Zur Einordnung der Ergebnisse von Vergleichsarbeiten
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Zur Einordnung der Ergebnisse von Vergleichsarbeiten
Universität Dortmund Institut für Entwicklung und Erforschung des Mathematikunterrichts Dortmund, August 2006 Michael Link Zur Einordnung der Ergebnisse von Vergleichsarbeiten Mit Testaufgaben, wie sie in VERA eingesetzt werden, kann nur ein geringer Teil dessen, was Leistung im Mathematikunterricht ausmacht und was Kinder täglich im Mathematikunterricht leisten, eingefangen werden. Die sich daraus ergebende beschränkte Aussagekraft der Ergebnisse bei VERA wird sowohl von Kritikern als auch von Wissenschaftlern aus dem VERA-Projekt selbst immer wieder herausgestellt: „Vergleichsarbeiten bieten vielfältige Vergleichs- und Interpretationsmöglichkeiten. Ihre Aussagekraft unterliegt aber der Einschränkung, dass es sich nur um eine Momentaufnahme handelt, die durch weitere Ergebnisse ergänzt und abgesichert werden muss. Verglichen mit den Erfahrungen und Erkenntnissen von Lehrerinnen und Lehrern kann das Ergebnis einer Vergleichsarbeit im Hinblick auf die Beurteilung einzelner Schülerinnen und Schüler immer nur ein ergänzender Mosaikstein sein – nicht mehr, aber auch nicht weniger.“ zit. aus der Handreichung „Pädagogische Nutzung der Vergleichsarbeiten“1, Hervorhebung ML In der öffentlichen Diskussion (wie auch in anders lautenden Veröffentlichungen der VERAProjektgruppe) wird dies jedoch häufig kaum wahrgenommen und die VERA-Ergebnisse oftmals als der objektive Maßstab schlechthin für die mathematischen Leistungen einzelner Kinder oder ganzer Klassen angesehen, wenn nicht als der Maßstab für die Qualität von Mathematikunterricht überhaupt. Im Folgenden werden einige Punkte genannt, die die beschränkte Aussagekraft der Ergebnisse von Vergleichsarbeiten (sowohl gute als auch schlechte) genauer beschreiben und argumentativ stützen sollen. Testergebnisse sind nur eine Momentaufnahme Wie im obigen Zitat schon erwähnt, handelt es sich bei den Ergebnissen einer flächendeckenden Vergleichsuntersuchung nur um eine Momentaufnahme. Besonderheiten, die am Tag der Testdurchführung aufgetreten sind (Tagesform, Merkmale der eingesetzten Aufgaben etc.), können die Leistungen der Kinder beeinflussen und nicht durch die Erbringungen anderer Leistungen ersetzt bzw. ausgeglichen werden. Eine diagnostische Begleitung der Lernwege und –prozesse der Kinder, wie sie ein zeitgemäßer Mathematikunterricht erfordert, ist nicht möglich; dafür wäre eine kontinuierliche, systematischere und differenziertere Dokumentation der Leistungen erforderlich. Dies wird mit VERA auch nicht beabsichtigt, wie in einer Stellungnahme der VERA-Projektgruppe2 betont wird. 1 2 abzurufen unter http://vera-server.uni-landau.de/vera/download/VERA2005_Handreichung_PaedNutzen.pdf abzurufen unter http://139.14.28.6/verapub/ fileadmin/downloads/GS_Aktuell_lang8.pdf Vor diesem Hintergrund sind negative Testergebnisse weder ein Zeichen dafür, dass im Mathematikunterricht alles schlecht läuft, noch geben positive Ergebnisse Grund zu übertriebenem Enthusiasmus. Testaufgaben können die Kompetenzen der Kinder nur unzureichend abbilden Um die Auswertung von Testaufgaben möglichst objektiv und ökonomisch zu gestalten, gibt es klare und zum Teil sehr enge Auswertungsvorgaben. Dadurch kommt es immer wieder vor, dass Kinder eine Aufgabe zwar sinnvoll bearbeiten und sehr wohl ihre Kompetenzen oder zumindest Teilkompetenzen zum Ausdruck bringen, aber trotzdem ein im Sinne der Auswertungsvorgabe falsches Ergebnis erzielen. Eine differenzierte, den Leistungen einzelner Kinder gerecht werdende Beurteilung ist kaum möglich. Leistungssituation im Test entspricht nicht der Leistungssituation im Unterricht Gerade zur Überprüfung von Fähigkeiten, die über Faktenwissen oder bloße Fertigkeiten wie Rechnen hinausgehen, werden auch im Rahmen von Testaufgaben komplexere Aufgabenformate mit unterschiedlichsten Anforderungen und Fragestellungen eingesetzt, in die sich die Kinder in kürzester Zeit hineindenken sollen. Im normalen Unterricht werden diese Aufgabenformate in einem Sinnzusammenhang und meist über mehrere Unterrichtsstunden hinweg thematisiert. Das jeweilige Aufgabenformat wird ausführlich, zumeist mündlich besprochen, um ein ausreichendes Aufgabenverständnis sicherzustellen. Danach können