Der Gebrauch der Tempora im Japanischen im

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Der Gebrauch der Tempora im Japanischen im
STUDIA UNIVERSITATIS BABEŞ-BOLYAI, PHILOLOGIA, LV, 3, 2010
DER GEBRAUCH DER TEMPORA IM JAPANISCHEN IM
VERGLEICH MIT DEM TEMPUSGEBRAUCH IM DEUTSCHEN
RÉKA DRANIK∗
ABSTRACT. A Comparison of the Use of Verbal Tenses in Japanese and German.
In this paper I shall discuss the different temporal expressions of verbs in Japanese and
compare them to the temporal expressions of verbs in German. The analysis will show
their use in representing the temporal relationship between the speaker and the action,
event or state which he or she is referring to, and besides, will focus on the way how
verbs represent the speaker’s perspective or point of view regarding the action or event.
Although the Japanese language has only two grammatical tenses, the subtle temporal
differences between actions or events can be expressed as well as in German or
English. Moreover, Japanese is a language in which these two grammatical tenses have
the function to show how the speaker views an action or event, rather than expressing
when it occurred in relation to the time of the utterance. Both languages provide
evidence that the temporal expressions of verbs have a dual function: they can show
both temporal and psychological distances between the speaker and the action or event
he/she is speaking of or the addressee he/she is speaking to.
Keywords: verb, tense, aspect, mood, speaker’s perspective, polite expression.
0. Einleitung
Das Verb ist jene Wortart, mit deren Hilfe der Sprechende oder der
Schreibende Handlungen, Ereignisse, Zustände ausdrücken kann. Die Verben kann
man sowohl nach den grammatischen Merkmalen der Person, des Numerus, des
Modus, des Genus und des Tempus, als auch nach den semantischen Merkmalen
des Aspekts oder der Aktionsart einteilen. Im vorliegenden Aufsatz werden wir uns
eingehend mit dem Temusgebrauch der Verben beschäftigen.
Die grammatischen Tempora bezeichnen Handlungen, Zustände oder
Vorgänge in ihrem zeitlichen Ablauf. Gewöhnlich unterscheiden wir drei objektivreale Zeitstufen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Zum Ausdruck eines vergangenen, gegenwärtigen oder künftigen Geschehens
verwendet man verschiedene Tempusformen, aber die zeitlichen Beziehungen können
nicht nur durch die Tempora ausgedrückt werden. Auf das Tempus eines Geschehens
kann man auch durch verschiedene lexikalische Mittel, wie zum Beispiel temporale
Adverbien, Konjunktionen oder Präpositionalfügungen, hinweisen.
∗
B. A. degree in German Language and Literature and Japanese Language and Literature at the BabeşBolyai University, Cluj-Napoca; at present PhD candidate at the Babeş-Bolyai University, ClujNapoca, E-mail address: dranik_reka@yahoo.com
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Zweitens, kann das Tempus auch verschiedene Zeitbedeutungen haben, die
abhängig von den verschiedenen Text- oder Situationszusammenhängen sind.
Drittens, können bestimmte Tempora – neben temporaler Bedeutung –
auch modale Bedeutungen aufweisen.
Die zeitlichen Bedeutungen können sowohl absolut als auch relativ sein.
Von absoluter Zeitbedeutung sprechen wir, wenn der Sachverhalt das zeitliche
Verhältnis zum Moment des Sprechens oder Schreibens ausdrückt, und so bezeichnet
die Tempusform die objektive Wirklichkeit. Der Zweck des Redens oder des
Schreibens ist also, Aussagen über Geschehen zu machen, die stattfinden oder schon
stattgefunden haben. Im Gegenteil zur absoluten Zeitbedeutung kommt die relative
(Zeitbedeutung) in zusammengesetzten Sätzen vor, wo die zeitlichen Beziehungen
zwischen zwei oder mehreren Sachverhalten ausgedrückt werden. Das Verhältnis
zwischen den Tempora der einzelnen Teilsätze kann Gleichzeitigkeit, Vor- oder
Nachzeitigkeit der Geschehnisse bezeichnen.
