Tagungsband
Transcription
Tagungsband
2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 2. GraHSoFTʼ11 Tagungsband Historisch wertvolle Dachwerke in UNESCO-Weltkulturerbe-Zonen Institut für Holzbau und Holztechnologie Stadt Graz | Stadtbaudirektion holz.bau forschungs gmbh Zukunftsfonds Steiermark Landesinnung Holzbau Steiermark Graz, am 20. Mai 2011 Tagungsleitung Gerhard Schickhofer, Andreas Meisel Moderation Gerhard Schickhofer Veranstaltungsort Technische Universität Graz Inffeldgasse 18, Hörsaal i1 8010 Graz Tagungsband Gregor Silly Lektor: G. Schickhofer Auflage: 80 Stück Herausgeber holz.bau forschungs gmbh Inffeldgasse 24, A-8010 Graz Tel. +43 316 873 - 4601 Fax. +43 316 873 - 4619 www.holzbauforschung.at Institut für Holzbau und Holztechnologie Inffeldgasse 24, A-8010 Graz Tel. +43 316 873 - 4601 Fax. +43 316 873 - 4619 www.lignum.at Titelbild: Blick vom Turm der Franziskanerkirche in Graz (Quelle: TU Graz) Verlag der Technischen Universität Graz www.ub.tugraz.at/Verlag ISBN: 978-3-85125-155-5 Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2011, Verlag der TU Graz Alle Rechte, insbesondere das Recht der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Mit Genehmigung des Herausgebers ist es gestattet, diesen Tagungsband ganz oder teilweise auf fotomechanischem oder elektronischem Wege zu vervielfältigen. Für den Inhalt der Einzelbeiträge sind ausschließlich die Verfasser verantwortlich, der Herausgeber behält sich geringfügige Änderungen der Formatierung vor. Graz, am 20. Mai 2011 ... Veränderungen der alten Bauweise sind nur dann erlaubt, wenn sie eine Verbesserung bedeuten, sonst aber bleibe beim Alten. Denn die Wahrheit, und sei sie hunderte von Jahren alt, hat mit uns mehr Zusammenhang als die Lüge, die neben uns schreitet. Adolf Loos (1870-1933) Motivation Im Dezember 1999 wurde das städtebauliche Ensemble „Historische Altstadt Graz“ mit ihrer einzigartigen Dachlandschaft von der UNESCO zum Weltkulturerbe (WKE) erhoben. Diese Auszeichnung ist mit einer großen Verantwortung im Umgang mit dieser historisch wertvollen Bausubstanz verbunden. Wesentlich hierfür ist einerseits die Kenntnis über die Schutzwürdigkeit und die damit verbundenen Werte, andererseits die Kenntnis des Zustandes der Dachdeckung und des Dachtragwerks. Instandhaltungsmaßnahmen (Inspektion, Wartung, Instandsetzung, Verbesserung gemäß DIN 31051:2003), welche in angemessenen Intervallen durchzuführen sind, kommen besonderer Bedeutung zu. Für effiziente und zielgerichtete Inspektionen müssen den Ausführenden die typischen Schwachpunkte und Schadensbilder historischer Dachstühle bekannt sein. Instandsetzungen als auch Tragwerksveränderungen erfordern viel Erfahrung und Wissen über die geschichtliche Entwicklung und Tragwirkung historischer Dachstühle. Das Institut für Holzbau und Holztechnologie liefert unter anderem im Forschungsprojekt D(N)achhaltigkeit Graz einen wesentlichen Beitrag für die Erhaltung der, die Grazer Dachlandschaft tragenden, historischen Dachkonstruktionen. So wurden bisher 35 Erfassungen, davon 10 detaillierte Bestands- und Schadenserfassungen, von historischen Dachtragwerken durchgeführt. Aufbauend auf den Erkenntnissen aus den Erfassungen werden in weiterer Folge Wartungs- und Inspektionspläne erarbeitet. Die zweckdienliche Bauzustandserfassung mit Schwerpunkt auf die Modellbildung ist ein weiterer Schwerpunkt des Forschungsprojektes. Musterdetaillösungen für die Instandsetzung von geschädigten Tragwerken bzw. Tragwerksgliedern werden in Zusammenarbeit mit Zimmermeistern erarbeitet. Alle Ergebnisse dieser Arbeiten werden zum Zeitpunkt der Tagung vorliegen und präsentiert. Die 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung versucht einen großen Bogen zu spannen, beginnend von Fragestellungen betreffend der Aufgaben und Wertmaßstäbe im Denkmalschutz, über die Bauforschung, zahlreichen Bestands- und Schadensanalysen historischer Dachwerke bis hin zur Ausführung von Instandsetzungskonzepten in Österreich und Deutschland. Zudem werden zimmermanns- und ingenieurmäßige Musterdetaillösungen für die Instandsetzung historischer Dachwerke erläutert und auf deren Bemessung eingegangen. Inhalt des Tagungsbandes A UNESCO | ICOMOS | Weltkulturerbe Stadt Graz | Projekt ‚D(N)achhaltigkeit‘ G. Schickhofer B UNESCO Weltkulturerbe Graz – Managementplan 2007 B. Werle C UNESCO WKE Puebla – Bestandserfassung und -analyse mit besonderem Augenmerk auf historische Holzkonstruktionen D. Bühler D UNESCO-WKE Bamberg – Bauforschung an historischen Dachwerken M. Schuller E Historische Dachwerke – Entwicklungsgeschichte, Typologie und Tragwirkung J. Zehetgruber F Erste, semi-visuelle Zuverlässigkeitsbeurteilung historischer Dachtragwerke aus Holz A. Meisel G Bestandserfassung und Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz G. Silly H Alterung und (Rest)Tragfähigkeit von Bauholz G. Schickhofer, R. Brandner I Sind historische Dachwerke berechenbar? R. Görlacher J Modellbildung historischer Dachtragwerke H. Koch, W. Seim K Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele A. Meisel L Instandsetzung der Johanniskirche in Göttingen J. Götz A UNESCO | ICOMOS | Weltkulturerbe Stadt Graz | Projekt ‚D(N)achhaltigkeit‘ G. Schickhofer Univ.-Prof. DI Dr. techn. Gerhard Schickhofer 1990 Diplom | TU Graz 1994 Doktorat | TU Graz 1999 Habilitation | TU Graz | venia docendi 'Holzbau und Holztechnologie' 2002 Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter der holz.bau forschungs gmbh | Kompetenzzentrum für Holzbau und Holztechnologie 2004 Professor für Holzbau und Holztechnologie | TU Graz 2008 stellvertr. Dekan der Fakultät für Bauingenieurwissenschaften Mitgliedschaften und Mitwirkungen in Gremien seit 2010 bei ICOMOS A-1 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 1 Allgemeines 1 Allgemeines Das wesentliche Ziel der UNESCO – United Nations Educational, Scientific and Cultural Organisation – Sitz in Paris – liegt in der Förderung der internationalen Zusammenarbeit in den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation|Information zur Wahrung des Friedens und der Sicherheit. Die Satzung der UNESCO wurde am 16. November 1945 angenommen und am 4. November 1946 von 20 Ländern ratifiziert. Österreich trat der UNESCO am 13. August 1948 bei. Die Arbeitsschwerpunkte der UNESCO und demzufolge auch ihrer Länderorganisationen – z. B. Österreichs UNESCO-Kommission (ÖUK) – liegen gemäß der Statuten in den vier Arbeitsschwerpunkten Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation|Information. 2 Kultur-Programm der UNESCO Das Kultur-Programm der UNESCO beinhaltet folgende Themenfelder: • • • • Schutz und Förderung der kulturellen Vielfalt Erhaltung des materiellen Welterbes Welterbe-Konvention zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt Haager-Konvention zum Schutz von Kulturgut Schutz des immateriellen Kulturgutes Praktiken, Darstellungen, Ausdrucksformen Wissen und Fertigkeiten, Traditionelle Handwerkstechniken Förderung des interkulturellen Dialogs Für die Erhaltung des materiellen Welterbes ist die Welterbe-Konvention vom 16. November 1972 von besonderer Bedeutung. Diese ist in 8 Kapiteln (I bis VIII) mit 38 Artikeln gegliedert und befasst sich von den Begriffsbestimmungen des Kultur- und Naturerbes bis hin zu den Schlussbestimmungen. Die Welterbe-Konvention sieht unter III/Artikel 8 die Etablierung eines Welterbe-Komitees vor. Diesem gehören Vertreter aus 21 Mitgliedsstaaten, vier international tätigen Fachgremien (beratende Funktion) sowie bei Bedarf weitere Vertreter anderer nichtstaatlicher Organisationen an. In diesem Artikel 8 wird der ‚Internationale Rat für Denkmalpflege (ICOMOS)‘ als eines der vier Fachgremien erwähnt. Zudem wird in Artikel 13 (7) sowie in Artikel 14 (2) auf die Inanspruchnahme der Dienste sowie auf die Zusammenarbeit mit ICOMOS hingewiesen. Erwähnenswert ist der Schutz des immateriellen Kulturgutes. Demzufolge ist auch darauf zu achten, dass traditionelle Handwerkstechniken, diesbezügliches Wissen und Fertigkeiten die erforderliche Wertschätzung erfahren, damit im Besonderen die in historischen Dachkonstruktionen vorzufindende Zimmermannskunst nicht in Vergessenheit gerät. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung A-2 Kapitel A: UNESCO | ICOMOS | Weltkulturerbe Stadt Graz | Projekt ‚D(N)achhaltigkeit‘ 3 Fachgremium ICOMOS (Quelle: www.icomos.at | www.international.icomos.org) Der Internationale Rat für Denkmalpflege (ICOMOS | International Council on Monuments and Sites) wurde 1965 in Warschau gegründet, ein Jahr nach der Unterzeichnung der 16 Artikeln umfassenden Charta von Venedig, der Internationalen Charta über die Konservierung und Restaurierung von Denkmälern und Ensembles. ICOMOS ist die internationale nichtstaatliche Organisation, die sich weltweit für den Schutz und Pflege von Denkmälern und Denkmalbereichen und die Bewahrung des historischen Kulturerbes einsetzt. ICOMOS beteiligt sich als Berater und Gutachter an der Arbeit des Welterbe-Komitees und an der Erfüllung der UNESCO-Konventionen zum Weltkulturerbe (siehe oben). ICOMOS hat außerdem mehr als 25 Internationale Wissenschaftliche Komitees (International Scientific Committees). Diese setzen sich mit speziellen Problemkreisen von Forschung, Denkmalschutz und Denkmalpflege auseinander. Eines dieser Komitees – das ICOMOS International Scientific Wood Committee (IIWC | www.icomos.org/iiwc) – befasst sich speziell mit dem Thema der Bestandserhaltung von Bauwerken und Konstruktionen in Holzbauweise. Von diesem Fachgremium wurden im Jahre 1999 Prinzipien für die Erhaltung von historischen Konstruktionen veröffentlicht, welche im Folgenden ungekürzt dargelegt sind: PRINCIPLES FOR THE PRESERVATION OF HISTORIC TIMBER STRUCTURES (1999) Adopted by ICOMOS at the 12th General Assembly in Mexico, October 1999. The aim of this document is to define basic and universally applicable principles and practices for the protection and preservation of historic timber structures with due respect to their cultural significance. Historic timber structures refer here to all types of buildings or constructions wholly or partially in timber that have cultural significance or that are parts of a historic area. For the purpose of the preservation of such structures, the Principles: A-3 x recognise the importance of timber structures from all periods as part of the cultural heritage of the world; x take into account the great diversity of historic timber structures; x take into account the various species and qualities of wood used to build them; x recognise the vulnerability of structures wholly or partially in timber due to material decay and degradation in varying environmental and climatic conditions, caused by humidity fluctuations, light, fungal and insect attacks, wear and tear, fire and other disasters; x recognise the increasing scarcity of historic timber structures due to vulnerability, misuse and the loss of skills and knowledge of traditional design and construction technology; x take into account the great variety of actions and treatments required for the preservation and conservation of these heritage resources; x note the Venice Charter, the Burra Charter and related UNESCO and ICOMOS doctrine, and seek to apply these general principles to the protection and preservation of historic timber structures; 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Fachgremium ICOMOS (Quelle: www.icomos.at | www.international.icomos.org) And make the following recommendations: INSPECTION, RECORDING AND DOCUMENTATION 1. The condition of the structure and its components should be carefully recorded before any intervention, as well as all materials used in treatments, in accordance with Article 16 of the Venice Charter and the ICOMOS Principles for the Recording of Monuments, Groups of Buildings and Sites. All pertinent documentation, including characteristic samples of redundant materials or members removed from the structure, and information about relevant traditional skills and technologies, should be collected, catalogued, securely stored and made accessible as appropriate. The documentation should also include the specific reasons given for choice of materials and methods in the preservation work. 2. A thorough and accurate diagnosis of the condition and the causes of decay and structural failure of the timber structure should precede any intervention. The diagnosis should be based on documentary evidence, physical inspection and analysis, and, if necessary, measurements of physical conditions and non-destructive testing methods. This should not prevent necessary minor interventions and emergency measures. MONITORING AND MAINTENANCE 3. A coherent strategy of regular monitoring and maintenance is crucial for the protection of historic timber structures and their cultural significance. INTERVENTIONS 4. The primary aim of preservation and conservation is to maintain the historical authenticity and integrity of the cultural heritage. Each intervention should therefore be based on proper studies and assessments. Problems should be solved according to relevant conditions and needs with due respect for the aesthetic and historical values, and the physical integrity of the historic structure or site. 5. Any proposed intervention should for preference: a) follow traditional means; b) be reversible, if technically possible; or c) at least not prejudice or impede future preservation work whenever this may become necessary; and d) not hinder the possibility of later access to evidence incorporated in the structure. 6. The minimum intervention in the fabric of a historic timber structure is an ideal. In certain circumstances, minimum intervention can mean that their preservation and conservation may require the complete or partial dismantling and subsequent reassembly in order to allow for the repair of timber structures. 7. In the case of interventions, the historic structure should be considered as a whole; all material, including structural members, in-fill panels, weather-boarding, roofs, floors, doors and windows, etc., should be given equal attention. In principle, as much as possible of the existing material should be retained. The protection should also include surface finishes such as plaster, paint, coating, wall-paper, etc. If it is necessary to renew or replace surface finishes, the original materials, techniques and textures should be duplicated as far as possible. 8. The aim of restoration is to conserve the historic structure and its loadbearing function and to reveal its cultural values by improving the legibility of its historical integrity, its earlier state and design within the limits of existing historic material evidence, as indicated in articles 9 - 13 of the Venice Charter. Removed members and other components of the historic structure should be catalogued, and characteristic samples kept in permanent storage as part of the documentation. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung A-4 Kapitel A: UNESCO | ICOMOS | Weltkulturerbe Stadt Graz | Projekt ‚D(N)achhaltigkeit‘ REPAIR AND REPLACEMENT 9. In the repair of a historic structure, replacement timber can be used with due respect to relevant historical and aesthetical values, and where it is an appropriate response to the need to replace decayed or damaged members or their parts, or to the requirements of restoration. New members or parts of members should be made of the same species of wood with the same, or, if appropriate, with better, grading as in the members being replaced. Where possible, this should also include similar natural characteristics. The moisture content and other physical characteristics of the replacement timber should be compatible with the existing structure. Craftsmanship and construction technology, including the use of dressing tools or machinery, should, where possible, correspond with those used originally. Nails and other secondary materials should, where appropriate, duplicate the originals. If a part of a member is replaced, traditional woodwork joints should, if appropriate and compatible with structural requirements, be used to splice the new and the existing part. 10. It should be accepted that new members or parts of members will be distinguishable from the existing ones. To copy the natural decay or deformation of the replaced members or parts is not desirable. Appropriate traditional or well-tested modern methods may be used to match the colouring of the old and the new with due regard that this will not harm or degrade the surface of the wooden member. 11. New members or parts of members should be discretely marked, by carving, by marks burnt into the wood or by other methods, so that they can be identified later. HISTORIC FOREST RESERVES 12. The establishment and protection of forest or woodland reserves where appropriate timber can be obtained for the preservation and repair of historic timber structures should be encouraged. Institutions responsible for the preservation and conservation of historic structures and sites should establish or encourage the establishment of stores of timber appropriate for such work. CONTEMPORARY MATERIALS AND TECHNOLOGIES 13. Contemporary materials, such as epoxy resins, and techniques, such as structural steel reinforcement, should be chosen and used with the greatest caution, and only in cases where the durability and structural behaviour of the materials and construction techniques have been satisfactorily proven over a sufficiently long period of time. Utilities, such as heating, and fire detection and prevention systems, should be installed with due recognition of the historic and aesthetic significance of the structure or site. 14. The use of chemical preservatives should be carefully controlled and monitored, and should be used only where there is an assured benefit, where public and environmental safety will not be affected and where the likelihood of success over the long term is significant. EDUCATION AND TRAINING 15. Regeneration of values related to the cultural significance of historic timber structures through educational programmes is an essential requisite of a sustainable preservation and development policy. The establishment and further development of training programmes on the protection, preservation and conservation of historic timber structures are encouraged. Such training should be based on a comprehensive strategy integrated within the needs of sustainable production and consumption, and include programmes at the local, national, regional and international levels. The programmes should address all relevant professions and trades involved in such work, and, in particular, architects, conservators, engineers, craftspersons and site managers. Für die deutsche Übersetzung siehe http://www.icomos.org/iiwc/principles/principlesgerman.pdf A-5 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 4 Weltkulturerbe ‚Stadt Graz – Historisches Zentrum‘ – Zustandsbild 4 Weltkulturerbe ‚Stadt Graz – Historisches Zentrum‘ – Zustandsbild Blickt man vom Schlossberg auf die Dachlandschaft der Grazer Altstadt (Zone I nach dem Altstadterhaltungsgesetz), so zeigt sich ein (noch) weitgehend eindrückliches und schützenswertes Ensemble. Es gilt jedoch zu bedenken, dass die heute gegebene ‚lebendige' Dachflächenansicht in dieser Form nur in Verbindung mit der darunter befindlichen ebenfalls historisch wertvollen Dachtragstruktur wirken kann. Abb. 4.1: Blick vom Schlossberg auf die Dachlandschaft der Grazer Altstadt. Auf den ersten Blick scheint alles in Ordnung zu sein, der Bestand dem Welterbe entsprechend. Bei genauerem Hinsehen erkennt man jedoch neue Dachlösungen, welche eher als Fremdkörper im Altstadt-Ensemble wirken. Beispiele dafür sind Bauwerke in der Sackstraße und in der Sporgasse. Abb. 4.2: Vollständiger Ersatz der historischen Dachkonstruktion zwecks Dachraumnutzung an Bauwerken in der Sackstraße am Fuße des Schlossbergs (links: Aufnahme von 10|2010; rechts: Aufnahme von 03|2011). 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung A-6 Kapitel A: UNESCO | ICOMOS | Weltkulturerbe Stadt Graz | Projekt ‚D(N)achhaltigkeit‘ Abb. 4.3: Vollständiger Ersatz der historischen Dachkonstruktion zwecks Dachraumnutzung an einem Bauwerk in der Sporgasse am Fuße des Schlossbergs (links: Vergleich ‚alt' | ‚neu'; rechts: Blick vom Schlossberg auf die neue Dachfläche inkl. moderner Lichteinlassöffnungen). Angesichts dieser Ersatzlösungen auf Grund exzessiver Dachraumnutzung in der Kernzone der ‚Historischen Altstadt Graz‘ muss zur Kenntnis genommen werden, dass damit historisch wertvolle Substanz verloren geht. 5 Projekt ‚D(N)achhaltigkeit‘ – Überblick (Quelle: Forschungsantrag Projekt ‚D(N)achhaltigkeit‘) 5.1 Projektbeschreibung (Auszug aus dem Forschungsantrag) 5.1.1 Zusammenfassung Aufgrund der exponierten Lage des Daches sind seine Bestandteile – auch das Tragwerk – hohen Beanspruchungen und Beanspruchungswechseln ausgesetzt. Dachstühle aus Holz erfordern aufgrund der Empfindlichkeit des Materials auf dauerhafte Durchfeuchtung laufende Bauwerksunterhaltung (wie in EC 0 1.3 gefordert) um die Jahrhunderte schadfrei überdauern zu können. Die UNESCO-geschützte Dachlandschaft der Altstadt von Graz ist nicht nur von hohem ideellhistorischen Wert, sondern auch ein Garant für den florierenden Städtetourismus. Aus diesem Grund wird die Erhaltung der historischen Dächer im Grazer Altstadterhaltungsgesetz 2008 und seinen Ergänzungen angedacht. Die Umsetzung des Projekts „D(N)achhaltigkeit Graz“ ist aber auch deswegen von enormer Bedeutung, weil durch regelmäßige Inspektion, Wartung und Instandsetzung schwerwiegende Schäden im Bereich der historischen Bausubstanz vermieden und dadurch enorme finanzielle Mittel eingespart werden können. Hinzu kommt die Verantwortung der Liegenschaftseigentümer gemäß ABGB, für die Sicherheit ihrer baulichen Anlagen zu sorgen. Unglücksfälle wie jene von Bad Reichenhall sollten nicht erst der Anlass für Bauwerksinspektionen sein. Im Rahmen des Projekts werden, aufbauend auf den Erkenntnissen der Begehung und ersten Erfassung einer repräsentativen Anzahl von Dachräumen, Konzepte für die Erfassung des Bestandes und Bauzustandes historischer Dachstühle erstellt. Es werden allgemein gültige Inspektions- und Wartungspläne für diese Tragwerke ausgearbeitet mit deren Hilfe es möglich ist Schwachstellen, A-7 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 5 Projekt ‚D(N)achhaltigkeit‘ – Überblick (Quelle: Forschungsantrag Projekt ‚D(N)achhaltigkeit‘) Mängel und Schäden frühzeitig zu erkennen und ökonomisch wie ökologisch aufwendige Instandsetzungsmaßnahmen zu vermeiden. Für das Inspektionspersonal werden Schulungsunterlagen zur Verfügung gestellt. Für den wahrscheinlichen Fall, dass in zahlreichen Objekten bereits Schäden vorliegen, werden allgemein gültige Sanierungskonzepte und Ausführungsdetails vorgeschlagen. Die im Rahmen des Projekts „D(N)achhaltigkeit Graz“ erstellten Dokumentationen und Konzepte stellen die wesentliche Grundlage für zahlreiche übergeordnete und weiterführende Zielsetzungen dar. Hier ist insbesondere die Untersuchung des Potentials der Wohnraumschaffung in den bestehenden Dachräumen, aber auch der effiziente Umgang mit Energie zu nennen. Historische Objekte zeichnen sich häufig durch einen hohen Heizwärmebedarf aus, welcher häufig aufgrund von Kriterien des Denkmalschutzes nur durch die thermische Optimierung der obersten Geschoßdecke verbessert werden kann. Weiters könnten einzelne Dachflächen für die Nutzung von Solarenergie, konkret vorallem Solarthermie genutzt werden. Weiters verbessern saubere, regelmäßig gewartete Dachräume auch die hygienischen Randbedingungen einer Stadt. Zusammenfassend soll mit dem Projekt „D(N)achhaltigkeit Graz“ Bewußtsein für die Notwendigkeit der Durchführung von Bauwerksunterhaltungsmaßnahmen geschaffen werden und den Ausführenden alle hierzu erforderlichen Werkzeuge in die Hand gegeben werden, um das einzigartige kulturelle Erbe von Graz nachhaltig zu erhalten. 5.1.2 Beschreiben Sie die Inhalte und Ziele des Vorhabens Arbeitsschritte Erkenntnisse im Hinblick auf: (Zukunft) Wissenstransfer Stufe 6 (Wiederherstellung) Stufe 5 Zusammenstellung von Instandsetzungskonzepten (Dokumentation) Stufe 4 Anforderungskatalog Bauzustandserfassung (Erhaltungskonzepte) Stufe 3 Inspektions- und Wartungspläne (Status quo – praktisch) Stufe 2 Begehung der Objekte (Status quo – theoretisch) Stufe 1 Abb. 5.1: - die Nutzung einzelner Dachräume als hochwertigen Wohnraum (Entscheidungsgrundlage, Erhebung des Potentials) Literaturrecherche - die Möglichkeiten, einzelne Dachflächen solarthermisch zu nutzen - die thermische Qualität der bestehenden Objekte durch Dämmung der obersten Geschoßdecke deutlich zu verbessern Geplante Inhalte und Vorgehensweise. Stufe 1: Literaturrecherche Zu Beginn des Projekts wird die vorhandene Literatur erhoben und die konkrete weitere Vorgehensweise sachlich und zeitlich mit dem Projektpartner und den Liegenschaftseigentümern abgestimmt. Anhand einer Liste der besonders schützenswürdigen Objekte in der Altstadt von Graz wird eine möglichst repräsentative Anzahl historischer Dachtragwerke ausgewählt und deren Zugänglichkeit sichergestellt. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung A-8 Kapitel A: UNESCO | ICOMOS | Weltkulturerbe Stadt Graz | Projekt ‚D(N)achhaltigkeit‘ Als mögliche Projektpartner für den Zugang zu schützenswürdigen Objekten kommen folgende in Betracht: - Bau- und Anlagenamt der Stadt Graz Grazer Bau- und Grünlandsicherungsges.m.b.H. (GBG) Landesimmobilien-Gesellschaft Steiermark (LIG) Private Liegenschaftseigentümer: Gemäß Grazer Altstadterhaltungsgesetz (§ 3 (2)) haben diese den Organen der Stadt Graz den Zutritt zu den Dachräumen zu ermöglichen. Stufe 2: Begehung der Objekte Für die im ersten Arbeitsschritt ausgewählten Dachtragwerke (voraussichtlich rund 15 Objekte mittlerer Größe) wird eine Begehung durchgeführt. Diese dient dazu, einen ersten Eindruck zu erhalten und abzuschätzen, ob das konkrete Objekt prioritär zu behandeln ist. Liegt in einzelnen Bereichen augenfällig „Gefahr im Verzug“ vor, wird darauf hingewiesen. Folgende weitere Tätigkeiten werden im Rahmen der ersten Begehung durchgeführt: - Welche Sofortmaßnahmen sind zu treffen: z.B.: Reinigung des Dachraums Welches Tragsystem liegt vor: verbale Beschreibung und Skizze eines typischen Hauptund Leergespärres Welche Schwachpunkte liegen im konkreten Fall vor: baulich (z.B.: innenliegene Rinnen)/ statisch-konstruktiv (z.B.: mangelhafte Aussteifung) Welche Schäden sind visuell sichtbar: Fäulnis/Insektenbefall/mechanische Brüche usw. Stufe 3: Inspektions- und Wartungspläne Aufbauend auf den Erfahrungen und Erkenntnissen der Stufe 2 werden Inspektions- und Wartungspläne erstellt. In diesen wird zuerst festgelegt, welche Grundvoraussetzungen wie beispielsweise Reinigung, Zugänglichkeit herstellen, Laufstege einbauen, eventuell Notunterstellungen etc. gegeben sein müssen. Im Rahmen der Inspektions- und Wartungspläne werden die Intervalle der Überprüfungen, von wem diese durchzuführen sind und worauf (Schwachstellen) besonders zu achten ist, systematisch dargelegt. Ziel ist es, ein Muster-Objekttagebuch zu erstellen. Dieses könnte wie folgt aufgebaut werden: - Allgemeine Objektdaten (Lage usw.) Spezifische Objektdaten (Erkenntnisse der ersten Begehung) Inspektions- und Wartungseinträge (wer hat wann, welche Arbeiten durchgeführt) Stufe 4: Anforderungskatalog Bauzustandserfassung Werden im Rahmen der ersten Begehung oder den späteren Bauwerksüberprüfungen statisch relevante Schäden festgestellt, so ist eine Bestandserfassung und Schadensaufnahme durchzuführen, um die Grundlage für Instandsetzungsmaßnahmen zu schaffen. Hierzu wird ein Anforderungskatalog mit Mindestkriterien für die Aufnahmen erarbeitet. A-9 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 5 Projekt ‚D(N)achhaltigkeit‘ – Überblick (Quelle: Forschungsantrag Projekt ‚D(N)achhaltigkeit‘) Stufe 5: Zusammenstellung von Instandsetzungskonzepten Als Arbeitsgrundlage für die Planer von allfälligen Instandsetzungsmaßnahmen als auch für die ausführenden Zimmerer werden in Abstimmung mit dem Denkmalschutz Instandsetzungskonzepte und Standard-Detaillösungen vorgeschlagen. Stufe 6: Wissenstransfer Parallel zu den anderen Stufen werden alle Erkenntnisse und daraus abgeleitete Maßnahmen in Form von Präsentationen und Diskussionen dem Projektpartnern und den Liegenschafteigentümern zur Verfügung gestellt. Für jene Personen, welche von den Liegenschaftseigentümern mit den regelmäßigen Inspektionen betraut werden, werden zusätzlich zum Muster-Objekttagebuch kompakte Schulungsunterlagen für die auszuführenden Arbeiten zur Verfügung gestellt. Ziele Das oberste Projektziel ist die nachhaltige, langfristige und ökonomisch vertretbare Erhaltung der Ressource „UNESCO–Weltkulturerbe“ der Grazer Altstadt, wie auch im Grazer Altstadterhaltungsgesetz angedacht. FRITZEN führte beispielsweise angesichts der Katastrophe von Bad Reichenhall aus, dass auch die Bauwerksunterhaltung historischer Bauten dringend anzuraten ist. „Die Bau-Denkmalpflege hat sich zur Aufgabe gemacht, Folgen von Fehlverhalten aus der Vergangenheit, für das niemand mehr haftet, soweit zu beseitigen, dass als erhaltenswert Erkanntes erhalten werden kann. Erstaunlich ist, wie lange gewartet wird, bis Maßnahmen zur Vermeidung von Schlimmerem getroffen werden. Es scheint grundsätzlich gebräuchlich, Wasser an der Traufe von hölzernen Dachkonstruktionen so lange eindringen zu lassen, bis die Fußpunkte der Gespärre ziemlich vollkommen erneuert werden müssen. Das liegt nicht am Holz, und das Wasser ist auch nicht Schuld (sondern mangelhafte bis fehlende Inspektion und Wartung. Anmerkung der Autoren). Wider bekanntes Wissen wird zugewartet, bis die Denkmäler so mangelhaft werden, dass die Wiederherstellung eines ordentlichen Zustandes richtig teuer wird.“ 5.1.3 Beschreiben Sie die innovativen sowie zukunftsweisenden Aspekte, welches Ihr Projekt für die Steiermark bringen soll (§ 1 (1) Zukunftsfondsgesetz) Trotz der Tatsachen, dass Dächer großen Beanspruchungen und Beanspruchungswechseln ausgesetzt sind und der Baustoff Holz sehr sensibel auf dauerhafte Durchfeuchtung reagiert, existiert derzeit im Gegensatz zu anderen Bereichen der Technik (zum Beispiel bei Kraftfahrzeugen) keine konkreten Bestimmungen, die statisch relevanten Tragwerksglieder in regelmäßigen Abständen einer Inspektion und Wartung zu unterziehen. Häufig wird so lange zugewartet, bis sich schwerwiegende Schäden von außen abzeichnen (Risse, Gesimseabsturz etc.), welche nur durch enorm aufwendige Instandsetzungsmaßnahmen wieder behoben werden können. Das Projekt „D(N)achhaltigkeit Graz“ zielt darauf ab, die historischen Dachtragwerke und damit die Dachlandschaft von Graz langfristig zu erhalten. Schwachstellen und Schäden sollen frühzeitig erkannt und durch vergleichweise günstige Wartungs- und einfache Instandsetzungsmaßnahmen behoben werden. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung A - 10 Kapitel A: UNESCO | ICOMOS | Weltkulturerbe Stadt Graz | Projekt ‚D(N)achhaltigkeit‘ Zugleich werden die Grundlagen im Hinblick auf mögliche Umnutzungen der Dachräume und Verbesserungen der Energieeffizienz der Objekte erhoben. 5.1.4 Beschreiben Sie die Wertschöpfung des Vorhabens für die Steiermark (Angaben zu Kosten/Nutzen-Darstellung bzw. sozialer Auswirkungen; Multiplikatorwirkung; mögliche Auswirkungen auf den Markt usw.) Die Zuerkennung des Titels UNESCO–Weltkulturerbe im Jahr 1999 inkludiert auch die Verpflichtung, die Dachlandschaft der Altstadt von Graz, zu erhalten. Die Auszeichnung UNESCO–Weltkulturerbe ist jedoch nicht nur von ideellem Wert, sondern auch ein wesentlicher, kaum quantifizierbarer Impuls für den Städtetourismus in Graz. Das Projekt „D(N)achhaltigkeit Graz“ beabsichtigt, einmalige wirtschaftlich kaum vertretbare Instandsetzungskosten zu vermeiden. Für die Durchführung der im Rahmen des Projektes erforderlichen Bestandsund Schadenerfassungen, regelmäßigen Inspektionen und Wartungsmaßnahmen ist eine laufende Finanzierung erforderlich. Gleichzeitig wird im Rahmen der Bestands- und Schadenerfassungen, regelmäßigen Inspektionen und Wartungsmaßnahmen auf Grundlage der im Projekt erarbeiteten Leitfäden, Kompetenz und Erfahrung auf Seiten der Ausführenden aufgebaut (Umwegrentabilität). Diese Kompetenzen lassen sich auch auf andere Städte mit einem ähnlichen historischen Stadtkern anwenden. Es ist zu erwarten, dass zu Projektbeginn zahlreiche Schäden diagnostiziert werden, welche so rasch wie möglich zu beheben sind. Diese Aufträge haben eine große Wertschöpfung für die Zimmermeister, da der Anteil der Handarbeit überwiegt. Zusätzlich werden mit dem Projekt die Grundlagen für folgende übergeordnete und weiterführende Zielsetzungen erarbeitet: - - - A - 11 Mustervorlage für weiterführende Dokumentationen der historischen Grazer Dachstühle zur Gewährleistung eines einheitlichen Niveaus Bereitstellung der Unterlagen für einen Wissenstransfer, beispielsweise in Form von Schulungen des Inspektionspersonals der Dachräume Effizienter Umgang mit Energie: themische Verbesserung der obersten Geschoßdecken zwecks deutlicher Reduktion der Heizkosten und Energieverbräuche, eventuell mögliche Nutzung einzelner Dachflächen für solarthermische Energiegewinnung Entscheidungshilfe bei Bauverfahren betreffend den Ausbau sprich Nutzungsänderung bestehender Dachräume. Schaffung von hochwertigem Wohnraum im Bereich bester urbaner Infrastruktur. Die höhere Bevölkerungsdichte in der Innenstadt führt auch zu sozialen und ökologischen (Vermeidung von Pendlerverkehr und damit Staus) Profiten. Verbesserung der Stadthygiene (z.B. Taubenleichen) infolge Reinigung und Wartung der Dachräume 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 5 Projekt ‚D(N)achhaltigkeit‘ – Überblick (Quelle: Forschungsantrag Projekt ‚D(N)achhaltigkeit‘) 5.2 Abgleich der Projektinhalte mit den ICOMOS-Prinzipien für die Erhaltung von historischen Holzbauten In den Prinzipien 1 und 2 werden eine sorgfältige und präzise Bauzustandserfassung und umfassende Dokumentation gefordert, wobei insbesondere auch auf damit verbundenes traditionelles Wissen und Technologien hingewiesen wird. Mit dem Projekt ‚D(N)achhaltigkeit' wurde den Prinzipien 1 und 2 Folge geleistet und der Prozess einer umfassenden Bestandserfassung für die Dachwerke der ‚Historischen Altstadt Graz‘ begonnen. Eine Weiterführung wäre nicht nur wünschenswert, sondern schlichtweg notwendig. Im Prinzip 3 wird auf eine regelmäßige Überwachung und Instandhaltung hingewiesen und als grundlegend für den Schutz historischer Holzkonstruktionen angesehen. Ein regelmäßige Überwachung und Instandhaltung wird als Grundvorsetzung für einen nachhaltigen Schutz historischer Holzkonstruktionen angesehen. Hier ist ein entsprechender Handlungsbedarf von den Hütern des Welterbes gegeben. Im Rahmen des Projektes ‚D(N)achhaltigkeit' wurde ein Konzept zur Zuverlässigkeitsbeurteilung erstellt, welches als Grundlage für eine Überwachung und Instandhaltung historischer Holzkonstruktionen gelten könnte. Eingriffe haben gemäß Prinzip 4 so zu erfolgen, dass die Authentizität und Integrität historischer Holzkonstruktionen bewahrt bleiben; gemäß Prinzip 5 sollten traditionelle und reversible Maßnahmen gemäß Prinzip 6 bei kleinstmöglichem Eingriff gesetzt werden. Im Rahmen des Projektes ‚D(N)achhaltigkeit' wurde nicht nur eine Schadenserfassung respektive eine Schadensanalyse durchgeführt, sondern es wurde im Rahmen von 6 ‚Runden Tischen' mit interessierten Zimmermeistern an Lösungen gearbeitet, welche mustergültig – siehe Alte Universität – umgesetzt wurden. Im Prinzip 8 wird das Ziel der Restaurierung darin gesehen, das historische Bauwerk und seine Tragkonstruktion erhalten zu können. Die im Rahmen des Projektes ‚D(N)achhaltigkeit' erstellten und diskutierten Musterlösungen zielen auf eine, auf die erfassten Schadensbereiche eingegrenzte, bestandsschonende Instandsetzung ab. In den Prinzipien 9, 10 und 11 wird auf das Thema ‚Reparatur und Ersatz' eingegangen. Es wird hingewiesen, dass für die Reparatur historischer Bauten Ersatzholz gleicher Holzart sowie traditionelle Holzverbindungen unter Beachtung ursprünglicher Techniken und Methoden verwendet werden sollten. In den Prinzipien 13 und 14 wird der Einsatz heutiger Materialien – Epoxydharz, Stahlbewehrung, mechanische Verbindungstechnik, etc – unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Im Zuge der Umsetzung der erarbeiteten Musterlösungen im Rahmen des Projektes ‚D(N)achhaltigkeit' wurden sowohl Ersatzholz gleicher Holzart und soweit möglich, traditionelle Holzverbindungen gewählt; allerdings wurde zur Verbindung mit dem Bestand auf heute bekannte mechanische Verbindungssysteme zurückgegriffen. Es wird damit der Unterschied – sinngemäß dem Prinzip 10 – zwischen ‚alt' und ‚neu' akzeptiert und bewusst hervorgehoben. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung A - 12 Kapitel A: UNESCO | ICOMOS | Weltkulturerbe Stadt Graz | Projekt ‚D(N)achhaltigkeit‘ 6 Literatur Ein Quellenverweis efolgt an den entsprechenden Stellen im vorliegenden Beitrag. A - 13 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 6 Literatur 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung A - 14 B UNESCO Weltkulturerbe Graz – Managementplan 2007 B. Werle DI Mag. Bertram Werle B-1 1994 Diplom Raumplanung und Raumordnung | TU Wien 1995 Diplom Biologie - Ökologie | Universität Wien 1995 Abt. Raumplanung und Verkehr, Bereich Stadtentwicklung | Stadt Salzburg 1997 Leiter der Abt. Stadt- und Verkehrsplanung | Stadt Bregenz 2001 Leiter der Stadtbaudirektion und Welterbebeauftragter | Stadt Graz 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 1 UNESCO Weltkulturerbestätte „Stadt Graz – Historisches Zentrum und Schloss Eggenberg“ Foto: © Stadt Graz | Bildflug 2010 1 UNESCO Weltkulturerbestätte „Stadt Graz – Historisches Zentrum und Schloss Eggenberg“ Das historische Zentrum von Graz gehört seit 1. Dezember 1999 zu den mittlerweile 911 von der UNESCO ausgezeichneten Welterbestätten und gesellt sich damit zu den Pyramiden von Giseh in Ägypten, dem Tadsch Mahal in Indien, der Chinesischen Mauer und dem Schloss und Park Versailles in Frankreich. Das städtebauliche Ensemble der historischen Altstadt stellt ein außergewöhnliches Beispiel für das harmonische Zusammenspiel von Baustilen aus aufeinanderfolgenden Epochen dar. Jedes Zeitalter ist durch typische Bauten vertreten, einige reihen sich in den Rang universeller Meisterwerke ein. Im Jahr 2010 wurde schließlich die Grazer Welterbestätte um Schloss Eggenberg erweitert. 