Temperatureffekte bei Def. v. LDPE
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Temperatureffekte bei Def. v. LDPE
Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei Polyäthylen Untersuchungen an LDPE und LLDPE mit der Infrarot-Kamera 34,0 33,5 33,0 32,5 32,0 31,5 31,0 30,5 30,0 29,5 29,0 28,5 700 40 600 30 500 400 20 x / [mm] 300 10 200 100 0 0 Diplomarbeit Elmar Vogt t / [s] Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei Polyäthylen Untersuchungen an LDPE und LLDPE mit der Infrarot-Kamera Diplomarbeit von Elmar Vogt Universität Ulm Abteilung Experimentelle Physik 1993 2 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen I´m a man of no convictions, I´m a man who doesn´t know How to sell his contradictionsYou come and go, you come and go... (Culture Club: Karma Chameleon) Titelbild: Dreidimensionale Darstellung des Neckprozesses bei LDPE. Nach links bzw. hinten sind der Ort und die Zeit aufgetragen, nach oben die Temperatur. Deutlich sichtbar sind das Entstehen des Necks aus der homogenen Erwärmung der Probe, und das Wandern des Necks durch die Probe in Form eines ´Wärmegrates´. v0 10 mm min, T0 29. 6 C . (VIRB01K) 3 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Hiermit erkläre ich, daß ich die vorliegende Arbeit selbständig und nur mit den angegebenen Mitteln angefertigt habe. Alle Stellen, die ich dem Wortlaut oder dem Sinn nach anderen Werken entnommen habe, wurden von mir durch Angabe der Quelle kenntlich gemacht.Ulm, im Oktober 1993 Elmar Vogt -Die vorliegende Arbeit wurde in der Abteilung Experimentelle Physik an der Universität Ulm in der Zeit von Oktober 1992 bis Oktober 1993 durchgeführt.Hauptberichter: Berichter: Betreuer: Prof. Dr. Hanns-Georg Kilian Prof. Dr. Rainer Kimmich Dr. Joachim Koenen 4 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen INHALTSVERZEICHNIS "Preface to Ninth Edition. Preface to Eighth Edition. Preface to Sixth Edition. Preface to Third Edition. Preface to First Edition. ..." aus der Zusammenfassung des Inhalts eines durch die CRC Press inc. veröffentlichten Buchs Verwendete Formelzeichen, Variablen und Bezeichnungen 7 Einführung 8 1. Thermomechanik von Polymeren 1.1 Das van-der-Waals-Netzwerk 10 1.1.1 Energie- und entropieelastisches Verhalten 10 1.1.2 Adiabatische Verstreckung 1.1.3 Modell der Deformation semikristalliner Polymere 13 1.1.4 Verstreckungen semikristalliner Polymere 14 1.1.5 Zerstörung des Netzwerks durch Überdehnung 1.1.6 Wechselwirkung der Netzwerkketten 17 1.1.7 Korrekturterm: Erzeugung und Anregung zusätzlicher Oszillatoren 1.2 Das spannungsaktivierte Netzwerk 19 1.2.1 Modellvorstellung 1.2.2 Festkörper- und Netzwerkanteil der Spannung 1.2.3 Der Neck als thermodynamische Konsequenz 21 1.2.4 Lösung der Wärmeleitungsgleichung für den quasistationären Neck-Prozeß 9 12 15 18 19 20 23 1.3 Thermoelastische Inversion: Der Thomson-Effekt 25 1.4 Das Schermodell 28 1.4.1 Verstreckgrad und maximale Verstreckung 29 1.4.2 Grenzflächen in Abhängigkeit vom Verstreckgrad 1.4.3 Änderung der Oberflächenenergie 1.4.4 Korrektur der Spannungs-Dehnungskurve 30 31 31 5 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 2. Versuchsaufbau und -durchführung 33 2.1 Verstreckapparatur Zwick 1445 2.1.1 Temperierkammer 37 37 2.2 Infrarotkamera Inframetrics Mod. 525 2.3 Bildverarbeitungssystem Imaging Technology PFG + 2.3.1 Bildverarbeitungssoftware "IR/Lambda" 39 42 42 2.4 Probenmaterial und -präparation 2.4.1 Low-Density Polyäthylen: Lupolen 1840D 44 2.4.2 High-Density Polyäthylen: Lupolen 6011L 45 2.4.3 Linear Low-Density Polyäthylen: Tipelin BS501/FB472 44 46 3. Untersuchungen an LDPE u. LLDPE mit Hilfe der InfrarotKamera 3.1 Vorarbeiten 3.1.1 Kalibriermessungen der Infrarot-Kamera 47 48 48 3.1.2 Bestimmung der Koeffizienten für Emission, Transmission und Reflexion im empfindlichen Spektralbereich der Infrarot-Kamera für LDPE und HDPE 50 3.1.3 Messung des Wärmeübergangskoeffizienten von LDPE 60 3.1.4 Bestimmung der spezifischen Wärmekapazität von LDPE 62 3.2 Verstreckkalorimetrische Messungen an LDPE 3.2.1 Überblick 64 64 3.2.2 Bestimmung von Temperaturstabilität und Genauigkeit der IR-Kamera 65 3.2.3 Betrachtung der homogenen Verstreckung 67 3.2.4 Untersuchungen des Neck-Prozesses 82 3.3 Verstreckkalorimetrische Experimente an gefülltem LLDPE 91 3.4 Experimente zur Infrarotmikroskopie 96 4. Zusammenfassung 98 5. Anhang: Herleitung des Enthalpieanteils der Nominalspannung 101 Literatur 103 Thanks and Acknowledgements 107 6 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen VERWENDETE FORMELZEICHEN, VARIABLEN UND BEZEICHNUNGEN "Anyone who does not have a basic understanding of mathematics is merely a sub-human creature that has been tought not to make a mess in the house." Robert A. Heinlein : proportional ungefähr gleich identisch definierte Gleichheit ! A a aca acc cp geforderte Gleichheit i.) Probenquerschnitt ii.) Wärmeerzeugungsrate phänomenologischer Wechselwirkungsparameter d. van-der-WaalsTheorie Oberflächen d. Kristall-amorph-Grenzen Oberflächen d. Kristall-Kristall-Grenzen spezifische Wärmekapazität nc n nc Q0 q Umrechnungskoeffizient d. mechanischen Arbeit Differentialoperator Parameter des Lennard-Jones-Potentials i.) Extinktionskoeffizient ii.) Elastizitätsmodul Yieldgrenze d. Kristallbereiche Äußere Kraft auf d. Probe Enthalpieanteil d. Kraft Entropieanteil d. Kraft Auf d. Anfangsprobenquerschnitt normierte Nominalspannung i.) Gibbs´sche freie Enthalpie ii.) Netzwerkmodul Strahlungsintensität Länge (groß, da extensive Größe) i.) Parameter f. d. Verbindung v. Füller u. Matrix ii.) Dichte d. Lamellenblöcke Molzahl d. kristallisierbaren Polymeranteils Molzahl d. nicht-kristallisierbaren Polymeranteils Wärmeerzeugung pro Volumen Dichte d. (thermischen) Entropieanteils d. Innere Energie r2 Quadrat d. mittleren End-zu-End-Abstands d. Netzwerkketten r02 Quadrat d. mittleren End-zu-End-Abstands d. freien Ketten cw d d E ey F FH FS f G I L n T T0 (Proben-)Temperatur Umgebungstemperatur 7 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Tg Glastemperatur u wp Dichte d. Enthalpieanteils d. Inneren Energie Volumenanteil d. kristallisierten Lamellen, vgl. w p Neckgeschwindigkeit Verstreckgeschwindigkeit (d. Spannbacken) geleistete mechanische Arbeit je Masse Volumenanteil d. kristallisierten Lamellen xc x nc y ym Volumenanteil d. kristallisierbaren Polymeranteile Volumenanteil d. nicht-kristallisierbaren Polymeranteile Mindestgröße f. stabile CSMK´s mittlere effektive Kettenlänge i. d. amorphen Bereichen vf vn v0 w yp mittlere Lamellendicke Param. f. d. Zusammenhang zw. effektiver Kettenlänge u. Netzwerkstruktur linearer thermischer Ausdehnungskoeffizient a , c Ausdehnungskoeffizienten d. amorphen bzw. kristallinen Bereiche Kronecker-Symbol (Delta-Funktion) i.) makroskopische Änderung ii.) Auflösungsgrenze i.) Verzweigungsgrad d. Polymerketten ii.) Emissionskoeffizient Oberflächenenergie d. Kristall-amorph-Grenzflächen ca Oberflächenenergie d. Kristall-Kristall-Grenzflächen cc LJ Lennard-Jones-Festkörperpotential Verstreckgrad , kritische Verstreckgrade Verstreckgrad d. kristallinen Bereiche c Verstreckgrad d. amorphen Bereiche i maximaler Verstreckgrad d. amorphen Bereiche m max Verstreckgrad, bei dem d. Lamelle-Filament-Umwandlung abgeschlossen ist Wärmeübergangskoeffizient 1 , 2 Parameter d. Lennard-Jones-Potentials i.) Massendichte ii.) Reflexionskoeffizient i.) Probenspannung ii.) Standardabweichung bzw. Abschätzung d. Meßfehlers Scher Anteil d. Schermodells an d. Nominalspannung Transmissionskoeffizient Kippwinkel d. Lamellenblöcke 8 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen EINFÜHRUNG "Plots have I laid, inductions dangerous, By drunken prophecies, libels, and dreams..." W. Shakespeare: Richard III. Seit jeher fasziniert den Menschen das Verhalten von Joghurtbechern, Plastiktüten und Turnschuhsohlen. Dennoch gibt es trotz zahlreicher Ansätze [Moo 40, Pec 73, Sta 86] bis heute noch keine allgemeine Theorie der Polymere, die in der Lage wäre, die Flut der durch Verstreck-, Kalorimeter- und Röntgenmessungen, sowie eine Vielzahl von aus anderen Experimenten gewonnenen Daten vollständig zu erklären. So bleibt die Polymerphysik ein Feld intensiver Forschung, und das Polyäthylen dank seines denkbar einfachen Aufbaus das Arbeitspferd darin. Einer der vielversprechendsten Ansätze ist die Thermodynamik mit deren experimenteller Methode, der Verstreckkalorimetrie. Gewöhnliche Kalorimetermessungen leiden jedoch an der hohen Apparateträgheit, die nur Messungen mit relativ geringen Verstreckraten erlaubt und keine Informationen über die Temperaturverteilung liefert. Aus diesem Grunde war es in einer vorangegangenen, mit LDPE befaßten Arbeit [Bor 91] nicht möglich gewesen, das Necking-Phänomen zu untersuchen. Die in der Domäne homogener Verstreckung gemessenen Daten warfen gleichzeitig eine Vielzahl an Fragen zur Thermodynamik des Verstreckvorgangs auf. Aufgabe dieser Diplomarbeit war es, mit Hilfe einer Infrarotkamera mit der Methode der schnellen ortsaufgelösten Kalorimetrie die Untersuchung auf die Bereiche heterogener Verstreckung auszuweiten und die o.a. Fragen weiterzuverfolgen. Damit und mit Hilfe einer im Rahmen einer früheren Diplomarbeit [Sai 92] angefertigten Temperierkammer war es möglich, verzweigtes ("Low Density") Polyäthylen (LDPE) im Bereich zwischen Zimmertemperatur und Schmelzpunkt zu untersuchen und dabei die Verstreckgeschwindigkeit über dreieinhalb Zehnerpotenzen zu variieren. Die auf diese Art erhaltenen Ergebnisse sollten mit früheren Messungen anderer Gruppen verglichen [Mah 80], sowie auf die van-der-Waals-Theorie der Polymere [May 90] und die Theorie des spannungsaktivierten Netzwerks [Koe 91] angewandt werden. 9 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 1. THERMOMECHANIK VON POLYMEREN 1.1. Das van-der-Waals-Netzwerk "Sir Chiltern: Sie meinen also, daß das Problem Frau wissenschaftlich nicht zu bewältigen sei. Mrs. Cheveley: Nie ist das Irrationale wissenschaftlich zu bewältigen. Deshalb hat die Wissenschaft in dieser Welt keine Zukunft. Sir Chiltern: Und Frauen repräsentieren das Irrationale? Mrs. Cheveley: Gut gekleidete Frauen." Oscar Wilde: Ein idealer Gatte Verzweigtes Polyäthylen ist ein Musterbeispiel für ein semikristallines Polymersystem. (Vgl. Fig. 1.1) Zur Beschreibung der Deformation solcher Systeme haben Kilian und Mitarbeiter ein Modell entwickelt, das sog. van-der-Waals-Netzwerk [Bal 85, Bal 88, Kil 79]. Ähnlich, wie das van-der-Waals-Gas eine Erweiterung des idealen Gasgesetzes ist, indem es das Ko-Volumen der Gasmoleküle sowie die Wechselwirkungen zwischen ihnen berücksichtigt, modifiziert das van-der-Waals-Netzwerk das Phantom-Netzwerk aus Gaußketten so, daß endliche Kettenlängen und globale Wechselwirkungen berücksichtigt werden. Dieses Modell erlaubt eine Vorhersage der SpannungsDehnungskurven und der thermodynamischen Effekte. Fig. 1.1: Schematische Darstellung eines semikristallinen Polymers: Kristallamellen liegen in einem Netzwerk amorpher Ketten eingebettet und werden von diesen zusammengehalten. Aus [Jen 72]. 1.1.1. Energie- und entropieelastisches Verhalten Bei der Verstreckung von Polymeren läßt sich mit Hilfe der Gibbs-Funktionen [Päs 75] ein Zusammenhang zwischen beobachteten Kräften sowie Enthalpie- und Entropieänderungen herstellen. Die Kalorimetrie kann bei Verstreckmessungen helfen, die verschiedenen Anteile zu separieren. 10 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Während der vorliegenden uniaxialen Verstreckmessungen sind der Druck und die äußere Temperatur konstant. Aus diesem Grund wählen wir das Koordinatensystem (T , p, L) . Dann ist die freie Enthalpie G(T , p, L) die passende Gibbs-Funktion. Deren Differential lautet: d G Sd T V d p Fd L (Eq. 1.1) Daraus folgen die Zustandsgleichungen: FGGIJ HL K F (Eq. 1.2) FGI G HT JK S (Eq. 1.3) p,T sowie: p, L Berücksichtigt man die Potentialeigenschaften, so ergibt sich: FGS IJ HLK p,T FGF IJ HT K (Eq. 1.4) p, L Stattdessen kann die Freie Enthalpie auch in Abhängigkeit von der Enthalpie dargestellt werden: G H TS (Eq. 1.5) Für die Ableitung folgt mit (Eq. 1.2): F FGH IJ HL K p,T T FGS IJ HLK (Eq. 1.6) p,T 11 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen bzw. mit (Eq. 1.4): F FGH IJ HL K T p,T FGF IJ HT K (Eq. 1.7) p, L Wir können die Kraft also in zwei Terme aufspalten: F FH FS (Eq. 1.8) mit den Termen FH FGH IJ HL K FS T bzw. p,T FGF IJ HT K p, L Hierbei ist FH der sog. Enthalpie- oder Energieanteil der bei der Längenänderung aufzuwendenden Kraft, FS ist jedoch deren Entropieanteil. Letzteres ist die in der konventionellen Verstreckkalorimetrie gemessene Größe, denn es ist bei reversibler Prozeßführung: FS T FGS IJ HLK p,T FGQ IJ HL K (Eq. 1.9) p,T Da die Verstreckapparatur unabhängig davon außerdem noch F mißt, kann aus dem Experiment auch FH bestimmt und so eine vollständige Energiebilanz aufgestellt werden. 1.1.2. Adiabatische Verstreckung Kalorimetrische Experimente werden i.a. isotherm durchgeführt, d.h. bei konstant gehaltener Probentemperatur. In diesem Fall hängt FS gerade mit der bei konstantem Druck mit der Umgebung ausgetauschte Wärme Q , also unsere Meßgröße zusammen. Die Experimente mit der Infrarot-Kamera werden jedoch quasi-adiabatisch durchgeführt (indem ein etwaiger Wärmeaustausch mit der Umgebung durch Rückrechnung neutralisiert wird; dQ 0 ). Wir messen nicht die an die Umgebung abgeführte Wärme, sondern über die Temperaturänderung die Wärmeänderung in der Probe selbst. 12 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Da wir also die Erzeugung Innerer Energie betrachten, wird im weiteren ihr entropieelastischer Anteil mit Q , der enthalpieelastische Anteil jedoch mit U bezeichnet. Letzterer führt ähnlich wie eine ´latente Wärme´ zu keiner Temperaturänderung während der Verstreckung. Q 0 bedeutet in unserer Vorzeichenkonvention eine Erhöhung der Probentemperatur: d W d Uadiab . d U + d Q (Eq. 1.10) 1.1.3. Modell der Deformation semikristalliner Polymere Wie die elektronenmikroskopische Aufnahme (Fig. 1.2) zeigt, besteht LDPE aus Lamellenclustern. Diese sind Stapel kleiner geschichteter Kristallitscheiben, sogenannter CSequenz-Mischkristalle (CSMK´s), die in einem Netzwerk aus amorphen PE-Ketten ´schwimmen´, wobei sowohl die Größe der einzelnen Lamellen, wie auch die der amorphen Bereiche innerhalb einer Probe stark variieren kann. Fig. 1.2: Rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen von LDPE. Links: unverstreckt; rechts: verstreckt, 2. 2 . Bildausschnitt ca. 60 µm x 40 µm, Ätzung mit Kaliumpermanganat, Aufnahmen invertiert. Aus [Kne 93]. C-Sequenz-Mischkristalle [Con 92, Hol 90] enthalten dabei an ihren Rändern außerdem einen unscharfen Übergang zu den amorphen Gebieten, in dem die Ketten noch eine überdurchschnittlich hohe Orientierung besitzen. In den amorphen Bereichen sind alle nicht kristallisierfähigen Einheiten (sehr kurze C-Sequenzen, Kettenenden, Verzweigungen, Baufehler, Verunreinigungen...) versammelt, die aus den CSMK´s herausgedrängt wurden. 13 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Die Molzahlen der kristallisierfähigen und nicht-kristallisierfähigen Einheiten seien n c bzw. n nc . Der Grundmolenbruch (d.h. der Volumenanteil) der nicht kristallisierbaren ! Anteile beträgt dann mit der Normierung x nc x c 1: x nc n nc n c n nc (Eq. 1.11) Entsprechend errechnet sich x c , der Volumenanteil der kristallisierfähigen Einheiten, also der Lamellen. Die Thermodynamik eutektoider Copolymere [Kel 77] erlaubt nun eine Abschätzung der Dicke y der CSMK´s, in CH 2 -Einheiten. Unterhalb einer bestimmten, temperaturabhängigen Minimalgröße y (T ) sind CSMK´s der Dicken y y (T ) nicht stabil und müssen deshalb aufschmelzen. (Diese Minimalgröße hängt gleichzeitig mit der mittleren C-Sequenz-Länge, d.h. dem mittleren Abstand zwischen zwei nicht kristallisierbaren Fehlern x c x nc in der Polymerkette zusammen.) Für die mittlere Schichtdicke der CSMK´s gilt demzufolge: y p (T ) xc y (T ) x nc (Eq. 1.12) und für den Volumenanteil der kristallisierten C-Sequenzen: y(T )1 wp xc b y (T )x nc x c Die wichtigen Parameter g y p (T ) (Eq. 1.13) und w p können damit mit der kritischen C- Sequenzlänge y (T ) in Verbindung gebracht werden. 