglichkeit, an alle denkbaren Informationen zu
kommen, sowie ständig neue technische Errungenschaften im Bereich der Informations- und
Kommunikationstechnologien verlangen jedoch nach Methoden und Konzepten beim
Umgang mit Wissen. Während sich das Weltwissen im 18. Jahrhundert, statistisch gesehen,
alle 100 Jahre verdoppelte, genügten hierzu im letzten Jahrhundert bereits die Jahre 1900
bis 1950. Mittlerweile hat sich diese Zeitspanne auf durchschnittlich 15 Jahre verringert, mit
weiterhin stark abnehmender Tendenz. 6 Diese Dynamik lässt sich fassbar machen, wenn
man beispielsweise betrachtet, dass sich die Zahl der allein in den USA arbeitenden
Naturwissenschaftler rund alle dreizehn Jahre verdoppelt. Zeitlich und räumlich
hochgerechnet heißt das, dass neun von zehn Naturwissenschaftlern, die je in der
Geschichte der Menschheit tätig waren, in der Gegenwart forschen. Und alles, was sie
4
5
6
vgl. PÖPPEL, E. in MAAR, C./OBRIST, H.-U./ PÖPPEL, E.: Weltwissen-Wissenswelt, 2000, S. 24-32
vgl.HAUN, M., 2002, S. 5ff
vgl. GOEUDEVERT, D. 2001, S. 193
erforschen, wird dokumentiert, auf mögliche Anwendungen hin überprüft, variiert, ergänzt,
verworfen und wieder neu untersucht. So wachsen die Bibliotheken jedes Jahr um weitere 2
Regalkilometer. In den nächsten zehn Jahren wird mehr gedruckt werden, als in den ganzen
Jahrhunderten zwischen der Erfindung des Buchdrucks und heute zusammengenommen.7
Dabei werden die auf Papier gedruckten Informationen im Zuge der Digitalisierung jedweder
Daten einen immer kleineren Teil des Weltwissens ausmachen, wodurch die Halbwertszeit
des Wissens mit noch größerer Rasanz schrumpfen wird. 8 Gleichzeitig wird Wissen
zunehmend zur Grundlage von Produktion und Dienstleistung und zur Bedingung für die
Möglichkeit wirtschaftlichen Wachstums und wettbewerblicher Vorteile von Unternehmen und
Gesamtgesellschaften. Nach Stehr gibt es in der heutigen Wirtschaft keinen nachhaltigeren
Wettbewerbsvorteil für eine Firma, als ihren Vorrat an „Wissensrohstoff“, die Effizienz, mit
der das Wissen praktisch umgesetzt wird, sowie das Tempo, mit dem neues Wissen
produziert wird. 9 Für viele, ja fast alle Arbeitstätigkeiten reicht das einmal erworbene
Wissen – durch Erfahrung, Ausbildung und Professionalisierung erworben – nicht mehr aus.
Es muss ausgebaut, revidiert, ergänzt und optimiert werden.10 Die Wissensgesellschaft ist
eine Gesellschaft, in der Wissen immer zentraler wird als Voraussetzung für die
Verständigung auf gemeinsame Ziele, für die Sicherung der wirtschaftlichen Entwicklung, für
den Erhalt des Arbeitsplatzes, sowie für das soziale Handeln und die gesellschaftliche
Position des Einzelnen. Die Wissensgesellschaft ist eine Weiterentwicklung der
Informationsgesellschaft, indem der Mensch mit seinen individuellen Möglichkeiten, seinen
Fähigkeiten und vor allem auch mit seinen Einstellungen und Werten die bloße Information
ergänzt. Die Wissensgesellschaft muss Informationen unterscheiden, bewerten und
entsprechend verantwortungsvoll mit Wissen umgehen. 11 Die Fähigkeit, sich in den
Informationsfluten zurechtzufinden und Maßstäbe zu entwickeln, anhand derer sich
Informationen bewerten und auswählen lassen, wird ebenso wichtig – sowohl für den
Einzelnen als auch für Organisationen verschiedener Art – wie die Kompetenz zur
eigenverantwortlichen Entwicklung seines persönlichen Wissens, einschließlich der
Bereitschaft zur Teilhabe an Wissen und Erfahrung.
3. Zum Begriff der Wissensarbeit
Der Begrifft Wissensarbeit beschreibt den aktiven, konzeptionellen und zielgerichteten
Umgang mit Wissen und Information und ist damit die Antwort auf die neuen Anforderungen
in einer Informations- und Wissensgesellschaft. Im Wissenszeitalter gewinnt der Umgang mit
diesen Ressourcen eine zunehmende Bedeutung für Organisationen aller Ausrichtungen und
Größenordnungen. Wissen wird zum Kapital und damit zu einer der wertvollsten Ressourcen
überhaupt. Die Datenexplosion und der rasche Verfall vieler Wissensformen erschweren
jedoch die gezielte Beschaffung des für eine bestimmte Aufgabe benötigten Wissens. Hinzu
kommt, dass es durch die fortschreitende Spezialisierung des Wissens immer schwieriger
wird, das Wissen der Organisationsmitglieder für alle verfügbar und nutzbar zu machen.12
Der Managementberater und Buchautor Peter F. Drucker war einer der ersten, der den
Begriff Wissensarbeit geprägt hat, in dem er darlegt, dass wir auf eine Gesellschaft
zusteuern, in der Wissen die grundlegende Ressource darstellen wird.