Während das Präsens in der deutschen Sprache gewöhnlich die Gegenwärtigkeit
eines Geschehens und das Präteritum die Vergangenheit eines Vorgangs kennzeichnet,
kann im Japanischen die für ein gegenwärtiges Geschehen stehende -u/-ru Form1
nicht ausschließlich mit dem Präsens, bzw. die ein vergangenes Geschehen
markierende -ta/-da Form nicht unbedingt mit der Vergangenheit vereinbart
werden, wenn es sich um zusammengestzte Sätze handelt, in denen zum Beispiel
ein formales Substantiv (oder ein formales Adjektiv) die Zeitverhältnisse bestimmt.
1. Die Zeitformen in einfachen japanischen Sätzen
Die Zeitformen im Japanischen zu erforschen, bedeutet eigentlich den
Aspekt der Verben zu analysieren. Obwohl es in der japanischen Sprache nur zwei
Tempusformen gibt (die -u/-ru Form des Präsens und die -ta/-da Form zur Bezeichnung
eines vergangenen Geschehens), kann man die verschiedenen temporalen Nuancen
der Handlungen oder Ereignisse ebenso gut ausdrücken wie zum Beispiel im Deutschen
oder im Englischen. Disem Zweck dient, wenn wir die Verben im Japanischen
nach deren Aspekt klassifizieren. Kindaichi2 versuchte die japanischen Verben
nach dem Aspekt einzuteilen.
Bei der Klassifikation versuchte Kindaichi festzustellen, wie sich die
japanischen Verben zur -te/-de iru Form verhalten, ob diese sinnvoll mit der -te/-de iru
Form gebraucht werden können, und was für Bedeutungen sie in dieser Form haben
können. Nach diesen Gesichtspunkten unterscheidet Kindaichi vier verbale Gruppen:
1
Die -u/-ru Endung oder -u/-ru Form markiert nicht nur das Präsens, sondern auch den Infinitiv des Verbs.
Zum Beispiel utau bedeutet entweder „singen ”(Infinitiv) oder die konjugierten Formen des
Verbs im Präsens, Indikativ, Singular und Plural: „Ich singe/Du singst/Er (sie, es) singt/Wir singen/Ihr
singt/Sie singen”.
2
Kindaichi, Haruhiko. (1976). “Kokugo dōshi no ichi bunrui” (Eine Klassifikation der japanischen
Verben), in Kindaichi, Haruhiko (Hsg.). Nihongo dōshi no asupekto (Aspekte der japanischen
Verben). Tokyo: Mugi Shobō, S. 7-9.
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DER GEBRAUCH DER TEMPORA IM JAPANISCHEN IM VERGLEICH MIT DEM TEMPUSGEBRAUCH ...
a. Zustandsverben (jōtai-dōshi), die nie in der -te/-de iru Form gebraucht
werden können. Solche Verben sind zum Beispiel aru (sein), dekiru (können)3,
mieru (gesehen werden können), hanaseru (sprechen können) und so weiter.
(1) Koko kara yama ga mieru.
Von hier ist der Berg/sind die Gebirge4 zu sehen.
Von hier kann man den Berg/die Gebirge sehen.
(2) Chichi wa eigo ga hanaseru.
Mein Vater kann Englisch sprechen.
b. Durative Verben (keizoku-dōshi), die sowohl in der -u/-ru Form als
auch in der -te/-de iru Form erscheinen können. Bei diesen Verben hat die -te/-de
iru Form die Rolle das Geschehen in seinem Verlauf, in seiner Dauer darzustellen.
Das kann eine gerade im Augenblick oder in der Zeit des Sprechens oder Schreibens
vor sich gehende oder auch eine gewohnheitsmäßige Handlung sein.Verben wie etwa
yomu (lesen), kaku (schreiben), taberu (essen), nomu (trinken), aruku (gehen), hataraku
(arbeiten), utau (singen), u. s. w. können auch in der -te/-de iru Form auftreten.
(3) Kodomo ga ringo o tabete iru.
Das Kind ißt (gerade) einen Apfel. / Die Kinder essen (gerade) Äpfel.
(4) Watashi wa tegami o kaite iru.
Ich schreibe (eben) einen Brief / Briefe.
