RASSENDISKRIMINIERUNG i.S.v. ART. 261BIS StGB – EINE
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RASSENDISKRIMINIERUNG i.S.v. ART. 261BIS StGB – EINE
MARCEL ALEXANDER NIGGLI / GERHARD FIOLKA RASSENDISKRIMINIERUNG i.S.v. ART. 261BIS StGB – EINE ÜBERSICHT Lit: Bundesamt für Justiz, Das strafrechtliche Verbot der Rassendiskriminierung gemäss Artikel 261bis StGB und Artikel 171c MStG, Arbeitspapier des BJ für das Hearing betreffend die Rassismusstrafnorm, Bern 2007; (zit. BJ, Arbeitspapier); F. CHAIX / B. BERTOSSA, La repression de la discrimination raciale: Lois d‘exceptions? Semaine Judiciare 2002, II, 177-206 (zit. CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II); A. DONATSCH / W. WOHLERS, Strafrecht IV, Delikte gegen die Allgemeinheit, 3. Aufl., Zürich 2004 (zit. Donatsch/Wohlers, IV); EJPD, Bericht und Vorentwurf über die Ergänzung des Schweizerischen Strafgesetzbuchs und des Militärstrafgesetzes betreffend Rassistische Symbole, Bern 2009 (zit. EJPD, Rassistische Symbole); G. FIOLKA, Kommentar vor Art. 258, in: M. A. Niggli/H. Wiprächtiger (Hrsg.), Strafrecht II, Kommentar, 2. Aufl., Basel u.a. 2007 (zit. FIOLKA, StGB); G. FIOLKA/ M. A. 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MÜLLER, Die neue Strafbestimmung gegen Rassendiskriminierung - Zensur im Namen der Menschenwürde?, ZBJV 1994, 241-259 (zit. MÜLLER, ZBJV 1994); P. MÜLLER, Abstinenz und Engagement des Strafrechts im Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit, AJP 1996, 659-667 (zit. MÜLLER, AJP 1996); M. A. NIGGLI, Rassendiskriminierung, Ein Komentar zu Art. 261bis StGB und Art. 171c MStG, 2. Aufl., Zürich 2007 (zit. NIGGLI, Rassendiskriminierung); M. A. NIGGLI, Zur Unschärfe des Strafrechts, seiner Funktion und der Bedeutung von Rechtsgütern, ZStrR 1999, 84-105 (zit. NIGGLI, ZStrR 1999); M. A. NIGGLI/C. METTLER/D. SCHLEIMINGER, Zur Rechtsstellung des Geschädigten im Strafverfahren wegen Rassendiskriminierung, AJP 1998, 1057-1075 (zit. NIGGLI/METTLER/SCHLEIMINGER, AJP 1998); F. RIKLIN, Die neue Strafbestimmung der Rassendiskriminierung, Medialex 1995, 36-45 (zit. RIKLIN, Medialex 1995); F. RIKLIN, UWG- und Mediendelikte, in: M. A. Niggli / Ph. Weissenberger (Hrsg.), Handbücher für die Anwaltspraxis, Bd. VIII, Strafverteidigung, Basel u.a. 2002 (zit. RIKLIN, UWG- und Mediendelikte); R. ROM, Die Behandlung der Rassendiskriminierung im schweizerischen Strafrecht, Diss. Zürich 1995 (zit. ROM, Rassendiskriminierung); D. SCHLEIMINGER Kommentar zu Art. 261bis, in: M. A. Niggli/H. Wiprächtiger (Hrsg.), Strafrecht II, Kommentar, Basel u.a. 2007 (zit. SCHLEIMINGER, StGB). STRAUSS, Das Verbot der Rassendiskriminierung in Völkerrecht, internationalen Übereinkommen und schweizerischer Rechtsordnung, Diss. Basel 1991 (zit. STRAUSS, Verbot); D. SCHLEIMINGER / CH. METTLER, Die Strafbarkeit der Medienverantwortlichen im Falle von Rassendiskriminierung. Art. 27, Art. 261bis Abs. 4 StGB, Bemerkungen zu BGE 125 IV 206, AJP 2000, 1039-1041 (zit. SCHLEIMINGER/METTLER, AJP 2000); G. STRATENWERTH/FELIX BOMMER, Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil II: Straftaten gegen Gemeininteressen, 6. Aufl., Bern 2008 (zit. STRATENWERTH/BOMMER, BT/2); S. TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, Zürich 2008(zit. TRECHSEL, PK); H. VEST, Zur Leugnung des Völkermordes an den Armeniern 1915, Eine politisch noch immer und strafrechtlich wieder aktuelle Kontroverse, AJP 2000, 66-72 (zit. VEST, AJP 2000). H. VEST, Kommentar zu Art. 261bis StGB in: Hans Vest/ Martin Schubarth (Hrsg.), Delikte gegen den öffentlichen Frieden (Art. 258- 263 StGB), Bern, 2007 (zit. VEST, 261bis StGB); S. WEHRENBERG, Kommentar zu Art. 264, in: M. A. Niggli/H. Wiprächtiger (Hrsg.), Strafrecht, Kommentar, 2. Aufl., Basel u.a. 2007 (zit. WEHRENBERG, StGB); F. ZELLER, Kommentar zu Art. 28 StGB, in: M. A. Niggli/H. Wiprächtiger (Hrsg.), Strafrecht I, Kommentar, 2. Aufl., Basel u.a. 2007 (zit. ZELLER, StGB). I. Rechtsgut Das von Art. 261bis StGB geschützte Rechtsgut ist die Menschenwürde. 1 Der öffentliche Friede wird akzessorisch durch Art. 261bis StGB geschützt, worin sich Art. 261bis StGB allerdings nicht von anderen Strafbestimmungen unterscheidet. 2 Zentraler Gedanke der Menschenwürde ist, dass dem Menschen als „Träger“ der Menschenwürde grundsätzlich ein Wert an sich zukommt, unabhängig von irgendwelchen instrumentellen, ökonomischen oder anderen Zielsetzungen. Jeder Mensch als unabhängiges Subjekt ist gleichwertig und gleichberechtigt in Bezug auf andere Menschen – zumindest im Wesenskern. 3 Seit 1. Januar 2000 ist der Anspruch auf Achtung der Menschenwürde als Grundrecht in Art. 7 BV explizit verankert. 4 Demgegenüber kann der öffentliche Friede durch Rassendiskriminierung gestört werden, muss es aber nicht. Im Extremfall kann der öffentliche Friede sogar dadurch gestärkt werden, dass Rassendiskriminierungsverbote systematisch missachtet werden. Ein Abstellen auf den öffentlichen Frieden als Schutzobjekt von Art. 261bis StGB wäre auch nicht mit dem internationalen Abkommen vom 21. Dezember 1965 zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung, 5 das Art. 261bis StGB zugrunde liegt, zu vereinbaren, da dieses Abkommen ausdrücklich auf die Gleichberechtigung und Gleichbehandlung aller Menschen abzielt, wogegen die Möglichkeit einseitiger Friedensbegründung und –stabilisierung durch Unterdrückung in krassem Gegensatz steht. Weder Art. 261bis StGB noch die RDK statuieren indes einen umfassenden Schutz gegen die Ungleichbehandlung von Ausländern. Die RDK verbietet insbesondere nicht, dass Ausländer aus bestimmten Herkunftsstaaten aufgrund völkerrechtlicher Verträge in den Genuss von Einreise- und Aufenthaltserleichterungen kommen. 6 Es verstösst somit auch nicht gegen die RDK, in Bezug auf die Zulassung zum Anwaltsbe- 1 BGE 123 IV 202, 206 E. 3a; 124 IV 121, 125 f. E. 2c; 126 IV 20, 24 E. 1c; 128 I 218 E. 1.4; 133 IV 308 E. 8.2; ausführlich NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 286 ff.; gl.M. NIGGLI, ZStrR 1999; GUYAZ, discrimination, 241; DONATSCH/WOHLERS, IV, 209; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 7; a.M. KUNZ, ZStrR 1998; STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 22 verwerfen sowohl die Menschenwürde als auch den öffentlichen Frieden als Rechtsgüter von Art. 261bis; anderes soll hinsichtlich dem Leugnen von Völkermord gelten: BGE 129 IV 95; die Lehre ist diesbezüglich strittig. 2 Vgl. SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 7; FIOLKA, StGB, vor Art. 258 N 2. 3 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 376 ff., N 186 ff.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 9. 4 Bundesverfassung der schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (SR 101). 5 RDK, SR 0.104. 6 BGE 123 II 472, 479 f. ruf zwischen Ausländern mit Niederlassungsbewilligungen und Ausländern mit Aufenthaltsbewilligungen zu unterscheiden. 7 II. Verhältnis zur Meinungsäusserungsfreiheit Prima vista kann Art. 261bis StGB in Gegensatz zur Meinungsäusserungsfreiheit stehen, die in Art. 16 Abs. 2 BV und in Art. 10 Abs. 1 EMRK 8 niedergelegt ist. Nach Art. 10 Abs. 2 EMRK darf die Meinungsäusserungsfreiheit Schranken unterworfen werden, die zum Erhalt einer demokratischen Gesellschaftsordnung erforderlich sind. Das Bundesgericht hat sich dahingehend geäussert, dass es nicht ersichtlich sei, dass Art. 261bis StGB nicht verfassungskonform ausgelegt werden könne. 9 Für diese Auslegung ergibt sich aus der Menschenwürde als Schutzobjekt von Art. 261bis StGB folgendes: Da die Menschenwürde die Grundlage des Schutzes aller Grundrechte bildet, kommt ein Grundrechtskonflikt dort nicht in Betracht, wo für eine die Menschenwürde beeinträchtigende Äusserung grundrechtlicher Schutz in Anspruch genommen werden soll. Wer anderen Grundrechte abspricht, kann sich dafür nicht auf den Schutz durch eben diese Grundrechte berufen. 10 Ein tatsächlicher Grundrechtskonflikt besteht allerdings, wenn rassistische Äusserungen i.S. eines Berichts wiedergegeben werden. 11 Tabelle 1: Der Deliktsaufbau von Art. 261bis StGB Absatz Tatmodalität Absätze Handlungstyp 1 öffentliche Handlung Aufruf zu Hass oder Diskriminierung Aufrufen /Aufreizen zu Öffentlichkeit Diskriminierung 2 öffentliche Handlung Verbreitung von Ideologien Verbreitung von ideolo- Öffentlichkeit gischen Grundlagen, die Diskriminierung /Gewalt fördern 3 öffentliche Handlung Organisation etc. von Organisation Propaganda /Teilnahme von Aktionen i.S.v. Abs. 1 oder 2 Zumindest indirekt Öffentlichkeit 4-1 öffentliche Handlung Herabsetzung/Diskriminieru (lebende) Person/Gruppe Diskriminierung/ Herabsetzung Adressat 7 BGE 123 I 19, 23 f. 8 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, abgeschlossen am 4. November 1950 (SR 0.101). 9 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 18. März 2002, 6S.614/2001, E. 2 c/bb. 10 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 843 ff., 852; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 26; der gleiche Grundgedanke findet sich auch in Art. 17 EMRK. 11 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 883 ff.; SCHLEIMINGER, Art. 261bis N 27 f. ng in Menschenwürde verletzender Form 4-2 öffentliche Handlung Leugnen von Völkermord Verbrechen gegen die Menschlichkeit Diskriminierung/ Herabsetzung (verstorbene) Person/Gruppe 5 öffentliche Handlung Verweigern einer Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist Diskriminierung/ Herabsetzung (lebende) Person/Gruppe III. Schutzobjekt A. Gruppe Art. 261bis StGB schützt rassische, ethnische und religiöse Gruppen (abschliessende Aufzählung). Eine Gruppe bilden i.d.R.: Einzelpersonen, die ein bestimmtes Merkmal (Physiognomie, Werthaltung, Glauben, Geschichte) aufweisen, müssen sich als Gruppe empfinden und dementsprechend ein gewisses minimales Zusammengehörigkeitsgefühl aufweisen (Innensicht der Gruppe; Selbstwahrnehmung). 