Vereinfacht gesagt bedeutet Wissensarbeit das Hantieren mit den Rohstoffen Daten,
Informationen und Wissen. Dies verlangt nach einer nachhaltigen Veränderung des
Wirtschaftens, Planens und Organisierens. Die klassische Industriearbeit, geprägt von den
tayloristischen Arbeits- und Organisationsformen des 20. Jahrhunderts, ist im Rückzug
begriffen, die dafür konzipierten Organisationsformen sind eher kontraproduktiv für einen
effektiven Umgang mit Wissen. Der Umgang mit Daten, Informationen und Wissen verlangt
7
vgl. ebenda, S. 193-194
vgl. ebenda 2001, S. 194
9
vgl. STEHR, N. 2001 , S. 10-23
10
vgl. BECK, U. 1999, S. 67
11
vgl. MANDL, H./REINMANN-ROTHMEIER, G. 2000, S. 4-9
12
vgl. ROEHL, H. 2002, S. 33
8
vielmehr nach neuen Formen der Kooperation, einschließlich der Gestaltung neuer,
organisatorischer Lernmechanismen. 13 Die erforderlichen Organisationsmechanismen für
eine effektive Koordination von Wissensarbeit existiert jedoch erst in schemenhafter Form.14
Dabei geht es vor allem um folgende zwei Bereiche: Um die Organisation und um den
Menschen. Die grundlegenden Probleme der Wissensarbeit fokussieren sich zu der Frage,
wie das Zusammenspiel von personalem und organisationalem Wissen optimal und effizient
gestaltet werden kann. Es reicht nämlich nicht aus, dass entweder die Person oder die
Organisation wissensbasiert operiert. Mögliche Konzepte für eine funktionierende
Wissensarbeit müssen beide Aspekte im Blick haben.15
Nur dann werden die Rahmenbedingungen für Kommunikation, Interaktion und Transaktion
geschaffen, ohne die Wissensarbeit nicht stattfinden kann.16
Ein wichtiger Schritt für die Entwicklung von Wissensarbeitsmodellen könnte dabei die
Integration der drei Komponenten Wissensmanagement, Vernetzung von Wissen und
interdisziplinäre Kommunikation sein, da diese einen Rahmen bilden, in dem oben genannte
Voraussetzungen für eine funktionierende Wissensarbeit geschaffen werden:
Abb. 2: Bausteine der Wissensarbeit
In diesem Modell versucht das Wissensmanagement, den heterogenen Berg an Information
und Wissen aufzubereiten, zu strukturieren, zu systematisieren und zu präsentieren. Ziel
dabei ist, Wissen verfügbar, kommunizierbar und nutzbar zu machen. Die Vernetzung von
Wissen schafft die Strukturen für den Austausch von Wissen.
13
vgl. HAUN, M. 2002, S. 13 ff
vgl. ROEHL, H. 2002, S. 31
15
vgl. HAUN, M. 2002, S. 14-15
16
vgl. ebenda 2002, S.13
14
Hierbei wird das so aufgearbeitet Wissen miteinander verbunden und zueinander in
Beziehung gesetzt. Dadurch soll einerseits ein Wissensaustausch möglich werden und
andererseits ein Lernprozess beginnen, der zu einer zielgerichteten Weiterentwicklung von
Wissen führt. Das Wissensmanagement und Wissensnetzwerke bilden die Plattform und
eine Organisationsstruktur für eine mögliche interdisziplinäre Kommunikation und
Kooperation. Dadurch kann neues Wissen entstehen und eine ganzheitliche Sichtweise
entwickelt werden.
4. Das Wissensmanagement
Das Wissensmanagement stellt den ersten und grundlegenden Baustein für Wissensarbeit
dar. Es ist ein Konzept, mit dem eine Organisation ihr Wissen bewusst, aktiv und
systematisch gestaltet. In diesem kontinuierlichen Prozess entwickelt eine Organisation ihre
Wissensbasis aus individuellem und kollektivem Wissen. 17 Dabei wird das
Wissensmanagement zur praktischen Umsetzung einer Lernenden Organisation.18
Ein solches System muss dabei drei Ebenen berücksichtigen:
Abb. 3: Die Ebenen des Wissensmanagements (Quelle: MANDL/REINMANNROTHMEIER 2000, S. 17)
Diese drei Ebenen beschreiben in ihrer Gesamtheit den Menschen als Träger,
Kommunikator, Gestalter und „Entwickler“ von Wissen, eingebettet in eine wissensorientierte
Organisationsstruktur und unterstützt von einer technischen Infrastruktur. Zu beachten ist
dabei, dass eine Fokussierung auf die technische Ebene dem ganzheitlichen Ansatz des
Wissensmanagements
zuwiderläuft.
Mit
Hilfe
der
Informationsund
Kommunikationstechnologie lässt sich hauptsächlich explizites Wissen handhaben, implizites
Wissen bleibt so weitgehend nicht fassbar.
Bei der Organisation von Wissen im Sinne des Wissensmanagements steht der Mensch im
Mittelpunkt, mit seiner Bereitschaft Wissen zu erwerben und – was keineswegs
selbstverständlich ist – Wissen zu teilen und weiterzugeben. Die Informations- und
Kommunikationstechnologie und eine geeignete Organisationsstruktur unterstützen ihn
lediglich dabei. Wenn diese Rahmenbedingungen gegeben sind, kann ein
Wissensmanagementregelkreis
entstehen,
bestehend
aus
den
Elementen
Wissensrepräsentation, Wissenskommunikation, Wissensnutzung und Wissensgenerierung.
