1 Begrüßungsrede Peter Renzel Geschäftsbereichsvorstand
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1 Begrüßungsrede Peter Renzel Geschäftsbereichsvorstand
Begrüßungsrede Peter Renzel Geschäftsbereichsvorstand für den Fachbereich Schule, Amt für Soziales und Wohnen, Jugendamt, Gesundheitsamt und JobCenter Essen anlässlich der: 3. Kinderschutzkonferenz am 25.04.2013 in Essen Hinsehen –Hinhören – Handeln „Kinderarmut bekämpfen –Teilhabe ermöglichen“ Sehr geehrte Damen, sehr geehrte Herren, es ist mir eine große Freude, dass Sie der Einladung zur dritten Kinderschutzkonferenz gefolgt sind. Ganz besonders freue ich mich darüber hier im Hotel Franz gemeinsame mit Ihnen tagen zu dürfen. Die heutige Kinderschutzkonferenz hat das Schwerpunktthema „Kinderarmut bekämpfen – Teilhabe ermöglichen“ In welchem Zusammenhang stehen die Themen Kinderschutz und Kinderarmut? Das Eine als ganz klar geregelte gesetzliche Vorgabe, bei der das Kindeswohl im Zentrum steht; das Andere eher die Benennung eines gesellschaftlichen Phänomens, das uns zum Handeln aufruft. Beide Begriffe greifen unterschiedliche Facetten eines Themas auf, in dessen Mittelpunkt immer das Wohl des Kindes steht, wobei sich Kindeswohl, Elternwohl und Gemeinwohl einander bedingen. Unsere vordringliche Aufgabe des Kinderschutzes und der Bekämpfung der Kinderarmut sind nur dann erfolgreich, wenn wir sie systemisch und systematisch gemeinsam angehen. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe: wir alle, die Gesundheitshilfe, die Systeme der schulischen und außerschulischen Bildung und die Kinder- und Jugendhilfe haben eine maßgebliche Verantwortung, diese Aufgabe konzentriert und konsequent zu verfolgen Es geht immer nur in partnerschaftlicher Zusammenarbeit aller Beteiligten und auch mit einer angemessenen Beteiligung von Eltern und Kindern. Unser Ziel ist eindeutig: Gute Startchancen für alle Kinder und Jugendliche, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem sozialen Status, ihrer Religion oder ihres Geschlechtes. Armut darf nicht erblich sein. Geht es beim Kinderschutz um das Recht des Kindes auf Anerkennung als eigenständige Persönlichkeit, auf Entwicklung und Entfaltung, auf Schutz und Fürsorge, so haben wir bei der Bekämpfung von Kinderarmut ebenfalls die Verpflichtung, für kindgerechte Lebensbedingungen zum Wohle der Kinder und Jugendlichen zu sorgen. Kinder und Jugendliche sind unsere Zukunft – deshalb müssen sie in unserer Stadt die bestmögliche Unterstützung erfahren. Dabei kommt dem Bereich der Bildung eine zentrale 1 Rolle zu. Bildung in einem umfassenden Verständnis und nicht in einer beliebigen wolkigen Zuschreibung. Die frühkindliche Bildung, die bruchlosen Übergänge in die schulische Bildung und ein erfolgreicher schulischer Abschluss hat bei der Bekämpfung der Kinderarmut eine zentrale Bedeutung. Sie ist die Grundlage einer erfolgreichen und eigenständigen Lebensgestaltung für jeden einzelnen Menschen. Gleichzeitig ist sie aber auch der Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit unserer Stadt insgesamt. Denn eine gute Bildungsbeteiligung betrifft die Menschen in unserer Stadt nicht nur individuell. Sie hat vielmehr auch wirtschaftliche Facetten, so dass sie sich auch gesamtgesellschaftlich auf uns alle auswirkt. Nach wie vor haben Kinder und Jugendliche aus sozial schwierigen Lebensverhältnissen, unabhängig von ihrem kognitiven Potential, schlechtere Chancen, in unserem Bildungssystem gute Erfolge zu erzielen. Bei näherer Betrachtung wird darüber hinaus deutlich, dass in weiten Teilen Deutschlands – auch im Ruhrgebiet und in Essen – das Faktum der sozialen Benachteiligung häufig mit einem Migrationshintergrund einhergeht. Die Entkoppelung von sozialer Herkunft und Bildungsbeteiligung muss weiterhin oberste Priorität behalten. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass es zukünftig in Essen eher weniger Kinder gibt, gleichzeitig werden viele von ihnen in schwierigen sozialen Verhältnissen aufwachsen und prozentual zunehmend einen Migrationshintergrund besitzen. Unsere Zusammenarbeit in Essen und unsere Herangehensweise an die zentralen Herausforderungen ist aus meiner Sicht vorbildlich. Wir stellen uns den Themen differenziert und ehrlich. U.a. der letzte Kinderbericht und unser Bildungsbericht 2011 zeigen es: Die umfassende Analyse sind Grundlage für Empfehlungen, aus denen unsere Strategien entstehen, die wir in den unterschiedlichen Handlungsfeldern systematisch und konsequent verfolgen. Es gibt viele Beispiele aus den letzten Jahren einer sehr systematischen Zusammenarbeit in unserer Stadt. Ein sehr gelungenes Beispiel unserer gemeinsamen systematischen Arbeit und Zusammenarbeit sind unsere Kinderschutzkonferenzen. Rückblick auf vorausgegangenen Kinderschutzkonferenzen Die Essener Kinderschutzkonferenzen sind auf Anregung des Jugendhilfeausschusses im Jahre 2008 ins Leben gerufen worden und sollen alle 2 Jahre stattfinden, um dem Thema den notwendigen Stellenwert einzuräumen. Bei der ersten Kinderschutzkonferenz war die Gewährleistung des unmittelbaren Schutzauftrages Ausgangspunkt. 2007 hatte die Landesregierung ihr „Handlungskonzept für einen besseren und wirksamen Kinderschutz in Nordrhein Westfalen“ verabschiedet. Zu diesem Zeitpunkt war ebenfalls die Reform des § 1666 BGB zur Erleichterung bei der Umsetzung familiengerichtlicher Maßnahmen in Kraft getreten. Sie ermöglicht ein frühzeitiges Handeln bei Kindeswohlgefährdungen. Ziel der ersten Kinderschutzkonferenz war es, Transparenz über die bestehende Arbeitsansätze herzustellen, Kennenlernen und Dialog zu ermöglichen und Impulse für die weitere Entwicklung zu geben. Die Vorstellung von Praxisprojekten und die Ergebnisse der Fachforen, zeigten vielfältige Arbeitsansätze und das Engagement der Personen und 2 Institutionen, die im Arbeitsfeld Kinderschutz tätig sind. Die Erweiterung der Aufgabenstellung der AG Kinder- und Jugendschutz unter dem "gemeinsamen Dach“ führte unter anderem zur strukturellen Sicherung im Ausbau des Kinderschutzes. Schon damals wies (die Leiterin des Jugendamtes) Christina Bäuerle daraufhin, dass Kinderschutz nicht erst dort beginnt, wo das Kindeswohl gefährdet ist, sondern weit im Vorfeld. Auch zeigte sich bei der ersten Kinderschutzkonferenz sehr deutlich und gilt es auch weiterhin, dass eine gute Netzwerkarbeit, Beratung und Bildung für Eltern, eine qualifizierte Kinderbetreuung, eine flächendeckende Gesundheitsfürsorge und die Schaffung eines kinderfreundlichen Klimas für Kinder und Familien in Essen zu sichern sind. Die zweite Kinderschutzkonferenz 2011 fand 2011 unter dem Thema „Hauptsache gesund“ statt. Mitarbeiter/innen der Gesundheitsverwaltung und des Jugendamtes, der freien Träger der Wohlfahrtsverbände, Lehrer/innen, Ärzt/innen, Erzieher/innen, Sozialarbeiter/innen, Hebammen, Mitarbeite/innen der Interdisziplinären Frühförderung, der Sozialpädiatrischen Zentren, Krankenkassenvertreter, Fachpolitiker/innen richteten ihren Blick auf die kleinen Kinder bis zum Alter von sechs Jahren - und bei ihnen besonders auf die Zusammenhänge zwischen Bildung, Armut und Gesundheit. Im Mittelpunkt standen die Fragen: Wie gesund sind Kinder in Essen? Was hält Kinder gesund? Mit dem Thema „Bewährtes sichern und Lücken schließen“ fand ein Rundgang durch die Praxis gesundheitsfördernder Angebote statt. Vorgestellt wurde unter dem Thema „Frühe Hilfen“ die Arbeit der Geburtskliniken Projekte wie „Frühstart“ und „Sicherer Start –Chancen geben “, Kinderbetreuung und Familienbildung. Unter dem Thema “Frühförderung“ wurde die Arbeit der Interdisziplinären Frühförderstellen, (IFF), der Sozial-pädiatrischen Zentren (SPZ), und die Arbeit und der Stand der Früherkennungsuntersuchungen. Es wurde festgestellt, dass man von Kindergesundheit nicht reden kann, ohne auch von Bildung und Armut zu reden. Der 13. Kinder- und Jugendbericht gab wichtige Anregungen. Für die fachliche Auseinandersetzung waren Aspekte zu den Themen „ Frühe Förderung der Entwicklung von Kindern, Ernährung und Bewegung, Sprache und Kommunikation, schulbezogenen Gesundheitsförderung, psychosoziale Entwicklung im Jugend- und jungen Erwachsenenalter.