Im Deutschen gibt es keine Verlaufsform und die Gegenwärtigkeit eines
Geschehens (also das aktuelle Präsens) wird durch lexikalische Mittel kennzeichnet,
meist durch Temporaladverbien (eben, gerade, jetzt), die aber nicht obligatorisch
sind. Wenn keine Temporaladverbien im Satz vorhanden sind, wird die Verlaufsform
im Deutschen durch den Kontext erkennbar.
c. Momentanverben (shunkan-dōshi), können auch in der -te/-de iru
Form gebraucht werden und bezeichnen das Resultat einer Handlung oder eines
Geschehens. Solche Verben sind z. B. wasureru (vergessen), tsuku (eingeschaltet
werden [Licht]), kimaru (ausgeschaltet werden [Licht]), shinu (sterben), hajimaru
(anfangen - vi., beginnen), sameru (aufwachen), tōchaku suru (ankommen), kekkon
suru (heiraten) u. s. w. Zum Beispiel:
(5) Inu ga shinde iru5.
Der Hund ist tot.
3
4
5
Das Verb dekiru kann auch andere Bedeutungen haben
Im Japanischen haben die Substantive und die Verben kein morphologisches Merkmal der Pluralform.
Darum können wir bei der Übersetzung sowohl den Singular als auch den Plural desselben
Substantivs verwenden.
Das Verb kann auch in der -u/-ru Form auftreten: Ningen ga shinu. (Der Mensch ist sterblich.), wo
eine Allgemeingültigkeit ausgedrückt wird.
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(6) Jugyô ga mō hajimatte iru.
Der Unterricht hat schon begonnen.
d. Durative-statische Verben (jōtai-hattatsu dōshi), die immer nur in der
Struktur -te/-de iru auftreten können. Sie kennzeichnen einen Zustand. Verben wie
zum Beispiel: niru (ähneln, ähnlich sein), sobieru (sich erheben, aufragen), sugureru
(ausgezeichnet sein, außerordentlich sein), arifureru (gewöhnlich sein) u. s. w. Im
Englischen verwendet man für den Ausdruck dieses Aspekts die Verlaufsform
(progressive aspect).
(7) Sensei no otōsan wa totemo sugurete iru sōda.
Man sagt, dass der Vater des Lehrers ein außerordentlicher Mensch ist.
Der Vater des Lehrers soll ein außerordentlicher Mensch sein.
Nur bei den nominalen (8 und 9), bzw. adjektivischen Prädikaten (10 und
11) und den Verben der ersten (a.) Gruppe (12 und 13) drückt die -u/-ru Form das
Präsens und die -ta/-da Form ein vergangenes Ereignis aus:
(8) Kore wa hana da / desu.
Das/Diese ist eine Blume.
(9) Kore wa hana datta / deshita.
Das/Diese war eine Blume./ Das/Diese ist eine Blume gewesen.
(10) Ano hon wa chiisai da / desu.
Jenes Buch ist klein.
(11) Ano hon wa chiisakatta / chiisai deshita.
Jenes Buch war klein. / Jenes Buch ist klein gewesen.
(12) Chichi wa Doitsugo mo hanaseru.
Mein Vater kann auch Deutsch sprechen.
(13) Chichi wa Rūmaniago mo hanaseta.
Mein Vater konnte auch Rumänisch sprechen.
Diese Sätze sind eigentlich Zustandsaussagen. Bei den Verben aus der
zweiten (b.) und dritten (c.) Gruppe, welche Handlungsverben sind, bezeichnet die
-u/-ru Form (im Gegensatz zur -te/-de iru Form): (i) etwas Bestimmtes in der
Zukunft, die Intention des Sprechers oder des Schreibers etwas in der Zukunft zu
tun (14), (ii) eine Handlung oder ein Vorgang von Dauer, oder ein sich
wiederholendes, gewöhnliches Geschehen (15 und 16).
(14) Boku wa iku.
Ich gehe! (i. e. Ich bin entschlossen [hin]zugehen.)
(15) Boku wa maiasa hachiji ni gakkō e iku.
Ich gehe jeden Morgen um 8 Uhr in die Schule.
(16) Mainichi bīru o nomu.
Jeden Tag trinke ich Bier.
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Was die deutschen Handlungsverben betrifft, kann das Präsens sowohl eine
gegenwärtige, als auch eine künftige Handlung kennzeichnen:
(17) Ich lese (eben/jetzt). (Präsens)
(18) Ich gehe morgen zum Zahnarzt. (Futur I.)
