Holsteinischer Courier vom 13. August 2014 In gefährlicher Mission

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Holsteinischer Courier vom 13. August 2014 In gefährlicher Mission
Holsteinischer Courier vom 13. August 2014
In gefährlicher Mission
Ein Gutachten des Landtages kommt zu dem Schluss, dass es für Whistleblower keinen Schutz gibt
Nun haben es alle schwarz auf weiß: Wer als Angestellter oder Beamter im öffentlichen Dienst
Missstände anprangert, dabei nicht den Dienstweg einhält oder gar die Flucht in die Öffentlichkeit
wagt, riskiert seinen Job. Ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Landtags kommt zu
dem Schluss, dass es für die Whistleblower keinen Schutz gibt. Seitenlang wird darin über
„rechtliche Auslegungsprobleme“, „Amtsverschwiegenheit“, Loyalität zum Dienstherrn und
„unklare Rechtsprechung“ philosophiert. Wörtlich heißt es dann: „Nach allem bleibt festzuhalten,
dass in Ermangelung einer gesetzlichen Grundlage, die die Zulässigkeitsvoraussetzung des
Whistleblowing normiert, eine Rechtsunsicherheit verbleibt.“
Zu spüren bekam das schon vor 20 Jahren Tierärztin Margrit Herbst, als sie im Fernsehen über
auffällige Rinder auf dem Schlachthof in Bad Bramstedt berichtete und ihren Job verlor. Dabei
setzte sie mit ihrem Mut die bundesweite Diskussion über BSE in Gang. Und ob es der Karriere
jenes Veterinärs gut tut, der im Frühjahr Umweltminister Robert Habeck (Grüne) über Tierquälerei
und Hygienemängel auf dem Vion-Schlachthof informierte, muss die Zukunft erst noch zeigen. Im
Dienst ist er immer noch nicht wieder.
Heribert Prantl, renommierter Autor der Süddeutschen Zeitung, fasste die Ergebnisse der Studie
gestern wie folgt zusammen: „Schweigen ist Gold, Reden ist Edeka – Ende der Karriere“. Das sei
„ Snowden auf Deutsch“.
Alle Versuche, das bundesdeutsche Beamtenrecht so zu reformieren, dass Hinweisgeber, die
rechtswidrige Diensthandlungen anzeigen, nicht belangt werden können, sind bislang in Berlin
gescheitert. Auch das von der SPD vorgeschlagene Hinweisgebergesetz wurde bis heute nicht
verabschiedet.
Damit die hochgelobte Arbeit des Korruptionsbeauftragten des Landes Schleswig-Holstein nicht
durch die im Gutachten zitierte Rechtsunsicherheit ausgehebelt wird, will jetzt Innenminister
Andreas Breitner (SPD) aktiv werden. Dass Hinweisgeber, denen strikte Anonymität zugesichert
wird, im Fall des Falles doch als Zeugen im Strafprozess auftreten müssen und dadurch „enttarnt“
werden, sei eine Schwachstelle, räumt sein Ministerium ein. Anschließend können sie nämlich –
siehe Gutachten! – disziplinarrechtlich bestraft werden, weil sie gegen die Verschwiegenheitspflicht
verstoßen haben. „Ich plädiere deshalb dafür, über ein Zeugnisverweigerungsrecht für
Korruptionsbeauftragte nachzudenken – so wie es Ärzte und Anwälte bereits haben“, erklärt
Breitner in Kiel.
Den Piraten geht das nicht weit genug. „Zur Umgehung der gefährlichen bundesrechtlichen
Schutzlücken für Hinweisgeber muss das Land ein System zur anonymen Meldung von Straftaten
einrichten, das eine anonyme Kommunikation ermöglicht“, schlägt der Landtagsabgeordnete
Patrick Breyer vor. Er verweist auf Niedersachsen, wo so ein Internetportal für Korruptionsdelikte
bereits eingerichtet wurde. „Solange Hinweisgeber Strafe fürchten müssen, hilft der beste
Antikorruptionsbeauftragte nichts“, ist Breyer überzeugt. „Diese sind auf Vorladung zur Enttarnung
von Whistleblowern verpflichtet“. Das gelte auch für den von Habeck vorgeschlagenen
Ombudsmann, der Klagen über Schlachthofmängel aufnehmen soll. „Nur im wirksamen Schutz der
Anonymität werden Whistleblower bereit sein, die bestehende Rechtsunsicherheit betreffend
möglicher Repressalien von Seiten ihres Arbeitsgebers hinzunehmen“, warnt Breyer.
Parallel plädieren die Piraten – „wegen der Untätigkeit des Bundesinnenministers“ – für eine
Bundesratsinitiative Schleswig-Holsteins zur Legalisierung und Förderung der Anzeige von
Straftaten, von denen öffentlich Bedienstete erfahren.
„Whistleblower müssen sich bis heute wie Verräter fühlen und Verfolgung fürchten, dabei stellen
sie in vorbildlicher Weise ihre persönlichen Interessen hinter das Allgemeinwohl zurück“, sagte
Breyer gestern. Im Beamtenrecht bestehe in der Tradition des vorletzten Jahrhunderts bis heute
selbst im Fall von Straftaten eine fast ausnahmslose Verschwiegenheitspflicht. „Weder aus der
Entlassung der BSE-Whistleblowerin Margrit Herbst in den 90er Jahren noch aus dem Machtwort
des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte im Jahr 2011 oder aktuell aus dem Fall
Snowden haben die etablierten Parteien gelernt“, so der Pirat.
Der EU-Gerichtshof hatte einer Altenpflegerin Recht gegeben, die Mängel in einem Seniorenheim
angeprangert hatte und entlassen wurde. Für die schleswig-holsteinische Tierärztin Herbst sei der
Weg nach Straßburg wegen Verjährung ihres Falles verbaut. Da die Folgen für sie aber bis heute
spürbar sind, sei die Landesregierung umso so mehr in der Pflicht, begangenes Unrecht wieder gut
zumachen, meint Breyer. „Whistleblowern muss in Deutschland endlich Anerkennung statt
Repression widerfahren“. Solange Personen, die Fälle von Korruption, Insiderhandel oder
Ethikverstößen öffentlich machen, nicht rechtlich geholfen werden könne, müsse die Technik für
Schutz und Anonymität von Whistleblowern sorgen– so wie in Niedersachsen.