“ Diese Themen wurden nicht zuletzt durch die Anregungen der Fachleute, die an der ersten Kinderschutzkonferenz teilnahmen, weiter ausgebaut. Die Veranstaltung von Kinderschutzkonferenzen führte in Essen zu einem kontinuierlichen und tragfähigen Dialog zwischen den Institutionen der Jugendhilfe, dem Gesundheitssystem, Polizei, Familiengerichten und weiteren Akteuren. Dies ist eine weitere Verbesserung eines wirksamen Kinderschutzes in Essen. Kinderschutzkonferenz 2013 Die heutige Kinderschutzkonferenz 2013 wird das Thema „Kinderarmut bekämpfen Teilhabe ermöglichen“ aufgreifen. Politik, Akteure vor Ort, Fachöffentlichkeit und Fachkräfte werden über aktuellen Forschungsergebnisse, Armutstheorien und Zielsetzung des Arbeitsprogramms der Stadt Essen informiert. Die Veranstaltung will einen zusammenfassenden Überblick über den derzeitigen Stand des Arbeitsprogramms „Kinderarmut bekämpfen –Teilhabe ermöglichen“ geben. In Themenforen werden wir 3 erörtern, wie auf kommunaler Ebene Perspektiven und Teilhabechancen für Kinder und Familien in unserer Stadt gesichert werden können. Der gesellschaftliche Wandel ist weiter fortgeschritten. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Veröffentlichung des 14. Kinder- und Jugendbericht verweisen, der eine Gesamt-beurteilung der Lebenssituation junger Menschen vorlegt. Die Expertenkommission stellt fest, dass sich die Lebenssituation vieler Jugendlicher verschlechtert hat. Im 14. Kinder- und Jugendbericht wird von einer steigenden Komplexität des Aufwachsens für Kinder und Jugendliche gesprochen. Die Veränderung der Formen des Zusammenlebens von Familien wird demnach zu einer Begrenzung der Leistungs- und Problemlösungskapazitäten moderner Familien führen. Der Wandel der Bedingungen und Formen des privaten Aufwachsens zieht eine Veränderung auf Seiten der öffentlichen Verantwortung nach sich. Die vermeintlich klaren Grenzen zwischen öffentlicher und privater Verantwortung werden nach Auffassung der Experten unklar. Es gehe um die Verlagerung von familiären Aufgaben in den öffentlichen Raum. (vergl. 14. Kinder- und Jugendbericht, Drucksache 17/12200, S. 65) Die prioritäre Verantwortung der Eltern für das Aufwachsen ihrer Kinder wird zunehmend durch Angebote in öffentlicher Verantwortung ergänzt, wobei es wesentlich auf das gelingende Ineinandergreifen von privater und öffentlicher Verantwortung ankommt. Der Bericht betont die stärker gewordene Stellung des öffentlichen Bildungs-, Betreuungsund Erziehungswesens. Schon im 11. Kinder- und Jugendbericht wurde die öffentliche Verantwortung als Leitbegriff vorangestellt. Im 14. Kinder- und Jugendbericht wird der Blick auch auf die Armuts- und Risikolagen von Kindern und Jugendlichen gerichtet. Der seit 1998 voranschreitende wohlfahrtsstaatliche Leitbildwandel, die Ratifizierung der UN-Konvention 1992 über die Rechte des Kindes sowie der Wandel vom „versorgendfürsorgenden zum aktivierenden-investiven Wohlfahrtstaat führe zu einer Aufwertung der sozialpolitischen Relevanz von Kindern im Allgemeinen und armen Kinder im Besonderen“. (vgl. 14. Kinder- und Jugendbericht) Es werden Hinweise darauf gegeben, dass Kinderarmut als Gefährdung eines gelungenen Humankapitalaufbaus anzusehen sei und als Risiko der Vererbung sozialer Ungleichheit. (ebenda 14. Kinder- und Jugendbericht). Durch den Wohlfahrtsstaatswandel und die zukünftigen Folgen eines Aufwachsens in Armut und Bildungsbenachteiligung armer Kinder und Jugendlicher lenkt die UNKinderrechtskonvention den Blick auf die gegenwärtige materielle Lebenslage, gesellschaftspolitische Beteiligung und das subjektive Wohlempfinden armer Kinder und Jugendlicher. (ebenda S. 91) Ein neuer Blick auf Kinder und Kindheit erweitert die Betrachtungsweise. Es komme zu einer Infantilisierung der Armut (vgl. Hauser), was