In diesem letzteren Fall wird gewöhnlich auch ein Temporaladverb oder
eine präpositionale Fügung verwendet, welche sich auf einen zukünftigen Zeitpunkt
beziehen (wie etwa: morgen, in kurzer Zeit, in ein paar Monaten u. s. w.).
Das Präsens kann sowohl im Deutschen als auch im Japanischen eine
Allgemeingültigkeit zum Ausdruck bringen:
(19) Die Erde dreht um die Sonne.
Chikyū wa taiyō o mawaru / mawatte iru.
Im Japanischen aber kann man in diesem Fall auch die -te/-de iru Form
benutzen, die eigentlich den progressiven Aspekt des Geschehens hervorheben soll.
Falls die japanischen Handlungsverben aus der Gruppe b., bzw. c. in der ta/-da Form erscheinen, können die (i) entweder vergangene Sachverhalte bezeichnen,
welche als abgeschlossen und ohne jeden Bezug zur Gegenwart betrachtet werden,
oder (ii) solche vergangenen Handlungen oder Ereignisse, welche man sich als
noch in die Gegenwart hineinwirkende Geschehenisse vorstellt. Dieser Aspekt tritt
nicht in Fragesätzen, sondern in Verneinungssätzen deutlich hervor. Bedingt durch
den situationalen Kontext, hat der folgende japanische Fragesatz zwei Bedeutungen:
(20) Tegami o yonda ka.
a. Hast du gestern den Brief gelesen?
b. Hast du (heute) schon den Brief gelesen?
Nur aus der daraufgegebenen Antwort wird einem deutlich, welche von
den beiden Fragen eigentlich gestellt wurde. Wenn die Antwort:
(20’) Iie, yomanakatta.
auf die Frage gegeben wird, bedeutet sie:
a’. Nein, (gestern) nicht.
Klingt die Antwort:
(20’’) Iie, mada yonde inai.
hat sie eine ganz andere Bedeutung, nämlich:
b’. Nein, ich habe den noch nicht gelesen.
Hier haben wir ein typisches Beispiel für die situativ bedingte Bedeutung
eines Satzes im Japanischen. Nur aus dem situativen Kontext wird dem Gefragten
deutlich, welche von den beiden Bedeutungen des Fragesatzes eigentlich der
Fragende meinte.
Im Unterschied zum Japanischen verwendet man im Deutschen das Perfekt
mit einer temporalen Adverbialbestimmung (gestern, schon).Was den Aspekt der
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deutschen Verben betrifft, sagt Antoniy Dimitrov folgendes: „Das Verb der
neuhochdeutschen Standardsprache weist die morphologische bzw. die syntaktische
Kategorie Aspekt nicht auf. Perfektivität, Imperfektivität, Iterativität etc. scheinen für
die deutsche Syntax eine untergeordnete Rolle zu spielen und können nur durch
lexikalische Zusatzmittel wie etwa Adverbien im Satz zum Ausdruck gebracht
werden [vgl.: (1)»Ich arbeite«. vs. (2) »Ich arbeite gerade.« vs. (3) »Ich arbeite täglich/jeden
Tag« etc.]. Allerdings ist anzunehmen, daß für den deutschen Muttersprachler die
Aussagen der Sätze 1-3 sich sicher eher »modal« als »aspektual« unterscheiden.“6
2. Die Zeitformen in den japanischen Satzgefügen
In der japanischen Sprache kennzeichnet die -u/-ru Form der Verben nicht
immer das Präsens oder das Futur. Mit der -u/-ru Form des Verbs kann man auch
auf ein vergangenes Geschehen oder schon stattgefundene Handlung zuweisen,
falls das Verb in einem temporalen Nebensatz erscheint, wie etwa in:
(21) a. Doitsu e kuru toki, sensei kara hon o moratta.
Als ich nach Deutschland fuhr, habe ich vom Lehrer ein Buch
bekommen.
b. Doitsu e kita toki, sensei kara hon o moratta.
Als ich in Deutschland ankam, habe ich vom Lehrer ein Buch
bekommen.
Wenn der Sprecher oder der Schreiber zum Beispiel ein Japaner ist, ist der
Ort, wo er das Buch bekommen hat, im Satz (21) a. Tokyo und im Satz (21) b. Berlin.