1.1.4. Verstreckungen semikristalliner Polymere Für Verstreckungen gehen wir nun dem Ansatz von Bueche [Bue 60] folgend davon aus, daß die Lamellen als starre Füllerteilchen nicht an der Deformation teilnehmen. Das ist aufgrund ihres im Vergleich zur amorphen Matrix wesentlich höheren E-Moduls sicher gerechtfertigt. Man kann zeigen, daß dann für die Dehnung der amorphen Bereiche i gilt: 14 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen i v 1f n (Eq. 1.14) 1n 1 v f Hierbei ist die makroskopische Dehnung der Probe, und v f der Volumenanteil des Füllers (d.h. der Kristallamellen). Mit Hilfe des Parameters n kann dabei berücksichtigt werden, in welcher Form die Verbindung zwischen Matrix und Füller hergestellt wird: Für n 1 sind beide als unendlich ausgedehnte Blätter in Reihe hintereinander gestapelt (Compound), für n 3 ist der Füller eine starr in die Matrix eingebettete Kugel. Für die weiteren Rechnungen gehen wir von n 3 aus. 1.1.5. Zerstörung des Netzwerks durch Überdehnung Dieses Modell verliert seine Gültigkeit leider bereits bei relativ geringen Dehnungen. Die Ursache dafür ist, daß bei größeren Deformationen die Füllerteilchen plastisch deformiert, mitgeführt und umgeordnet werden (vgl. Lamellen-Filament-Umordnung). Eine Theorie von Kilian und Mitarbeitern [End 85, Kil 87, Kil 88] trägt dem Rechnung, indem v f durch einen vom Verstreckgrad abhängigen Fülleranteil v f ersetzt wird: v f ( ) vf (Eq. 1.15) Für die Dehnung der amorphen Bereiche ergibt sich damit: Fv I G J H K Fv I 1 G J H K 1n f i 1n (Eq. 1.16) f Das bedeutet, daß das Netzwerk mit zunehmender Verstreckung mehr und mehr zerstört wird. Der Kristallanteil geht ständig zurück, während die überproportional starke Dehnung der amorphen Bereiche, die bei kleinen Verstreckgraden noch die Hauptlast tragen, abnimmt, bis im Grenzfall für große Verstreckungen v f 0 und i gilt. Das ist in Übereinstimmung mit elektronenmikroskopischen Aufnahmen, die Hinweise für die Entstehung immer länger werdender, fibrillärer Strukturen mit zunehmender 15 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Verstreckung liefern (Fig. 1.2, rechts). Dies bedeutet, daß eine Zerstörung (oder zumindest Umwandlung) der Kristallfüller stattfinden muß, wodurch wiederum die effektive Kettenlänge in den amorphen Bereichen steigt. Hierfür gilt die Beziehung: y m ( ) y p (T ) 1 u u (Eq. 1.17) Wir haben hierbei Gebrauch von der häufig verwendeten Abkürzung: d i u: w p 1 3 (Eq. 1.18) gemacht. y m ( ) ist nunmehr die mittlere effektive Kettenlänge in den amorphen Bereichen, und y p ( ) die mittlere effektive Kettenlänge in den Kristalliten (d.h. die Kristallitdicke). ist ein Parameter, der festlegt, wie sich die effektive Kettenlänge aus der Struktur des Netzwerks berechnet. In Analogie zur Gauß-Kette, für die der mittlere End-zu-End-Abstand der Ketten gleich der Wurzel der gesamten Kettenlänge ist, kann man auch für das van-der-WaalsNetzwerk annehmen, die ´entspannten´ Ketten seien gerade so konfiguriert, daß ihr End-zu-End-Abstand gleich der Wurzel der Gesamtlänge ist. Anders als beim Phantomnetzwerk ist diese Verstreckung gleichzeitig die maximal erreichbare, jenseits derer es zum Kettenriß kommt. Dafür gilt entsprechend: m y m (T ) (Eq. 1.19) Dies ist der erste phänomenologische Parameter, den wir zur Beschreibung des van-derWaals-Netzwerks einführen müssen. Er entspricht formal dem Kovolumen der Moleküle (endliche Kompressibilität endliche Verstreckbarkeit) im van-der-WaalsGas. 16 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 1.1.6. Wechselwirkung der Netzwerkketten Der zweite phänomenologische Parameter a berücksichtigt die Wechselwirkung der Netzwerkketten untereinander, die einander sich nicht mehr wie beim Gauß-Netzwerk ungehindert durchdringen können. Kilian und Mitarbeiter fanden [Kil 81, Kil 84, Vil 84] damit als Spannungs-DehnungsGesetz: f LM N RT 1 D( i ) a ( i ) 2 1 M u m O PQ (Eq. 1.20) Man beachte, daß f hierbei wiederum die auf den Anfangsquerschnitt der Probe normierte Nominalspannung ist. Es bedeuten weiter( i ) LM N O PQ 1 2 2 i 3 , 2 i (Eq. 1.21) D(i ) ( i ) i , (Eq. 1.22) ( i ) ( m ) . (Eq. 1.23) M u ist hierbei die Molmasse, die für Polyäthylen gleich der Masse einer CH 2 -Gruppe, der kleinsten verstreckinvarianten Einheit, gesetzt wird. Die Vorfaktoren werden üblicherweise zum Netzwerkmodul zusammengefaßt: G RT M u 2i (Eq. 1.24) (Eq. 1.20) beschreibt das Netzwerk als rein entropiebestimmtes System, m.a.W., es bezieht seine der Verstreckung entgegengesetzte Kraft aus dem Bestreben der amorphen Bereiche, wieder in die für sie entropisch günstigste Konfiguration zurückzukehren. Das Auftreten des Thomson-Effekts (Vgl. Abschnitt 1.3) und die Tatsache, daß die verschiedenen Rotationsisomeren der Kettenkonformationen nicht isoenergetisch sind (die Verstreckung erzwingt eine höhere Besetzung der energetisch tiefer liegenden 17 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen trans-Konformationen), erfordern jedoch die Berücksichtigung energieelastischer Terme, insbesondere bei kleinen Verstreckgraden. Flory führte als einfachste Korrektur einen ´Memory-Term´ ein [Flo 56]. Dieser führt zu einer geringfügigen Änderung des Netzwerkmoduls, nämlich: 2 r RT G M u 2m r02 Dabei sind r2 (Eq. 1.25) bzw. r02 die Quadrate der mittleren End-zu-End-Abstände der Netzwerk- bzw. der freien Ketten. Der Memory-Term wird i.a. bei der Berechnung der Spannungs-Dehnungskurven vernachlässigt, er muß allerdings zur Erklärung von thermischen Effekten berücksichtigt werden. 1.1.7. Korrekturterm: Erzeugung und Anregung zusätzlicher Oszillatoren Problematisch an dem obigen Ansatz ist, daß er die beobachteten SpannungsDehnungskurven nur bei mittleren und hohen Verstreckgraden gut beschreibt. Zudem bleibt die Geschwindigkeitsabhängigkeit der für die Verstreckung notwendigen Spannung in dieser Formulierung ebenfalls unberücksichtigt. Ein von Borst [Bor 91] eingeführter Zusatzterm zu (Eq. 1.20), der nach einer auf Koenen [Koe 86] zurückgehenden Idee lokale Oszillatoren berücksichtigen sollte, die bei der Bildung fibrillärer Strukturen zu Beginn des Verstreckvorgangs entstehen und durch ihre Anregung Energie aufnehmen würden, lautete: F1 I Ge J fZ w pE eH K c y (Eq. 1.26) Dabei war E ein Anpaßparameter, c der mittlere Dehngrad der Kristalle und ey deren Yieldgrenze. Dieser Zusatzterm war jedoch auch nicht in der Lage, die Diskrepanzen zwischen Messung und Standard-Theorie zu erklären. 18 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 1.2. Das spannungsaktivierte Netzwerk "Pi´s Gesicht war von einer Maske bedeckt, weil, wie jedermann wußte, kein Mensch je den Anblick dieses Gesichts überleben würde. Aber hinter den Schlitzen der Maske konnte man die Augen erkennen: durchdringend, unerbittlich, kalt und rätselhaft." Bertrand Russell Zur Beschreibung polymerer Gläser, d.h. amorpher Polymere im Glasübergangsbereich, wurde das Modell des spannungsaktivierten Netzwerks entwickelt [Koe 86, Koe 91]. Es erklärt quantitativ das Auftreten eines ´Necks´, d.h. eines -bei höheren Verstreckraten auch bei LDPE zu beobachtenden- lokalisierten Phasenübergangs, der die gesamte Probe durchläuft. 1.2.1. Modellvorstellung In der Schmelze können wir uns ein amorphes Polymer ähnlich wie ein semikristallines, nur ohne dessen Kristallanteile, vorstellen: Die Ketten bilden ein Gauß-Netzwerk, sind mehr oder weniger frei beweglich und nur durch ´Entanglements´, d.h. Vernetzungen und Verhakungen untereinander, in ihrer Bewegung gehindert. Der große Unterschied ist, daß polymere Gläser i.a. unterhalb ihrer Glastemperatur beobachtet werden, was zu einem wesentlich höheren E-Modul als bei semikristallinen Polymeren führt. Der Grund dafür liegt darin, daß die Netzwerkketten durch die zu rasche Abkühlung bei der Probenpräparation weder auskristallisieren noch in wirkliche Gleichgewichtspositionen wandern konnten. Stattdessen wurden sie in ihren augenblicklichen Positionen (i.a. in möglichen Nebenminima des Potentials) eingefroren, aus denen sie sich nur herausbewegen können, wenn sie von außen (d.h. durch mechanische Spannung) angeregt (aktiviert) werden. Die Lage ist dann vergleichbar einer ´Kugel auf dem Waschbrett´ (Fig. 1.3), die sich, einmal über die durchschnittlichen Erhebungen des Umgebungspotentials hinaus ´angestoßen´, relativ frei bewegen kann. Allerdings muß man berücksichtigen, daß das einzelne Segment immer noch durch seine Kettennachbarn bzw. andere Ketten in der Nähe in seiner Bewegung gehemmt wird. 19 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Fig. 1.3: Modell des spannungsaktivierten Netzwerks: Ein Kettensegment sitzt in seiner Potentialmulde fest, bis es eine gewisse Aktivierungsenergie (mechanisch oder thermisch; gestrichelte Linie) erhält. Einmal angeregt kann es sich wie in der Schmelze über die meisten der Potentialhügel bewegen, gebremst nur durch benachbarte Kettensegmente, die der Bewegung u.U. nicht zu folgen vermögen. 1.2.2. Festkörper- und Netzwerkanteil der Spannung Die Spannung fG , die das polymere Glas einer Verstreckung entgegensetzt, besteht aus zwei Anteilen: Einmal einem enthalpischen Festkörperterm fE , der durch das Festkörperpotential gegeben ist, zum anderen durch einen entropischen Netzwerkterm fS , wobei das Deformationspotential für den quasistatischen, homogenen und isothermen Dehnungsprozeß proportional zur ersten Invarianten der uniaxialen Dehnung angesetzt wird. Für ein Festkörperpotential angenommen [Len 74]: LJ ( r) 0 wird üblicherweise LFGd IJ FGd IJ O M P M NHr K Hr K PQ 0 1 0 ein Lennard-Jones-Potential 2 (Eq. 1.27) (Übliche Parametersätze sind z.B. 1 8... 12 , 2 6 und d0 0. 2 nm ... 0. 5 nm für Gase.) Daraus ergibt sich für den Enthalpieanteil der Nominalspannung (vgl. Anhang): fE 0 1 2 LM1 1O N PQ (Eq. 1.28) Für den Entropieanteil erhält man einfach: 20 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen FG H IJ K 1 fS G (Eq. 1.29) 2 G ist hierbei wieder der Netzwerkmodul aus (Eq. 1.24). Wir bekommen also als Kraftgesetz: f f E fS 0 2 2 LM1 1O F 1 IJ G G P N Q H K (Eq. 1.30) 2 80 f/[arb.un.] 60 40 fE fS 20 0 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0 Fig. 1.4: Anteile des Festkörper- (durchgezogen) und des Netzwerkterms (gestrichelt) an der Nominalspannung des spannungsaktivierten Netzwerks. (Schema) 1.2.3. Der Neck als thermodynamische Konsequenz Betrachtet man die so aus Festkörper- und Netzwerkterm zusammengesetzte Spannung, aufgetragen über dem Verstreckgrad (Fig. 1.5), so stellt man fest, daß die Spannung ein Maximum erreicht, und danach abfällt, um erst nach einiger Zeit erneut anzusteigen. Ein solches Verhalten ist klarerweise mechanisch instabil und darf deshalb nicht vorkommen. In Analogie zum van-der-Waals-Gas muß sich nun ein Phasenübergang ereignen [Ger 86]: Ab einer bestimmten kritischen Verstreckung bleibt die Kraft bei weiter zunehmender Dehnung konstant, bis ein zweiter kritischer Punkt erreicht ist. 21 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Während dieses Abschnitts gibt es zwei räumlich voneinander getrennte Bereiche, in denen die jeweilige Verstreckung bzw. ist, wobei die Phase mit ständig an Raum gewinnt, bis sie die ganze Probe erfüllt. Erst danach kommt es wieder zu einem Anstieg der Kraft. Solange der Phasenübergang stattfindet, durchläuft die Phasengrenze in Form eines Necks die Probe, an dem gleichzeitig die latente Wärme dieses Phasenübergangs frei wird. 80 f/[arb.un.] 60 40 20 ́´ ́ 0 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0 Fig. 1.5: Spannungs-Dehnungskurve des spannungsaktivierten Netzwerks. Durchgezogene Kurve: Addition von Festkörper- und Netzwerkterm. Zwischen und folgt der Spannungsverlauf der horizontalen Geraden, die oben und unten zwei gleichgroße Flächen aus dem Diagramm ausschneidet. Die kritischen Punkte und lassen sich hierbei durch die Maxwell-Konstruktion [Ber 70] berechnen: Die horizontale Linie konstanter Spannung, die an diesen Punkten beginnt und endet, muß aus dem Spannungsdehnungsdiagramm zwei gleich große Flächen herausschneiden. Diese Vorgänge erklären die beobachteten Spannungs-Dehnungskurven ziemlich genau bis auf einen kleinen Überschwinger der Kraft bei , der dadurch zustande kommt, daß die neue Phase erst nukleiert werden muß. 1.2.4. Lösung der Wärmeleitungsgleichung für den quasistationären Neck-Prozeß 22 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Die latente Wärme, die während des Neck-Prozesses freigesetzt wird, entsteht im wesentlichen aus der Orientierungsentropie des Netzwerks: Durch den sprunghaften Übergang zu einem wesentlich höheren Verstreckgrad verlieren die Ketten Entropie, wodurch sie die Wärme Q0 pro Volumen abgeben müssen. Man hat in diesem Fall eine Wärmequelle, die sich mit der Geschwindigkeit des Necks durch die Probe bewegt. Der allgemeine Ansatz der Wärmeleitungsgleichung lautet [Car 59]: 2 1 A T T T t K x 2 (Eq. 1.31) Es bedeuten dabei: T : Temperatur A : Wärmeerzeugungsrate K: Wärmeleitfähigkeit H : Wärmeübergangswert F: Probenquerschnitt U : Umfang der Probe : Probendichte c: spezifische Wärmekapazität af : K c : UH cF Die linke Seite der Gleichung steht dabei für die Wärmediffusion innerhalb der Probe, die rechte für die Erzeugung ( A K ) bzw. die Abgabe ( T ) von Wärme. Der Neck stellt idealerweise eine punktförmige Wärmequelle dar, die mit der Neckgeschwindigkeit v n (nicht notwendigerweise gleich der Verstreckgeschwindigkeit) durch die Probe wandert, d.h. für die Wärmequelle A aus (Eq. 1.31) gilt: A ( x , t ) Q0( x v nt ) (Eq. 1.32) Die Lösung von (Eq. 1.31) für einen in Raum und Zeit punktförmigen Wärmepuls (d.h. die Green´sche Funktion) lautet: T (x , t) 1 e t x2 t 4 t (Eq. 1.33) 23 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Die allgemeine Lösung für die durch die Probe wandernde Wärmequelle bekommt man, dank der Linearität der Differentialgleichung [Koe 91] durch Aufsummation der vielen nacheinander in der Probe entstehenden Wärmen: bx v tg 2 Q v 1 T (x , t) 0 n (t t ) e (t t ) e 4(t t ) d t 2 K t t z n (Eq. 1.34) ist hierbei die Sprungfunktion. Die Zeitabhängigkeit des Problems kann dadurch eliminiert werden, daß man eine Koordinatentransformation x x x v nt ausführt, wodurch der Neck quasistatisch betrachtet wird. (Beobachtung im mitgeführten Bezugssystem mit Neck im Ursprung.) Das einzige Problem, das jetzt noch zu lösen ist, besteht darin, daß die Probenteile, die noch nicht geneckt haben, einen geringeren Verstreckgrad besitzen, als jene, die das Necking bereits durchlaufen haben. Durch diese quasi-instantane Streckung wird Wärme konvektiv in ´hintere´ Bereiche der Probe abgeführt. Das kann durch eine zweite Koordinatentransformation für die hinter dem Neck liegenden Teile korrigiert werden: x x RSx T x x 0 x 0 (Eq. 1.35) 24 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 1.3. Thermoelastische Inversion: Der Thomson-Effekt "Es ist die Tragödie der Naturwissenschaften, daß schöne Theorien durch häßliche Tatsachen ermordet werden." Thomas Henry Huxley Bei kleinen Verstreckgraden (d.h. noch im elastischen Bereich) wird an Polymerproben eine geringe Abkühlung festgestellt, deren Ursache in einer Entropieerhöhung (und darum Temperatursenkung) liegt, die ihrerseits mit dem linearen Ausdehnungskoeffizienten verknüpft ist. Der Thomson-Effekt wurde erstmalig als Joule-Thomson-Effekt bei der adiabatischen Expansion von Gasen gemessen [Ber 70]. Ideale Gase entspannen sich dabei ohne Temperaturänderung, doch van-der-Waals-Gase müssen bei der Expansion gegen innere Kohäsionskräfte Arbeit verrichten, was zu einer Abkühlung führt [Pit]. Bei Festkörpern kann analog dazu ein ähnlicher Effekt beobachtet werden, dessen Auftreten jedoch damit erklärt wird, daß durch das Verstrecken der Probe auch die mikroskopischen Potentialminima, in denen die Kettenglieder sitzen, ´aufgebogen´ werden. Dadurch können quantenmechanisch betrachtet mehr Zustände in ihnen Platz finden, was zu einer plötzlichen Entropieerhöhung führt. Praktisch werden so neue Freiheitsgrade erzeugt, auf die im Moment ihrer Entstehung noch keine thermische Energie entfällt. (Fig. 1.6) Um auf die gleiche Temperatur wie die ´alten´ Freiheitsgrade zu kommen, müssen sie von diesen Wärme erhalten, so daß eine generelle Abkühlung eintritt. Alternativ dazu kann man argumentieren, daß eine Erwärmung der Probe zu ihrer Ausdehnung führt. Ebenso muß dann umgekehrt eine (durch Verstreckung erzwungene) Ausdehnung zur Wärmeaufnahme aus der Umgebung, also einer Abkühlung führen. 