17
18
HERBST, D.: 2000. S.9
MANDL, H.: 2000. S. 13
Abb. 4: Die Prozesskategorien des Wissensmanagements (Quelle: MANDL/REINMANNROTHMEIER 2000, S. 20)
Wissensrepräsentation
Bei der Repräsentation von Wissen handelt es sich um die Identifizierung von Wissen, sowie
um die unterschiedlichen Formen der Kodifizierung, Dokumentation und Speicherung. Ziel ist
es, relevantes Wissen in einem Format darzustellen, das die Weitergabe und den Austausch,
aber auch die Speicherung, Aktualisierung und Nutzung von Wissen ermöglicht. Durch die
Identifizierung von Wissen und Nichtwissen soll eine (Wissens-) Transparenz geschaffen
werden. Um dies zu erreichen, werden derzeit unterschiedliche Verfahren der Kodifizierung
von Wissen herangezogen wie beispielsweise:19
•
•
•
•
Wissenslandkarten (sog. Gelbe Seiten)
Kognitive Karten (z.B. concept maps)
Datenbank-Managementsysteme
Visualisierung von Wissen (z.B. mind maps)
Wissenskommunikation
Unter der Kategorie der Wissenskommunikation lassen sich Prozesse wie das Verteilen von
Informationen und Wissen, die Vermittlung von Wissen, das Teilen und die soziale
Konstruktion von Wissen, sowie wissensbasierte Kooperationen zusammenfassen. Alle
diese Aktivitäten machen es erforderlich, dass zwei oder mehrere Personen miteinander
kommunizieren. Diese Kommunikation kann face to face oder über Medien stattfinden.
Wissenskommunikation wird durch Computernetzwerke entscheidend erleichtert, aber auch
die
menschliche
Komponente
darf
nicht
außer
Acht
gelassen
werden.
Wissenskommunikation kann nur über die Schaffung einer Wissenskultur funktionieren.
19
vgl. REINMANN-ROTHMEIER G./MANDL, H.: 2000, S. 19
Gefördert kann diese werden z.B. durch Anreizsysteme, kooperationsfördernde
Arbeitsumgebungen oder über spezielle Weiterbildungsmaßnahmen.20
Wissensgenerierung
Wissensgenerierung meint die Prozesse der Wissensbeschaffung. Dies kann sowohl extern
als auch intern erfolgen. Extern durch Neueinstellungen, Kooperationen oder fremdes
Expertenwissen, intern durch das Einrichten spezieller Wissensressourcen wie
Entwicklungs-, Forschungs-, oder Weiterbildungsabteilungen.21
Wissensnutzung
Bei der Wissensnutzung geht es um die konkrete Umsetzung von Wissen in Entscheidungen
und Handlungen bzw. um die Transformation von Wissen in Produkte oder Dienstleistungen.
Diese Kategorie wird dann zur Evaluation für den Wissensmanagementprozess
herangezogen.22
5. Vernetzung von Wissen – Wissensnetzwerke
Die systematische Vernetzung von Wissen ist ein weiterer wichtiger Baustein für
Wissensarbeit. Geht es beim Wissensmanagement vor allem um den systematischen
Umgang mit Information und Wissen, werden bei der Vernetzung Organisationsstrukturen
geschaffen, die für einen strukturellen Rahmen für Wissensarbeit sorgen.
Netzwerk war ursprünglich ein rein technischer Fachausdruck. Als solcher begegnet er uns
beispielsweise in der Informations- und Kommunikationstechnologie, aber auch in anderen
Bereichen, wie beim Stromnetz oder beim Straßen- und Schienennetz. Dieses technische
Netzwerk - Bild beschreibt anschaulich die Struktur eines Netzwerkes:
Netzwerk als ein nicht völlig dezentrales, doch polyzentrisches Geflecht von teilautonomen
Einheiten, die in ihrer Wechselwirkung einander voraussetzen und bedingen.23
Der Begriff hat sich jedoch über die technischen Sichtweise hinausentwickelt, hin zu einer
personalen Sichtweise. Netzwerk bedeutet hier, sich spontan organisierend und
reorganisierend, basierend auf persönlichen Kontakten - real oder virtuell - einer lebendigen
Gemeinschaft und einer vielfältigen Kommunikation eines jeden mit jedem Bereich, bei
einem Minimum an zentraler Koordination. Netzwerke werden nicht autoritär geführt, sie
beinhalten kein streng hierarchisches Beziehungsgeflecht zwischen Menschen, sondern
ermöglichen selbstregelnde Kommunikations- und Entwicklungsprozesse. Ein weiterer
Aspekt kommt aus der Organisationsforschung. Man war sich der Tatsache bewusst
geworden, dass gerade große Organisationen durch die Regelung der förmlichen
Funktionskompetenzen alleine noch lange nicht funktionieren. Hinter dem formalen
Organigramm besteht eine zweite Ebene, ein verstecktes und unsichtbares, aber reales und
sehr wirksames Geflecht von informellen und personengebundenen Beziehungen. Hierbei
wird das lineare Denken abgelöst, welches Entwicklungen lediglich fortschreibt, jedoch die
Interdependenzen verschiedener relevanter Bereiche nicht ausreichend berücksichtigt. Hier
finden meist die eigentlichen Weichenstellungen statt.