2 Verbindlich – Transparent – Planungssicher Die Auszeichnung als Weltkulturerbe beinhaltet jedoch auch die Verpflichtung, mit diesem wertvollen Kulturgut verantwortungsvoll umzugehen. Da der urbane Zeitgeist eine fortlaufend lebendige Umgestaltung erfordert, wird der Schutz dessen, was Jahrhunderte überdauert hat, umso wichtiger. Daher wurde es im Jahr 2006 nach sieben Jahren Weltkulturerbestatus notwendig, die städtischen Veränderungen in der Grazer Altstadt zu evaluieren und ein Regelwerk für den Umgang mit dem Weltkulturerbe zu schaffen. Hintergrund dazu waren die Richtlinien der UNESCO, die ein verfeinertes Monitoringsystem für jede Welterbestätte fordern. Im Rahmen der 30. Sitzung des Welterbekomitees in Vilnius wurde im Sommer 2006 die Übermittlung dieses Monitoringsystems in Form eines Managementplanes gefordert, der für die neuerliche Antragstellung zur Erweiterung der bestehenden Welterbestätte „Stadt Graz – Historisches Zentrum“ um das „Schloss Eggenberg“ notwendig war. Dieser Plan wurde von der Stadt Graz im Jänner 2007 an das World Heritage Center in Paris übermittelt und „mit Zufriedenheit“ vom Komitee zur Kenntnis genommen. Mit dem vorliegenden Weltkulturerbe Graz – Managementplan 2007 (inkl. Masterplan) wurde erstmals eine parzellenscharfe, objektivierte, fachliche Planungsgrundlage für das Weltkulturerbe „Stadt Graz – Historisches Zentrum“ und die Erweiterung „Schloss Eggenberg“ erarbeitet. Da jede Welterbestätte einzigartig ist, war ein maßgeschneiderter Managementplan für die Stadt Graz zu erarbeiten, der am 18. Jänner 2007 im Grazer Gemeinderat einstimmig beschlossen wurde. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung B-2 Kapitel B: UNESCO Weltkulturerbe Graz – Managementplan 2007 Abb. 2.1: 3 WKE-Masterplan Gesamtansicht per August 2010; Verfasser: Arch. DI Christian Andexer, Dr. Wiltraud Resch. Vertrauensbildende Basis für alle Anspruchsgruppen Dieser umfassende Managementplan wurde unter Mitwirkung der wesentlichen Fachabteilungen und Institutionen sowie unter Einbeziehung aller betroffenen Interessensgruppen federführend von der für Weltkulturerbeangelegenheiten zuständigen Stadtbaudirektion Graz erarbeitet. Damit wurde die Basis für eine breite Identifikation der relevanten AkteurInnen mit den vorliegenden Instrumenten gelegt. Der so entwickelte Plan dient seither als Orientierungshilfe für Planungsinteressen zwischen BauwerberInnen, GutachterInnen und der Behörde dazu, Kontroversen zu vermeiden und klare Regelungen für ein positives Konfliktmanagement zu bieten. Der Managementplan sichert auch eine gewisse Eigenständigkeit in der städtischen Entscheidungsfindung und unterstützt die Kooperation der Stadt Graz mit der UNESCO. Als vertrauensbildende Grundlage bietet der Managementplan für bedeutsame Planungsinteressen eine optimale Berücksichtigung und legt durch städtisches Service bereits im Vorfeld von Bauverfahren spezifische Planungsinteressen objektiviert und transparent dar. 4 Verantwortung im Spannungsfeld zwischen Geschichte und Moderne Generelle von der UNESCO erstellte Empfehlungen (guidelines) dienen als Richtlinien und Basis zur Erstellung eines solchen Managementplanes. In Graz war es vorrangiges Ziel, Regelungen der für das Kulturgut relevanten Verfahren und Verwaltungsstrukturen zu schaffen. Zusätzlich dazu galt es Maßnahmen zu entwickeln, welche die Erhaltung des Kulturgutes selbst sowie die Zugänglichkeit für die Öffentlichkeit sichern. Nach Vorgaben der UNESCO müssen dabei im Managementplan u.a. auch die politischen und finanziellen Rahmenbedingungen zur Erhaltung des Kulturgutes geregelt sein. Im dynamischen Entwicklungsprozess einer Stadt sind daher die Begriffsbestimmungen in den „Operational Guidelines (OG)“ der UNESCO von besonderer Bedeutung, in denen insbesondere festgehalten wird, dass es „historische Städte gibt, die noch bewohnt sind und sich gerade wegen ihrer Art unter dem Einfluss sozioökonomischen und kulturellen Wandels entwickelt haben und weiter entwickeln werden – eine Lage, welche die Beurteilung ihrer Echtheit schwieriger und jede Erhaltungspolitik problematischer macht“. Daraus ergibt sich, dass die Vielfalt der Kulturen und des B-3 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 5 Weltkulturerbe „Stadt Graz – Historisches Zentrum und Schloss Eggenberg“ Erbes unserer Welt als wesentlicher Aspekt der menschlichen Entwicklung aktiv geschützt und gefördert werden soll. Die sinnvolle harmonische Ergänzung neuer Architektur in einem lebendigen Stadtorganismus bedarf daher höchster Achtsamkeit, wobei der Erfolg aller Bemühungen die gesamtheitliche Sicht eines gewachsenen Stadtdenkmals wie Graz ohne kompromittierende Einfügungen darstellt. Vor dem Hintergrund des Bekenntnisses zu einer zukunftsorientierten Stadtentwicklung wird jedoch der Schutz des wertvollen kulturellen Erbes als vorrangig angesehen. Eine Stadt darf aber auch kein Museum sein. Foto: © Graztourismus Der Balanceakt zur dynamischen Erhaltung des Stadtbildes (die Pflege und die Revitalisierung der historischen Bausubstanz), verbunden mit innovativen Nutzungsinteressen (wie die wirtschaftliche Notwendigkeit von neuer Architektur), ist ein gemeinsamer Lernprozess, der auch viele Chancen birgt. 5 Weltkulturerbe „Stadt Graz – Historisches Zentrum und Schloss Eggenberg“ Die Weltkulturerbestätte „Stadt Graz – Historisches Zentrum und Schloss Eggenberg“ definiert sich durch die Geschlossenheit und Authentizität der historischen Ensembles. Jede Stilepoche ist durch hervorragende Baudenkmäler vertreten, von der Gotik (Dom, Doppelwendeltreppe der Burg) über Renaissance (Landhaus, Arkadenhöfe), Manierismus (Mausoleum), Barock (Stadtpalais, Schloss Eggenberg) bis zum Historismus und Jugendstil der Gründerzeitbauten. Aufgrund der hervorragend erhaltenen Bausubstanz zählt die Grazer Altstadt zu den bedeutenden Stadtdenkmälern Europas. Das historische Zentrum von Graz und Schloss Eggenberg bilden zwei städtebauliche Pole. Daher war es naheliegend, das Weltkulturerbe um die bedeutendste Schlossanlage der Steiermark zu erweitern. Die jahrelangen Bemühungen wurden schließlich am 1. August 2010 mit Erfolg gekrönt und das Schloss Eggenberg als Erweiterung der bestehenden Welterbestätte „Stadt Graz – Historisches Zentrum“ aufgenommen. Mit dieser Erweiterung wurde schlussendlich das bisherige „Missing Link“ eingefügt, wodurch sich das Grazer Weltkulturerbe somit als vollständiges Ganzes präsentiert. Abb. 5.1: Schloss Eggenberg_Vorplatz; rechts: Schloss Eggenberg_Seitenansicht_Parapluie; © Universalmuseum Joanneum/zepp®cam.at 2010/Graz, Austria 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung B-4 Kapitel B: UNESCO Weltkulturerbe Graz – Managementplan 2007 Die Weltkulturerbe-Kernzone „Historisches Zentrum von Graz“ umfasst den Bereich, der großteils vom ehemaligen Renaissance-Befestigungsgürtel umschlossen wird und der Schutzzone I des Grazer Altstadterhaltungsgesetzes (GAEG 2008) entspricht. Die Maßnahmen des Managementplanes für das Weltkulturerbe gelten somit für die Schutzzone I des GAEG (Altstadt) und erweitert auch für die Schutzzone VI des GAEG, die Schloss Eggenberg mit Umgebung erfasst. Abb. 5.2: Schutzzonen I und II des GAEG 2008, [Quelle: LGBl 115/2008]. 5.1 Der Managementplan im Detail Der Managementplan festigt den Schutz des historischen Erbes innerhalb der Weltkulturerbezone, gemäß den internationalen Richtlinien der UNESCO und den Empfehlungen der Denkmalpflege. Der Weltkulturerbe Graz – Managementplan 2007 (WKE-MP) definiert einen generellen Handlungsleitfaden mit empfehlendem Charakter und dient darüber hinaus zur Festigung der politischen Rahmenbedingungen im Umgang mit dem Status „Weltkulturerbe“ und in modifizierter Form auch zur Sicherung der Pufferzonen. Der WKE-MP stellt einen strukturellen Rahmen dar, der als „living document“ und Prozesslandkarte aller urbanen Veränderungen im WKE aufgefasst wird. Eine Weiterentwicklung des WKE-MP ist durch ständigen Lernprozess aller Beteiligten gewährleistet. Der Plan setzt sich aus drei Kernelementen zusammen, und zwar dem Managementplan selbst, dem Masterplan als kartographische Darstellung und Befundung sowie der Dokumentation des Informations- und Kommunikationsprozesses. 5.1.1 Leitbild für den Umgang mit dem Weltkulturerbe Der Managementplan hat grundsätzlich empfehlenden Charakter. Er spielt jedoch eine strategisch wichtige Rolle mittels neuer Methodik im Umgang mit dem WKE. Die in der städtischen Verwaltungsebene verankerten Verfahren und der Masterplan bilden die Instrumente, welche den Fachämtern bzw. den weiteren mit dem Welterbe betroffenen Stellen – im Rahmen der (Bau-)Projekte – zur Beurteilung und Entscheidungsfindung zur Verfügung stehen. Der WKE-MP ist somit ein Leitbild für den künftigen Umgang mit dem Weltkulturerbe sowie ein genereller Handlungsleitfaden mit Maßnahmen, die eine Weiterentwicklung der Welterbestätte Graz im Sinne der WKEInteressen gewährleisten. Indem der WKE-MP klare Regelungen für ein positives Konfliktmanagement bietet, dient er als effektive Orientierungshilfe für Planungsinteressen zwischen BauwerberInnen, GutachterInnen und Behörde bereits in der Projektentwicklungsphase. B-5 Foto: © Stadt Graz | Probst 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 5 Weltkulturerbe „Stadt Graz – Historisches Zentrum und Schloss Eggenberg“ Der WKE-MP wurde für die Stadt Graz bindend verankert und als Querschnittsmaterie positioniert. Die Realisierung des WKE-MP ist damit vor allem eine strukturelle Aufgabe, die sich durch die Verfeinerung des Monitoring-Systems innerhalb der städtischen Verwaltungsebene manifestiert. Mit der Implementierung des WKE-MP bekennt sich die Stadt Graz grundsätzlich dazu, dass speziell in der Weltkulturerbe-Kernzone des „historischen Zentrums“ qualitätsvolle, identitätsstiftende und historische Bausubstanz originär erhalten bleibt. Für jene Objekte und Bereiche in den Schutzzonen, auf die dieses Faktum nicht zutrifft, wird im Falle von Um- und Neubauten in einer hochwertigen, zeitgemäßen Architektursprache unter dem Aspekt einer harmonischen Einfügung weitergedacht. Nur so bleibt Graz eine aktive, lebendige Stadt. 5.1.2 Weltkulturerbe – Koordinationsstelle (WKE-Stelle) Um Weltkulturerbe-Interessen möglichst effizient zu berücksichtigen, ist es erforderlich, sie im Vorfeld eines Ermittlungsverfahrens innerhalb städtischer Verwaltungsstrukturen entsprechend wahrzunehmen. Diesem Faktum wird mit Hilfe einer eigenen WKE-Koordinationsstelle als Vorab-Servicestelle sowie durch aktives Monitoring Rechnung getragen. Die Stadtbaudirektion Graz fungiert bereits seit der Antragstellung zum Weltkulturerbe als übergeordnete, verantwortliche Stelle. Daher wurde auch die WKE-Stelle in die bestehende Struktur der Stadtbaudirektion integriert. Die Tätigkeiten dieser Koordinationsstelle umfassen die Bearbeitung aller anfallenden WKE-Aktivitäten, aber vor allem die Betreuung und Beratung von Foto: © Stadt Graz | Fischer ProjektwerberInnen und InvestorInnen bereits in der Projektentwicklungsphase. Dadurch werden bedenkliche Entwicklungen bereits frühzeitig aufgezeigt, und vielfach gelingt es der Koordinationsstelle, bereits im Vorfeld der Einreichung des Projekts durch Information und Hilfestellung etwaige Problemfelder auszuräumen. In ihrer Sonderfunktion als Mediationsschnittstelle koordiniert sie die gemeinsame Abstimmung aller relevanten Fachabteilungen und Beteiligten. Beispiele dafür sind: Kastner & Öhler Dachausbau, Wettbewerb Pfauengarten, Karmeliterplatz, Solardach Franziskanerkloster. 5.1.3 Meldepflicht nach Stufenplan Sollte die zuständige WKE-Stelle im Rahmen ihrer Tätigkeit jedoch feststellen, dass Bauvorhaben im Widerspruch zum Masterplan stehen und/oder maßgebliche WKE-Interessen verletzt werden, dann ist sie verpflichtet, im Rahmen eines Stufenplans übergeordnete Institutionen über die jeweilige Problematik zu informieren. Das Ziel dieses Stufenplans, eine einvernehmliche Einigung zu erreichen, wurde in der Praxis meist bereits in der 1. Stufe erzielt, womit die ProjektwerberInnen langwierigen öffentlichen Debatten (Medien) und einem Schaden für das Projekt ausweichen. Bei der Behandlung der WKE-relevanten Sachverhalte muss zwischen dem Regelfall und dem Sonderfall unterschieden werden, wobei sich im Regelfall das jeweilige Bauprojekt noch in der Entwicklungsphase befindet und kein Bauverfahren bei der Baubehörde anhängig ist. In diesem Fall informiert die WKE-Stelle die zuständigen Fachabteilungen über etwaige Widersprüche zum Masterplan, um auf freiwilliger Basis mit dem Projektwerber eine gemeinsame Lösung zu finden. Diesem Regelfall gegenüber steht der Sonderfall, bei dem bereits ein Bauantrag gestellt und somit ein Bauverfahren ohne Voranfrage an die WKE-Stelle eingeleitet wurde. Bei Widersprüchlichkeiten muss 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung B-6 Kapitel B: UNESCO Weltkulturerbe Graz – Managementplan 2007 die WKE-Stelle in diesem Fall in einem ersten Schritt den zuständigen Referenten des Stadtsenats informieren. Kommt es diesbezüglich zu keiner Einigung, so informiert die WKE-Stelle in einem weiteren Schritt den zuständigen politischen Ausschuss (Bauausschuss). Vorausgesetzt, dass es nach wie vor zu keiner einvernehmlichen Lösung mit der/dem ProjektwerberIn kommt, muss die WKEStelle – in Abstimmung mit der/dem AntragstellerIn – das zuständige Bundesministerium sowie das World Heritage Center der UNESCO (WHC) über die Unstimmigkeiten informieren. Dieser letzte Schritt erfolgt allerdings ausschließlich in Fällen, in welchen ein erheblicher WKE-Interessenskonflikt besteht (siehe Infokasten). Infokasten: BeiWKEInteressenskonfliktenistzwischengeringerundhoherProblematikzuunterscheiden,woraussicheine differenzierteVorgangsweisebeiderMeldepflichtergibt: A.BauvorhabenmitgeringenWKEInteressenskonflikten: 1. Schritt: WKEStelle/Koordination:DiskussionderProblematikzwischenBehördeSachverständigen AntragstellerInnenmitdemZieleinerLösungsfindung(Vertragbzw.Verpflichtungserklärung). 2. Schritt: WurdekeineLösunggefunden,werdendiezuständigenStadtsenatReferentInnenbefasst. 3. Schritt: IstnachwievorkeineLösungerzielbar,sohatumgehendeinschriftlicherInformationsberichtanden zuständigenpolitischenAusschusszuerfolgen. B.BauvorhabenmiterheblichenWKEInteressenskonflikten: 1. Schrittbis3.SchrittsieheA. 4. Schritt(sofernesderRechtsgrundlageentspricht): ZusätzlichergehteineInformationan: x Bundesministeriumfür Kultur(BMK) x WorldHeritageCenter(WHC)UNESCO/Paris. 5.2 Masterplan – die kartografische Darstellung 5.2.1 Struktur und System Der vorliegende Masterplan ist ein Bestandteil des Weltkulturerbe Graz – Managementplanes 2007 und stellt eine Befundung der Kernzonen „Historisches Zentrum“ und „Schloss Eggenberg“ und seiner Pufferzonen dar, in der die Altstadt nach historischen Vierteln, die durch ihre Entstehungsgeschichte und ihre Bedeutung definiert sind, eingeteilt wird. Als Basis und Quelle der Befundung dient die Kunsttopographie der Profanbauten des I. Bezirkes der Grazer Altstadt. Das Weltkulturerbe wird in 13 Vierteln in Form von Befunden beschrieben, wobei die Viertel I-X die Kernzone der Altstadt, das Viertel XI die Pufferzone, das Viertel XII Schloss Eggenberg und das Viertel XIII die Verbindungsachse der beiden Kernzonen beschreibt. Die Darstellung in Planform weist Bereiche mit unterschiedlicher Bewertung aus und schlägt unterschiedliche Vorgehensweisen vor, die zum Einen der Entwicklungsdynamik des sozioökonomischen Gebildes Stadt bezüglich Gestaltung Rechnung tragen und andererseits Maßnahmen definieren, wie die historische Substanz restauriert und für eine breite Öffentlichkeit ins Bewusstsein gerückt werden kann. B-7 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 5 Weltkulturerbe „Stadt Graz – Historisches Zentrum und Schloss Eggenberg“ Abb. 5.3: WKE-Masterplan für das Historische Zentrum 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung B-8 Kapitel B: UNESCO Weltkulturerbe Graz – Managementplan 2007 5.2.2 Handlungsempfehlungen und Veränderungsmöglichkeiten Anhand der Klassifizierung dieser Vorgehenszonen ergeben sich somit drei Schwerpunkte (Ampelprinzip rot-gelb-grün), die in Beziehung zum „Räumlichen Leitbild“ der Stadt Graz stehen und auf wissenschaftlicher Grundlage Zonen nach dem Grad der Veränderungsmöglichkeiten definieren: Erhalten: „intakte Situation“: Festlegung historischer Charakteristika, Verstärkung der historischen Merkmale. Pflegen/Sanieren: „Vorsicht: wertvolle Elemente“: Revitalisieren, Defizite beheben, Zonen verbessern. Entwickeln: „Weg frei für neue hochwertige Architektur“: Gestalten im Rahmen des Grazer Altstadterhaltungsgesetzes/Denkmalschutzgesetzes mit hohem qualitativem Anspruch unter Berücksichtigung der Aspekte von Integrität und Authentizität des historischen Stadtgefüges. Der Masterplan grenzt sich durch seine historische Definition von anderen Instrumenten der Stadtplanung, Stadtentwicklung und Flächenwidmung sowie Bestimmungen des Baugesetzes und des Naturschutzes ab. Wesentliche Grundlagen des Masterplanes stellen weiters die Bestimmungen des Grazer Altstadterhaltungsgesetzes 2008 (GAEG) und seiner Verordnungen sowie das Denkmalschutzgesetz (DMSG) dar. Der Masterplan wurde unter Berücksichtigung der Tatsache erstellt, dass diese beiden Regulative auch weiterhin den gesetzlichen Rahmen für bauliche Veränderungen im Sinne des Altstadt- und Denkmalschutzes bilden. Der Masterplan ist ausgerichtet auf eine in Städten innewohnende Entwicklungsdynamik und zeigt Zonen des Bewahrens und der Revitalisierung, der Verbesserung der Stadtlandschaft und ihrer Gestaltungspotentiale sowie Störungen im Erscheinungsbild auf. Diese unterschiedlich bewerteten Zonen unterliegen über die Plangrundlage einem Monitoring durch die WKE-Stelle der Stadt Graz, die in Form von fachlicher Beratung und Empfehlungen bei Veränderungen im Welterbegebiet tätig ist. Die Maßnahmen des Managementplanes und Masterplanes helfen mit, das Welterbe von Graz zu bewahren, zu pflegen und zu verbessern, aber auch im Einklang mit dem Welterbe stehende Entwicklungszonen zu definieren. Foto: © Stadt Graz | Probst Foto: © Stadt Graz | Probst B-9 Foto: © Stadt Graz | Probst 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 6 Ausblick 6 Ausblick Der WKE-MP fungiert als transparentes „living document“ und ermöglicht eine ständige Weiterentwicklung in Affinität zur Prozesslandkarte aller urbanen Veränderungen im Welterbegebiet und seiner Pufferzonen. Bereits in der Projektentwicklung wird durch Service und nachvollziehbare Prozesse Planungssicherheit für die ProjektwerberInnen erzeugt. Darüber hinaus dient der WKE-MP zur Festigung der politischen Rahmenbedingungen im Umgang mit dem Status Weltkulturerbe, gemäß dem grundlegenden Prinzip der UNESCO Konvention: „Das kulturelle Erbe des Einzelnen ist das kulturelle Erbe aller!“ Kontakt: KoordinationWeltkulturerbeStelle Mag.DanielaFreitag StadtGrazA10Stadtbaudirektion weltkulturerbe@stadt.graz.at www.graz.at DerMasterplanwurdeimAuftragderStadtGrazverfasstvon: ArchitektDIChristianAndexerundKunsthistorikerinDr.WiltraudResch. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung Foto: © Stadt Graz | Probst B - 10 C UNESCO WKE Puebla – Bestandserfassung und -analyse mit besonderem Augenmerk auf historische Holzkonstruktionen D. Bühler Dr.-Ing. Dirk Bühler C-1 1990 Promotion an der RWTH Aachen seit 1993 Leiter der Abteilung Bauwesen im Deutschen Museum, München 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 1 Puebla – Lage und Bedeutung Zusammenfassung Die Stadt Puebla, im zentralen Hochland Mexikos gelegen, wurde 1987 in die Liste des UNESCOWeltkulturerbes aufgenommen. Sie bietet dank ihrer homogenen Stadt- und Gebäudestruktur und deren Erhaltungszustand gute Voraussetzungen für das Studium der zivilen Architektur der Kolonialzeit (1531-1821) in Mexiko. Eine Bestandsaufnahme der Bauformen und Baumaterialien, die vom Autor zwischen 1982 und 1985 durchgeführt wurde, war die Grundlage einer umfassenden Analyse und Bewertung dieser historischen Bausubstanz. Bestandsaufnahme und Auswertung der Daten wurden aufgrund des unterschiedlichen Erhaltungszustandes der Gebäude auf zwei unterschiedlichen, sich gegenseitig ergänzenden Ebenen vorgenommen: nämlich als Bauteilanalyse oder als Gebäudemonografie. Dem Baustoff Holz kommt bei der Untersuchung und beim Schutz der Gebäude eine grundlegende Bedeutung zu, denn Holz fand als tragendes Bauteil in Geschoßdecken und Flachdächern Verwendung. Die Bauweise dieser Decken und der Flachdächer ist zwar einfach, doch der Aufwand für eine nachhaltige Wartung der Dachflächen ist erheblich, denn die Erhaltung der Funktionsfähigkeit ist an die schnelle Entwässerung nach den heftigen tropischen Regenfällen geknüpft. Über diesen Bericht hinaus wird außerdem ein hervorragender historischer Holzdachstuhl für ein Satteldach aus dem Kirchenbau in der Umgebung von Puebla beispielhaft vorgestellt, der bisher nicht in die Welterbeliste aufgenommen worden ist. 1 Puebla – Lage und Bedeutung Puebla liegt im mexikanischen Hochland auf 2162 Meter Höhe und ist durch die markante Bergkette aus Popocatépetl und Itztaccihuatl von der 120 Kilometer entfernten mexikanischen Hauptstadt getrennt. Die 1531 gegründete Stadt ist seit 1987 in die Liste des Kultur- und Naturerbes der Welt der UNESCO als "Baudenkmal der Menschheit" eingetragen. Die Stadt, viertgrößte des Landes und von überregionaler wirtschaftlicher Bedeutung, ist trotz allen Wachstums ein wirkliches Kleinod unter den Städten Lateinamerikas geblieben. Für die historische Bedeutung der Stadt stehen die Besonderheiten der Stadtgründung und -entwicklung als Vorbilder spanischer Siedlungsmuster für Amerika sowie die hier verwendeten, traditionellen Bautechniken und die von regionalen Eigenheiten geprägte Architektur, die der Stadt ihren ganz besonderen Charme verleihen (siehe [4], [13], [21]). Beeindruckend ist die besonders vielschichtige und vergleichsweise umfangreiche erhaltene Bausubstanz, die immer wieder auch durch Naturereignisse, wie etwa das Erdbeben von 1999, bedroht ist. So kann Puebla neben der allein schon schützenswerten, rasterförmigen Stadtanlage insgesamt 850 Baudenkmale aus der Kolonialzeit zu seinem historischen Erbe zählen: Darunter so bekannte wie die Kathedrale am Zócalo oder die Capilla del Rosario bei der Kirche des Dominikanerklosters oder die berühmte Bibliothek des Bischofs Palafox y Mendoza aus dem 17. Jh.. Zusätzlich weisen andere bedeutende, meist barocke Kirchen, Klöster, Stifte und Hospize (siehe [21]) sowie eine ungeheure Vielzahl an Profanbauten auf ein bedeutendes bauliches Vermächtnis hin. Dazu kommen zusätzlich etwa 1800 Bauwerke aus dem 19. Jh., die den Charakter der heutigen Stadt entscheidend mitprägen. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung C-2 Kapitel C: UNESCO WKE Puebla – Bestandserfassung und -analyse mit besonderem Augenmerk auf historische Holzkonstruktionen 2 Stadtentwicklung Die Gründung der Stadt geht auf einen Erlass von Kaiser Karl V. aus dem Jahre 1531 zurück, der eine großzügig geplante, spanische Stadt auf "der grünen Wiese" entstehen lassen will, um die indianische von der europäischen Bevölkerung zu trennen. Hautfarbe, ethnische Zugehörigkeit, Stand und Beruf entschieden daher, in welchem Stadtteil man wohnte. Der Standort war für ein prosperierendes Gemeinwesen ideal gewählt: an einem Flusslauf gelegen, umgeben von Fundorten für Baustoffe, die Lehm und Kalk lieferten, eingebettet in Kieferwälder, die das Holz zum Bauen bereit hielten. Bald schon konnte eine städtische Infrastruktur mit Wasserversorgung, Brückenbauten und öffentlichen Einrichtungen entstehen, gefördert durch immer weiter gehende Steuererleichterungen und Privilegien der Krone für die -spanischen- Bewohner. Auch der Klerus, bereits bei der Gründung mit von der Partie, beteiligte sich mit dem Bau von Kirchen und Klöstern an der Gestaltung der Stadt und ihrer Bauwerke. Erstaunlich ist, dass das Straßenraster bereits bei der Stadtgründung so großzügig angelegt war, dass es erst um 1910 mit damals 100.000 Bewohnern gerade vollständig bebaut und bewohnt war. Den wirtschaftlichen Höhepunkt erlebte die Stadt im 17. Jh., als Handel und Gewerbe, bedingt durch die bevorzugte Lage am Weg zwischen Atlantik und Pazifik, in voller Blüte standen. Ihren hohen Stellenwert verlor die Stadt erst gegen Ende des 18. Jh. mit dem Aufstieg der Minenstädte im mexikanischen Bajío. Mit dem Ende der Kolonialzeit um 1810 beginnt eine neue wirtschaftliche und damit auch bauliche Ära, deren Protagonisten sich mehr als zuvor an Vorbildern aus Europa orientieren. Abb. 2.1: C-3 Gesamtplan des historischen Stadtkerns von Puebla mit Eintrag der Baudenkmale aus der Kolonialzeit nach Baualter. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Denkmalschutzgesetzgebung in Mexiko und Puebla Heute ist Puebla von einem dichten Industriegürtel umgeben, der sich nicht nur entlang der nördlich der Stadt verlaufenden Autobahn, sondern im Laufe der vergangenen Jahre auch hufeisenförmig um die Stadt herum und linear entlang der Straßen in Richtung der benachbarten Städte Tlaxcala und Cholula ausgedehnt hat. Die Einwohnerzahl der Stadt hatte sich seit Beginn des 20. Jh. bei rund 100.000 Einwohnern stabilisiert, bis sich in den 1950er Jahren das Bevölkerungswachstum immer mehr beschleunigte. So konnte die Bevölkerung der Stadt schließlich in der Zeit von 1990 bis 1995 von 1.057.000 auf 1.230.000 Einwohner, also um fast ein Viertel ansteigen. 3 Denkmalschutzgesetzgebung in Mexiko und Puebla Ein Interesse am Studium und der Erhaltung des kolonialzeitlichen Erbes erwacht in den 1820er Jahren nach den Unabhängigkeitskriegen und findet etwa 80 Jahre später im Jahre 1902 seine ersten rechtlichen Grundlagen in der Regierungszeit des Diktators Porfirio Diaz. Das erste bundesweit geltende Denkmalschutzgesetz erscheint 1914, dem weitere in den Jahren 1916, 1930 und 1934 folgen sollen. Auch die ersten historischen Stadtkerne werden in diesen Jahren als "Ensemble" unter Denkmalschutz gestellt (z.B. Taxco, Guerrero im Jahre 1928). Das erste regional geltende Denkmalschutzgesetz wird in Puebla im Jahre 1932 (siehe [18]) erlassen und im Jahre 1938 durch die Ernennung der Stadt Puebla zur "Zona típica" (siehe [2], S. 80) also zum regionalen Baudenkmal ergänzt. Bis heute folgen neue Gesetze auf regionaler und Bundesebene. Eine Besonderheit in Mexiko ist, daß die kirchlichen Güter 1860 mit den Reformgesetzen „Leyes de Reforma“ des Präsidenten Benito Juárez enteignet wurden und daher bis heute der Bundesregierung unterstehen und von einer eigenen staatlichen Behörde verwaltet und unterhalten werden. 4 Erste Bestandserfassungen in Puebla Das bereits erwähnte Gesetz von 1932 ordnet in Puebla unter anderem nun auch die Katalogisierung der zu schützenden Bauwerke an. Ein Inventar der Baudenkmäler aus der Kolonialzeit in Puebla lässt jedoch noch bis 1937 auf sich warten, als endlich die erste Denkmalliste schützenswerter Bauten in der Stadt Puebla im "Periodico Oficial" erscheint (siehe [19]). Dieses Inventar weist insgesamt 255 Adressen von sowohl religiösen, als auch zivilen Bauten auf. Doch seine Interpretation bereitet enorme Schwierigkeiten, denn eine Vielzahl von Adressen ist zweideutig oder falsch geschrieben, auch die Auswahlkriterien nicht immer eindeutig auszumachen. Unter den erfaßten Gebäuden sind 18 Kirchen oder Klöster, der Rest bezieht sich auf Profanbauten. Eine zweite, wichtige Inventarisierungsinitiative wird ab 1966 unternommen. Diese Arbeit, die lediglich die Baudenkmäler der Kolonialzeit in Puebla erfasst, ist im Jahre 1970 abgeschlossen und bleibt zunächst für viele Jahre unveröffentlicht, bis sie 1977 durch einen Präsidentenerlaß in Verbindung mit einer neuen Gesetzgebung (siehe [20]) Rechtsverbindlichkeit erlangt. Dieses Inventar besteht nun aus einer Liste von 812 Adressen, die durchgehend nach den langen Strassen geordnet wurden, die umständlich und ohne Rücksicht auf ungerade und gerade Straßenbezeichnungen nur numerisch und nicht nach ihrer tatsächlichen Lage aufgeführt und. Die Aufteilung des historischen Stadtzentrums in vier Zonen wird zum Standard. Die Hausnummern sind progressiv geordnet, das heißt, es kann nicht unterschieden werden, auf welcher Straßenseite ein Gebäude liegt. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung C-4 Kapitel C: UNESCO WKE Puebla – Bestandserfassung und -analyse mit besonderem Augenmerk auf historische Holzkonstruktionen Die erste Fassung dieses Inventars aus dem Jahre 1970 schließt 72 religiöse (Klöster, Hospitäler und Stifte) und 740 zivile Bauwerke aus der Kolonialzeit, sowie "einige besonders bedeutende Gebäude aus dem 19. und 20. Jahrhundert" ein. Kirchen sind hierin nicht verzeichnet. Die Neuausgabe dieses Inventars aus dem Jahre 1985 listet die Kirchen und landes- bzw. staatseigene Bauwerke, da sie einer anderen Gesetzgebung unterliegen, getrennt auf. Die Adressen im Inventar sind mit dreierlei Information versehen: einer groben Einschätzung ihres Zustands (A, B, C und durch Unterstreichung hervorgehobene, "repräsentative" Gebäude), ihrem Baualter (nach dem geschätzten Jahrhundert der Erstellung) und mit Daten zu den Besitzverhältnissen. Die Klassifikationen und Baualter dieser 812 Gebäude sind im Inventar wie folgt verteilt: Tab. 4.1: Inventarisierte Gebäude nach Klassifikation und Baualter. 16. Jh. 16.-17. Jh. 17. Jh. 17.-18. Jh. 18. Jh. 18.-19. Jh. 1 11 39 88 99 62 300 B 3 5 105 48 153 314 C 3 9 43 52 91 198 17 53 236 199 306 812 A Summe 1 Summe Diese Tabelle zeigt, daß fast die Hälfte der inventarisierten Gebäude Veränderungen aus dem 19. Jahrhundert aufweist, was auch durch die eigenen, späteren Untersuchungen bestätigt werden konnte, und zwar nicht nur für die Gebäude des 18., sondern auch für die des 16. und 17. Jahrhunderts. Im Auswertungsteil wird gezeigt, welche Bauteile überwiegend verändert wurden und in welcher Weise das geschehen ist. Die Zahl der Gebäude, die vor dem 18. Jahrhundert erbaut wurden, und noch ganz oder teilweise erhalten sind, ist erfreulich hoch und erscheint daher schon zahlenmäßig der Architektur des 19. Jahrhundert ebenbürtig. 5 Katalogisierung der Bürgerhäuser von Puebla 1982 – 1985 Weil diese Quellen für das beabsichtigte Studium der Eigenschaften und der Entwicklung des Bürgerhauses in Puebla unzureichend waren, wurde die Erstellung eines neuen, vollständigen Kataloges erforderlich, der den Denkmalbestand systematisch erfaßte und eine Bewertung zuließ. Diese Katalogisierungsarbeiten wurden 1982 bis 1985 vom Autor dieses Artikels durchgeführt. Nachdem in einer ersten Bestandsaufnahme aller 812 Gebäude (siehe Abb. 5.1) die zu erfassenden Elemente definiert werden konnten, wurde ein Fragebogen entwickelt, der praktisch alle wesentlichen Bauteile und deren mögliche Beschaffenheit enthält. Weil es jedoch einerseits Gebäude aus der Kolonialzeit gab, die vollständig erhalten waren und wiederum andere, die nur noch Teile aus dieser Epoche aufwiesen, mußte für die ersten ein ausführlicher, für die zweiten ein abgekürzter Fragebogen entworfen werden. Im Zuge einer zweiten Begehung wurden Daten in Fragebögen, sowie zeichnerisch und fotografisch erfaßt. Von den bedeutendsten Gebäuden wurden Bauaufnahmen angefertigt. Die Daten aus den abgekürzten Fragebögen, die nur die historischen Bauteile der teilweise erhaltenen Gebäude erfassen, sind in der Auswertung als "Anatomie des Bürgerhauses" dargestellt. Die Ergebnisse aus der Erfassung der "ausführlichen Fragebögen" gingen als "Monographien" in den Schlußbericht ein. Aufbau und Organisation der Fragebögen ist in den Abbildungen ablesbar. C-5 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 5 Katalogisierung der Bürgerhäuser von Puebla 1982 – 1985 Auf diese Weise wurden insgesamt 348 Gebäude untersucht, von denen 108 als vollständig aus der Kolonialzeit stammende Bauwerke mit dem ausführlichen Fragebogen erfaßt wurden, davon 40 mit genauen Bauaufnahmen. Bei 240 weiteren Gebäuden wurden mit dem kleineren Fragebogen die erkennbar aus der Kolonialzeit stammenden Gebäudeteile erfaßt. Abb. 5.1: 5.1 Links: Beispiel für einen Erhebungsbogen aus dem ersten Rundgang bei dem 812 Gebäude erfasst wurden. Rechts: Eine Seite aus dem Gesamtverzeichnis, das nach dem ersten Rundgang vollständig überarbeitet wurde. Inhalt der Fragebögen Die Grundstruktur beider Erhebungsbögen [dazu ausführlich [4], S. 74-97] folgt einem gemeinsamen System (siehe Abb. 5.2). Auf beiden Bögen sind vermerkt: Baualter/Klassifikation, Adresse/ Nutzung, die technischen und historischen Erhebungsdaten in mehr oder weniger ausführlicher Form, der Lageplan auf der Grundlage des Katasterplans; dazu kommen jeweils Zeichnungen und Grundrißskizzen nach dem Katasterplan im Maßstab 1:500 oder Bauaufnahmen, dazu die fotografische Dokumentation (beim umfangreichen Bogen ein neues, nämlich das 3. Blatt und beim Detailbogen auf ein- und demselben Blatt). Abschließend auf beiden Bögen: Daten zu Literatur und Archiven, also Orientierung für eine weiterführende Materialsuche. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung C-6 Kapitel C: UNESCO WKE Puebla – Bestandserfassung und -analyse mit besonderem Augenmerk auf historische Holzkonstruktionen Abb. 5.2: C-7 Beispiel für die drei Seiten des Bogens zur Erhebung eines Gesamtbauwerkes aus dem zweiten Rundgang bei dem 108 Gebäude erfasst, sowie Beispiel für einen Bogen zur Erhebung baulicher Details aus dem zweiten Rundgang bei dem 240 Gebäude erfasst wurden (Bild rechts unten). 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 5 Katalogisierung der Bürgerhäuser von Puebla 1982 – 1985 Die bei den Begehungen gewonnen Daten wurden statistisch ausgewertet, in Tabellen übertragen und einander gegenüber gestellt. Wichtige Gebäudemerkmale wurden auch im Stadtplan kartiert, um ihre Verteilung im Stadtganzen feststellen zu können. Aus der Interpretation und Auswertung der Daten entstand schließlich ein vollständiges Bild der erhaltenen kolonialzeitlichen Bausubstanz Pueblas. Hier sind einige der Punkte des Fragebogens, darunter diejenigen, die sich insbesondere auf die Verwendung von Holz in der Kolonialarchitektur Pueblas beziehen. Ein für die Holzdächer entscheidender Punkt dreht sich, wie wir sehen werden, um die Dachentwässerung, die zur Straßenseite des Gebäudes oder zum Patio hin erfolgen kann. Dabei sind neben Wasserspeiern vor allem die aus Ziegeln aufgemauerten und im Mauerwerk eingelassenen Abläufe zu verstehen, die ihren Ausguss an der Unterkante des Gebäudes direkt auf die Strasse haben. Sie sind meist am aus Werkstein gefertigten Ausguss oder bei Verstopfung des Fallrohres an den dadurch hervor gerufenen Bauschäden zu erkennen. In einem anderen Fragenkomplex werden Konstruktion, Form, Ausstattung und Materialien der Maueröffnungen, sowohl der Fassade zur Straße hin als auch der Innenfassaden zu den Patios hin erfaßt. Hier finden wir alle vorkommenden Arten von Maueröffnungen: das sind im Erdgeschoß: das Eingansportal, das zweite, am anderen Ende des Hauseingangs liegende und zum Patio hinführende Eingangstor, die Ladeneingänge und eventuell vorkommende Fenster. Zur Erfassung der Größenordnungen wurde nach der Grundstücksgröße, der Patiogröße (beide gemessen nach Katasterplan oder Bauaufnahme) und nach dem Verhältnis in dem beide zueinander stehen, gefragt. Bei der Berechnung des Verhältnisses, in welchem beide Flächen zueinander stehen, wurde der Vergleichbarkeit wegen oft nur der erste (ursprüngliche) Patio und entsprechend auch nur die ihn umfassende bebaute Fläche berücksichtigt. Das Baumaterial des Mauerwerkes, das eingesehen werden konnte (was meist nur an den Stellen, an denen der Putz abgebröckelt war, möglich gewesen ist) und des Bodenbelags im Innenhof wurden ebenso aufgenommen wie die bei Geschossendecken und Dachaufbau verwendeten Baustoffe. Besonders an diesen Bauteilen kam Holz in großen Mengen zum Einsatz und es sind gerade diese, deren Pflege besondere Anforderungen stellen. Der Vorschlag, die Tiefe der Hauptachse der Gebäude (gemessen in kastilischen Ellen = 0,8359 Meter) in den Fragebogen aufzunehmen stammt vom Architekten Pavón in Puebla. Denn dadurch konnte geprüft werden, ob und in welcher Weise die Bauwerksabmessungen den in der Kolonialzeit üblichen Balkenlängen entsprechen. Der umfangreiche Fragebogen wurde so angelegt, dass er für die Feldarbeit optimale Bedingungen bietet. Die oberen (Kästchen 1 und 2) und unteren (Kästchen 29 und 30) Teile sind zum Ausfüllen vor der Begehung gedacht; diese Daten wurden während der Literatur und Archivarbeit eingetragen. Die im Feld auszufüllenden Teile sind zwar nach Möglichkeit nach den betreffenden Bauteilen geordnet, gehorchen aber in erster Linie der Vorgehensweise bei der Begehung. So folgt der Fragebogen der Regel: zuerst wird die Fassade betrachtet, dann der Haupteingang, die Hauseinfahrt, dann der Patio. Danach: der Bauzustand und die baulichen Veränderungen. Diese Aufteilung wurde vor allem deshalb gewählt, weil dadurch eine fehlerlose, und dennoch relativ zügige Arbeitsweise erreicht werden konnte. Dass die Beurteilung der Bausubstanz einheitlichen Kriterien unterlag, wurde auch dadurch gewährleistet, dass alle Fragebogen vom Autor selbst ausgefüllt worden sind. Dass trotz aller angestrebten Vollständigkeit des Fragebogens auch Bauteile und -formen unberücksichtigt geblieben sind, sollte anbetrachts der Vielfalt der Ausdrucksformen poblaner Architektur allerdings nicht Wunder nehmen. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung C-8 Kapitel C: UNESCO WKE Puebla – Bestandserfassung und -analyse mit besonderem Augenmerk auf historische Holzkonstruktionen So macht der Fragebogen etwa keine Aussage zu den Dachformen, denn diese sind, im Gegensatz zum Vorhergesagten, in der Tat immer gleich: es sind Flachdächer, die auf einer Balkenlage ruhen. Eine genaue Beschreibung dieser Überdachung wird im nächsten Abschnitt gezeigt. Auf die Erhebung vieler dekorativer Details musste zu Gunsten einer übersichtlichen und auf anderem Gebiet spezialisierten Arbeit verzichtet werden. Um nur einige zu nennen: Geländer an Balkonen und Treppenaufgängen, Kachelstruktur und -formen an den Fassaden und manchmal auch in den Patios, Wandmalereien (sind immer registriert, aber nicht genauer beschrieben). Bei der Fassadendekoration wurde vor allem die Erfassung von Details der überaus reichhaltigen Formensprache des 18. Jahrhunderts in Puebla auf ein Minimum reduziert. Ebenfalls verzichtet wurde auf die ausschließlich für die Verwaltung wichtigen Daten: Grundstücksnummer, aktueller, privater, Hausbesitzer etc.. 6 Neuere Untersuchungen Die Datensammlung aus dieser 1982-1985 durchgeführten Katalogisierung wurde in fotokopierter Form mit 50 Exemplaren veröffentlicht und an wenige Bibliotheken und Behörden abgegeben; heute gibt es auch eine digitalisierte Version im pdf-Format. Die Originale (4.000 s/w Negative, die Originalzeichnungen und alle ausgefüllten Erhebungsbögen) sind im Archiv des Deutschen Museums in München einsehbar. Diese Datensammlung wurde systematisch ausgewertet und in einer ersten Arbeit 1990 in Deutscher (siehe [3]) und schließlich 2001 auch in Spanischer Sprache, dann jedoch als vollständige Text- und Katalogfassung (siehe [4]) veröffentlicht. Natürlich hat das Denkmalamt des Bundes, das Bauamt der Stadt Puebla und die Bauverwaltung des Staates Puebla bis heute weitere Inventare angefertigt. Diese neuen Inventare führten bisher zwar nicht zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, sind aber für die alltägliche Arbeit des Denkmalpflegers unerläßlich. Hervorzuheben sind aber zwei Arbeiten, die am Forschungsinstitut der staatlichen "Benemérita Universidad Autónoma de Puebla" über die Baudenkmäler des 19. Jhs. und die Architekten und Ingenieure des 20. Jhs. in Puebla (siehe [15]) erschienen sind. 7 Auswertung der erhobenen Daten Einleitend sollen hier – bevor wir über Baustoffe und -weisen sprechen – die wichtigsten formalen Merkmale der poblaner Kolonialarchitektur als Ergebnis der Katalogauswertung ([4], S. 126-237) aufgezeigt werden. Schon die Haus- und Kirchenfassaden des 16. Jh. offenbaren mit ihrer Dekoration, vor allem mit der ihrer Portale, noch die Machtgebärden der Eroberer. Stilistisch sind die "Casa de las Cabecitas", als Wohnhaus der ersten Jahre nach der Stadtgründung, und die besonders filigrane Dekoration des Portals der "Casa del que mató al animal" dem "Plateresco"-Stil zugeschrieben, wobei an Details auch indianische Motive durchschimmern. Die "Casa del Deán de la Plaza" (siehe Abb. 7.1 links) gilt dagegen – wegen ihrer Fassadengestaltung und der Wandmalereien im Inneren – als besondere, künstlerische Schöpfung aus dem Geist der Renaissance. "Schlichte Eleganz und eine stille Größe" vermitteln die Fassaden und Patios der Gebäude aus dem 17 Jh.. In dieser Zeit wurden auch die niedrigeren Zwischengeschosse – zwischen Erd- und Obergeschoss – in die poblaner Architektur eingeführt, die in der Lage sind, das gesamte Raumangebot des Hauses ohne Verkleinerung des Patios geschickt zu vergrößern (Abb. 7.1 rechts). Als besonders imposantes Beispiel dafür gilt das alte Zollhaus mit seinem gediegenen Repräsentationsstil des 17. Jh., das, lange C-9 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 7 Auswertung der erhobenen Daten der Zerstörung preisgegeben, heute im Besitz der Universität ist und wieder zu einem Schmuckstück restauriert wurde. Eine liebenswerte Besonderheit im Stadtbild Pueblas aus dieser Epoche sind die Gebäude mit Eckbalkon. Ein wirklicher Barockpalast aus dem 17. Jh. ist schließlich die "Casa de las Bóvedas", lange Zeit als Kunstakademie genutzt, beherbergt das Gebäude heute die Pinakothek der Universität (siehe [10]). Abb. 7.1: Links: Die Fassade der "Casa del Déan de la Plaza" aus dem 16. Jh. Rechts: Ansicht eines typischen Gebäudes mit Zwischengeschoss aus dem 17. Jh. Im 18. Jh. gewinnt die Kachel als Gestaltungselement an der Außenhaut von Gebäuden an Bedeutung: Die "Talavera de Puebla" wird nicht nur zur begehrten Gebrauchskeramik in Küche und Esszimmer, sondern schließlich zum Inbegriff poblaner Architektur schlechthin. Die Muster kommen zunächst aus dem spanischen Talavera la Reina, wo bereits arabische Vorbilder Spuren hinterlassen haben. In Puebla verschmelzen zudem indianische Elemente und -bedingt durch den Pazifikhandel- auch chinesische zu einer einzigartigen Formensprache. Aus bunten Kacheln, kombiniert mit Ziegeln und Stuck entstanden Fassaden mit überschwänglichen Dekorationen, die die Barockarchitektur in Puebla krönen. Die gelb leuchtenden Kuppeln über Kirchenschiffen und auf Türmen geben der Stadt ihren einzigartigen Charakter. Die "Casa de Alfeñique" (Abb. 7.2) – heute das Stadtmuseum – ist Inbegriff dieses Baustils. Die nicht weniger berühmte "Casa de los Muñecos", auf deren Fassade scheinbar "tanzende", etwas skurrile Figuren aus Kacheln dargestellt sind, die zu allerhand volkstümlichen Spekulationen führen, dokumentiert hingegen bereits den Aufbruch der Architektur in das 19. Jh.. Abb. 7.2: Links: Ansicht der "Casa de Alfeñique" aus dem 18. Jh. Rechts: Blick in den Innenhof der "Casa de Alfeñique". 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung C - 10 Kapitel C: UNESCO WKE Puebla – Bestandserfassung und -analyse mit besonderem Augenmerk auf historische Holzkonstruktionen 7.1 Baumaterial Von den ersten Gebäuden, die den Stadtchroniken zufolge aus Holz mit Stroh gedeckten Faltdächern im Laufe einer Woche gebaut wurden, gibt es heute keine Spuren mehr. Adobe ([9], Bd. 1, S. 278) schien nur in der ersten Zeit nach der Stadtgründung eine gewisse Rolle gespielt zu haben und wurde offenbar schnell zugunsten des "cal y canto", also des Mauerwerksbaues aus Bruchstein aufgegeben. Nur in den "barrios", die auch heute noch von einem mehr ländlichen Charakter geprägt sind, finden sich hin und wieder Gebäude, auch Begrenzungsmauern aus Adobe. Der Adobeziegel passte offenbar schon seit den ersten Jahren nach der Gründung nicht mehr in die Vorstellung der Bewohner von einer erfolgreichen Bürgerstadt. Auch von den Chronisten wurde auffallend oft und mit Stolz betont, dass die Gebäude aus "cal y canto" gefertigt wurden. Kalk, in der Hauptstadt während der gesamten Kolonialzeit eins der knappsten, somit am meisten gefragten und teuersten Baumaterialien, war in Puebla im Überfluss vorhanden. Die wichtigsten Lager befanden sich im Norden der Stadt ([9], Bd. 1, S. 288), und förderten so den Bau von Kalkbrennöfen in dieser Gegend. Kalk aus Puebla wurde nicht nur in den Bauten der Stadt selbst verwendet, sondern im gesamten Umland verarbeitet, was, wie Echeverria y Veytia ([9], Bd. 1, S. 289] betont, nicht daran lag, dass es in anderen Orten an Kalk gefehlt hätte, sondern dass es einfach keine Brennöfen dafür gab. Die Stadt Puebla muss hier entweder über die Zunftordnungen oder durch die für den Abbau von Kalk notwendige und käufliche Lizenz einen Einfluss ausgeübt haben; eine Handlungsweise, die durchaus ihren wirtschaftlichen Interessen entsprochen haben könnte. Ebenso wie die Kalklager, waren auch die Steinbrüche städtisches Eigentum und der Abbau genehmigungspflichtig. Diese Abbauerlaubnis wurde zeitlich begrenzt vergeben und war gebührenpflichtig. Bemerkenswert ist dabei, dass diese Regelung sich nicht nur auf die offiziellen Steinbrüche bezog, sondern auch auf die auf dem Baugrundstück vorgefundenen Baumaterialien. Bruchstein findet sich unter den erwähnten Kalklagern: ein weißes, festes Schichtgestein, das für Fundamente und Mauerwerk sowie als Bodenbelag der Patios verwendet wurde. Es wurden daumendicke Platten daraus abgebaut, die zu zwanzig Stück eine Wagenladung ausmachten und so verkauft wurden. Bedeutend waren die Steinbrüche der im Norden der Stadt liegenden Hänge von Loreto und Guadalupe, die teils auch heute noch ausgebeutet werden, ebenfalls der Steinbruch am Hügel von San Juan. Hier wurde der für die zu betrachtende Architektur bedeutendste Stein, der graue und widerstandsfähige Basalt abgebaut, der nicht allein die Werksteinfassadenteile der Gebäude und deren Balkone, sondern auch den Bodenbelag in Patios und Strassen ausmacht. Am Bau fanden zunächst wenig oder völlig unbearbeitete Bruchsteine Verwendung, die im Mauerwerk verarbeitet wurden, daneben Werkstein für Portale, Säulen, Brunnen und bestimmte Teile an Fassaden. Für Bodenbelag und Balkone wurde dieser Stein in zweifingerdicke Platten von einer kastilischen Elle Länge auf eine halbe Elle Breite geschnitten (ca.: 84 x 42 cm) und, eine Frage des Preises und der gewünschten Verwendung, ein oder beidseitig glattgeschliffen und poliert. Ein Sandsteinlager gab einem ganzen "barrio" seinen Namen. In Xanenetla wurde der "xalnene" abgebaut, ein fester, feuerbeständiger Stein, der vorzugsweise für den Bau von Brennöfen für Kalk, Ziegel und Glas Verwendung fand, da er hohe Temperaturen auch über längere Zeitspannen ohne Schaden übersteht. Er ist aber auch, in große Blocks geschnitten, in nicht tragendem Mauerwerk einiger Gebäude ab und zu anzutreffen. Kies wurde überwiegend an den Hängen des Tepoxuchitl abgebaut, der durch seine Vielfarbigkeit auffiel. Das kann man auch heute noch im historischen Mauerwerk an unverputzten Stellen beobachten. Sand zum Bauen wurde überwiegend aus dem San Francisco Fluss gewonnen, wo dieser im Überfluss C - 11 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 7 Auswertung der erhobenen Daten angetrieben wurde. Ebenfalls an den Hängen der Hügel von Loreto und Guadalupe, im Barrio de Xanenetla und im Barrio de San Francisco, wurde außerdem Lehm abgebaut, der zu Ziegelsteinen weiterverarbeitet wurde. Sie wurden in verschiedenen Größen gefertigt und tausendstückweise, wie auch heute noch, ausgeliefert. Verwendung fanden die quadratischen, flachen Ziegel (25 x 25 x 3 cm) in den Bodenbelägen der Gebäude, die durchweg mit diesem Baustoff abgedeckt waren. Fassadenverkleidungen aus Ziegeln der unterschiedlichsten Formen kamen dann vor allem im 18. Jahrhundert in Mode. Die eigentlichen Ziegel für Mauerwerksbau waren 28 x 14 x 7 cm groß, massiv und brachen der relativ niedrigen Brenntemperatur wegen leicht auseinander. Mithin fanden sie ausschließlich in stark druckbelasteten Bauteilen, wie Bögen, Tür- und Fensterstürzen Verwendung. Mauerwerk nur aus gebrannten Ziegeln war im kolonialzeitlichen Wohnungsbau nicht festzustellen, lediglich zerbrochene oder schlechter gebrannte Ziegel, wurden im üblichen Mauerwerk mitverarbeitet. Holz war in den die Stadt damals noch umgebenden Nadelwäldern und Berghängen einfach, schnell, billig und im Überfluß verfügbar. Es wurde auf 5, 6.5, 7.5 und 9 kastilische Ellen für Balken zurechtgesägt und für die Deckenkonstruktion verwendet ([3], S. 148). Ebenfalls in die Deckenkonstruktion gingen Holzscheite "tejamanil" ein. Die Rahmen von Türen und Fenstern, sowie die Eingangstüren der Gebäude waren ebenfalls aus Holz, und bis in das ausgehende 19. Jahrhundert hinein fand man neben den heute üblichen Schmiedeeisengeländern und -gittern auch viele Holzgeländer an Balkonen und Holzgitter an den Fenstern. Abgesehen von dieser direkten Verwendung von Holz am Bau wurde Holz in Kalk und Ziegelöfen verheizt. Eisen wurde am Bau nur sehr sparsam eingesetzt. Es war zu Beginn der Kolonialzeit äußerst knapp und musste aus Spanien eingeführt werden, bis in Mexiko die ersten Minen in Betrieb genommen waren. 7.2 Bauweise Die bauliche Struktur des Bürgerhauses in Puebla ist streng und überschaubar und weist sich durch einfache und klare konstruktive Lösungen aus. Im Grundriss handelt es sich um ein Gebäude, dessen rechteckiger Patio von vier langgestreckten Zimmerfluchten umgeben und geformt ist. Der Patio ist in der Regel auf ein bis drei Seiten von einem Säulengang umstanden, der im Obergeschoss als Gang zur Erschließung der Räume dient. In der Regel wird ein Gebäude von zwei hintereinander liegenden und durch einen Gang verbundenen Patios gebildet. Der Zugang zum Gebäude von der Strasse erfolgt über eine Hofeinfahrt, die "zaguán" genannt wird. Eine in der Regel zweiläufige Treppe erschließt das Obergeschoss. Im Aufriss variieren die Geschosszahlen zwischen einem und zwei Geschossen, wobei gesondert auf die Gebäude mit zwei Geschossen und einem, relativ niedrigeren, Zwischengeschoss hingewiesen werden muss. Die vier Zimmerfluchten um den Patio herum bestehen aus Mauerwerk, das für die Geschoß hohen Fenster/Türen entsprechende Öffnungen aufweist. Alle Räume im Erd- und Obergeschoss werden einzeln und von außen, also vom Patio her erschlossen; oft wird daher sogar auf eine interne Verbindung zwischen den Räumen verzichtet. Auf der Patioseite schließt sich dieser Zimmerflucht der Säulengang an, der von Rundsäulen meist toskanischer Ordnung, welche die darüberliegenden Bögen tragen, gebildet wird. Darüber befinden sich die Geschossdecken und/oder das Dach, welche konstruktiv gleich behandelt wurden. An den Patioseiten, die keinen Säulengang aufweisen, werden die Räume im Obergeschoss über einen auskragenden Gang, der aus Gewölben, die seitlich wiederum auf Steinkonsolen aufliegen, erschlossen. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung C - 12 Kapitel C: UNESCO WKE Puebla – Bestandserfassung und -analyse mit besonderem Augenmerk auf historische Holzkonstruktionen Das Mauerwerk der Zimmerfluchten ruht auf einem Streifenfundament, das, nur wenige Zentimeter breiter als die darüberliegende Mauer, zwischen 80 und 120 cm tief in die Erde eingelassen ist. Das eigentliche Mauerwerk im Erdgeschoss ist in nahezu allen Fällen genau eine kastilische Elle, also 84 cm, stark. Das Mauerwerk im Obergeschoss ist in vielen Fällen, das zeigen die Bauaufnahmen, ebenso stark wie das im Erdgeschoss, nur in wenigen Fällen ist eine Abnahme der Mauerstärke zu beobachten. Das Mauerwerk selbst setzt sich aus einer Mischung verschiedenster Bausteine zusammen, in welcher der schon erwähnte Bruchstein die bedeutendste Rolle spielt. Die fast durchweg Geschoß hohen Fenster und Türen (es gibt fast gar keine Fenster mit "Fensterbank") werden in Puebla durch Stürze mit "Muscheltympanon" abgeschlossen. Dieses Muscheltympanon, eigentlich ein Kuppelsegment, das im Mauerwerksbau errichtet die anfallenden Lasten auf das seitlich liegende Mauerwerk abführt, ist immer mit seiner Öffnung zur Raumseite hin gerichtet, in den meisten Fällen glatt verputzt und nach außen, also zur Strassen- oder Patioseite hin, als scheitrechter Sturz ausgeführt. In einigen Gebäuden (vorwiegend im 17. und 18. Jahrhundert) wird diese konkave Form des Türsturzes durch ein Muschelornament verziert, das den Fenstern einen besonderen Reiz verleiht. Fenster- und Türstürze aus Holzbalken, wie sie in der Hauptstadt und in vielen anderen Städten Mexikos üblich sind, können in Puebla nur in zwei Fällen beobachtet werden. Die Säulen der Arkadenreihen ruhen auf gestuften Punktfundamenten von 40-80 cm Tiefe und einer höchsten Breite von 100 cm. Diese Säulen sind aus Werkstein gefertigt und bestehen meistens aus mehreren Steinstücken, die normalerweise nur aufeinandergesetzt und mit etwas Mörtel verbunden, in einigen Fällen aber auch regelrecht ineinander verzapft ([4], S. 320-327) sind. Die die Säulen verbindenden Bögen wurden nur im 16. Jahrhundert aus Werkstein geformt. Die folgenden Jahrhunderte verwendeten dafür – weil billiger – Ziegel im Mauerwerksbau. Die Ausfachung der Zwischenräume erfolgte durch das schon beschriebene Mauerwerk aus vermischten Materialien. Ebenfalls aus Ziegeln und im Mauerwerksbau erstellt sind die Gewölbe, die an den nicht von Säulengängen bestückten Patioseiten als Umgänge zur Erschließung der Obergeschossräume dienen. Es handelt sich dabei um Korbbogen, deren Spannweite enorm variieren kann und die auf ins Mauerwerk eingelassenen Steinkonsolen ruhen. Diese Bauweise erhielt sich nicht nur während der Kolonialzeit, sondern wirkte bis ins 19. Jahrhundert hinein, bis diese Umgänge durch in das Mauerwerk eingelassene Steinplatten ersetzt wurden. Geschossdecken und Dächer (siehe Abb. 7.3 links oben) weisen dieselben konstruktiven Eigenschaften auf. Eine untere Balkenlage trägt zunächst Ziegel oder Holzscheite "tejamanil", auf denen eine Schüttung aus grobem Sand und Kies aufgebracht ist. Darüber liegt in einem Mörtelbett eine weitere Lage flacher Ziegel, die als Bodenbelag dient. Die Balkenlage ist in Querrichtung zur Zimmerflucht angebracht, lässt also in Bezug auf leichte Trennwände maximale Gestaltungsfreiheit. Hierbei sind zwei Auflagertypen (siehe Abb. 7.3 links unten) zu unterscheiden, die zahlenmäßig fast gleich verbreitet sind. Einmal sind die Balken ca. 15-20 cm in die Wand eingelassen und die Auflager im Bruchsteinmauerwerk durch Ziegelsteine stabilisiert. Die andere Form lässt die Balkenköpfe nur wenige Zentimeter in die Wand ragen, unterstützt sie jedoch mittels eines längs der Wand verlaufenden Holzträgers, der wiederum auf in größeren Abständen angebrachten Steinkonsolen ruht. Die Balken liegen unverhältnismäßig dicht beieinander: sie sind nach einer in Mexiko geltenden Faustregel verlegt, die aussagt, dass der Abstand zwischen zwei Balken die Breite eines Balkens ausmachen soll: "Entre viga y viga: viga". Eine zweite, augenscheinlich seltener angewandte Regel besagte, dass der Abstand zwischen den Balken die Höhe eines Balken sein solle: "Viga parada - viga acostada". Bei einer normalen Balkenbreite von 12-18 cm ergibt sich ein recht geringer Abstand von einem Balken zum anderen, gerade genug, um den Zwischenraum mit einem Ziegel oder einer Holzschindel zu C - 13 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 7 Auswertung der erhobenen Daten überwinden (siehe Abb. 7.3 rechts). Diese Bauweise ist offenbar bis ins 19. Jahrhundert hinein ökonomisch vertretbar: wer dachte damals schon an die ökologischen Schäden des Kahlschlages ohne Wiederaufforstung , denn erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wird diese Norm wegen des inzwischen hohen Preises durchbrochen und der Balkenabstand verändert oder die Holzdecken werden durch flache, aus Ziegeln gemauerte Gewölbe ersetzt. Die Balkenlänge bestimmt die Tiefe der Zimmerflucht und da diese in genormten Größen angeliefert werden, finden sich auch überwiegend Bautiefen von 9 (7,52 m), 7.5 (6,26 m), 6 (5,01 m.) und 5 (4,18 m) kastilischen Ellen. Abb. 7.3: Links: Skizze des Dachaufbaus (oben) und der Auflager für die Balken (unten). Rechts: Blick in einen Hauseingang "zaguán" mit der typischen Holzdecke. Gewölbe treten während der Kolonialzeit vor allem als Überdachung von Treppenhäusern auf. Seltener sind sie als Überdachung von Umgängen im Patio oder in geschlossenen Räumen vorzufinden. Es kann sich dabei um Tonnen , Kreuz- oder Klostergewölbe, manchmal auch um Flachkuppeln handeln, die im Mauerwerksbau ausgeführt sind. Der Dachaufbau ist grundsätzlich derselbe wie der der Geschossdecken, jedoch wird das Dach zusätzlich durch mehrere abwechselnd angewandte Seifenlaugen und Alaunbäder oder später auch durch eine Beimischung von Asphalt "chapopote" zur Zementschlämme abgedichtet. Die Dächer sind meist leicht geneigt, damit das anfallende Regenwasser schnell über Rohre und Wasserspeier abfließen kann. Die Dachentwässerung (Abb. 7.4) erfolgt in den meisten Fällen über viereckige, aus Ziegelsteinen geformte und in die Wand eingelassene Rohre, die an der Straßenoberfläche in ein aus Werkstein gefertigtes Formstück (Knie) enden, welches das Wasser auf die Strasse auswirft. Eine andere, etwas später auftretende Form der Wasserabführung sind die Wasserspeier, die teils zur Patioseite hin, teils 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung C - 14 Kapitel C: UNESCO WKE Puebla – Bestandserfassung und -analyse mit besonderem Augenmerk auf historische Holzkonstruktionen zur Straßenseite hin das Dach entwässern und welche ebenfalls aus Formsteinen hergestellt sind. Abb. 7.4: Skizze einer Dachentwässerung. Die einfache Bauweise, die Verfügbarkeit von Baumaterial und die regelmäßig geformten Grundstücke lassen eine nüchterne, gleichzeitig majestätische und homogene Architektur entstehen, die auch noch dem heutigen Stadtbild Pueblas seine charakteristische Einheitlichkeit verleiht. Die baulichen Entwicklungstendenzen durch die drei Jahrhunderte kolonialer Herrschaft äußern sich also nicht so sehr in konstruktiven Neuerungen, sondern eher in der Raumauffassung und Dekoration der Bauwerke, die an anderer Stelle dargestellt ist (siehe [4], S. 126-226). 8 Holzdecken und Holzdächer Die beschriebenen Holzdecken und -dächer haben sich während der Kolonialzeit sehr gut bewährt und werden ab dem 19. Jh. bis in die 1920er Jahre hinein in dieser Machart, dann aber mit größeren Balkenabständen, so lange verwendet bis die traditionelle Holzkonstruktion zunächst durch Ziegelgewölbe, später durch Betondecken ersetzt wird. Diese Decken und Dächer sind recht wartungsfreundlich und einfach zu handhaben, bedürfen allerdings ständiger Kontrolle. So dürfen die Balkenköpfe der Geschoßdecken weder faulen noch von Schwämmen befallen sein und Verschiebungen durch die häufig auftretenden Erdbeben müssen schnell ausgeglichen werden; vor allen dürfen die Dächer keine Feuchtigkeit aufnehmen können: die tropischen Regenfälle sind in der Regenzeit meist heftig, aber kurz, sodass bei funktionierenden Abwasserleitungen der nachfolgende Sonnenschein die Dachfläche schnell getrocknet hat. Ist die Dachentwässerung und/oder die Dachabdichtung jedoch beschädigt, kann Wasser in die Sandschicht eindringen. Bis die Ziegel- und die Sandschicht mit Wasser gesättigt ist, wird die Decke zunächst C - 15 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 8 Holzdecken und Holzdächer natürlich immer schwerer. Ist der höchste Sättigungsgrad im Dachaufbau erreicht, dringt das anfallende Wasser durch die Decke und schwächt die -bereits zuvor zusätzlich belasteten- Holzbalken durch direkte Wassereinwirkung weiter. Das Zusammenspiel dieser Effekte führt vor allem bei vernachlässigter Bausubstanz innerhalb weniger Jahre zum Einsturz der Dachabdeckung und in der Folge natürlich auch zum Einsturz der darunter liegenden Geschossdecken. Daher sind für den Schutz der Dachhaut eine funktionierende Dachentwässerung und eine geeignete Abdichtung unabdingbar. Weil die bereits beschriebenen Dachentwässerungsrohre nach erfolgter Verstopfung schwer zu reinigen sind, findet man heute häufig nachträglich auf Putz angebrachte Entwässerungsrohre oder zusätzliche Wasserspeier. Die Abdichtung der Dachflächen muss jährlich vor Beginn der Regenzeit im Mai kontrolliert (siehe Abb. 8.1 links) und wie oben beschrieben mit Seifenlaugen und Alaunbädern, aber auch mit Asphaltanstrich "chapopote" versehen werden. Nur aus den historischen Quellen wissen wir, dass Holzkonstruktionen für Kirchendächer zu Beginn der Kolonialzeit durchaus die Regel waren. Ab dem 17. Jahrhundert werden praktisch alle Kirchen in den Städten und in den umliegenden Dörfern im Raum Puebla und Tlaxcala nach und nach mit gemauerten Kuppeln [21] überdacht, wie wir sie heute mit ihrer Abdichtung aus bunten Fliesen kennen (Abb. 8.1 rechts). Abb. 8.1: Links: Abdichtungsarbeiten an einem typischen Flachdach aus dem 19. Jh. Rechts: Luftaufnahme der aus Flachdächern und Kuppeln zusammengesetzten Dachlandschaft von Puebla. [Foto: Bureau Charbonneau, Montréal, 1992] Allein die Kirche des Franziskanerklosters "Nuestra Señora de la Asunción" in Tlaxcala verfügt im Raum Puebla und Tlaxcala noch heute über einen wunderbaren Dachstuhl im Mudéjarstil, dem arabisch-spanischen Baustil aus der Zeit der maurischen Herrschaft auf der iberischen Halbinsel. Aus dem zwischen 1581 und 1584 entstandenen Bericht von Diego Muñoz Camargo über die Provinz Tlaxcala geht hervor, dass dieses Kloster zum Zeitpunkt des Berichtes bereits so bestand wie wir es heute kennen: mit einem Dachstuhl aus kunstvoll durch Überblattung oder Kämmung zusammengefügten Balken aus Zedernholz [12]. Beim Entwurf spielte nicht nur die Statik, sondern auch Symbolik und Ästhetik eine wesentliche Rolle: die Untersicht des Dachstuhls ist ein sternenbedeckter Himmel (siehe Abb. 8.2 links). 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung C - 16 Kapitel C: UNESCO WKE Puebla – Bestandserfassung und -analyse mit besonderem Augenmerk auf historische Holzkonstruktionen Der Karmelitermönch Fray Andrés de San Miguel (1577-um 1644) lebte ab 1597 in Puebla, seine heute noch bekannten Bauwerke stehen jedoch vor allem in San Angel (México D.F.) und im Bajío. Neben reinen Ingenieurbauwerken errichtete er Holzdecken "alfarje" in spanisch-muslimischer Tradition, wie sie aus dem ehedem maurisch besetzten Spanien bekannt sind und auch im spanischen Kolonialreich des 16. und 17. Jh. meist für Kirchen, hin und wieder auch in der Zivilarchitektur verwendet wurden. Er hielt sein Wissen in einem Manuskript fest, das heute in der Latin American Collection der University of Texas in Austin aufbewahrt wird und 1965 erstmals vollständig veröffentlicht wurde [1]. Seine Zeichnungen und technischen und geometrischen Beschreibungen sind heute wertvolle Zeitzeugen, die aufzeigen, wie diese komplizierten Deckenkonstruktionen entworfen und gebaut wurden (siehe Abb. 8.2 rechts). Abb. 8.2: Links: Ein Blick in den Dachstuhl der Klosterkirche "Nuestra Señora de la Asunción" in Tlaxcala. Rechts: Zeichnung einer "alfarje" aus dem Manuskript von Fray Andrés de San Miguel [1]. Weiterführende Studien zu dieser Art von Dachstühlen im Raume Puebla und Tlaxcala wären durchaus sinnvoll und könnten einen Beitrag zu ihrer Erhaltung leisten. C - 17 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 9 Literatur 9 [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14] [15] [16] [17] [18] [19] [20] [21] Literatur Báez Macías, Eduardo (Hg.) Obras de Fray Andrés de San Miguel UNAM México 1969 Borbolla, Daniel Rubin de la: México-Monumentos arquitectónicos y arqueológicos, Instituto Panamericano de Geografía e Historia, México 1953 Bühler, Dirk: Das Bürgerhaus der Kolonialzeit in Puebla Sozialwissenschaftliche Studien zu Internationalen Problemen, Band 149, Saarbrücken/ Fort Lauderdale, 1990 Bühler, Dirk: Puebla: Patrimonio de Arquitectura Civil del Virreinato, Deutsches Museum y ICOMOS München 2001 Bühler, Dirk: Urbanismo y arquitectura civil en el virreinato del Perú en: Loreto López, Rosalva (Coord.): Perfiles habitacionales y condiciones ambientales, ICSyH BUAP, Puebla 2007 p. 165-220 Bühler, Dirk: La construcción de puentes en las ciudades latinoamericanas (Puebla, Lima y Arequipa) en: Kingman Garcés, Eduardo (Compilador): Historia social urbana - Espacios y flujos- FLACSO Ecuador, Quito 2009 Bühler, Dirk: Los Puentes de la Ciudad de Puebla, in: Loreto, Rosalva (Coord.): "Agua, Poder Urbano y Metabolismo Social" Puebla, BUAP 2009, S. 77-130 Bühler, Dirk: Recorridos Monumentales: Reflexiones sobre el Centro Histórico de Puebla (1982-2008), in: Aut.Var.: El Patrimonio edificado en Puebla a veinte años de su inscripción como patrimonio mundial -opiniones y reflexiones, Puebla, 2009, S.15-42 Fernández de Echeverría y Veytia, Mariano: Historia de la Fundación de la Ciudad de la Puebla de los Ángeles, Puebla, 1931 (1era Ed.) paginación de acuerdo a la 3era Ed., Puebla, 1990. Fernández, Martha: Retrato Hablado - Diego de la Sierra, un arquitecto barroco en la Nueva España, UNAM, México, 1986 Grajales Porras, Agustín - Illades, Lilián - Saldívar, Alfredo: La casa del Marqués o Casa de las diligencias: una somera revisión de la hostelería, las comunicaciones y los transportes de antaño, Puebla, UAP, 1999 Gutiérrez Arriola, Cecila: El Convento de Nuestra Señora de la Asunción de Tlaxcala en el Siglo XVI in: Anales del Instituto de Investigaciones Estéticas de la Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM) N° 71 México 1997, S. 5-35 Ibáñez G., Rafael: La Arquitectura Colonial en Puebla, Puebla1949 Leicht, Hugo: Las Calles de Puebla, Puebla, 4a edición 1980 (1era edición de 1934) Montero, Carlos y Mayer, Silvina: Arquitectos e Ingenieros poblanos del siglo XX, BUAP Puebla 2006 López de Villaseñor, Pedro: Cartilla Vieja de la Nobilísima Ciudad de Puebla (1781), México 1961 Ordenanzas de los Carpinteros y Alarifes formadas por Esta Novilisima Ciudad de Puebla confirmadas por el Superior Gobierno el Año de 1605 publicado en: Boletín Municipal, Puebla de Zaragoza, Tomo XV, No. 1, pp. 4 7, Puebla, 30 de Abril 1910 Periódico Oficial del Gobierno Constitucional del Estado libre y soberano de Puebla: Ley sobre Protección y Conservación de Monumentos y Bellezas Naturales del Estado de Puebla" Puebla, 14 de octubre de 1932 Periódico Oficial del Gobierno Constitucional del Estado libre y soberano de Puebla: "Lista de Construcciones Coloniales de la Ciudad de Puebla" Puebla, 14 de mayo de 1937 Secretaría de Educación Pública INAH-Centro Regional de Puebla y Tlaxcala "Decreto por el que se declara una Zona de Monumentos Históricos en la Ciudad de Puebla de Zaragoza, Estado de Puebla", Puebla 1977 Toussaint, Manuel: La Catedral y las Iglesias de Puebla, Porrúa, México 1954 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung C - 18 D UNESCO-WKE Bamberg – Bauforschung an historischen Dachwerken M. Schuller Prof. Dr.-Ing. Manfred Schuller D-1 1981 Promotion an der TU München seit 2006 Lehrstuhl für Baugeschichte, historische Bauforschung und Denkmalpflege an der TU München 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 1 Zusammenfassung – Die Dachwerke Bambergs 1180-1800 1 Zusammenfassung – Die Dachwerke Bambergs 1180-1800 In der im 2. Weltkrieg von Zerstörungen nur gering betroffenen Weltkulturerbestadt Bamberg hat sich lange unerkannt ein besonderer Schatz erhalten: Historische Dachwerke vom ausgehenden 12. Jahrhundert bis in die Barockzeit. Im Vortrag werden die Ergebnisse von 20 Jahren Forschung und Lehre an der Universität Bamberg der Professur für Bauforschung und Baugeschichte vorgestellt. Das älteste komplett erhaltene Dachwerk über der Kirche St. Gangolf ist dendrochronologisch auf 1184 datiert. Es handelt sich um ein für die romanischen Dachwerke im deutschen Sprachgebiet typisches Sparrendach mit Sparrenstreben (siehe Abb. 1.2). Ähnliche Konstruktionen waren nach erhaltenen Resten auch in den Profandächern Bambergs des 13. Jahrhunderts üblich. Im 14. Jahrhundert werden die Dachwerke deutlich steiler und erhalten Kehlbalkenlagen. Über der Oberen Pfarre liegt ein Kehlbalkendach mit einer zusätzlichen Scherenkonstruktion, an der eine Holztonne befestigt war. Ab 1400 endet die Zeit der binderlosen, nur durch schräge Windrispen längs ausgesteiften Dächer, der stehende Stuhl wird eingeführt, mit dem auch sehr große Räume wie die der Dominikanerkirche mit 22 Meter Basisbreite überspannt werden können. Diese Stühle werden zur Standardkonstruktion auch über der Vielzahl der erhaltenen Bürgerhausdächer des 15. Jahrhunderts. Mitte des 15. Jahrhunderts setzen die liegenden Stühle sowohl über Sakral- wie über Profanbauten ein, zugleich sind Hängewerke nachweisbar, die von den Bindern der Stühle streng getrennt sind. Kombinationen von stehendem und liegendem Stuhl ermöglichen im ausgehenden 15. und gesamten 16. Jahrhundert die Überspannung großer Gebäudetiefen, die auch bei Profanbauten bis zu 18 Meter betragen. Das 17. und 18. Jahrhundert greift die im Mittelalter entwickelten Hauptkonstruktionen liegender Stuhl und Hängewerk und kombiniert sie insbesondere bei anspruchsvollen Gebäuden wie den Kirchenbauten. Die Hängewerke werden jetzt in die Ebene des liegenden Stuhls versetzt, was zu äußerst komplizierten Knotenpunkten und Holzverbindungen führt. Einige Kirchendachwerke wie das größte barocke Dachwerk Bambergs über der ehemaligen Jesuitenkirche weisen doppelte Hängewerke, das Ausnahmedach von Schloss Weißenstein bei Pommersfelden in der näheren Umgebung besitzt gar ein vierfaches Hängewerk mit einer freien Spannweite von 24 Metern. Zudem besitzt es 1716 eines der ersten Mansarddächer Frankens. Im Bürgerhausbau Bambergs wird der liegende Stuhl bis ins 19. Jahrhundert die Standardkonstruktion, er eignet sich für alle erdenklichen Formen: unterschiedlichste Gebäudegrößen, verschiedene Dachneigungen, Sattel-, Walm und modische Mansarddächer. Selbst bei den extrem steilen Turmhelmen bildet er die Grundkonstruktion. Das Besondere der Bamberger Dachwerke ist nicht nur die Fülle der erhaltenen Beispiele von der Großkirche bis zum kleinen Feldhütergebäude vom 12. bis zum 18. Jahrhundert, sondern auch die konsequente konstruktive Entwicklung von binderlosen Sparrendächern bis zu hochkomplizierten Kombinationen von liegenden Stühlen mit Hängewerken durch sieben Jahrhunderte. Sie ist in dieser Quantität und Qualität in keiner anderen deutschen Stadt mehr nachweisbar. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung D-2 Kapitel D: UNESCO-WKE Bamberg – Bauforschung an historischen Dachwerken Abb. 1.1: Blick über die Bamberger Dachlandschaft. Abb. 1.2: Isometrie des ältesten Bamberger Dachwerkes von 1284 (St. Gangolf). D-3 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 1 Zusammenfassung – Die Dachwerke Bambergs 1180-1800 Abb. 1.3: Tafel mit Dachwerken des 18. Jahrhunderts. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung D-4 E Historische Dachwerke – Entwicklungsgeschichte, Typologie und Tragwirkung J. Zehetgruber DI Johann Zehetgruber E-1 seit 1998 selbständiger Ziviltechniker mit Bürositz in Zwettl, NÖ seit 1999 Lehrer an der HTBL Krems für konstruktive Fächer 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung Zusammenfassung Historische Dachwerke gehören zweifellos zu den faszinierendsten Tragwerken, mit denen ein Baustatiker zu tun hat. Sie existieren in einer großen Zahl und erfüllen bis heute ihre Funktionen zur Stützung der Dachhaut und damit zum Schutz der darunter liegenden Gebäudeteile vor Witterung. Die in Mitteleuropa noch erhaltenen Exemplare reichen bis in das 12. Jhdt zurück und sind in manchen Fällen fast unverändert erhalten. Für die Bearbeitung solcher Tragwerke sind folgende drei Punkte von Bedeutung: • • • Die Geschichte des Tragwerkes (Genese, Bauphasen, durchgeführte Sanierungen) und dessen baulicher Zustand Die Zuordnung des Tragwerkes zu einer Konstruktionsform (Typologie) Die möglichst realitätsnahe Erfassung der Tragwirkung als Voraussetzung der weiteren theoretischen Bearbeitung Die Konstruktionsform hängt eng mit dem Errichtungszeitpunkt und auch mit der Region zusammen. Die Einteilung kann aber grundsätzlich in zwei Hauptgruppen erfolgen: Die der SparrenKehlbalkendächer und die der Pfettendächer. Diese beiden Typen lassen sich durch die Funktion und Lagerung der Sparren sauber voneinander trennen. Mischformen sind jedoch vereinzelt vorhanden. Zeitlich gesehen dominieren in Mitteleuropa über viele Jahrhunderte die verschiedensten Formen der Sparren- und Kehlbalkendächer. Dabei haben sich hochkomplexe Konstruktionen entwickelt, mit denen große Spannweiten überbrückt wurden. Die Dächer waren steil mit Neigungen von 45 ° bis 60 °. Die Pfettendächer bildeten daneben eher die Ausnahme. Erst im 19. Jhdt kam es dann zur Ablöse des letzten großen Vertreters der Kehlbalkendachstühle mit liegendem Stuhl durch die Pfettendachstühle. Mit diesen Konstruktionen ließen sich kompliziertere Grundrissformen einfacher beherrschen. Mit der Unterscheidung in Sparren- und Pfettendächer ergibt sich auch bereits eine Unterscheidung der Tragwirkung. Bei Sparrendächern erfolgt die Lastableitung direkt auf kürzestem Weg über das Dreieck, also die Querebene. Bei den Pfettendächern erfolgt die Ableitung der Lasten dominant über die Längstragwerke und damit indirekt und über einen längeren Lastpfad. Aufgrund der komplexen Verbindungstechnik und des hohen Grades an statischer Unbestimmtheit handelt es sich in aller Regel um Hybridtragwerke, bei denen die beiden Systeme in einem gewissen Verhältnis zueinander wirksam werden. Die theoretische Bearbeitung erfordert in jedem Fall eine intensive Analyse der Konstruktion. Der befasste Ingenieur muss daher einen wesentlichen Teil seiner Zeit vor Ort verbringen, um sein Modell möglichst nahe an die Realität heranführen zu können. Mehr als bei allen anderen Tragwerken sind ausreichend Plausibilitätskontrollen einzubauen. Auch die Kalibrierung mit Hilfe von in-situMessungen kann bei wertvollen Bausubstanzen angebracht sein. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung E-2 Kapitel E: Historische Dachwerke – Entwicklungsgeschichte, Typologie und Tragwirkung 1 Einführung Die tägliche Arbeit des konstruktiven Ingenieurs bringt bisweilen auch die Befassung mit alten Dachtragwerken mit sich. Meist scheitert er dann schon an einer korrekten und klaren Bezeichnung der tragenden Struktur und seiner Teile. Beginnt er dann mit der Erhebung des Ist-Zustandes, so kommt er nicht um eine genauerer Befassung mit der Historie umhin. Oftmals ist das vorhandene Gebilde eine Summe aus mehreren Bauetappen bzw. wurden schon Sanierungen und Verstärkungen durchgeführt. Das Wissen um typische Ausführungsformen mit Konnex zur Bauzeit ist dafür sehr hilfreich. Schließlich stellt sich dann noch die Frage nach der möglichst realitätsnahen Erfassung der Tragwirkung. Davon ist schließlich die zentrale Frage der Tragfähigkeit / der Resttragfähigkeit und damit der Zuverlässigkeit eines Tragsystems abhängig. Dabei zeigt sich, dass historische Dachwerke zu den Strukturen zählen, deren Tragverhalten am schwierigsten zu modellieren ist bzw. deren Schnittgrößen und Spannungen nur mit einer verbleibenden Unschärfe zu erfassen sind. Der Begriff der historischen Dachwerke soll hier auf zimmermannsmäßig errichtete, hölzerne Tragwerke, welche vor 1900 gebaut wurden, eingeschränkt werden. Im Folgenden sollen vor allem die Aspekte der geschichtlichen Entwicklung und der damit eng verbundenen Typologie im mitteleuropäischen Raum behandelt werden. Danach wird auf die Tragwirkung und eine möglichst realitätsnahe Modellierung derartiger Konstruktionen eingegangen bzw. sollen die Probleme, die dabei auftauchen können, aufgezeigt werden. 