1 So oder so hängt jedoch beide male die Wärmeaufnahme mit dem linearen Ausdehnungskoeffizienten zusammen. 1Man könnte gegen diese Argumentation einwenden, daß in aller Regel angenommen wird, eine uniaxiale Verstreckung finde unter Volumenkonstanz statt. Die betrachteten relativen Volumenänderungen bei der thermischen Längenausdehnung liegen jedoch nur bei ca. 10-4, d.h. auch im Bereich der Abweichungen der o.a. Idealisierung. 25 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen x x U0 U0 Fig. 1.6: Erläuterung des Thomson-Effekts: Das Aufbiegen der Potentialparabel ermöglicht mehr Zustände mit Energien unter U0 . Dadurch erfolgt ein Absinken der mittleren Energie der Teilchen, d.h. eine Abkühlung. Mit (Eq. 1.5) und der Bedingung für adiabatische Vorgänge: Q Td S (Eq. 1.36) erhält man: FGFIJ FGl IJ Hl K HT K FGQ IJ Hl K T d Q T FGl IJ HT K p,T p,T (Eq. 1.37) p, F bzw.: (Eq.1.38) dF p, F Für nicht allzugroße Temperaturdifferenzen kann die Längenänderung proportional zur Temperaturänderung angenommen werden: b g l(T ) l(T0 ) 1 (T T0 ) (Eq. 1.39) 26 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen und man erhält für den linearen Ausdehnungskoeffizienten: 1 dQ l0T d F (Eq. 1.40) Möglicherweise führt bei Polymeren nicht die Aufweitung der Potentialmulden zur Abkühlung, sondern in gewissem Grad die Erzeugung von Entropie durch Herausziehen von Kettensegmenten aus den Lamellen, wodurch sich die mittlere Kettenlänge erhöht und für die einzelnen Ketten eine größere Zahl äquivalenter Konfigurationen zur Verfügung steht. Jeder andere Mechanismus zur Defekterzeugung hätte denselben Effekt. Der Thomson-Effekt ist (bei Polymeren) nur bei sehr kleinen Verstreckgraden zu beobachten, obwohl er natürlich immer stattfindet. Jenseits des elastischen Bereichs wird er jedoch durch plastische Verformung, Schmelzen und Rekristallisation, etc., rasch überdeckt. 27 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 1.4. Das Schermodell "Und ich verlegte mich darauf, Weisheit und Wissen zu erkennen, Torheit und Narrheit. Ich mußte erkennen: Auch dies ist ein Jagen nach dem Wind. Denn bei viel Weisheit ist viel Verdruß, und wer Erkenntnis mehrt, mehrt Kummer." Prediger, 1:17-18 Bei der Auswertung der Spannungs-Dehnungskurven treten Diskrepanzen zwischen der Messung und den Vorhersagen des van-der-Waals-Modells auf. Elektronenmikroskopische Aufnahmen [Kne 93] (Fig. 1.2) legen nahe, daß gleichzeitig eine Lamellen-Filament-Umwandlung stattfindet. Verbindet man diese Umwandlung mit einer Oberflächenenergie an der Grenze zwischen kristallinen und amorphen Bereichen, so erhält man einen Korrekturterm. Bilder aus dem Transmissions-Elektronenmikroskop belegen, daß sich bei mittleren Verstreckgraden eine Umordnung der Lamellen-Kristallite zu Filamentstrukturen ereignet, die etwa bei 2 abgeschlossen ist. Röntgenstrukturanalysen [Wil 81] bestätigen dies und führen darüberhinaus zu der Vermutung, daß solche Umwandlungen durch Scherprozesse stattfinden Im Verlauf dieses Schervorgangs werden Kristallin-kristallin-Grenzflächen zwischen den Lamellenblöcken vernichtet und Kristallin-amorph-Grenzflächen erzeugt. Im Modell nehmen wir an, die Lamelle bestehe aus einer Kette tetragonaler Kristallite mit quadratischem Querschnitt. Die Länge eines Quaders in Lamellenrichtung betrage l , lateral dazu in beiden Richtungen d . (Fig. 1.7) d d Fig. 1.7: Aufbau eines ModellLamellenstapels. Schraffiert: Grenzflächen, die im Verlauf des Schervorgangs von Kristallkristallin- zu Kristall-amorphGrenzflächen umgewandelt werden. l Berücksichtigt werden soll nur die schraffiert dargestellte Fläche, die im Verlauf der Scherung von 28 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen einer Kristallin-kristallin-Grenzfläche zu einer Kristall-amorph-Grenzfläche umgewandelt wird. Verstreckrichtung Fig. 1.8: Verkippung eines Lamellenstapels (schematisch). Eine Seitenansicht in dem Koordinatensystem, das während der Scherung so mitgedreht wird, daß sich die Orientierung (nicht die Lage) der Kristallitblöcke zu den Koordinatenachsen während der Verstreckung nicht ändert (Fig. 1.9), liefert einige einfache geometrische Beziehungen: Fig. 1.9: Verkippung im gedrehten Koordinatensystem. Dunkel schraffiert: Kristallinamorph Grenzflächen aca; hell schraffiert: Kristallin-kristallinGrenzflächen acc . 1.4.1. Verstreckgrad und maximale Verstreckung ist definiert über: : l l (Eq. 1.41) Wir lesen sofort den Zusammenhang zwischen Kippwinkel und Verstreckung ab: l l 1 tan 2 ( ) 1 tan 2 ( ) (Eq. 1.42) Der maximale Verstreckgrad, bei dem der Scherprozeß abbrechen muß, ist erreicht, wenn gilt: 29 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen tan ( ) d l (Eq. 1.43) d.h. mit (Eq. 1.42): max Fd I 1 G J Hl K 2 (Eq. 1.44) Das steht in guter Übereinstimmung mit dem Experiment. Nimmt man an, daß d 2l gilt, folgt max 5 2. 2 . Bis dahin ist die Lamellen-Filament-Umwandlung tatsächlich abgeschlossen. 1.4.2. Grenzflächen in Abhängigkeit vom Verstreckgrad Für die (stark gestörten) Kristallin-kristallin-Grenzflächen acc und die Kristallinamorph-Grenzflächen aca des einzelnen Kristallitblocks gilt in Abhängigkeit von der Verkippung: acc 2d 2 2ld tan ( ); aca 2ld tan ( ) (Eq. 1.45) Mit (Eq. 1.41) erhalten wir für die Abhängigkeit von : acc 2d 2 2ld 2 1 aca 2ld 1 (Eq. 1.46) 2 für max . 30 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 1.4.3. Änderung der Oberflächenenergie Die Änderung der einzelnen Kristallitoberflächenanteile beträgt: d acc 2ld 2 d 1 d aca da cc d d (Eq. 1.47) Es seien nun cc und ca die Oberflächenenergien für die Kristallin-kristallin- bzw. Kristallin-amorph-Oberflächen. Dann gilt für die Kraft, die aus der Änderung der Oberflächenenergie in Abhängigkeit von resultiert: f dq 2ld ( ca cc ) d 2 1 q0 1.4.4. 1 2 (Eq. 1.48) & q0 : 2ld ( ca cc ) Korrektur der Spannungs-Dehnungskurve Bislang galten in diesem Abschnitt alle Berechnungen für einen einzigen mikroskopischen Kristalliten. f ( ) war die Kraft, die benötigt wurde, um zwei Kristallite gegeneinander abzuscheren. Der Kristallanteil im Polymer betrage w p . Dann ist die Dichte der Lamellenblöcke gerade: n wp ld 2 (Eq. 1.49) Für die Spannung gilt: Spannung = Kraft/Fläche = Arbeit/Volumen. Daraus folgt: n f () (Eq. 1.50) Es sei : ca cc der Unterschied zwischen den beiden Oberflächenenergien. Damit und mit der Identität d y p ist der Scheranteil der Nominalspannung: 31 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Scher 2 wp yp (Eq. 1.51) 1 2 Unter der Annahme, daß Scher gerade der Unterschied zwischen gemessener und aus der van-der-Waals-Theorie erwarteter Oberflächenenergie leicht berechnen: Scher yp wp Nominalspannung 2 1 2 ist, kann man die (Eq. 1.52) bzw., falls diese Differenz unabhängig von ist: Scher 0 yp (Eq. 1.53) wp 5 aca 4 f Fig. 1.10: Änderung der Kristall-amorph-Oberflächen (gestrichelt) und Verlauf der aus der Oberflächenenergie resultierenden Kraft (durchgezogen). arb.un. 3 2 1 0 0,5 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0 32 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 2. VERSUCHSAUFBAU UND -DURCHFÜHRUNG "If of the many truths you select one and follow it blindly, it will become falsehood and you will become a fanatic." Damon Hastings Verstreckkalorimetrie mit der Infrarotkamera bietet gegenüber koventionellen Kalorimetern zwei wesentliche Vorteile: Zum einen liegt die Zeitkonstante der Kamera im Zehntelsekundenbereich, zum anderen können durch die Ortsauflösung des bildgebenden Systems homogene und heterogene Anteile der Wärmeentwicklung voneinander separiert werden. Der Nachteil der Methode liegt in der begrenzten Genauigkeit von Infrarotkameras und der Delikatesse des Umgangs mit Infrarotstrahlung. Gemessen wird nämlich nicht nur die von der Probe emittierte Strahlung, sondern auch Wärmestrahlung der Umgebung, die über Transmission bzw. Reflexion detektiert wird, was z.T. erhebliche Probleme verursacht. CCD #2 Zwick 525 U-Matic CCD #1 PFG+ IR/Lambda Fig. 2.1: Schematischer Versuchsaufbau für Verstreckmessungen. V.l.n.r.: Zwick 1445 mit Temperierkammer, IR-Kamera mit zwei optischen CCD-Kameras, U-Matic Videorecorder, 386´er PC mit Softwarepaket IR/Lambda u. PFG+-Bildverarbeitungssystem. 33 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Der Versuchsaufbau für Verstreckmessungen sieht im allgemeinen wie in Fig. 2.1 aus: In der Verstreckapparatur (Zwick 1445) ist die Probe eingespannt. Auf sie sind sowohl die Infrarotkamera (Inframetrics Mod. 525) als auch eine (optische) CCD-Kamera gerichtet. Letztere dient dazu, über die Messung des Abstands auf der Probe angebrachter Markierungsstriche den aktuellen Verstreckgrad zu bestimmen. Eine zweite CCD-Kamera beobachtet die digitale Anzeige des Kraftaufnehmers. Fig. 2.2: Versuchsaufbau, aufgenommen hinter den Kameras. In der Mitte ist die IR-Kamera mit Scanner und Kontrollgerät zu sehen, rechts die CCD-Kamera. Im Hintergrund befindet sich die Verstreckapparatur mit der Temperierkammer und dem hell erleuchteten Beobachtungsfenster. Die Signale der drei Kameras werden über zwei Bildmischer einem Titelgenerator zugeführt, der die Einblendung verschiedener Daten zum Versuch (Proben-ID, Umgebungstemperatur etc.) oder einer Stoppuhr erlaubt. (Fig. 2.3) Das kombinierte Signal wird dann mit einem U-Matic Videorecorder zur späteren Auswertung aufgezeichnet. 34 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Fig. 2.3: Verkabelung von Kameras, Bildteilern und Titelgenerator f. d. Verstreckexperimente. Durchgezogen: Signalleitungen; gestrichelt: Synchronisationsleitungen. Probe Kraftanzeige 105,2N Zur Auswertung werden die Aufnahmen dem digitalen Bildverarbeitungssystem (Imaging Technology PFG+) überspielt. (Fig. 2.4) Dies wandelt in einem ersten Schritt das erhaltene Infrarotbild mit Hilfe zuvor durchgeführter Kalibrierund Reflexionsmessungen in ein Temperaturbild um. Bild für Bild können nun mittlere Temperaturen über einen Bildausschnitt, der die Probe zeigt, sowie Temperaturprofile längs einer Linie, Verstreckgrade (aus dem optischen Bildausschnitt) und die Kraft (manuelle Eingabe nach Ablesen des entsprechenden optischen Bildausschnitts) bestimmt werden. Daraus werden Meßwertdateien erstellt, die numerisch ausgewertet wurden. IR 525 CCD #1 CCD #2 Kontrollgerät Bildteiler #1 O 2 I O 1 I Mon. Bildteiler #2 O 2 I O 1 I Mon. Titelgen.& Stoppuhr U-Matic 35 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Kraf tanzeige CCD#1 Probe IR-Bild CCD#2 Kraf tauf nehmer IR 525 Inf rarotbild Fig. 2.4 (oben): Videoaufnahme der Verstreckung. Bildteiler #2Sichtbar sind v.l.n.r. die CCD-Aufnahme der Probe, die Kraftanzeige, sowie das Infrarotbild der neckenden Probe mit Stoppuhr. Unten verläuft der synthetische Graukeil. Fig. 2.5 (links): Bildteiler #1Schema der Zusammsetzung des Videobilds nach Durchlaufen der beiden Bildteiler 36 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 2.1. Verstreckapparatur Zwick 1445 "Magic is Real, unless declared Integer." Claus Brod Die Verstreckapparatur Zwick 1445 wird über einen Gleichstrom-Reglerantrieb gesteuert. Der Meßverstärker sitzt in einer eigenen Temperierkammer, die ihn konstant bei 65 1 C hält, um eine Verfälschung der Ergebnisse durch Spannungen infolge a f Wärmeausdehnung zu vermeiden, was eine Vorlaufzeit zwischen Einschalten und erster Messung von 30 Minuten erfordert, ehe die Nullpunktsdrift eliminiert ist. Ein aktiver Tiefpaßfilter am A/D-Wandler soll kurzfristige Störspannungen neutralisieren. Details sind der folgenden Tabelle zu entnehmen: Verstreckgeschwindigkeit: . mm min v 1000.0 mm min v . mm min Kraftaufnehmer: Nennlast: Fmax kN a) F . N Tiefpaßfilter: Butterworth 6. Ordnung, Grenzfrequenz: fG Hz a) Abhängig vom Kraftaufnehmer bis zu 5 kN Tab. 2.1: Techische Daten der Verstreckapparatur Zwick 1445 2.1.1. Temperierkammer In die Meßnische der Verstreckapparatur kann die Infrarot-Temperierkammer eingefügt werden, die von M. Saile im Rahmen einer früheren Diplomarbeit speziell zur Verwendung mit der Infrarotkamera entwickelt wurde [Sai 92]. Konventionelle Temperierkammern erwiesen sich dabei als nicht geeignet, da deren Glasfronten für IR-Strahlung undurchlässig sind und das Umluftprinzip zu Wirbeln führt, die jegliche an der Probenoberfläche freigesetzte Wärme sofort abführen würden. Die IR-Temperierkammer besteht aus Aluminium mit einer Isolierung der Außenwände in Form von fünf Zentimetern Glaswolle. Die Kammer selbst ist durch mehrere horizontale Trennplatten gegen Konvektion weitgehend geschützt. Oben und unten befinden sich Öffnungen, durch die die Probenhalter eingeführt werden können. Die Beobachtung geschieht durch eine kleine Frontklappe. 37 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Die Heizung ist mit vier IR-Strahlern bestückt ("Kebab-Grills"). Sie werden über ein PID-Regelelement gesteuert, das den aktuellen Wert der Kammertemperatur durch ein neben der Probe frei aufgehängtes Thermoelement erfält. Dadurch sind Messungen bei Temperaturen bis zu 160 °C möglich, wobei die Schwankungen unter 0.2 °C betragen. Fig. 2.6: Temperierkammer mit eingebauten Spannbacken und gerissener Probe. Sichtbar sind die Trennböden, die eine Abkühlung der Probe durch Konvektion verhindern sollen. 38 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 2.2. Infrarotkamera Inframetrics Mod. 525 "Der Reiseführer ´Per Anhalter durch die Galaxis´ sagt [...] von den Produkten der Sirius Cybernetics Corp, daß ´es sehr leicht ist, sich durch die Genugtuung darüber, daß man sie überhaupt zum Funktionieren bringt, über ihre grundsätzliche Nutzlosigkeit wegtäuschen zu lassen´. Mit anderen Worten -und das ist das felsenfeste Prinzip, auf dem der ganze galaxisweite Erfolg der Sirius Cybernetics beruht- ihre grundsätzlichen Konstruktionsfehler werden durch ihre oberflächlichen Gestaltungsfehler vollkommen vertuscht." Douglas Adams: Macht´s gut, und Danke für den Fisch Seit ihrer Einführung wurden Infrarot-Kameras in einer Vielzahl von physikalischen Fragestellungen eingesetzt [z.B. Swe 88], unter anderem in der Polymerforschung [Mah 80]. Wie bereits erwähnt, ist die große Apparateträgheit von konventionellen Kalorimetern ein Problem. Andere Methoden, wie etwa das Bekleben der Probe mit Thermoelementen [Fis 88] sind sehr aufwendig und wegen ihrer Rückwirkungen auf die Probe wenig beliebt. Demgegenüber kann die Infrarotkamera schnell, ortsaufgelöst und berührungsfrei arbeiten. Fig. 2.7: Detailaufnahme der IRKamera: Vorne das Kontrollgerät, oben der Scanner (von hinten). Beide Einheiten waren zusammen auf einem fahrbaren Stativ befestigt. Damit wird es nun möglich, das Auftreten eines Necks zu bestimmen und seine Wärmeentwicklung von der homogenen Erwärmung des Untergrunds abzuziehen. Außerdem können Versuche mit wesentlich größeren Verstreckgeschwindigkeiten als mit Kalorimetern durchgeführt werden, ohne daß eine nennenswerte Verschmierung durch die Apparateträgheit stattfindet. 