Obwohl im Hauptsatz ([...], sensei kara hon o moratta.) das Verb ein
vergangenes Geschehen ausdrückt, steht dasselbe Verb im Nebensatz a. (Doitsu e
kuru toki, [...].) im Präsens und im Nebensatz b. (Doitsu e kita toki, [...].) im
Präteritum. Der Gebrauch des gleichen Verbs (kuru) in zwei Tempusformen, macht
uns deutlich, dass die -u/-ru Form nicht immer das Präsens kennzeichnet. Solche in
Satzgefügen stehenden Verben kennzeichnen nicht unbedingt das Tempus, sondern
eher den Aspekt des Geschehens. Im Beispielsatz a. bezeichnet die -u/-ru Form des
Verbs die Vortdauer, und im Beispielsatz b. die Vollendung der Handlung. Der
Maßstab in diesen Fällen ist der Zeitbezug des Verbs im Hauptsatz. Was die
Satzgefüge im Japanischen betrifft, müssen wir einerseits, die Klassifikation der
Verben nach den semantischen Kriterien, und andererseits, auch die Art der
Konjunktion in Betracht ziehen. Um die Vorzeitigkeit, bzw. die Vollendung einer
Handlung im Deutschen auszudrücken, verwenden wir – im Gegensatz zum
Japanischen – ein anderes Verb und/oder ein anderes Tempus.
6
Dimitrov, Antoniy. (2008). „Aspekt im Deutschen: Effizienz vs. Effektivität - Aspektrelevanz im
deutschen Wortschatz“. in Münchner Notizen,
http://muenchenernotizen.blogger.de/stories/1140397/
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Nehmen wir jetzt ein anderes Beispiel mit einer anderen japanischen
Konjunktion (nara = wenn – konditionale Bedeutung):
(22) a. Arashi ga kuru nara ikanakatta noni.
Es kam ein Gewitter. Wenn ich das vorher gewußt hätte, wäre
ich nicht hingegangen.
b. Arashi ga kita nara ikanakatta noni.
Wenn ein Gewitter gekommen wäre, wäre ich nicht hingegangen.
Im Nebensatz (22) a. (Arashi ga kuru nara, [...]), wo das Präsens des
Verbs kuru (kommen) steht, handelt es sich um eine Tatsache, ein Geschehen, das
in Wirklichkeit (schon) stattgefunden hat. Der Satz (22) b. (Arashi ga kita nara
[...]), wo das Verb in der Vergangenheitsform steht, ist eigentlich ein irrealer
Konditionalsatz. In nara-Sätzen müssen wir sowohl auf die konditionale Funktion
der Konjunktion, als auch auf die Tempusform des Verbs im Nebensatz achten, um
die genaue Bedeutung des Satzes zu verstehen.
3. Die Vergangenheistform als Ausdruck der Stimmung im Japanischen
In den obengenannten Beispielen haben wir darauf angewiesen, dass im
Japanischen die -u/-ru Form, bzw. die -ta/-da Form sowohl aspektivische als auch
temporale Merkmale haben können. Die -ta/-da Form kann aber auch noch zum
Ausdruck der Stimmung des Sprechers oder Schreibers dienen. Zum Beispiel:
(23) a. Kono nōto wa senkoku kara koko ni aru.
Dieses Notizbuch steht hier schon lange.
b. Kono nōto wa senkoku kara koko ni atta.
Dieses Notizbuch hat hier schon lange gestanden.
c. Nōto wa koko ni atta!
Da ist das Notizbuch!
Die Sätze (23) a., b. und c. drücken die Tatsache aus, dass das Notizbuch
hier ist. Aber die -ta/-da Form des Verbs im Satz (23) c. bringt diesmal die Stimmung
des Sprechers zum Ausdruck. Einen solchen Ausrufesatz verwenden wir, wenn wir
z. B. etwas plötzlich gefunden haben, was wir schon lange gesucht haben.
Nun stellen wir uns ein anderes Beispiel vor: Wir sind am Bahnhof und
warten schon ziemlich lange auf den Zug. Dann plötzlich erblicken wir den sich
nähernden Zug. In dieser Situation können wir uns auf japanisch folgenderweise
ausdrücken:
(24) a. A, kisha ga kuru!
O, der Zug kommt.
b. A, kisha ga kita!
O, der Zug kommt endlich!