bedeutet, dass Kinder die ältere Bevölkerungund darunter vor allem Frauen – als die am stärksten von Armut betroffene Gruppe ablösen. Die materielle Lage und Betroffenheit von Armut, die Qualität von Beziehungen, Partizipation und Selbstbestimmung, Bildung, Erziehung, Betreuung und deren Nutzung und 4 Befähigung, Mediennutzung und Kompetenz, subjektives Wohlbefinden und elterliche Erwerbstätigkeit und Wohlbefinden sind weiterhin in den Focus der Betrachtung zu rücken. Im Rahmen kommunaler Handlungsmöglichkeiten ist Kinderarmut zu sehen als materielle Armut von Kindern, als Bildungsbenachteiligung, als gesellschaftliche Desintegration, als eingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben, als Unterversorgung in Erziehung und Betreuung und als gesundheitliche Beeinträchtigung. Von daher gehören erfolgreiche präventive Ansätze, nicht nur im Kontext Kinderschutz und Kinderarmut, zu den großen kommunalen Gestaltungsaufgaben. Wobei die Herausforderungen für unsere Großstadt, noch dazu immer noch im Strukturwandel, sich sicher von denen einer Kleinstadt unterscheiden, sowohl was die Fülle der Problemlagen als auch die Menge der zu beteiligenden Partner angeht. Ich freue mich Frau Holz, vom ISS Frankfurt bei uns begrüßen dürfen. Frau Holz wir die Ergebnisse der Langzeitstudie „Lebenslagen von armen Kindern und Jugendlichen“ unter dem Aspekt der Möglichkeiten der Prävention beleuchten. Des Weiteren begrüßen wir ganz herzlich Herrn Dr. Tamm, vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung. Er wird über die Volkswirtschaftlichen Kosten von Kinderarmut und die Chancen einer kommunalen Vorsorge sprechen. Herr Schroer als Abteilungsleiter des Kinder –und Familienbüros des Jugendamtes der Stadt Essen wird über die Grundlagen und Eckpunkte des Arbeitsprogramms „Kinderarmut bekämpfen- Teilhabe ermöglichen“ referieren. Welche Voraussetzungen zur Weiterarbeit sind schon geschaffen und müssen noch geschaffen werden? Wir fangen nicht bei 0 an. Das bisherige Handeln in allen Bereichen der Kinder- und Jugendarbeit, aber auch darüber hinaus in Bildung, Kultur, Gesundheit trägt dazu bei, die Teilhabechancen zu ermöglichen,- wenn sie denn erfolgreich sind. Trotzdem müssen wir uns eingestehen, dass in unserer Kommune Kinderarmut existiert. Es muss zu einer realistischen Einschätzung der Situation kommen. Neben der materiellen Versorgung in Form einer Grundversorgung durch Nahrung, Kleidung und Wohnen ist eine Familienpolitik auf kommunaler Ebene fortzusetzen, die gleiche Entwicklungschancen für alle Kinder und für Familien die notwendigen Rahmenbedingungen herstellt. Wir brauchen weiterhin leistungsfähige Netzwerke, die lang- und mittelfristig neue Maßnahmen auf den Weg bringen. Kommunale Konzepte z.B. zur Elternbildung sind entwickelt, konnten mit Erfolg umgesetzt werden und werden kontinuierlich im Rahmen der Präventionsoffensive weiter ausgebaut. Im Kindertagesstätten-Bereich werden settingorientierte Maßnahmen angestrebt, die sowohl auf Verhältnisprävention als auch auf Verhaltensprävention ausgerichtet sind. Es geht um das individuelle Verhalten der Akteure im Setting als auch um Veränderung der Rahmenbedingungen. 5 Über die Akteure der Jugend- und Gesundheitshilfe sowie Bildungseinrichtungen hinaus müssen weitere Akteure der Stadtgesellschaft wie Unternehmen, Stadtentwickler, Stiftungen, etc. gewonnen werden. Wir brauchen dazu aber auch leistungsgerechte Rahmenbedingungen auf Bundesund Landesebene. Länder und Kommunen werden unterstützt beim Auf- und Ausbau integrierter kommunaler Konzepte für ein Aufwachsen in Wohlergehen für alle Kinder. Gespannt blicke ich auf die Fachforen, die heute Mittag stattfinden werden. Es geht heute zusammenfassend darum, Anregungen aus Wissenschaft und Praxis zu erhalten, die wir für unser Arbeitsprogramm nutzen möchten. Ich wünsche uns allen eine erfolgreiche und ergebnisreiche Kinderschutzkonferenz! - Es gilt das gesprochene Wort - Peter Renzel Essen, 25. April 2013 6