12 Personen, die das Merkmal aufweisen, müssen darüber hinaus mehrheitlich von jenen, die das Merkmal nicht aufweisen, als zusammengehörig und als Gruppe empfunden und behandelt werden, und nicht als zufällige Mehrzahl einzelner Personen, die dasselbe Merkmal aufweisen (Aussensicht der Gruppe; Fremdwahrnehmung). 13 Das Bundesgericht geht in BGE 123 IV 202, 206 f. davon aus, dass sich eine nähere Definition rassischer oder ethnischer Gruppen erübrige und weist darauf hin, dass es nicht darauf ankomme, ob die Gruppe die spezifizierenden Eigenschaften tatsächlich aufweise oder ob sie ihr fälschlicherweise zugeschrieben würden. 14 Dabei bleibt jedoch zu beachten, dass nur Zuschreibungen erfasst sein können, die eine rassische, ethnische oder religiöse Gruppe umreissen und dass sich die Zuschreibungen auf eine Gruppenbildung i.S. der angeführten Kriterien beziehen müssen. Im Ergebnis muss also auch die Zuschreibung unterstellen, dass die Gruppenangehörigen sich als 12 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 581; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 12. 13 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 582; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 12. 14 Vgl. auch STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 28. Gruppe wahrnehmen. Unmassgeblich ist jedenfalls, ob qua Gruppenzugehörigkeit angegriffene Einzelpersonen tatsächlich der Gruppe angehören. 15 B. Rasse Eine biologische Unterscheidung menschlicher Rassen (etwa anhand genetischer Merkmale) ist nicht möglich. 16 Im sozialwissenschaftlichen Sinne sind Rassen demnach das, was sich als Rasse empfindet und auch von anderen als Rasse empfunden wird. 17 Demnach sind Rassen Gruppen von Menschen, die aufgrund physischer Merkmale (z.B. Hautfarbe, Kopfform etc.) gebildet werden, welche (fälschlicherweise) der Biologie zugeschrieben werden, wobei auch die Vorstellungen der Rassenideologie eine Rolle spielen. 18 Rassische Gruppen sind demnach z.B. Asiaten, Schwarze, Semiten, Weisse. 19 Keine rassischen Gruppen sind Frauen, Männer, Behinderte, Diabetiker, Blonde, Südländer. 20 C. Ethnie Ethnische Gruppen unterscheiden sich durch eine gemeinsame Geschichte und ein gemeinsames System von Einstellungen und Verhaltensnormen (Tradition, Brauchtum, Sitte, Sprache etc.). Diese Merkmale führen jedoch nur dann zur Begründung einer Ethnie, wenn sie sowohl von der Gruppe selbst als auch von Aussenstehenden zur Abgrenzung der Gruppe verwendet werden. 21 Ethnien sind etwa: Appenzeller, Norddeutsche, Tamilen, Sizilianer, Kosovo-Albaner. 22 Keine Ethnien sind Europäer, Drittwelt-Bewohner, Nord- bzw. Südamerikaner, Punks, Skinheads. 23 15 BGE 123 IV 202, 207; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 12; STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 28. 16 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 622 ff., 629 ff. 17 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 634. 18 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 642; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 13; STRATENBT/2, § 39 N 25. WERTH/BOMMER, 19 Vgl. BGE 124 IV 121, 124. 20 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 651. 21 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 667 ff.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 182; STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 26. 22 BGE 131 IV 23, Niggli, Rassendiskriminierung, N 672 ff.; ähnlich DONATSCH/WOHLERS, IV, 210; RIKLIN, Medialex 1995, 38; TRECHSEL, PK, Art. 261bis N 12; skeptisch zur Volksgruppe bzw. kantonalen Ethnie KUNZ, ZStrR 1992, 160; ablehnend ROM, Rassendiskriminierung, 112 f. 23 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 678. 261bis N 14; D. Religion Der Schutz religiöser Gruppen durch Art. 261bis StGB geht über das von der RDK geforderte Schutzniveau hinaus. Nicht die religiöse Weltanschauung eines Einzelnen ist geschützt, sondern die einer Gruppe, wobei die Anzahl der Mitglieder nicht primär ausschlaggebend ist. Es geht vielmehr darum, dass sich die Gruppe selbst als „Gruppe“ im definierten Sinne wahrnimmt bzw. von aussen als solche wahrgenommen wird. 24 Neben den traditionellen Religionen schützt Art. 261bis StGB auch solche religiösen Gruppen, deren Mitglieder nur eine Minderheit ausmachen. 25 Geschützt ist auch der Atheismus. In der Lehre finden sich teilweise Bestrebungen, sog. „destruktive Kulte“ von den Religionen zu unterscheiden. Für eine solche Grenzziehung stehen verschiedene Kriterien zur Verfügung, die den Religionsbegriff in verschiedene Richtungen abgrenzen. Gegenüber subkulturellen Erscheinungen zeichnen sich Religionen durch eine relative Unveränderlichkeit des Glaubensbekenntnisses aus: Sie sind keinen starken Fluktuationen unterworfen. 26 Religionen gelten ferner als nicht primär ökonomisch orientiert, was etwa zum Ausschluss von Organisationen wie Scientology führen kann. 27 Schliesslich kann man – ausgehend von einem freiheitlichen Religionsbegriff – das Vorliegen einer Religion dann verneinen, wenn die Organisation auf ihre Mitglieder Zwang ausübt. 28 Die Grenzziehung anhand solcher Kriterien erweist sich jedoch nicht nur als schwierig, sondern sieht sich auch dem Vorwurf ausgesetzt, intolerant zu sein und so dem Geiste der RDK (die allerdings den Bereich der Religionen nicht beschlägt) zuwiderzulaufen. 29 Es kommt nicht darauf an, ob eine Gruppe explizit als Gruppe verunglimpft wird, oder ob Verhaltensweisen angegriffen werden, die schwergewichtig, aber nicht ausschliesslich der betreffenden Gruppe zugeschrieben werden. 30 E. Nicht geschützte Gruppen 1. Nation und Nationalität Eine Diskriminierung, die sich ausschliesslich auf die nationale Zugehörigkeit stützt und damit einen gemeinsamen politischen Willen anspricht, wird weder von Art. 24 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 699. 25 CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 182 f. 26 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 700. 27 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 715; dazu eingehend SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 18. 28 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 717 ff. 29 So SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 17. 30 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 26. September 2000, 6S.367/1998, E. 5 a: Auch gegen die Menschenwürde verstossende Herabsetzungen des Schächtens, das nicht nur von Juden, sondern auch von Moslems praktiziert wird, verstossen gegen Art. 261bis Abs. 4 1. Halbsatz StGB; vgl. SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 19. 261bis StGB noch von der RDK erfasst. 31 In der Praxis lässt sich ein Fall von einer Diskriminierung ausschliesslich aufgrund der nationalen Zugehörigkeit kaum finden. Vielfach ist mit scheinbar nationalen Diskriminierungen jedoch eine Ethnie gemeint (so richtet sich eine Aussagen über „Türken“ auf die türkischen und kurdischen Ethnien). 32 2. Ausländer und Asylsuchende Bei dem Begriff „Ausländer“ handelt es sich um eine rechtliche Kategorie, die dem Schutz von Art. 261bis StGB grundsätzlich nicht untersteht. „Ausländer“ ist ein Sammelbegriff, der für alle Personen mit anderer Staatsbürgerschaft als der schweizerischen gilt. 33 Auch der Begriff „Asylsuchende“ bezeichnet grundsätzlich eine rechtliche Kategorie, die durch Art. 261bis StGB nicht direkt erfasst wird. 34 Wenn jedoch die Bezeichnung „Asylsuchende/Asylanten” als Synonym für eine oder mehrere geschützte Gruppen verwendet wird, ist Art. 261bis StGB entsprechend anwendbar. 35 Ein Verhalten wird nicht dadurch straflos, dass es sich gegen mehrere Ethnien bzw. Rassen gleichzeitig wendet und die einzelnen Gruppen nicht gesondert aufzählt. „Eine kollektive Schmähung aller Andersrassigen, z.B. der Nichteuropäer (in Italien die estracommunitari), der Ausländer oder der Asylanten schlechthin“ genügt grundsätzlich für die Erfüllung des Tatbestandes. 36 IV. Öffentlichkeit Nur die öffentliche Handlung wird von Art. 261bis erfasst. Bis zur Einführung dieser Strafnorm war nach h.L. und Rechtsprechung gänzlich unstrittig, dass als öffentlich nicht nur gilt, was direkt von jedermann wahrgenommen werden kann, sondern auch alles, was an einen grösseren, durch persönliche Beziehungen nicht zusammenhängenden Kreis von Personen gerichtet ist, d.h. wenn die Äusserung oder Handlung von einem zufällig anwesenden oder hinzutretenden Dritten wahrgenommen werden konnte. 37 Irrelevant war dabei, ob die Handlung tatsächlich von einer grösseren Anzahl von Menschen bemerkt wurde oder nur von einer einzigen 31 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 725; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 15. 32 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 729; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 15; DONATSCH/WOHLERS, IV, 210. 33 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 733; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 16. 34 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 735. 35 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 736; RIKLIN, Medialex 1995, 39; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 16; vgl. EKR-Urteil 2000-49. 36 TRECHSEL, PK, Art. 261bis N 11; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 16. 37 BGE 111 IV 151, 154 E. 2; 123 IV 202, 208 E. 3d; NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 953; MÜLLER, ZBJV 1994, 253; ROM, Rassendiskriminierung, 119; STRAUSS, Verbot, 232; CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 196. Person. Ausschlaggebend war die Wahrnehmbarkeit und das Kriterium der Kontrolle über den Wirkungskreis. 