2 Typologie Das erste Problem stellt vielfach die korrekte Bezeichnung der Konstruktion dar. Hier hilft die grundsätzliche Unterscheidung in Sparrendächer und Pfettendächer. Der Unterschied liegt in der Funktion der Sparren hinsichtlich der Lastableitung und in der unterschiedlichen Ausführung des Anschlussknotens Sparren – Dachstuhl (siehe Abb. 2.1). re ar Sp n re ar Sp n Pfette Kehlbalken Rähm Stuhlsäule Stuhlsäule Abb. 2.1: Vergleich Detail Kehlbalkendach links, Pfettendach rechts [5]. In der folgenden Abbildung (Abb. 2.2) sollen anhand einfacher Vertreter die Unterschiede in der Lastableitung dargestellt werden. E-3 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 2 Typologie Symbol Sparrendach FIR ST ev. Kehlbalken Symbol Pfette oder Stuhlwand Symbol Stuhl Sparren Stu wahlnd FIR ST Biegung Firstpfette Sparren Druck e4 Gespärr e3 Gespärr ä Vollgesp e2 Gespärr e1 e G spärr Abb. 2.2: 2.1 Zug Bundtram Mauerbank rre 2 ärre 1.2 Leergesp ärre 1.1 Leergesp ärre 1 Vollgesp Stuhlsäule Fußpfette Lastabtragung beim klassischen Sparrendach links und am Beispiel eines einfach stehenden Pfettendachstuhls rechts [5]. Sparrendach (Gespärredach) Beim Sparrendach handelt es sich um mehrfach hintereinander angeordnete Dreigelenkrahmen ohne bzw. mit weiteren Unterstützungen (z. B. Kehlbalken) der Sparren. Die Sparren nehmen Biegemomente, Normalkräfte und Querkräfte auf. Der Horizontalschub aus den Sparren wird durch den als Zugband wirkenden Bundtram aufgenommen. Der Grundtyp weist keinen eigentlichen Stuhl auf, weswegen hier der allgemeine Begriff des Dachtragwerkes oder einfacher des Dachwerkes angebracht erscheint. Konstruktiv sind die Sparren wesentlicher Bestandteil des Tragwerks. 2.2 Pfettendach (Rofen-/Rafendach) Die Sparren (historisch auch Rofen bzw. Rafen) des Pfettendachs sind geneigte Biegeträger, welche ein- oder mehrere Felder, mit oder ohne Auskragung überspannen und auf Pfetten aufgelagert sind. Die Sparren nehmen von Normalkräften aus der Schräglage abgesehen, nur Biegemomente und Querkräfte auf. Die Pfetten wiederum lagern entweder direkt auf Wänden oder auf Stühlen auf. Die Pfetten tragen die Lasten im Wesentlichen über Biegung in Firstrichtung ab. Konstruktiv sind die Sparren Bestandteil der Dachhaut. Sowohl das Sparren- als auch das Pfettendach weisen eine Vielzahl von Untergruppen auf, wobei hier mit den Jahrhunderten Veränderungen eintraten und grundsätzlich die Komplexität der Tragwerke zunahm (siehe auch Kapitel 3). Neben den beiden Grundtypen kann man in der Neuzeit auch noch einige Sonderformen erkennen. Als Beispiel seien hier die Bogenbinder nach de L´Orme oder nach Emy sowie das Zollingerdach erwähnt. Abb. 2.3 zeigt eine Übersicht der wesentlichen Typen von Dachtragwerken in Mitteleuropa. Selbstverständlich bleibt jeder Versuch der Erfassung der Vielfalt unvollständig. Die Tafel kann aber für übliche Fälle wertvolle Hilfe zur Bezeichnung eines Tragwerkes bieten. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung E-4 Kapitel E: Historische Dachwerke – Entwicklungsgeschichte, Typologie und Tragwirkung Sparrendächer (SD) (einfache) Sparrendächer Sparrendächer mit Zusatzstäben Kehlbalkendächer (KD) (einfache) Kehlbalkendächer KD mit Zusatzstäben KD mit Hängesäulen* KD mit Kreuzstreben** KD mit stehenden Stühlen KD mit abgestrebten Stühlen KD mit liegenden Stühlen KD mit Kombinationen (z. B. KD mit liegendem Stuhl u. Hängesäule) Pfettendächer (PD) Palladianische Pfettendächer PD mit stehenden Stühlen PD ohne Abstrebungen PD mit Abstrebungen *** PD mit Hängewerken PD mit liegenden Stühlen PD mit Bockpfettenstühlen Sonderformen Querschnitt: stehende Bohlen De LOrmescher Bogenbinder Querschnitt: liegende Bohlen Seitenansicht Zollingerdach Bezeichnungen Abb. 2.3: Symbolskizzen (links: Tragwirkung, rechts: Vollgespärre) S Bogenbinder nach Emy Schnitt S Beispiele (vgl.[4], [20], [26], [50]) Klassifizierung hölzerner, historischer Dachwerke [5]. An der globalen Lastabtragung historischer Dachwerke sind häufig firstparallele Tragglieder als auch normal zum First verlaufende Tragglieder beteiligt. Es entsteht damit ein Hybridtragwerk, welches sich aus den genannten Systemen zusammensetzt. Die Lastableitung erfolgt dann sowohl direkt über die Sparren, als auch über die Längselemente, welche je nach System als Rähm (Sparrendächer) oder als Pfetten (Pfettendächer) bezeichnet werden. (Siehe Kapitel 4). E-5 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Entwicklungsgeschichte 3 Entwicklungsgeschichte Den Ursprung aller Dachformen bilden einfache Hütten zum Schutz vor Witterung in der Steinzeit. Hier können bereits zwei verschiedene Konstruktionsformen unterschieden werden. Das Grubenhaus und das Zelthaus (vgl. [1]) . Abb. 3.1: Steinzeitliche Ursprünge der Dächer: links Grubenhaus (Pfettendach), rechts Zeltdach (Sparrendach) [5]. Für den mitteleuropäischen Raum können zwei Einflüsse festgemacht werden. Zum einen bildet das palladianische Pfettendach die Grundlage für die weitere Entwicklung. Zum anderen ist das Sparrenbzw. Kehlbalkendach bestimmend für die Dachwerksformen in diesem Kulturraum. War die Dachneigung beim romanischen Dach gering, so weisen die Dächer germanischen Ursprungs Neigungen deutlich über 45 °, zum Teil über 60 ° auf. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass im Süden das palladianische Pfettendach über Jahrhunderte praktisch unverändert angewandt wurde. An den Bundträmen war häufig die Deckenkonstruktion befestigt. Das führte bei großen Stützweiten zwangsweise zu beachtlichen Dimensionen. Bei dem Dachtragwerk der Kathedrale von Messina wurden Bundträme mit 48 x 80 cm eingesetzt (siehe Abb. 3.2). Abb. 3.2: Kathedrale von Messina, Stützweite 14 m, Binderabstand 2,5 m [3]. Betrachtet man die Entwicklung in Mittel- und Nordeuropa, erkennt man ganz anders als im Süden eine Vielfalt von Systemen und Detailausformungen. Dabei stand ganz wesentlich das Ziel im Mittelpunkt, mit kleineren Dimensionen und mehr Stäben immer wieder auf das Dreieck zurück zu führende Konstruktionen zu schaffen. Die Ursache für diese Vielfalt ist vermutlich in der Heterogenität der Herrschaftsbereiche aber auch in den unterschiedlichen klimatischen Anforderungen zu suchen (Dachdeckungen, Schneelasten- und Windlasten). 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung E-6 Kapitel E: Historische Dachwerke – Entwicklungsgeschichte, Typologie und Tragwirkung 1132 Sparrendächer und SD mit Zusatzstäben 1173 Kehlbalkendächer und KD mit Zusatzstäben 1180 1330 KD mit Hängesäulen 13. Jh. 1305 KD mit Kreuzstreben 1284 1473 KD mit stehenden Stühlen mit/ohne Abstrebung 1400 1473 KD mit liegenden Stühlen Palladianische Pfettendächer* Pfettendächer mit stehenden Stühlen mit/ohne Abstrebung 1687 1485 PD mit Hängewerken 14. Jh. PD mit liegenden Stühlen PD mit Bockpfettenstühlen De LOmersche Bogenbinder Bogenbinder nach Emy ... ... kaum verlässliche Quellen Abb. 3.3: E-7 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 2000 1900 1800 1700 1600 1500 1400 1300 1200 1000 1100 Zollingerdach 19. 20. Zeit [Jh.] Romanik Gotik Renaissance Barock Klassizismus Historismus, Gründerzeit Moderne Zeittafel der Entwicklung historischer Dachtragwerke mit Beispielen [5]. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Entwicklungsgeschichte Nach eingehender Literaturrecherche wurde in der Zeittafel in Abb. 3.3 der Versuch unternommen, die wichtigsten Stuhlformen einer entsprechenden Epoche bzw. einem Zeitbereich zuzuordnen. Da sich im Regelfall keine exakte Abgrenzung definieren lässt, sind die Balken an den Enden auslaufend dargestellt. Vereinfacht zusammengefasst, lassen sich folgende Aussagen über die wichtigsten Entwicklungsstufen treffen: Die wenigen, in unseren Breiten noch erhaltenen, Dachwerke aus der Romanik zeigen Ähnlichkeiten mit dem palladianischen Pfettendach. Es erfolgte aber bereits der Übergang zum steilen Sparren- und Kehlbalkendach. Hier gibt es erste Vertreter schon am Beginn des 12. Jahrhunderts. In der Zeit der Gotik folgte die Entwicklung zu immer komplizierteren und ausgereifteren Formen der Kehlbalkendächer mit eingebauten Stühlen. Diese Stühle waren allesamt zuerst stehend ausgebildet, wobei schon früh zusätzliche Hängesäulen und Verstrebungen eingebaut wurden (Kreuzstreben, Orchideenbund). Den Höhepunkt erreichte diese Entwicklung in den großen Kirchendachstühlen des 15. und 16. Jhdts. Mit einer Basisbreite von 32 m und einer Gesamthöhe von 36 m war der, der im 2. Weltkrieg zerstörte, Dachstuhl auf dem Wiener Stephansdom der größte Vertreter im deutschsprachigen Raum (Abb. 3.5). Der artgleich ausgeführte Dachstuhl über dem Münster von Mürzzuschlag in der Steiermark ist nur unwesentlich kleiner und noch in ausgezeichnetem Zustand zu besichtigen. Bereits in der Renaissance begann dann die Entwicklung eines weiterentwickelten Kehlbalkendachwerkes mit liegendem Stuhl. Diese Form kann als der Typus des Barock schlechthin bezeichnet werden. Viele Stifte und Klöster erlebten in der Zeit des Barock einen wirtschaftlichen Höhepunkt und wurden massiv umgebaut oder in einigen Fällen praktisch neu gebaut. Dabei wurden sämtliche Dachwerke mit liegendem Stuhl ausgeführt. Als Beispiel sei das Stift Göttweig in Niederösterreich angeführt, das mit 2 Hektar Dachfläche ausschließlich diesen Stuhltyp aufweist. Das Kehlbalkendach mit liegendem Stuhl stellt aber gleichzeitig den letzten großen Vertreter seiner Gattung dar. Ab dem 19. Jhdt bis heute werden Sparren- und Kehlbalkendächer nur mehr für einfache und kleinere Grundrisse eingesetzt. Ganz anders verhält es sich mit den Pfettendachstühlen. Mit Ausnahme des heutigen Frankreich gibt es im Mittelalter nur einzelne Vertreter dieses Stuhltyps. Erst ab dem 19. Jhdt. wurde dieser, gänzlich anders wirkende, Stuhl zur vorwiegend eingesetzten Konstruktion. Von wesentlicher Bedeutung dafür war wohl der Umstand, dass sich damit komplizierte und vom Rechteck abweichende Grundrisse einfach beherrschen ließen. Auch ist überliefert, dass der davor vorherrschende liegende Stuhl einen höheren Holzverbrauch aufwies und das Aufrichten genau so wie der spätere Austausch von Teilen kompliziert war. Schließlich stellt der Pfettendachstuhl bis heute die vorherrschende Stuhlform dar (neben ingenieurmäßig gefertigten Tragwerken). Stuhlwand (liegend) Stuhlwände nachträglich e1 Eben e2 Eben Abb. 3.4: Stuhlwand (stehend) Schematische Darstellung der Entwicklung von Kehlbalkendächern im Hinblick auf deren Montagetechnologie [5]. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung E-8 Kapitel E: Historische Dachwerke – Entwicklungsgeschichte, Typologie und Tragwirkung Interessant ist auch die Entwicklungsgeschichte vom einfachen Sparrendach zum Kehlbalkendach mit liegendem Stuhl. Eine zentrale Rolle spielen hier die Stuhlwände. Diese werden als solches bezeichnet, da sie in ihrer Gesamtheit (Schwelle, Stuhlsäulen, Rähm und Streben) wie eine Wandscheibe wirken. An zahlreichen Beispielen kann gezeigt werden, dass diese Wände zuerst als Aufstellhilfe dienten. Die Ursache dafür waren immer größere Spannweiten, bei denen eine Stabilisierung im Montagezustand erforderliche wurde. Darüber hinaus dienten sie zur Längsaussteifung des Tragwerkes. Daraus entwickelte sich dann ein integraler Bestandteil des Dachstuhls. Schließlich wurden die stehenden Elemente beim liegenden Stuhl in die Dachneigung gelegt (siehe Abb. 3.4). Waren am Anfang noch die einzelnen Gespärre mit den Kehlbalken in einem Stück aufgedreht worden, so konnte man jetzt zuerst den Stuhl etagenweise aufschlagen (platform framing), bevor dann am Ende die Sparren hochgezogen und auf die Kehlbalkenköpfe aufgesetzt wurden. Bei großen Kirchen wurden auf diese Art bis zu 4 übereinander liegende Kehlbalkenebenen geschaffen, der Hahnenbalken nicht mitgezählt. Nach Auskunft von erfahrenen Zimmermännern dienten diese Ebenen im Bauzustand als Arbeitsbühne zum exakten Abbinden der weiteren Stuhlteile, quasi in-situ. 1 2 3 4 5 6 usw. Abb. 3.5: Dachstuhl des Stephansdomes in Wien mit den Bauphasen, fertiggestellt 1430 [5]. Exkurs Altersbestimmung Für das Verstehen eines alten Dachstuhls ist es unerlässlich, seine Genese zu kennen. So kann es vorkommen, dass im Zuge eines späteren Umbaues ältere Stuhlteile wieder verwendet und auf jüngere aufgesetzt wurden (Beispiel Chorherrenstift Dürnstein in der Wachau). Eine erste Hilfe bieten immer entsprechende Daten zur Geschichte eines Bauwerkes. Hierbei können Chroniken oder bauhistorische Bücher helfen (z.B. DEHIO in Österreich für denkmalgeschützte Objekte). Weiters lassen sich durch genaueres Befassen mit der Struktur auch entsprechende Erkenntnisse über die Abfolge der Errichtung gewinnen. Für eine gesicherte Datierung bietet sich heute die Dendrochronologie an, die immer öfter zur Datierung historischer Dachstühle eingesetzt wird. E-9 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 4 Tragwirkung Abb. 3.6: Dendrochronologischen Datierung des Dachstuhls am Beispiel des Augustiner Chorherrnstiftes Dürnstein in der Wachau (blau = Tanne, grün = Fichte, braun = Eiche, Sterne bedeuten Waldkante vorhanden) [4]. Die entsprechenden Datenreihen werden laufend erweitert und verdichtet. Damit wird die Wahrscheinlichkeit zur sicheren Datierung laufend erhöht. Im Regelfall reichen die Reihen heute schon bis in die Romanik, womit in unseren Breiten die ältesten noch vorhandenen Dachstühle im wesentlichen erfasst werden können. Eine Ausnahme bildet das Gebiet Dachstein Hallstatt, wo die Reihe bis zum Jahr 1524 vor Christus zurückreicht. Dafür sind die gute Konservierung in Hochgebirgsseen und in Salzbergwerken verantwortlich. Abb. 3.7: 4 An der BOKU Wien erstellte Datenreihen für verschiedene Holzarten [2]. Tragwirkung In meiner Praxis als Tragwerksplaner ist mir noch kaum eine Konstruktion untergekommen, deren statische Modellbildung so kompliziert ist wie die eines historischen Dachstuhls. Trotz der heute zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (3D-Stabwerksprogramme mit nichtlinearen Federn, Reibungsauflagern etc.) bleibt die realitätsnahe Modellierung schwierig. Nun kommen wir aber nicht umhin, mit einem ausreichenden Maß an Sicherheit die Zuverlässigkeit einer bestehenden Konstruktion nach zu weisen. Dies nicht nur aus dem Anlass einer Veränderung (Umnutzung, Ausbau), sondern vor allem auch bei offensichtlichen Mängeln an der Konstruktion. Keinesfalls dürfen bei derartigen Konstruktionen, die oft viele Jahrhunderte ihre Funktion erfüllt haben, ausschließlich die derzeit gültigen Methoden der normgemäßen (Eurocode) Nachweisführung angewandt werden. Das Ergebnis kann dann nämlich sein, dass die bestehende Konstruktion nicht mehr 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung E - 10 Kapitel E: Historische Dachwerke – Entwicklungsgeschichte, Typologie und Tragwirkung bestehen dürfte. Überschreitungen um den Faktor 2 oder gar 3 sind keine Seltenheit. Man kann – um einen Begriff aus der Praxis zu verwenden – derartige Tragwerke "zu Tode rechnen". Nun kann man aber gerade bei den historischen Dachstühlen von 1:1-Versuchen mit langer Versuchsdauer sprechen. Und es ist anzunehmen bzw. aus klimatologischen Aufzeichnungen sogar beweisbar, dass die normgemäßen Extremereignisse (Schnee, Wind, Erdbeben) in dieser Zeit aufgetreten sind oder gar überschritten wurden. Wir haben also eine Konstruktion vor uns, von der wir wissen, dass sie funktioniert, wir aber nur bedingt die rechnerischen Beweise führen können. Und so kehrt sich die Aufgabe des Statikers eigentlich um. Im Normalfall wird vom Statiker eine abgesicherte Prognose für ein Bauwerk verlangt, das es noch gar nicht gibt. Eine interessante Aufgabe also. Wie immer in der Baustatik besteht die Herausforderung darin, mit möglichst einfachen, nachvollziehbaren (robusten) Modellen die Wirklichkeit abzubilden. Bei historischen Tragwerken bietet sich dafür eine schrittweise Annäherung an das Tragwerk an. Grundlage bildet eine möglichst genaue Aufnahme der Struktur. Dabei stellt sich schon die erste Frage, ob die ideale (ursprüngliche) Geometrie erfasst werden soll, oder die tatsächlich vorhandene, bereits deformierte. Empfehlenswert ist zuerst die Aufnahme der Hauptgespärre und der Längstragwerke in einer idealen Lage. Erst für eine vertiefte Analyse sollen dann markante Deformationen miteinbezogen werden. Mit den geometrischen Daten kann dann ein Stabwerk generiert werden. Folgende Möglichkeiten der Modellbildung bieten sich an: • Ebene Modellierung der Gespärre (2D) Sie stellt die einfachste Form dar, kann aber nur bei vollkommen geregelten Grundrissen (Satteldach, Pultdach) sinnvoll angewendet werden. Für eine Erstabschätzung leistet diese Methode aber nach wie vor wertvolle Dienste. Auch ist damit eine Plausibilitätskontrolle von 3D-Modellen möglich. • Räumliche Modellierung der gesamten Konstruktion (3D) Diese Methode ist grundsätzlich anzuwenden. Entsprechende Stabwerksprogramme sind heute verfügbar und mit vertretbarem Aufwand anzuwenden – immer eine gute Aufbereitung der Geometrie vorausgesetzt. In vielen Fällen kann eine ebene Modellierung mit virtuellen Querschnitten hilfreich sein. Dabei werden alle Querschnittsbreiten (mehrere Sparren und Bundträme) innerhalb eines Hauptgespärreabstandes zu einem virtuellen Querschnitt "zusammengeschoben". Die Lasteinflußbreite auf das resultierende, ebene System ist der Gespärreabstand. Indirekt werden dabei starre Stuhlwände vorausgesetzt. Diese Methode kann nur bei geregelten Abschnitten eines Dachstuhls eingesetzt werden. Sie stellt eine schnelle Näherung dar und kann auch zur Kontrolle komplexer Modelle dienen. Stabachsen Betrachtet man nun die einzelnen Balken und Stäbe eines Dachstuhls, so stellt sich die Frage nach der Idealisierung. In Abb. 4.2 wird gezeigt, dass eine genaue Verfolgung der Stabachse in vielen Fällen kompliziert sein kann und wohl nicht zu einem sinnvollen Modell führt. E - 11 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 4 Tragwirkung Abb. 4.1: Stuhlsäule im Dom zu Regensburg mit exakter Stabachse (rot) [6]. Hier ist bei der Modellierung in aller Regel eine gerade Stabachse vernünftig. Bei großen Durchbiegungen kann in einem zweiten Durchgang die Vorkrümmung eingegeben werden. Materialkenngrößen Zahlreiche prüfungsbasierte Untersuchungen belegen, dass kein signifikanter Festigkeitsverlust infolge der Alterung zu erwarten ist. In einer Arbeit von Joachim Nier [8] wurden Hölzer, vorallem Kiefern, mit einem Alter von bis zu 550 Jahren untersucht. Dabei zeigte sich, dass die Festigkeitswerte unwesentlich von denen neuer Proben abwichen. Für eine erste Berechnung kann bei Weichholz C24 angenommen werden. Mit vertiefter Untersuchung (visuelle Kriterien, Probenentnahme) können mitunter deutlich höhere Werte bewiesen werden. Zimmermannsmäßige Verbindungen Die Fülle an verschiedenartigen Verbindungen ist beinahe unendlich und stark von lokalen Gebräuchen abhängig. Die weitaus überwiegende Zahl lässt sich aber zu einer der 5 Hauptgruppen zuordnen: - Blatt und Kamm Zapfen Versatz Klaue Hals 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung E - 12 Kapitel E: Historische Dachwerke – Entwicklungsgeschichte, Typologie und Tragwirkung Die genaue Darstellung würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen und soll hier nicht näher verfolgt werden. Vielmehr interessieren die statischen Eigenschaften, also Nachgiebigkeiten, aufnehmbare Kräfte, im Idealfall Arbeitslinien. Bei einer Nachweisführung gemäß EUROCODE 5 sind die Steifigkeiten der Bauteile und Anschlüsse bei der Modellbildung zu berücksichtigen. Im Gegensatz zu ingenieurmäßigen Verbindungsmitteln fehlen bis dato allerdings für historische Verbindungen vielfach taugliche Ansätze. Es gibt zwar für einige Anschlüsse theoretische Federansätze, vielfach sind aber auch diese (noch) nicht vorhanden. Und selbst wenn, so weisen die tatsächlich in den Tragwerken vorhandenen Verbindungsteile große Unterschiede und auch oft Ungenauigkeiten auf. Ihre Arbeitslinien weichen daher mitunter deutlich von denen einer mit heutigen Mitteln exakt gefertigten Verbindung ab. Man kann also bestenfalls Größenordnungen für die Federn angeben, eventuell einen oberen und einen unteren Grenzwert. Die Arbeit mit solchen Schranken kann bei der Kalibrierung des Modells wertvoll sein. Unabhängig von einer genaueren Betrachtung der Anschlüsse sollte ein Modell mit ausfallenden Zugstäben für Verbindungen aufgestellt werden, deren Zugsicherung nur mit Holznägeln oder lediglich Klammern erfolgt. Jedenfalls zeigt die praktische Arbeit, dass erst mit einer sinnvollen Einbeziehung von Federn an Verbindungen mit Querholzpressungsanteil sinnvolle und realitätsnahe Ergebnisse erzielt werden. Als Beispiel soll hier nur ein Bundtram mit Doppelkopfbändern dargestellt werden. – – + Abb. 4.2: – Bundtramauflager eines zweifach hängenden Pfettendachstuhls mit Doppelkopfbändern, Normalkraftlinien ohne (links) und mit Federn (rechts). Für die Ermittlung von Federsteifigkeiten sei exemplarisch nur ein Detail für einen Querdruckanschluss dargestellt. Kontaktfläche Am (Mittelfläche) Lastausbreitung α h1 E 90, mean ⋅ A m K mean = -----------------------------h1 ⁄ 2 Stabachse Träger Abb. 4.3: Ingenieurmäßiges Lastausbreitungsmodell (vgl. [6]). Neben der Frage der Nachgiebigkeiten stellt sich auch noch die Frage der Berücksichtigung von Exzentrizitäten. Diese sind nach EUROCODE 5 ebenso zu berücksichtigen. Tatsache ist, dass beinahe alle zimmermannsmäßigen Verbindungen mehr oder weniger große Exzentrizitäten aufweisen. Die Lasteinleitung erfolgt dabei mitunter über mehrere Flächen, wobei es sich immer um Druck unter E - 13 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 4 Tragwirkung einem Winkel zur Faser handelt. Gesichert werden die Verbindungen häufig durch Hölznägel. Za pfe n n hls äu le Stu Sp ar re fb an d Za pf en Ko p Stuhlsäule Fuge klafft z. T. Kontaktflächen Kontaktflächen Mauerbank Abb. 4.4: Bundtram Anordnung der Exzenter bei zwei Kontaktflächen (vgl. [6]). Macht die Erfassung der Exzenter im Detail schon einige Schwierigkeiten (unterschiedliche Modelle für Zug- und Druck), so ergibt sich bei konsequenter Berücksichtigung im Stabwerksmodell dadurch auch ein hochkompliziertes Konstrukt. Dabei schafft abgesehen vom beinahe explodierenden Aufwand bei der Eingabe vorallem die Unübersichtlichkeit des so entstandenen Stabwerkes für den kritischen Konstrukteur eher Probleme. Ich empfehle daher, nur die großen Exzentrizitäten und da im Regelfall nur bei den Stabnachweisen anzuwenden. Für lokale Untersuchungen kann auch das Stabmodell mit den Exzentern verfeinert werden. In einer am Institut für Holzbau und Holztechnologie der TU Graz eingereichten Diplomarbeit (vgl. [7]) wurde exemplarisch ein Bereich des Dachstuhls am Zisterzienserstift Zwettl in NÖ genau aufgenommen und dann in verschiedenen Schwierigkeitsgraden modelliert, unter anderem auch mit Berücksichtigung von Exzentrizitäten und Nachgiebigkeiten der Verbindungsmittel. Obwohl es sich bei dem untersuchten Abschnitt um einen absolut geregelten Bereich handelte, war der Aufwand für die Berechnung enorm und ist für den Gebrauch in der Praxis nur bedingt empfehlenswert. Abb. 4.5: Stift Zwettl (NÖ) 3D-Modellierung eines liegenden Stuhls, daneben ein Knoten mit Exzentrizitäten [7]. Die Abb. 4.6 zeigt exemplarisch die Ergebnisse für die Normalkräfte im Sparren beim Hauptgespärre, dem so genannten Bindersparren. Je nach Modellbildung ergeben sich im unteren Bereich deutlich verschiedene Werte. Das ist mit der Interaktion des Stuhls mit dem Sparrendreieck erklärbar. Dabei spielen die Nachgiebigkeiten eine große Rolle. Jedenfalls ist an diesem Beispiel die Tatsache abzulesen, dass es sich bei fast allen historischen Tragwerken um Hybridtragwerke handelt. Die Lastabtragung erfolgt über verschiedene Lastpfade. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung E - 14 Ergebnisse und deren Interpretation Vergleiche der Modelle M0 - M4 3 M 8,0 6,0 Generieren des statischen Modells Bereich XI - Aufnahme und Modellbildung 5,0 3 4,0 3,0 M 0 M 1 M 2 4 7,0 M 4 [m X ] 9,0 10 ,0 Kapitel E: Historische Dachwerke – Entwicklungsgeschichte, Typologie und Tragwirkung 1,0 2,0 2 StatischLinear: Modellierung ohne Exzenter und ohne Federn (= M0) [kN ] N Ͳ2, 0 Ͳ6, 0 StatischNichtlinear: Ͳ10 ,0 Ͳ18 ,0 Ͳ14 ,0 0,0 Abb. 4.6: 1 Modellierung ohne Exzenter und ohne Federn (= M1) Modellierung mit Exzenter ohne Federn (= M2) Modellierung ohne Exzenter und mit Federn (= M3) Modellierung mit Exzenter und mit Federn (= M4) Stift Zwettl, Normalkräfte im Bindersparren bei einem liegenden Stuhl nach 5 verschiedenen Modellen [7]. Kalibrierung der Modelle und Überprüfung von Rechenergebnissen Im Folgenden einige Empfehlungen für die Überprüfung der Ergebnisse einer Berechnung. • • • Übereinstimmung der Deformationen aus der Berechnung mit den tatsächlich vorliegenden Verformungen (kinematische Kontrolle) Qualitativ nachvollziehbare Schnittkräfte und Verformungen (Plausibilität) keine unrealistisch hohen Ausnutzungsgrade (deutlich über 3) von Stäben und/oder Verbindungen, welche im Bestand nicht ablesbar sind. In besonderen Fällen kann auch die Verifizierung mit Hilfe von in-situ-Messungen erfolgen. Dabei können in erster Linie Druckkräfte in einzelnen Stabanschlüssen gemessen werden. Zur Simulierung von über das Eigengewicht hinausgehenden Lastfällen können Probebelastungen aufgebracht werden. Die Kräfte können mit hydraulischen Pressen oder mit Zugwinden erzeugt werden. Die Messung erfolgt mit einfachen Druck- oder Zugmessdosen. Die folgenden Abbildungen zeigen entsprechende Versuchsanordnungen. E - 15 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 4 Tragwirkung Abb. 4.7: in-situ-Kraftmessungen an einem liegenden Stuhl im Stift Zwettl (NÖ). Diese in-situ-Messungen liefern die besten und sichersten Werte für eine Verifizierung bzw. Kalibrierung der Modellrechnungen. Aufgrund des Aufwandes für die Durchführung bleibt diese Methode wohl besonders wertvollen Tragwerken vorbehalten. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung E - 16 Kapitel E: Historische Dachwerke – Entwicklungsgeschichte, Typologie und Tragwirkung 5 Zusammenfassung Der Nachweis der Tragfähigkeit alter Dachtragwerke muss als eigene Disziplin innerhalb der Tätigkeiten eines Baustatikers angesehen werden. Die Tragwerkserfasssung und anschließende Modellbildung muss als mehrstufiger Prozess begriffen werden. Dabei ist ein schrittweises Herantasten an die Realität erforderlich. Der oftmalige Besuch vor Ort ist dabei unumgänglich und gehört quasi zum Berechnungsvorgang. Nach einer genauen Erhebung der Historie und der Zuordnung zu einem Typus wird folgender Arbeitskanon vorgeschlagen: • • • • • • Aufnahme der Geometrie mit Erfassung der wesentlichen Schwachstellen Erste Modellierung ohne Exzentrizitäten, ohne Federn, eventuell bereits mit ausfallenden Zugstäben. Für Regelbereiche auch 2-dimensional möglich Erkennen der problematischen Bereiche und danach vertiefte Aufnahmen (Deformationen, Verbindungen etc). Erste Abstimmung der Berechnungsergebnisse am Tragwerk können bei dieser Gelegenheit erfolgen. Einarbeitung der zusätzlichen Informationen in ein 3D-Modell. Anordnung von Federn in den Anschlussbereichen, eventuell Variation dieser Werte (Variieren der Federsteifigkeiten). Querschnittsnachweise und Nachweis an den wesentlichen Verbindungen. Darstellung allfälliger Problemzonen (Ausnutzungen deutlich größer 100%). Falls sinnvoll / wirtschaftlich vertretbar noch genauere Untersuchung lokaler Bereiche (Holzgüte, Anschlussgeometrie, Risse etc.). Eventuell auch in-situ-Messungen zur Kontrolle Mit derart abgesicherten und entsprechend dargestellten Ergebnissen kann dann die weitere Vorgangsweise abgeleitet werden. Schließlich steht am Ende des Prozesses ein Sanierungsprojekt, allenfalls mit Verstärkungsmaßnahmen, welches dem verantwortlichen Eigentümer übergeben werden kann. E - 17 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 6 Literatur 6 [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] Literatur CANESASCA Ettore: Die Geschichte des Hauses. Leipzig: E.A. Seemann Verlag (Reprint Verlag Leipzig), 1986. – ISBN: 3363001037 Vorlesungsskriptum zur Dendrochronologie 2010, BOKU Wien, Dr. Michael Grabner OSTENDORF, F.,: 'Die Geschichte des Dachwerks', B.G. Teubner, Leipzig 1908, 1982 – Reprint Verlag Leipzig. – ISBN-3-88746-022-7 Dendrochronologische Altersbestimmung der Hölzer am Augustiner Chorherrenstift Dürnstein, Universität für Bodenkultur, Institut für Holzforschung MEISEL, A. et altera: Historische Dachtragwerke aus Holz – Klassifizierung und Entwicklung aus statischer Sicht, TEIL 1, Fachartikel, unveröffentlicht 2011. Erzherzog-Johann-Universität Graz, Fakultät für Bauingenieurwesen, Institut für Holzbau und Holztechnologie MEISEL, A. et altera: Historische, mittelalterliche Dachtragwerke aus Holz – Statische Analyse und Tragwirkung, TEIL 2, Fachartikel, unveröffentlicht 2011. Erzherzog-Johann-Universität Graz, Fakultät für Bauingenieurwesen, Institut für Holzbau und Holztechnologie BUCHHÄUSL B.: Bestandserfassung, Modellbildung und Tragverhalten historischer Dachstühle am Beispiel des Stiftes Zwettl. Graz, Erzherzog-Johann-Universität Graz, Fakultät für Bauingenieurwesen, Diplomarbeit., 2010.-Institut für Holzbau und Holztechnologie NIER J.: Experimentelle Festigkeitsuntersuchungen an alten Bauhölzern. TH Leipzig, Dissertation 1994 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung E - 18 F Erste, semi-visuelle Zuverlässigkeitsbeurteilung historischer Dachtragwerke aus Holz A. Meisel DDI Andreas Meisel F-1 2009 Diplome | Bauingenieurwesen – Konstruktiver Ingenieurbau und Wirtschaftsingenieurwesen - Bauingenieurwissenschaften Institut für Holzbau und Holztechnologie | TU Graz seit 2009 Wissenschaftlicher Projektmitarbeiter am Institut für Holzbau an der TU Graz 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 1 Motivation, Zielsetzung und Begriffe Zusammenfassung Dieser Beitrag behandelt die semi-visuelle Schadenserfassung, Schadensanalyse und die daraus abgeleitete, erste Zuverlässigkeitsbeurteilung eines historischen Dachtragwerks aus Holz. Hierzu wird erstmals ein einfach nachvollzieh- und dokumentierbares Beurteilungsschema inklusive Beispielen dargestellt. 1 Motivation, Zielsetzung und Begriffe Zahlreiche historische Dachtragwerke werden derzeit nicht regelmäßig von fachkundigen Personen inspiziert und gewartet (vgl. [4], [16]). Dies wird von etlichen Liegenschaftseigentümern mit der großen Bestandsdauer („Das trägt schon xxx Jahre, warum soll es nicht noch einmal so lange funktionieren?“) begründet. Solange ein Tragwerk zum Zeitpunkt seiner Errichtung dem geltenden Baurecht entsprach gilt Bestandsschutz. Allerdings entbindet dieser die Liegenschaftseigentümer nicht von ihrer Obliegenheit, die Bauwerke instand zu halten, da sie für sämtliche, von ihren baulichen Anlagen ausgehenden, Gefahren verantwortlich sind. In der Praxis bedarf es daher häufig eines konkreten Anlasses – beispielsweise augenfällige Schäden oder Nutzungsänderungsabsichten – damit ein erster Befund/Analyse und eine erste Beurteilung beauftragt wird (siehe Abb. 1.1). Selbst bei Ingenieurholzbauten ist die Entscheidung, ob und wann Instandsetzungsmaßnahmen oder gar Anpassungen an das heutige Baurecht erforderlich sind (weil der Bestandsschutz gefallen ist), nur schwierig zu treffen. Historische Dachtragwerke (darunter werden hier vor 1900 zimmermannsmäßig errichtete Dachtragwerke verstanden) wurden weitgehend nach der Erfahrung, dem Traditionsbewußtsein, dem intuitiven statischen Verständnis und dem Mut der Ausführenden, allerdings ohne baustatische Berechnung, erstellt. Das Wissen über das tatsächliche mechanische Verhalten dieser Tragwerke ist daher vergleichsweise gering. Ziel dieses Beitrages ist es, die erste Einschätzung der Zuverlässigkeit eines historischen Dachtragwerks zu erleichtern. Die hierzu verwendete Systematik ist an die Beurteilung der Zuverlässigkeit im Rahmen von Brückenprüfungen (vgl. [28] Merkblatt, in Deutschland: vgl. [21], [26]) angelehnt. Viele einzelne, für die Tragwerkszuverlässigkeit wichtige, Aspekte, werden zu einer Gesamtpunktezahl aufaddiert. Die Punktezahl entspricht der Zuverlässigkeitsnote und diese gibt die weitere Vorgehensweise vor. Darüber hinaus wird dem ausführenden Ingenieur mit diesem Schema ein Werkzeug in die Hand gegeben, mit dem er nachvollziehbar dokumentieren kann, dass er seine Beurteilung unter Wahrung der gebotenen Sorgfaltspflichten vorgenommen hat. Im Folgenden werden zwei wesentliche Begriffe definiert: Bestandsschutz (in Österreich: rechtmäßiger Bestand, vgl. z. B. [13]): Eine bauliche Anlage, welche zum Entstehungszeitpunkt dem geltenden Baurecht entsprach, bedarf keiner Anpassung an das heutige Recht. Der Bestandsschutz geht erst verloren, wenn wesentliche Eingriffe am Bestand geplant und die Änderungen nach der Bauordnung genehmigungspflichtig sind oder eine Nutzungsänderung vorliegt (vgl. [3] S. 213, [9], [18]). Zuverlässigkeit ist die Eigenschaft eines Tragwerks, die Tragsicherheit bzw. Standsicherheit während der weiteren geplanten Nutzungsdauer zu erfüllen (in Anlehnung an [22], [29]). 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung F-2 Kapitel F: Erste, semi-visuelle Zuverlässigkeitsbeurteilung historischer Dachtragwerke aus Holz Anlaß 1. Befund & Analyse 1. Beurteilung der Zuverlässigkeit Handlungsbedarf Sofortmaßnahmen weitere Untersuchungen und/oder Maßnahmen (z. B. baulich) regelmäßige Inspektion und Wartung Abb. 1.1: 2 Entscheidungsprozess (Beispiel siehe Abschnitt 5.3). Zuverlässigkeitsverlauf über die Zeit Die Zuverlässigkeit eines Tragwerks ist – vereinfacht ausgedrückt – vom Abstand zwischen dem Tragwerkswiderstand und den zu erwartenden Einwirkungen abhängig. Je kleiner dieser Abstand, desto geringer ist die Zuverlässigkeit des Tragwerks. Die Tragwerkswiderstände hängen von der Zeit ab. Dies soll der folgende schematische Verlauf der Einwirkungen und Widerstände eines historischen Dachtragwerks (siehe Abb. 2.1) verdeutlichen. [-] Einwirkungen E Widerstände W I II III IV V VI = II VII = III Phasen Widerstand des Tragwerks Einwirkungen auf das Tragwerk 0 Abb. 2.1: F-3 0 5 jetzt t [Jahre] Schematischer Zuverlässigkeitsverlauf über die Zeit. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 2 Zuverlässigkeitsverlauf über die Zeit 2.1 Phase I: Austrocknen und „Initialsetzen“ Historische Holzbauten wurden in der Regel „saftfrisch“ verzimmert (vgl. [5], [8], [14]). Das heißt, die im Winter gefällten Bäume wurden im Frühjahr behauen, abgebunden und anschließend montiert. Durch das Austrocknen der Bauhölzer in den ersten Jahren des Gebäudebestands kann von einer Steigerung der Tragfähigkeit des Tragwerks ausgegangen werden. Hinzu kommt, dass Holz mit hoher Feuchtigkeit ein ausgeprägtes Kriechverhalten aufweist (vgl. [17], [22], [23]). Das wiederum führt dazu, dass sich besonders hoch beanspruchte Bauteile den Kräften zu entziehen versuchen. In hochgradig statisch unbestimmten Tragwerken – und hierzu zählen viele historische Dachwerke – können Lasten auf andere Bauteile umgelagert werden. Man kann daher annehmen, dass sich historische Dachstühle in den ersten Bestandsjahren „initialsetzen“ und Spannungsspitzen umgelagert wurden. Demnach kann in dieser Phase von einer Steigerung der Tragfähigkeit ausgegangen werden. Dem Entgegen steht die aufgrund der Anatomie von Holz bedingte Bildung von Schwindrissen. Diese Risse können die Tragfähigkeit lokal (z. B. im Bereich eines Vorholzes) als auch global (z. B. für die Übertragung von Schubkräften in einem Bauteil) verringern. Zudem können Schwindvorgänge zu Verbindungsklaffungen und damit zu einer Erhöhung der Nachgiebigkeiten führen. 2.2 Phase II: Konstanz Die Bauhölzer haben die Ausgleichsfeuchte erreicht (unter der Annahme einer guten Durchlüftung) und die Dachdeckung samt Anschlüssen ist dicht. Sofern das Tragwerk allen Einwirkungen zu widerstehen imstande ist, kann davon ausgegangen werden, dass sich die Zuverlässigkeit des Tragwerks nicht verändert. In den bisherigen wissenschaftlichen Untersuchungen (vgl. [2], [19], [27]) konnte kein Festigkeitsverlust infolge der Alterung von Holz nachgewiesen werden. Der Befall durch Insekten kann die Tragfähigkeit verringern, ist jedoch bei geringen Holzfeuchten unwahrscheinlich. 2.3 Phase III: 1. Schäden Die meisten Schäden in historischen Dachtragwerken können in zwei Gruppen zusammengefasst werden: Substanzverlust - dauerhaft zu hohe Holzfeuchtigkeit (siehe folgende Absätze) Insektenbefall mechanische und/oder chemische Beschädigungen/Abnutzung im Betrieb (vgl. [10], [18]) konstruktive Mängel - nicht fachgerechte Instandsetzungen und/oder Tragwerksveränderungen mangelhafte bis fehlende Aussteifungsverbände Überbeanspruchung von Verbindungen und/oder Stäben fehlende konstruktive Lagesicherung Folgeschäden, beispielsweise aus ungleichmäßigen Fundamentsetzungen (siehe Abb. 2.2) etc. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung F-4 Kapitel F: Erste, semi-visuelle Zuverlässigkeitsbeurteilung historischer Dachtragwerke aus Holz Für eine erhöhte Holzfeuchtigkeit können beispielhaft folgende Ursachen genannt werden: - mangelhafte Regensicherheit der Dachdeckung (aufgrund des unregelmäßigen Formates alter Dachziegel, fehlender Dachziegel und der teilweise mangelhaften Dichtigkeit historischer Deckungsmaterialien) undichte Verblechungen (im Bereich von Ichsen, Kamindurchführungen, Traufen, innenliegenden Dachrinnen, etc.) Kondensatbildung (z. B. an Metalloberflächen, infolge von bauphysikalisch mangelhaften Dachausbauten) Nutzung des Dachraums als Wäschetrockenraum aufsteigende Mauerwerksfeuchtigkeit leckende Wasserinstallationen (in Dachräumen eher selten) unzureichende Belüftung (z. B. infolge Verschmutzung) Rückstau konvektive Einträge Die Folgen von zu hoher Holzfeuchtigkeit sind: - Förderung von Insektenbefall Pilzbefall, näheres siehe beispielsweise [10], Je nach Holzfeuchtigkeit und der Möglichkeit der Wiederaustrocknung werden die Holzbauteile mehr oder minder rasch abgebaut und verlieren dadurch ihre Tragfähigkeit (vgl. [7], [10]). Werden die Ursachen für den erhöhten Feuchtezutritt behoben, können die Bauhölzer (sofern nicht durch Schmutz und Bauschutt behindert) wieder austrocknen. Die Tätigkeit der holzschädigenden Organismen sinkt oder kommt ganz zum Erliegen („Trockenstarre“). Bei einer neuerlichen Durchfeuchtung erfolgt der Holzabbau jedoch schneller als beim Erstbefall. Ha hne Abb. 2.2: F-5 nba lke n Biegebruch der Hahnenbalken. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Erster Befund (semi-visuell) und Analyse 2.4 Phase IV: Teilversagen Aufgrund der zunehmenden Schäden aus Phase III versagen die ersten Verbindungen und/oder Tragglieder. Das Systemversagen tritt aufgrund der hochgradigen statischen Unbestimmtheit vieler historischer Dachstühle (Lastumlagerungen im Tragwerk) meist nicht ein. 2.5 Phase V – a: Instandsetzung Je nach Qualität der Arbeiten wird der Tragwerkswiderstand mehr oder minder verbessert, eventuell aber auch verschlechtert. 2.6 Phase V – b: Schadenszunahme und Systemversagen Wenn einzelne Verbindungen und/oder Tragglieder versagen, kommt es häufig auch zu großen Verformungen in der Dachdeckungsebene. Dies wirkt sich wiederum negativ auf die Dichtheit der Dachdeckung aus und der Grad der Schädigung nimmt immer rascher zu. Schlussendlich kann es zum Systemversagen kommen. 3 Erster Befund (semi-visuell) und Analyse Für jede Zuverlässigkeitsbeurteilung ist eine zuvor durchgeführte Schadensanalyse unabdingbar. Diese erfordert wiederum einen ersten Befund, welcher die Bestands- und Schadenserfassung einschließt. Eine erste Bestandserfassung ist erforderlich, um beispielsweise die Art und Lage von Schäden zuordnen und beschreiben zu können. Weder die Konstruktion historischer Dachwerke, noch die überwiegende Zahl der Schäden, erschließt sich dem versierten Betrachter auf erstem Blick. Daher wird empfohlen für Befund und Analyse ausreichend Zeit vor Ort einzuplanen. 3.1 Bestandserfassung Im Rahmen einer ersten Begehung wird ein allgemeiner visueller Überblick über das Tragwerk und dessen Zustand gewonnen und folgende Fragestellungen werden beantwortet: - Liegt augenscheinlich Gefahr im Verzug vor? (In diesem Fall sind auch Maßnahmen für die eigene Sicherheit zu treffen.) Muss die Zugänglichkeit hergestellt werden? Sind alle Bauteile zugänglich, das bedeutet, dass beispielsweise alle Bauhölzer von Bauschutt befreit und gereinigt, sowie Leitern und Laufstege eingebaut wurden, so erfolgt eine erste Bestandserfassung. Dabei wird folgendes erhoben: - allgemeine Liegenschaftsinformationen mindestens ein Aufmaß eines typischen Voll- und Leergespärres inkl. Querschnittsabmessungen, Bezeichnung der Bauteile, Verbindungen und statisch relevante Verformungen/Schiefstellungen 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung F-6 Kapitel F: Erste, semi-visuelle Zuverlässigkeitsbeurteilung historischer Dachtragwerke aus Holz - Achsen der tragenden Bauteile im Grundriss inkl. Bezeichnung der Gespärre (z.B. VG 1, LG 1.1 usw.) und Lage der tragenden Bauteile des Geschoßes darunter Fotodokumentation Für weiterführende Literatur zu Bestandserfassungen siehe beispielsweise [6], [18], [25]. 3.2 Schadenserfassung Die eigentliche Schadensanalyse wird sinnvollerweise erst dann durchgeführt, wenn entsprechende Pläne zur Eintragung von Art, Ort und Umfang aller Schäden erstellt wurden. Erfahrungsgemäß (vgl. [16]) treten die in Abschnitt 2.3 genannten Schäden an folgenden Orten stark gehäuft auf: - Traufpunkten (Sparren- und Stuhlsäulenfußpunkten) Graten/Ichsen, Kaminanschlüssen Dachverschneidungen Materialwechseln (Mauerwerk – Holz) Bei der Schadensaufnahme ist eine gute Beleuchtung unabdingbar. 3.3 Schadensanalyse Ermittlung der Ursachen und deren Auswirkungen und Folgen auf das Tragwerk. 3.3.1 empfohlene Vorgehensweise - allg. Liegenschaftsinformationen - Aufmaß im Grund- und Aufriss - Fotodokumentation Bestandserfassung Schadenserfassung visuell erkennbare Schäden & Mängel - Art, Lage, Umfang versteckte Schäden & Mängel - Stichprobenprüfung Schadensanalyse Abb. 3.1: Ursachen und Auswirkungen Vorgehensweise bei Befund und Analyse. Alle Stäbe und Verbindungen sind zuerst systematisch visuell und mittels Klopfprobe zu untersuchen. Bei der Klopfprobe werden die statisch wirksamen Hölzer mit einem Zimmermannshammer (idealerweise mit glatter Bahn) angeschlagen. Nichttragende Stäbe oder Verbindungen sowie oberflächliche Schäden können damit rasch eruiert werden. Im unmittelbaren Bereich von Verbindungen, insbesonders an den typischen Schwachstellen, wird auch vereinzelt die Spitze des Zimmermannshammers eingesetzt. Lokale Holzzerstörungen können damit detektiert und durch Bearbeitung mit der Hammerspitze ihr Umfang ermittelt werden (siehe Abb. 3.2). F-7 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Erster Befund (semi-visuell) und Analyse Abb. 3.2: Links: Ansicht vor der Klopfprobe, Rechts: danach. An typischen Schwachstellen und schlecht einsehbaren Bereichen (z. B. Zwischenraum DachziegelSparren) muss zumindest stichprobenartig untersucht werden, ob in den Holzbauteilen zerstörte Bereiche existieren. Diese Untersuchungen können mittels Bohrungen und Bohrmehlanalysen, Auszieh- oder Bohrwiderstandsmessungen durchgeführt werden (siehe Abb. 3.3). (vgl. [12]) Riss zerstörter Bereich (Innenfäule) Abb. 3.3: Protokolle von Bohrwiderstandsmessungen, Oben: Bohrung durch einen schadfreien Sparren, Unten: Bohrung durch einen Sparren mit Innenfäule. Sämtliche Erkenntnisse sind untersuchungsbegleitend und nachvollziehbar zu dokumentieren. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung F-8 Kapitel F: Erste, semi-visuelle Zuverlässigkeitsbeurteilung historischer Dachtragwerke aus Holz 4 Zuverlässigkeitsbeurteilung Am Ende des ersten Befunds und der darauf aufbauenden Schadensanalyse wird eine erste Beurteilung der Zuverlässigkeit des Tragwerks durchgeführt. Bei großen Objekten ist für jeden Trakt oder sich voneinander unterscheidenden Bereichen eine separate Beurteilung vorzunehmen. 4.1 Beurteilungsstufen Die Beurteilungsstufen und weitere Vorgehenweise sind in Abb. 4.1 erläutert. Die Beurteilungsstufen sind in enger Anlehnung an die RVS 13.11.03 (vgl. [28]), dem Österreichischen Pendant zur DIN 1076 [21] und der RI-EBW-PRÜF [26] entwickelt worden. Die Beurteilung der (differenzierten) Zuverlässigkeit eines Tragwerks hängt von - der Schadensfolgeklasse, in Anlehnung an den Eurocode 0, Tabelle B.1 [22], von der Versagenswahrscheinlichkeit und von eventuellen Funktionsprüfungen – sprich Probebelastungen ab. Die Versagenswahrscheinlichkeit wird von der Tragwerksbeanpruchung und seinen Schäden, Mängeln etc. bestimmt. Für die praktische Durchführung der Beurteilung wird die Vorgehensweisen gemäß Abschnitt 4.1 empfohlen. Die Tragwerksbeanspruchung wird im Beurteilungsschema nicht berücksichtigt, da angenommen wird, dass das Tragwerk angepasst an die Einwirkungen an seinem Standort errichtet wurde. 1. Beurteilung der Zuverlässigkeit lokal keine Beurteilung möglich ausreichend gering Zuverlässigkeit des Tragwerks (z. B. bei mangelhafter Zugänglichkeit) Abb. 4.1: I & W* 1 weiterführende Untersuchungen*** Handlungsbedarf ... 2 ... bei der nächsten Erneuerung der Dachdeckung 3 ... innerhalb der nächsten fünf Jahre 4 ... innerhalb weniger Monate 5 ... unmittelbar (GEFAHR IM VERZUG**) weiteren Schadensfortschritt stoppen Sofortmaßnahmen*** weiterführende Untersuchungen**** und/oder Maßnahmen (Instandsetzung und/oder Nutzungseinschränkung) I & W* Illustration der Beurteilungsstufen und weiteren Vorgehensweise. *... I & W: regelmäßige Inspektion und Wartung **... Definition: Von einer baulichen Anlage ist mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine Gefährdung von Menschen in absehbarer Zeit zu erwarten. ***... z. B. Evakuierung etc. ****...unter „weiterführende Untersuchungen“ werden hier z. B. umfassende Schadenskartierungen und Analysen sowie statische Analysen (bestehend aus Modellbildung, Berechnung und Bemessung) verstanden. F-9 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 4 Zuverlässigkeitsbeurteilung 4.2 Beurteilungsschema Semi-Visuelle Zuverlässigkeitsbeurteilung eines historischen Dachtragwerks aus Holz Schadensfolgeklasse (maximal 1 Punkt) & Versagenswahrscheinlichkeit 0,5 ... für gewöhnliche Bauten 1 ... für Bauten mit Menschenansammlungen und Bauten an stark begangenen Straßen (insgesamt maximal 4 Punkte) Grad der statischen Unbestimmtheit [K1] 0,5 ... für statisch bestimmte oder nahezu statisch bestimmte Tragwerke Umbauten und Instandsetzungen [K2] 0,5 ... für Tragwerke, welche in den letzten Jahrzehnten (rund 50 Jahre) nicht fachgerecht verändert wurden 1 ... für Tragwerke, welche in den letzten Jahrzehnten an statisch besonders wesentlichen Stäben und/oder Verbindungen offensichtlich nicht fachgerecht verändert wurden 0,5 ... für Tragwerke, welche mäßige Schäden ohne fachgerechte Instandsetzung aufweisen. Diese Schäden gehen über oberflächige Beeinträchtigungen hinaus und betreffen auch statisch wesentliche Bauteile. [K3] Holzzerstörung (Pilz- oder Insektenbefall) Verbindungs- und/oder [K4] Stabversagen konstruktive Mängel [K5] große Verformungen und/oder Klaffungen Verschlechterungstendenz 1 ... für Tragwerke, welche schwere Schäden ohne fachgerechte Instandsetzung aufweisen 1,5 ... für Tragwerke, welche schwere Schäden an statisch besonders wesentlichen Stäben oder Verbindungen aufweisen 0,5 ... wenn einzelne, statisch wesentliche Verbindungen und/oder Stäbe infolge von Überbelastung oder Holzzerstörung versagt haben 1 ... wenn mehrere, statisch wesentliche Verbindungen und/oder Stäbe infolge von Überbelastung oder Holzzerstörung versagt haben und dies besondere Auswirkungen auf das Gesamttragverhalten hat 0,5 ... wenn die Dimensionen der statisch wesentlichen Bauteile außergewöhnlich schlank sind 1 ... wenn es sich beim Tragwerk offensichtlich um eine Fehlkonstruktion handelt und/oder statisch unbedingt erforderliche Stäbe oder Verbindungen fehlen [K6] 0,5 ... wenn statisch wesentliche Stäbe und/oder das gesamte Tragwerk deutlich sichtbar verformt sind und/oder zahlreiche Verbindungen klaffen. Die Verformungen (oder Klaffungen) können nicht mehr durch die Anatomie des Holzes erklärt werden. [K7] 0,5 ... wenn die Dachdeckung, -anschlüsse und -entwässerung mangelhaft sind und/oder das angrenzende Mauerwerk durchfeuchtet ist und/oder die Bauhölzer stark verschmutzt sind und/oder aus anderen Gründen eine Verschlechterung des Zustandes zu erwarten ist. 1 ... wenn ein Befall durch den Echten Hausschwamm vorliegt. - 0,5 ... wenn in den letzten drei Jahren eine außergewöhnlich große Einwirkung auftrat und infolgedessen keine Schäden eintraten. -1 ... detto wie zuvor, jedoch für gezielt aufgebrachte Probebelastungen & In-Situ-Probebelastungen SUMME der Punkte weitere Kriterien [K8] Die Summe der Punkte dient als erste Entscheidungsgrundlage für die Beurteilung. Im Rahmen der weiteren Kriterien erfolgt eine kritische Evaluierung der bisher vorliegenden Summe der Punkte als auch die Berücksichtigung aller bisher nicht beachteter Kriterien bzw. Aspekte. Für die Vergabe dieser Punkte (positiv/negativ) wird die Erfahrung des Ingenieurs benötigt. BEURTEILUNG der Tragwerkszuverlässigkeit (1 bis 5, Beurteilungsstufen siehe Bild 7) Abb. 4.2: Zuverlässigkeitsbeurteilungsschema für historische Dachtragwerke aus Holz. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung F - 10 Kapitel F: Erste, semi-visuelle Zuverlässigkeitsbeurteilung historischer Dachtragwerke aus Holz 4.3 Erläuterung der Beurteilungskriterien von Abschnitt 4.1 4.3.1 Vergabe von „0“ Punkten In jenen Fällen, in denen der Grad der statischen Unbestimmtheit hoch ist oder keine Umbauten und Instandsetzungen vorliegen oder keine Holzzerstörung existiert usw., werden jeweils null Punkte vergeben. 4.3.2 Grad der statischen Unbestimmtheit [K1] Mit dem Grad der statischen Unbestimmtheit wird die äußere als auch innere Unbestimmtheit eines Tragwerks verstanden. Zahlreiche historische Dachtragwerke sind hochgradig statisch unbestimmt (siehe Abb. 4.3) und tragen ausgeprägt räumlich ab. Einzelne Schäden bzw. Mängel führen daher i. d. R. nicht zum Globalversagen. Statisch bestimmte oder nahezu bestimmte Tragwerke (z. B. einfache Sparren- und Kehlbalkendächer, zahlreiche Pfettendächer) haben diese Fähigkeit der Lastumlagerung nicht bzw. nur aufgrund des Tragvermögens der Dachlattung (vgl. [15]). Abb. 4.3: Statisch hochgradig unbestimmtes Dachwerk über der Apsis des Doms in Graz. 4.3.3 Umbauten und Instandsetzungen [K2] Gemäß DIN 1052 - 4. Bautechnische Unterlagen (3) gilt: „Für Bauteile und Verbindungen die offensichtlich ausreichend bemessen sind, darf auf einen rechnerischen Nachweis verzichtet werden. (...)“ [20]. Hat ein Tragwerk einige Jahrzehnte lang alle auftretenden Lasten schadfrei abgetragen, so kann davon ausgegangen werden, dass die Konstruktion „offensichtlich ausreichend“ bemessen ist. Somit kommt der Frage, wann die letzten Veränderungen am Tragwerk durchgeführt wurden, große Bedeutung zu. Mangels Dokumentation kann der Zeitpunkt der letzten Veränderung oft nur noch anhand von Indizien (verwendete Baustoffe und Verbindungsmittel, Oberflächenbeschaffenheit der Bauhölzer usw.) abgeschätzt werden. Sollten die Veränderungen fachgerecht sein, allerdings den Grad der statischen Unbestimmtheit verringert haben, wird im Zweifelsfall ein halber Punkt vergeben. F - 11 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung Stuh lsä ule 4 Zuverlässigkeitsbeurteilung Bund tram Bund Sparren tram Abb. 4.4: Nicht fachgerechte Instandsetzungen. Nicht fachgerechte Veränderungen sind daran zu erkennen, dass die neuen Bauteile oder Verbindungen offensichtlich unterdimensioniert sind und/oder bestimmte existierende Beanspruchungen von der Instandsetzung nicht aufgenommen werden können und/oder statisch wesentliche Bauteile ohne adäquaten Ersatz entfernt wurden (siehe Abb. 4.4). 4.3.4 Holzzerstörung (zufolge Pilz- und Insektenbefall, chemischer Korrosion, mechanischem Abrieb) [K3] Unter „mäßigen Schäden“ wird die Zerstörung des tragenden Querschnittes oder einer Verbindung um mindestens 30 % verstanden. Oberflächliche Schäden oder einzelne Fraßgänge von Insekten beeinträchtigen die Zuverlässigkeit eines historischen Dachtragwerks dagegen in der Regel kaum. Unter „schweren Schäden“ wird die totale Zerstörung eines tragenden Querschnittes oder einer Verbindung verstanden (siehe Abb. 4.5). Diese beeinträchtigen die Zuverlässigkeit insbesondere dann, wenn statisch wesentliche Bauteile oder Verbindungen betroffen sind und keine Instandsetzungsmaßnahmen durchgeführt wurden. Statisch wesentliche Stäbe sind jene, ohne deren Vorhandensein die Tragfähigkeit eines Tragwerks nicht möglich erscheint. Bei Kehlbalkendächern mit liegendem Stuhl sind das beispielsweise die in den Vollgespärren angeordneten Bundträme. Stu le äu hls Abb. 4.5: m tra nd Bu Links: Zerstörter Bundtram, Rechts: Innenfäule einer Mauerbank. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung F - 12 Kapitel F: Erste, semi-visuelle Zuverlässigkeitsbeurteilung historischer Dachtragwerke aus Holz 4.3.5 Verbindungs- und/oder Stabversagen [K4] Infolge von mechanischer Überbelastung (siehe Abb. 2.2 und Abb. 4.6 rechts) oder durch Holzzerstörung (siehe Abb. 4.6 links) versagte Verbindungen und/oder Stäbe sind in der Regel ein Indiz für eine geringe Tragwerkszuverlässigkeit. Es muss festgestellt werden, ob die geschädigten Stäbe und/oder Verbindungen auf das Gesamttragverhalten eine wesentliche Auswirkung haben. Dies hängt von den betroffenen Bauteilen und vom Grad der statischen Unbestimmtheit des Tragwerks ab. ule lsä h Stu e ul sä hl Stu Bundtram Abb. 4.6: Bundtram Links: Versagter Stuhlsäulenfußpunkt, Rechts: Querzugversagen des Bundtrams. 4.3.6 konstruktive Mängel [K5] Sind die Querschnitte der Stäbe durchwegs zu schlank dimensioniert, so ist dies zu berücksichtigen. Stu hls äu le In Einzelfällen liegen auch Fehlkonstruktionen vor, oder es fehlen statisch wesentliche Bauteile oder Verbindungen (siehe Abb. 4.7). Fehlkonstruktionen sind beispielsweise Kehlbalkendächer mit liegendem Stuhl, welche im Walmbereich „um die Ecke gedacht“ wurden, sowie Kehlbalkendächer mit unvollständigen (weil z. B. halben) liegenden Stühlen, wie sie in Pultdächern manchmal anzutreffen sind. Die Beurteilung ob eine Fehlkonstruktion vorliegt sollte nur dann getroffen werden, wenn es infolge dessen bereits zu großen Verformungen und/oder Versagen gekommen ist bzw. wenn bereits Notabstützungen (keine fachgerechte Instandsetzung) vorliegen (siehe Abb. 4.7). Bundtra m Abb. 4.7: F - 13 Links: Firstbereich ohne Aussteifung in Firstrichtung, Rechts: Kehlbalkendach mit einfach liegendem Stuhl (mit nicht fachgerechter Instandsetzung). 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 4 Zuverlässigkeitsbeurteilung 4.3.7 große Verformungen und/oder Klaffungen [K6] Kehlbalken Diese liegen vor, wenn statisch wesentliche Stäbe und/oder das gesamte Tragwerk deutlich sichtbar verformt sind (siehe Abb. 4.8) und/oder zahlreiche Anschlüsse klaffen. Die Verformungen (oder Klaffungen) können nicht mehr durch die Anatomie des Holzes (z. B. Quell- und Schwindvorgänge in Kombination mit Schrägfasrigkeiten) erklärt werden (siehe Abb. 4.8 rechts). Wenn sich die Verbindungen statisch wesentlicher Stäbe infolge der Anatomie des Holzes gelöst haben, ist ebenfalls ein halber Punkt zu vergeben. en arr Sp Rähm Abb. 4.8: Links: Verformung des Sparrens infolge eines asymmetrischen Stuhls, Rechts: Verdrehung eines Kehlbalkens infolge von Schrägfasrigkeit in Kombination mit Schwindvorgängen. 4.3.8 Verschlechterungstendenz [K7] Verschlechterungstendenz liegt vor, wenn trotz des möglichst raschen Stops des Schadensfortschrittes (z. B. Notabdeckung, siehe Abb. 4.1) weiterhin von einer Verschlechterung der Tragwerkszuverlässigkeit ausgegangen werden muss. Dies ist der Fall, wenn - weiterhin mit einem erhöhten Feuchtezutritt zu den tragenden Hölzern zu rechnen ist und/oder die Bauhölzer stark verschmutzt sind (siehe Abb. 4.9 rechts) und/oder aus anderen Gründen eine Verschlechterung des Zustandes zu erwarten ist. Diese anderen Gründe können z. B. aktiver Pilz- und/oder Insektenbefall, oder die laufende Zunahme von Verformungen und Rissen (in den Holzbauteilen oder im Mauerwerk) sein. Der Befall der Holzbauteile durch den „Echten Hausschwamm“ wird als besonders gefährlich erachtet, da sich dieser mit Hilfe seines Pilzmycels selbst mit Feuchtigkeit versorgen kann. Bei guten Lebensbedingungen wird die Holzsubstanz binnen weniger Monate auf ein unbrauchbares Festigkeitsniveau zerstört. (vgl. [10], [27]) 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung F - 14 Kapitel F: Erste, semi-visuelle Zuverlässigkeitsbeurteilung historischer Dachtragwerke aus Holz ren ar Sp Sparren Maue rbank ken bal l Keh Rä hm Abb. 4.9: Links: Flugschnee im Traufbereich (vgl. [1]). Rechts: Verschmutzung der Bauhölzer. 4.3.9 weitere Kriterien [K8] Weitere Kriterien, welche den Tragwiderstand eines Dachwerks (und damit auch die Tragsicherheit) positiv oder negativ beeinflussen, können hier durch die Vergabe weiterer Punkte (mit positivem oder negativem Vorzeichen) berücksichtigt werden. Beispielsweise sind Dachverschneidungen (Ichsen, Grate, Walme) häufig Problembereiche in historischen Dachstühlen, da hier konstruktive Mängel und Schäden oftmals gleichzeitig und gehäuft auftreten (siehe Abb. 4.10). Die, in diesen Bereichen ebenfalls ganz wesentlich zur tatsächlichen Lastabtragung beitragende, Dachlattung kann ebenfalls im Punkteschema berücksichtigt werden (vgl. [15]). Weiters könnten hier z. B. geringe Spannweiten oder Gesamtabmessungen eines zu beurteilenden Dachwerks berücksichtigt werden. Abb. 4.10: „Abgesoffener“ First im Bereich einer Dachverschneidung (vgl. [1]). F - 15 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 4 Zuverlässigkeitsbeurteilung 4.4 In-Situ-Probebelastungen Wenn in den letzten drei Jahren mindestens eine nachweisbar außergewöhnlich große Einwirkung aufgetreten ist und infolge dessen keine Schäden eintraten, können daraus Rückschlüsse auf die Zuverlässigkeit des Tragwerks gezogen werden. Alternativ kann auch eine definierte Probebelastung aufgebracht werden. Die Art und Größenordnung muss dabei den realen, äußeren Einwirkungen möglichst gut entsprechen. Die Auswirkungen auf das Tragwerk sind zu messen und zu bewerten. 4.5 Vorgehensweise bei Unsicherheiten in der Beurteilung In diesen Fällen sind (siehe auch Abb. 4.1) weiterführende Untersuchungen erforderlich. Diese sind z. B.: - 4.6 eine erste statische Analyse des Tragwerks erstellen weitere Fachmeinungen hinzuziehen Bauwerksmonitoring Beurteilung des Tragwerks nach dem Instandsetzungsaufwand Instandsetzungskosten (in % der Neubaukosten) Die Zuverlässigkeitsbeurteilung korrespondiert nicht unbedingt mit dem zu erwartenden Instandsetzungsaufwand und den damit verbundenen Kosten. Eine mögliche Einteilung, welche sich gut mit den Zuverlässigkeitsbeurteilungsstufen kombinieren lässt, zeigt Abb. 4.11. A 0 – 25 % B 25 – 50 % C 50 – 75 % D 75 – 100 % E 100 % und mehr Abb. 4.11: Illustration der Beurteilung, basierend auf der Größenordnung der Instandsetzungskosten im Verhältnis mit den zu erwartenden Neubaukosten. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung F - 16 Kapitel F: Erste, semi-visuelle Zuverlässigkeitsbeurteilung historischer Dachtragwerke aus Holz 5 Beurteilungsbeispiele 5.1 Nordtrakt von Schloss Eggenberg Bezeichnung: Kehlbalkendach mit zweifach liegendem und asymmetrisch einfach stehendem Stuhl sowie Hahnenbalken um 1655 Hahnenbalken 8,6 m Kehlbalken SÜDEN stehende Stuhlwand Bundtram 28 cm 12,6 m Abb. 5.1: Voll- und Leergespärre sowie Detailpunkte. Beurteilung 1... Schadensfolgeklasse: Museum Ereigniseintrittswahrscheinlichkeit 0... [K1] hoch 0... [K2] nur vereinzelte Teilgewindeschrauben, sonst seit mindestens 50 Jahren unverändert 0... [K3] nicht vorhanden oder sichtbar 0... [K4] nicht vorhanden oder sichtbar 0... [K5] keine 0,5... [K6] Aufgrund der stehenden Stuhlwand tragen die liegenden Stuhlsäulen auch bei symmetrischer Einwirkung deutlich unterschiedlich große Normalkräfte ab. Dies führte zu einer erheblichen asymmetrischen Verformung des gesamten Tragwerks Richtung Süden. 0... [K7] keine 0,5... [K8] Viele Sparren- und Stuhlsäulenfußpunkte mussten in der Vergangenheit (älter 50 Jahre) instandgesetzt werden. So bestehen von Stuhl zu Stuhl unterschiedliche Ausbildungen, teils mit Sattelhölzern, Laschen und/oder schmiedeeisernen Klammern. Viele dieser Maßnahmen sind aus heutiger Sicht nicht fachgerecht. Klaffende Fugen und verbogene Klammern lassen Zweifel über die Zuverlässigkeit dieser Instandsetzungen gerechtfertigt erscheinen. 0... In-Situ-Probebelastungen: keine 2... Summe Es liegt Handlungsbedarf bei der nächsten Erneuerung der Dachdeckung vor. F - 17 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 5 Beurteilungsbeispiele 5.2 Hofgasse 10A Bezeichnung: Kehlbalkendach mit asymmetrisch zweifach liegendem Stuhl und Fehlsparren 18. Jh. Fehlsparren OSTEN Kehlbalken 6,4 m Brust= riegel liegende Stuhlsäule 8,7 m Abb. 5.2: Voll- und Leergespärre sowie Detailpunkte. Beurteilung 0,5... Schadensfolgeklasse: Wohnbau Ereigniseintrittswahrscheinlichkeit 0... [K1] hoch 1... [K2] Auf der westlichen Dachseite wurden vor wenigen Jahren zahlreiche Fußpunkte nicht fachgerecht instand gesetzt. Seither fehlen in diesen Bereichen die Sparrenfußpunkte, durchgehende Mauerbänke und Wechselbalken. Ein Bundtramkopf wurde infolge des Einbaues einer neuen Mauerbank deutlich geschwächt. 1... [K3] Das nordseitige Vollgespärre ist dreiseitig in die Feuermauer eingemauert. Ein Stuhlsäulenfußpunkt war durch Pilzbefall nicht mehr tragfähig und ist mit einer einseitigen Klammer nicht fachgerecht instandgesetzt worden. Zu einem Versagen kam es nicht, da die vom Rähm eingeleiteten Kräfte direkt ins Mauerwerk weitergeleitet werden. 0... [K4] nicht vorhanden oder sichtbar 0... [K5] keine 0... [K6] keine 0... [K7] keine 0... [K8] keine 0... In-Situ-Probebelastungen: keine 2,5... Summe Es liegt Handlungsbedarf innerhalb der nächsten fünf Jahre vor. (Die Instandsetzung ist angedacht.) 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung F - 18 Kapitel F: Erste, semi-visuelle Zuverlässigkeitsbeurteilung historischer Dachtragwerke aus Holz 5.3 Langhaus der Franziskanerkirche Bezeichnung: Kehlbalkendach mit drei Kehlbalkenebenen, Streben, Hängesäule, Hängewand und Hängestreben, 1257 (vgl. [30]). Von 1515 bis 1519 wurden die Gewölbe eingebaut und zu diesem Zweck alle Bundträme und Hängesäulen gekappt (siehe Abb. 5.3, rot dargestellt). Als Ersatz wurden die Hängesäulen auf das Gewölbe abgestellt und drei stehende Stuhlwände (grün) eingebaut. errichtet 1257 umgebaut 1519 Hahnenbalken Strebe 2. Kehlbalken Hängesäule Hängewand 14,1 m 1. Kehl= balken Hänge= strebe Stuhlwand Bundtram 16,7 m Abb. 5.3: Voll- und Leergespärre sowie Detailpunkte. Beurteilung 1... Schadensfolgeklasse: Kirche Ereigniseintrittswahrscheinlichkeit 0... [K1] hoch 0... [K2] nicht in den letzten 50 Jahren 1,5... [K3] Rund die Hälfte der Streben- und Sparrenfußpunkte sind entweder infolge von Pilzbefall schwer geschädigt oder nicht fachgerecht instand gesetzt worden. Zahlreiche Sparren sind schwer geschädigt und/oder nicht fachgerecht instand gesetzt worden. 0,5... [K4] Zahlreiche Verbindungen haben versagt. 0... [K5] Da der Einbau der Gewölbe vor langer Zeit stattfand und ursprünglich keine Schäden auftraten, wird angenommen, dass kein konstruktiver Mangel vorliegt. 0,5... [K6] Zahlreiche Verbindungen klaffen. 0,5... [K7] Starke Verschmutzung des gesamten Tragwerks. 0... [K8] keine 0... In-Situ-Probebelastungen: keine 4... Summe Es liegt Handlungsbedarf innerhalb der nächsten Monate vor. (Die Instandsetzung ist angedacht.) F - 19 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 5 Beurteilungsbeispiele 5.4 Alte Universität Bezeichnung: Kehlbalkendach mit zweistöckigem, zweifach liegendem Stuhl mit mittiger, hängewerksartig abgestrebter Hängesäule und Hahnenbalken. Die Hängesäulen wurden nachträglich auf die mittlere Pfeilerwand des obersten Geschoßes aufgekeilt. 1609 Hahnenbalken Strebe 2. Kehlbalken Hängesäule 1. Kehl= balken 10,3 m 2. Stuhlsäule 1. Rähm NORDEN 1. Brustriegel Gewölbeanker 1. Fußschwelle 19,2 m Abb. 5.4: Voll- und Leergespärre sowie Detailpunkte. Beurteilung 1... Schadensfolgeklasse: Veranstaltungsbau Ereigniseintrittswahrscheinlichkeit 0... [K1] hoch 0... [K2] nicht in den letzten 50 Jahren 1,5... [K3] An der nordseitigen Dachfläche trat an einem dem Kamin angrenzenden, Vollgespärre schwerwiegende Holzzerstörung infolge Pilzbefall auf. Dieser Schaden betrifft die statisch wichtigen Bauteile Bundtram (als Zugband wirkend) und die liegende Stuhlsäule. Weitere Schäden – jedoch mit geringerem Ausmaß – existieren an mehreren Fußpunkten. 1... [K4] Infolge der Substanzzerstörung (siehe [K3]) versagten die betroffenen Verbindungen. 0... [K5] Aufgrund der hier möglichen Lastumlagerungen (ausgeprägte Stuhlwände, als Druckstütze wirksame Hängesäule) sind einzelne Bundträme für das Gesamttragfähigkeit nicht unbedingt erforderlich. 0,5... [K6] Die Kopfbandanschlüsse jener Vollgespärre, deren Fußpunkte geschädigt sind, weisen zum Teil erhebliche Klaffungen auf. Die Druckriegel dieser Gespärre sind deutlich sichtbar verformt. 0... [K7] keine 0... [K8] keine 0... In-Situ-Probebelastungen: keine 4... Summe Es liegt Handlungsbedarf innerhalb der nächsten Monate vor. (wurde bereits instand gesetzt.) 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung F - 20 Kapitel F: Erste, semi-visuelle Zuverlässigkeitsbeurteilung historischer Dachtragwerke aus Holz 5.5 Osttrakt von Palais Herberstein Bezeichnung: Kehlbalkendach mit asymmetrisch zweifach liegendem Stuhl und einseitigem Dachvorstand SÜDEN 5,1 m Kehlbalken 9m Abb. 5.5: Nachbarhaus (angedeutet) 17. Jh. Bundträme in die Dippelbaumdecke integriert Voll- und Leergespärre sowie Detailpunkte (nach Entfernung der Beschüttung). Beurteilung 1... Schadensfolgeklasse: Museum Ereigniseintrittswahrscheinlichkeit 0... [K1] hoch 0... [K2] nicht in den letzten 50 Jahren 1,5... [K3] In einem Bereich von rund 10 m Länge sind acht von neun Sparrenfußpunkte infolge von Pilzbefall zerstört. Die eingebauten Sparrenknechte sind nicht fachgerecht, da sie keine Horizontalkräfte in die ebenfalls schwer geschädigten Bundträme übertragen können. Die auftretenden Horizonalkräfte am Fußpunkt müssen von Mauerwerk und Dachwerk des Nachbarhauses abgeleitet werden. 1... [K4] siehe [K3] 1... [K5] Das Kehlbalkendreieck ist mangels Zugband auf großer Länge nicht kraftschlüssig geschlossen. 0,5... [K6] zahlreiche Gespärre sind deutlich sichtbar Richtung Süden verdreht/verkippt 0,5... [K7] ursprünglich starke Verschmutzung des Tragwerks 0... [K8] keine 0... In-Situ-Probebelastungen: keine 5... Summe Es liegt Gefahr im Verzug vor. (Die Instandsetzung wird derzeit durchgeführt.) F - 21 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 6 Resümee 6 Resümee Im Falle von Schäden, Nutzungsänderungsabsichten oder Zweifeln an der Tragsicherheit eines historischen Dachtragwerks ist eine erste Beurteilung der Tragwerkszuverlässigkeit empfehlenswert. Nur auf Grundlage dieser kann die weitere Vorgehensweise effizient geplant werden. Die tatsächliche Zuverlässigkeit eines Tragwerks ist auch zeitabhängig und nur im Versagenspunkt bekannt. Im vorliegenden Beitrag wird daher eine einfache Systematik vorgestellt, mit welcher die Einschätzung der Tragwerkszuverlässigkeit erleichtert wird. Viele Aspekte, welche historische Dachtragwerke von Ingenieurholzbauten unterscheiden werden darin berücksichtigt. Beispielsweise führen geschädigte oder versagte Bauteile i. d. R. nicht zum Systemversagen historischer Dachwerke. Stattdessen bleibt die Tragfähigkeit infolge von Lastumlagerungen lange Zeit erhalten. Darüber hinaus wird dem ausführenden Ingenieur mit diesem Schema ein Werkzeug in die Hand gegeben, mit dem er nachvollziehbar dokumentieren kann, dass er seine Beurteilung unter Wahrung der gebotenen Sorgfaltspflichten vorgenommen hat. Voraussetzung für die Beurteilung ist ein erster Befund, bestehend aus Bestands- und Schadenserfassung sowie eine Schadensanalyse. Hierzu werden einzelne typische Schwachpunkte und Schadensursachen aufgezeigt und eine systematische Vorgehensweise vorgeschlagen. Wenn keine Nutzungsänderungsabsichten vorliegen und die Beurteilung nicht Gefahr im Verzug ergibt, kann die Bemessung der Instandsetzung so erfolgen, dass die angenommene, ursprüngliche Tragfähigkeit (zum Zeitpunkt der Errichtung) und Steifigkeit wiederhergestellt wird. In allen anderen Fällen ist eine vollständige statische Analyse durchzuführen. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung F - 22 Kapitel F: Erste, semi-visuelle Zuverlässigkeitsbeurteilung historischer Dachtragwerke aus Holz 7 [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14] [15] [16] [17] [18] [19] F - 23 Literatur BUCHHÄUSL Bertram: Bestandserfassung, Modellbildung und Tragverhalten historischer Dachstühle am Beispiel des Stiftes Zwettl. Graz, Erzherzog-Johann-Universität Graz, Fakultät für Bauingenieurwissenschaften, Dipl.-Arb., 2010 EHLBECK Jürgen ; GÖRLACHER Rainer: Zur Problematik bei der Beurteilung der Tragfähigkeit von altem Konstruktionsholz. In: bauen mit holz, Bruderverlag 1990, Nr. 2, S. 117–121 ERLER Klaus: Alte HolzBauWerke : Beurteilen und Sanieren. 3. Aufl. Neufassung. Berlin : Huss-Medien GmbH Verlag Bauwesen, 2004. - ISBN 3-345-00864-5 FRITZEN Klaus: Denkmalpflege : Betrachtungen aus aktuellem Anlass. In: bauen mit holz, Bruderverlag 2006, Nr. 10, S. 1 GÖRLACHER Rainer ; et al: Hölzerne Tragwerke : Untersuchen und Beurteilen. Reihe B. Karlsruhe : Universität Karlsruhe, 1996. - Sonderforschungsbericht 315 GÖTZ Jürgen: Außergewöhnliches, gotisches Kehlriegeldach. In: bauen mit holz, Bruderverlag 2007, Nr. 10, S. 16–20 HUCKFELDT Tobias ; SCHMIDT Olaf: Hausfäule- und Bauholzpilze : Diagnose und Sanierung. 1. Auflage. Verlagsgesellschaft Müller, 2006. - ISBN-10: 3481021429 HÜBNER Ulrich: Abschätzung der Zuverlässigkeit des Dachtragwerks des Wasserschlosses Ollendorf unter Berücksichtigung streuender Einflüsse von Einwirkungen und Materialkennwerten und Erarbeitung von Vorschlägen zum Sanierungskonzept hinsichtlich baustatischer Erwägungen. Weimar, Bauhaus-Universität Weimar, Fakultät Bauingenieurwesen, Dipl.-Arb., 2000 IBOLD Stefan: Sanieren im Dach- und Holzbau : Grundlagen - Anforderungen - Beispiele. Köln : Verlagsgesellschaft Rudolf Müller GmbH & Co. KG, 2010. - ISBN 978-3-481-02680-6 KEMPE Klaus: Dokumentation Holzschädlinge. 2. Auflage : Fraunhofer Irb Verlag, 2004. ISBN-10: 3345007754 KOLLMANN Franz: Technologie des Holzes und der Holzwerkstoffe. 2. Auflage. 1. Band. Springer-Verlag, 1951 KRAFT Udo ; PRIBBERNOW Doreen: Handbuch der Holzprüfung : Anleitungen und Beispiele. 1. Auflage : Vbt Verlag Bau u. Technik, 2006. - ISBN-10: 3764004592 LAND STEIERMARK (Hrsg.) ; Landesgesetzblatt : Steiermärkisches Baugesetz, Juni 2008 MEISEL Andreas: Historische Dachstühle: Tragsysteme, Bestandserfassung, statische Analyse und Sanierung mit flächenhaften Holzwerkstoffen, Erzherzog-Johann-Universität Graz, Fakultät für Bauingenieurwissenschaften, Dipl.-Arb., 2009 MEISEL Andreas ; MOOSBRUGGER Thomas ; SCHICKHOFER Gerhard: Der Anteil des Tragvermögens der Dachlattung an der globlen Lastabtragung von Dachtragwerken. In: Bautechnik, Berlin: Verlag Ernst & Sohn 2010, Nr. 6, S. 331–338 MEISEL Andreas ; et al: D(N)achhaltigkeit Graz. Graz : Erstellung in Arbeit, 2011. Forschungsbericht MOORKAMP Wilfried: Zum Kriechverhalten hölzerner Biegeträger und Druckstäbe im Wechselklima. Leibniz Universität Hannover, Diss., 2002 MÖNCK Willi: Schäden an Holzkonstruktionen. 3. Aufl. Berlin : Huss-Medien GmbH Verlag Bauwesen, 1999. - ISBN 3-345-00668-5 NIER Joachim: Experimentelle Festigkeitsuntersuchungen an alten Bauhölzern und daraus abgeleitete Erkenntsnisse zur Tragfähigkeitsbeurteilung. Technische Hochschule Leipzig, Diss., 1994 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 7 Literatur [20] [21] [22] [23] [24] [25] [26] [27] [28] [29] [30] NORM DIN 1052 Entwurf, Berechnung und Bemessung von Holzbauwerken, Dezember 2008 NORM DIN 1076 - Ingenieurbauwerke im Zuge von Straßen und Wegen; Überwachung und Prüfung, November 1999 NORM Önorm EN 1990 Eurocode 0: Grundlagen der Tragwerksplanung, 01. März 2003 NORM Önorm EN 1995-1-1 Eurocode 5: Bemessung und Konstruktion von Holzbauten: Teil 1-1: Allgemeines - Allgemeine Regeln und Regeln für den Hochbau, 01. Jänner 2006 RAUTENSTRAUCH Karl: Untersuchungen zur Beurteilung des Kriechverhaltens von Holzbiegeträgern. Leibniz Universität Hannover, Diss., 1989 RINN Frank: Konzept für Zustandsanalysen von Holzkonstruktionen. In: bauen mit holz, Bruderverlag 2006, Nr. 10, S. 26–33 RI-EBW-PRÜF: Richtlinie zur einheitlichen Erfassung, Bewertung, Aufzeichnung und Auswertung von Ergebnissen der Bauwerksprüfungen nach DIN 1076, Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, November 2011 RUG Wolfgang ; SEEMANN Axel: Festigkeit von Altholz. In: bauen mit holz, Fachzeitschrift für den konstruktiven Holzbau und Ausbau, Bruderverlag (1989), Nr. 10, S. 696–699 RVS (Richtlinien und Vorschriften für das Straßenwesen) Richtlinien & Merkblätter: 13.03.11 Straßenbrücken, Österreichische Forschungsgesellschaft Straße - Schiene - Verkehr, August 1995 SCHNEIDER Jörg ; SCHLATTER Hans Peter: Sicherheit und Zuverlässigkeit im Bauwesen : Grundwissen für Ingenieure. 