20
vgl. REINMANN-ROTMEIER, G./MANDL, H. 2000, S. 19
vgl. ebenda, S. 20
22
vgl. ebenda, S. 21
23
vgl. HUBER, J.: Die Netzwerkidee. Rückblick und Ausblicke. In: BURMEISTER, K./CANZLER, W/
KREIBICH, R. (Hrsg.), S. 43
21
Aus diesem kommunikativen und interaktiven Umfeld heraus ergeben sich folgende
Eigenschaften und Grundstrukturen von Netzwerken:24
•
•
•
•
•
Dezentralität
Selbstorganisation und Enthierarchisierung
Verflechtung mit Rückkopplungsschleifen
Partizipation
Flexibilität
5.1 (Wissens-) Communities als praktische Umsetzung der Netzwerkidee
Bei der Umsetzung der Netzwerkidee bietet sich das Community-Konzept an. Vereinfacht
gesagt kann man Communities als „Gemeinden“ beschreiben, mit einem „Marktplatz“, auf
dem man sich trifft und sich austauscht. Dieser „Marktplatz“ ist so gestaltet, dass
Kommunikation und Austausch gefördert und unterstützt werden.
Konkret stellt sich eine Community folgendermaßen dar:25
•
•
•
•
•
informelle Personennetzwerke mit einem einflussreichen „Vorreiter-Kern“
eine lose gekoppelte Peripherie als struktureller Rahmen
gemeinsame Interessen und/oder Problemstellungen als „Treiber“
Kommunikation,
Kooperation,
Erfahrungsaustausch,
Wissensbeschaffung
und
wechselseitiges Lernen als zentrale Prozesse
Eigenverantwortung, Selbstorganisation, eine gemeinsame Verständigungsbasis und
geteilte Ressourcen und eine gemeinsame Identität als Gruppe
Daraus ergeben sich folgende Eigenschaften von (Wissens-) Communities:
Communities stellen ein Zentrum und den Knotenpunkt für Kommunikation dar. Sie geben
Informationen und Wissen unbürokratisch weiter und vereinfachen damit die Verteilung von
Erfahrung und Wissen. Dies führt zu Anwendungsnetzen, die ein wechselseitiges von
einander Lernen ermöglichen. Der offene Austausch erzeugt Synergieeffekte und innovative
Impulse, vor allem durch die mögliche Interaktion zwischen den verschiedenen
Mitgliedern/Experten. Durch die strukturelle Offenheit lässt sich bereichs- und
fächerübergreifendes Denken fördern. Dadurch stellen Communities Bedingungen her, die
eine Voraussetzung für eine erfolgreiche Wissensarbeit bilden. Dabei geht es auch um eine
Kulturveränderung, hin zu einer Wissens- und Lernkultur, einer Kommunikations- und
Kooperationskultur und um eine Innovationskultur. 26 Communties bilden sowohl ein
Gegengewicht als auch eine Ergänzung zu den klassischen, bürokratischen und daher
starren und unflexiblen hierarchischen Organisationsstrukturen.
5.2 (Wissens-) Communities in der Praxis
In der Wirtschaft, besonders bei wissensbasierten Dienstleistungsunternehmen findet man
immer häufiger informelle Zusammenschlüsse und Beziehungsnetzwerke, die sog. Service
Communities. Hierbei stehen solche Erwartungen im Vordergrund, die sich auf
Leistungsaspekte beziehen, um am Markt bestehen zu können. Synergieeffekte können
24
vgl. ebenda, S. 45
vgl. REINMANN-ROTHMEIER, G./MANDL, H.: Die Entwicklung von Learning Communities im
Unternehmensbereich am Beispiel eines Pilotprojekts zum Wissensmanagement. ForschungsBericht Nr. 110. 1999, S. 5 ff
26
vgl. WINKLER, K./REINMANN-ROTMEIER, G./MANDL, H.: Learning Communities und Wissensmanagement. FB 129.2000, S. 12-27
25
genutzt werden, so schaffen Service Communities die Fähigkeit, sich komplexen
Anforderungen zu stellen, um diese rasch und termingerecht bewältigen zu können.27
Bei Learning Communties hingegen steht weniger die Leistung und das Ergebnis im
Vordergrund, d.h. konkrete Ziele werden nicht vorher formuliert. Es geht vielmehr um
Kommunikation und um einen Austausch von Erfahrungen. Der gemeinsame Lernprozess
und das Teilen von Wissen stehen hier im Vordergrund. Das kann aber durchaus auch dazu
führen, dass sich die Mitglieder der Gemeinschaft durch das gemeinsame Lernen zu
Experten im jeweiligen Gegenstand weiterentwickeln können.28
Communities of Practise stellen eine Mischform aus den stärker innovationsorientierten
Service – Communties in der Wirtschaft und den stärker kommunikationsorientierten
Learning Communties dar. Man findet keinen eindeutigen Schwerpunkt, da sie sowohl
innovations- als auch kommunikationsorientiert sind, auch deshalb, weil es kaum Innovation
ohne Kommunikation gibt und umgekehrt. Dennoch nehmen an einer Community of Practise
vorwiegend Experten teil, welche die Synergieeffekte der gemeinsamen Zusammenarbeit
nutzen wollen.29 Deshalb eignet sich eine Community of Practise auch als Vernetzungsform
im Bereich Wissenschaft und Forschung.
Zur Schaffung einer funktionierenden (Wissens-) Community sind vor allem zwei Aspekte zu
beachten: Eine Organisation, welcher Art auch immer, kann nie nur aus
Communities/Netzwerken bestehen. Die Aufgabe besteht vielmehr darin, eine klassische
bürokratische Organisationsform durch Communties zu ergänzen, hin zu einer sogenannten
Hypertextorganisation. 30 31 Zum anderen ist zu beachten, dass eine Community dann
besonders erfolgversprechend ist, wenn man eine geeignete Kombination zwischen einer
face to face Kommunikation und einer virtuellen Kommunikation findet. Eine rein virtuelle
Kommunikation hat nämlich den Nachteil, dass die so wichtige soziale Interaktion nur sehr
schwer aufgebaut werden kann.
