Wehmütiges Dampferjubiläum ohne Dampf Der älteste A

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Wehmütiges Dampferjubiläum ohne Dampf Der älteste A
Wehmütiges Dampferjubiläum ohne Dampf
Schifffahrt | Radschiff Goethe auf dem Rhein hat den gleichen Jahrgang wie die «Gallia»
Wäre nicht vor fünf Jahren
der Dampfantrieb ausgebaut
worden, könnte die «Goethe» wie die «Gallia» das
100-Jahr-Jubiläum unter
Dampf feiern.
Urner Wochenblatt 21.09.2013
Mario Gavazzi
Die «Gallia» blickt dem Saisonende
entgegen und gleichzeitig auf ein
wunderschönes Jubiläumsjahr zurück
mit vielen Einsätzen. In der «Ehrengarde» der noch fahrenden Raddampfer gibt es eine Jahrgängerin zur «Gallia». Sie heisst «Goethe» und fährt
auf dem landschaftlich wohl schönsten Teil des Rheins in Deutschland,
als letztes Radschiff der Dampfzeit
der Köln-Düsseldorfer Deutschen
Rheinschifffahrt AG (KD). Raddampfer? Das war sie mal, die 1913 von der
Firma Sachsenberg in Rosslau an der
Elbe erbaute «Goethe». Diese Unternehmung hat unzählige Schiffe in die
halbe Welt geliefert und war unter anderem eine Konkurrentin etwa zur
zürcherischen Escher Wyss & Cie.,
welche fast zeitgleich die «Gallia» für
den Vierwaldstättersee erstellt hat.
Die beiden Schiffe gingen im Hochsommer 1913 in Betrieb: die «Gallia»
am 10. Juli mit der ersten Kursfahrt
und am 23. Juli mit der Jungfernfahrt
und die «Goethe» am 4. August.
Einsatz auf Paradelinien
Eine weitere Parallele zwischen der
«Gallia» und «Goethe» bestand im
Einsatzkonzept: Die Dampfer befuhren klassische Routen, die «Goethe»
auf dem Mittelrhein, wo Städte wie
Koblenz und Bingen oder der legendäre Loreleyfelsen zusammen mit vielen Burgen und Schlössern eine starke Anziehungskraft auf Menschen aus
aller Welt ausüben. Die «Gallia» gehört seit 100 Jahren zum unverwechselbaren Bild des Urnersees: Ihre Biografie wickelt sich weitgehend auf der
Linie Luzern–Flüelen ab. Es gibt aber
auch Unterschiede zwischen den beiden Salondampfern. Die «Gallia» hat
ihr Aussehen seit 1913, abgesehen
von baulichen Massnahmen wie etwa
dem Aufbau eines Steuerhauses,
kaum verändert. Anders die «Goethe»: Sie war der letzte für den Mittelrhein erbaute Eindeckdampfer. Erst
1925 durchlief sie den Umbau in ein
zweideckiges Salonschiff.
Zerstörung im Zweiten Weltkrieg
Was der «Gallia» und ihren Zeitgenossinnen in der Schweiz zum Glück
erspart blieb, widerfuhr der «Goethe»
und mit ihr unzähligen Dampfern: die
teilweise oder ganze Zerstörung während des Zweiten Weltkriegs. Bomben
Die «Goethe» wartet am viertletzten Kurseinsatztag unter Dampf in Bingen auf
Fahrgäste rheinabwärts.
Foto: MaRio Gavazzi
liessen das Schiff sinken und erst
1952 ging es wieder in Betrieb. Wieder flott gemacht, diente es bis 1989
auf seiner Paradestrecke, nach 1981
als letzter einsatzfähiger Personenraddampfer auf dem Rhein.
Dampferfreunde retten «Goethe»
Der Freundeskreis Raddampfer Goethe e.V. bemühte sich nach der Stilllegung 1989 um eine Rettung nach
dem Vorbild vieler anderer Dampfschiffe. So bestanden intensive Kontakte sowohl mit den Dampferfreunden Vierwaldstättersee wie auch der
Schifffahrtsgesellschaft SGV. Mithilfe
finanzkräftiger Kreise gelang das Vorhaben und 1996 dampfte die «Goethe» wieder auf ihrer Stammstrecke.
Bereits freute man sich auf das nahende 100-Jahr-Jubiläum. Es hätte im laufenden Jahr, parallel zur «Gallia» und
zur ebenfalls vorbildlich gepflegten
«Hohentwiel» auf dem Bodensee gefeiert werden können. Es gab tatsächlich eine Jubiläumsfahrt der «Goethe», am 20. Juli. Doch der Dampf,
welcher durch die Dampfpfeife in die
Höhe ging und das akustische Signal
kilometerweit in die Umgebung hinaustrug, kam nicht von der Kesselanlage tief unten im Schiffsrumpf.
Gehören Dampfmaschinen
ins Museum?
Nur 95 Jahre lang durfte die «Goethe» mit Dampf verkehren. Am 7. Oktober 2008 verliess sie ihr Einsatzgebiet und fuhr letztmals mit Dampf in
eine Werft, wo aufgrund eines überwiegend wirtschaftlich begründeten
Entscheides der Eigentümer Kessel
und Maschine ausgebaut wurden. Ein
dieselelektrischer Antrieb bewegt das
Schiff seit der Saison 2009. Die Maschine wird museal erhalten und soll
als stiller Zeuge an eine vergangene
Zeit erinnern. Der Entscheid der Firma KD hat weit herum Unverständnis ausgelöst, doch er liess sich nicht
mehr ändern. Realistischerweise dürfte an der heutigen «Goethe» kaum
mehr etwas Originales von 1913 vorhanden sein. Das betrifft auch den
rechtlichen Sitz, denn 2009 wurde sie
nach Valetta (Malta) als neuen Heimathafen ausgeflaggt.
DS Gallia hatte mehr Glück
Das ist auf dem Vierwaldstättersee
anders. Denn hier dürfen die fünf einsatzfähigen Raddampfer dank guter
Pflege durch die Mitarbeitenden der
SGV und der Unterstützung der
Dampferfreunde ihre Jubiläen mit
Dampfantrieb begehen. Ihr Heimathafen ist und bleibt Luzern, und der
Urnersee wird weiterhin zu den Einsatzgebieten zählen. Die «Goethe»
kann hingegen nur mit ihrer Fassade
die Dampfzeit auf dem Mittelrhein
dokumentieren. Zwei weitere ehemalige Rheindampfer blieben als Museumsschiffe in Mannheim und als
Nostalgie-Rundfahrtenschiff im Rotterdamer Hafen erhalten. DS Gallia
hatte da mehr Glück. Es gab zwar
mehrmals Diskussionen, dieses Schiff
umzubauen. Einerseits im baulichen,
anderseits auch im antriebsbezogenen
Bereich. Die Pläne blieben zum Glück
in der Schublade und die «Gallia»
fast unverändert auf dem See.
Letzte Kursfahrten der «Gallia»
Am Samstag verkehrt DS Gallia letztmals dieses Jahr im Kursdienst, und
zwar um 13.12 Uhr ab Luzern bis
Flüelen, mit Rückfahrt um 16.00 Uhr
nach Luzern. Änderungen sind möglich. Die Saison beschliesst die Hundertjährige am 5. Oktober mit einer
Sonderfahrt zusammen mit Militärbooten.