38 Das Bundesgericht hatte diese Praxis zwischenzeitlich im Hinblick auf Art. 261bis modifiziert und versucht, - ohne Festlegung eines konkreten Grenzwertes - einen zahlenmässigen Begriff der Öffentlichkeit zu konstituieren. 39 Später hat das Bundesgericht allerdings wiederum das Rufen rassistischer Bezeichnungen auf der Strasse in einem Einfamilienhausquartier bei schönem Wetter als öffentlich betrachtet, da die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch Drittpersonen bestanden habe. 40 Festzuhalten bleibt, dass sich die Öffentlichkeit einer Äusserung oder einer Handlung nur in Abgrenzung vom privaten Handeln ergibt: Öffentlich sind demnach alle Äusserungen, die nicht privat getätigt werden. Dies ist der Fall, wenn die fraglichen Äusserungen „im Familien- und Freundeskreis oder sonst in einem durch persönliche Beziehungen oder besonderes geprägten Umfeld erfolgen“. 41 Es kommt mithin massgeblich darauf an, ob zwischen dem Äusserer und den Adressaten ein Vertrauensverhältnis besteht. 42 Diesen Standpunkt vertritt nun auch das Bundesgericht, 43 womit es seine Definition von Öffentlichkeit über die Quantität aufgegeben hat. Eine verunglimpfende Bemerkung gilt als öffentlich und damit strafbar, wenn sie nicht in engem privaten Rahmen erfolgt ist. 44 Das bedeutet etwa, dass Stammtischgespräche dann privat sind, wenn die Beteiligten durch persönliche Vertrauensbeziehungen verbunden sind, nicht jedoch, wenn ihnen nicht näher bekannte Personen dazu treten oder aufgrund der Lautstärke des Gesprächs eine Kenntnisnahme durch Unbeteiligte zu befürchten ist. 45 38 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 966; MÜLLER, ZBJV 1994, 253; ROM, Rassendiskriminierung, 121; eingehend FIOLKA, StGB, vor Art. 258 N 14 ff.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 21 ff. 39 BGE 126 IV 176, wonach das Versenden revisionistischer Bücher an sieben dem Absendern nicht nahe bekannte Personen nicht öffentlich sei sowie BGE 126 IV 230, wonach ein Buchhändler, der ein Buch in seinem Laden nicht ausstellt, sondern es bloss an Lager hält und auf Anfrage jedem, der es wünscht, herausgibt, nicht öffentlich handelt; zur Kritik eingehend: FIOLKA/NIGGLI, AJP 2001, 539 ff.; ebenfalls kritisch CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 197 f. 40 Bundesgericht, Kassationshof, 30.05.2002, 6S.635/2001, veröffentlicht in Medialex 2002, 158 ff., mit Anmerkungen von G. FIOLKA. 41 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N. 968 ff. 42 FIOLKA/NIGGLI, AJP 2001, 593 ff.; FIOLKA, StGB, vor Art. 258 N 13 ff.; CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 195 ff. 43 BGE 130 IV 111; 133 IV 308, E. 8.3. 44 NIGGLI, Rassendiskriminierung, S. 1009 (Anhang); vgl. BGE 130 IV 111: Öffentlichkeit bejaht im Falle von Äusserungen an einem Vortrag, der im Rahmen einer geschlossenen Veranstaltung in einer Waldhütte gehalten wurde, an der 40 bis 50 geladene Skinheads teilnahmen, die verschiedenen Gruppierungen angehörten. 45 vgl. FIOLKA, Tangram, 58. V. Objektive Tatbestände A. Abs. 1: Aufrufen zu Hass oder Diskriminierung Eine Diskriminierung besteht, wenn der Gleichheitsgrundsatz dadurch verletzt wird, dass eine Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund an den Kriterien der Rasse, Ethnie oder Religion anknüpft, und dies mit dem Willen erfolgt oder die Wirkung hat, dass die Betroffenen die ihnen zustehenden Menschenrechte nicht ausüben können oder in dieser Ausübung beschränkt oder behindert werden. Der Täter bestreitet, verneint oder behindert den gleichmässigen Zugang aller zu den Menschenrechten. 46 Ein typisches Beispiel für das Aufrufen zu Diskriminierung ist etwa der Aufruf, gewisse Waren, Dienstleistungen, Geschäfte zu boykottieren. Weitere Beispiele: Aufruf, die Angehörigen einer bestimmten Gruppe auszuweisen, sie nicht zu bedienen, ihnen keine Arbeit zu geben, keine Wohnungen zu vermieten oder mit ihnen nicht gesellschaftlich zu verkehren. 47 Der Begriff Hass soll das feindselige Klima und die feindliche Grundstimmung, die die eigentliche Quelle von Gewalttätigkeiten darstellen, zum Ausdruck bringen. Irrelevant ist es dabei, ob die Feindseligkeit in die Tat umgesetzt wird. 48 Aufrufen bzw. Aufreizen bezeichnet die nachhaltige und eindringliche Einflussnahme auf Menschen mit dem Ziel oder dem Ergebnis, eine feindselige Haltung – sei diese nun auf geistiger oder gefühlsmässiger Ebene begründet – gegenüber einer bestimmten Person oder Personengruppe aufgrund ihrer rassischen, ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit zu vermitteln oder ein entsprechend feindseliges Klima für die Betroffenen zu schaffen oder zu verstärken. Massgebend ist, dass der Eindruck vermittelt werden soll oder entsteht, die betroffenen Personen oder Gruppen seien weniger Wert als andere Personen oder Gruppen, so dass ihnen nicht die gleichen Grundrechte wie anderen zukommen. 49 Die Aufforderung muss geeignet sein, die Adressaten zu beeinflussen und eine gewisse Eindringlichkeit und Ernsthaftigkeit aufweisen. 50 Es muss sich jedoch nicht um eine explizite Aufforderung handeln, da die oben beschriebenen Effekte bei hetzerischen Aussagen unabhängig davon eintreten, ob sie mit spezifischen Handlungsanweisungen verknüpft werden. 51 So schloss 46 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1033 m.w.N.; STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 32. 47 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1034 ff. m.w.N.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 34. 48 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1054 ff. 49 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1069; BGE 124 IV 121, 124. 50 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1068; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 32; vgl. bereits BGE 97 IV 104, 105. 51 BGE 123 IV 202, 207; STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 33; SCHLEIMINGER, Art. 261bis N 31. sich das Bundesgericht der Auffassung einer Vorinstanz an, dass die Bezeichnung des Davidssterns als „Gesslerhut unserer Zeit“ Art. 261bis Abs. 1 StGB verletze. 52 Unbedeutend ist in welcher Art und Weise der Aufruf erfolgt. Dies kann mittels Wort, Schrift, Bildern, Gesten, pantomimischen Darstellungen, usw. geschehen. 53 B. Abs. 2: Verbreitung von Ideologien Unter „Verbreiten“ i.S.v. Art. 261bis Abs. 2 StGB ist jede Handlung oder Äusserung zu verstehen, die sich an ein in der Zahl bestimmtes oder unbestimmtes Publikum richtet und die Tathandlung darauf ausgerichtet ist, den Empfängern einen bestimmten Inhalt, einen Sachverhalt oder eine Wertung zur Kenntnis zu bringen und damit wenigstens implizit dafür zu werben. 54 Gleichgültig sind Art und Weise der Überbringung und – Öffentlichkeit vorbehalten - die Grösse des Adressatenkreises. 55 Ausserdem kommt es nicht darauf an, ob das angesprochene Publikum die Handlungen oder Äusserungen wahrgenommen hat. 56 Die Verbreitung muss vom blossen Bekenntnis (z.B. Tragen einer Armbinde mit Hakenkreuz) 57 unterschieden werden. 58 Der Hitlergruss ist nur dann ein „Verbreiten“, wenn der Gegrüsste diese Ideologie nicht teilt. 59 Praktische Probleme wirft die Verwendung rassistischer Symbole auf: Nach Abs. 2 ist sie nur strafbar, wenn sie öffentlich erfolgt und einen werbenden Charakter hat, was schwer nachzuweisen ist. 60 Eine entsprechende Revision ist indessen verworfen worden. 61 Aus diesem Grunde hatte der Bundesrat angeregt durch eine Motion der Rechtskommission des Nationalrats 62 die Schaffung eines neuen Art. 261ter StGB vorgeschlagen. wonach mit Busse bestraft worden wäre, „wer rassistische Symbole, ins- 52 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 18. März 2002, 6S.614/2001, E. 4. 53 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1071. 54 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1120. 55 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1122 ; vgl. SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 36. 56 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1123. 57 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1194. 58 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1112. 59 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1196; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 37; vgl. EKR-Urteil 2007-67. 60 EJPD, Rassistische Symbole, 10 f. 61 Vgl. dazu hinten Ziff.IX, S. 22. 62 Motion 04.3224 vom 29. April 2004 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats betreffend Verwendung von Symbolen, welche extremistische, zu Gewalt und Rassendiskriminierung aufrufende Bewegungen verherrlichen, als Straftatbestand. besondere Symbole des Nationalsozialismus oder Abwandlungen davon, wie Fahnen, Abzeichen, Embleme, Parolen oder Grussformen, oder Gegenstände, die solche Symbole oder Abwandlungen davon darstellen oder enthalten, wie Schriften, Tonoder Bildaufnahmen oder Abbildungen öffentlich verwendet oder verbreitet oder wer derartige Gegenstände zur öffentlichen Verwendung herstellt, lagert, ein-, durch-, oder ausführt. Die Gegenstände wären eingezogen worden. Ausgenommen wäre die Verwendung von Symbolen zu schutzwürdigen kulturellen oder wissenschaftlichen Zwecken gewesen. 63 In der Vernehmlassung wurden jedoch Zweifel daran geäussert, ob Strafrecht überhaupt ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung des Rassismus sei, ob in der Sache überhaupt Handlungsbedarf bestehe und ob die vorgeschlagene Norm dem Bestimmtheitsgebot entspreche. Ausserdem wurde auf das Risiko praktischer Anwendungsschwierigkeiten hingewiesen. Der Bundesrat schloss sich all diesen Bedenken an und wandte sich gegen den vorgeschlagenen Art. 261ter StGB. 64 Ideologien sind (wertneutral gesprochen) Gedankengebäude, die auf bestimmten, nicht weiter begründbaren Grundannahmen basieren, wobei die Kontingenz dieser Grundannahmen regelmässig nicht transparent gemacht wird. Der (oftmals verschleierten) Wahl dieser Grundannahmen liegen soziale Interessen und Zielsetzungen zugrunde. 