39 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Diese Vorteile werden dadurch erkauft, daß Infrarotkameras den Kalorimetern gegenüber eine wesentlich geringere Temperaturauflösung besitzen (maximal T . K , bei unserem Modell immerhin noch T . K ). Bei früheren Arbeiten von Koenen [Koe 91] und Saile [Sai 92] war dies kein Problem, da die erzielten Temperaturänderungen zehn Grad und mehr betrugen und im quasistatischen Fall betrachtet wurden. Unsere Messungen lieferten jedoch höchstens einige wenige Grade und erforderten eine Beurteilung der dynamischen Entwicklung. Ein prinzipielles Problem ist, daß die IR-Kamera nur ein Infrarotbild liefert. Um daraus ein Wärmebild der Probe zu erhalten, muß erst die Umgebungsstrahlung abgezogen werden, was nur näherungsweise geschehen kann, indem man annimmt, die Umgebung streue diffus mit überall gleicher Temperatur. Daraus wird in einer Temperierkammer mit IR-Heizelementen natürlich ein gewagtes Unterfangen. Die Funktionsweise der Kamera wird durch Fig. 2.8 [Inf] dargestellt. Fig. 2.8: Rißzeichnung der IRKamera. Die wichtigsten Einheiten: (1) einfallender Strahl, (2) Germanium-Fenster, (3) (4) horizontaler und vertikaler Ablenkspiegel, (5) Chopper, (6) Blende, (7) Umlenkspiegel, (8) Fokussierungsoptik, (9) Detektor, (10) Dewar. Aus [Inf]. Aus der einfallenden Strahlung wird durch einen Germanium-Filter unerwünschtes sichtbares und nahes infrarotes Licht absorbiert. Die Reststrahlung wird über einen Chopper, eine Blende und mehrere Spiegel zur Fokussierungsoptik geführt und fällt von dort auf den Detektor. Dieser Detektor wird durch einen mit Flüssigstickstoff gefüllten Dewar gekühlt, um zu verhindern, daß er bereits durch seine eigene Wärme leitfähig wird. Die Kamera ist nur mit einem einzelnen Punktdetektor ausgerüstet, so daß, um ein zweidimensionales Bild zu erhalten, die Szenerie über schwingende Ablenkspiegel 40 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen zeilenweise abgetastet werden muß. Dieses Prinzip hat zur Folge, daß der etwas träge Detektor ´scharfe´ Temperatursprünge nur ziemlich verwischt darstellt. Die folgende Tabelle gibt die wichtigsten Daten der Infrarotkamera wieder: Detektortyp: Hg x CdxTe; x . Temperaturbereich: C T 1300 C Dynamikbereiche: 10 / 20 / 50 / 100 / 200 / 500 K Temperaturauflösung T . K (Vollbild); (Dynamikbereich: 10 K): T . K (Line Scan) Spektralbereich: 8 m 12 m Bildformat (je Halbbild): 250 pixel 200 pixel Winkelauflösung: (Herstellerangabe) (eigene Messung) Fokusbereich: keine Beschränkung Tab. 2.2: Technische Daten der Infrarot-Kamera Inframetrics Mod. 525 Neben dem Vollbildmodus kann die Kamera auch im Line-Scan-Modus betrieben werden, wobei der vertikale Ablenkspiegel ausgeschaltet ist, so daß immer dieselbe Bildzeile gescannt wird. Der Vorteil der Methode besteht darin, daß die so erhaltenen Grauwerte bis zu zweihundert mal pro Anzeige gemittelt werden und so intrinsisch eine höhere Genauigkeit erreicht wird. Die praktisch erreichbare Genauigkeit wird jedoch durch die Auflösung des Profils auf dem Bildschirm auf ca. 0.1 °C begrenzt. Da überdies nur horizontale Linien gescannt werden können und ein Kippen der Kamera sich wegen des Flüssigstickstoffs verbietet, wurde dem Vollbildmodus mit Mittelung über AOI´s 2 der Vorzug gegeben. 2AOI: Area of Interest, d.h. berücksichtigter Bildausschnitt 41 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 2.3. Bildverarbeitungssystem PFG+ Imaging Technology "The number of Unix-installations has grown to 10, with more expected." The Unix programmer´s manual, 2nd ed., June 1972 Die Umwandlung der Infrarot- in Wärmebilder und die Erzeugung von Dateien zur Auswertung wird von der PFG+-Karte übernommen, die von einem 286´er PC (inzwischen ein 486´er) gesteuert wird. Die Ansprache erfolgt über das von Joachim Koenen entwickelte Programmpaket IR/Lambda [Koe 91]. Über einen 8bit-A/D-Wandler erzeugt die PFG+-Karte aus den Videosignalen in Echtzeit Bilder mit 512 512 Pixeln in 256 Graustufen. Die 256 Graustufen können wiederum über eine von 8 Look-up-tables [Iti 87] in Falschfarben umgewandelt werden. Außerdem erlaubt die Karte verschiedene arithmetische Operationen mit den Bilddaten, wie Bildmittelung, Erstellung von Histogrammen oder Temperaturprofilen, sowie Maßnahmen zur Bildverbesserung (Rauschunterdrückung, etc.). 2.3.1. Bildverarbeitungssoftware "IR/Lambda" Dieses in Microsoft C geschriebene Programmpaket stellt die Schnittstelle zwischen DOS und der PFG+-Karte dar. Mit Makro-Kapazitäten stellt es dem Benutzer im wesentlichen folgende Funktionen zur Verfügung: 42 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Graukeilequilisation3 Wahl der Kalibriertabelle (vgl. 3.1.1) Berücksichtigung des Emissionskoeffizienten Umrechnung des Infrarot-Graustufenbildes in ein Temperaturbild Bearbeitung der AOI Erstellung von Temperaturprofilen Falschfarbendarstellung Bildfilterung zur Rauschunterdrückung Erfassung von Zeit und Kraft Halbautomatische Berechnung der lokalen Dehnung Ausgabe von Meßwertdateien Unterstützung bei Kalibriermessungen Unterstützung bei Messungen des Emissionskoeffizienten 3Zur Korrektur von Verzerrungen während der elektronischen Übertragungskette 43 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 2.4. Probenmaterial und -präparation "Drei Dingen sollten Sie niemals nachlaufen: Bussen, Frauen und neuen Theorien." Wolfgang Schleich 2.4.1. Low-Density Polyäthylen: Lupolen 1840D Für die Untersuchungen an LDPE wurde Lupolen 1840D von der Firma BASF verwendet. Die wichtigsten Daten ´ab Werk´ zeigt die folgende Tabelle [Lup]: 3 Dichte: ( . ... . ) g cm Schmelzpunkt: TC C Molmasse: Vernetzungen: CH 3 C Maximaler Verstreckgrad: C . ... . Darreichungsform: farbloses Granulat Weitere Zusätze: -keineTab. 2.3: Eigenschaften von LDPE 1840 D Es ist jedoch nicht auszuschließen, daß durch die inzwischen mehrjährige Lagerung des Granulats eine gewisse Alterung eingetreten ist. Aus dem Granulat wurden in einer beheizbaren Presse Platten gebacken. Dazu wurde auf eine Aluminiumplatte eine Glasscheibe, und darauf wiederum ein MessingZwischenring gelegt. In dessen Leerraum wurde das Granulat in einer Tasche aus Teflonfolie gebettet, um ein Ausfließen des LDPE während des Backvorgangs zu vermeiden. Darüber wurden wieder eine Glasscheibe sowie eine zweite Aluminiumplatte angebracht, wobei die Glasscheiben für möglichst glatte Oberflächen der fertigen Platte sorgen sollten. Die Verwendung von Teflonspray statt einer Folie wäre ebenfalls möglich gewesen, wurde jedoch wegen der schwer vorherzusehenden Effekte auf die Oberflächeneigenschaften des LDPE verworfen. 44 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Die genaue Dosierung des Granulats erforderte ebenso einiges Experimentieren, wie die Entwicklung eines ´Backprogramms´, bei dem zwar die Granulen völlig aufgelöst wurden, aber noch keine Oxidation eingetreten war. Das Programm, nach dem die Proben gebacken wurden, die schließlich in den Spannungs-Dehnungsmessungen verwendet wurden, sah wie in Fig. 2.9 aus: 50 Kraft d. Presse Temperatur 250 15´ 40 45´ 200 150 20 100 10 50 b a 0 20 d c 40 60 80 e 100 0 120 f/[kN] T/[°C] 30 Fig. 2.9: Backvorgang für die LDPE-Platten, aus denen später ´Hundeknochen´-Prüflinge gestanzt wurden. Die Phasen im Einzelnen: a) Aufheizen, b) gleichmäßige Erwärmung der Platte, c) Backen, d) Entspannung, e) Entnahme (danach Abkühlung an der Luft) t/[min] Nach dem Backen quadratischer Platten von etwa 12 cm Seitenlänge, wurden hieraus ´hundeknochenförmige´ Proben gestanzt. Diese wurden mit den dicken Enden in die Probenhalter eingespannt, während der quaderförmige Mittelteil etwa die Abmessungen (20 4 2.7) mm 3 (Länge Breite Höhe) besaß. 2.4.2. High Density-Polyäthylen: Lupolen 6011L Ursprünglich war vorgesehen, auch Verstreckmessungen an dieser Polyäthylen-Spezies vorzunehmen und in der Tat wurde bereits sein Emissionskoeffizient im Infrarot bestimmt. Es zeigte sich jedoch, daß die HDPE-Platten -wie alle amorphen Polymerenach dem Backen abgeschreckt werden mußten, um bei der Verstreckung einen Neck zu zeigen. Geschah dies nicht, rissen sie einfach bereits bei sehr kleinen Verstreckgraden. Das Abschrecken erzeugte nun bei relativ dicken Proben d mm ´Ripples´ (d.h. körnige und wellenartige Strukturen) auf der Oberfläche, die sie natürlich vollkommen ungeeignet für unsere Messungen machten. Machte man die Proben dünner, so neckten sie zwar schön und besaßen auch eine glatte Oberfläche. Ihr relativ niedriger Emissionskoeffizient führte jedoch dazu, daß bereits bei einer Probendicke von anfangs 1 mm nur rund 50% der registrierten Strahlung von 45 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen der Probe, der Rest aber von der Umgebung kommen würde. Im Verlauf der Verstreckung würde diese Intensität mit der Probendicke noch weiter absinken und uns immer größere Probleme verschaffen. Darum und aus Zeitgründen wurden keine Verstreckmessungen an HDPE mehr durchgeführt. 2.4.3. Linear Low-Density-Polyäthylen: Tipelin BS501 / FB472 Bei den von uns verwendeten Proben handelt es sich um semikristalline (Kristallistationsgrad: ca. 65%) (Ethylen--olefin)-Copolymere. Sie unterscheiden sich von LDPE durch ihre definierten Seitengruppen, die allerdings eine sehr inhomogene Verteilung besitzen, wobei die Dichte der Seitengruppen, also der Verzweigungsgrad, von der Kettenlänge abhängig ist. [Mat 85, Mir 87] Die Seitengruppenverteilung besitzt gleichzeitig einen starken Einfluß auf die Verteilung der Lamellendicken. Die folgende Tabelle zeigt die wichtigsten Daten des von uns verwendeten Tipelins [Bra 91]: Dichte Verzweigungsgrad g cm 3 CH 3 1000 C Kristallanteil w p BS 501-17 FB 472-20 0,950 0,950 0,6 2,0 0,75 0,73 Tab. 2.4: Eigenschaften von LLDPE BS-501 u. FB-472 Dabei wurde neben reinem LLDPE auch LLDPE mit einem Füllgrad von 20% verwendet. Füller waren hierbei Aluminium-Bor-Silikat-Glasfasern mit einem Faserdurchmesser von 10 µm und einer Länge von 60 µm [Wil 92]. Das Rohmaterial wurde im Tiszan-Vegyi-Kombinat in Ungarn hergestellt. Die fertigen Proben wurden uns freundlicherweise von R. Kraus überlassen. 46 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 3. UNTERSUCHUNGEN AN LDPE U. LLDPE MIT HILFE DER INFRAROT-KAMERA "I have the terrible feeling that, because I have a white beard and am sitting in the back of the theatre, you expect me to tell you the truth about something. These are the cheap seats, not Mount Sinai." Orson Welles: Someone to love Nachdem in der Vergangenheit die IR-Kamera bereits für Messungen an amorphen Polymeren eingesetzt wurde [Koe 91, Sai 92], sollten im Rahmen dieser Arbeit Untersuchungen an semikristallinen Substanzen, namentlich LDPE durchgeführt werden. Die Resultate wurden verglichen mit früheren Arbeiten mit der IR-Kamera [Mah 80], Experimenten an einem konventionellen Verstreckkalorimeter [Bor 91], sowie der van-der-Waals-Theorie von Polymeren [Kil 79, May 90]. Gemäß dem ersten Hauptsatz der Wärmelehre dQ dW dU (Eq. 3.1) läßt sich mit der IR-Kamera eine vollständige Energiebilanz aufstellen, da aus der von der Verstreckmaschine an der Probe geleisteten Arbeit dW und dem mit der IR-Kamera gemessenen in Wärme umgewandelten Bruchteil dQ auch die Änderung der inneren Energie dU der Probe bestimmt werden kann. Außerdem lassen sich erstmals die beim Neckprozess freiwerdenden Wärmen und jene der homogenen Verstreckung separieren. Leider wurde unsere Arbeit dadurch behindert, daß die Infrarot-Kamera über längere Zeit defekt war und mehrwöchige Verzögerungen bei der Messung der Wärmekapazität von LDPE auftraten. 47 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 3.1. Vorarbeiten "Ignore the man behind the curtain!" Wizard of Oz Unglücklicherweise liefert die Infrarotkamera nicht direkt ein Wärmebild ihrer Umgebung, sondern ein Graustufenbild der Infrarotstrahlung. In einem ersten Verarbeitungsschritt müssen diese Graustufen kalibriert und so InfrarotStrahlungsintensitäten zugewiesen werden. Die Kalibriermessungen werden durchgeführt, indem die Differenz der Grauwerte zweier möglichst idealer Schwarzer Strahler bei bekannter Temperaturdifferenz gemessen wird. Im darauffolgenden zweiten Schritt muß das IR-Bild in ein Temperaturbild umgerechnet werden. Das ist nötig, weil unsere Proben keine Schwarzen, sondern ´Graue´ Strahler mit 1 darstellen, die auch einen Teil der Umgebungsstrahlung widerspiegeln bzw. durchscheinen lassen. Dies geschieht mit Hilfe von kombinierten Messungen, die durch verschiedene geometrische Anordnungen von Proben und Schwarzen Modellstrahlern eine Separation der einzelnen Anteile erlauben. Der Abstrahlkoeffizient von LDPE muß bekannt sein, um die Energiebilanz um die an die Umgebung abführte Wärme zu korrigieren. Um die mechanische Arbeit mit Wärmeenergie in Verbindung zu setzen, muß außerdem die spezifische Wärmekapazität der Proben vorliegen. 3.1.1. Kalibriermessungen der Infrarot-Kamera "Ein Greuel für den Herrn ist zweierlei Gewicht, und trügerische Waage ist verwerflich." Sprüche, 20:23 Für die Kalibriermessungen wurden zwei temperierbare, möglichst ideale Schwarze Strahler vor der Kamera aufgestellt. Die Strahler bestanden dabei im wesentlichen aus einem mit schwarzem Samt ausgeschlagenen Rohr, das seinerseits von einem weiteren Rohr ummantelt war. Durch dieses konnte Öl gepumpt werden, das von außen durch einen separaten Thermostaten temperiert wurde. Da die Rohre Schwarze Strahler darstellen, kann bei ihnen davon ausgegangen werden, daß sie keine Umgebungsstrahlung reflektieren, sondern daß alle bei der Kamera eintreffende Strahlung auch wirklich von ihnen selber stammt. 48 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Rektal in die Rohre eingeführte Pt 100-Thermoelemente maßen kontinuierlich die Rohrtemperatur, während die IR-Kamera die eintreffende Strahlung aufnahm. Wurden beide Strahler geringfügig verschieden temperiert, so konnte bei einer bestimmten Referenztemperatur jeder Temperaturdifferenz eine Grauwertdifferenz zugeordnet werden, z.B.: I T 21. 1 T0 66.4 C Graustufen K (Eq. 3.2) Die Temperatur des kühleren Schwarzen Strahlers wurde danach gesteigert, bis sie um einige Grad über der des anderen Strahlers lag, während dessen Temperatur konstant gehalten wurde. Im Anschluß daran konnte -für eine höhere Referenztemperatur- wieder das Verhältnis von Grauwertdifferenz zu Temperaturdifferenz berechnet werden. Dieses Verfahren wurde so oft wiederholt, bis wir uns über den ganzen interessanten Temperaturbereich ´gehangelt´ hatten. Die auf diese Art erhaltene Meßkurve wurde anschließend noch an das Verhalten eines idealen Schwarzen Strahlers und die Empfindlichkeitscharakteristik der Kamera gefittet (Fig. 3.1), wobei als deren Absorptionskurve eine Lorentzkurve mit einem Halbwertsintervall gemäß den Herstellerangaben [Inf] von 8 µm-12 µm angenommen wurde. Mit Hilfe der so erhaltenen Referenzkurve erzeugten wir eine Tabelle, anhand derer IR/Lambda Grauwertdifferenzen in IR-Strahlungsdifferenzen umrechnen konnte. Diese Messungen wurden für die Dynamikbereiche 10 K (22-127 °C) sowie 20 K u. 50 K (22102 °C) durchgeführt. Der Vergleich mit früheren Kalibriermessungen zeigt eine geringfügig erhöhte Empfindlichkeit, deren Grund vermutlich ist, daß die Kamera im Rahmen einer Reparatur neu evakuiert und ihre Optik gereinigt wurde. 49 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Fig. 3.1: Kalibriermessungen der Infrarot-Kamera über die drei Dynamikbereiche. Deutlich erkennbar ist die nichtlineare Zunahme der Empfindlichkeit, die die Verwendung von Wertetabellen erfordert. (EI7R10/20/50.BER) 3.1.2. Bestimmung der Koeffizienten für Emission, Transmission und Reflexion im empfindlichen Spektralbereich der InfrarotKamera für LDPE und HDPE "Back off, man. I´m a scientist." Bill Murray: Ghostbusters Fällt ein Infrarotstrahl auf eine Probe, so hat die Probe die Wahl, den Strahl durchzulassen, zu absorbieren oder gleich an der Oberfläche zu reflektieren. Entsprechend setzt sich die Strahlung, die von der Probe aus die Kamera erreicht, aus den reflektierten bzw. transmittierten Teilen der Umgebungsstrahlung sowie der emittierten ´Eigenstrahlung´ der Probe zusammen: IC ( ) I0 IProbe (Eq. 3.3) Der Emissionskoeffizient ist dabei gleich dem Absorptionskoeffizient, da die Wahrscheinlichkeiten für spontane Emission und Absorption ja a priori immer gleich sind. Für alle drei Koeffizienten zusammen gilt: ! 1 (Eq. 3.4) da mit dem Strahl ja irgend etwas passieren muß. Nur und sind dabei von der Probendicke abhängig. 50 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Um anhand des Infrarotbildes eine Aussage über die Probentemperatur machen zu können, müssen entsprechend die Anteile der Umgebungsstrahlung weggefiltert werden, was eine Kenntnis der Umgebungstemperatur und des Emissionskoeffizienten voraussetzt. Von nun an gehen wir davon aus, daß die Umgebung die Strahlungscharakteristik eines Schwarzen Strahlers der Umgebungstemperatur T0 habe. Die Intensität eine Schwarzen Strahlers der Temperatur Tx bezeichnen wir mit ITx . Dann können mit verschiedenen Geometrien, die wir im folgenden erläutern und bei denen 3 bzw. 4 Strahlen gleichzeitig mit der IR-Kamera detektiert werden, die einzelnen Koeffizienten bestimmt werden. Eine ähnliche Methode wurde auch von Koenen vorgestellt [Koe 91]. Sie hatte jedoch den Nachteil, daß sie zwei voneinander unabhängige Temperaturmessungen erforderte, aus denen auf die theoretisch zu erwartende Schwarzkörper-Strahlung zurückgerechnet wurde, die man dann mit der gemessenen Probenstrahlung verglich. Unsere Methode kommt ohne Temperaturmessungen aus und benutzt nur ´harte´, mit der Kamera gemessene Intensitäten, was die Fehleranfälligkeit wesentlich reduziert. Eigentlich ist bei Intensitätsmessungen mit der IR-Kamera Vorsicht geboten, da die Kamera keine absoluten Intensitäten liefert, sondern nur Werte in Bezug auf einen willkürlichen (von Hand zu regelnden und nicht kalibrierten) Offset. Dieses Manko läßt sich jedoch umgehen, indem man in allen folgenden Gleichungen nur Intensitätsunterschiede betrachtet. Logischerweise fällt der Offset aus jeder Differenz sofort heraus. 