6. Interdisziplinäre Kommunikation
Der Baustein interdisziplinäre Kommunikation bildet den dritten Teil des Wissensarbeitsmodells. Im Vordergrund steht hier vor allem die Entstehung von neuem Wissen.
Selbstverständlich wird in unserer ausdifferenzierten Lebens- und Arbeitswelt noch lange
auch die Ausbildung von sehr zielgenau qualifizierten Spezialisten erforderlich sein, deren
Qualifikation mit ihrer späteren Tätigkeit auf einen klaren Nenner zu bringen sind: Sie tun
genau das, wofür sie ausgebildet worden sind und sie wenden an, was sie gelernt haben.32
Geht es jedoch darum, neues Wissen zu entwickeln, um komplexe, neuartige
Fragestellungen zu bearbeiten, ist eine Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen
unabdingbar. Dies kann sowohl bei der Entwicklung von neuen Industrieprodukten und
Dienstleistungen oder beispielsweise auch bei politischen Entscheidungsprozessen der Fall
sein. Exemplarisch sei dies am Thema Klimaschutz dargestellt:
27
vgl. ebenda
vgl. ebenda
29
vgl. ebenda
30
Ikujiro Nonaka und Hirotaka Takeuchi beschreiben mit dem Begriff Hypertextorganisation ein
Tandem aus nichthierarchischen, selbstorganisierenden Strukturen und traditionellen hierarchischen
Strukturen
31
Vgl. NONAKA, I./TAKEUCHI, H. 1997, S. 188 ff
32
vgl. GOEUDEVERT, D. 2001, S. 40
28
Betriebswirtschafts- /
Volkswirtschaftslehre
Ingenieurswissenschaften
Physik
Chemie
Biologie
Klimaschutz
Meteorologie
Rechtswissenschaft
Soziologie
Politikwissenschaft
Informatik
Abb.5: Am Klimaschutz beteiligte Disziplinen
6.1 Zum Betriff der Interdisziplinarität
Bis heute gibt es für Interdisziplinarität kein einheitliches Grundverständnis. Es existieren
Begriffe wie z.B. Multidisziplinarität, Transdisziplinarität oder Interdisziplinarität.33
Dabei gestaltet sich die begriffliche Grundlegung von Interdisziplinarität auch deswegen
schwierig, weil es zwei verschiedene Betrachtungsebenen gibt:
Interdisziplinarität kann sowohl fächerübergreifendes Arbeiten meinen, als auch eine
fächerübergreifende Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen.34
Eindeutig ist jedoch, dass Interdisziplinarität mehr meint, als das bloße Nebeneinanderstellen
verschiedenartiger Theorien zu selben Thema. Nichts wäre kontraproduktiver für ein
erfolgversprechendes interdisziplinäres Arbeiten als die Vorstellung, man müsse davon
abgehen, in einzelne wohldefinierte Wissensgebiete tief einzudringen, sondern
interdisziplinäres Arbeiten könne sich nur in undefinierbaren, schemenhaften
Allgemeinheiten bewegen. Nur wenn die einzelnen Akteure einer interdisziplinären Arbeit
eine fachliche Kompetenz in ihrem Fachgebiet aufweisen, kann von interdisziplinärem
Arbeiten Wesentliches erwartet werden.35
Folglich besteht der Hauptansatzpunkt für die Bearbeitung eines komplexen Gegenstands in
der Förderung, nicht in der Auflösung wissenschaftlicher Disziplinen. Vielmehr geht es um
einen disziplinenübergreifenden Dialog zwischen den Vertretern der einzelnen Disziplinen,
sowie der Schaffung von Querverbindungen.36 Die einzelnen Disziplinen müssen sich dabei
öffnen, verändern, weiterentwickeln und sich wechselseitig ergänzen.
33
vgl.HARTMANN, Y.E. 1998, S. 12
vgl. ebenda, S.13
35
vgl. Traupel 1974. In: HARTMANN, Y.E. 1998, S.3
36
vgl. HARTMANN, Y.E. 1998, S. 3
34
6.2 Interdisziplinäre Projekte als soziale Systeme:
Projektgruppen sind weitgehend anerkannte Organisationselemente zur Lösung komplexer
Aufgabenstellungen. Daraus folgt die Erkenntnis, dass sich das Konzept der Projektarbeit,
sei es nun in Teams oder in Netzwerken, auch optimal für die Durchführung interdisziplinärer
Kommunikation eignet. Dies hängt auch damit zusammen, dass Projektgruppen besonders
bei komplexen, neuartigen und schlecht strukturierten Problemlagen oftmals in der Lage
sind, besser und effektiver zusammenzuarbeiten.37
Dabei ergeben sich drei Merkmalsdimensionen bei der interdisziplinären Zusammenarbeit in
Projekten:
Generelle Merkmale der Gruppenarbeit38
•
Arbeitsteilung
•
Gruppendynamik
•
Unterschiedliche Qualifikation
•
Individualpsychologische Aspekte, z.B. Motive und Einstellungen
Generelle Merkmale von Projekten39
•
Komplexität und Neuartigkeit der Aufgabe
•
Große Unsicherheit über Zielerreichungsmöglichkeiten
•
Ressourcenknappheit
•
Zeitliche Begrenzung des Projekts
Spezifische Aspekte interdisziplinärer Projekte40
•
Unterschiedliche Prägung der Sprach- und Denkwelt
•
Aufeinandertreffen unterschiedlicher (Begriffs-) Systeme
•
Unterschiedliche Methoden und Instrumente zur Zielerreichung bzw. des
wissenschaftlichen Arbeitens
•
Unterschiedliche Regeln und Normen
•
Erhöhte Relevanz der Sozialisation
37
vgl. ebenda, S. 11-14
vgl. BIRKER G./BIRKER K.: Teamentwicklung und Konfliktmanagement 2000, S. 12ff.