65 Der Begriff „Ideologie“ ist jedoch im Kontext von Art. 261bis StGB nicht derart wertneutral zu verstehen, sondern enthält (gemäss der Tradition der Ideologiekritik) ein Unwert-Urteil, das darauf Bezug nimmt, dass die betroffenen Ideen und Werte behaupten oder zumindest implizit vorgeben, dass sie wahr und allgemein gültig seien, obwohl sie tatsächlich blosser Ausdruck eines egoistischen Gewinnstrebens, eines spezifischen Vorurteils oder eines Dogmas, das Allgemeingültigkeit für sich beansprucht, sind. 66 Gemeint sind nur jene Ideologien, die nicht nur die Minderwertigkeit einer spezifischen Gruppe geltend machen, sondern auch daraus ableiten, dass der betroffenen Gruppe ein beschränkter Zugang zu oder Anspruch auf grundlegende Menschenrechte zustehe. 67 Als Ideologie i.S.v. Art. 261bis Abs. 2 StGB hat das Bundesgericht etwa die Verschwörungstheorie qualifiziert, wonach die „Zionisten“ durch die von ihnen in die Welt gesetzte Holocaust-Lüge für manches Unheil in der Welt verantwortlich seien. 68 Auf „Herabsetzung“ i.S.v. Art. 261bis Abs. 2 StGB gerichtet ist eine Ideologie dann, wenn sie die Aussage enthält, dass eine Person oder eine Gruppe von Personen gegenüber anderen Gruppen minderwertig sei. 69 Durch diese Behauptung wird der 63 EJPD, Rassistische Symbole, 22. 64 Bericht des Bundesrates zur Abschreibung der Motion 04.3224 der RK-N vom 29. April 2004 vom 30. Juni 2010, BBl 2010 4851, 4857 ff. 65 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1125 f. 66 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1129. 67 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1129; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 38. 68 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 22. März 2000, 6S.719/1999, E. 3 d. 69 SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 39. Kern der Persönlichkeit der Betroffenen verletzt, weil man ihre Qualität als Menschen überhaupt verneint oder zumindest in Abrede stellt, und ihnen – ausdrücklich oder stillschweigend – die Position als gleichwertige, zu respektierende und zu achtende Subjekte und Mitglieder der menschlichen Gesellschaft abgesprochen wird. 70 Auf Verleumdung gerichtet sind herabsetzende Ideologien dann, wenn die Vertreter der Ideologien wissen, dass die herabsetzende Ideologie nicht den Tatsachen entspricht. 71 Stets herabsetzend oder verleumdend sind nationalsozialistische, faschistische oder faschistoide Ideologien (Vorrang der weissen Rasse gegenüber anderen Rassen, Minderwertigkeit der übrigen Gruppen). 72 Der Erwähnung „systematischer“ Herabsetzung kann nur dann ein strafkonturierender Sinngehalt beigemessen werden, wenn das Mass an geforderter Systematik über das hinaus geht, was bereits der Begriff der Ideologie in sich birgt. 73 Auf systematische Herabsetzung und Verleumdung sind nur Ideologien gerichtet, die ein ganzes Gedankengebäude darstellen, d.h. durch einen strukturierten Zusammenhang definiert sind. 74 Im Ergebnis muss die Herabsetzung ein Essentiale eines Gedankengefüges sein, das nicht offen deklarierte und nicht weiter begründbare Wertungen enthält. In dieses Gedankengefüge muss die Herabsetzung durch Begründungs-, Legitimations- oder Kausalbeziehungen eingebunden sein muss. C. Abs. 3: Propagandaaktionen „Mit dem gleichen Ziel“ umschreibt diejenigen Propagandaaktionen, auf die die Tathandlungen des Art. 261bis Abs. 3 StGB überhaupt Bezug nehmen können. Propagandaaktionen also, die zum Ziel haben, zu Hass oder Diskriminierung aufzustacheln bzw. aufzurufen oder Ideologien zu verbreiten, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung gerichtet sind. 75 Gemäss BGE 68 IV 147 f. kann Propaganda objektiv „in beliebigen, wahrnehmbaren Handlungen liegen, z. B. im Halten von Vorträgen, Ausleihen oder Verteilen von Schriften, Ausstellen von Bildern, Tragen von Abzeichen“, auch in blossen Gebärden. Subjektiv fordert der Entscheid, dass über das Bewusstsein hinaus, dass die Handlung von anderen wahrgenommen wird, auch die Absicht besteht, dass auf das Pub- 70 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1148 ff. 71 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1166; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 39; Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 22. März 2000, 6S.719/1999. 72 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1141. 73 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1181 f. 74 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1181 f.; ROM, Rassendiskriminierung, 126; TRECHSEL, PK, Art. 261bis N 20 und 24; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 38), d.h. keine einzelnen Ideen - diese erfüllen ev. Abs. 4 (a.M. STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 34; STRAUSS, Verbot, 230 f.; DONATSCH/WOHLERS, IV, 215 wonach bereits die Verbreitung eines einzelnen Dogma - z.B. der Überlegenheit der weissen Rasse - den Tatbestand von Art. 261bis Abs. 2 erfüllt. 75 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1218; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 42; a.M. GUYAZ, discrimination, 275 ff. likum im Sinne des Werbens für die propagierten Gedanken und Werte eingewirkt wird, so dass dieses für die Sache gewonnen oder in seinen Überzeugungen bestärkt wird. 76 Die von Art. 261bis Abs. 3 StGB erfassten Tathandlungen stellen verselbständigte Teilnahmeformen dar. 77 Dies hat zur Konsequenz, dass auch die versuchte Gehilfenschaft i.S.v. Art. 25 i.V.m. Art. 261bis Abs. 3 strafbar ist. 78 Die Tathandlungen von Art. 261bis Abs. 3 StGB erheben zudem auch Vorbereitungshandlungen zu eigenständigen Delikten. 79 Das Organisieren erfasst die Organisation, also Vorbereitungs- und Hilfshandlungen der Propaganda. Die Verben „fördern“ und „teilnehmen“ sollen alle denkbaren Formen der Teilnahme, inklusive der Finanzierung, erfassen, sofern sie nur die Durchführung der Propagandaaktion erleichtern. Beispiele sind die Tätigkeit von Verlegern, Händlern, Verkäufern, das Verteilen von Flugblättern, Spenden von Geld, Druck von Publikationen, Bereitstellung von Örtlichkeiten etc. 80 Im Unterschied zu allen anderen Tatbeständen von Art. 261bis StGB, die durchwegs einen direkten Bezug zur Öffentlichkeit bzw. eine öffentlich vorgenommene Handlung zur Voraussetzung haben, ist dies bei den von Art. 261bis Abs. 3 StGB erfassten Tathandlungen anscheinend nicht der Fall. Bei den Tathandlungen im Sinne von Art. 261bis Abs. 3 StGB handelt es sich um Hilfshandlungen zu einem Delikt nach Art. 261bis Abs. 1 oder 2 StGB. Solange die Propaganda, zu der Hilfe geleistet wird, auf die Öffentlichkeit gerichtet ist, kommt es auf die Öffentlichkeit der einzelnen Hilfshandlungen nicht an. 81 Datenträger rassendiskriminierenden Inhalts können nach Massgabe von Art. 69 StGB eingezogen werden, und zwar auch dann, wenn sie nicht Anlass zur Verurteilung einer bestimmten Person gegeben haben, weil die Verbreiter unbekannt sind oder in der Schweiz nicht verurteilt werden konnten. 82 76 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1223; vgl. BGE 69 IV 12, 20 ff.; BGE IV 30, 31 ff. 77 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1231; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 41; GUYAZ, discrimination, 279; MÜLLER, ZBJV 1994, 255; DONATSCH/WOHLERS, IV, 215 f.; ROM, Rassendiskriminierung, 132; STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 35; CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 189 f. 78 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1732; GUYAZ, discrimination, 279; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 41; CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 189 f. 79 CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 187 f. 80 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1232 ff. 81 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1244 ff.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 41. 82 BGE 124 IV 121, 125 f. D. Abs. 4 – 1. Hälfte: Herabsetzen/Diskriminieren Es spielt keine Rolle, ob die Herabsetzung oder Diskriminierung, mündlich, schriftlich mittels Worten, Bildern oder Gesten geäussert wurde. Tätlichkeiten werden gesondert erwähnt, weil sonst ein Wertungswiderspruch entstünde. Eine i.S.v. Art. 261bis Abs. 4 StGB relevante Gebärde würde als Vergehen mit einer Höchststrafe von drei Jahren Gefängnis bedroht, dieselbe Herabsetzung oder Diskriminierung ausgedrückt durch eine Tätlichkeit, wäre als Übertretung nur auf Antrag mit Busse zu bestrafen. 83 Wird eine Verletzung von Art. 261bis Abs. 4 erster Satzteil mit einer Tätlichkeit verbunden, so kann dem Opfer Opferstellung i.S.v. Art. 1 Abs. 1 OHG und Art. 116 StPO zukommen, trifft dies nicht zu, so kommt eine Opferstellung nur bei besonders schweren Fällen in Betracht. 84 Auch eine Körperverletzung im öffentlichen Raum kann den Tatbestand erfüllen, wenn sie als rassendiskriminierender Akt erkennbar ist. 85 Der Passus „oder in anderer Weise“ soll die Aufzählung möglicher Begehungsweisen ergänzen. 86 In der Literatur wird z.T. davon ausgegangen, dass die Erwähnung der Menschenwürde in Abs. 4 ausdrücken soll, dass nur besonders schwerwiegende Fälle erfasst sein sollen. 87 Da Art. 261bis StGB insgesamt die Menschenwürde schützt, ist dem Passus jedoch keine strafbegrenzende Funktion zu entnehmen. 88 Die Qualität als Mensch wird jemandem auch dann abgesprochen, wenn sich die Behauptung seiner Minderwertigkeit oder das Absprechen gleicher Rechte nur auf einen bestimmten Bereich bezieht, da die Menschenwürde nicht nur an der Bezeichnung „Mensch“ haftet, sondern die fundamentale Gleichberechtigung in allen Bereichen umschliesst. 