51 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 3.1.2.1. Messung des Reflexionskoeffizienten Der Reflexionskoeffizient kann mit der Geometrie von Fig. 3.2) gemessen werden, bei der drei Strahlen die Kamera erreichen: Schw arzer Strahler Probe T1 Hitzeschild T0 #1 #2 #3 Fig.3.2: Geometrie zur Messung des Reflexionskoeffizienten Hierbei steht der Schwarze Strahler der Temperatur T1, die geringfügig (d.h. innerhalb des gewählten Dynamikbereichs) über der Umgebungstemperatur T0 liegt, der IRKamera gegenüber {#1}. In der Mündung des Schwarzen Strahlers steht eine Probe derselben Temperatur T1 {#2}. Ein wenig abseits von dem Schwarzen Strahler befindet sich eine weitere Probe auf Umgebungstemperatur T0 {#3}. Diese Probe wird durch einen kleinen Hitzeschild gegen die von dem Schwarzen Strahler ausgehende Wärmestrahlung abgeschirmt. Der Schild, der sich von der Kamera aus gesehen hinter der Probe befindet, sorgt außerdem für eine gleichmäßige Hintergrundstrahlung. Ein mit Aluminium beschichteter Papp-Aschenbecher mit der Pappseite zur Kamera ist im IR fast völlig schwarz und leistet dabei hervorragende Dienste. Nun werden beide Proben so gekippt, daß sie keine warmen Gegenstände (wie den Experimentator) aus der Umgebung reflektieren könnten. Am besten richtet man sie so aus, daß sie das Bild eines Stücks schwarzen Samts, das vorher mit einem angewärmten oder aber in Flüssigstickstoff abgekühlten Schraubenzieher markiert wurde, in die Kamera spiegeln. Die Intensitäten der drei Strahlen berechnen sich wie folgt: 52 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen I1 IT1 I 2 ( ) IT1 IT0 (Eq. 3.5) I 3 IT0 Damit folgt sofort: I 2 I1 I 3 I1 3.1.2.2. (Eq.3.6) Messung des Transmissionskoeffizienten Die Geometrie von Fig. 3.3 ist im wesentlichen dieselbe wie vorher, nur befindet sich die Probe, die vorher in der Mündung des Schwarzen Strahlers steckte, jetzt vor ihm auf Umgebungstemperatur {#2}. Schw arzer Strahler T1 Hitzeschild T0 T0 #1 #2 #3 Fig. 3.3: Geometrie zur Messung des Transmissionskoeffizienten Damit gilt für die drei Strahlintensitäten: I1 IT1 I 2 IT1 ( ) IT0 (Eq. 3.7) I 3 IT0 53 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Und so erhalten wir: I2 I3 I1 I 3 3.1.2.3. (Eq. 3.8) Messung des Emissionskoeffizienten Hierbei ist die Geometrie eine Mischung aus a) und b) mit einer Probe in der Strahlermündung und einer davor. (Fig. 3.4) Entsprechend müssen jetzt vier Strahlen miteinander verglichen werden. Schw arzer Strahler T1 Hitzeschild T 0 T1 #1 T 0 #3 #4 #2 Fig. 3.4: Vierstrahl-Gemoetrie zur Messung des Emissionskoeffizienten Ihre Intensitäten berechnen sich zu: I1 IT1 I 2 IT1 ( ) IT0 I 3 ( ) IT1 IT0 (Eq. 3.9) I 4 IT0 54 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Man bekommt auf diese Weise: I2 I3 I 4 I1 (Eq. 3.10) Außerdem kann man natürlich mit dieser Geometrie auch direkt und bestimmen, ebenso wie man aus der Kombination der beiden anderen Messungen über 1 ( ) den Emissionskoeffizienten errechnen kann. Allerdings ist diese Methode wegen der sich ergebenden Platzprobleme recht fehleranfällig. Der Vorteil dieser drei Geometrien ist, daß keinerlei Temperaturmessung stattfinden muß: Es ist egal, bei welcher Temperatur sich die Proben oder der Strahler befinden, solange nur die Temperatur der Probe in der Strahlermündung gleich der des Strahlers ist, ebenso wie die Temperatur der freistehenden Probe und der Umgebung gleich sein müssen. Darum ist es wichtig, bis kurz vor der eigentlichen Messung die Öffnung des Schwarzen Strahlers durch einen Korken verschlossen zu halten. Eine direkte Methode, den Emissionskoeffizienten zu bestimmen, wäre Fig. 3.5: Schw arzer Strahler T1 Hitzeschild T1 #1 T0 #3 #2 Fig. 3.5: Alternative Dreistrahl-Geometrie zur Messung des Emissionskoeffizienten (nicht verwendet). 55 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Allerdings wäre dazu erforderlich, daß der Schwarze Strahler und die freistehende Probe auf genau die gleiche Temperatur gebracht würden. Abgesehen von praktischen Schwierigkeiten würde so auch die Eleganz der Methode ruiniert. Neben der Auswertung von Vollbildern wurde auch versucht, Resultate aus dem LineScan-Mode zu erhalten. Das erwies sich jedoch als sehr problematisch, da häufig relativ kleine Werte für bzw. zu messen waren. Der Vorteil des geringeren Bildrauschens wird in diesem Moment dadurch zunichte gemacht, daß die Ablesung der eindimensionalen Intensitätsprofile natürlich nur ein ganzzahliges Ergebnis liefern kann. Da manche der Strahlen aber überhaupt nur wenige Grauwerte Unterschied besaßen, bedeutete dies, daß schon die Rundungsfehler in der Größenordnung der Meßwerte lagen. Die Auswertung von Vollbildern liefert demgegenüber mittlere Intensitätswerte über eine AOI mit theoretisch beliebig vielen Nachkommastellen. Um die Zuverlässigkeit der Methode und die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse zu überprüfen, wurden zuerst Experimente an PMMA und PC durchgeführt. Im Anschluß daran wurden HDPE und LDPE vermessen. 3.1.2.4. Polymethylmetacrylat (PMMA) Neben Proben, die aus frischem PMMA hergestellt waren, wurden mehrere Exemplare ausgemessen, die uns freundlicherweise von M. Saile überlassen wurden. Dabei handelte es sich um von der Fa. Röhm mit zwei Prozent Vernetzerzugabe gegossene Platten von ( 2. 00 0. 05) mm Dicke [Sai 92]. Seinerzeit waren keine Messungen daran durchgeführt, sondern der Emissionsgrad 1 gesetzt worden. % altes PMMA 81.0 % 13.0 2.0 neues PMMA - 8.9 % <2.0 - Tab. 3.1: Messung der Koeffizienten für Emission, Reflexion und Transmission bei PMMA. Wo genügend Messungen durchgeführt wurden, ist eine Standardabweichung der Ergebnisse angegeben. Die Summe der drei Koeffizienten ist nicht notwendigerweise immer gleich 1, da die Ergebnisse aus unabhängigen Messungen stammen. 56 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Es fällt auf, daß die frischen, neuen Proben einen geringeren Reflexionskoeffizienten haben, als die alten. 3.1.2.5. Polycarbonat (PC) Hier wurden wiederum ebenso alte verstreckte Proben (Bisphenol A Polycarbonat, Makrolon 2800 d. Fa. Bayer) wie auch unverstrecktes Lexan d. Fa. General Electrics gemessen. Das Lexan wird dabei für Kunststoffverglasungen verwendet und besitzt darum besonders glatte, planparallele Oberflächen. Die Dicken betrugen 2.85 mm für den verstreckten Teil der Makrolon-Proben, sowie 5.70 mm für das Lexan. Die Fehlergrenze lag hierbei wieder um 0.05 mm. Makrolon 2403 [Koe 91] Makrolon 2800 Lexan 93.9 % 6.1 <0.5 79 19.5 <0.5 - 11.5 1.5 <0.5 % % Tab. 3.2: Die Koeffizienten für verschiedene Spezies von Polycarbonat. In allen drei Fällen lag die Transmission an der Nachweisgrenze, so daß die Probendicke keinen nennenswerten Einfluß mehr besaß. Bei unseren Messungen lag der Wert des Reflexionskoeffizienten zum Teil dramatisch über dem der alten Messung, ein Ergebnis, wie es auch schon bei PMMA aufgetreten war. Die physikalische Ursache könnte darin liegen, daß die Oberfläche der Proben durch natürliche Alterung (Oxidation, UV-Einwirkung) so verändert wird, daß dies ihre Eigenschaften im Infraroten beeinträchtigt. Außerdem muß die Meßmethode berücksichtigt werden, die bei Koenen einen Reflexionskoeffizienten für direkte, geometrische Reflexion maß, während unser Aufbau diffuse Umgebungsstreuung aufnahm. Der hohe Reflexionskoeffizient für Lexan läßt sich ungezwungen durch die dem Zweck (Verglasung) entsprechende Bearbeitung der Oberfläche erklären. 57 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 3.1.2.6. High-Density-Polyäthylen Die Messung erfolgte an 2.5 mm dicken Proben. % % 6.5 1.7 80.1 a) % 13.5 a) Vgl. den Wert von 85% f. Rigidex H060-45P LDPE (1mm Dicke), wie geg. in [Mah 80]. Tab. 3.3: Die verschiedenen Koeffizienten für HDPE 6011 L. Unter der Annahme eines Lambert-Beer´schen Absorptionsverhaltens gilt in Abhängigkeit von der Probendicke d : const (1 ) (Eq. 3.11) (1 ) eEd mit dem Extinktionskoeffizienten E . Man geht hierbei davon aus, daß die Reflexion ein reiner Oberflächeneffekt ist. Man erhält für den Extinktionskoeffizienten den Wert: ln E 3.1.2.7. FG IJ H1 K 0. 77 d 1 mm (Eq. 3.12) Low-Density-Polyäthylen Die Dicke der unverstreckten Proben betrug hierbei 2.80 mm, die der verstreckten 2 Proben 1.35 mm, entsprechend einem Verstreckgrad von d d 4. 3 . b g % unverstreckt 86.1 % 6.6 0.8 verstreckt 73.2 7.3 0.4 % 6.0 2.5 19.3 1.5 Tab. 3.4: Die Koeffizienten im Infraroten für verstrecktes und unverstrecktes LDPE 1840 D. 58 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Mit Hilfe von (Eq. 3.11) kann E entweder direkt aus der Transmission, oder indirekt über den Emissionskoeffizienten berechnet werden. ( 1 ( ) , einsetzen usw.) Man bekommt dann: E mm -1 unverstreckt verstreckt aus aus 0.91 0.98 1.15 1.16 Tab. 3.5: Extinktionskoeffizient für unverstrecktes und verstrecktes LDPE 1840 D. Der Extinktionskoeffizient scheint für die verstreckten Proben systematisch höher zu liegen, während der Reflexionskoeffizient praktisch konstant geblieben ist. Die Ursache dafür könnte die Bildung von Mikrokavitäten durch die Verstreckung sein, oder sogar die Lamelle-Filament-Umwandlung selbst (z.B. durch die Erzeugung neuer Schwingungsmoden mit im Infraroten liegenden Frequenzen). Dieses interessante Phänomen wäre sicher um seiner selbst willen eine Untersuchung wert. Wir sehen bereits, daß LDPE (und noch mehr HDPE) ein wesentlich undankbareres Probenmaterial für Untersuchungen mit der IR-Kamera ist, als PMMA bzw. PC es waren. Die vergleichsweise hohen Reflexions- und Transmissionskoeffizienten verursachen bei Polyäthylen wesentlich stärkere Schmutzeffekte durch Umgebungsstrahlung und verringern die Signalintensität (vor allem bei hohen Verstreckgraden) deutlich mehr, als dies bei den amorphen Polymeren der Fall war. Eigentlich müßte bei den Spannungs-Dehnungsmessungen auch die Änderung des Emissionskoeffizienten mit dem Verstreckgrad berücksichtigt werden. (Fig. 3.6) Wir gingen jedoch bei allen folgenden Messungen von einem Wert const 86. 1% aus. 59 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen d/[mm] 1,00 2,75 2,50 2,25 2,00 1,75 1,50 0,95 0,90 0,85 0,80 0,75 0,70 0,65 0,60 0,55 0,50 1,0 1,5 2,0 2,5 3,0 3,5 4,0 Fig. 3.6: Entwicklung der Koeffizienten für Emission, Transmission und Reflexion für LDPE mit dem Verstreckgrad (untere Skala) bzw. der Probendicke (obere Skala). 3.1.3. Messung des Wärmeübergangskoeffizienten von LDPE "There are some things, man was not meant to know." Zontar, Thing From Venus Die Bestimmung des Wärmeübergangskoeffizienten von LDPE war aus zwei Gründen nötig: Zum einen muß bekannt sein, um die Wärmeerzeugung im Neck richtig berechnen zu können (vgl. Eq. 1.31ff), zum anderen wird später für eine Korrektur der homogenen Verstreckung um die an die Umgebung abgeführte Wärme benötigt. Der Probe wird dabei ein Newton´sches Abkühlverhalten unsterstellt, d.h. ihre netto abgestrahlte Wärmemenge sei proportional zum Temperaturunterschied zwischen Probe und Umgebung [Ger 86]. Daraus folgt umgekehrt ein exponentieller Abfall dieser Temperaturdifferenz: T (t ) T0 e t (Eq. 3.13) 60 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen mit der Zeitkonstante 1 . Der Wärmeübergangskoeffizient ist dabei eine Konstante in Abhängigkeit von der Substanz und auch der Probengeometrie. Wir erwärmten nun eine ´Hundeknochen´-LDPE-Probe auf ca. 30 °C, stellten sie in die auf Umgebungstemperatur gehaltene Temperierkammer und beobachteten sie mit der IR-Kamera über einen Zeitraum von etwa fünf Minuten. Später wurden die Temperaturunterschiede zwischen der Probe und der Kammer über der Zeit aufgetragen und der Wärmeübergangskoeffizient daran gefittet. (Fig. 3.7) Das Ergebnis war: 1. 23 102 s 1 t 81. 3 s Merkwürdigerweise sank die Temperatur der Temperierkammer während der Messungen um ca. 0.3 °C, obwohl die Kammer seit Tagen unbenutzt im (fensterlosen klimatisierten) Labor gestanden war. 12 10 T/[K] 8 6 4 2 0 0 50 100 150 200 250 300 t/[s] Fig. 3.7: Messung des Abstrahlkoeffizienten . Symbol: Messung; durchgezogene Linie: exponentieller Abfall. (VIRW 18B) 61 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 0,030 0,025 -1 / [s ] 0,020 0,015 0,010 0,005 0,000 1 2 3 4 5 6 Fig. 3.8: Veränderung des Abstrahlkoeffizienten mit der Verstreckung. Streng genommen ist der Abstrahlkoeffizient eine Funktion der Probengeometrie, und damit auch des Verstreckgrades. (Fig. 3.8) Da eine Berücksichtigung von ( ) jedoch einen unverhältnismäßig hohen Rechenaufwand bedeutet Rechnungen mit dem konstanten Wert durchgeführt. 3.1.4. hätte, wurden alle Bestimmung der spezifischen Wärmekapazität von LDPE Um mechanische und thermische Energie miteinander in Verbindung setzen zu können, muß die spezifische Wärmekapazität cp bekannt sein. Da die Quellen hierzu stark voneinander abweichende Werte angeben [Bra 89] und auch das Backprogramm die Wärmekapazität beeinflussen kann, ließen wir in der Sektion Kalorimetrie Messungen je einer unserer unverstreckten und verstreckten Proben anfertigen [Sek 93]. Die so erhaltenen Meßpunkte wurden im Bereich zwischen Zimmer- und Schmelztemperatur mit einem Polynom dritten Grades angepaßt. Die Kurven in Fig. 3.9 zeigen keinen nennenswerten Unterschied vor und nach dem Verstreckvorgang, jedoch eine beträchtliche Variation der Wärmekapazität mit der Temperatur um etwa 100%. 62 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 4,5 unverstreckt verstreckt c p /[kJ/(kg*K)] 4,0 3,5 3,0 2,5 2,0 20 30 40 50 60 70 80 90 100 T/[°C] Fig. 3.9: Messung der spezifischen Wärmekapazität v. LDPE 1840 D. Durchgezogen: unverstreckt; gestrichelt: verstreckt ( 4. 5). (EV3716C.201/EV3820A.201) 63 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 3.2. Verstreckkalorimetrische Messungen an LDPE "One of the byproducts of popular and widespread communications is the propagation of incomplete or downright erroneous knowledge, which is picked up by proselytizing wierdos and passed on as fact." Michael Acklin 3.2.1. Überblick 1 10 v0 / [%/ min]100 1000 120 T0 /[°C] 100 80 60 40 20 0,1 1 v0 / [mm/min] 10 100 Fig. 3.10: Übersicht über alle angefertigten Messungen. Schraffiert der Bereich, in dem das Auftreten eines Necks beobachtet werden konnte. Insgesamt wurden von uns (neben einer nicht näher bezifferten Zahl von Fehlschlägen) 25 brauchbare Messungen angefertigt, die das Verhalten von LDPE zwischen Zimmertemperatur und Schmelzpunkt über dreieinhalb Zehnerpotenzen der Verstreckgeschwindigkeit dokumentieren. Als besonders ´ergiebig´ erwiesen sich die Messungen im Bereich zwischen 1 mm/min und 10 mm/min (entsprechend Verstreckraten von 6-60 %/min): Bei langsameren Verstreckungen war die Temperaturentwicklung im Vergleich zur Auflösung der Kamera zu gering, darüber ließen sich die Videoaufnahmen nur noch unzulänglich auswerten. Zur besseren Übersichtlichkeit haben wir die Messungen in sieben verschiedene Gruppen zusammengefaßt: 64 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Gruppen mit Messungen derselben Geschwindigkeit; v 0 1, 10 , 100 mm min , entsprechend 6 , 60 , 600 % min Gruppen mit Messungen bei derselben Temperatur; T0 25, 40 , 55, 105 C Necks traten auf bei Verstreckraten über ca. 60%/min bei allen Temperaturen bis kurz unterhalb des Schmelzpunktes. Dies ist ziemlich genau die von anderen Autoren gegebene Obergrenze der homoogenen Verstreckung [May 89]. Es stellte sich heraus, daß die Probenabmessungen mit ca. 20 mm 4 mm Frontfläche recht klein gewählt waren. Insbesondere bei hohen Verstreckgraden wären breitere Proben wünschenswert gewesen, da bei unseren Prüflingen schon eine geringe Schräglage der Kamera dazu führte, daß es sehr schwer wurde, eine rechteckige und senkrecht stehende AOI zu finden, die noch eine ausreichende Größe zur Temperaturmessung besaß. Um das vergleichsweise kontrastarme Bild der IR-Kamera nicht zu überblenden, durfte die optische CCD-Aufnahme nicht zu hell sein. Dadurch wurde es schwierig, die auf der Probe angebrachten Markierungen, mit deren Hilfe der Verstreckgrad bestimmt wurde, genau abzulesen. Da auch die Spannbacken ein wenig Spiel in ihren Lagern besaßen, und weder eine leichte Kippung der Probe gegenüber der Kameraebene, noch eine Abstandsänderung während der Verstreckung auszuschließen war, sind insbesondere für die kleinen Verstreckgrade ( 1. 