Der Satz (24) a. drückt nur die Tatsache aus, dass der Zug kommt. Der
Satz (24) b. dagegen, in dem die -ta/-da Vergangenheitsform verwendet wird, sagt,
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dass der Zug, auf den wir schon lange warten, endlich kommt. Das Präsens des
Verbs (kuru) im Beispielsatz (24) a. drückt also eine objektive Wirklichkeit aus,
während dessen Vergangenheitsform (kita) im Satz (24) b. die Verwirklichung
einer Erwartung. Ein anderes Beispiel:
(25) 85 mētā no tokeidai datta!
85 m hoch ist der Uhrturm!
Um die subjektive Einschätzung des Geschehens in der deutschen Sprache
auszudrücken, bedienen wir uns der Modalwörter7, aber auch der Wortstellung,
bzw. der Intonation8. Die Intonation spielt im Deutschen eine so wichtige Rolle,
dass sie von vielen Linguisten zu den grammatischen Mitteln gezählt wird. „Im
Gegensatz zu den Ausdrucksmitteln ist die Intonation nicht nur an der Signalisierung
von Emotionen beteiligt, sondern sie übt auch grammatische Funktion aus. Von
zahlreichen Sprachwissenschaftlern wird sie deshalb als grammatisches Mittel betrachtet
und zählt damit zum Sprachsystem.“9
Manchmal verwenden wir auch im Deutschen die Vergangenheisform als
Ausdruck der Stimmung, wie im Japanischen:
(26) Nächsten Monat hatte ich doch etwas vor!
Raigetsu yakusoku ga atta!
Wir können bemerken, dass die Verwendung der Vergangenheitsform in
den beiden Sprachen besonders bei Zustandsverben erscheint, obwohl sich die
Information in diesen Aussagen auf etwas Gegenwärtiges oder Zukünftiges bezieht.
Während wir bei den Handlungsverben die Reihenfolge der Geschehen in Betracht
ziehen müssen, brauchen wir bei den Zustandsverben keine Reihenfolge der
Ereignisse zu berücksichtigen. Das ist so, weil wir bei den Zustandsverben keine
Reihenfolge der Ereignisse zu berücksichtigen brauchen - während wir bei den
Handlungsverben auch auf die Reihenfolge der Geschehen achten müssen.
4. Die Vergangenheitsform: ein Sprachmittel zum Ausdruck der
Höflichkeit im Japanischen und im Deutschen
Eine Besonderheit der japanischen Sprache ist, dass sie über ein festes
System von lexikalischen und morphologischen Formen verfügt, welches dem
Ausdruck des Verhältnisses des Sprechers oder Schreibers zu seinen Gesprächspartnern
dient. Dieses sehr umfangreiches und nuanciertes System der Höflichkeitsformen10
umfaßt eine breite Skala von Abstufungen (bescheiden, neutral, höflich, respektvoll),
7
Helbig, Gerhard und Buscha, Joachim. (1980). Kurze deutsche Grammatik für Ausländer. Leipzig:
VEB Verlag Enzyklopädie, S. 190-193.
8
Jung, Walter. (1980). Grammatik der deutschen Sprache. Leipzig: VEB Bibliographisches Institut,
S. 150- 164.
9
Jung, Walter (1980), S. 153.
10
Im Japanischen nennen wir es: keigo-hyōgen
196
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welche dem Ausdruck des Respekts des Sprechenden gegenüber seinem
Gesprächspartner je nach der sozialen Rangstufe der beiden Sprecher dient. In den
folgenden Beispielsätzen wird die -ta/-da Form als Ausdruck der Höflichkeit
verwendet:
(27) Katta, katta11!
Kommen Sie bitte zurück, kommen Sie bitte zurück!
(28) Matta12!
Warten Sie bitte!
Auch im Deutschen kann die Vergangenheitsform der Verben zum
Ausdruck des Respekts dienen. Das nennt man Imperfekt der Höflichkeit und wird
in Restaurants oder am Telefon verwendet13, wie etwa:
(29) Wie war doch Ihr Name?
O-namae wa nan deshita-kke?
5. Die Vergangenheitsform: ein Sprachmittel zum Ausdruck der Zukunft
im Japanischen
Eine andere Besonderheit der japanischen Sprache ist die Tatsache, dass
man mit der -ta/-da Vergangenheitsform auch auf eine künftige Handlung hinweisen
kann, wie zum Beispiel in den folgenden Sätzen:
(30) Sō, sō, tsugi no nichiyō wa yakusoku ga arimashita.