89 Regelmässig unter Abs. 4 fallen Aussagen, worin den Angehörigen einer bestimmten Gruppe das Lebensrecht abgesprochen wird („Die Angehörigen der Gruppe X. sollten getötet werden / hätten getötet werden sollen“). Wird die Minderwertigkeit einer Person oder Gruppe behauptet, muss die Äusserung eine qualifizierte Bekundung der Minderwertigkeit enthalten. Dies ist etwa gegeben, 83 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1256 ff. 84 BGE 128 I 218. 85 Vgl. BGE 133 IV 308, E. 8.8, im konkreten Fall wurde dies aufgrund sehr hoher Anforderungen an die Erkennbarkeit des diskriminierenden Hintergrundes von Gewalttaten für einen unbefangenen Dritten verneint. 86 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1265. 87 KUNZ, ZStrR 1992, 163; RIKLIN, Medialex 1995, 41; MÜLLER, ZBJV 1994, 257. 88 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1270 f.; STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 38 f.; im Ergebnis auch BGE 126 IV 28; ebenso EKR-Urteil 2003-10. 89 Die Kritik von STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 38 rennt insofern wohl offene Türen ein. wenn eine Gruppe uneingeschränkt abgelehnt wird (z.B. „Jugos? Nein danke!!!“). 90 Die Zuschreibung einzelner Verhaltensweisen und Eigenschaften oder die Kritik einzelner Bräuche und Verhaltensnormen verletzt i.d.R. die Menschenwürde nicht, es sei denn, sie impliziere eine Minderberechtigung bzw. die umfassende Minderwertigkeit einer Gruppe. 91 Als qualifizierte Minderwertigkeitsbekundungen werden auch Aussagen behandelt, die durch die nationalsozialistische Ideologie geprägte Clichés enthalten (z.B. jüdische Geldgier). In der Praxis uneinheitlich beurteilt wird die Behauptung, dass die Angehörigen einer bestimmten Gruppe besonders kriminell seien. Soweit einer solchen Aussage zu entnehmen ist, dass diese Personen nicht das gleiche Anrecht auf persönliche Freiheit hätten wie andere Menschen, wird die Menschenwürde angegriffen. 92 In der Praxis werden auch rassistische Beschimpfungen (X-Schwein; Scheiss-X.) als Verletzungen der Menschenwürde angesehen. 93 Ein weiterer Fall von Abs. 4 ist die öffentliche Ankündigung, diskriminierend zu handeln (z.B. Inserat für eine Leistung mit dem Zusatz „Keine X.“ bzw. „Y. unerwünscht“; vgl. dazu unten Abs. 5). Das Bundesgericht hat eine Aussage, wonach die Juden, welche Tiere schächten, nicht besser seien, als ihre früheren Nazi-Henker als gegen die Menschenwürde verstossende Herabsetzung bewertet. 94 Eine herabsetzende Äusserung wurde auch im EKR-Urteil 2000-27 angenommen, als drei asiatisch aussehende Jugendliche an dem Angeschuldigten und seinem Zwillingsbruder vorbei gehen wollten und diese Urwaldschreie ausstiessen und die Jugendlichen als „Fidschis” betitelten. 95 E. Abs. 4 – 2. Hälfte: Leugnen von Völkermord Hauptanwendungsfall ist die „Auschwitzlüge“. Als „Völkermord“ gelten international die in Art. II der Internationalen Konvention vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Verbrechens des Völkermordes bzw. Art. 4 Ziff. 2 des Römer Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs aufgezählten Handlungen, namentlich das Töten, das Zufügen von schweren körperlichen und geistigen Schädigungen, das vorsätzliche Unterwerfen von Gruppen unter Lebensbedingungen, die auf deren gänzliche oder teilweise Vernichtung ausgerichtet sind, die unfreiwillige Geburtenkontrolle und das Verschleppen von Kindern einer Gruppe in eine andere. 96 90 GERICHTSPRAXIS, 195. 91 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1279 und 946; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 52; ebenso RIKLIN, Medialex 1995, 41; vgl. VEST, Art. 261bis StGB, N 77. 92 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1289; die Praxis ist zurückhaltend, vgl. SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 53; BGE 131 IV 23. 93 vgl. SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 54 f. 94 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 26. September 2000, 6S.367/1998, E. 4 a. 95 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1284 für weitere Beispiele. 96 Vgl. Art. 264 Abs. 1 StGB für die nationale Definition; NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1354 ff.; WEHRENBERG, StGB, Art. 264 N 15 ff.; CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 183. „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ sind laut Art. 7 Abs. 1 des Römer Statuts vorsätzliche Tötung, Ausrottung, Versklavung, Folter, usw.), sofern sie im Rahmen eines bewaffneten Konfliktes (egal, ob international oder intern) begangen wurden, d.h. während oder unmittelbar vor einem solchen Konflikt. 97 In Betracht kommen nur Tatsachen, die unzweifelhaft gelten, wenn sie also, etwa aufgrund einer Vielzahl glaubwürdiger Berichte, als allgemein bekannt und erwiesen gelten. Im Strafprozess soll jedoch über die Wahrheit gerade nicht Beweis geführt werden. 98 Dies stellt den Richter gerade bei neueren oder unbekannteren Genoziden vor Probleme. 99 Leugnen meint das Bestreiten, dass das Ereignis stattgefunden habe. Bestritten wird die Wirklichkeit und Wahrheit des Ereignisses. Zwar ist die Regelung von Art. 261bis Abs. 4 Hälfte 2 StGB primär auf die Auschwitzlüge und die Verbrechen der Nationalsozialisten gerichtet, ist aber dem Wortlaut nach nicht darauf beschränkt und folglich auf sämtliche betreffenden Ereignisse anwendbar (Tatsächlicher Aspekt). 100 Ein Leugnen kann auch dann gegeben sein, wenn das Ereignis als unbewiesen präsentiert wird, etwa mit der Formel der „behaupteten Massenvernichtung“. 101 Auch die Bezeichnung des Holocaust als „Glaube“, „Mythos“, „Sage“ oder „gesetzlich geschützte Staatsreligion“ stellt ein Leugnen dar, da dadurch die Massenvernichtung der Juden in Zweifel gezogen wird. 102 Das Leugnen muss nicht wider besseres Wissen erfolgen: Bereits Eventualvorsatz bezüglich der Unrichtigkeit der Aussage genügt. 103 „Gröblich verharmlosen“ meint: Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden zwar nicht geleugnet, d.h. ihre Wirklichkeit und Wahrhaftigkeit wird nicht bestritten. Es wird aber behauptet, dass das Leid der Betroffenen (der angerichtete Schaden, der bewirkte Nachteil oder die zugefügten Schädigungen) wesentlich geringer gewesen seien, als allgemein angenommen (Zwischenstufe: Tatsächlicher und moralisch-ethischer Aspekt). 104 Als gröbliche Verharmlosung erachtete das Bundesgericht etwa die Aussage, wonach Elie Wiesel „der im angeblich ausschliesslich zur Vernichtung der Juden dienenden KL Auschwitz überlebte (!), bis es 97 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1367 f. 98 Vgl. BGE 121 IV 76, 85; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 60; NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1486. 99 Vgl. CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 184 f. 100 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1456; vgl. BGE 127 IV 203 ff. 101 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 3. März 2000, 6P.132/1999, E. 9 d. 102 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 18. März 2002, 6S.614/2001, E. 3b/cc; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 61. 103 Bundesgericht, Kassationshof, 22. März 2000, 6S.719/1999, E. 2 e. 104 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1465 ff.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 62. von den Russen befreit wurde“ seither „markerschütternde Holocaust-Geschichten“ erzähle, 105 nicht jedoch den Ausdruck „Holocaust-Hysterie“ an sich. 106 Mit dem Begriff „zu rechtfertigen suchen“ werden keine Fakten bestritten und es wird hinsichtlich der begangenen Verbrechen auch deren quantitative Seite nicht in Abrede gestellt oder bezweifelt. Vielmehr wird das begangene Unrecht legitimiert, die begangene Gewalt akzeptiert oder zumindest als Möglichkeit nicht verworfen (Moralisch-ethischer Aspekt). 107 Rechtfertigungsversuche können auch darin bestehen, dass den Opfern eine Mitschuld unterstellt wird oder alles z.B. als notwendige kriegsbedingte Folgeerscheinung dargestellt wird. Keinen Rechtfertigungsversuch stellt hingegen das Setzen von Links zu Nazi-Seiten und die Einrichtung eines Gästebuches für Nazi-Sympathisanten dar, 108 es dürfte sich aber um ein Verbreiten einer Ideologie i.S.v. Art. 261bis Abs. 2 StGB handeln. 109 Der Passus „aus einem dieser Gründe“ bezieht sich auf das Handlungsmotiv von Abs. 4 Hälfte 1 „wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion“. 110 Auch bei dieser Tatbestandsvariante von Art. 261bis Abs. 4 StGB kann es nicht darauf ankommen, ob die Äusserung direkt an Angehörige der betroffenen Gruppe gerichtet wird. 111 Für die Interpretation der Äusserungen stellt das Bundesgericht auf das Verständnis eines Durchschnittslesers ab. 112 Dabei ist auch der Gesamtzusammenhang der Äusserungen zu berücksichtigen. Wer an der Verbreitung einer Schrift teilnimmt, die einen Völkermord leugnet, macht sich nach Art. 261bis strafbar, auch wenn es zu keinem Verkauf kommt. 113 F. Abs. 5: Leistungsverweigerung Leistung i.S.v. Art. 261bis Abs. 5 StGB erfasst sämtliche Waren- oder Dienstleistungsangebote an die Öffentlichkeit, inklusive der Vermittlung solcher Leistungen. In Frage kommen Sach- oder Dienstleistungen, z.B. im Gastgewerbe: Restaurants, Hotels, Bars etc.; im Freizeit- und Unterhaltungssektor: Kinos, Diskotheken, Schwimmbäder 105 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 3. März 2000, 6P.132/1999, E. 10 f. 106 Für weitere Beispiele vgl. den Sachverhalt des Urteils des Bundesgerichts, Kassationshof, 22. März 2000, 6S.719/1999 und EKR-Urteil 2007-73. 