1 ) deren Messungen cum granum salis zu betrachten. (Es kam vor, daß (t 2 ) (t1 ) für t 2 t1 gemessen wurde.) 3.2.2. Bestimmung von Temperaturstabilität und Genauigkeit der IR-Kamera Eine der eigentlich fehlgeschlagenen Messungen lieferte uns dabei eine ausgezeichnete Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit der Infrarot-Kamera zu überprüfen. Hier wurde nämlich eine Messung über eine Spanne von 20 Minuten aufgenommen, ohne daß der Objektivdeckel der Kamera entfernt worden wäre. Dadurch war es möglich, die Grundlinienkonstanz und Genauigkeit der Kamera abzuschätzen. Dazu muß bemerkt werden, daß diese Werte unter optimalen Bedingungen erhalten wurden, wie sie im eigentlichen Experiment (Reflexion warmer Gegenstände, Konvektion,...) keineswegs gegeben waren. 65 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Der Verlauf der Temperaturmessung (des Objektivdeckels von innen) über der Zeit ist in Fig. 3.11 dargestellt. 298,14 T(t)/[K] 298,12 298,10 298,08 298,06 298,04 0 200 400 600 800 1000 1200 1400 t/[s] Fig. 3.11: Temperaturstabilität der IR-Kamera: Verlauf der Temperatur, gemessen bei geschlossenem Objektivdeckel. Durchgezogene Linie: Regressionsgerade. (VIRB01C) Die Steigung der Regressionsgeraden liefert in diesem Fall eine Abschätzung der Grundlinienkonstanz. Daraus erhalten wir für die Nullpunktsdrift mit der Zeit: d T0 K K 2. 5 10 6 8 10 3 dt s h Unsere maximale Beobachtungszeit betrug zwei Stunden, so daß die Nullpunktsdrift praktisch vernachlässigbar ist. Weiter wurden, wie bei einer gelungenen Messung, immer wieder Temperaturmessungen desselben Bildausschnitts durchgeführt. Die Temperaturänderung zwischen zwei Aufnahmen, geteilt durch die inzwischen vergangene Zeit, liefert später (mit einigen Skalierungsfaktoren) die in der Probe erzeugte oder von ihr aufgenommene Wärme. Diese Messung, durchgeführt am sicher immer gleich warmen Objektivdeckel, erlaubt uns eine Abschätzung der Genauigkeit der gemessenen Temperaturänderungen. 66 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 1,0x10-2 dT/dt/[K/s] 5,0x10-3 0,0 -5,0x10-3 -1,0x10-2 0 200 400 600 800 1000 1200 1400 t/[s] Fig. 3.12: Genauigkeit der IR-Kamera: Entwicklung der Temperaturänderungen, gemessen bei geschlossenem Objektivdeckel. (VIRB01C) Die Standardabweichung der gemessenen Temperaturänderungen von der Nullinie (Fig. 3.12) beträgt für diese Messung: d T 2. 5 10 3 dt 3.2.3. K s Betrachtung der homogenen Verstreckung Hierbei wurde eine große Anzahl von Einzelbildern aus den Videoaufnahmen herausgenommen und ausgewertet. Die Abstände betrugen zu Beginn der Messung typischerweise 5-10 s, später 30 s bis eine Minute. Neben der Zeit, der Kraft und dem momentanen Verstreckgrad (erhalten durch Ausmessung der auf dem CCD-Ausschnitt sichtbaren Probenmarkierungen), wurde auch die mittlere Temperatur eines repräsentativen Stücks der Probe aufgezeichnet. Die von der Verstreckmaschine an der Probe verrichtete Arbeit konnten wir erhalten, indem die Kraft mit einer -für das einzelne Experiment jeweils neu zu bestimmendenKonstante cw multipliziert wurde. Für diese Konstante galt: cw : cw v 0 V cw m kg s (Eq. 3.14) 67 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Dabei war: cw der Anteil der an der Probe geleisteten Arbeit im Verhältnis zur Gesamtarbeit (bestimmt durch das Verhältnis des Weges, den die Probenmarkierungen zurückgelegt hatten, zum Weg der Spannbacken) v 0 die Geschwindigkeit der Spannbacken V das Probenvolumen, d.h. Länge Breite Höhe des dünnen Teils des ´Hundeknochens´ 0. 918 g cm 3 die Dichte von LDPE [Lup]. Damit ist dann: w cw F(t ) (Eq. 3.15) die Änderung der mechanischen Energiedichte, d.h. der mechanischen Energie pro Masse. Die Abgabe von Wärme pro Masse und Zeiteinheit wurde entsprechend durch: q: cp dT dt q kJ w kg s (Eq. 3.16) berechnet. cp ist hierbei wiederum die spezifische Wärmekapazität von LDPE bei der Umgebungstemperatur. 3.2.3.1. Abstrahlkorrektur der mittleren Probentemperatur dT wurde seinerseits numerisch aus den Differenzen von Temperatur und Zeit dt zwischen zwei aufeinanderfolgenden Meßaufnahmen erhalten. Gleich diesen Wert zu verwenden, wäre jedoch töricht gewesen: Bei einer über der Umgebungstemperatur T0 liegenden konstanten Probentemperatur T würde diese Rechnung q 0 ergeben. In Wirklichkeit verliert die Probe in diesem Fall aber ständig durch Wärmeleitung und Konvektion Wärme an die Umgebung, die durch ´Nachlieferung´ aus dem Verstreckprozeß ersetzt werden muß, d.h. q 0 . 68 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Um die Abstrahlverluste zu kompensieren, wurde entsprechend folgendes Verfahren verwendet: Sei T : T T0 die Differenz zwischen Probentemperatur und Umgebungstemperatur, und T die Temperaturänderung in der Zeit t zwischen zwei Meßpunkten. T nennen wir dann die ´wahre´, um die Abstrahlverluste korrigierte Temperaturänderung, also die gesuchte Größe. Wir nehmen wie unter (Eq. 3.13ff) wieder einen exponentiellen Abfall von Temperaturdifferenzen an, d.h.: T (t ) T (t 0) e t , (Eq. 3.17) wobei wieder der Abstrahlkoeffizient ist. Für kleine Zeiten können wir nähern: e t 1 t (Eq. 3.18) (Mit unserer Zeitkonstante von ca. 80 s liefert diese Näherung für Abstände zwischen Meßpunkten von bis zu 40 s Fehler unter 10%.) Damit folgt, daß, um über die Zeitspanne t eine Temperaturdifferenz T zur Umgebung aufrechtzuerhalten, in der Probe eine Wärmeentwicklung von: T Tt (Eq. 3.19) stattgefunden haben muß, die allerdings zu keiner Temperaturänderung führt. Die Bilanz zwischen zwei Meßpunkten sieht demnach wie folgt aus: Neue Meßtemperatur = Alte Meßtemp . T (t t ) T (t ) = Abstrahlung T (t t ) t Wärmeerzeugung +T (t ) (Eq. 3.20) Durch Umstellen finden wir sofort für die korrigierte Rate der Wärmeproduktion: FGd T Hd t korr . IJ T (t) T (t) T (t t) T (t t) t K t (Eq. 3.21) 69 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Es wurde ein Programm geschrieben, das die Abstrahlkorrektur in den ASCIIMeßwertdateien halbautomatisch durchführte. 12,00 10,00 dT/dt / [10 -3 K/s] 8,00 6,00 4,00 2,00 0,00 -2,00 keine Korrektur einfache Abstrahlkorrektur Abstrahlkorrektur mit var. Koeffizienten -4,00 -6,00 -8,00 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000 t/[s] Fig. 3.13: Einfluß der Abstrahlkorrektur: Gemessene Temperaturentwicklung ohne Korrektur (Punkte), Abstrahlkorrektur (durchgezogen) u. Abstrahlkorrektur mit veränderlichem Abstrahlkoeffizienten (gestrichelt). v0 1mm min 6 % min, T0 29. 6 C . t 1000s = 2 (VIRB01I) Unterlassung der Abstrahlkorrektur führt zu einer Unterschätzung der gemessenen Wärmemengen, die als unverhältnismäßig starke Erhöhungen der Inneren Energie interpretiert würden. Dieser Effekt zeigt sich verstärkt bei niedrigen Verstreckgeschwindigkeiten [Koe 91]. Gleichzeitig sollte nicht vergessen werden, daß die benötigte Abstrahlkorrektur ebenso wie der Abstrahlkoeffizient eigentlich vom Verstreckgrad abhängig wäre. (Fig. 3.13) 70 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 3.2.3.2. Messung der Thomson-Wärme Zur Berechnung der Thomson-Wärme wurde (Eq. 1.40) verwendet: 1 dQ l0T d F (Eq. 1.40) Dabei wurde die Ersetzung vorgenommen: F I Fd FI H K Hd K dQ dQ d dF (Eq. 3.22) dF dQ wurde hier aus der stärksten differentiellen Abkühlung der Probe gewonnen, d d aus der Steigung der Spannungs-Dehnungskurve an der entsprechenden Stelle. (Fig. 3.14) Fig. 3.14: Schema zur Bestimmung des Thomson-Effektes. Zuerst wird die Stelle im Temperaturdiagramm mit der stärksten negativen Steigung gesucht (Pfeil), und an diese eine Tangente angelegt ( dQ d ). An der gleichen Stelle der Spannungs-Dehnungskurve (gestrichelte Linie) wird die Tangente an die Kurve der Kraft angelegt ( = dF d ). Bei unseren verrauschten Messungen ist die Bestimmung sowohl der Lage dieses Punktes, als auch die Steigung der Kurve an seinem Ort mit hohen Unsicherheiten verbunden. Meßfehler von 100% oder mehr sind deshalb sicher nicht unrealistisch. 71 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Da insbesondere der differentielle Wärmeaustausch hier starke Schwankungen zeigte, wurden die meisten Kurven mit einem Fourier-Filter geglättet. Trotzdem war es immer noch eine sehr delikate Angelegenheit, denjenigen Punkt aus der Messung herauszupicken, an dem der Thomson-Effekt bereits deutlich zu sehen war, noch ehe er wieder von den Effekten bei höheren Verstreckgraden überlagert wurde. Der auf diese Weise gewonnene Längenausdehnungskoeffizient wurde dann über der Temperatur bzw. der Verstreckgeschwindigkeit aufgetragen. Es zeigte sich keine ausgeprägte Abhängigkeit von der Verstreckgeschwindigkeit, wie auch vom Modell vorhergesagt. 10 9 8 7 -4 /[*10 /K] 6 5 4 3 Messunge Inf r ar ot Kalor im Dilat om 2 1 0 20 30 40 50 60 70 T/[°C] Fig.: 3.15: Längenausdehnungskoeffizient aus Messungen der Thomson-Wärme, aufgetragen über d. Umgebungstemperatur. Zum Vergleich Auftragung der Resultate kalorimetrischer [Bor 91] u. dilatometrischer [Bra 89] Messungen. Bei der Auftragung über der Umgebungstemperatur (Fig. 3.15) zeigt sich jedoch sehr deutlich eine Zunahme des Längenausdehnungskoeffizienten mit der Temperatur. Das ist in guter Übereinstimmung mit den kalorimetrischen Messungen von Borst [Bor 91] 72 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen bzw. den aus dilatometrischen Messungen gewonnenen Werten von Brandrup et.al. [Bra 89], die allerdings etwas kleiner als Borsts und unsere Werte ausfielen. 4 Eine Erklärung dafür könnte im Kristallanteil des LDPE liegen, der sich mit der Temperatur ebenfalls ändert. Nimmt man für die amorphen Bereiche einen spezifischen Ausdehnungskoeffizienten a an, der verschieden von dem der kristallisierten Bereiche c sei, so errechnet sich der lineare Ausdehnungskoeffizient für das gesamte Polymer nach: d i (T ) c w p (T ) a 1 w p (T ) (Eq. 3.23) Unter der Annahme a c folgt, daß mit zunehmender Temperatur und steigendem Anteil der amorphen Bereiche auch der mittlere Ausdehnungskoeffizient wachsen muß. Trägt man über dem Kristallanteil auf, so bekommt man folgende Werte für die einzelnen Koeffizienten: c 1. 5 10 4 K 0 a 15 10 4 K Damit trägt der Kristallanteil (zumindest in dieser groben Abschätzung) praktisch gar nichts zur Wärmeausdehnung bei, während sich der amorphe Anteil fast wie ein ideales Gas ( Gas 13 10 4 K ) verhält. Das ist mit den gängigen Theorien der Polymere vereinbar. 4In diesem Zusammenhang ist nicht klar, ob bei den dilatometrischen Messungen überhaupt die Veränderung der Wärmekapazität mit der Temperatur berücksichtigt wurde. Abgesehen davon zitiert das bzgl. dieser Messungen angegebene Nachschlagewerk, das Polymer Handbook 3rd ed. [Bra 89], als Quelle der Messungen zum einen sich selbst (Polymer Handbook 2nd ed.), zum anderen ein Paper aus dem Jahre 1945 [Hah 45]. Die 2nd ed. wiederum [Bra 75] gibt als Referenz eine schwer lokalisierbare finnische Veröffentlichung an [Ant 62], wodurch sich eine Prüfung der Angaben schwierig gestaltet. 73 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 3.2.3.3. Spannungs-Dehnungskurven Die Spannungs-Dehnungskurven zeigen das übliche Verhalten (Fig. 3.17): Bei großen Verstreckgraden befinden sie sich in guter Übereinstimmung mit den Vorhersagen des van-der-Waals-Netzwerkes. (Fig. 3.18) Bei geringen Verstreckgraden kann das Auftreten eines Peaks, dessen Höhe mit der Verstreckgeschwindigkeit zunimmt, jedoch noch nicht befriedigend erklärt werden. Wir versuchten, die Abweichung von Theorie und Messung durch das Schermodell zu erklären. Unter der Annahme einer Parallelschaltung von Netzwerk und Schervorgang sollten sich beide Kraftanteile einfach addieren. 120 110 100 90 80 F/[N] 70 60 50 40 30 20 10 C Ve C rs C tre ck C ge sc C hw . 2,50 2,75 2,25 2,00 1,75 1,50 C 1,25 1,00 Fig. 3.16: Verschiedene Spannungs-Dehnungskurven, bei Zimmertemperatur aufgenommen. Von vorne nach hinten: v0 0. 3, 1, 3, 10, 30, 100 mm min; Die vorderen drei Kurven wurden bei homogener, die anderen bei heterogener Verstreckung aufgenommen. Man beachte die mit der Geschwindigkeit steigende Spitzenkraft, sowie den Einbruch mit Einsetzen des Necks. Dieses Phänomen konnte bei allen Temperaturen beobachtet werden. 74 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 100 90 80 70 F/[N] 60 24.4°C 29.3°C 33.8°C 50.2°C 83.2°C 104.1°C 50 40 30 20 10 0 -10 1,0 1,2 1,4 1,6 1,8 2,0 2,2 2,4 2,6 2,8 3,0 Fig. 3.17: Messungen bei verschiedenen Temperaturen, alle bei der gleichen Geschwindigkeit v0 10 mm min 60 % min. Mit dem Kristallanteil nimmt die zur Verstreckung nötige Kraft deutlich ab. Ähnliche Verläufe ergeben sich bei den anderen Geschwindigkeiten. 120 100 F/[N] 80 60 40 Messung 20 Rechnung 0 -20 1,00 1,25 1,50 1,75 2,00 2,25 2,50 2,75 3,00 Fig. 3.18: Vergleich zwischen gemessener Spannungs-Dehnungskurve (Symbol) und Vorhersage des van-der-Waals-Modells (durchgezogen) für zwei Messungen bei T0 30 C u. Verstreckgeschwindigkeiten v. v0 10 mm min(60 % min) (Kreise) bzw. v0 1mm min(6 % min) (Karos). Messung: Symbole; Rechnung: durchgezogen. (VIRB01I, VIRB0IK) 75 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Es zeigte sich aber, daß die Kurvencharakteristik des Schermodells offensichtlich generell ungeeignet ist, die Differenzen zwischen dem van-der-Waals-Kraftgesetz und der Messung zu beschreiben. (Fig. 3.20) F=Fvan der Waals -Fexperimentell /[N] 40 35 30 1mm/min 10mm/min 100mm/min 25 20 15 10 5 0 -5 -10 -15 -20 1,00 1,25 1,50 1,75 2,00 2,25 2,50 Fig. 3.19: Differenz F zwischen Messung und van-der-Waals-Theorie f. verschiedene Messungen bei T0 55 C . 60 50 0.3 mm/min 1 mm/min 10 mm/min 100 mm/min 40 30 F/[N] 20 10 0 -10 -20 -30 -40 1,00 1,25 1,50 1,75 2,00 2,25 2,50 Fig. 3.20: Differenz F zwischen Messung und van-der-Waals-Theorie f. verschiedene Messungen bei T0 25 C . Dicke Linie: Anpassung der Kraftkurve des Schermodells. 76 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Die Schwierigkeiten liegen darin, daß die Abweichungen im Anfangsbereich der Verstreckung ganz offensichtlich ein dynamisches Verhalten zeigen, da sie sehr stark von der Verstreckgeschwindigkeit abhängen. Weder die Standard-Theorie des van-derWaals-Netzwerks noch das Schermodell enthalten jedoch eine geschwindigkeitsabhängige Komponente, was eine prinzipielle Unzulänglichkeit zu sein scheint. 3.2.3.4. Temperaturentwicklung und Energiebilanz Zur Erstellung der Energiebilanz wurde (Eq. 1.10) verwendet: du w q dt (Eq. 3.24) liefert uns die Rate der Änderung der (enthalpischen) Energiedichte. Da es sich hierbei um einen zeitabhängigen Prozeß handelt, haben wir einige der Schaubilder in der Zeitskala ´renormiert´, d.h. auf eine Verstreckgeschwindigkeit von v 0 10 mm min 60 % min umgerechnet. Mit unserer Vorzeichenwahl entspricht ein negatives u einem exothermen Prozeß, also z.B. einer Kristallisation. Fig. 3.21: Verlauf der Temperaturänderung (um Abstrahlverluste bereinigt) der homogen verstreckten Messungen mit v0 1mm min(6 % min) . 