39
vgl. BAGULEY, P. 1999, S. 8 ff
40
vgl. HARTMANN; Y. E. 1998, S. 12
38
6.3 Merkmale und Einflussfaktoren interdisziplinärer Projekte
Durch die höhere Komplexität muss eine Projektarbeit auf die spezifischen Merkmale von
interdisziplinären Projekten erweitert werden.
Dabei weisen interdisziplinäre Projekte folgende Merkmale auf:
Abb.6: Merkmale interdisziplinärer Projekte (Quelle: HARTMANN 1998, S. 10)
Die Komplexität, Einmaligkeit und Neuartigkeit eines interdisziplinären Projekts sind vor
allem durch die Teilnahme der unterschiedlichen Disziplinen bedingt. Ablaufvorgänge sind
dadurch mit einem hohen Risiko und mit einer großen Unsicherheit verbunden. Selbst
Routineprozesse sind umso schwerer zu steuern, je mehr unterschiedliche Disziplinen daran
Einflussfaktoren, wie den personenbedingten
teilnehmen. 41 Neben den klassischen
Einflussfaktoren (z.B.: Einstellungen, Werte, Einsatzbereitschaft, Teamfähigkeit oder
Interessen und Individualziele usw.) und den projektbedingten Einflussfaktoren (z.B.:
zeitliche Vorgaben, Gruppengröße, Projektdesign oder dem Finanzierungskonzept usw.),
kommen noch disziplinenbedingte Einflussfaktoren hinzu.42
Im Einzelnen sind dies:
•
•
•
•
41
42
unterschiedliche Theorien und Erklärungsansätze
unterschiedliche Methoden und Instrumente
unterschiedliche Sprach- und Begriffswelten
unterschiedliche Regelungen und Normen
vgl. HARTMANN, Y.E. 1998, S. 10
vgl. ebenda S. 13-15
6.4 Forderung nach einer Schnittstellenkompetenz
Besonders die disziplinenbedingten Einflussfaktoren verlangen von den Teilnehmern, aber
vor allem auch vom Leiter eines interdisziplinären Projekts, nach einer so genannten
„Schnittstellenkompetenz“.
Sie stellt eine Schlüsselkompetenz bei der Verständigung zwischen den sich immer mehr
spezialisierenden Wissenschaften dar. Die Aufgabe dabei ist, über das Betrachten der Teile
das Ganze zu verstehen und daraus dann ein verständigungsorientiertes Handeln
abzuleiten. Dazu ist eine Betrachtung der Teilsysteme notwendig und zwar bezüglich ihrer
Begriffe, Theorien, Methoden, Zielsetzungen und Bedingungen. Jede Disziplin beinhaltet
systemspezifische Interessen und Codes 43 . Systeme verarbeiten nach Luhmann ihre
Teilrationalitäten 44 und orientieren sich primär nicht von vornherein an
Gemeinwohlinteressen 45 . Die Schnittstellenkompetenz versucht durch eine so genannte
Intersystem-Kommunikation Austausch und Verständigung zu schaffen. Das erfordert das
Verstehen der unterschiedlichen Denk- und Handlungsweisen bezüglich der einzelnen
Systeme, einschließlich ihrer Codes. Das beginnt mit dem Respektieren der
unterschiedlichen Systeme und der Bereitschaft für ein gegenseitiges Verstehen. Daran
schließt sich dann die Bereitschaft zur Entgrenzung an. 46 Die Konsequenz daraus ist die
Aneignung der unterschiedlichen Interessen und Codes, also das Sich - Beschäftigen mit
den unterschiedlichen Begriffen, Theorien, Methoden und Motiven der einzelnen Disziplinen.
Schnittstellenkompetenz lässt sich nicht für alle Zeiten erlernen, sondern erfordert je nach
Situation, Teilnehmer und Zielsetzung ein Sich – neu - Auseinandersetzen. Eine solche
Schnittstellenkompetenz verlangt vor allem auch nach einer Methodenkompetenz und nicht
den vergeblichen Versuch, sich das Wissen sämtlicher Teilnehmer anzueignen.
6.5 Durchführung und Steuerung von interdisziplinären Projekten
Natürlich besteht ein Unterschied darin, ob man ein gesellschaftliches Problem
interdisziplinär bearbeiten möchte oder ob die F&E - Abteilung eines Industrieunternehmens
ein neues Produkt entwickelt und dabei die Mitarbeit unterschiedlicher Disziplinen in
Anspruch nimmt. Auch die Frage nach den teilnehmenden Disziplinen nimmt Einfluss auf
den Ablauf eines interdisziplinären Projekts. Es ist beispielsweise ein Unterschied, ob ein
solches Projekt von Sozial- und Geisteswissenschaften oder von den Natur- und
Technikwissenschaften bestimmt wird. Dennoch lassen sich folgende grundsätzliche
Handlungsempfehlungen für die Durchführung interdisziplinärer Projekte geben:
Handlungsfeldzerlegung
Aufgrund der unterschiedlichen fachlichen Kompetenzen
und der unterschiedlichen
zeitlichen Ressourcen und Verfügbarkeiten der einzelnen Teilnehmer bei einem
interdisziplinären
Projekt
und
dem
zusätzlichen
Einfluss
der
finanziellen
Rahmenbedingungen erscheint eine so genannte Handlungsfeldzerlegung für ein Projekt
sehr hilfreich.