107 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1473 ff.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 63. 108 EKR-Urteil 2001-32. 109 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N. 1477. 110 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1689 ff.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 65; STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 39. 111 BGE 126 IV 20, 25. 112 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 18. März 2002, 6S.614/2001, E. 3 b/cc; vgl. auch SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 10. 113 BGE 127 IV 203, 206 f.: Publikation eines Inserates, in dem die Schrift angeboten wird. etc.; im Transportwesen: Zug- und Busfahrten; im Bereich des öffentlichen Warenoder Dienstleistungsangebotes: Warenhäuser, Banken, etc.; im Bildungssektor: Schulen, Bibliotheken, Ausstellungen etc. 114 Problematische Grenzfälle sind demgegenüber Arbeits- und Wohnungsmietverträge. In der Lehre wurden Kriterien zur Definition einer für die Allgemeinheit bestimmten Leistung entwickelt. Eine für die Allgemeinheit bestimmte Leistung wäre demnach tendenziell auf ein relativ kurzlebiges Vertragsverhältnis gegründet, da es bei Leistungen, die auf eine längere Dauer der Vertragsbeziehung angelegt wären, auf die Persönlichkeit des Vertragspartners ankomme. 115 Ein weiteres Kriterium wäre die Anonymität der Kundschaft bzw. die Standardisierung der Leistung. 116 GUYAZ schliesslich schlägt das Kriterium des Angebots an eine Personenmehrzahl bzw. das Angebot einer Vielzahl von Leistungen vor. 117 Diese Kriterien erweisen sich jedoch als unpraktikabel. 118 Ein grundsätzlicher Ausschluss von Wohnungsmiet- und Arbeitsverträgen aus dem Schutzbereich von Art. 261bis Abs. 5 StGB ist mit der RDK nicht zu vereinbaren. 119 Demnach ist Art. 261bis Abs. 5 StGB so zu verstehen, dass rassendiskriminierende Leistungsverweigerung grundsätzlich nicht strafbar ist, ausser wenn sie im Hinblick auf eine Leistung erfolgt, die für die Allgemeinheit bestimmt ist. Als eine solche Leistung ist grundsätzlich jede Leistung zu verstehen, die nicht ausschliesslich und erkennbar für eine spezifische Person oder Gruppe bestimmt ist. 120 Das hat aber wiederum zur Folge, dass das öffentliche Angebot mit beschränktem Bestimmungskreis (z.B. ein Inserat, in dem „Keine X.“ oder „Y. unerwünscht“ steht), nicht unter Art 261bis Abs. 5 StGB fällt, 121 sondern allenfalls unter Art. 261bis Abs. 4 StGB. Für die Strafbarkeit der Begrenzung des Bestimmungskreises eines Angebotes nach Art. 261bis Abs. 4 StGB (!) ist zwischen positiven und negativen Diskriminierungen zu unterscheiden: Negative Diskriminierungen („Keine X.“) dürften durchwegs unter Art. 261bis Abs. 4 StGB fallen, da auf diese Weise die entsprechende Gruppe als der 114 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1524 ff.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 68; MÜLLER, ZBJV 1994, 257. 115 Vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1557 ff.; ROM, Rassendiskriminierung, 142 f.; MÜLLER, AJP 1996, 666; TRECHSEL, PK, Art. 261bis N 41. 116 GUYAZ, discrimination, 290 f.; MÜLLER, AJP 1996, 666; ROM, Rassendiskriminierung, 142 f.; TRECHPK, Art. 261bis N 41. SEL, 117 GUYAZ, discrimination, 291 f. 118 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1123; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 71 f.; kritisch STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 41; VEST, Art. 261bis StGB, N 110. 119 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1541, 1600; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 71 f. 120 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1609. 121 STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 41. angebotenen Leistung unwürdig deklariert werden. 122 Positive Diskriminierungen (z.B. „Frauenparkplatz“) sind demgegenüber grundsätzlich zulässig. 123 Sie können jedoch unzulässig sein, wenn sie ausschliesslich eine negative Diskriminierung paraphrasieren, also z.B. durch die Nennung einer bestimmten „Rasse“ andere „Rassen“ ausschliessen. 124 Das Verb Verweigern wird definiert als Verweigerung der Leistung zu den Bedingungen, wie sie allen anderen gewährt werden. 125 Als Verweigerung kommt nebst der expliziten Verweigerung auch der Ausschluss durch das Vorenthalten von Informationen, durch bewusste Fehlinformation in Betracht oder durch eine Leistung, die zu einem höheren Preis oder anderen Konditionen erbracht wird als sonst üblich. 126 Leistungsverweigerung i.S.v. Art. 261bis Abs. 5 StGB verlangt nicht - im Gegensatz zu den anderen Tatbeständen der Norm, dass die Tathandlung öffentlich vorgenommen wird, wenn nur das Leistungsangebot an die Öffentlichkeit gerichtet war. 127 VI. Subjektiver Tatbestand Sämtliche Tatvarianten können nur vorsätzlich erfüllt werden, d.h. mit Wissen um die objektiven Tatbestandselemente und mit dem Willen, sie auch zu erfüllen, wobei Eventualvorsatz genügt (d.h. das billigende Inkaufnehmen der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes). Einzig bei Abs. 4 zweite Hälfte (Leugnen des Völkermordes) verlangt das Gesetz, dass dies “aus einem dieser Gründe“ erfolgt, was zu Auslegungsschwierigkeiten führt, weil der Passus als überflüssig erscheint. 128 VII. Art. 261bis StGB als Mediendelikt? A. Zu Art. 28 StGB In Art. 28 StGB sind Sonderregelungen für Mediendelikte enthalten, die der Tatsache Rechnung tragen sollen, dass an einer Publikation durch die Medien regelmässig eine Vielzahl von Personen beteiligt ist, deren Beteiligung an der Publikation von Inhalten im Einzelfall schwierig nachzuweisen ist. 129 Art. 28 StGB eine Kaskadenhaf- 122 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1615; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 72; VEST, Art. 261bis StGB, N 116. 123 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1618 ff.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 72. 124 „Nur für Weisse“; NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1621 ff.; 1615 f.; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 72. 125 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1650; VEST; Art. 261bis StGB, N 114. 126 SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 73. 127 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 1658; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 74. 128 Vgl. SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 65; STRATENWERTH/BOMMER, BT/2, § 39 N 39 m.N. 129 Vgl. RIKLIN, UWG- und Mediendelikte, N 9.76. tung, wonach bei Medienveröffentlichungen ausschliesslich der Autor haftbar ist (Art. 28 Abs. 1 StGB). Kann dieser jedoch nicht ermittelt oder in der Schweiz nicht vor Gericht gestellt werden, so ist der verantwortliche Redaktor nach Art. 322bis StGB für die Nichtverhinderung der Veröffentlichung zu bestrafen. Diese Regelung enthält sowohl das Privileg der Straflosigkeit weiterer Beteiligter im Fall der Bestrafung des Autors als auch eine Erweiterung der Haftung in Bezug auf die fahrlässige Nichtverhinderung der Publikation nach Art. 322bis StGB. 130 Das Medienstrafrecht erfasst jedoch nur diejenigen Personen, die an der Veröffentlichung einer Publikation beteiligt sind; ist eine Publikation einmal veröffentlicht, kann sie nicht mehr veröffentlicht, sondern bloss noch verbreitet werden. Der blosse Verbreiter (z.B. Buch- oder Zeitschriftenhändler, Verteilerorganisationen) oder Zugangsvermittler (Internet Access Provider) wird nicht durch Art. 28 StGB erfasst. 131 B. Anwendung von Art. 28 und Art. 322bis StGB auf Art. 261bis StGB Die medienstrafrechtlichen Sonderregelungen werden grundsätzlich auf alle sog. Gedankenäusserungsdelikte angewendet, also auf Delikte, die in der Veröffentlichung in einem Medium bestehen und sich darin erschöpfen. In der Lehre wird auch Art. 261bis StGB überwiegend als solches Gedankenäusserungsdelikt bewertet und dem Regime von Art. 28 StGB unterstellt. 132 BGE 125 IV 206, 211 f. geht nun davon aus, dass Art. 28 auf Art. 261bis Abs. 4 StGB keine Anwendung finde, was allerdings nur global mit dem wenig stichhaltigen Hinweis auf die ratio legis der Bestimmung begründet wird. 133 Diese Ansicht stiess in der Lehre auf Kritik. 134 Sachlich richtig dürfte es – in Abweichung von BGE 125 IV 206 – sein, nur die Abs. 1-3 von Art. 261bis nicht als Mediendelikte zu qualifizieren, weil Abs. 3 dieser Bestimmung bestimmte Vorbereitungs- und Teilnahmehandlungen zu selbständigen Delikten erhebt und damit als lex specialis zu den Teilnahmeregeln des Allgemeinen Teils zu betrachten ist, während die anderen Tatbestandsvarianten von Art. 261bis StGB dem Regime von Art. 28 StGB zu unterstellen wären. 135 130 SCHLEIMINGER/METTLER, AJP 2000, 1040 f.; RIKLIN, UWG- und Mediendelikte, N 9.86. 131 SCHLEIMINGER/METTLER, AJP 2000, 1041; RIKLIN, UWG- und Medienstrafrecht, N 9.90 ff.; a.M. ZELLER, StGB, Art. 28 N 52 f. 132 RIKLIN, UWG- und Mediendelikte, N 9.72. 133 Kritisch SCHLEIMINGER/METTLER, AJP 2000, 1040. 134 vgl. RIKLIN, UWG- und Mediendelikte, N 9.75; ZELLER, StGB, Art. 28 N 51. 