2. Auflage. Zürich: vdf Hochschulverlag, 1996. - ISBN-10: 37281-2167-3 SCHWEIGERT Horst: Dehio Handbuch Graz. Wien : Verlag Anton Schroll &Co, 1979. ISBN 3-7031-0475-9 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung F - 24 G Bestandserfassung und Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz G. Silly DI Gregor Silly G-1 2010 Abschluss des Bauingenieurstudiums an der TU Graz seit 2010 Wissenschaftlicher Projektmitarbeiter in der holz.bau forschungs gmbh, Graz 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 1 Bauzustandserfassung und -analyse Zusammenfassung UNESCO Weltkulturerbe „Stadt Graz – Historisches Zentrum und Schloss Eggenberg“. Eine Auszeichnung welche nicht nur Ehre, sondern auch Verpflichtungen mit sich bringt. Im Falle der Dachwerke des „Historischen Zentrums“ (Zone 1) erfordert die langfristige Erhaltung der Dachlandschaft auch die Kenntnis über den baulichen Zustand der Dachtragwerke. Hierzu sind Begehungen und erste Zuverlässigkeitsbeurteilungen unbedingt erforderlich. Dieser Beitrag beinhaltet den allgemeinen Ablauf einer solchen Bauszustandserfassung- und analyse von Dachwerken und dokumentiert die Vorgehensweise am Beispiel der Franziskanerkirche in Graz. Zum Abschluss erfolgt ein Zustandsbericht über die, im Zuge des Forschungsprojekts D(N)ACHHALTIGKEIT Graz besichtigten, 35 Objekte der historischen Altstadt von Graz. 1 Bauzustandserfassung und -analyse 1.1 Einleitung Graz weist einen hervoragend erhaltenen, über die Jahrhunderte gewachsenen Stadtkern auf. Diese Tatsache wurde 1999 mit der die Erklärung zum UNESCO-Weltkulturerbe ausgezeichnet. Der hiermit beschlossene Schutz betrifft insbesondere auch die einmalige Dachlandschaft von Graz. Im August 2010 wurde zudem das Schloss Eggenberg zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Die Auszeichnung „Weltkulturerbe“ inkludiert aber auch die Verpflichtung das historische Erbe zu erhalten. Im Zuge des Forschungsprojektes D(N)ACHHALTIGKEIT Graz wurden an 35 historischen Dachwerken der Grazer Altstadt (Zone 1) Begehungen durchgeführt. Aufgrund des teilweise schlechten Zustands der Tragkonstruktionen wird in den nächsten Jahren vermehrt mit Instandsetzungen zu rechnen sein. Diese baulichen Maßnahmen, aber auch der steigende Wunsch nach Nutzungsänderung (Schaffung von Wohnraum) machen Bestands- und Schadenserfassungen erforderlich. Ein möglicher Ablauf eines solchen Instandsetzungs bzw. Umnutzungsprojektes ist in Abb. 1.1 dargestellt. Nach einer ersten Begehung des Objekts ist es wichtig die späteren Ziele so genau wie möglich festzulegen. Dadurch kann ein systematisches Vorgehen, ohne größere „Überraschungen“ während der Projektphase, gewährleistet werden. Die erste Begehung des Bauwerks (insbesondere des Dachtragwerks) liefert bereits Erkenntnisse über das zu erwartende Ausmaß der Schäden. Im nächsten Schritt folgt die Bestands- und Schadenserfassung mit anschließender Bestands- und Schadensanalyse. Bei einer Erfassung sollte zuerst der Zustand der Holzbauteile und Verbindungen und dann der Zustand des Gesamttragwerks beurteilt werden (siehe MEISEL et al. [5]). Obwohl diese Schritte mit einem hohen zeitlichen und materiellen Aufwand verbunden sind, dürfen sie nicht vernachlässigt werden. Erst eine gründliche Bauzustandsanalyse minimiert das Planungsrisiko (z. B. Erhöhung der Kosten, Bauzeitverlängerung) und vermeidet unfachgerechte bzw. unwirksame Instandsetzungen. Definition Bestandsschutz Bestandsschutz (in Österreich: rechtmäßiger Bestand, vgl. z. B. [4]): Eine bauliche Anlage, welche zum Entstehungszeitpunkt dem geltenden Baurecht entsprach, bedarf keiner Anpassung an das heutige Recht. Der Bestandsschutz geht erst verloren, wenn wesentliche Eingriffe am Bestand geplant und die 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung G-2 Kapitel G: Bestandserfassung und Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz Änderungen nach der Bauordnung genehmigungspflichtig sind oder eine Nutzungsänderung vorliegt (vgl. [2] S. 213, [3], [9]). - Klärung und Konkretisierung der Aufgabenstellung - Bestimmung von Sollzustand und Nutzungszielen - Forderungen der Baubehörde/Denkmalschutz - Kosten- und Terminrahmen - Detaillierungsgrad der folgenden Schritte 1. ZIELANALYSE 2. BESTANDSERFASSUNG = Dokumentation des Bauwerks, bestehend aus Bestandsuntersuchung - allgemeine Eckdaten: Lage, Bauweise, Baujahr - Historie: Nutzung(en), Veränderungen, etc. - statisches System - Materialien und deren Kennwerte - bauphysikalische Gebäudeeigenschaften Bestandsaufnahme 3. SCHADENSANALYSE - Fotodokumentation - Maße, Abmessungen der Querschnitte - Verbindungen Schadensaufnahme - Art der Schäden - Lage und Umfang Schadensursachen 4. - Feuchtigkeit - mangelhafte Umbauarbeiten/Sanierungen BAUZUSTANDSANALYSE Tragsicherheit/Gebrauchstauglichkeit - Modellierung zutreffender statischer Systeme - Berechnung - Nachweisführung Zustandsbeurteilung 5. Entscheidung und Prioritäten - Sanierung versus Abbruch - Sanierungsablauf, Sanierungsart BAULICHE MASSNAHMEN Konzeption - Praxistauglichkeit - Wirtschaftlichkeit - Denkmalschutz - Ökologie, Dauerhaftigkeit, Gestaltung etc. Berechnung und Nachweisführung Ausschreibung und Beauftragung 6. AUSFÜHRUNG sach- und fachgerechte Ausführung Überwachung und Beurteilung 7. Abb. 1.1: G-3 INSTANDHALTUNG - regelmäßige Inspektion und Wartung Schritte im Rahmen eines Instandsetzungs- oder Umnutzungsprojektes ([6] S. 56). 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 1 Bauzustandserfassung und -analyse 1.2 Begehung Im Rahmen einer Bauzustandserfassung und -analyse erfolgt im ersten Schritt eine Begehung des Bauobjekts. Dadurch ist es möglich einen Überblick über das Tragwerk und dessen Zustand zu erhalten. Aufgrund der Schäden und deren Analyse kann eingeschätzt werden, ob Gefahr im Verzug besteht. Ist dies der Fall, so sind Sofortmaßnahmen wie z. B. die Evakuierung des Gebäudes zu treffen. Für den Begriff Gefahr im Verzug gibt es in der Literatur verschiedene Definitionen, allerdings ist keine in den österreichischen Gesetzestexten verankert. Gefahr im Verzug liegt vor, wenn von einer baulichen Anlage mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit eine Gefährdung von Menschen zu erwarten ist. Um die hinreichende Wahrscheinlichkeit abschätzen zu können ist eine Beurteilung aufgrund eigener Fachkompetenz, Erfahrung, Beobachtungen und mittels Messungen erforderlich. Eine leichter zu verstehende Definition erklärt Gefahr im Verzug mit dem Vorliegen einer Sachlage, bei der ein Schaden eintreten würde, wenn nicht sofort gehandelt wird. (vgl. [8] Merkblatt „Gefahr im Verzug“). Bei der Beurteilung sollte einerseits zwischen global und lokal, andererseits ob es sich um zimmermannsmäßig oder ingenieurmäßig errichtete Tragwerke handelt, unterschieden werden. Bei ingenieurmäßig errichteten Tragwerken ist in der Regel das Sicherheitsniveau eindeutig definierbar, was im Falle von zimmermannsmäßig errichteten Tragwerken aufgrund der hohen statischen Unbestimmtheit nicht der Fall ist. Jedem Ingenieur sollte bewusst sein, dass (unabhängig von der Realisierung eines Vertragsverhältnisses) er durch seine Stellung und Befugnis die Pflicht hat, im Falle von Gefahr im Verzug zu warnen. Wird dieser Warnpflicht weder in mündlicher noch schriftlicher Form nachgekommen, kann dies zu einer Mithaftung bei Folgeschäden führen. Liegt keine unmittelbare Gefahr vor, so kann man sich der eigentlichen Bestands- und Schadenserfassung widmen. Meistens ist jedoch vor dem Beginn eine gründliche Reinigung des Dachbodens notwendig. Über die Jahre haben sich Bauschutt und alte Dachziegel angesammelt, die den Zugang und somit eine Beurteilund des tatsächlichen Zustandes verhindern. Die heutzutage technische Standardmethode zur Reinigung ist das Absaugen mithilfe von Saugwagen. Dadurch ist es möglich einen Dachboden binnen weniger Stunden komplett zu säubern. Mit diesem Gerät können fast alle trockenen und nassen Materialien bis zu einem Durchmesser von 250 mm abgesaugt werden. Weitere Vorteile dieser Methode sind die geringe Staubentwicklung und die wegfallende Zwischenlagerung im Bauschuttcontainer. Abb. 1.2: Links: Saugwagen, Rechts: Absaugtechnik – Absaugen von Bauschutt. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung G-4 Kapitel G: Bestandserfassung und Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz 1.3 Bestands- und Schadenserfassung bzw. Schadensanalyse 1.3.1 Allgemein Nach dem ersten visuellen Überblick durch die Begehung kann nun mit der der Bestands- und Schadenserfassung begonnen werden. Zu Beginn sind alle Eckdaten wie z. B. das Baujahr, die bereits in der Vergangengheit getätigten Instandsetzungen bzw. Veränderungen sowie das statische System zu erfassen. Um auch schwer zugängliche Stellen im Dachraum zu erreichen ist meist eine Montage von Stegen und Leitern erforderlich (siehe Abb. 1.3). Weiters ist für eine ausreichende Beleuchtung sämtlicher Dachbereiche zu sorgen. Abb. 1.3: Kehlbalkendach mit eingerichteten Stegen und Leitern im Schloss Eggenberg (Graz). Erforderliche und empfehlenswerte Arbeitsmittel ([6] S. 59) Für eine gründliche Bestandserfassung und Schadensanalyse sind eine Reihe von Arbeitsmitteln erforderlich, die wesentlichen werden hier angeführt. • für die ausführende Person: - • persönliche Schutzausrüstung (festes Schuhwerk und Handschuhe, eventuell Helm, Sicherheitsgurt etc.) Steigeinrichtung je nach Bedarf (zum Beispiel Leiter, Hubsteiger, etc.) Taschenlampe oder besser Stirnlampe (die meisten Dachböden sind nicht beleuchtet) zur Dokumentation: - - G-5 Schreibplatte, leere Protokollseiten, Kreide, Klebezettel (um beispielsweise die Fotos später zuordnen zu können) Kamera: Gewöhnliche Digitalkameras haben sich für die Aufnahme von Dachstühlen nicht bewährt. Empfehlenswert sind analoge Kameras oder Spiegelreflex-Digitalkameras mit zusätzlichem Blitz, Stativ und Weitwinkelobjektiv. Gefäße für Proben, Lupe (Holzartenbestimmung, Holzschädlingsbestimmung) Besen oder Handfeger zum Reinigen der Holzoberflächen starke Taschenlampe oder besser Halogenstrahler: Für aussagekräftige Fotos ist viel Licht erforderlich. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 1 Bauzustandserfassung und -analyse • zum Messen: - Rollmeter, Zollstock (als Maßstab in den Fotos), Messlatte elektronisches Distanzmessgerät oder Stahlmaßband Hammer (akustische Materialprüfung), Nägel, Schnur (um Verformungen messen zu können) Fühlerlehre (Rissbreitenbestimmung), Draht (um beispielsweise die Tiefe von Zapfenlöchern messen zu können) Brechstange (Zugänglichkeit zu Bauteilen und/oder Verbindungen herstellen) Lot (für Schiefstellungen) Holzfeuchtemessgerät Bohrwiderstandsmessgerät weitere Messgeräte wie: Theodolith, Totalstation (ideal für verformungsgerechte Aufmaße), Endoskop 1.3.2 Bestimmung des Dachwerktyps – Tragwerksbeschreibung Grundsätzlich lassen sich alle Dachwerke in zwei Grundtypen gliedern, nämlich in das Sparren- und Pfettendach. Jedoch gibt es im mitteleuropäischen Raum eine Vielzahl an verschiedenen Typen und Bezeichnungen für historische Dachtragwerke. Für nähere Informationen zur Bezeichnung der Dächer, Konstruktionsglieder sowie Verbindungen siehe [7]. 1.3.3 Erstellen von Bestandsplänen Dieser Schritt der Bestandserfassung ist mit hohem Aufwand verbunden, aber für die Vorbereitung einer reibungslosen und vor allem fachgerechten Instandsetzung unerlässlich. Falls Pläne vorliegen sind diese auf Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen und falls notwendig zu ergänzen. In der Regel sind bei historischen Dachtragwerken keine Bestandspläne vorhanden. In diesem Fall wird die in den nächsten Punkten erläuterte Vorgehensweise empfohlen. Das Erstellen von Bestandsplänen umfasst das Aufmessen der System- sowie der Querschnittsabmessungen, die Aufnahme der verschiedenen Verbindungsarten und eine Bezeichnung aller vorhandenen Bauteile. Folgende Darstellungen sollten angefertigt werden: Grundriss Im Grundriss sind die Systemachsen der einzelnen Gespärre sowie ihre Abstände untereinander und zu den massiven Gebäudeteilen (z. B. Giebelwand) einzuzeichnen. Um spätere Arbeiten zu erleichtern und eventuell vorhandene Schäden besser dokumentieren zu können, ist eine logische Achsennummerierung vorzunehmen (siehe Abb. 1.4). Die einzelnen Gespärre sind im Zuge der Aufmessarbeiten an einer geeigneten Stelle (Stuhlsäule oder Sparren) mit Kreide zu beschriften. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung G-6 Kapitel G: Bestandserfassung und Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz Strasse B 6 7 Strasse A 9 8 Vollgespärre 5 10 4.d 1.a 4.c 1.b Leergespärre Abb. 1.4: 3 2.2 2.1 2 1.d 1.c 1 N 4 Beispiel zur Nummerierung der Gespärreachsen. Schnitte Es ist erforderlich mindestens einen Schnitt eines Voll- und Leergespärres zu erstellen. In diese Pläne sind sämtliche Querschnittsabmessungen, Bauteilbezeichnungen und Verbindungsarten einzutragen. Um die teilweise großen Verformungen (Deformationen und Schiefstellungen) besser aufnehmen zu können, hat es sich bewährt am Firstpunkt ein Lot zu montieren. Für die Zustandserfassung und auch für die Modellbildung im Rahmen der statischen Analyse reicht es im Allgemeinen die System- und Querschnittsabmessungen auf Zentimeter gerundet anzugeben. 3-D Laserscanner Heutzutage ist auch eine dreidimensionale Vermessung mittels 3D-Laserscanner von spezialisierten Fachleuten für Gebäudevermessung möglich. Dieses Verfahren liefert eine originalgetreue Aufnahme von komplexen Objekten, sofern sich nicht zuviele Störkörper im Dachraum befinden. Die hohe Genauigkeit dieser Methode ist bei der Bestandsaufnahme von historischen Dachtragwerken meist nicht erforderlich. Abb. 1.5: G-7 Links: 3D-Punktwolke, Rechts: 2D-Darstellung eines Stuhls ([6] S. 57). 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 1 Bauzustandserfassung und -analyse 1.3.4 Methoden zur Schadenserfassung Grundlagen und Schwachpunkte (vgl. [5]) Die eigentliche Schadenserfassung wird sinnvollerweise erst dann durchgeführt, wenn entsprechende Pläne zur Eintragung von Art, Ort und Umfang aller Schäden erstellt wurden. Erfahrungsgemäß treten Schäden durch Pilz- oder Insektenbefall sowie durch konstruktive Mängel an folgenden Orten stark gehäuft auf: - Traufpunkten (Sparren- und Stuhlsäulenfußpunkten) Graten/Ichsen, Kaminanschlüssen Dachverschneidungen Materialwechseln (Mauerwerk – Holz) Klopfprobe (vgl. [5], [11]) Dieses Verfahren wird zur Lokalisierung nicht sichtbarer Bauteilschäden verwendet. Dazu werden alle statisch wirksamen Hölzer mit einem Zimmermannshammer (idealerweise mit glatter Bahn) angeschlagen. Die Klanghöhe (dumpf oder hell) gibt Aufschluss über den Zustand des Bauteils. Nichttragende Stäbe oder Verbindungen sowie oberflächliche Schäden können damit rasch eruiert werden. Im unmittelbaren Bereich von Verbindungen, insbesonders an den typischen Schwachstellen, wird auch vereinzelt die Spitze des Zimmermannshammers eingesetzt. Lokale Holzzerstörungen können damit detektiert und durch Bearbeitung mit der Hammerspitze das Ausmaß ermittelt werden (siehe Abb. 1.6). Abb. 1.6: Links: Ansicht vor der Klopfprobe, Rechts: danach. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung G-8 Kapitel G: Bestandserfassung und Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz Bohrwiderstandsmessung (vgl. [10], [11]) Bei dieser Untersuchungsmethode wird eine dünne Bohrnadel (Durchmesser 1,5 mm, Länge bis zu 40 cm) mit konstantem Vorschub vorgetrieben. Damit der Bohrwiderstand hauptsächlich an der Spitze der Bohrnadel anfällt ist diese doppelt so stark wie der Schaft. Dabei wird die Leistungsaufnahme des Bohrmotors gemessen und über den Bohrweg aufgezeichnet. Bei den Ergebnissen handelt es sich nicht um eindeutige Messwerte. Der erfahrene Anwender kann damit jedoch z. B. beschädigte Bereiche oder die Bauteilgeometrie ermitteln. Falls das Holz intakt ist, schwankt die vom Gerät ausgegebene Kurve abhängig von den Früh- und Spätholzbereichen. Durch Pilze oder Insekten beschädigte Bereiche können am deutlichen Abfall des Bohrwiderstandes erkannt werden (siehe Abb. 1.8). Abb. 1.7: Bohrwiderstandsmessgerät. Riss zerstörter Bereich (Innenfäule) Abb. 1.8: G-9 Protokolle von Bohrwiderstandsmessungen, Oben: Bohrung durch einen schadfreien Sparren, Unten: Bohrung durch einen Sparren mit Innenfäule ([5]). 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 1 Bauzustandserfassung und -analyse 1.3.5 Schadensanalyse – Schadensarten (vgl. [2], [6] S. 60-62) In diesem Teil der Bauzustandsanalyse liegt das Hauptaugenmerk auf der Bestimmung der Schadensursachen. Außerdem sind bei der Schadensanalyse folgende Punkte zu beachten: - Auswirkungen auf das Tragwerk abschätzen den Umfang der Schäden bestimmen und weitere Auswirkungen einschränken künftige Bauschäden verhindern oder zumindest einschränken. (vgl. [9] S. 13) Im Vergleich zu anderen Baustoffen sind bei Holz auch Schäden durch biologische Einwirkungen (Insekten, Pilze) von großer Bedeutung. Als häufigste Schadensursache in historischen Dachtragwerken ist der Pilzbefall infolge Feuchtigkeitseinwirkung zu nennen. Eine zu hohe Holzfeuchtigkeit kann aus verschiedenen Gründen auftreten, z. B.: - undichte Dachdeckung oder Anschlussverblechung aufsteigende Feuchtigkeit und mangelhafte Durchlüftung ... Eine Holzfeuchtigkeit von über 30 % fördert den Insekten- und Pilzbefall und kann zu einem völligen Festigkeitsverlust führen. Liegt Insektenbefall (Hausbock, Nagekäfer) vor, muss geprüft werden, ob dieser noch aktiv oder aber bereits abgeklungen ist. Bei einem Pilzbefall ist abzuklären ob es sich um den echten Hausschwamm handelt, da dieser auch ohne Feuchtigkeit überleben kann. Abb. 1.9: Links: infolge Pilzbefall geschädigter Stuhlsäulenfußpunkt, Rechts: Hausbockbefall. oberste Geschoßdecke Bei einer Bestandserfassung eines Dachtragwerks sollte auch die oberste Geschoßdecke zumindest punktuell untersucht werden. Handelt es sich um eine Dippelbaumdecke mit integrierten Bundträmen, so hat diese unmittelbaren Einfluss auf die Tragsicherheit des gesamten Dachwerks. Besonders im Auflagerbereich sammelt sich eintretende Feuchtigkeit und führt zum Pilzbefall der Holzbauteile. Da auf die oberste Geschoßdecke meist eine Beschüttung samt Ziegelbelag aufgebracht ist, sind Schäden an der darunterliegenden Konstruktion nicht zu erkennen. Die folgenden Abbildungen sollen die Problematik (Abb. 1.10) und die davon ausgehende Gefährdung für Menschen (Abb. 1.11) veranschaulichen. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung G - 10 Kapitel G: Bestandserfassung und Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz Abb. 1.10: Links: oberste Geschoßdecke mit Beschüttung und Ziegelbelag, Rechts: Schaden durch Pilzbefall nach Freilegung der obersten Geschoßdecke. Abb. 1.11: Deckeneinsturz in der Grazer Innenstadt am 4. Juli 2010. Der Bewohner kam glücklicherweise nicht zu Schaden [Fotos: Feuerwehr Graz] 1.3.6 Fotodokumentation Unerlässlich bei einer Bauzustandserfassung ist das Durchführen einer ausführlichen Fotodokumentation. Diese kann entweder während des Aufmessens und der Schadenserfassung (falls ein Zweier- oder Dreierteam die Arbeiten durchführt) oder als eigenständiger Schritt erfolgen. Die Lichtverhälnisse in Dachräumen reichen meist nicht aus um qualitativ hochwertige Fotos zu erstellen. Als künstliche Lichtquelle haben sich Halogenstrahler bewährt. Um Schattenbildungen zu vermeiden wird empfohlen, mindestens zwei Strahler zu verwenden. Die Fotos sollten, aufgrund ihrer erweiterten Einstellmöglichkeiten, mit einer Spiegelreflexkamera geschossen werden. Eine vollständige Fotodokumentation beinhaltet Bilder vom gesamten Dachraum, der einzelnen Dachwerksstockwerke sowie sämtlicher Verbindungen, Schäden und Instandsetzungen. Ein systematisches Vorgehen erleichtert die spätere Zuordnung der Fotos zu den einzelnen Bauteilen. 1.4 Bauzustandsanalyse – Zustandsbeurteilung Am Ende der Bestands- und Schadenserfassung bzw. Schadensanalyse kann eine Gesamtbeurteilung nach dem Handlungsbedarf erfolgen. Hierzu ist eine zuvor durchgeführte genaue statische Analyse nicht erforderlich. Für detaillierte Informationen siehe MEISEL et al. [5]. G - 11 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 2 Bestands- und Schadenserfassung am Beispiel der Franziskanerkirche in Graz 2 Bestands- und Schadenserfassung am Beispiel der Franziskanerkirche in Graz 2.1 Historie des Objekts Beim Franziskanerkloster samt Kirche handelt es sich um die früheste Klosterniederlassung in Graz mit Lage am linken Murufer. Ehemals stieß die Westseite an die mittelalterliche Stadtmauer, nördlich schloss eine Staffelhallenkirche an das Kloster an und im Norden und Osten war es von einem Friedhof umgeben. Das Kloster wird 1239 von den Minoriten gegründet und ca. 1257 der erste Kirchenbau an der Stelle des heutigen Langhauses vollendet. Im 14. Jahrhundert wird der erhöhte Langchor mit WestTurmreiter und zwei Spitzbogenfenstern nach Westen (heute im Dachraum eingemauert) angebaut. Im Jahre 1515 wird das Kloster und die Kirche den Franziskanern übergeben und kurz darauf der Westbau in eine dreischiffige Hallenkirche umgebaut. Am rechten Triumphbogen im Dachwerk gibt eine Einzeichnung mit 1519 das Vollendungsjahr wieder. Zwischen den Jahren 1861 und 1886 findet eine Regotisierung der Inneneinrichtung statt. Nachdem das Bauwerk während des zweiten Weltkrieges beschädigt wird, stellt man in den Jahren 1947 bis 1949 den Chorbereich wieder her. In den Jahren 1954/1955 erfolgt eine Innenrestaurierung. Im Vergleich zur übrigen, parallel zum Murufer ausgerichteten Bebauung, herrscht eine auffällige Schrägstellung des Baukörpers nach Südosten. Als Grund dafür wird ein früherer Seitenarm der Mur vermutet. Weiters wurde der Westturm äußerst massiv ausgeführt. Auch hier lässt sich nur die Vermutung als Begründung finden, dass der Turm eventuell für die Befestigung einer ehemaligen Brücke verwendet wurde. Der 1959 restaurierte Turm ist mit einer Zwiebelhaube bedeckt. 1970 fand eine Neueindeckung mit Kupfer und eine Fassadierung statt. Die Kirche wurde von 1982 bis 1988 einer umfassenden Renovierung unterzogen (vgl. [1] S. 33-39). Das Dachwerk des westlichen Langhauses dürfte aus dem 13. Jahrhundert stammen. Abb. 2.1: Franziskanerkirche Graz – v. l. n. r.: Presbyterium, Langhaus, ursprünglicher Wehrturm, heute Kirchturm (Aufnahmen vom Okt. 2010). 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung G - 12 Kapitel G: Bestandserfassung und Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz 2.2 Tragwerksbeschreibung Die Franziskanerkirche in Graz besitzt zwei unterschiedliche Dachtragwerke (siehe Abb. 2.1). Das Dach des Presbyteriums wurde als Kehlbalkendach mit zweistöckigem, liegendem Stuhl und Hahnenbalken ausgeführt. Bei der Überdachung des Langhauses handelt es sich um ein noch deutlich älteres Kehlbalkendach. Für das Dachwerk des Presbyteriums wurde nur eine kurze, visuelle Bestandsund Schadenserfassung durchgeführt. Auf das Dachwerk des Langhauses wird nachfolgend detailliert eingegangen. 2.2.1 Dachtragwerk des Langhauses Tragsystem Das Dachwerk des Langhauses kann in seiner ersten Ausformung als Kehlbalkendach mit drei Kehlbalkenebenen, Streben, Hängesäulen und Hängestreben bezeichnet werden (siehe Abb. 2.2). Jedes zweite Gespärre ist als Vollgespärre ausgebildet. In den dazwischen liegenden Leergespärren kommt die Konstruktion ohne Streben, Hängestreben und Hängesäulen aus. Das Tragwerk wurde gemäß DEHIO Graz [1] im Jahre 1257 vollendet. Ursprünglich hatte das Langhaus eine Flachdecke, wovon auch noch Malereien in einem Bereich des Dachwerks zeugen (siehe Abb. 2.3 rechts). Im Jahre 1515 wurde das Kloster und die Kirche den Franziskanern übergeben, welche kurz darauf den Westbau in eine dreischiffige Hallenkirche umgestalteten. Im Zuge dieser, bis 1519 dauernden, Arbeiten wurde das mittlere Gewölbe in das Dachwerk eingebaut, was umfangreiche Tragwerksveränderungen erforderlich machte. So mussten alle Bundträme, Hängesäulen und Hängestreben gekappt werden (siehe Abb. 2.3 links). Die beiden nordseitig stehenden Stuhlwände, sowie die südseitige Stuhlwand wurden aller Wahrscheinlichkeit nach erst zu diesem Zeitpunkt eingefügt. Die mittigen Hängesäulen wurden zudem mittels Ziegelstücken auf das Gewölbe abgestellt. Abb. 2.2: G - 13 Übersicht des Dachraumes – Links: 3. Kehlbalkenebene, Rechts: 2. Kehlbalkenebene. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 2 Bestands- und Schadenserfassung am Beispiel der Franziskanerkirche in Graz Abb. 2.3: Links: Gewölbe – 1. Kehlbalkenebene, Rechts: Malerei aus dem 13. Jahrhundert. Verbindungen An den Streben- und Sparrenfußpunkten der Vollgespärre wurden die Hölzer durch Stirnversatzzapfen mit den Bundträmen verbunden (siehe Abb. 2.4 links). In den Leergespärren wurden die Sparren unmittelbar auf die Mauerbänke gestellt. Außer einer geringfügigen Ausnehmung in der Mauerbank konnte hier KEINE Verbindung festgestellt werden (Abb. 2.4 rechts). Nahezu alle weiteren Verbindungen wurden als Überblattung bzw. als Weißschwanz ausgeführt (siehe Abb. 2.5). Einen Überblick aller Verbindungen gibt Tab. 2.1. Abb. 2.4: Links: Verbindung (VB) Bundtram – Strebe: Stirnversatzzapfen, Rechts: VB Sparren – Mauerbank. Abb. 2.5: Links: VB Strebe – Kehlbalken: Überblattung mit Holznagel, Rechts: VB Sparren – Kehlbalken: Weißschwanz mit Holznagel. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung G - 14 Kapitel G: Bestandserfassung und Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz Abb. 2.6: Links: VB Längsbalken – Hängesäule, Kehlbalken – Hängesäule und Strebe – Kehlbalken: Überblattung mit Holznagel, Rechts: VB Mauerbank – Bundtram: Kamm. Tab. 2.1: Übersischt Knoten Verbindung Art Mauerbank – Mauerbank Mauerbank – Bundtram Bundtram – Sparren Bundtram – Strebe Sparren – Kehlbalken Sparren – Hahnenbalken Sparren – Hängestrebe Strebe – Kehlbalken Hängestrebe – Kehlbalken Hängestrebe – Strebe Kehlbalken – Hängesäule Hahnenbalken – Hängesäule Hängestrebe – Hängesäule Längsbalken – Hängesäule Steigband – Hängesäule Kamm Zapfen Zapfen Blatt Blatt Blatt Blatt Blatt Blatt Blatt Blatt Blatt Blatt Blatt Steigband – Längsbalken Blatt Bundtram – Schwelle Schwelle – Stuhlsäule Stuhlsäule – Rähm Steigband – Stuhlsäule Steigband – Schwelle Steigband – Rähm Rähm – Kehlbalken Strebe – Hängesäule Sparren – Hängesäule Sparren – Sparren Zapfen Zapfen Blatt Blatt Blatt Zapfen Zapfen Zapfen G - 15 Lagesicherung Detail Mittel nicht einsehbar nicht erfasst – Fersenversatzzapfen – Fersenversatzzapfen – Weißschwanz Holznagel Weißschwanz Holznagel Weißschwanz Holznagel Überblattung Holznagel Überblattung Holznagel Überblattung Holznagel Überblattung Holznagel Überblattung Holznagel Weißschwanz Holznagel Überblattung Holznagel Überblattung Holznagel Überblattung/ Holznagel Weißschwanz nicht einsehbar einfacher Zapfen – einfacher Zapfen Holznagel Überblattung Holznagel Weißschwanz Holznagel Weißschwanz Holznagel liegen „frei“ auf – Fersenversatzzapfen – Fersenversatzzapfen – Scherzapfen Holznagel Holzart – – – Hartholz Hartholz Hartholz Hartholz Hartholz Hartholz Hartholz Hartholz Hartholz Hartholz Hartholz Hartholz – Hartholz Hartholz Hartholz Hartholz – – – Hartholz 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 2 Bestands- und Schadenserfassung am Beispiel der Franziskanerkirche in Graz 2.3 Erstellen von Bestandsplänen 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung G - 16 Kapitel G: Bestandserfassung und Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz G - 17 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 2 Bestands- und Schadenserfassung am Beispiel der Franziskanerkirche in Graz 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung G - 18 Kapitel G: Bestandserfassung und Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz 2.4 Schadenserfassung und Schadensanalyse (Auszug) Das gesamte Tragwerk ist stark verschmutzt (siehe Abb. 2.7). Dies behindert die Austrocknung von eventuell eingedrungener Feuchtigkeit und fördert somit die Schädigung der Holzbauteile. Abb. 2.7: Links: verschmutzter Sparren-/Strebenfußpunkt, Rechts: grob gereinigter Sparren-/Strebenfußpunkt. Zahlreiche Verbindungen klaffen oder haben versagt (siehe Abb. 2.8 und Abb. 2.9). Abb. 2.8: Links: klaffende Weißschwanzverbindung, Rechts: versagte Weißschwanzverbindung. Abb. 2.9: Klaffende Weißschwänze und Überblattungen. G - 19 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 2 Bestands- und Schadenserfassung am Beispiel der Franziskanerkirche in Graz Einzelne Stäbe und Verbindungen fehlen komplett (siehe Abb. 2.10). Abb. 2.10: Links: gekappte Strebe, Rechts: fehlendes Blatt eines Weißschwanzes. Zahlreiche Sparren sind schwer geschädigt und/oder nicht fachgemäß instandgesetzt worden (siehe Abb. 2.11 und Abb. 2.12). Abb. 2.11: Links: geschädigter Sparren mit Einstückelung, Rechts: Sparrenstoß mit liegendem Blatt (keine Tragfähigkeit für Biegemomente). Abb. 2.12: Links: Sparrenstoß mit liegendem, schrägen Blatt, Rechts: Überlappung mit einem Bolzen (keine Tragfähigkeit für Biegemomente). Rund die Hälfte aller Streben- und Sparrenfußpunkte sind entweder infolge von Pilzbefall geschädigt oder nicht fachgemäß instandgesetzt worden (siehe Abb. 2.13 bis Abb. 2.18). 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung G - 20 Kapitel G: Bestandserfassung und Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz Abb. 2.13: Geschädigte Sparrenfußpunkte verschiedener Leergespärre. Abb. 2.14: Geschädigte Fußpunkte in unterschiedlichen Vollgespärren. G - 21 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 2 Bestands- und Schadenserfassung am Beispiel der Franziskanerkirche in Graz Abb. 2.15: Links: nicht fachgemäß instandgesetzter Fußpunkt eines Vollgespärres, Rechts: geschädigter Sparrenfußpunkt eines Leergespärres. Abb. 2.16: Keine Verbindung zwischen Strebe und Bundtram bzw. Sparren und Bundtram (von der Klammer einmal abgesehen). Abb. 2.17: Links: Bohrwiderstandsmessung durch den Sparren. Ergebnis: der Sparren ist weitgehend zerstört, Rechts: geschädigte Streben- und Sparrenfußpunkte im angrenzenden Vollgespärre. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung G - 22 Kapitel G: Bestandserfassung und Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz Abb. 2.18: Links: Fruchtköper des „Weißen Porenschwammes“ an der Mauerbank, Rechts: die Mauerbank ist infolge von Innenfäule zerstört (siehe Eindringtiefe des Lattenhammers). 2.5 Zustandsbeurteilung (vgl. [5]) Beurteilung 1... Schadensfolgeklasse: Kirche Ereigniseintrittswahrscheinlichkeit 0... [K1] hoch 0... [K2] nicht in den letzten 50 Jahren 1,5... [K3] Rund die Hälfte der Streben- und Sparrenfußpunkte sind entweder infolge von Pilzbefall schwer geschädigt oder nicht fachgerecht instand gesetzt worden. Zahlreiche Sparren sind schwer geschädigt und/oder nicht fachgerecht instand gesetzt worden. 0,5... [K4] Zahlreiche Verbindungen haben versagt. 0... [K5] Da der Einbau der Gewölbe vor langer Zeit stattfand und ursprünglich keine Schäden auftraten, wird angenommen, dass kein konstruktiver Mangel vorliegt. 0,5... [K6] Zahlreiche Verbindungen klaffen. 0,5... [K7] Starke Verschmutzung des gesamten Tragwerks. 0... [K8] keine 0... In-Situ-Probebelastungen: keine 4... Summe Es liegt Handlungsbedarf innerhalb der nächsten Monate vor. (Die Instandsetzung ist angedacht.) G - 23 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz 3 Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz 3.1 Übersicht Um für das Forschungsprojekt D(N)ACHHALTIGKEIT Graz eine möglichst repräsentative Auswahl an Objekten im Grazer Altstadtkern (Schutzzone 1) zu erhalten, wurden insgesamt 35 Dachtragwerke besichtigt (erste Begehung, siehe Kap. 1.2). An 10 dieser 35 Objekte wurde eine Bestands- und Schadenserfassung samt Zustandsbeurteilung durchgeführt (siehe Kap. 1.3 und Kap. 1.4). Sämtliche Besichtigungen im Rahmen des Projektes sind in Tab. 3.1 chronologisch angeführt. Bis auf das Schloss Eggenberg, die Andräschule und das Objekt Brockmanngasse 119 befinden sich alle hier angeführten Bauwerke in der historischen Altstadt von Graz (siehe Abb. 3.1). Im Durchschnitt wurden für jede Liegenschaft rund 40 Fotos gemacht und ein Kurzbericht verfasst. Aufgrund des zeitlich engen Rahmens für die Besichtigungen kann nicht ausgeschlossen werden, dass einzelne – unter Umständen schwerwiegende – Schäden übersehen wurden. Festgestellte Mängel wurden auf Wunsch den jeweiligen Liegenschaftseigentümern auch schriftlich mitgeteilt. 30 1 12 11 4 14 28 6 9 Abb. 3.1: Luftaufnahme der Stadt Graz mit Schutzzone 1 und den Positionen der aufgenommen Objekte (Punkte). Bei den Kreisen handelt es sich um die besichtigten (nicht im Detail aufgenommenen) Objekte. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung G - 24 Kapitel G: Bestandserfassung und Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz 3.2 Zustand Die in Tab. 3.1 angeführten Objekte befinden sich fast ausschließlich im Besitz bzw. der Verwaltung der LIG, BIG, dem Land Steiermark und der Stadt Graz. Mit Ausnahme von drei Liegenschaftseigentümern zeigten alle anderen privaten Besitzer der betroffenen Objekte kein Interesse an einer Zusammenarbeit, bzw. verwiesen auf die Tatsache, dass die Dachräume bereits ausgebaut und somit unzugänglich seien. Tab. 3.1: Objektübersicht und Instandsetzungsbedarf (fett = detaillierte Erfassung, vgl. Abb. 3.1). Nr. Datum Adresse Instandsetzungsbedarf / Verschmutzung 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35 25.02.10 u. 30.06.10 01.03.10 01.03.10 01.03.10 u. 26.03.10 02.03.10 10.03.10 u. 28.07.10 11.03.10 u. 02.06.10 19.03.10 19.03.10 u. 12.04.10 19.03.10 24.03.10 u. 16.06.10 24.03.10 u. 15.06.10 25.03.10 30.03.10 u. 29.06.10 08.04.10 08.04.10 09.04.10 09.04.10 09.04.10 09.04.10 09.04.10 09.04.10 09.04.10 09.04.10 05.07.10 05.07.10 05.07.10 07.07.10 u. 08.07.10 26.07.10 26.07.10 u. diverse 13.10.10 14.10.10 14.10.10 14.10.10 21.10.10 Sporgasse 16 Kernstockgasse 1, Andräschule Brockmanngasse 119 Färbergasse 11, Ferdinandeum Burggase 3, Dom Franziskanerplatz 14, Franziskanerkloster Eggenberg Allee 90 Schloss Eggenberg Herrengasse 16 Landhaus Herrengasse 16 Zeughaus Hofgasse 15 Grazer Burg Hofgasse 10a Hofgasse 10, Musikuniversität Sackstraße 17, Palais Attems Hofgasse 14, Alte Universität Hauptplatz 1, Rathaus Schmidgasse 26, Amtshaus Bürgergasse 15, Akademisches Gymnasium Marburger Kai, Oberlandesgericht Parkring 10, Sicherheitsdirektion Paulustorgasse 8, Bundespolizeidirektion Paulustorgasse 10 Paulustorgasse 12 Paulustorgasse 19 Paulustorgasse, Stöcklhaus Neutorgasse 45, Joanneumsviertel Raubergasse 10, Joanneumsviertel Stempfergasse 4 Franziskanerkirche Sporgasse 15 Sackstraße 16, Palais Herberstein Hofgasse 11, Schauspielhaus Karmeliterplatz 1 Paulustorgasse 4 Sporgasse 9 Burggasse 2 ja, konstruktiv / ja nein / ja ja, vereinzelt / nein ja, vereinzelt / ja ja, vereinzelt / ja ja, vereinzelt / ja nein / ja nein / ja ja, vereinzelt / ja nein / ja ja, vereinzelt / ja ja, vereinzelt / ja ja, vereinzelt / ja ja, vereinzelt / ja ja, vereinzelt / nein ja, vereinzelt / ja nein / nein nein / nein nein / nein Schadenserfassung empfohlen / ja nein / nein ja, zahlreich / ja, extrem nein / ja nein / nein nein / ja ja, einzelne / ja ja, vereinzelt / nein ja, zahlreich / ja, extrem ja, zahlreich / nein ja, zahlreich / ja nein / nein Schadenserfassung empfohlen / ja ja / ja ja / ja ja / ja G - 25 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz 3.2.1 Beurteilung nach dem Handlungsbedarf Im Rahmen einer Begehung kann nur entschieden werden, ob Instandsetzungsbedarf besteht oder nicht, bzw. dass keine Bewertung möglich ist. Instandsetzungsbedarf besteht immer dann, wenn offensichtliche Schäden vorliegen (z. B. zerstörte bzw. versagte Holzbauteile und/oder Verbindungen etc.) und/oder das Tragwerk stark verschmutzt ist. In einzelnen Fällen liegen Indizien für Schäden vor (z. B. nachträgliche Sparrenknechte), allerdings sind keine Schäden visuell erkennbar. In diesen Fällen wurde keine Bewertung durchgeführt. Für jene zehn Objekte an denen eine Bestands- und Schadenserfassung erfolgte, wurde eine Beurteilung nach dem Handlungsbedarf durchgeführt. Folgende Bewertungen sind möglich: - keine (Aufgrund mangelhafter Zugänglichkeit war keine Beurteilung möglich. Sind Teile des Tragwerks/der Dachhaut etc. nicht zugänglich, wird dies vermerkt.) 1 (Augenscheinlich ist alles in Ordnung, somit besteht kein Handlungsbedarf.) - Abb. 3.2: ausreichend gering Zuverlässigkeit des Tragwerks Liegt Handlungsbedarf vor kann das in Abb. 3.2 gezeigte Bewertungsschema (beruhend auf einem Notensystem) angewandt werden. Für nähere Informationen siehe [5]. 1 Handlungsbedarf ... 2 ... bei der nächsten Erneuerung der Dachdeckung 3 ... innerhalb der nächsten fünf Jahre 4 ... innerhalb weniger Monate 5 ... unmittelbar (GEFAHR IM VERZUG) Notensystem zur Beurteilung nach dem Handlungsbedarf (vgl. [5]). ... für alle Bestands- und Schadenserfassungen (#10) ... für alle Begehungen (#35) [%] (2# ohne Bewertung) [%] Eggenberg Allee 90 Sporgasse 16, Franziskanerplatz 14 Hofgasse 10, Hofgasse 10a Färbergasse 11, Herrengasse 16 Hofgasse 14, Franziskanerkirche 40 70 1# 4# 4# 60 30 50 40 20 30 20 10 10 25# 8# JA NEIN Instandsetzungsbedarf ... Abb. 3.3: 3 4 2 1 Beurteilung nach dem Handlungsbedarf ... Sackstraße 16 80 1# 5 Ergebnisse der Beurteilungen, Links: der Begehungen, Rechts: der Bestandserfassungen. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung G - 26 Kapitel G: Bestandserfassung und Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz Resümee Jeder der untersuchten Dachstühle ist als erhaltungsfähig einzustufen. Der Erhaltungsaufwand reicht von punktuellen Instandsetzungsmaßnahmen bis zu neu einzubauenden Konstruktionen. Die Mehrzahl der erforderlichen Instandsetzungmaßnahmen beinhalten Reparaturen der durch Feuchte geschädigten Bauteile und Anschlüsse. Bei nahezu allen Kehlbalkendächern sind immer die Traufknotenpunkte geschädigt. Die Tragfähigkeit der Verbindungen zwischen den Sparren und Bundträmen kann durch handwerkliche Instandsetzung in ihrer bisherigen Konstruktionsart meist vollständig wiederhergestellt werden. Wie aus Tab. 3.1 hervorgeht weisen beinahe 80 % aller begangenen Dachwerke Instandsetzungsbedarf auf (vgl. Abb. 3.3 links). Bei den zehn detailliert aufgenommen Objekten, welche im Durchschnitt rund 400 Jahre alt sind, zeigt sich folgendes Bild: Die Hälfte der erfassten Dachwerke wurden mit den Noten 4 und 5 beurteilt. Das bedeutet, dass hier Handlungsbedarf innerhalb der nächsten Monate vorliegt. Die Note 1 konnte nicht vergeben werden (vgl. Abb. 3.3 rechts). Um eine umfassende Aussage über die Tragwerkszuverlässigkeit der Grazer Dachtragwerke in der Kernzone 1 treffen zu können, sind zahlreiche weitere Begehungen sowie Bestandserfassungen, Schadenserfassungen und Beurteilungen notwendig. Da sich jedoch viele Objekte in Privatbesitz befinden, ist der Zugang zu den Objekten größtwahrscheinlich nur mittels behördlicher Vorschreibungen vollständig zu erreichen. G - 27 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 4 Literatur 4 [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] Literatur DEHIO Graz, bearbeitet von Horst Schweigert. Verlag Anton Schroll & Co., Wien, 1979. ISBN 3-7031-0475-9 ERLER K.: Alte Holzbauwerke: Beurteilen und Sanieren. 