Diese Zerlegung in Handlungsfelder kann in folgender Form stattfinden:47
43
Luhmann bezeichnet Codes als Form zur Erzeugung von Differenzen oder Unterscheidungen (vgl. Krause:
Luhmann-Lexikon 1999, S. 92
44
Beispiele für Teilrationalitäten (nach Luhmann): Politik (Macht haben/ keine Macht haben), Wirtschaft
(Zahlung/Nichtzahlung, Sozialarbeit (Hilfe/Nichthilfe), Recht (Recht/Unrecht).vgl. ebenda.
45
Vgl. MILLER, T.: Brückenbauer im Meer der Systeme. In: Erwachsenenbildung 2/2000, S. 63-65
46
vgl. ebenda, S. 64
47
vgl. HARTMANN, Y. E. 1998, S. 15
Abb. 6: Die Handlungsfeldzerlegung bei interdisziplinären Projekten
Eine verrichtungsmäßige Zerlegung tritt beispielsweise auf, wenn die Projektteilnehmer mit
unterschiedlichen Methoden und Instrumenten versuchen, jeweils eine Teilaufgabe des
Projekts zu lösen. Ist ein komplexer Projektauftrag nur durch mehrere verschiedene
Teilprojekte zu lösen, ist eine objektmäßige Zerlegung angezeigt. Eine zeitliche Zerlegung ist
beispielsweise gegeben, wenn die Entscheidung, ein Projekt zu vergeben oder anzunehmen,
zu Folgeaufträgen oder künftigen Publikationen usw. führen kann. Schließlich kann eine
rangmäßige Zerlegung erfolgen, d.h. dass von mehreren möglichen Projekten nur dasjenige
realisiert wird, das gemäß sachlich nachvollziehbaren Kriterien übergeordnete Prioritäten
besitzt.48
Aufteilung in Ablaufphasen
Eine geeignete Handhabung der Komplexität bei einem interdisziplinären Projekt kann durch
eine Strukturierung im Ablauf erreicht werden
Abb. 7: Die Ablaufphasen bei einem interdisziplinären Projekt
Die Hauptaktivitäten in der Anbahnungsphase liegen in der Kontaktaufnahme, der
Kommunikation zwischen möglichen Beteiligten (z.B. Auftraggeber, Forschungsträger,
Mitarbeiter), ersten Verhandlungen über mögliche Konditionen, Methodeneinsatz,
Vorgehensweise und Zielsetzung. Dabei spielt der Informationsaustausch eine tragende
Rolle, da sowohl der Träger/Auftraggeber als auch die in Frage kommenden Mitarbeiter sich
in der Regel gegenseitig über Vorhaben, wissenschaftliche Herkunft und Erwartungen
informieren müssen. Wie schon angesprochen ist zu erwarten, dass die Vertreter der
unterschiedlichen Disziplinen aufgrund ihrer Prägung durch Theorien, Konzepte usw.
48
vgl. ebenda, S. 15-17
teilweise unter gleichen Begriffen Unterschiedliches verstehen. Es ist deshalb wichtig, zu
Beginn eines Projekts Begrifflichkeiten klar und sauber zu definieren.49
Bei der Vorbereitungsphase stehen vor allem eine genaue Zieldefinition, die Regelung
organisationaler Rahmenbedingungen, sowie die Erstellung eines Grobkonzepts im
Vordergrund. In der Vorbereitungsphase sind intensive Gespräche notwendig, da die
Zielfestlegung nicht nur auf das Projektziel ausgerichtet sein darf, sondern auch die
Individualzielsetzung der Projektbeteiligten zu berücksichtigen hat. Dies fördert sowohl die
Motivation als auch die Koordination und den Einsatz von Kontrollinstrumenten. Je nach
Aufbau des Projekts können außerdem Personal- bzw. Mitarbeiterauswahlgespräche
notwendig sein und eine Methoden-Schulung der beteiligten Mitarbeiter erfolgen.50
In der Durchführungsphase wird die disziplinenübergreifende Zusammenarbeit organisiert.
Durch den Wissensfortschritt innerhalb der Projektgruppe sind Plananpassungen notwendig,
außerdem werden die Teilergebnisse der Projektbeteiligten regelmäßig evaluiert. Für die
Planung und Konzeptionierung von Lösungsvorschlägen ist ein hoher Informationsstand
notwendig, der auch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien
erfordert. 51 Die Abschlussphase ist in aller Regel dadurch gekennzeichnet, dass die
Projektergebnisse abschließend evaluiert, dokumentiert, präsentiert und ggf. publiziert
werden.52
Einsatz von Koordinationsinstrumenten
Um den dynamischen Prozess eines interdisziplinären Projekts zu steuern, wird der Einsatz
von Koordinationsinstrumenten erforderlich:
Abb. 8: Die Koordinationsinstrumente bei interdisziplinären Projekten
(Quelle: in Abänderung von HARTMANN 1998, S. 24)
Das Koordinationsinstrument Organisationssystem beinhaltet die Standardisierung der
technischen Werkzeuge und Methoden, die Einrichtung einer Kommunikations- und
Vernetzungsstruktur, eine Verteilung der Aufgaben und Kompetenzen und die Benennung
der Koordinationsorgane. Beim Informationssystem geht es vor allem um den Einsatz eines
Berichtssystems, um jederzeit den aktuellen Stand des Projekts ermitteln zu können. Um ein
Projekt durchzuführen, braucht man auch ein abgeschlossenes Planungssystem. Hilfreich
dabei sind beispielsweise die sog. Netzplantechnik oder das Balkendiagramm. Das
49
vgl. HARTMANN, Y. E. 1998, S. 25
vgl. ebenda , S. 26-27
51
vgl. ebenda , S. 27
52
vgl. ebenda , S. 28
50
Planungssystem muss während des Projektablaufs ständig auf alle Teile des Projekts
abgestimmt werden. Bei Veränderungen (z.B. im zeitlichen Ablauf) muss eine
Plananpassung vorgenommen werden. Die Auswahl der geeigneten Projektmitarbeiter stellt
eine der wichtigsten Aufgaben des Projektleiters dar. Ist dieser Teil abgeschlossen, muss
eine gemeinsame Zielvorgabe für alle Projektmitglieder formuliert und verinnerlicht werden.