Ja, ja, wir haben am nächsten Sonntag eine Verabredung.
(31) Kondo no pātii ni wa Tanaka-san ga kite kureta ne.14
Herr Tanaka (sagte), er werde zur nächsten Party kommen.
Auch im Deutschen verwendet man mitunter die Vergangenheitsform (das
Perfekt) um auf etwas Zukünftiges hinzuweisen:
(32) Bis morgen habe ich mir die Sache überlegt.
In diesem Fall und in den ähnlichen Fällen steht das Perfekt eigentlich für
das Futur II. Das Perfekt hier ist eigentlich die verkürzte Form des Futurum
exactum und kommt häufiger als dies (i. e. das Futur II.) vor. Im Futur II. würde
der Satz (32) folgenderweise klingen:
(33) Bis morgen werde ich mir die Sache überlegt haben.
11
-ta/-da Form des Verbs kaeru (zurückkommen, zurückkehren)
-ta/-da Form des Verbs matsu (warten)
13
vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Höflichkeitsform
14
Martin, E. Samuel. (1991). A Reference Grammar of Japanese. Rutland, Tokyo: Charles E. Tuttle
Company, S. 603.
12
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Im Deutschen kann manchmal die Verwendung des Perfekts, das die
verkürzte Form des Futur II. ist, eine rein temporale Funktion haben, während die ta/-da Form im Japanischen nur eine modale Rolle spielen kann. Futur I., bzw.
Futur II. kommen in der Umgangssprache nicht oft vor. Meistens verwendet man
im Deutschen anstatt des Futur I. (34) das Präsens (35).
(34) Wir werden (im Sommer) ans Meer fahren.
(35) Wir fahren (im Sommer) ans Meer.
Ein besonderes Merkmal des Futur I. und des Futur II. ist die Tatsache,
dass sie vorwiegend in modaler Bedeutung stehen, zum Beispiel zum Ausdruck
einer Vermutung oder einer Aufforderung. In modaler Bedeutung, zur Bezeichnung
eines vermuteten Ereignisses wird das Futur I. mit Bezug auf die Gegenwart (36)
und das Futur II. mit Bezug auf ein Geschehen in der Vergangenheit (37) verwendet.
(36) Sie wird (jetzt) ihre Hausaufgaben machen.
(37) Er wird (gestern) seine Freunde besucht haben.
In den beiden Fällen ist die Bedeutung der Sätze mit dem Modalfaktor der
Vermutung verbunden15. Bei dieser Verwendung des Futur I. und des Futur II.
können auch Temporalangaben auftreten, welche aber nicht obligatorisch sind.
Verwendet man aber das Futur II. zur Bezeichnung eines künftigen Ereignisses, so
ist die Verwendung einer Temporalbestimmung obligatorisch (38).
(38) Morgen/ Bis Montag wird er den Aufsatz geschrieben haben.
6. Schlussfolgerungen
Der Tempusgebrauch im Japanischen, in dem es nur zwei grammatikalische
Tempusformen gibt, ist in vielen Sprachsituationen anders als im Deutschen, das
über wesentlich mehrere Tempusformen verfügt als das Japanische. Jedoch kann
man auch in der japanischen Sprache die verschiedenen temporalen Verhältnisse
ebenso nuanciert ausdrücken wie im Deutschen. Tempus kann auch im Japanischen
zum Ausdruck der Stimmung oder sogar der Höflichkeit des Sprechers oder des
Schreibers gegenüber seinem Gesprächspartner dienen. Was den Gebrauch von den
Verben betrifft, gibt es jedoch einen wichtigen Unterschied zwischen den beiden
Sprachen: im Japanischen spielt eine viel größere Rolle der Aspekt eines Verbs als
das Tempus. Im Deutschen hat aber der Aspekt eine viel geringere Bedeutung,
dagegen können wir uns der verschiedenen Tempusformen wie auch der anderen
Sprachmittel beim Sprechen oder Schreiben bedienen. In vielen Fällen kann aber
auch die gegebene Sprechsituation von großer Bedeutung sein.
15
Helbig, Gerhard und Buscha, Joachim (1980). S. 57-59.
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LITERATUR
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