0,020 0,015 dT/dt / [K/s] 0,010 0,005 0,000 -0,005 T0 = 24.4 °C 29.3 °C 33.8 °C 50.2 °C 83.2 °C -0,010 -0,015 -0,020 1,00 1,25 1,50 1,75 2,00 2,25 2,50 2,75 3,00 77 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Im Gegensatz zur Verstreckspannung, die mit zunehmender Temperatur immer geringer wird, zeigt die Wärmeerzeugung, bezogen auf jeweils das gleiche , keine große Temperaturabhängigkeit. (Fig. 3.21) Das bedeutet, daß Änderungen der Energiebilanz nicht mit einer Wärmeerzeugung, sondern mit dem Verstreckmechanismus zusammenhängen müssen. Unsere Messungen zeigten bei sehr kleinen Verstreckgeschwindigkeiten und geringen Verstreckgraden einen sehr starken Anstieg innerer Energie, einhergehend mit einer Abnahme der Temperatur. (Fig. 3.22) Dieses Verhalten, das auch schon von anderen Autoren beobachtet werden konnte [Bor 91, Kne 93, May 89, Sch 91], ist vermutlich die Folge des Thomson-Effekts, d.h. der Erzeugung neuer Freiheitsgrade durch die Aufbiegung der Potentialmulden infolge der Verstreckung, auf die a priori noch keine thermische Energie entfallen. Eine große Rolle spielt außerdem die Erzeugung von Defekten durch die Deformation, indem Kristallite zerbrochen oder Ketten aus den Kristalliten herausgezogen werden. Möglicherweise trägt in unserem Fall außerdem eine Überschätzung des Verstreckgrades für kleines , die eine Überschätzung der verrichteten mechanischen Arbeit zur Folge hatte, zu dem Effekt bei. du/dt / [kJ/(kg*s)], renormiert 0,20 0,15 0,10 0,05 0,00 -0,05 -0,10 v0 = 10 mm/min 20 mm/min 30 mm/min 100 mm/min 300 mm/min -0,15 -0,20 -0,25 -0,30 1,0 1,2 1,4 1,6 1,8 2,0 2,2 2,4 2,6 2,8 3,0 Fig. 3.22: Energiebilanz für inhomogen verstreckte Proben. T0 25 C . Die Messung mit v0 300 mm min wurde mit e. Fourier-Filter geglättet. 78 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Die Proben, bei denen das Auftreten eines Necks beobachtet werden konnte, zeigen jenseits des Effekts der thermoelastischen Inversion eine ausgeglichene Energiebilanz, d.h. die zugeführte mechanische Arbeit wird komplett in Wärme umgewandelt. (Fig. 3.23) Dies entspricht dem Verhalten eines vollständig entropiebestimmten Netzwerks. 0,25 v0 = 100 mm/min 0,20 10 mm/min 10 mm/min 1 mm/min du/dt / [kJ/kg*s] 0,15 0,10 0,05 0,00 -0,05 -0,10 homogen -0,15 -0,20 -0,25 1,0 1,2 1,4 1,6 1,8 2,0 2,2 2,4 2,6 2,8 Fig. 3.23: Entwicklung der Änderungen der Inneren Energie für verschiedene Messungen bei T0 40 C . Deutlich sichtbar ist die ausgeglichene Bilanz für die schnelleren Messungen und das Freiwerden Innerer Energie bei v0 1mm min(6 % min) . du , das dt ungefähr bei 2 konstant wird und erst später in ein rein entropisches Verhalten übergeht. Der Vergleich mit Röntgenmessungen [Häb 92] zeigt, daß in diesem Bereich ( 1. 2 2 ) die Lamellen-Filament-Umwandlungen stattfinden. Die Verringerung von Bei Verstreckgeschwindigkeiten, die darüber liegen, mißt man ein negatives Innerer Energie bedeutet, daß mehr Wärme frei wird, als mechanische Arbeit am System geleistet wurde, also sollte m.a.W. diese Umwandlung und damit die plastische Deformation der Kristallite ein exothermer Vorgang sein. 79 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 20,00 15,00 10,00 du/dt / [J/kg*s] 5,00 0,00 -5,00 -10,00 T -15,00 0 / [°C] 24.4 29.3 33.8 50.2 83.2 104.1 -20,00 -25,00 -30,00 -35,00 -40,00 1,00 1,25 1,50 1,75 2,00 2,25 2,50 2,75 3,00 3,25 3,50 Fig. 3.24: Änderung der Inneren Energie für verschiedene Messungen mit v0 1mm min( 6 % min) , also noch im Bereich der homogenen Verstreckung. Auffällig ist die Zunahme der Abweichung von der Nullinie mit der Temperatur. Vertikale Linie (Pfeil): Meßpunkt für die lineare Regression (vgl. Text). Möglicherweise handelt es sich dabei nicht um Vorgänge in den Kristalliten (die ja stabil sein sollten, so daß ihre Auflösung ein endothermer Vorgang wäre), sondern um während des Backvorganges eingefrorene Verspannungen der amorphen Ketten, die sich im Zuge der Lamellen-Filament-Umwandlung endlich wieder lösen können. Nimmt man für verschiedene Messungen die Änderung der Inneren Energie jeweils bei der gleichen Verstreckung ( 1. 8 , Fig. 3.24)) und trägt diese Energieänderungen über der Umgebungstemperatur auf, so erhält man einen linearen Zusammenhang, d.h. mit zunehmender Temperatur steigt die aufzuwendende Energie praktisch linear an. (Fig. 3.25) 80 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 25 Fig. 3.25: Lineare Regression der freiwerdenden Inneren Energie über der Temperatur bei homogener Verstreckung. Die Regressionsgerade schneidet die Nullinie ungefähr bei der Glastemperatur v. LDPE. u / [J/kg*s] 20 15 10 5 0 20 40 60 T0 /[°C] 80 100 120 Diese Zunahme verläuft denn auch parallel zu einer fast linearen Zunahme des amorphen Anteils im LDPE. Die Steigung der Regressionsgerade beträgt nämlich: du J , 25 dT kg s K b g während sich gleichzeitig der Anteil der amorphen Bezirke um ca. 0. 35 % K ändert. Die Extrapolation der Messungen des Kristallanteils w p führt zu einer Temperatur Tg 30 C , bei der die amorphen Bereiche theoretisch vollständig auskristallisiert bzw. eingefroren wären. Dies ist ebenfalls die Temperatur, bei der der Energieüberschuß aus unseren Messungen Null geworden wäre, und gleichzeitig nach Ansicht einiger Autoren die Glastemperatur für LDPE [Bra 89]. 5 In den Bereichen mit 2 zeigen auch die Proben, die keinen Neck entwickeln, ein rein entropisches Netzwerkverhalten. In Übereinstimmung mit den Röntgenmessungen deutet dies daraufhin, daß keine grundlegenden Umwandlungen mehr stattfinden. Statt dessen setzt das Netzwerk die von außen zugeführte Arbeit vollständig in Wärme um. Begleitet wird dieser Vorgang von einem quasikontinuierlichen Aufschmelzen und Wiedererstarren der Kristallite, die dadurch der Verstreckung zu folgen versuchen. Da diese Vorgänge im Mittel genausoviel Wärme freisetzen, wie sie verbrauchen, und sich 5Das Polymer Handbook, 3rd Ed. bemerkt hierzu, es herrsche "...considerable disagreement..." über die genaue Lage der Glastemperatur bei LDPE. 81 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen die Topologie nicht mehr ändert, tauchen sie weder in der kalorimetrischen Bilanz noch im Rahmen der röntgenographischen Messungen auf. 3.2.4. Untersuchungen des Neck-Prozesses Wir hatten die Randbedingungen unserer Experimente so gewählt, daß mit 13 von 25 gerade die Hälfte aller Proben einen Neck ausbildete. Der Neck als inhomogenes Phänomen wurde dabei nicht, wie bei der homogenen Verstreckung, durch Mittelung über eine AOI ausgewertet, sondern durch den Vergleich von Temperaturprofilen. Dazu wurden eindimensionale Profile längs der Probe genommen und mit einem Standardprofil wie aus (Eq. 1.34), für das Q0 1 MPa galt, verglichen. Nachdem die Lage des Necks und der Untergrund berücksichtigt worden waren, wurden beide Profile durch Multiplikation mit einer Konstanten bestmöglich zur Deckung gebracht. Diese Konstante wurde dann als das Q0 der Probe identifizert. 3.2.4.1. Entstehung und Propagation des Necks Im Gegensatz zu polymeren Gläsern ist die Neckentstehung bei LDPE ein relativ langsamer Prozeß, und die Gestalt des Necks ist längst nicht so scharf ausgeprägt wie z.B. bei PC [Koe 89]. Der Neck nukleiert nach Durchlaufen der Lamellen-Filament-Umwandlung an irgendeiner Stelle der Probe ohne vorherige Anzeichen (wie z.B. lokale Abkühlung o.ä.) und beginnt mit der Wanderung durch die Probe, noch bevor die maximale Wärmeentwicklung erreicht ist. (Fig. 3.26) Gelegentlich entstehen auch zwei sich voneinander entfernende Necks an derselben Stelle. Nach der Ausbildung des vollen Temperaturprofils bewegt sich der Neck dann quasistatisch durch die Probe, bis er die breiter werdende Stelle der Schulterstücke erreicht. 82 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 42 t: 16.2s 21.8s 31.9s 47.8s 41 40 39 T / [°C] 38 37 36 35 34 33 32 31 30 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 x / [mm] Fig. 3.26: Temperaturprofile bei der Entstehung des Necks, zu verschiedenen Zeitpunkten aufgenommen. v0 100 mm min(600 % min) . (VIRB02D) 42,5 40,0 37,5 T/[°C] 35,0 32,5 30,0 27,5 25,0 22,5 20,0 t.14.4s t.10.8s p tur era mp Te t.12.6s 10 t.9.1s 0 il rof 20 t.7.6s 40 30 ] x/[mm 50 Fig. 3.27: Temperaturprofile bei der Entstehung des Necks, dreidimensional angeordnet. Deutlich sichtbar ist nach der Nukleation der Übergang zu einem quasistatischen Zustand, falls d. Verstreckrate groß genug ist. v0 300 mm min(1800 % min) . (VIRB02F) 83 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen x / [mm] 40 28.0 28.3 28.6 28.9 29.3 29.6 29.9 30.2 30.5 30.8 31.1 31.4 31.8 32.1 32.4 32.7 30 20 ----------------- 28.3 28.6 28.9 29.3 29.6 29.9 30.2 30.5 30.8 31.1 31.4 31.8 32.1 32.4 32.7 33.0 10 0 0 100 200 300 t / [s] 400 500 600 700 Fig. 3.28: Konturplot der beim Neckprozeß erzeugten Wärme. Aufgetragen sind in den Spalten zu verschiedenen Zeitpunkten aufgenommene Temperaturprofile. Helle Bereiche sind warm, dunkle Bereiche dagegen kühl. Man erkennt die Nukleation des Necks bei t 200 s und x 32 mm. Von da ab bewegt er sich mit konstanter Geschwindigkeit und Temperatur nach unten. Dahinter tritt wieder relativ schnell eine Abkühlung ein. Die selbe Messung ist auf dem Umschlag dreidimensional dargestellt. (VIRB01K) 3.2.4.2. Fits der Temperaturprofile Die Fits der Temperaturprofile gelangen nicht besonders gut. Insbesondere fällt die Temperatur hinter dem Neck schneller ab, als die Rechnung uns dies erwarten ließ. (Fig. 3.29) Die Ursachen dafür sind vermutlich, daß die Veränderung des Emissions- und des Abstrahlkoeffizienten mit dem Verstreckgrad nicht berücksichtigt wurden. (Beide Unterlassungen führen dazu, daß die gemessene Temperatur niedriger ausfällt als in Wahrheit.) Tests mit einem angepaßten gaben zwar eine bessere, aber immer noch keine befriedigende Übereinstimmung. (Fig. 3.30) Unter Umständen war auch zu hoch angesetzt. (Die Messung der kritischen Verstreckgrade war schließlich auch... kritisch. Vgl. 3.2.4.3.) Prinzipiell konnte jedoch eine akzeptable Übereinstimmung zwischen Theorie und Experiment beobachtet werden. 84 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 40 39 T/[°C] 38 37 36 35 Messung Standard-Anpassung Anpassung mit veränderlichem Abstrahlkoeff. 34 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 x / [mm] Fig. 3.29 (oben): Temperaturprofil mit Neck (Symbole). Linien sind die Fits an (Eq. 1.34) mit konstantem Abstrahlkoeffizienten (durchgezogen) bzw. veränderlichem A . (gestrichelt). v0 10 mm min, T0 37.1 C. (VIRB01N) Fig. 3.30 (unten): Temperaturprofil mit Neck (Symbole) u. Fit (Linien). v0 1mm min(6 % min) , T0 40. 9 C . (VIRB02C) 50 48 T / [°C] 46 44 Messung Standard-Anpassung Anpassung mit veränderlichem Abstrahlk. 42 40 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 55 60 x/ [mm] 85 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 3.2.4.3. Kritische Verstreckgrade Die kritischen Verstreckgrade wurden wie folgt erhalten: , die Nukleation des Necks, wurde aus dem Beginn der inhomogenen Erwärmung bestimmt. , die Verstreckung hinter dem Neck, ließ sich nicht so leicht messen, da bei diesen hohen Verstreckgraden die optischen Markierungen der Probe bereits aus dem Bereich der Videokamera gewandert waren. Deshalb wurde die SpannungsDehnungskurve dazu herangezogen, denn ist der Verstreckgrad, an dem nach der Theorie wieder ein Anstieg der Kraft stattfindet. Dieser Punkt ist an den Spannungs-Dehnungskurven von LDPE allerdings nur unscharf ausgebildet und darum schwer zu bestimmen. 6,0 5,5 5,0 4,5 4,0 3,5 3,0 2,5 2,0 1,5 ́´ ́ 1,0 0,5 0,0 10 100 v 0 / [mm/min] Fig. 3.31: Kritische Verstreckgrade, aufgetragen über der Verstreckgeschwindigkeit. Unsere Messungen ergaben weder eine Abhängigkeit von der Verstreckgeschwindigkeit (Fig. 3.31), noch von der Umgebungstemperatur (Fig. 3.32). Statt dessen scheinen und charakteristische Konstanten für das verwendete Material zu sein. Ihre Werte betrugen für unsere Polyäthylen-Proben durchgehend: 2. 10 0. 15 5. 1 0. 4 86 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Fig. 3.32: Kritische Verstreckgrade, aufgetragen über der Umgebungstemperatur. 6,0 5,5 5,0 4,5 4,0 3,5 3,0 2,5 2,0 1,5 ́´ ́ 1,0 0,5 0,0 20 30 40 50 60 70 80 90 T / [°C] 3.2.4.4. Neckgeschwindigkeit Die Neckgeschwindigkeit wurde anhand der Bewegung des wärmsten Punkts des Temperaturprofils zwischen zwei Aufnahmen als Bruchteil der Verstreckgeschwindigkeit, d.h. v n v 0 gemessen. Eine Temperaturabhängigkeit des Verhältnisses von Neckgeschwindigkeit zu Verstreckgeschwindigkeit konnte nicht festgestellt werden, wohl aber eine Abhängigkeit von der Verstreckrate. Mit der Ausnahme von zwei Ausreißern (die erklärt werden können, indem man für sie einen ´doppelköpfigen´ Neck annimmt, der zu einer Halbierung der gemessenen Geschwindigkeit führt) zeigt sich sehr deutlich ein Abfall der relativen Neckgeschwindigkeit mit Zunahme der Verstreckrate. Die Änderung der Neckgeschwindigkeit zeigt einen wichtigen Unterschied zum Necking der amorphen Gläser [May 89]: Anders als bei diesen ist beim LDPE der Verstreckgrad in den geneckten bzw. noch nicht geneckten Bereichen nicht konstant, sondern nimmt weiterhin zu. Hier findet also neben dem Necking noch immer ein homogener Verstreckprozeß statt. (Fig. 3.33) 87 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Fig. 3.33: Neckgeschwindigkeit als Bruchteil der Verstreckgeschwindigkeit über der Verstreckgeschwindigkeit aufgetragen. Durch Pfeile markiert sind die Messungen, bei denen von der Nukleationsstelle zwei Necks in entgegengesetzte Richtungen propagierten, d.h. die Neckgeschwindigkeit wäre eigentlich doppelt so groß. 0,8 vn/ v0 0,6 0,4 Doppelnecks 0,2 0,0 10 100 v 0 / [mm/min] 3.2.4.5. Energieerzeugung im Neck Die Energieerzeugung im Neck wurde aus dem Faktor bestimmt, mit dem das ReferenzTemperaturprofil multipliziert werden mußte, um einen optimalen Fit zu liefern. Q0 ist hierbei die durch das Vorüberziehen des Necks pro Volumenelement freigesetzte Energiemenge. (Beachte: 1 MPa = 1 J cm 3 ) Die Messungen zeigen wiederum keine nennenswerte Änderung mit der Temperatur, wohl aber gibt es eine ausgeprägte Geschwindigkeitsabhängigkeit (Fig. 3.34): Mit der Zunahme der Verstreckgeschwindigkeit steigt auch die Energieproduktion pro Volumenelement, ebenso wie die zur Verstreckung notwendige Kraft. (Dieser Effekt ist nota bene davon zu trennen, daß mit der Verstreckgeschwindigkeit und der Geschwindigkeit des Necks ebenfalls die Gesamtrate erzeugter Energie, d.h. Änderung pro Zeit, steigen muß.) 88 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 35 30 Q 0 / [MPa] 25 20 15 10 10 100 v 0 / [mm/min] Fig. 3.34: Neckenergie, aufgetragen über der Verstreckgeschwindigkeit. 10 Q 0 * vn / v 0 8 6 4 2 0 10 100 v 0 / [mm/min] Fig. 3.35: Neckenergie mal Neckgeschwindigkeit durch Verstreckgeschwindigkeit, aufgetragen über der Verstreckgeschwindigkeit. 89 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Die Abhängigkeit ist so, daß ungefähr Q0 v n v 0 const gilt. (Fig. 3.35) Ein Modell zur Erklärung dieses Effekts steht weitgehend noch aus. Es scheint jedoch so zu sein, daß das System versucht, die Verstreckung unter minimalisierter Entropieerzeugung zu durchlaufen. Polymere Gläser sowie HDPE [Mah 80] zeigen ein Verhalten, bei dem der Anteil der in Wärme umgewandelten mechanischen Arbeit mit der Verstreckgeschwindigkeit steigt, um schließlich gegen 1 zu streben. Bei LDPE scheint es dagegen so zu sein, daß ein Neck überhaupt erst bei Geschwindigkeiten auftritt, die so hoch sind, daß die Energiebilanz bereits ausgeglichen ist. 90 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 3.3. Verstreckkalorimetrische fülltem LLDPE Eperimente an ge- "Genauigkeit ist keine Kunst... Die sogenannte Gewissenhaftigkeit [...] ist nur die mühselige Perfektion in der Kunst des Langweilens." Eugene Delacroix Es wurden fünf Messungen an Tipelin durchgeführt. Füller waren Glasfasern. Alle Experimente erfolgten bei Zimmertemperatur. v0 mm min 1 v0 % min 1 BS 501 2 3 BS 501 + 20% Füller 2 bzw. 5 3 bzw. 7.5 FB 472 + 20% Füller 2 bzw. 5 3 bzw. 7.5 Tab. 3.6: Verstreckgeschwindigkeiten und -raten für die Experimente mit LLDPE. Der Versuchsaufbau war derselbe wie bei den LDPE-Verstreckexperimenten. An Tipelin wurde von R. Kraus bislang vor allem das Ablöseverhalten der amorphen Matrix von den eingebetteten Füllerpartikeln mit Mitteln der Ultraschallemissionsanalyse untersucht [Wil 92]. BS 501 zeichnet sich dabei gegenüber FB 472 durch eine größere Härte aus. Wahrscheinlich liegt die Ursache dafür im unterschiedlichen Verzweigungsgrad [Pei 92]. Bei der Schallemission mißt man für beide Polymere einen Peak mit hoher Ereignisrate bei 1. 05 . (Fig. 3.36) BS 501 zeigt zusätzlich bei sehr kleiner Verstreckung 1. 02 einen weiteren Peak. Dieser besteht aus Ereignissen, die sowohl zahlreicher als auch energiereicher (pro Einzelereignis) sind. Zwei der vier gefüllten Proben rissen bereits bei 1. 2 . (Fig. 3.37) Dies ist keine eigentliche Materialeigenschaft -üblicherweise liegt der maximale Verstreckgrad für Tipelin bei über 1. 