sich die Kinder während mehrerer Unterrichtsstunden mit diesem Format auseinandersetzen und verschiedene komplexe Fragestellungen bearbeiten bzw. diese selbst erfinden. Es ist anzunehmen, dass die Arbeitsergebnisse der Kinder in einem so gestalteten zeitgemäßen Unterricht von anderer Qualität und aussagekräftiger sind als Ergebnisse von Testaufgaben. Solche Leistungsdokumente aus dem eigenen Unterrichtsalltag können zum Vergleich bzw. zur Gegenüberstellung mit den Ergebnissen flächendeckender Untersuchungen herangezogen werden und liefern zahlreiche Anhaltspunkte zur realistischen Einschätzung der individuellen Leistungen der Kinder. Testergebnisse hängen von den eingesetzten Testaufgaben ab Eigene Untersuchungen haben gezeigt, dass die Ergebnisse bei einzelnen Testaufgaben sehr stark von der genauen Darstellungsform der Aufgabe abhängen können. Geringe Veränderungen der Formulierung der Frage, des Aufgabentextes oder der eingesetzten Darstellungen können die Zahl der Kinder, die die Aufgabe richtig lösen, deutlich erhöhen – oder vermindern. Daraus ergeben sich auch Qualitätskriterien für Testaufgaben: Sie sollten so formuliert sein, dass sie den Kindern ermöglichen, das zu zeigen, was sie tatsächlich können; insbesondere, dass den Kindern die Aufgabenstellung leicht verständlich ist. Damit Testaufgaben diesen Kriterien genügen, sind im Vorfeld der Vergleichsuntersuchung umfangreiche Studien zur Evaluation und Optimierung der Testaufgaben notwendig. Von den eingesetzten Aufgaben hängt es auch ab, ob Inhaltsbereiche (Arithmetik, Geometrie, Sachrechnen/Größen), aber auch einzelne Kompetenzen, adäquat repräsentiert werden und damit eine valide Leistungsbeurteilung dieser Bereiche überhaupt möglich ist; schließlich will VERA für „jede Schülerin bzw. jeden Schüler ... jeweils ein Fähigkeitsniveau in den drei Inhaltsbereichen“3 ermitteln. Dazu reicht es m. E. nicht aus, Testaufgaben einzelnen Kompetenzen in den Inhaltsbereichen zuordnen zu können. Vielmehr wäre es notwendig, die zentralen Kompetenzen eines Bereichs möglichst vollständig und unterrichtsnah zu erfassen; andernfalls bliebe das durch die Testergebnisse gezeichnete Bild bruchstückhaft, gerade, wenn es auch darum gehen soll, Förderhinweise aus den Ergebnissen abzuleiten. Was die veröffentlichen Aufgaben bei VERA angeht, gab es in diesem Punkt in den letzten beiden Jahren noch Verbesserungsbedarf. Eigene, systematische Formen der Leistungsfeststellung wie zum Beispiel in Fachoder Stufenkonferenzen entwickelte Standortbestimmungen, aber auch durchdachte Klassenarbeiten, die in allen Parallelklassen eingesetzt werden, können eine zumindest nicht weniger valide und differenzierte Einschätzung der Leistungen in einem Inhaltsbereich (bzw. in einem Teilbereich) liefern und stellen eine stabile Basis dar zur Auseinandersetzung mit Testergebnissen. Prozessbezogene Kompetenzen können mit Testaufgaben kaum erfasst werden Testaufgaben wie sie in VERA eingesetzt werden eignen sich nur bedingt dazu, die heute als zentral angesehenen prozessbezogenen (oder wie es in den Bildungsstandards der KMK heißt: allgemeinen mathematischen) Kompetenzen zu erfassen. Dabei entziehen sich manche Kompetenzen komplett einer „Messung“ durch Testaufgaben (Bsp.: Aufgaben gemeinsam bearbeiten, dabei Verabredungen treffen und einhalten), andere Kompetenzen lassen sich nur schwer oder unzureichend erfassen (Bsp.: Lösungsstrategien entwickeln und nutzen, mathematische Zusammenhänge erkennen und Vermutungen entwickeln). Manchmal werden dazu offene Aufgaben eingesetzt, bei denen die Kinder kleinere Texte verfassen sollen. Diese lassen sich aber kaum mit der für Testaufgaben geforderten Objektivität und vor allem kaum mit dem geforderten geringen Zeitaufwand bewerten. Häufig werden aber Multiple-choice-Aufgaben eingesetzt. Dass prozessbezogene Kompetenzen mit letzteren nur eingeschränkt erfasst werden können, liegt auf der Hand. Gerade im Bereich der prozessbezogenen Kompetenzen sollte deswegen das Urteil der (kompetenten) Mathematiklehrerin, die die Lernwege der Kinder über einem längeren Zeitraum begleitet und unterstützt, nicht weniger aussagekräftig und zuverlässig sein als Testergebnisse. 3 zit. aus „Beschreibung der Fähigkeitsniveaus Mathematik VERA 2005“, abzurufen unter http://139.14.28.6/ verapub/fileadmin/downloads/faehigkeitsniveaus_mathematik.pdf