Dies geht einher mit der Schaffung einer gemeinsamen Erwartungsbildung, unterstützt durch
gemeinsame Wertvorstellungen und der Schaffung positiver sozio-emotionaler Beziehungen.
Durch den Einsatz von Anreizsystemen kann dies verstärkt werden. Der finanzielle
Background ist das Rückgrad und das Lebenselixier eines jeden Projekts. Ablauf und Erfolg
hängen maßgeblich von den finanziellen Ressourcen ab. Das finanzielle Engagement kann
so einen entscheidenden Einfluss auf die Zielerreichung ausüben und wird damit ebenfalls
zu einem Koordinationsinstrument. Beim Kontrollsystem ist der Einsatz von
Überwachungsinstrumenten gemeint, beispielsweise durch das Controlling. Auch die
Evaluation am Ende eines Projekts fällt darunter und ist von einer nicht zu unterschätzenden
Wichtigkeit für zukünftige Projekte.53
7. Schlussfolgerungen und Ausblick
Die wachsende Bedeutung der Wissensarbeit erfordert hauptsächlich zweierlei:
Zum einen muss noch mehr als bisher in Wissensarbeit investiert werden, konkret bedeutet
das die Forderung nach größeren finanziellen Mitteln für den Bereich Bildung, Forschung
und Wissenschaft. Zum anderen müssen die Rahmenbedingengen für eine funktionierende
Wissensarbeit geschaffen und ausgebaut werden und zwar in Gesellschaft und Arbeitwelt,
bei Wissenschaft und Forschung und in den Bereichen Schule, Hochschule und
Weiterbildung. Die Menschen müssen sich zu Wissensarbeitern entwickeln und dafür
ausgebildet und trainiert werden. Dies erfordert auch eine Abkehr vom Einzelkämpferdasein
in Bildung und Arbeit, da Wissen die erstaunliche Eigenschaft besitzt, dass es sich im
Gegensatz zu anderen Ressourcen durch Teilen vermehrt. Das verlangt die Bereitschaft zu
Kooperation und Teamarbeit – Fähigkeiten, die in unserem Bildungssystem oft wenig
gefördert werden. Die Grundlage hierfür muss in der Schule gelegt werden. Fächer dürfen
nicht nur isoliert voneinander unterrichtet werden. Vernetztes Denken, fächerübergreifende
Projektarbeit im Rahmen eines Teams und ein verantwortungsvoller, selbstständiger
Umgang mit Wissen müssen in den Lehrplan mit einfließen. Der Lehrer wird hierbei zum
Moderator, der zu selbstgesteuertem und eigenverantwortlichem Umgang mit Wissen
anleitet. Auch bei der Hochschulbildung muss mehr Wert auf eine interdisziplinäre
Ausbildung gelegt werden, beispielsweise durch die Vernetzung der Naturwissenschaften,
mit den Sozial- und Geisteswissenschaften. Jeder Student sollte in der Lage sein,
eigenverantwortlich, selbstgesteuert und systematisch aus allen Fachgebieten das Wissen
zusammenzutragen, das er für eine bestimmte Problemstellung benötigt. Dieses Denken
muss sich auch zu den Wissenschaft- und Forschungseinrichtungen fortpflanzen. Die Welt
der
Wissenschaften
besteht
heute
aus
einem
komplizieren
Netz
von
Forschungseinrichtungen, die sich immer mehr ausdifferenzieren. Die dabei entstehenden
Abgrenzungen sind jedoch häufig künstlich. Die Entwicklungen in den Bereichen Technik,
Arbeitswelt und Gesellschaft passen jedoch nicht in diese künstlich festgelegten
Wissenschaftsgrenzen. Fächerübergreifende Kooperationsformen in Forschung und Lehre
sollten die Antwort auf diese Entwicklung sein.
Besonders wird die Entwicklung hin zur Wissensarbeit auch die Arbeitswelt verändern.
Tayloristische Arbeitskonzepte werden immer mehr der Vergangenheit angehören, eine
gesicherte und lebenslange Stellung im Hierarchiegefüge einer Arbeitsorganisation wird zur
Ausnahme werden. Fließbandarbeit und Einzelarbeit werden von zeitlich befristeter
Projektarbeit und Teamarbeit abgelöst. Dies erfordert vielfältige Flexibilität und die ständige
Bereitschaft zur Wissensarbeit, was auch die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen und zur
53
ebenda, S. 24
Weiterbildung mit einschließt. Dabei muss es für den einzelnen Mitarbeiter möglich werden,
Arbeit und Lernen miteinander zu integrieren.
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