5 -, sondern liegt vermutlich an der schlechten Durchmischung der Proben, also an der Präparation. 91 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Fig. 3.36 (oben): Schematische Ergebnisse der Schallemissionsmessung v. BS-501 (durchgezogen) u. FB-472 (gestrichelt). BS-501 zeigt zwei Peaks bei 1. 05 u. 1. 2 , von denen der erste die zahlreicheren Ereignisse enthält. Die Ereignisse des zweiten Peaks sind dafür energiereicher pro Ereignis. FB-472 zeigt nur den zweiten Peak bei 1. 2 . Fig. 3.37 (unten): Spannungs-Dehnungskurven von LLDPE. Deutlich sichtbar sind der Riß der gefüllten BS-501-Proben, noch bevor das Spannungsplateau erreicht ist, sowie die fast identischen Kurven der FB-472-Prüflinge. BS-501, keinFüller, 2 mm/min BS-501+ 20%Füller, 2 mm/min FB-427+ 20%Füller, 2 mm/min BS-501+ 20%Füller, 5 mm/min FB-472+ 20%Füller, 5 mm/min 200 F / [N] 150 100 50 0 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 1,7 92 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 299,0 298,9 T / [K] 298,8 298,7 298,6 = 1.5 298,5 298,4 0 100 200 300 400 500 600 t / [s] Fig. 3.38: Temperaturdiagramm der ungefüllten BS-501-Probe. Man erkennt deutlich die fast konstante Zunahme der Temperatur mit der Zeit, entsprechend einem rein entropieelastischen Verhalten. Wegen der Unsicherheiten in der Bestimmung des Verstreckgrades, wurden dieses und die folgenden Diagramme über der Zeit aufgetragen, mit einer ungefähren Markierung der entsprechenden Verstreckgrade. Alle gefüllten Proben zeigten unabhängig von der Verstreckgeschwindigkeit eine Abkühlung, die bei einem Verstreckgrad von ca. 1. 08 in eine Erwärmung überging. (Fig. 3.39) Die Abkühlung war hier bei den BS 501-Proben deutlich ausgeprägter als bei den FB 472-Teststäben. Die nichtgefüllte Referenzprobe zeigte fast keine Änderung in der Entwicklung der Temperatur. Die Ablösung der Matrix von den Fasern, die im wesentlichen die bei der Schallemission gemessene Größe ist, hat zwei entgegengesetzte Einflüsse auf die Wärme der Probe Die Haftstellen der Ketten erhalten durch die Ablösung plötzlich neue Freiheitsgrade die im Moment der Ablösung die Temperatur T 0 K besitzen. Temperaturausgleich mit der Umgebung führt zu einer allgemeinen Abkühlung, d.h.: Thomson-Effekt durch Kettenablösung. Gleichzeitig wird die Energie der elastisch gespannten Ketten frei, was zu einer Erwärmung führt. 93 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 296,7 296,6 296,5 T / [K] 296,4 296,3 296,2 BS-501 FB-472 296,1 296,0 295,9 = 1.2 = 1.1 = 1.0 295,8 0 25 50 75 100 125 150 175 200 225 250 275 300 t / [s] Fig. 3.39: Temperaturentwicklung der Messungen mit v0 2 mm min. Die bei beiden Proben fast identische Abkühlung, entsprechend dem ersten Peak der Schallemission, und die darauffolgende Erwärmung während des zweiten Peaks, die sich der gleichmäßigen Erwärmung des ungefüllten LLDPE überlagern, sind klar sichtbar. Die starke Erwärmung v. BS-501 bei t 100 s kommt durch den Riß zustande. Fig. 3.40: Temperaturentwicklung über der Zeit für die Proben mit v0 5 mm min. Die Abkühlung des BS-501 hat zugenommen. 297,8 297,6 297,4 297,2 T / [K] 297,0 296,8 BS-501 FB-472 296,6 296,4 296,2 = 1.3 = 1.2 296,0 = 1.0 295,8 0 = 1.1 50 100 150 200 t / [s] 94 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Während der Thomson-Effekt eine Eigenschaft der Kettenstruktur und somit von dem Verstreckgrad im betrachteten Bereich weitgehend unabhängig ist, gilt für die elastische Energie: Welast 2 E (Eq. 3.25) Geht man also davon aus, daß die beobachteten Temperatureffekte eine Folge der Ablösung der Matrix sind, so können die Messungen wie folgt erklärt werden: Die Abkühlung erfolgt innerhalb des elastischen Bereichs mit einer ansteigenden Spannung, so daß der abkühlende Effekt der Entropieerzeugung noch überwiegt. Hier gibt es nur bei BS-501 eine Geschwindigkeitsabhängigkeit, da FB-472 keine Ablösungseffekte und somit nur einen ´konventionellen´ Thomson-Effekt (vgl. 1.3) zeigt. Später, im Bereich des zweiten Schallemissionspeaks, ist das Plateau der Spannung erreicht, die inzwischen so groß ist, daß ihr Einfluß jenen des Thomsoneffekts überwiegt. (Fig. 3.40) Es sollte jedoch bemerkt werden, daß aufgrund der nur sehr kleinen Verstreckungen, die erzielt wurden, die Messung des Verstreckgrades mit Hilfe der Videobilder mit großen Unsicherheiten belegt ist. Eine Verkippung der Probe oder ein Glanzlicht nahe der Markierungsstriche kann dabei schon einen gewichtigen Fehler hervorrufen. 95 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 3.4. Experimente zur Infrarotmikroskopie "New Brain! You understand? NEW BRAIN!" Bela Lugosi: Ghost of Frankenstein Die rein qualitativen Messungen wurden mit einem vereinfachten Versuchsaufbau durchgeführt. Eine CCD-Kamera mit Makroobjektiv sowie die IR-Kamera beobachteten die Proben von beiden Seiten aus möglichst geringer Entfernung. Ihre jeweiligen Signale wurden über einen Bildteiler zusammengefügt und mit Hilfe des Titelgenerators um die Einblendung einer Stoppuhr bereichert. Letzteres diente dazu, einzelne Bilder sicher wieder auffinden zu können. Als Proben wurde einmal LDPE verwendet, und einmal PBA Epoxy mit eingebetteten Glasperlen von 360 µm Durchmesser. Die Verstreckgeschwindigkeiten betrugen 10 mm min ( 60 % min ) beim LDPE bzw. 0. 5 mm min (1 % min ) für die EpoxyProbe, da diese schon bei einem sehr geringen Verstreckgrad riß. Die Messungen wurden bei Zimmertemperatur angefertigt. Insbesondere bei der zweiten Probe hofften wir, den Ablöseprozeß der Matrix von den Kugeln mit irgendeiner Form von Wärmeänderung in Verbindung bringen zu können, z.B. mit einer Erwärmung der Ablösestellen. Dagegen war eine direkte Beobachtung einer strukturierten Wärmeentwicklung im Rahmen der Lamellen-Filament-Umwandlung des Polyäthylens von vornherein unwahrscheinlich, da sowohl der Clusterdurchmesser d0 50 m , als auch die Zeit, die eine einmal erzeugte Wärme braucht, um aus einer so kleinen Quelle in die Umgebung zu diffundieren ( 0 5 ms ), hart an der Grenze der theoretischen Auflösung der IRKamera lagen. Beide Messungen entpuppten sich als Fehlschlag. Bei keiner der Messungen war eine inhomogene Wärmeentwicklung feststellbar, obwohl bei dem Epoxy-Harz der Vorgang der Matrixablösung mit der CCD-Kamera recht gut zu beobachten war. (Fig. 3.41) Es ist denkbar, daß wir schlicht und ergreifend das Pech hatten, gerade keine Glasperlen vor der IR-Kamera zu haben. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß das Epoxy nur einen sehr geringen Transmissionskoeffizienten besitzt, so daß die bei der Ablösung im Inneren freiwerdende Wärme nicht direkt von der Kamera beobachtet werden kann. 96 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Fig. 3.41: Videobild der Infrarot-Mikroskopie. In der linken Hälfte die CCD-Kamera, in deren Bildausschnitt deutlich zwei Glasperlen zu sehen sind (Pfeile), sowie die Stoppuhr. Rechts die Aufnahme der IR-Kamera ohne sichtbare Details. 97 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 4. ZUSAMMENFASSUNG "Or are these just stories, without point or truth, Brought to mankind from the pages of poets?" Euripides: Iphigenia at Aulis Eine Infrarotkamera, eine Verstreckapparatur mit Temperierkammer und ein digitales Bildverarbeitungssystem wurden verwendet, um Messungen mit der Methode der ´schnellen, ortsaufgelösten, berührungsfreien Kalorimetrie´ durchzuführen. Die Vorteile gegenüber konventioneller Kalorimetrie liegen in der geringen Zeitkonstanten und der Möglichkeit, homogene und inhomogene Erwärmung voneinander zu trennen. Neben Untersuchungen an LLDPE und HDPE wurde mit LDPE vor allem ein semikristallines System untersucht. Besondereren Wert legten wir auf die Untersuchung des Neckings als ein dem Phasenübergang verwandtes Phänomen. Verstreckungen wurden dabei mit Raten bis über 1000 % min und bis knapp unterhalb des Schmelzpunktes durchgeführt. In Übereinstimmung mit alten kalorimetrischen Messungen wurde der lineare Ausdehnungskoeffizient aus dem Thomson-Effekt bestimmt. Eine deutliche Zunahme von mit der Temperatur läßt sich durch die gleichzeitige Zunahme der amorphen Bereiche erklären, wenn man für diese einen Ausdehnungskoeffizienten wie für ein ideales Gas annimmt. Verstreckmessungen an LDPE wurden unter dem Gesichtspunkt des van-der-WaalsNetzwerks mit theoretischen Vorhersagen verglichen. Dabei konnten wir das Schermodell testen und eine vollständige Energiebilanz aufstellen. Das Modell für die Verstreckung semikristalliner Polymere umfaßt demnach unter Berücksichtigung röntgenographischer Messungen Für 1. 2 die Erzeugung von Defekten an den Kristallitgrenzen, die zu einer Abkühlung durch den Thomson-Effekt führen. Danach einen Bereich mit 1. 2 2 , in dem die Lamellen-FilamentUmwandlungen stattfinden. In diesem Bereich tritt ein mit der Temperatur linear steigender Überschuß an Wärme, d.h. ein Verlust an Innerer Energie auf. Jenseits davon ( 2 ) dominiert ein vollständig entropisches Verhalten, das von dem gummielastischen Netzwerk und kontinuierlichen Schmelz- und 98 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Rekristallisationsprozessen charakterisiert wird. Die Energiebilanz ist hierbei weitgehend ausgeglichen, d.h. die gesamte aufgewandte mechanische Arbeit wird in Wärme umgewandelt. Ab einer kritischen Verstreckrate v c 50 % min tritt mit dem Neck, wie er aus polymeren Gläsern bekannt ist, eine inhomogene Verstreckung auf, die mit dem Modell des spannungsaktivierten Netzwerks beschrieben werden kann. Die kritischen Verstreckgrade sind weder von der Temperatur noch von der Verstreckgeschwindigkeit abhängig, sie liegen jedoch deutlich höher als bei polymeren Gläsern. Die freiwerdende Neckwärme und die Neckgeschwindigkeit (als Bruchteil der Verstreckgeschwindigkeit) ändern sich zwar mit der Verstreckgeschwindigkeit, aber nicht mit der Temperatur. Das Produkt aus Neckgeschwindigkeit und Neckwärme bleibt dabei praktisch konstant. All dies legt nahe, daß es sich bei dem Necking von LDPE um einen intrinsischen, für das Material charakteristischen Prozeß handelt, der von der Versuchsführung nur relativ gering beeinflußt wird. Dadurch lassen sich diverse Folgerungen ableiten: Die Verstreckung für kleines läuft im Rahmen der Auflösung der IR-Kamera homogen ab, jedoch mikroskopisch heterogen. Innerhalb der Subsysteme ereignen sich plastische Deformationen, denen das Wechselspiel von amorphen und kristallinen Bereichen zugrundeliegt. Ab 2 ist das System durch die Lamellen-Filament-Umwandlungen ´homogenisiert´ worden, d.h., die mikroskopischen Grenzflächen wurden soweit herausgemittelt oder aufgebrochen, daß bei hinreichender Verstreckgeschwindigkeit eine makroskopische Grenzfläche erscheinen muß: Der Neck. Von nun ab ist das Verhalten des Systems von der Prozeßführung weitgehend unabhängig und wird global durch den inneren Aufbau bestimmt. Erst bei 5. 5 tritt eine erneute ´Erweichung´ ein, nachdem der Neck die ganze Probe durchlaufen hat. 99 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen Weiter haben wir Untersuchungen an glasfasergefülltem LLDPE durchgeführt und den Mechanismus der Verstreckung im Zusammenhang mit Schallemissionsmessungen diskutiert. Den zwei über Schallemission gemessenen Abschnitten, in denen sich die Matrix von den Füllern ablöst, entsprechen offensichtlich einmal eine Erwärmung und das andere Mal eine Abkühlung. Daß derselbe Mechanismus zwei entgegengesetzte Effekte hervorrufen kann, wird auf das unterschiedliche Zusammenspiel von freiwerdender elastischer Energie und absorbierter Wärme durch Entropieerzeugung zurückgeführt. Abschließend wurde noch die Tauglichkeit der Infrarot-Kamera als IR-Mikroskop für Polymerverstreckungen geprüft. 100 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen 5. ANHANG: HERLEITUNG DES ENTHALPIEANTEILS DER NOMINALSPANNUNG "However, if a piece of calculation leads into an ever denser thicket, nature probably did not intend you to go that way. Look for a different approach." David P. Stern Das Lennard-Jones-Potential für den Festkörperanteil der für die Verstreckung benötigten Kraft lautet: LJ ( r) 0 LFGd IJ FGd IJ O M P M NHr K Hr K PQ 0 1 0 2 (Eq. 1.27) Die Kraft erhält man aus der Ableitung nach dem Abstand r : F( r) LM N LJ d 1 d 2 0 1 1 2 1 r r 1 r 2 1I 1 F wg. Hx K n x n 1 n O PQ (Eq. A.1) . Uns interessiert jedoch die Kraft in Abhängigkeit von r r0 mit der Randbedingung ! F( 1) 0 . Damit erhalten wir aus: 1d 1 r01 1 2d 2 (Eq. A.2) r02 1 die Bedingung für r0 : F d I r G H d JK 0 1 2 1 1 1 2 2 (Eq. A.3) Die Spannung läßt sich auf den Probenquerschnitt A rückrechnen, durch: 101 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen ! V lA const = A0 A (Eq. A.4) Damit ist: f LM N O PQ LM N O PQ A 1 1 1 F F 0 1 1 0 2 1 A0 1 2 2 (Eq. A.5) mit: : 1d 1 r01 1 F d I G H r JK 2 2 2 1 (Eq. A.6) 0 und: : 1 2 (Eq. A.7) 102 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen LITERATUR "Das würde erklären, warum er alles auf Deutsch geschrieben hat." Stefan Gall in einem Seminarvortrag auf den Hinweis, der Name ´Porod´ werde deutsch ausgesprochen, da es sich bei ihm nicht um einen Belgier oder Franzosen, sondern um einen Österreicher handle. [Ant 62] Ant-Wuorinen, O.: Paper Puu, 337, 44 (1962) [Bal 85] Baltá-Calleja, F.J.; Kilian, H.-G.: Microhardness of Semicristalline Polymers; in preparation [Bal 88] Baltá-Calleja, F.J.; Kilian, H.-G.: New Aspects of Yielding in Semicrystalline Polymers Related To Microstructure: Branched Polyethylene; Colloid & Polymer Science, 29, 266 (1988) [Ber 70] Bergmann-Schäfer (Hrsg.): Lehrbuch d. Experimentalphysik; Walter de Gruyter, Berlin (8. 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(Hrsg.): Molekulare und kolloidale Organisation von Oligomeren und Polymeren- Zwischenbericht des Sonderforschungsbereiches 239, Universität Ulm 1992 [Zwi] N.N.: Bedienungsanleitung Zwick 1445; Zwick GmbH & Co., Ulm o. J. 106 Spannungsinduzierte Temperatureffekte bei der Deformation von Polyäthylen THANKS AND ACKNOWLEDGEMENTS... "The most famous fictional academics are at the moment: Dr. Faustus, Dr. Jekyll, Dr. Frankenstein, Prof. Moriarty, Dr. Caligari, Dr. Fu Man Chu, Dr. No, Dr. Strangelove and Dr. Lecter. Do you really want to go to university?" Thomas Kettenring Zuallererst: Es ist großartig, daß ich in einer Abteilung arbeiten durfte, in der die Danksagungen am Schluß eine ganze Seite füllen! Ich möchte mich also als erstes bei Herrn Prof. Dr. H.-G. Kilian für die interessante Fragestellung, die Gewährung großer Freiheiten und die erhellenden Gespräche bedanken. Dank geht außerdem an Dr. Joachim ´JFK´ Koenen, der mich während der Diplomarbeit unter seine Fittiche nahm und meine hysterischen Anfälle angesichts hoffnungslos verpatzter Messungen oder kabbalistischer Plots regelmäßig zu dämpfen verstand. Ein riesengroßes Danke geht an Strickle, Wolfi Knechtel und Roland Kraus, ohne deren geduldige Erklärungen und Hilfestellungen garantiert viele Schaubilder dieser Arbeit leer geblieben wären, weil es nie zu einer Messungen gekommen wäre. Roland möchte ich darüberhinaus für die reibungslose Zusammenarbeit bei den Composites und die unkomplizierte Teilung des Arbeitsplatzes ein schallendes takk fyrir! aussprechen. Ansonsten... Thanx all jenen in der Abteilung, die zu dem großartigen Arbeitsklima beigetragen haben, z.B. meinem Zimmergenossen Ralf, meinem Mit-Mietsklaven Jürgen (Clint), den Stefans A., G. und L., Bruno (dem Fragwürdigen), dem Stockey-Team, der Frühstücks-Zeitungs-Kampfgruppe, der Mutter der Kompanie Bernd Heise und all den anderen Nasen, die ich vergessen habe. Es war eine tolle Zeit. The support from the wonderful people on NewsNet, who have provided with or pointed me to one or several of the quotes included in the text, or otherwise helped to make my day, is gratefully acknowledged in alphabetical order: MICHAEL ACKLIN. E.A. BOUFFIER. CLAUS BROD. LOU DUCHEZ. WOODROW EBERSOLD. DAMON HASTINGS. STEVE HICK. TIMO JANTUNEN. JIM JONES. THOMAS KETTENRING. RICK PAYNE. WILLIAM H. PECK. MARK SCHULDENFREI. GEORGE STACKNIK. DON SWENSON. CRAIG T AYLOR. DAIAJO TIBDIXIOUS. "Posting a sensible reply to a stupid article is totally mindless. In comparison, posting a dumb article is simply ignorant." Daiajo Tibdixious 107