135 SCHLEIMINGER/METTLER, AJP 2000, 1041; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 81; vgl. auch CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II 193 ff., die zudem Abs. 1 nicht Art. 28 unterstellen möchten. VIII. Prozessuales A. Geschädigtenstellung im Strafprozess Verletzungen von Art. 261bis StGB müssen von den Strafverfolgungsbehörden von Amtes wegen verfolgt werden. Nichtsdestotrotz hängt die Durchsetzung von Art. 261bis StGB insbesondere auch im Rechtsmittelverfahren massgeblich davon ab, wie weit der Kreis der Personen gezogen wird, die in einem Strafprozess als Geschädigte auftreten können. Nach Art. 115 StPO gelten Personen als Geschädigte, die durch die Straftat in ihrem Rechten unmittelbar verletzt worden sind. Für die Klärung dieser Frage ist die Identifikation der Menschenwürde als Rechtsgut von Art. 261bis StGB von grundlegender Bedeutung, da grundsätzlich jeder Mensch Träger der Menschenwürde ist (und so grundsätzlich auch in dieser beeinträchtigt werden kann), während das Individuum durch Beeinträchtigungen des öffentlichen Friedens keine unmittelbaren Schäden erleidet. Richtet sich ein Angriff gegen eine bestimmte Person aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit, so dürfte ausser Frage stehen, dass diese Person als Geschädigter im Strafprozess auftreten kann. 136 Als heikel kann sich die Grenzziehung dann erweisen, wenn nicht persönlich (d.h. individuell) angegriffene Angehörige einer durch eine Äusserung betroffenen Gruppe Beteiligungsrechte geltend machen wollen. Eine spezifische Regelung für die Geltendmachung von Art. 261bis StGB durch Gruppen bzw. Verbände besteht bislang nicht, so dass Verbänden keine eigenständige Parteistellung zukommt. 137 In Bezug auf die Anerkennung der Geschädigtenstellung von Angehörigen betroffener Gruppen hat sich das Bundesgericht bislang im Übermass zurückhaltend gezeigt. 138 Mit NIGGLI/METTLER/SCHLEIMINGER, AJP 1998, 1057 ff. müsste man jedoch richtigerweise angesichts der Tatsache, dass Art. 261bis mit der Menschenwürde ein Individualrechtsgut schützt, zu einer weitergehenden Lösung gelangen, wonach grundsätzlich allen Angehörigen der Gruppe Geschädigtenstellung zukommen sollte, dass diese die Geschädigtenrechte allerdings nicht in eigenem Namen, sondern nur im Interesse des Kollektivs ausüben können. 139 Das Bundesgericht hat ferner bereits entschieden, dass einer Person, die zwar nicht der entsprechenden Gruppe angehörte, der jedoch ein antisemitisches Werk mit einer für den Adressaten beleidigenden Widmung übermittelt wurde, in Bezug auf 136 CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 201. 137 Vgl. BGE 125 IV 206, 210; SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 83. 138 Vgl. etwa Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 7. November 2002, 6S.196/2002; kritisch CHAIX/BERTOSSA, SJ 2002 II, 201 f. 139 SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 82. Art. 261bis keine Geschädigtenstellung zukomme. 140 Nachvollziehbar erscheint, wenn das Bundesgericht die Unmittelbarkeit in Abrede stellt, soweit es sich um eine Fernsehsendung handelt. 141 B. Opfereigenschaft i.S.v. Art. 116 StPO und OHG Die neue eidgenössische Strafprozessordnung normiert für bestimmte Kategorien von Opfern von Straftaten besondere Verfahrensrechte, die vormals im Opferhilfegesetz 142 geregelt waren. Opfer i.S.v. Art. 116 StPO und Art. 1 Abs. 2 OHG ist eine geschädigte Person, „die durch die Straftat in ihrer körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar beeinträchtigt worden ist“. Art. 117 StPO normiert spezifische Verfahrensrechte, die zum Schutz der Persönlichkeit der Opfer dienen sollen. Aus dem OHG ergeben sich Ansprüche auf Hilfestellung und allenfalls Genugtuung. Zusätzlich erhalten auch die Angehörigen des Opfers nach Art. 1 Abs. 2 OHG Opferhilfe. Personen, die durch Tathandlungen i.S.v. Art. 261bis StGB geschädigt worden sind, kommen, da Art. 261bis StGB die Menschenwürde (und damit ein Individualrechtsgut) schützt, grundsätzlich als Opfer in Betracht. 143 Indes erreicht die Beeinträchtigung, die ausschliesslich durch Handlungen i.S.v. Art. 261bis StGB betroffene Personen erleiden, regelmässig nicht die für die Anwendung des OHG und für die Opfereigenschaft nach Art. 116 StPO erforderliche Intensität. 144 Dies gilt nicht, wenn die diskriminierende Handlung in Idealkonkurrenz mit schwerer Körperverletzung, Gefährdung des Lebens oder Brandstiftung usw. erfolgt ist. 145 Das Bundesgericht hat Art. 261bis Abs. 4 2. Satzteil StGB (Leugnen von Völkermord) als Delikt gegen den öffentlichen Frieden bezeichnet und daraus abgeleitet, dass der Einzelne in seiner psychischen Integrität höchstens mittelbar beeinträchtigt werden könne und die Anwendbarkeit des OHG ausgeschlossen. 146 IX. Revisionsbestrebungen Die Revisionsgeschichte der Norm zeigt symptomatisch ihren politischen Stellenwert. Seit ihrer Einführung hat es jedes Jahr zumindest einen parlamentarischen Vor- 140 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 22. März 2000, 6S.719/1999, E. 5; kritisch NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 512. 141 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 9. Mai 2005, 6P.29/2005; vgl. NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 513. 142 Bundesgesetz über die Hilfe an Opfern von Straftaten (OHG, SR 312.5). 143 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 275; BGE 128 I 218, 221 ff.; anders BGE 129 IV 95, 105 bezüglich der Leugnung von Völkermord. 144 NIGGLI, Rassendiskriminierung, N 290 ff. 145 BGE 128 I 218, 221. 146 Urteil des Bundesgerichts, Kassationshof, 7. November 2002, 6S.196/2002, E. 3. stoss gegeben zu ihrer Abschaffung oder zumindest Entschärfung. Die Vorstösse wiederholen dabei zumeist dasselbe (nicht notwendigerweise sachkundige oder intelligente) Argumentarium. Sachlich begründet schien ein Revisionsbedarf von Anfang an in zweierlei Hinsicht: zum einen, weil die Mitgliedschaft in einer rassendiskriminierenden Vereinigung nicht mit Strafe bedroht ist, was nicht den Verpflichtungen der Konvention entspricht. Zum anderen, weil die Strafbarkeit/NichtStrafbarkeit rassistischer Symbole praktische Probleme aufwirft: Nach Abs. 2 sind solche Symbole nur strafbar, wenn sie öffentlich verwendet werden und das einen werbenden Charakter hat, was indes schwer nachzuweisen ist. 147 Der Bundesrat hatte unter der damaligen Bundesrätin Metzler nach den Vorfällen auf dem Rütli vom 1. August 2000 eine Expertengruppe zusammengestellt, die noch im gleichen Herbst Vorschläge zur Verbesserung der Bekämpfung im Bereich Rassismus machte. Dieser folgte 2001 eine verwaltungsinterne Arbeitsgruppe, die verschieden Vorschläge machte. Der Bundesrat beauftragte daraufhin 2002 das EJPD mit der Ausarbeitung konkreter Vorschläge. Er beriet über diese Vorschläge und beschloss sie in zwei Pakete aufzuteilen: Einerseits sollten die Massnahmen im Bereich des BWIS gegen Terrorismus und Extremismus überprüft werden. Das sollte später geschehen. Andererseits sollten die Rechtsetzungsarbeiten im Bereich Rassismus, Hooliganismus und Gewaltpropaganda (Änderungen BWIS, StGB, BÜPF), sofort angegangen werden, wofür ein Vernehmlassungsvorschlag erarbeitet wurde. 148 In diesem Paket war namentlich der Vorschlag zur Einführung zweier Strafbestimmungen enthalten (Art. 261ter E-StGB, der die Verwendung rassistischer Symbole unter Strafe stellen sollte sowie Art. 261quater StGB, der die Mitgliedschaft in rassendiskriminierenden Vereinigungen pönalisieren sollte). Der Text lautete: Art. 261ter E1-StGB Kennzeichen mit rassendiskriminierender Bedeutung 1. Wer Kennzeichen mit rassendiskriminierender Bedeutung, wie Fahnen, Abzeichen, Insignien oder Embleme, oder Gegenstände mit derartigen Kennzeichen öffentlich anpreist, anbietet, ausstellt, trägt, zeigt oder sonst wie zugänglich macht, wer Kennzeichen mit rassendiskriminierender Bedeutung oder Gegenstände mit derartigen Kennzeichen zur Verbreitung oder Verwendung im Sinne von Absatz 1 herstellt, einführt, lagert oder in Verkehr bringt, wer Parolen, Gesten oder Grussformeln mit rassendiskriminierender Bedeutung öffentlich verwendet, wird mit Haft oder mit Busse bestraft. 2. Die Kennzeichen und Gegenstände werden eingezogen. 147 EJPD, Rassistische Symbole, 10 f. 148 Vgl. www.ejpd.admin.ch/content/dam/data/sicherheit/bwis/030212c_ges-d.pdf 3. Die Ziffern 1 und 2 finden keine Anwendung, wenn die Verwendung der Kennzeichen oder Gegenstände schutzwürdigen kulturellen oder wissenschaftlichen Zwecken dient. Art. 261quater VE Rassendiskriminierende Vereinigung Wer eine Vereinigung gründet, die bezweckt oder deren Tätigkeit darauf gerichtet ist, Handlungen vorzunehmen, die gemäss Artikel 261bis mit Strafe bedroht sind, wer einer solchen Vereinigung beitritt, wer zur Bildung solcher Vereinigungen oder zum Beitritt zu solchen Vereinigungen auffordert, wird mit Gefängnis oder mit Busse bestraft. Die Vernehmlassung zum ersten Paket endete im Mai 2003. In dieser – ersten – Vernehmlassung 149 begrüssten vier Parteien (FDP, SP, CVP, PCS) und zwanzig Kantone (GL; JU, UR, AG, BE, ZG, LU, ZH, TG, SH, NE, BL, BS, FR, SO, SZ, NW, OW, SG,TI) sowie die Polizeikommando ZH, NE und AG, die EKR, der VSPB, die KSPD die vorgeschlagene Strafnorm zur Strafbarkeit von rassistischen Symbolen. Nur zwei Kantone (AI, ZG), drei Parteien (SVP, SD, Grüne Partei) und drei Organisationen (KSK, DJS, KMU) lehnten den Artikel dagegen ab. 150 Das alles hätte für die Revision gesprochen. Dazu kam es indes nicht mehr. Ende 2003 wurde die amtierende Bundesrätin Metzler abgewählt. Ihr Nachfolger war Christoph Blocher. Die bis zur positiven Vernehmlassung gediehene Revision verlief dann im Sande, so dass merkwürdigerweise neuerlich parlamentarische Vorstösse nötig waren, wie die Motion der Rechtskommission des Nationalrates, 151 obwohl doch genau diese Revision bereits in Arbeit war. Wo das Verfahren stand, war für Jahre gänzlich unklar und (zumindest für Externe) auch nicht wirklich zu eruieren. Ende 2004 endlich nahm der Bundesrat Kenntnis von den Resultaten der Vernehmlassung und beschloss, das erste Paket weiter aufzuteilen und zum einen die gesetzlichen Grundlagen für Massnahmen gegen Gewaltpropaganda und Gewalt an Sportveranstaltungen zu schaffen. Die Änderung des BWIS trat 2007 in Kraft. Davon losgelöst sollte in einem zweiten Schritt eine Strafnorm gegen rassendiskriminierende Symbole (Art. 261ter E-StGB) geschaffen werden. Dabei sollte auch die erwähnte Motion berücksichtigt werden, was nicht wirklich schwer fallen durfte, verlangte sie doch nichts, was in der Vernehmlassung nicht bereits geprüft worden und von einer breiten Mehrheit gutgeheissen worden wäre. Neu war einzig, dass Rassendiskriminierung als Anlasstat für eine Überwachung nach BÜPF gefordert wurde, was dann allerdings – trotz der angeblichen Be- 149 Einsehbar unter: www.ejpd.admin.ch/content/dam/data/sicherheit/bwis/ergebnisse_vernehmlassung/041222_bwis_ergebnissevl-d.pdf 150 Vgl. zur Geschichte: www.ejpd.admin.ch/ejpd/de/home/dokumentation/mi/2003/2003-02120.html sowie EJPD, Rassistische Symbole, 3 ff. 151 Motion 04.3224 vom 29. April 2004 der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrats betreffend Verwendung von Symbolen, welche extremistische, zu Gewalt und Rassendiskriminierung aufrufende Bewegungen verherrlichen, als Straftatbestand. rücksichtigung dieser Motion – nie umgesetzt wurde. Dann blieb das Geschäft (Strafbarkeit von rassistischen Symbolen) wieder mehr als ein Jahr liegen. Gemäss dem Bericht des EJPD 152 soll Bundesrat Blocher dieses 2006 dann mit einer Problemanalyse beauftragt haben. Der Auftrag selbst, sein Inhalt und Zweck oder dessen Resultate sind nicht bekannt oder zugänglich. Massgeblich für diesen „Auftrag“ dürfte in erster Linie die ablehnende Haltung Blochers der bestehenden Strafbestimmung gegenüber gewesen sein. Im gleichen Jahr äusserte er denn auch Fundamentalkritik nicht an der Strafbarkeit rassistischer Symbole, sondern der Strafbestimmung als Ganzes. Typischerweise tat er dies nicht in der Schweiz und auch nicht gegenüber Schweizer Behörden oder der Schweizer Bevölkerung, sondern vielmehr bei einem Besuch in Ankara (speziell mit Bezug zu zwei schweizerische Strafverfahren gegen türkische Genozidleugner, die er mit seinen Äusserungen zweifellos erheblich beeinflusste). Auch sprach er nicht von rassistischen Symbolen, sondern der Strafbestimmung als Ganzes, insbesondere mache ihm (speziell in Bezug auf den Völkermord an den Armeniern) die Strafbarkeit des Leugnens von Völkermord „Bauchschmerzen“. Die Qualifikation von historischen Ereignissen sei Sache von Historikern und nicht von Richtern, ganz so, also ob der Begriff des Völkermordes ein historischer und kein juristischer wäre. Die Bestimmung solle insbesondere im Hinblick auf die Meinungsäusserungsfreiheit überprüft werden. Diese belustigenden Zusammenhänge macht nichts deutlicher als die Tatsache, dass sich daraufhin der Gesamtbundesrat genötigt sah, in einer Medienerklärung klarzustellen, dass eine Streichung der Bestimmung keine Option darstelle. 153 Es sei aber legitim für einen Departementsvorsteher über Verbesserungen eines Gesetzes nachzudenken. Dass dies nicht öffentlich, im Ausland und dazu im Zusammenhang mit laufenden Strafverfahren geschehen darf, sagte er nicht. Dass es sich hier um eine eklatante Verletzung der Gewaltenteilung und ein Eingreifen in ein laufendes Verfahren handelte, sprach er ebenfalls nicht an. Statt in Richtung einer Strafbarkeit der Verwendung rassistischer Symbole, wie dies die Vernehmlassung angezeigt hätte, ging es nun also im Wesentlichen um eine Entschärfung von Art. 261bis StGB. Blocher hat also das in die Wege geleitet, was seine Partei seit Jahren wünschte, nämlich eine Diskussion um die Abschaffung der ungeliebten Strafnorm. Mit der Strafbarkeit von rassistischen Symbolen hatte das nichts zu tun. Das EJPD erstellte in der Folge im Mai 2007 ein Arbeitspapier, das in verschiedenen Varianten eine Änderung der Völkermord-Leugnung untersuchte. Auf der Grundlage dieses Papieres wurde ein Hearing mit verschiedenen Personen 154 (nachdem sich verschiedene gehörte Personen überhaupt nie mit der Bestimmung selbst oder der Frage des Völkermordes und seiner Leugnung befasst hatten, zögert man von einem Experten-Hearing zu sprechen) veranstaltet. Dieses Hearing führte zu keinen eindeutigen Resultaten. Nichtsdestotrotz wurde zunächst ein Revisions- 152 EJPD, Rassistische Symbole, 9 153 www.parlament.ch/D/Suche/Seiten/geschaefte.aspx?gesch_id=20063587. 154 Vgl. SCHLEIMINGER, StGB, Art. 261bis N 84. entwurf weiter verfolgt, der das Tatobjekt von Art. 261bis Abs. 4 Satz 2 StGB auf „den Holocaust oder einen anderen durch ein von der Schweiz anerkanntes internationales Gericht festgestellten Völkermord oder ein anderes durch ein von der Schweiz anerkanntes internationales Gericht festgestelltes Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ beschränkt hätte. 155 Damit wäre der Anwendungsbereich faktisch auf den Holocaust und auf neuere, durch die Ad-hoc-Tribunale (Jugoslawien, Rwanda) und den Internationalen Strafgerichtshof beurteilte Fälle verengt worden. Am 12. Dezember 2007 wurde Bundesrat Blocher abgewählt, am 21. desselben Monats nahm der Bundesrat das Arbeitspapier zur Kenntnis, sah aber keinerlei Handlungsbedarf für eine Revision von Art. 261bis StGB. 156 Nun war zwar der Versuch, aus einer Klärung der Strafnorm bezüglich der Strafbarkeit rassistischer Symbole, wie sie im Jahr 2000 ausgelöst und 2003 in der Vernehmlassung allgemein gutgeheissen wurde, eine Einschränkung im Bereich der Leugnung von Völkermord oder gar eine Abschaffung der Norm zu machen, vorerst gescheitert. Damit war man wieder am Anfang und der Frage nach der Strafbarkeit rassistischer Symbole, Gesten etc. Am 1. Juli 2009 schickte der Bundesrat erneut einen Entwurf einer solchen Strafnorm in die Vernehmlassung. 157 Die entsprechende Strafnorm lautete: Art. 261ter E2-StGB Verwendung rassistischer Symbole 1. Wer rassistische Symbole, insbesondere Symbole des Nationalsozialismus, oder Abwandlungen davon, wie Fahnen, Abzeichen, Embleme, Parolen oder Grussformen, oder Gegenstände, die solche Symbole oder Abwandlungen davon darstellen oder enthalten, wie Schriften, Ton- oder Bildaufnahmen oder Abbildungen, öffentlich verwendet oder verbreitet, wer derartige Symbole oder Abwandlungen davon oder derartige Gegenstände zur öffentlichen Verwendung oder Verbreitung herstellt, lagert, ein-, durch- oder ausführt, wird mit Busse bestraft. 2. Die Gegenstände werden eingezogen. 3. Die Ziffern 1 und 2 finden keine Anwendung, wenn die öffentliche Verwendung oder Verbreitung der Symbole oder Gegenstände schutzwürdigen kulturellen oder wissenschaftlichen Zwecken dient. Die Fassungen der ersten und der zweiten Vernehmlassung sind weitgehend identisch. Die Unterschiede zusammengefasst wie folgt: Die zweite Fassung 155 BJ, Arbeitspapier, 18. 156 Vgl. www.bj.admin.ch/bj/de/home/themen/kriminalitaet/gesetzgebung/abgeschlossene_projekte/rassismus.html 157 Vgl. dazu www.bj.admin.ch/bj/de/home/themen/kriminalitaet/gesetzgebung/rassistischesymbole.html sowie EJPD, Rassistische Symbole. spricht nicht von Kennzeichen mit rassendiskriminierender Bedeutung sondern von rassistischen Symbolen und Abwandlungen davon, worunter auch Parolen oder Grussformen verstanden werden; erwähnt als rassistische Symbole ausdrücklich Symbole des Nationalsozialismus; erfasst nicht das öffentliche Anpreisen, Anbieten, Ausstellen, Tragen, Zeigen oder Zugänglichmachen wie die erste Fassung, sondern einfacher das „öffentlich Verwenden oder Verbreiten“; erfasst anders als die erste Version nicht das Herstellen, Einführen, Lagern oder in Verkehr bringen, sondern das Herstellen, Lagern, Ein-, Durch- oder Ausführen zur öffentlichen Verwendung oder Verbreitung. droht nicht Haft oder Busse, sondern nur Busse an. Die Aufnahme der Bestimmung in den Katalog der überwachungsfähigen Delikte, die nach den Beschlüssen des Bundesrates (und der Motion, die hätte umgesetzt werden sollen) angestrebt war, unterblieb, ohne dass die Frage überhaupt angesprochen worden wäre. Auffällig ist auch, dass die Umsetzung der erwähnten Motion, die doch als „alles andere als einfach“ bezeichnet wurde, und die als Begründung für den Auftrag Bundesrats Blochers zu eine Problemanalyse durch das BJ herangezogen wurde, 158 zum einen keine solche Problemanalyse produziert hat, sondern ganz im Gegenteil ein Arbeitspapier, das die Möglichkeiten der Streichung der ganzen Norm oder jedenfalls der Leugnung von Völkermord. Zum anderen hat es hinsichtlich der rassistischen Symbole auch keine Problemanalyse gegeben (oder geben können), ist doch die zweite Version inhaltlich identisch mit der ersten. Primärer Unterschied ist eben, und das war wohl das Ziel dar ganzen Übung, dass die zweite Fassung erst sechs Jahre später nochmals zur Vernehmlassung gelangte. Damit war zwar der Versuch gescheitert, Art. 261bis StGB abzuschaffen oder einzuschränken. Die Bestrebungen von alt Bundesrat Blocher und seiner Partei waren jedoch insofern erfolgreich, als dass die zu Beginn weitgehend unbestrittenen Pläne zur Schaffung einer Strafnorm gegen rassistische Symbole aufgegeben wurden. Die Vernehmlassenden waren diesmal nämlich skeptischer (man könnte vermuten: Vielleicht auch einfach ermüdet durch die stetigen Diskussionen). Es wurden nun Zweifel daran geäussert, ob Strafrecht überhaupt ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung des Rassismus sei (ganz so, als ob es ein geeignetes Mittel zur Bekämpfung irgendwelcher sozialer Verhaltensmuster sei), ob in der Sache überhaupt Handlungsbedarf bestehe und ob die vorgeschlagene Norm dem Bestimmtheitsgebot entspreche. Ausserdem wurde auf das Risiko praktischer Anwendungsschwierigkeiten hingewiesen. Am 30. Juni 2010 verzichtete der Bundesrat endgültig auf die Einführung der Straf- 158 EJPD, Rassistische Symbole, 9. norm. 159 Auf einen weiteren Vorstoss zur Abschaffung von Art. 261bis StGB wird man aber sicherlich nicht lange warten müssen. 159 Bericht des Bundesrates zur Abschreibung der Motion 04.3224 der RK-N vom 29. April 2004 vom 30. Juni 2010, BBl 2010 4851, 4857 ff.