3. Auflage Neufassung. Berlin: Huss-Medien GmbH Verlag Bauwesen, 2004. -ISBN 3-345-00864-5 IBOLD S.: Sanieren im Dach- und Holzbau : Grundlagen - Anforderungen - Beispiele. Köln : Verlagsgesellschaft Rudolf Müller GmbH & Co. KG, 2010. - ISBN 978-3-481-02680-6 LAND STEIERMARK (Hrsg.) ; Landesgesetzblatt : Steiermärkisches Baugesetz, Juni 2008 MEISEL A., SILLY G., MOOSBRUGGER T., FERK H., SCHICKHOFER G.: Erste semivisuelle Zuverlässigkeitsbeurteilung historischer Dachtragwerke aus Holz, Fachartikel, unveröffentlicht. Institut für Holzbau und Holztechnologie, Technische Universität Graz, 2011. MEISEL A.: Historische Dachstühle - Diplomarbeit. Institut für Holzbau und Holztechnologie, Technische Universität Graz, 2009. MEISEL A., ZEHETGRUBER J., SCHICKHOFER G.: Historische Dachtragwerke aus Holz – Klassifizierung und Entwicklung aus statischer Sicht, TEIL 1, Fachartikel, unveröffentlicht. Institut für Holzbau und Holztechnologie, Technische Universität Graz, 2011. MEISEL A.: Vorlesungsfolien Bestandsanalyse und Instandhaltung von Holzkonstruktionen. Institut für Holzbau und Holztechnologie, Technische Universität Graz, SS 2010. MÖNCK W.: Schäden an Holzkonstruktionen. 3. Auflage Berlin: Huss-Medien GmbH Verlag Bauwesen, 1999. - ISBN 3-345- 00668-5 RINN F.: Konzept für Zustandsanalysen von Holzkonstruktionen. Bauen mit Holz 10/2006. Bruderverlag, Karlsruhe SEIM W.: Historische Holztragwerke-Zustandserfassung, Vorlesungsfolien Universität Kassel. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung G - 28 H Alterung und (Rest)Tragfähigkeit von Bauholz G. Schickhofer, R. Brandner Univ.-Prof. DI Dr. techn. Gerhard Schickhofer 1990 Diplom | TU Graz 1994 Doktorat | TU Graz 1999 Habilitation | TU Graz | venia docendi 'Holzbau und Holztechnologie' 2002 Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter der holz.bau forschungs gmbh | Kompetenzzentrum für Holzbau und Holztechnologie 2004 Professor für Holzbau und Holztechnologie | TU Graz 2008 stellvertr. Dekan der Fakultät für Bauingenieurwissenschaften Mitgliedschaften und Mitwirkungen in Gremien seit 2010 bei ICOMOS DI (FH) Reinhard Brandner H-1 2006 Abschluss des Studiums Holztechnik und Holzwirtschaft an der Fachhochschule Salzburg/Kuchl seit 2009 Wissenschaftlicher Assistent am Institut für Holzbau und Holztechnologie der TU Graz 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 1 Einleitung 1 Einleitung Bevor im folgenden Kapitel auf die Tragfähigkeit von Altholz an Hand eines konkreten Beispiels (Messehalle 11 | Graz) eingegangen wird, ist es angebracht, einige grundlegende und allgemeingültige Anmerkungen zu diesem Thema darzulegen. In den zusammenfassenden Schlussbemerkungen seiner Dissertation schreibt Nier [5]: "Allen Werkstoffen sind Alterungserscheinungen mehr oder weniger eigen. Alterungserscheinungen sind deshalb nicht als Mangel, sondern als eine natürliche Erscheinung aufzufassen, der mehr oder weniger alle Baustoffe unterliegen". Im Rahmen der Bestandsanalyse von Holzkonstruktionen und der darauf folgenden Bewertung der Tragfähigkeit drängt sich stets die Frage der Festigkeit und Steifigkeit alter Bauhölzer sowie der dort primär verwendeten Holz-HolzVerbindungstechnik auf. 2 Stand des Wissens und der Forschung Recherchiert man zur Thematik "Alterung und Resttragfähigkeit von Bauholz" in der Fachliteratur so lässt sich nicht allzu viel finden. Rug und Seemann [7] befassen sich in ihrer Arbeit mit der Bestimmung der Druckfestigkeit parallel zur Faser von Altholz an kleinteiligen merkmalsfreien (frei von Ästen, Rissen, etc.) Bohrkernen mit 15 mm Durchmesser und einer Länge zwischen 25 und 40 mm sowie von Neuholz an prismatischen Proben. Die Prüfungen wurden mit Neuholz (Eiche, Buche, Fichte und Kiefer) begonnen und mit jenen an Altholz mit einem Alter zwischen 60 und 200 Jahren abgeschlossen. Trotz unterschiedlicher Prüfkörperform und Dimension (ein diesbezüglicher Einfluss kann nicht ausgeschlossen werden), welcher zwischen Neu- und Altholzproben gegeben war, wurden von Rug und Seemann für Altholz die gleichen Druckfestigkeiten wie für Neuholz festgestellt. Es konnte somit kein (erwarteter) Abfall der Druckfestigkeit von langjährig beanspruchtem merkmalsfreiem Holz beobachtet werden. Ehlbeck und Görlacher [1] stellen bei Untersuchungen von Werkstoffeigenschaften an 100 bis 500 Jahre altem Konstruktionsholz, ebenfalls durchgeführt an kleinen merkmalsfreien Proben, fest, dass die Druck-, Biege- und Scherfestigkeiten von altem Holz jenen für neues Holz entsprechen. Beispielsweise lag die mittlere Scherfestigkeit für Fichte / Tanne, durchgeführt an 70 Scherproben in Anlehnung an die Prüfkonfiguration der DIN 52187 [17], bei 9,6 N/mm2 (Variationskoeffizient: 9,5 %, Holzfeuchte: 12 bis 13 %). Dieser Wert liegt in der Größenordnung von neuem Holz. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch Nier [5]. Er stellt fest, dass bezogen auf einen Zeitraum von 100 Jahren mit einer Druckfestigkeitsminderung basierend auf kleinformatigen Normproben in der Höhe von lediglich 0,84 bis 0,94 % – also weniger als ein Prozent – zu rechnen ist. Resümierend kann – basierend auf den oben erwähnten drei Arbeiten – der Schluss gezogen werden, dass die Druck-, Biege- und Schubfestigkeiten, ermittelt an fehlerfreien kleinformatigen Normproben aus Alt- und Neuholz für die Holzarten Fichte, Kiefer, Buche und Eiche, keine signifikanten Unterschiede zeigen. Biotische Schäden durch Pilze und Insekten, welche mit einem unzureichenden Holzschutz respektive mit einer mangelhaften Holz- und Bauwerkspflege in Verbindung gebracht werden können, sind bei der obigen Betrachtung ausgeschlossen, d. h. man ging bei allen oben erwähnten Untersuchungen von diesbezüglich nicht geschädigten Hölzern aus. Es stellt sich nun die Frage, ob diese für merkmalsfreie Kleinproben getroffenen Aussagen auch für Konstruktionsholz in Bauteilgröße ihre Gültigkeit haben. Ehlbeck und Görlacher [1] ermittelten die Biegefestigkeit an 57 Prüfkörpern, welche aus 13 Gebäuden stammten. Das Alter dieser Bauteile lag zwischen 100 und 500 Jahre. Es wurde festgestellt, dass die Biegefestigkeiten teilweise deutlich unter den Werten, die für neues Bauholz gefordert werden, lagen. Dies wurde auf die Reduzierung des tragenden Querschnittes infolge Pilz- und Insektenbefall, anderen Unregelmäßigkeiten, wie 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung H-2 Kapitel H: Alterung und (Rest)Tragfähigkeit von Bauholz Aussparungen und größeren Baumkanten, zurückgeführt. Im Beitrag wird festgehalten, dass bezüglich der Werkstoffeigenschaften, trotz der ungünstigen Probenauswahl primär aus Gebäuden mit Mängeln welche einen Abriss bedingen, kein signifikanter Unterschied zwischen altem und neuem Holz besteht. Nier [5] spricht in seiner Dissertation von deutlicheren Festigkeitsverlusten im Vergleich zu merkmalsfreien Kleinproben. Es wird von einer Minderung von 5 % bis 14 % für die Druckfestigkeit gesprochen. Für die Biegefestigkeit wird ein Alterungseinfluss über einen Zeitraum von 100 Jahren von rund 7 % ermittelt. Resümierend kann festgehalten werden, dass für Prüfkörper in Bauteilgröße einerseits darauf zu achten ist, dass biotisch nicht geschädigtes Material mit nachvollziehbaren Querschnitten untersucht wird. Andererseits ist davon auszugehen, dass mit einer geringfügig altersbedingten Minderung der Werkstoffkenngrößen zu rechnen sein wird, wobei festgehalten werden muss, dass der Umfang an vorliegenden Untersuchungen als gering zu bezeichnen ist. 3 Festigkeits- und Steifigkeitsuntersuchungen an der Messehalle 11 | Graz 3.1 Allgemeines Im Zuge der Neustrukturierung der Messe Graz wurde die denkmalgeschützte so genannte Messehalle 11 (siehe Abb. 3.1) – errichtet im Jahre 1939 – abgebaut, auf geeignete Weise zwischengelagert und im Anschluss an den Neubau der Messehalle auf reduzierter Grundrissfläche wieder aufgebaut. Im Rahmen der statisch-konstruktiven Bearbeitung der alten Messehalle 11 durch ein Grazer Ingenieurbüro wurde die Frage nach dem Festigkeits- und Steifigkeitsverhalten der eingesetzten Bauhölzer gestellt. Dieser Fragestellung wurde im Rahmen einer nicht zerstörenden und einer zerstörenden Ermittlung der mechanischen Eigenschaften anhand einer aus einem Randträger des Haupttragwerkes der Messehalle 11 entnommenen Stichprobe nachgegangen. Diesbezüglich wurde ein Forschungsprojekt an das Institut für Holzbau und Holztechnologie der Technischen Universität Graz beauftragt. Abb. 3.1: Messehalle 11: (links) um 1940; (rechts) Innenansicht vor Abriss (Pirker [6]). Der Schwerpunkt dieses Projektes lag in der Ermittlung der mechanischen Eigenschaften von aus einem Fachwerkbinder entnommenen Tragwerksteilen. Diese Stichprobe wurde sowohl zerstörungsfreien als auch zerstörenden Prüfungsprozederen unterzogen. Die zerstörungsfreie ("Non-DestructiveTesting", kurz NDT) Prüfung wurde mittels einer Ultraschalllaufzeitmessung, die zerstörende Prüfung H-3 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Festigkeits- und Steifigkeitsuntersuchungen an der Messehalle 11 | Graz in Anlehnung an die ÖNORM EN 408 "Holzbauwerke – Bauholz für tragende Zwecke und Brettschichtholz – Bestimmung einiger physikalischer und mechanischer Eigenschaften" [11] durchgeführt. Das Ziel dieser Untersuchungen war es, mittels der Ergebnisse aus den Festigkeits- und Steifigkeitsuntersuchungen Rückschlüsse auf die mechanischen Eigenschaften der verbliebenen Tragwerkselemente der Messehalle 11 zu tätigen. Eine normative Einordnung der untersuchten Stichprobe in die Festigkeitsklassen der ÖNORM EN 338 [10] ist nicht möglich, da weder der Versuchsumfang noch die Prüflängen aufgrund verschiedener Randbedingungen den Anforderungen vollinhaltlich entsprechen. 3.2 Material und Methoden 3.2.1 Material | Stichprobe Die zu untersuchende Stichprobe mit einem Umfang von 62 Prüfkörpern wurde einem als Fachwerkträger konzipierten Randträger des Haupttragwerkes der Messehalle 11 entnommen. Es handelt sich dabei um Probekörper der Holzart Fichte (lat. Picea abies), im Allgemeinen einstielig eingeschnitten, sodass sowohl juvenile als auch adulte Zonen im Querschnitt vorhanden sind. In der folgenden planlichen Darstellung (Abb. 3.2) sind die entnommenen Einzelstäbe abgebildet und gekennzeichnet. Abb. 3.2: (links) Ansicht bzw. statisches System des Randträgers (entnommene Einzelstäbe gekennzeichnet); (rechts) Probenentnahme an einem Randträger der Messehalle 11 (Jeitler und Schickhofer [3]). Aufgrund der Situierung und Größe der Knoten konnten nicht alle Einzelstäbe des Randträgers in für die Festigkeits- respektive Steifigkeitsprüfung geeigneter Länge entnommen werden. Das oben abgebildete statische System des Randträgers zeigt die entnommenen und der Prüfung zugeführten Einzelstäbe (diese sind 2- bzw. 3-teilig als gespreizte Stäbe ausgeführt; siehe Abb. 3.3). 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung H-4 Kapitel H: Alterung und (Rest)Tragfähigkeit von Bauholz Abb. 3.3: Entnahme des Stabes O1 (Obergurt), gespreizte Ausführung, bestehend aus drei Einzelstäben O1_01, O1_02, O1_03 (Jeitler und Schickhofer [3]). Bei der Entnahme war augenscheinlich, dass aufgrund des einstieligen Einschnittes und der damit verbundenen Lage der Markröhre im Querschnitt, die entnommenen Probekörper erhebliche Schwindrisse aufwiesen (siehe Abb. 3.4). Dieser Umstand hatte in weiterer Folge Auswirkungen auf die nachfolgend beschriebene Biegeprüfung nach ÖNORM EN 408 [11]. Im Rahmen dieser wird der jeweilige Querschnitt auch auf Schub belastet, welcher von der verbliebenen schubtragfähigen Restfläche übernommen werden muss. Zudem ist im Rahmen der Biegeprüfungen auch aufgrund der teilweise nicht normenkonformen Prüflänge damit zu rechnen, dass einige Probekörper nicht wie gewünscht auf Biegung, sondern auf Schub versagen werden. Abb. 3.4: Beispiele von gerissenen Querschnitten: Einschnitt einstielig, Kern im Querschnitt. Im Allgemeinen ist die Form und Ausprägung der einschnittabhängigen (einstielig, mehrstielig) und im Querschnitt in radialer Richtung zum Kern hin verlaufenden Risse mit Fortsetzung an den Seitenflächen eines Vollholzquerschnittes neben der Holzqualität und des Trocknungsprozesses auch von der Querschnittsgröße abhängig. Für die Nachweisführung gerissener Querschnitte stellt sich die Frage des ansetzbaren Restquerschnittes. In diesem Zusammenhang ist es notwendig, die Rissabmessungen – Tiefe, Breite, Länge – möglichst genau zu erfassen. Von prioritärer Bedeutung ist hierbei weniger die Rissbreite, sondern vielmehr die Risstiefe (siehe Abb. 3.4). H-5 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Festigkeits- und Steifigkeitsuntersuchungen an der Messehalle 11 | Graz 3.2.2 Ermittlung physikalischer Kenngrößen | Holzfeuchtigkeit und Rohdichte Die 62 Probekörper wurden dem Randträger des Haupttragwerkes der Messehalle 11 am 19. und am 23. Oktober 2006 durch die Firma Graf Holztechnik entnommen. Im selben Schritt wurden jedem Probekörper auch Kleinproben zur Ermittlung der Holzfeuchtigkeit nach der Darrmethode (in Anlehnung an ÖNORM EN 13183 [12]) entnommen, sofort danach verwogen und in einem Darrschrank bei einer Temperatur von 103 ± 2 °C bis zur Massenkonstanz getrocknet. Nach einer Abkühlphase in einem Exsikkator auf rund 20 °C wurden die Kleinproben abermals verwogen und die jeweilige Holzfeuchte bestimmt. An allen Probekörpern wurden die Querschnittsabmessungen h, b (Mittelwert aus jeweils 3 Messungen verteilt über die Länge des Probekörpers) und der Länge l ermittelt und die Bestimmung der Masse vorgenommen. Daraus konnte die jeweilige Rohdichte 12 bei Referenzholzfeuchte uref = 12 % ermittelt werden. 3.2.3 Ermittlung mechanischer Kenngrößen | Biegung und Schub Im Rahmen der Festigkeits- respektive Steifigkeitsprüfung wurde die Stichprobe von 62 Stück geteilt und einer Zugprüfung (alle im Fachwerkträger zugbeanspruchten Holzbauteile, Umfang: 24 Stück) bzw. einer 4-Punkt-Biegeprüfung (alle anderen Holzbauteile, Umfang: 38 Stück) in Anlehnung an die ÖNORM EN 408 [11] zugeordnet. Die Zugprüfungen wurden bis dato aufgrund technischer Hindernisse (fehlende Kapazität der Zugprüfeinrichtungen) nicht durchgeführt. Im Rahmen der Biegeprüfung wurden die Probekörper einer Beanspruchung über einen 4-PunktBiegeversuch in Anlehnung an die ÖNORM EN 408 [11] ausgesetzt (siehe Abb. 3.5). Die Spannweiten der Biegeprüfung entsprachen teilweise nicht den in der entsprechenden Norm geforderten Werten (15 · hNennwert l1 21 · hNennwert). Abb. 3.5: Biegeprüfung am Probekörper D1_03: Versagen auf Schub (Jeitler und Schickhofer [3]). Anhand der Prüfergebnisse und Prüfprotokolle wurde der lokale statische Biege-E-Modul, die Biegebzw. Schubfestigkeit respektive Schub- und Biegespannung zum Zeitpunkt des Versagens bestimmt, sowie eine Zuordnung in die Versagenskategorien Biegung (B) und Schub (S) durchgeführt. Die angegebenen Kenngrößen der E-Module, Rohdichte und Schubfestigkeit wurden zudem auf die Referenzholzfeuchte von uref = 12 % transformiert. Bei 12 # Proben konnte aufgrund ausreichender 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung H-6 Kapitel H: Alterung und (Rest)Tragfähigkeit von Bauholz Länge eine Standardbiegeprüfung gemäß ÖNORM EN 408 [11], mit Krafteinleitung in den Drittelpunkten und einem Abstand zwischen Auflager und Krafteinleitung von a = 6 · h, durchgeführt werden. Die verbleibenden 26 # Biegeprüfungen wurden mit verkürzter Spannweite und einem Verhältnis a / h im Bereich von [3,0 ÷ 4,5] bewerkstelligt. Hierbei versagten 10 # (38 %) auf Biegung, bei 16 # (62 %) kam es vorzeitig zu einem Schubversagen. In Folge dessen wird für die Auswertung der Biegekenngrößen und Diskussion der Zuordnung der Proben zu einer Festigkeitsklasse gemäß ÖNORM EN 338 [10] alleinig auf die 12 # Biegeproben mit a / h = 6,0 zurückgegriffen. Dies gilt insofern rechtfertigbar, als die zerstörungsfrei ermittelbaren Kenngrößen wie Rohdichte und E-Modul aller Proben und Sub-Gruppen im Mittel wie auch in der Streuung (z. B. Variationskoeffizient, CoV) vergleichbar sind. Einen Überblick hierzu bietet die Tab. 3.1. Eine Ausnahme gilt bei Vergleich der CoV-Werte beim lokalen Biege-E-Modul. Hier zeigt sich bei der Sub-Gruppe a / h = [3,0 ÷ 4,5] ein unerwartet hoher Variationskoeffizient welcher sich jedoch in den dynamischen E-Modulen nicht bestätigen lässt. Die Ursache für die hohe Variabilität in dieser Kenngröße konnte bis dato nicht geklärt werden. Tab. 3.1: a/h < 6,0 6,0 [–] Statistiken zum Vergleich der Sub-Gruppen; gruppiert nach dem Geometrieverhältnis a / h. Statistiken [–] Anzahl Mittelwert CoV [%] Anzahl Mittelwert CoV [%] Edyn,US,12 [N/mm²] 16.240 9,4 % 16.270 13,0 % Em,l,12 [N/mm²] 12 # 13.430 10,6 % 26 # 13.590 28,4 % ρ12 [kg/m³] 456 7,1 % 449 7,2 % Tab. 3.2 beinhaltet die Statistiken der 12 # Biegeproben. Zudem ist eine kenngrößenspezifische Zuordnung von Festigkeitsklassen gemäß ÖNORM EN 338 [10] enthalten. ÖNORM EN 338 [10] beinhaltet die Festigkeitsklassen für Vollholz. Die Zuordnung einer Stichprobe zu einer Festigkeitsklasse dieser Norm bedingt die Einhaltung aller drei Kenngrößen, der charakteristischen Biegefestigkeit (5 %-Niveau), des charakteristischen Biege-E-Moduls (Mittelwert) und der charakteristischen Rohdichte (5 %-Niveau). Zur Ermittlung der Kenngrößen sind Prüfverfahren u. a. nach der ÖNORM EN 408 [11] zu verwenden bzw. ist die Auswertung der Daten nach ÖNORM EN 384 [9] durchzuführen. Bezüglich der Prüfverfahren gelten die Anforderungen als erfüllt. Bezüglich der Auswertung der Kenngrößen des Biege-E-Moduls und der Rohdichte wurden ebenfalls die Anforderungen gemäß ÖNORM EN 384 [9] eingehalten. Der Mindestumfang von 40 # Proben konnte jedoch nicht erfüllt werden. In Anbetracht einer fehlenden, schlüssigen statistischen Methodik zur Bestimmung der charakteristischen Biegefestigkeit in ÖNORM EN 384 [9] wurde das Verfahren zur Ermittlung charakteristischer Festigkeitswerte für Holzwerkstoffe in ÖNORM EN 14358 [13] herangezogen. Hierbei liegen die Annahmen eines statistischen Verteilungsmodells der logarithmischen Normalverteilung in Verbindung mit einem Konfidenzintervall von (1 - ) = 75 % zur Ermittlung der unteren Grenze des Konfidenzintervalls zu Grunde. Die Auswertung der 12 # Biegeproben ergibt eine Zuordnung in die Festigkeitsklasse C30 gemäß ÖNORM EN 338 [10]. Auffällig ist hierbei der unerwartet geringe Variationskoeffizient der Biegefestigkeit welcher im Allgemeinen im Bereich von [20 ÷ 30] % erwartet werden kann. Aufgrund der vergleichbaren Statistiken betreffend E-Module und Rohdichte ist ebenfalls für die verbleibenden H-7 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Festigkeits- und Steifigkeitsuntersuchungen an der Messehalle 11 | Graz Proben und somit für das im Fachwerk eingesetzte Baumaterial eine vergleichbare Einstufung betreffend der Festigkeitsklasse mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Tab. 3.2: Statistiken der Biegekenngrößen: 12 # Proben, entnommen aus den Diagonalstäben. Statistiken [–] Anzahl Mittelwert CoV [%] 5 %-Quantil (empD) 5 %-Quantil (ND) gemäß [9] 5 %-Quantil (2pLND) charakt. 5 %-Quantil (2pLND) gemäß [13] Festigkeitsklasse gemäß [10] fm [N/mm²] Em,l,12 [N/mm²] ρ12 [kg/m³] 12 # 41,6 14,3 % 32,9 – 32,6 30,9 C30 12 # 13.430 10,6 % – – – – C35 12 # 456 7,1 % 421 403 – – C30 (C35) Zur Beurteilung der Kenngrößen der verbleibenden 26 # Proben, insbesondere im Hinblick auf die Schubtragfähigkeit, wurde die Information der erreichten Schubspannungen zum Zeitpunkt eines Biegeversagens in die statistische Auswertung miteinbezogen. Dies insofern, da eine Nichtberücksichtigung dieser Daten zu einer Unterschätzung bzw. Allgemein zu einer Verzerrung der ermittelten Statistiken führen würde. Das angewendete Verfahren ist die Maximum-Likelihood-Schätzung (MLE) unter Berücksichtigung rechts-zensorierter Daten. Hierbei wurde zur Modellierung der Schubfestigkeit eine logarithmische Normalverteilung als repräsentativ angenommen. Als eine weitere Annahme wurde aufgrund der gegebenen, ausgeprägten Trocknungsrisse eine im Mittel zur Verfügung stehende Restbreite von 40 % vorausgesetzt (b40% fv,korr,40 %,12). Dies entspricht einer im Mittel angenommenen beidseitigen Risstiefe von 30 %. Diese Annahme fußt zum einen auf den abgeschätzten Risstiefen wie sie an den bildlich erfassten Enden der geprüften und auf Schub versagten Proben ermittelt werden konnten (im Mittel rund 60 %; maximal rund 75 %), und zum anderen auf Literaturangaben (siehe u. a. Frech [2]). Des Weiteren wurde, basierend auf der Arbeit von Lackner [4] eine Korrektur der Schubfestigkeit bei von der Referenz abweichender Holzfeuchte von 3 % je % Abweichung vorgenommen. Die Statistiken, ermittelt anhand der durchgeführten MaximumLikelihood-Schätzung (MLE) für rechts-zensorierte Daten, sind Tab. 3.3 zu entnehmen. Hierbei ergaben sich die Mittelwertschätzung mit fv,12,mean = 6,5 N/mm² und das 5 %-Quantil mit fv,12,05 = 4,7 N/mm². Diese Statistiken beschreiben erwartete Schubfestigkeiten unter der Annahme eines ungerissenen Restquerschnittes. Tab. 3.3: Statistiken der Schubkenngrößen: 26 # Proben; Auswertung mittels Maximum-Likelihood (MLE) unter Berücksichtigung rechts-zensorierter Daten. Statistiken [–] Anzahl Proben (Schubbrüche / Biegebrüche) Mittelwert (MLE) CoV [%] (MLE) 5 %-Quantil (2pLND) (MLE) charakt. 5 %-Quantil (2pLND; MLE) gemäß [13] 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung fv,korr,40%,12 [N/mm²] 26 # (16 # / 10 #) 6,5 18,4 % 4,7 4,5 H-8 Kapitel H: Alterung und (Rest)Tragfähigkeit von Bauholz Wie in der Literatur zahlreich beschrieben weist die Schubfestigkeit von Voll- aber auch Brettschichtholz eine ausgeprägte Abhängigkeit vom schubbeanspruchten Volumen bzw. der schubbeanspruchten Fläche im Bereich der maximalen Schubspannungen im Querschnitt auf. Lackner [4] analysierte dahingehend umfangreiche international recherchierte Datensätze an Schubfestigkeiten, ermittelt auf Basis von Biegeprüfkonfigurationen. Insbesondere wurde dabei der Zusammenhang zwischen der schubbeanspruchten Fläche As und der Schubfestigkeit analysiert. Da ein Prüfkörper initial auf einer Trägerhälfte bzw. Trägerseite (der Seite mit dem geringsten Widerstand "weakest link") versagt wurde die Schubfläche As beispielsweise im Falle der durchgeführten 4-PunktBiegeversuche als jene Fläche definiert, welche sich aus der Probenbreite (b40 %) multipliziert mit dem Abstand zwischen Auflager und Krafteinleitung (a) abzüglich der querdruckbeeinflussten Zonen (Bereiche halbe Auflager- sowie Krafteinleitungsplatte sowie Bereiche unter Querdruck aufgrund der Lastausbreitung unter Annahme eines Lastausbreitungswinkels von 30 °) resultiert (siehe [4]). Aufgrund der unterschiedlichen a / h Verhältnisse und der unterschiedlichen Querschnittsdimensionen ergeben sich Schubflächen im Bereich von [43.320 ÷ 76.811] mm², im Mittel rund As,mean = 63.210 mm². Zur Einordnung der ermittelten Statistiken der Schubfestigkeiten in die von Lackner [4] recherchierten Daten wurde der Mittelwert sowie die 5 %-Quantile der Schubfestigkeit gemeinsam mit der mittleren Schubfläche As,mean in Abb. 3.6 eingetragen. Zudem ist den Statistiken die Bandbreite der untersuchten Schubflächen angefügt. Gemäß dieser Gegenüberstellung zeigt sich, dass die Schubdaten der Messehalle 11 einerseits die Bandbreite der bisher recherchierten Daten bezüglich der geprüften Schubfläche deutlich nach oben erweitern. Andererseits kann festgehalten werden, dass auch wenn die Statistiken der Schubfestigkeiten der Messehalle 11 im Vergleich zum erwarteten Verlauf von fv,mean und fv,05 relativ hohe Werte aufweisen sie dennoch innerhalb der erwartbaren Bandbreite der Variabilität zwischen Prüfserien liegen und somit den Verlauf der Funktion zur Beschreibung der Abhängigkeit fv vs. As durchaus bestätigen. Geht es nach den Regelungen der ÖNORM EN 338 [10] ist für die Festigkeitsklassen C24 bis C50 ein konstanter charakteristischer Schubfestigkeitswert von fv,k = 4,0 N/mm² vorgesehen. Ein Vergleich mit den recherchierten 5 %-Quantile der Prüfserien zeigt, dass dieser Ansatz zumindest bis As = 30.000 mm² als konservativ und ohne Berücksichtigung des Größeneinflusses auf die Schubfestigkeit als auf der sicheren Seite liegend betrachtet werden kann. Unter Beachtung der vielseitigen verschiedenen baupraktischen Konfigurationen in denen nachzuweisende Schubspannungen auftreten können und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass zwischen den Schubfestigkeitspotentialen verschiedener Nadelhölzer zumindest in den europäischen Normenwerken nicht unterschieden wird, gilt der Ansatz eines konstanten, konservativen Kennwertes durchaus nachvollziehbar. Zur Erklärung und Modellierung von Systemprodukten wie BSH, BSP, etc. sowie zur Verifizierung des Schubfestigkeitspotentials einzelner Prüfserien bedarf es jedoch der bestmöglichen Berücksichtung von signifikanten Einflussparametern wie den Größeneffekt um Kenngrößen in ihrer quantitativen Ausprägung adäquat darstellen und berücksichtigen bzw. zuordnen zu können. H-9 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 4 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung Abb. 3.6: 4 Schubfestigkeit vs. Schubfläche: Statistiken auf dem Niveau des Mittelwertes, der 5 %- und der 95 %-Quantile international recherchierter Prüfserien aus Lackner [4] im Vergleich mit den Daten der Messehalle 11 und den Regelungen der ÖNORM EN 338 [10]; logarithmische Skalierung. Zusammenfassung und Schlussbetrachtung Bezüglich Alterung und Resttragfähigkeit kann zusammenfassend festgehalten werden, dass sowohl die zitierten wissenschaftlichen Arbeiten als auch die eigene Arbeit darauf hindeuten, dass mit keinem (bei merkmalfreiem Holz) respektive nicht signifikantem bis geringfügigem (bei Holz in Bauteilgröße) Abfall der Festigkeits- und Steifigkeitskenngrößen über die Zeit und bei üblicher Bemessung, Einwirkungszyklen und Lastspitzen im Hochbau gerechnet werden kann. Wie lässt sich allerdings eine Resttragfähigkeit nach 70 und mehr Jahren auf dem Niveau der Tragfähigkeit der Bauteile zum Errichtungszeitpunkt – insbesondere im Hinblick auf die gegenwärtigen Bemessungsregeln nach EC5 wie z. B. dem Beiwert kmod – erklären? Ein wesentlicher Bestandteil des Modifikationsbeiwertes kmod wird durch das Langzeitverhalten von Holz ("Duration of Load", DOL) bestimmt. Die gegenwärtigen Festlegungen hierzu basieren primär auf Ergebnissen aus Dauerstandversuchen an Holzquerschnitten unter Biegebeanspruchung, der "Madison-Curve" (Wood [8]). Demnach und gemäß den Regelungen des EC5 ist bei Bauteilen unter Dauerbeanspruchung über 50 Jahre bei Nutzungsklasse 1 mit einer Minderung der Tragfähigkeit von 40 % zu rechnen. Im Vergleich zu den oben getroffenen Aussagen zur Resttragfähigkeit wird hierbei ein Widerspruch suggeriert. Es ist festzuhalten, dass es sich beim Modifikationsbeiwert kmod um einen statistischen Beiwert handelt. Um Aussagen zum kmod auf Basis von Resttragfähigkeitsuntersuchungen tätigen zu können sind jedoch die Informationen unzureichend bzw. zu vage. Folgende Punkte können hier genannt werden: • • Es fehlt die Kenntnis des Verhältnisses der "überlebenden" Bauteile zu jenen der "versagten" Bauteile. Es ist anzumerken, dass die Untersuchungen zur Resttragfähigkeit nur an "überlebenden" Bauteilen und somit nur an einem zensurierten Probenkollektiv durchgeführt werden (konnten). Zudem wären in diesem Zusammenhang eingehende Erkenntnisse zur Ursache des Versagens notwendig um geeignete Statistiken aus den Daten ermitteln zu können. Es fehlt die Kenntnis der Ausnutzungsgrade wie sie sich aus der Bemessung der Bauteile aber insbesondere wie sie sich wirklich im Laufe der Nutzungszeit dargestellt haben. Dies betrifft zum einen die Lasthöhe, zum anderen aber auch die Einwirkungsdauer und die Anzahl der Einwirkungen. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung H - 10 Kapitel H: Alterung und (Rest)Tragfähigkeit von Bauholz • • • In der gegenwärtigen Bemessung werden Bauteile sehr konservativ über Gegenüberstellung der "maximal" erwartbaren Einwirkungen zu "minimalen" Widerständen nachgewiesen. Die deutlich reduzierte Wahrscheinlichkeit, dass die maximale Schnittgröße im Querschnitt mit dem geringsten Widerstand zusammentrifft wird nicht berücksichtigt bzw. kann im gegenwärtigen Bemessungskonzept nicht bzw. nur mit sehr hohem Aufwand Berücksichtigung finden. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Bemessungslasten zu ihrer vollen Größe innerhalb des Nutzungszeitraumes auftreten sehr gering. Die gegenwärtige Bemessung der Bauteile bzw. ihrer Querschnitte bedingt auch, dass mögliche Lastumlagerungen innerhalb der gesamten Tragstruktur aber auch innerhalb der Bauteile nur ansatzweise oder gar nicht Eingang finden. Während also die Bemessung von Bauteilen konservative Ansätze zur Abdeckung aller notwendig erscheinenden zukünftig erwartbaren Einwirkungen und Widerstände bedarf, gilt die Ermittlung der Resttragfähigkeit und die Beurteilung dieser im Kontext zur angenommenen Tragfähigkeit zum Errichtungszeitpunkt als Momentaufnahme des Widerstandes von Bauteilen nach einer bestimmten, individuellen Lasthistorie. Die Untersuchungen an den zur Verfügung gestellten Bauteilen eines Fachwerkbinders der alten Messehalle 11 zeigen einerseits das nach 70 Jahren vorhandene Potenzial des damals gewählten Holzes und andererseits den sehr guten Bestandszustand – die Holzfeuchten nach der Entnahme der Bauteile liegen zwischen 12,1 und 13,7 % – nach diesem Nutzungszeitraum. Es zeigen sich eine mittlere Biegefestigkeit von 41,6 N/mm2 und ein charakteristischer Wert von 30,9 N/mm2; der mittlere BiegeE-Modul liegt bei 13.430 N/mm2 und die Rohdichte bei 456 kg/m3 (Mittelwert) respektive 403 kg/m3 (charakteristischer Wert). Auch der, unter Beachtung der am Querschnitt gemessenen Risstiefen, ermittelte Schubfestigkeitswert von 4,5 N/mm2 liegt über den Anforderungen der Festigkeitsklassen C24 bis C50 gemäß ÖNORM EN 338 [10]. Trotz unterschiedlicher Sortierregelungen kann von einer heute noch verfügbaren Festigkeitsklasse von zumindest C30 (bis C35!) ausgegangen werden. Dies bestätigt den geringen bis nicht signifikanten Abfall von Werkstoffeigenschaften auf Grund von Alterung bei Holz in Bauteilgröße, vorausgesetzt es handelt sich um vor Feuchtigkeit geschützte und biotisch nicht angegriffene Holzbauteile und unter Beachtung der im vorherigen Abschnitt angeführten offenen Fragestellungen. In der Abb. 3.6 wird der Zusammenhang der Schubfestigkeit mit der Schubfläche gezeigt. Daraus ist ersichtlich, dass mit zunehmender Schubfläche der Schubfestigkeitswert abnimmt, womit der vorhandene Größeneinfluss zum Ausdruck gebracht werden kann. In der gegenwärtig gültigen Fassung der ÖNORM EN 338 [10] wird von einer konstanten, von der Größe respektive Schubfläche unabhängigen, charakteristischen Schubfestigkeit des Materials Vollholz mit fv,k = 4,0 N/mm2 für den nicht gerissenen Querschnitt ausgegangen. Diesem durchaus konservativen Ansatz kann gefolgt werden, da damit ein einfacher Zugang für den Anwender von Vollholz gegeben scheint. Folgt man dem Ansatz des Grunddokumentes wie z.B. ÖNORM EN 1995-1-1 [14] so ist der Querschnitt zur Übertragung der Schubspannungen im Nachweis, insbesondere die Querschnittsbreite b, durch einen Beiwert kcr zu bef = kcr · b zu reduzieren. Beachtet man die nationalen Festlegungen zum Beiwert kcr, wie etwa ÖNORM B 1995-1-1 [15] oder DIN EN 1995-1-1/NA [16], so gewinnt man den Eindruck, dass es sich hierbei weniger um einen dem Namen zu entnehmenden "Rissefaktor" zur Berücksichtigung erwartbarer Risstiefen wie sie im Laufe des Verwendungszeitraumes auftreten können, sondern vielmehr um einen "nationalen Anpassungsfaktor" zur Wahrung der nationalen Festlegungen zur Schubfestigkeit handelt. Zur weiteren Diskussion bzgl. der Festlegung von H - 11 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 4 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung Schubfestigkeiten für Voll- aber auch Brettschichtholz wird das Anliegen ausgesprochen, den Beiwert kcr ersatzlos zu streichen, sich international auf charakteristische Schubfestigkeitskenngrößen für die Materialien Voll- und Brettschichtholz zu einigen und darauf aufbauend und aus der Erfahrung heraus Festigkeitskenngrößen für die Nachweisführung festzulegen. Dies ermöglicht zum einen die normative Regelung von über Prüfungen an ungerissenen Querschnitten nachweisbaren Kennwerten für die Materialien ( Produktnormen) und zum anderen die Berücksichtigung von erwartbaren Rissen wie sie innerhalb eines Verwendungszeitraumes auftreten können (Bemessungsnormen). 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung H - 12 Kapitel H: Alterung und (Rest)Tragfähigkeit von Bauholz 5 Literatur 5.1 Wissenschaftliche Beiträge [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] 5.2 [9] [10] [11] [12] [13] [14] [15] [16] [17] H - 13 EHLBECK J., GÖRLACHER R. (1990) Zur Problematik bei der Beurteilung der Tragfähigkeit von altem Konstruktionsholz. Bauen mit Holz, 2:117-121 FRECH P. (1987) Beurteilungskriterien für Rissbildungen bei Bauholz im konstruktiven Holzbau. Bauen mit Holz (Sonderdruck), 9:582-585 JEITLER G., SCHICKHOFER G. (2007) NON-K-Projekt "Messehalle 11": Ertüchtigung Messehalle 11 – Festigkeits- und Steifigkeitsuntersuchungen. 1. Zwischenbericht, Kompetenzzentrum holz.bau forschungs gmbh, Institut für Holzbau und Holztechnologie, Technische Universität Graz, 49 S. LACKNER H. (2011) Festlegung einer Prüfkonfiguration für die Ermittlung der Schubfestigkeit von Vollholz sowie Analyse des Größeneinflusses. Diplomarbeit, Institut für Holzbau und Holztechnologie, Technische Universität Graz, 143 S. NIER J. (1994) Experimentelle Festigkeitsuntersuchungen an alten Bauhölzern und daraus abgeleitete Erkenntnisse zur Tragfähigkeitsbeurteilung. Dissertation, Technische Hochschule Leipzig, Fakultät für Bauingenieurwesen, 223 S. PIRKER G. (2007) Festigkeits- und Steifigkeitsuntersuchungen an Holzbauteilen am Beispiel der Messehalle 11 in Graz, erbaut im Jahre 1939. Diplomarbeit, Fachrichtung Baumanagement und Ingenieurbau, FH Joanneum Graz RUG W., SEEMANN A. (1989) Festigkeit von Altholz. Bauen mit Holz, 10:696-699 WOOD L. W. (1951) Relation of Strength of Wood to Duration of Stress. U.S. Forest Products Laboratory, FPL-RP 1916 Normen ÖNORM EN 384:2004 Bauholz für tragende Zwecke – Bestimmung charakteristischer Werte für mechanische Eigenschaften und Rohdichte ÖNORM EN 338:2009 Bauholz für tragende Zwecke – Festigkeitsklassen ÖNORM EN 408:2005 Holzbauwerke – Bauholz für tragende Zwecke und Brettschichtholz – Bestimmung einiger physikalischer und mechanischer Eigenschaften ÖNORM EN 13183:2002 Feuchtegehalt eines Stückes Schnittholz – Teil 1: Bestimmung durch Darrverfahren ÖNORM EN 14358:2007 Holzbauwerke – Berechnung der 5 %-Quantile für charakteristische Werte und Annahmekriterien für Proben ÖNORM EN 1995-1-1:2009 Eurocode 5: Bemessung und Konstruktion von Holzbauten – Teil 1-1: Allgemeines – Allgemeine Regeln und Regeln für den Hochbau ÖNORM B EN 1995-1-1:2009 Eurocode 5: Bemessung und Konstruktion von Holzbauten – Teil 1-1: Allgemeines – Allgemeine Regeln und Regeln für den Hochbau: Nationale Festlegungen, nationale Erläuterungen und nationale Ergänzungen zur ÖNORM EN 1995-1-1 DIN EN 1995-1-1/NA:2010 Nationaler Anhang – National festgelegte Parameter – Eurocode 5: Bemessung und Konstruktion von Holzbauten – Teil 1-1: Allgemeines – Allgemeine Regeln und Regeln für den Hochbau DIN 52187:1979 Prüfung von Holz: Bestimmung der Scherfestigkeit in Faserrichtung 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 5 Literatur 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung H - 14 I Sind historische Dachwerke berechenbar? R. Görlacher Dr.-Ing. Rainer Görlacher 1990 Promotion an der Universität Karlsruhe Akademischer Direktor am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) - Holzbau und Baukonstruktionen I-1 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 1 Was bedeutet berechenbar? Zusammenfassung Die Frage, ob historische Dachtragwerke berechenbar sind, kann sicherlich bejaht werden. Unter der Annahme von zutreffenden Belastungen, durch die Wahl richtiger statischer Systeme und Berechnungsverfahren und mit Hilfe sorgfältiger Untersuchung des Holzes kann es gelingen, die Standsicherheit und Zuverlässigkeit alter Dachkonstruktionen nachzuweisen. Sollte dies im Einzelfall nicht gelingen und ist man sich sicher, dass keine zusätzlichen Lasten auf die Dachkonstruktion wirken, kann auch argumentiert werden, dass die Dachkonstruktion ihre Zuverlässigkeit über viele hundert Jahre bereits erbracht hat, und es somit keines weiteren Nachweises bedarf. Als Ingenieur sollte uns dies aber auch zu denken geben und uns anspornen, unsere Nachweisverfahren zu verbessern. 1 Was bedeutet berechenbar? Geht man von der übertragenen Bedeutung des Wortes "berechenbar" aus, ist festzustellen, dass alte Holzkonstruktionen äußerst berechenbar sind, es kommt so gut wie nie zu einem unberechenbaren, unvorhersehbaren Versagen einer Holzkonstruktion. Bevor ein Versagen eintritt, kündigt es sich in der Regel vorher durch das Auftreten großer Verformungen an. Als Ingenieure wollen wir diese "Berechenbarkeit" messen, also in Zahlen ausdrücken. Obwohl wir wissen, dass dieses "Berechnen" nie die Realität exakt erfassen kann, versuchen wir, der Realität möglichst nahe zu kommen. Die Berechnung einer Konstruktion lässt sich auf eine einfache Formel reduzieren: Die Beanspruchung in allen Bauteilen und Verbindungen muss kleiner sein als die Beanspruchbarkeit. Wenn die Beanspruchung an einer Stelle in der Konstruktion größer ist als die Beanspruchbarkeit, kommt es zum Versagen. Dies soll verhindert werden. Da aber weder die realen Beanspruchungen noch die vorhandenen Beanspruchbarkeiten bekannt sind, behilft man sich damit, aus den Rechenwerten der Belastungen mit Hilfe baustatischer Methoden die rechnerische Beanspruchung in den Bauteilen und in den Verbindungen zwischen den einzelnen Bauteilen zu berechnen. Diese Beanspruchung wird einer als zulässig angenommenen Beanspruchbarkeit (charakteristischen Festigkeit), die in der Regel in Normen festgelegt ist, gegenübergestellt. Um diesen Nachweis durchführen zu können sind zunächst im Wesentlichen drei Annahmen zu treffen: - Annahme einer Belastung. Annahme eines baustatischen Berechnungsverfahren mit der zugehörigen Systemwahl. Annahme einer zulässigen Beanspruchung. Die Berechnung hängt somit von der richtigen Annahme der o.a. Punkte ab, wobei sich die Genauigkeit der einzelnen Annahmen unterschiedlich auf die Genauigkeit des Nachweises auswirken kann. Gegenüber Konstruktionen, die neu errichtet werden, hat man bei bereits bestehenden Konstruktionen die Möglichkeit, die o.a. Annahmen vor Ort möglichst zutreffend zu ermitteln bzw. zu überprüfen. Um welche Annahmen es sich dabei im Einzelnen handelt und wie man diese Annahmen vor Ort ermittelt oder überprüft, soll im Folgenden gezeigt werden. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung I-2 Kapitel I: Sind historische Dachwerke berechenbar? 2 Ermittlung der Beanspruchung 2.1 Lastannahmen Die Beanspruchung der Bauteile ergibt sich aus den Eigenlasten und den von außen auf die Konstruktion wirkenden Lasten. Die entsprechenden Rechenwerte für diese Belastungen sind im wesentlichen in den Normen für Lastannahmen festgelegt. Im Folgenden werden diese Belastungen kurz erläutert und vor allem ihre Bedeutung für den Standsicherheitsnachweis alter Holzkonstruktionen beschrieben. Eigenlasten Die in der Norm angegebenen Eigenlasten stellen in der Regel Mittelwerte im Geltungsbereich dar. Die Baustoffe und Bauteile sind so klassifiziert, dass die Streuung der Eigenlasten klein ist. Bei größeren Streuungen werden obere und untere Fraktilewerte angegeben, wobei jeweils der Wert zu verwenden ist, der zum ungünstigeren Bemessungsergebnis führt. Die Eigenlasten nach Norm müssen auch für alte Holzkonstruktionen Anwendung finden. Um einer alten Holzkonstruktion wirklich gerecht zu werden, sollte mit den Belastungsannahmen ohne 'Sicherheitszuschlag' der aktuelle bzw. der nach der Instandsetzung oder Umnutzung vorliegende Zustand beschrieben werden. Dies bedeutet insbesondere, dass eine möglichst exakte Ermittlung des Volumens der Baustoffe z. B. in vorhandenen und zu erhaltenden Deckenfüllungen vorzunehmen ist, wobei auch die richtige Annahme der Dichte erforderlich ist. Es besteht auch die Möglichkeit von der Norm abweichende Rechenwerte zu verwenden, wenn sie von einer Materialprüfanstalt anerkannt sind. Dies wäre zum Beispiel denkbar bei Dachdeckungen oder Deckenfüllungen, die nicht exakt in der Norm enthalten sind. Ob sich der Mehraufwand einer solchen Untersuchung lohnt, hängt vom Einzelfall und von der historischen Bedeutung des Bauwerkes ab. Verkehrslasten Verkehrslasten innerhalb eines Gebäudes hängen von der Nutzung ab, während die Verkehrslasten, die von außen auf das Gebäude wirken, wie z. B. Schnee und Wind, von der Nutzung unabhängig sind. Obwohl die Verkehrslasten innerhalb eines Gebäudes (z. B. gleichmäßig verteilte lotrechte Verkehrslasten für Dächer, Decken und Treppen) nach der Nutzung abgestuft sind, ist trotzdem mit einer großen Streuung dieser Lasten zu rechnen. Daher handelt es sich bei den Rechenwerten nicht um Mittelwerte sondern um obere Fraktilewerte. Dies erklärt auch, warum bei Messungen der Belastung von Decken in Wohnräumen lediglich Mittelwerte von 0,9 kN/m2 ermittelt wurden ([15], [16]), was keinen Widerspruch zu dem in der Norm angegebenen Rechenwert von 1,50 kN/m2 darstellt. Die für Holzbalkendecken um 0,5 kN/m2 höher anzunehmende Verkehrslast resultiert aus der in der Regel nicht ausreichenden Querverteilung der Lasten und stellt somit nur einen Rechenwert dar, der nicht mit der tatsächlich vorhanden Verkehrslast verglichen werden kann. Im Übrigen ist diese um 0,5 kN/m2 erhöhte Verkehrslast für die Weiterleitung der Kräfte nicht mehr anzusetzen, was sich z. B. auf die rechnerischen Kräfte in Unterzügen bemerkbar machen kann. Die Schlussfolgerung, dass die Verkehrslasten nach Norm 'zusätzliche Sicherheiten' beinhalten, ist somit nicht gerechtfertigt. Um für alte und neue Holzkonstruktionen die gleiche Zuverlässigkeit zu gewährleisten, sind die Rechenwerte für die Verkehrslasten nach den technischen Baubestimmungen zu verwenden. I-3 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 2 Ermittlung der Beanspruchung Müssen die Verkehrslasten zur Erhaltung einer alten Holzkonstruktion reduziert werden, so kann dies nur über eine Einschränkung der Nutzung geschehen. Dies kann z. B. dadurch erfolgen, dass überzogene Nutzungswünsche, die z. B. eine volle Nutzung des gesamten Dachraumes vorsehen, reduziert werden. Es ist denkbar, dass Rechenwerte der Verkehrslasten zum Beispiel für Archive oder Büchereien reduziert werden können, wenn durch geeignete Maßnahmen eine geringere Verkehrslast zuverlässig zu erwarten ist. Hier wäre eine spezielle Anordnung und Anzahl von Regalen denkbar, wobei solche Maßnahmen im Einzelfall mit der Baurechtsbehörde und dem Nutzer abgesprochen werden müssen. Dazu gehören auch Vorkehrungen, die eine zukünftige Nutzung über die festgelegten Lasten hinaus, verhindern. Diese Vorgehensweise wird somit nur in Ausnahmefällen praktikabel sein. 2.2 Systemwahl Aus der Belastung eines Bauwerkes kann nach baustatischen Methoden der Kraftfluss und damit die Kräfte in den Verbindungen und die Beanspruchung (Spannung) in einem Bauteil ermittelt werden. Hierbei besteht das Problem der Wahl eines statisch sinnvollen und möglichen Systems. Zur richtigen Systemwahl gehört selbstverständlich zunächst eine genaue Kenntnis der geometrischen Verhältnisse. Hierzu eignen sich besonders verformungsgetreue Aufmaße, wie sie aufgrund baugeschichtlicher Untersuchungen vorliegen können. Neben der Geometrie können aufgrund der in diesen Plänen aufgezeigten Verformungen und Schäden Problemstellen erkannt werden und erste Eindrücke über einen möglichen Kraftfluss gewonnen werden. Trotzdem wird es für den Ingenieur vor Aufstellung eines statischen Systems unumgänglich sein, die Konstruktion anhand dieser Pläne selbst zu untersuchen, um Ergänzungen aus statischer Sicht vorzunehmen. Es ist nicht in jedem Fall gewährleistet, dass baugeschichtliche Interpretationen in allen Bereichen baustatisch richtig sind. Liegen keine entsprechenden Pläne vor, so müssen diese vom Ingenieur angefertigt werden [13]. Zur richtigen Systemwahl gehört auch die Wahl realistischer Steifigkeiten des Holzes und insbesondere der Verbindungen einzelner Bauteile. Nur dadurch ist es möglich, den Kraftfluss in einer Konstruktion richtig abzuschätzen. Auf die Bedeutung der Wahl realistischer Steifigkeiten am Beispiel der Nachgiebigkeit von Auflagern wurde wiederholt hingewiesen ([1], [15] und [16]). Berechnet man Deckenbalken, die durch Unterzüge abgestützt sind, als Mehrfeldträger mit starren, unnachgiebigen Zwischenauflagern, so ergeben sich oftmals in den Deckenbalken geringe Spannungen, die weit unterhalb der Bemessungswerte liegen, während die Spannungen in den Unterzügen deutlich über den Bemessungswerten liegen. Berücksichtigt man jedoch das Gesamtsystem, d. h. berechnet man die gesamte Decke als Trägerrost, so erkennt man eine deutliche Umlagerung der Kräfte von den Unterzügen in die Deckenbalken, so dass schließlich ein Deckensystem vorliegt, das auch den heute gültigen Vorschriften genügt. Dieses Beispiel soll auch verdeutlichen, dass die immer wieder laut werdende Behauptung, die Norm sei nicht auf alte Holzkonstruktionen übertragbar, da die Tragsicherheit alter Konstruktionen nicht nachweisbar ist, in vielen Fällen nicht haltbar ist. Oftmals verbirgt sich hier nur ein nicht richtig erkanntes Tragsystem. Der Einfluss der Steifigkeit von Verbindungen auf den Kräfteverlauf in einer Konstruktion soll anhand des Dachtragwerks der Klosterkirche in Kirchheim gezeigt werden. Es handelt sich um ein sehr einfaches System aus Sparren, Kehlbalken, Kopfband und Sparrenknecht. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung I-4 Kapitel I: Sind historische Dachwerke berechenbar? Verbindungen (nachgiebig oder starr) Wind Kehlbalken Kopfband Sparrenfuß Abb. 2.1: Sparrenknecht Statisches System. Dieses System stellt kein Problem für eine statische Berechnung dar. Für die Verbindungen sind jedoch realistische Steifigkeiten (also Verschiebungsmoduln) anzunehmen (starre oder nachgiebige Verbindung). Dass diese Frage entscheidend ist, zeigen die Berechnungen. So erhält man bei einer starren Annahme der Anschlüsse im Sparrenknecht eine rechnerisch zu übertragende Kraft von 13.3 kN, die auf 7.7 kN zurückgeht, wenn man nachgiebige Anschlüsse ansetzt. Gleichzeitig erhöht sich die Kraft im Sparrenfuß von 3 kN auf 4.9 kN. Wie man sich die Verschiebungsmoduln der Verbindungen ermittelt und wie groß die empfohlenen Belastungen für diese Verbindungen sind, wird z. B. in [11] gezeigt. 2.3 Statische Berechnung Bei der statischen Berechnung wird der Kraftfluss in der Konstruktion ermittelt, d. h. aus der Einwirkung werden die daraus resultierenden Kräfte und Momente in den Bauteilen und Verbindungen ermittelt. Gleichzeitig werden die Verformungen der Konstruktion berechnet. Die statische Berechnung bereitet nach der Annahme von Belastung und System zunächst keine Probleme. Hierzu stehen entsprechende Computerprogramme zur Verfügung, die es ermöglichen, den Kraftfluss in beliebig komplizierten Systemen in kürzester Zeit zu berechnen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass die Ergebnisse solcher Berechnungen von Wahl der Steifigkeit der Bauteile und vor allem der Verbindungen dieser Bauteile abhängen. Da aber gerade die Steifigkeit von Verbindungen oftmals nur grob abgeschätzt werden kann, ist es in den meisten Fällen notwendig, bei komplizierten statischen Systemen die statische Berechnung mit unterschiedlichen Steifigkeiten mehrmals durchzuführen. Ergeben sich dabei große Unterschiede im Kraftfluss, muss versucht werden, die Streubreite der Steifigkeit einzugrenzen (z. B. durch genaue Untersuchungen des Holzes und der Verbindungen). Ist dies nicht möglich, muss die Standsicherheit für die theoretisch möglichen Kraftverläufe nachgewiesen werden. Anhand des Dachstuhles über der katholischen Kirche in Kirchdorf bei Villingen am Rande des Schwarzwaldes soll gezeigt werden, wie wirklichkeitsnahe Kraftverläufe in Dachstühlen ermittelt werden können und wie man sich diese wirklichkeitsnahen Kräfte auch ohne aufwendige räumliche Berechnungen ermitteln kann. I-5 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 2 Ermittlung der Beanspruchung Abb. 2.2: Auschnitt aus dem Dachstuhl der katholischen Kirche in Kirchdorf bei Villingen. Die übliche Vorgehensweise zur vereinfachten Berechnung räumlicher Systeme ist das Betrachten ebener Systeme, die aus dem Gesamtsystem herausgeschnitten werden. Man wird das System Leergespärre und das System Bindergespärre herausschneiden und einer statischen Berechnung unterziehen. Das Leergespärre, das zwischen den Bindergespärren zweimal vorkommt, liegt auf dem Stuhlrähm eines liegenden Stuhles auf. Leergespärre Wind Abb. 2.3: Bindergespärre Rechnerische Tragfähigkeit überschritten Wind Links: Leergespärre (ohne Auflagerung auf dem Stuhlrähm). Rechts: Bindergespärre. Das Leergespärre wird zunächst ohne Berücksichtigung einer Lastabtragung in Längsrichtung des Daches untersucht, also ohne Auflagerung auf das sog. Stuhlrähm. Bei Berechnung dieses Systems ergibt sich eine rechnerische Überschreitung der Tragfähigkeit im Sparren im Bereich des Kehlbalkens. (Normalkräfte und Moment). Das Bindergespärre, rechts dargestellt, erhält bei diesen Annahmen für das Leergespärre keine Kräfte aus dem Leergespärre und ist unter dieser Beanspruchung ausreichend tragfähig. Als nächsten Schritt kann das Leergespärres mit einer Auflagerung auf den vorhandenen Stuhlrähm untersucht werden. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung I-6 Kapitel I: Sind historische Dachwerke berechenbar? Leergespärre Wind Abb. 2.4: Bindergespärre Ffest Wind n·F Links: Leergespärre (mit starrer Auflagerung auf dem Stuhlrähm). Rechts: Bindergespärre (mit Belastung aus dem Leergespärre). Durch diese Auflagerungsart entsteht eine Auflagerreaktion Ffest. Diese Kraft muss auf den Binder im Bindergespärre weitergegeben werden. Da zwischen den Bindern mehrere Leergespärre vorhanden sind, muss eine Kraft n · F angesetzt werden. Unter dieser Beanspruchung ergeben sich im eingekreisten Bereich (siehe Abb. 2.4 rechts) sehr hohe Beanspruchungen und große Verformungen, die vom System (rechnerisch) nicht aufgenommen werden können. Die Forderung daraus wäre eine Verstärkung des Bindergespärres, und dies wird auch in der Praxis der Fall sein. Der nächste Schritt, wäre ein System für das Leergespärre zu finden, das zwischen diesen beiden gezeigten Extremen: feste, starre Auflagerung und fehlende Auflagerung liegt, denn dadurch könnte sich eine ausreichende Tragfähigkeit sowohl des Binder- als auch des Leergespärres ergeben. Leergespärre Bindergespärre Federsteifigkeit so wählen, dass Verformungen im Leer-und Bindergespärre gleich sind Wind Wind n · FFeder FFeder < Ffest Abb. 2.5: Links: Leergespärre (mit nachgiebiger Auflagerung auf dem Stuhlrähm). Rechts: Bindergespärre (mit Belastung aus dem Leergespärre). In Abb. 2.5 links ist ein solches System gezeigt. Das starre Auflager wird durch ein federndes Auflager ersetzt. Die Federsteifigkeit ist so zu wählen, dass die Verformungen im Leergespärre am Auflagerungspunkt annähernd gleich groß sind, wie die Verformungen an der entsprechenden Stelle im Bindergespärre. Berechnet man dieses System, so erhält man Auflagerkräfte, die sehr viel kleiner sind, als die Kräfte bei einer starren Auflagerung. Gleichzeitig erhält man aber ein Leergespärre, das ausreichend dimensioniert ist. Das Bindergespärre wird durch die Kräfte n · FFeder beansprucht, wobei unter dieser I-7 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Ermittlung der Beanspruchbarkeit Beanspruchung die Tragfähigkeit des Systems nachweisbar bleibt. Es ergibt sich also keine Notwendigkeit einer Verstärkung des Dachstuhles. In besonderen Fällen kann es notwendig werden, den Kraftfluss vor Ort zu ermitteln, um die statischen Berechnungen, deren Ergebnisse oftmals von nicht exakt ermittelbaren Randbedingungen abhängen, zu überprüfen und eventuell zu korrigieren. Mit einem von GÖRLACHER und KROMER (siehe [10]) vorgestellten Verfahren ist es möglich, Spannungen in einem Bauteil vor Ort abzuschätzen, um daraus Rückschlüsse auf den Kraftfluss zu ziehen. Dazu werden in einer Holzkonstruktion an ausgewählten Stellen, an denen an der Holzoberfläche Zug- oder Druckspannungen erwartet werden, Dehnungsmessstreifen appliziert. Nach der Nullablesung werden auf beiden Seiten des Messstreifens Schnitte angebracht, wodurch sich das Holz zwischen diesen Schnitten entspannt. Aus den daraus resultierenden gemessenen Dehnungen lassen sich unter Annahme eines Elastizitätsmoduls die dort vorhandenen Spannungen ermitteln und Rückschlüsse auf den tatsächlichen Kraftfluss in der Konstruktion ziehen. Anhand einer konkreten Anwendung an einer bestehenden Holzkonstruktion konnte die Brauchbarkeit des Verfahrens gezeigt werden. Dieses Verfahren wird jedoch nur praktikabel sein, wenn andere Möglichkeiten der Überprüfung der statischen Berechnung ausscheiden. 3 Ermittlung der Beanspruchbarkeit Um nachzuweisen, dass Holzkonstruktionen mit angemessener Zuverlässigkeit die auftretenden Beanspruchungen ertragen können, können die charakteristischen Festigkeiten aus den Bemessungsnormen (z. B. EC 5) herangezogen werden. Dazu muss der Nachweis erbracht werden, dass das Holz auch den angenommenen Festigkeitsklassen, die wiederum durch entsprechende Sortiernormen nachzuweisen sind, entspricht. Treten Spannungen auf, die über den Festigkeitsklassen C24 oder C30 liegen, sind weitergehende Untersuchungen notwendig. Hierbei wird es nicht mehr ausreichen, das Holz lediglich visuell zu untersuchen, da einerseits die visuell erkennbaren Eigenschaften für die Feststellung der Tragfähigkeit nicht ausreichend zuverlässig sind, und andererseits eine visuelle Untersuchung in gewissem Umfang subjektiv bleibt. Für die Klassifizierung von hochwertigem Holz sind daher, ähnlich wie bei einer maschinellen Holzsortierung, Messgeräte und Messverfahren erforderlich, die reproduzierbare und überprüfbare Ergebnisse liefern. Für den Nachweis von Verbindungen wird man zunächst auch auf die Bestimmungen der Bemessungsnorm zurückgreifen. Dabei stellt man aber fest, dass die meisten in alten Holzkonstruktionen verwendeten zimmermannsmäßigen Verbindungen in dieser Norm nicht behandelt sind. Hier bleibt nur die Möglichkeit, auf Bemessungsvorschläge aufgrund von Forschungsarbeiten zurückzugreifen (siehe [3], [7], [8], [14]). Dabei sind die angegebenen Randbedingungen wie Geometrie und Holzqualität genau zu beachten, damit die Bemessungsvorschläge eine ausreichend zuverlässige Bemessung gewährleisten. 3.1 Visuelle Untersuchung des Holzes und der Verbindungen Die visuelle Untersuchung des Holzes dient zur Gütesortierung (Sortierung nach der Tragfähigkeit) des in der Konstruktion verbleibenden Holzes. Die Schadensfeststellung ist der erste Schritt einer Gütesortierung, indem Hölzer mit nicht mehr ausreichender Qualität aussortiert werden. Dabei muss aber darauf hingewiesen werden, dass die Ermittlung der Schäden für die Beurteilung einer alten Holzkonstruktion wohl zwingend notwendig ist, aber nicht generell als ausreichend angesehen werden 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung I-8 Kapitel I: Sind historische Dachwerke berechenbar? kann. Erst durch weitere Untersuchungen der in der Konstruktion verbleibenden Hölzer kann eine Aussage über die Standsicherheit einer Konstruktion gemacht werden. Der Umfang dieser weiteren Untersuchungen kann sich bei geringen Anforderungen an das Holz auf visuelle Beobachtungen beschränken, muss sich aber bei höheren Anforderungen auch auf visuell nicht mehr ermittelbare Eigenschaften ausdehnen. Im Folgenden wird lediglich ein kurzer Überblick gegeben, ohne auf Details eingehen zu können. Es wird aber darauf hingewiesen, dass diese Untersuchungen für die zutreffende Berechnung von Holzkonstruktionen äußerst wichtig sind und auch einen erheblichen Zeit- und Kostenaufwand bedeuten. 3.1.1 Ermittlung der unmittelbar sichtbaren Schädigungen Unter dem Begriff "unmittelbar sichtbare Schädigungen" sind die Schädigungen zusammengefasst, die ohne Eingriffe in die Konstruktion für das Auge erreichbar und sichtbar sind. Dieser Untersuchungsschritt sollte allen weiteren Untersuchungen vorangehen. Erst danach kann über weitere Schritte, die dann einen mehr oder weniger großen Eingriff in die Substanz bedeuten, entschieden werden. 3.1.2 Ermittlung der nicht unmittelbar sichtbaren Schädigungen Nachdem alle unmittelbar sichtbare Schädigungen erfasst worden sind, müssen auch nicht sichtbare Schädigungen erfasst werden. Diese Schädigungen können an verdeckt liegenden Bauteilen oder Anschlüssen auftreten oder es handelt sich um Schäden im Innern eines Bauteiles. Während verdeckt liegende Bauteile durch weiteres Freilegen einer visuellen Kontrolle zugänglich gemacht werden können, müssen für eine Beurteilung des inneren Zustandes eines Holzbalkens geeignete Messverfahren angewendet werden. 3.1.3 Klassifizierung nach DIN 4074 des nicht oder kaum geschädigten Holzes Werden die charakteristischen Festigkeiten nach einer Bemessungsnorm bei einem Tragfähigkeitsnachweis verwendet, müssen die Hölzer den Anforderungen nach DIN 4074 genügen. Andernfalls ist eine ausreichende Zuverlässigkeit der Holzkonstruktion nicht gewährleistet. Dabei stößt man zwangsläufig auf Schwierigkeiten, da nicht alle Sortierregeln auf Holz im eingebauten Zustand anwendbar sind, da das Holz nicht von allen Seiten zugänglich ist. Andererseits hat man aber den Vorteil, dass man die Sortierung auf die Stellen hoher Beanspruchung konzentrieren kann, wodurch sich der Arbeitsaufwand erheblich reduziert. Nicht alle Sortiermerkmale nach DIN 4074 beeinflussen gleichermaßen die Tragfähigkeit, so dass es gerechtfertigt erscheint, die einzelnen Kriterien für eine Anwendung auf altes, eingebautes Konstruktionsholz zu modifizieren. Durch diese Modifizierung bewegt man sich außerhalb einer bauaufsichtlich eingeführten Norm, was nur durch entsprechend sorgfältige Vorgehensweise gerechtfertigt sein kann. Alle Sortiermerkmale und Sortierkriterien sind in DIN 4074 ausführlich beschrieben und sollten dem Ingenieur, der für die Standsicherheit einer alten Holzkonstruktion verantwortlich ist, bekannt sein. Im Folgenden werden diese Kriterien kurz aufgeführt und vor allem auf ihre Anwendung in Bezug auf altes Konstruktionsholz untersucht. I-9 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Ermittlung der Beanspruchbarkeit Baumkante Baumkanten reduzieren nicht die eigentliche Festigkeit sondern den statischen Querschnitt, mit dem die Spannungen berechnet werden. Altes Konstruktionsholz weist oftmals, bedingt durch die Herstellung, sehr ausgeprägte Baumkanten auf und erfüllt somit die Anforderungen an bestimmte Festigkeitsklassen nicht. Trotzdem können für dieses Holz die entsprechenden Festigkeitswerte z. B. nach DIN 1052 verwendet werden, wobei natürlich die Querschnittsschwächungen infolge der Baumkanten zu berücksichtigen sind. Es ist im Einzelfall denkbar, die Biege- und Druckfestigkeiten um 20 % zu erhöhen, wenn Querschnitte vorliegen, die in der Zug- bzw. Druckzone nicht bearbeitet sind, die Fasern ungeschädigt durchgehen und somit der Querschnitt näherungsweise als Rundholz betrachtet werden kann. Äste Maßgebend bei Ästen in Kanthölzern ist der kleinste sichtbare Durchmesser des größten Astes. Teilt man diesen Durchmesser durch die zugehörige Querschnittsbreite erhält man die Ästigkeit. Die Ästigkeit hat einen wesentlichen Einfluss auf die Festigkeit, so dass diese Kriterien uneingeschränkt auch auf altes Konstruktionsholz übertragen werden müssen, um bei Anwendung der charakteristischen Festigkeitskennwerte ausreichende Zuverlässigkeit zu garantieren. Der Aufwand für diese Untersuchung lässt sich jedoch erheblich reduzieren, wenn man sich auf die Bauteile mit hochbeanspruchten Bereichen beschränkt, also jene Bereiche, in denen die rechnerischen Spannungen die Bemessungsspannungen erreichen. Es wird nicht in allen Fällen möglich sein, alle Bauteile entsprechend zu untersuchen, da sie vielmals durch Wand-, Decken- oder Fußbodenbekleidungen nicht zugänglich sind. Hier bedarf es einer Extrapolation der sichtbaren Holzqualität (Äste) auf nicht sichtbare Bereiche. Diese Extrapolation ist denkbar, da innerhalb eines Holzbauteils, bedingt durch den natürlichen Baumwuchs, gewisse Regelmäßigkeiten vorhanden sind, und man bei alten Konstruktionen in der Regel davon ausgehen kann, dass die verwendeten Hölzer die gleiche Herkunft haben und somit annähernd vergleichbare Eigenschaften aufweisen. Es wird jedoch empfohlen, solche Extrapolationen auf Hölzer der Festigkeitsklasse C24 und darunter zu beschränken. Sollen Hölzer der Festigkeitsklasse C30 zugeordnet werden, sind diese im gesamten maßgebenden Bereich zu untersuchen, wobei zumindest teilweise Freilegungen der Hölzer unerlässlich sind. Jahrringbreite Jahrringbreiten dürfen bei einer Sortierung nach DN 4074 nicht größer als 6 mm sein, bei S 13 (C30) müssen sie unter 4 mm liegen. Jahrringbreiten über 6 mm sind in alten Holzkonstruktionen aus Fichte oder Tanne eher selten, insbesondere in den weiter von der Markröhre entfernten Bereichen. Somit erscheint eine Überprüfung dieser Anforderungen für S 10 (C24) nicht unbedingt erforderlich, zumal bei altem Konstruktionsholz, bedingt durch den Einschnitt, die engeren Jahrringe in den Randbereichen liegen, die z. B. bei Biegeträgern am höchsten beansprucht sind. Soll Holz der Sortierklasse S 13 (C30) zugeordnet werden, ist die entsprechende Jahrringbreite nachzuweisen, wenn nicht ein geeigneter Nachweis über entsprechend hohe Rohdichte vorliegt. Da der Nachweis der Jahrringbreite in der Regel nicht über das Hirnholz des Balkens erfolgen kann, da dieses nicht zugänglich ist, muss die Jahrringbreite entweder anhand eines Bohrkernes oder mit Hilfe 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung I - 10 Kapitel I: Sind historische Dachwerke berechenbar? der Bohrwiderstandsmessung [6] ermittelt werden. Faserneigung Die Faserneigung wird berechnet aus der Abweichung der Fasern von der Bauteillängsachse auf 1 m Länge. Dabei bleiben örtliche Faserabweichungen z. B. infolge von Ästen unberücksichtigt. Faserneigungen dürfen gewisse Grenzwerte nicht überschreiten. Diese Bedingungen können bei altem Konstruktionsholz, das vielfach mit dem Breitbeil aus dem Stamm herausgearbeitet wurde, wodurch die Bauteillängsachse im Wesentlichen mit der Faserrichtung identisch ist, in der Regel vorausgesetzt werden. Trotzdem wäre es auch hier empfehlenswert, die Anforderungen, falls höhere Festigkeitsklassen angenommen werden, zumindest stichprobenartig nachzuweisen. Risse Schwindrisse beeinflussen die Schubtragfähigkeit, da sie die Schubfläche reduzieren können. Daher sind bei Anwendung der Festigkeitskennwerte die Schwindrisse zu ermitteln und die Grenzwerte einzuhalten. Sind in einem Bauteil größere (tiefere) Schwindrisse vorhanden, so kann selbstverständlich das Bauteil weiterverwendet werden, wenn nachgewiesen wird, dass der verbleibende Restquerschnitt ausreichend ist, um die Kräfte zu übertragen. Vorteil bei einer alten Holzkonstruktion ist es, dass das Holz sein Ausgleichsfeuchte erreicht hat und keine zusätzlichen Schwindrisse zu erwarten sind. Krümmung Krümmungen (Längskrümmung, Verdrehung, Querkrümmung) sind an neuem Bauholz zu ermitteln und stellen ein Kriterium für die Einordnung in Festigkeitsklassen dar. Da sich Krümmungen eher auf die Gebrauchstauglichkeit der Hölzer als auf deren Tragfähigkeit auswirken, ist es nicht notwendig, dieses Kriterium auf bereits eingebautes Holz zu übertragen. Hierbei kann im Einzelfall für die entsprechenden Bauteile entschieden werden, ob sie trotz Krümmungen ihre Gebrauchstauglichkeit erfüllen. Sollten kippgefährdete Bauteile (Stützen, Pfosten oder Obergurte von Biegeträgern) übermäßige Krümmungen aufweisen, ist dies bei der statischen Berechnung, gegebenenfalls nach Theorie II. Ordnung, zu berücksichtigen. Verfärbungen Verfärbungen (Veränderung der natürlichen Holzfarbe) kann auf Pilzbefall hindeuten. Hierbei ist zu unterscheiden zwischen Pilzbefall ohne Einfluss auf die Tragfähigkeit (Bläuepilze) und Befall durch holzzerstörende Pilze, der im Untersuchungsschritt 'Schadensfeststellung' zu lokalisieren ist. Druckholz Druckholz, als Reaktion im lebenden Baum auf äußere Beanspruchung gebildet, hat in mäßigem Umfang kaum Einfluss auf die Festigkeitseigenschaften. Da Druckholz wegen des ausgeprägten Längsschwindverhaltens jedoch bei Trocknung erhebliche Krümmungen des Schnittholzes verursachen kann, sind für Bauholz Sortierkriterien in DIN 4074 festgelegt. Es erscheint jedoch nicht notwendig, diese Kriterien für eingebautes Holz zu fordern, da es bereits seine Ausgleichsfeuchte erreicht hat und somit keine Quell- oder Schwindverformungen mehr zu erwarten sind, sofern gewährleistet ist, dass das vorhandene Umgebungsklima auch in Zukunft erhalten bleibt. I - 11 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Ermittlung der Beanspruchbarkeit Insektenfraß Während die DIN 4074 lediglich auf Fraßgänge von Frischholzinsekten hinweist und hierfür für alle Sortierklassen Fraßgänge bis 2 mm zulässt, weist altes Konstruktionsholz oftmals Befall durch Larven des Hausbockkäfers oder durch Anobien auf. Dieser Befall schwächt den Querschnitt, so dass die Ausdehnung des Befalls im Untersuchungsschritt 'Schadensfeststellung' ermittelt werden muss. Für den nicht befallenen Restquerschnitt sind dann die hier zusammengestellten Sortiermerkmale einzuhalten. Bei nachweislich abgestorbenem Befall kann auf ein Entfernen der befallenen Bereiche in der Regel verzichtet werden, wenn der tragende Restquerschnitt ausreichend zuverlässig bezüglich seiner Tragfähigkeit beurteilt werden kann. Mistelbefall Sollte im Einzelfall Mistelbefall vorliegen (dicht beieinander liegende Löcher von etwa 5 mm Durchmesser, die von den Senkerwurzeln der Misteln am lebenden Baum hervorgerufen wurden), so muss auch hier, analog zum Insektenbefall, die Ausdehnung ermittelt und der tragende Restquerschnitt beurteilt werden. Solche Fälle wurden bei den eigenen Untersuchungen bisher nicht beobachtet, trotzdem seien sie an dieser Stelle der Vollständigkeit halber erwähnt. Markröhre Die Markröhre ist für Kanthölzer mit Breiten über 120 mm kein Sortierkriterium und muss lediglich bei Bohlen und Brettern beachtet werden. 3.2 Weitergehende Untersuchungen 3.2.1 Ermittlung der Holzfeuchte Um eine alte Holzkonstruktion hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit und Gebrauchstauglichkeit beurteilen zu können, ist die Ermittlung der Holzfeuchte an ausgewählten Stellen unerlässlich. Dies hat mehrere Gründe, von denen die wichtigsten kurz dargestellt werden: • • Fast alle Festigkeitseigenschaften des Holzes hängen von der Holzfeuchte ab. Damit verbunden können auch festigkeitsrelevante Parameter, die zur Abschätzung der Tragfähigkeit herangezogen werden, von der Holzfeuchte abhängen. Dies bedeutet, dass bei allen Eindringverfahren, bei der Ermittlung der Rohdichte oder des Elastizitätsmoduls zumindest stichprobenartig die Holzfeuchte zu ermitteln ist. Durch Feuchteänderungen im Holz entstehen Quell- bzw. Schwindverformungen, die sich ungünstig auf das Trag- und insbesondere auf das Verformungsverhalten einer Holzkonstruktion auswirken können. So können z. B. durch Schwindverformungen in Anschlüssen, die passgenau ausgeführt sind, Klaffungen, oder durch Quellverformungen Zwängungen entstehen. Weiterhin ist beim Austrocknen des Holzes bedingt durch unterschiedliche Quell- und Schwindmaße radial und tangential zu den Jahrringen mit Schwindrissen zu rechnen. Um also realistische Abschätzungen der feuchtebedingten Verformungen vornehmen zu können, ist eine Ermittlung der aktuellen Holzfeuchte wichtig. Dies trifft insbesondere auch auf neu eingebaute Hölzer zu, die in der Regel eine andere Holzfeuchte als die bereits eingebauten Hölzer aufweisen. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung I - 12 Kapitel I: Sind historische Dachwerke berechenbar? • • Der Widerstand des Holzes gegen Pilzbefall und in gewissem Rahmen auch gegen Insektenbefall hängt ebenfalls von der Holzfeuchte ab. Da die Holzfeuchte von dem das Holz umgebenden Klima (Temperatur, relative Luftfeuchte) abhängt, ergibt sich die Möglichkeit, aus einem Vergleich der aktuellen Holzfeuchte mit der Temperatur und der relativen Luftfeuchte, Rückschlüsse auf Unregelmäßigkeiten im Bauwerk zu schließen: liegt die Holzfeuchte deutlich über der aus dem Umgebungsklima zu erwartenden Ausgleichsholzfeuchte, so ist damit zu rechnen, dass Wasser Zugang zum Holz gefunden hat. Hierbei sind die Ursachen unbedingt zu bestimmen und zu beseitigen. Es kann sich dabei um freies Wasser (undichte Dächer oder Wasserrohre, schlecht abgedichtete Nasszellen) oder aber um indirekt aus Mauern („aufsteigende Feuchte“) eingedrungenes Wasser handeln. Kondensation von Wasserdampf infolge fehlender bzw. falsch angeordneter Dampfsperren kann ebenfalls der Grund für hohe Holzfeuchten sein. Die Holzfeuchte kann mit den seit vielen Jahren bewährten Holzfeuchtemessgeräten, die in der Regel auf dem Prinzip der Messung des elektrischen Widerstandes arbeiten, ausreichend genau für die oben beschriebenen Anwendungen ermittelt werden. Dabei sind die Bedienungsanweisungen für die einzelnen Geräte (Einstellung der Holzarten, Temperaturkompensation) zu beachten. Zur Bestimmung der Holzfeuchte an eingebautem Konstruktionsholz sind Elektroden, die mehrere Zentimeter ins Holz eingerammt werden können, besonders geeignet, da man dadurch auch Aufschluss auf die Feuchteverteilung im Inneren der Holzquerschnitte erhält. Dies ist wichtig, um zu entscheiden, ob eine hohe Holzfeuchte nur oberflächlich vorliegt, was auf einen einmaligen, kurzen Wasserzutritt hindeutet und im wesentlichen ohne Bedeutung ist, oder ob sich die hohe Holzfeuchte auch ins Innere fortsetzt und somit bei der weiteren Planung zu beachten ist. 3.2.2 Ermittlung der Rohdichte Mit der Rohdichte lässt sich die Holzstruktur des sog. fehlerfreien Holzes beschreiben, sie ist also eine wichtige Kenngröße zur Beurteilung der Holzgüte. Die Rohdichte allein kann jedoch nicht zur Festigkeitsvorhersage herangezogen werden, sondern sie muss stets im Zusammenhang mit den sog. Holzfehlern, insbesondere der Ästigkeit gesehen werden: so kann die Biegefestigkeit von Kanthölzern nach einer Untersuchung von GLOS [4] bei einer Darr-Rohdichte von 0,5 g/cm3 nahezu doppelt so groß sein, wie bei 0,35 g/cm3, wenn gleichzeitig keine Äste im Kantholz auftreten. Liegen jedoch Äste mit Astdurchmessern von 50 % der Querschnittsbreite vor, so beträgt die Erhöhung der Biegefestigkeit bei gleicher Rohdichteänderung lediglich etwa 15 %. Daraus ist abzuleiten, dass sich eine Rohdichtebestimmung zur Beurteilung von altem Konstruktionsholz erst dann lohnt, wenn das Kantholz nur wenige kleine Äste aufweist. Obwohl die Ästigkeit zusammen mit der Rohdichte bei der maschinellen Sortierung als Kriterien eingesetzt werden, gibt es keine allgemeinen Sortiernormen, nach denen eine Einordnung in bestimmte Festigkeitsklassen aufgrund Ästigkeit und Rohdichte möglich ist. Trotzdem kann die Kenntnis der Rohdichte eine wichtige Hilfe sein, um im Einzelfall entscheiden zu können, ob ein Holz eine höhere Qualität aufweist, als bei Erfüllung allein der Ästigkeitsanforderungen zu erwarten wäre. Eine solche Einschätzung sollte jedoch nur durch erfahrene Fachleute in Absprache mit den Baubehörden erfolgen. Die Rohdichte von eingebautem Holz kann in der Regel nur zerstörend ermittelt werden, da zur Bestimmung der Masse entsprechende Proben entnommen werden müssen. Da aber gerade die Eigenschaften von hochbeanspruchten Bauteilen, die nicht geschädigt werden dürfen, interessieren, I - 13 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Ermittlung der Beanspruchbarkeit muss man hier vorsichtig vorgehen. An Bohrkernen, die mit geeigneten Hohlbohrern gezogen werden, kann die Rohdichte punktuell exakt ermittelt werden. Diese Methode der Rohdichtebestimmung bietet sich immer dann an, wenn aus anderen Gründen (z. B. dendrochronologische Analysen, Beurteilung des inneren Zustandes eines Bauteils) Bohrkerne ohnehin entnommen werden müssen. Ansonsten ist sorgfältig abzuschätzen, ob der bei der Entnahme entstehende Schaden nicht größer ist als der zu erwartende Nutzen. Ein weitgehend zerstörungsfreies Verfahren zur Abschätzung der Rohdichte von eingebautem Holz ist die Eindringwiderstandsmessung z. B. mit dem Holzprüfgerät Pilodyn. Ein Schlagstift wird durch Freisetzen einer definierten Energie, die durch Spannen einer Feder gespeichert wird, in das zu untersuchende Holz eingetrieben. Die Eindringtiefe des Stiftes, die auf einer Skala am Messgerät direkt abgelesen werden kann, ist ein Maß für die Rohdichte [5]. Auch Bohrwiderstandsmessungen erlauben eine Abschätzung der Rohdichte [6]. 3.2.3 Bestimmung des Elastizitätsmoduls Muss in einer alten Holzkonstruktion für einzelne Hölzer eine besonders hohe Tragfähigkeit nachgewiesen werden, d. h. liegen die rechnerischen Beanspruchungen über den Festigkeitskennwerten, die bei einer rein visuellen Untersuchung erreichbar sind, bedarf es zum Beispiel der Ermittlung des Elastizitätsmoduls. Die Kenntnis des Elastizitätsmoduls hat gleichzeitig den Vorteil, dass ein realistischer Kennwert für die Beurteilung der Steifigkeit, also für den Durchbiegungsnachweis, zur Verfügung steht. Für den Zusammenhang zwischen Elastizitätsmodul und Biege-, Zug- bzw. Druckfestigkeit sind Korrelationskoeffizienten zwischen 0,7 und 0,8 zu erwarten, wodurch sich der Elastizitätsmodul als ein Sortierkriterium erweist, das für die Festigkeitsvorhersage gut geeignet ist. Alle diesbezüglichen Untersuchungen aus dem In- und Ausland wurden an neuem, noch nicht verbautem Bauholz durchgeführt. Da systematische Untersuchungen im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 315 "Erhalten historisch bedeutsamer Bauwerke" ergaben, dass zwischen altem und neuem Holz bezüglich der Werkstoffeigenschaften, ermittelt an fehlerfreien Normproben, kein signifikanter Unterschied besteht [2], kann man davon ausgehen, dass auch für altes Holz die Abhängigkeiten der Festigkeit von Bauholz in Gebrauchsabmessungen von festigkeitsrelevanten Parametern wie zum Beispiel vom Elastizitätsmodul, zutreffen. Dies konnte auch durch einen Vergleich von Versuchsergebnissen an neuem Bauholz (Nadelholz und Eiche) und Holz, das aus alten Gebäuden aus unterschiedlichen Regionen in Baden - Württemberg stammten, gezeigt werden [9]. Der Elastizitätsmodul lässt sich prinzipiell aus einer statischen oder einer dynamischen Beanspruchung ermitteln. Bei der statischen Methode wird das Holz verformt und aus Verformung, Belastung und Geometrie mit Hilfe der Elastizitätstheorie der Elastizitätsmodul berechnet. Dabei wird das Holz meist einer Biegebeanspruchung unterworfen, da hierbei die Verformungen (Durchbiegungen) relativ einfach zu messen sind. Ein solches Verfahren ist auch "in-situ" durchführbar. Bei der dynamischen Methode ist es möglich, aus der Laufzeit einer Welle, die durchs Holz wandert, den dynamischen Elastizitätsmodul zu ermitteln. Eine solche Welle kann zum Beispiel durch einen Ultraschallimpuls erzeugt werden (Ultraschallverfahren) oder auch durch einmaliges Anschlagen mit einem Hammer. Beide Verfahren eignen sich für eine Anwendung vor Ort, geeignete Messgeräte hierfür sind auf dem Markt erhältlich. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung I - 14 Kapitel I: Sind historische Dachwerke berechenbar? Eine Beschreibung des statischen und dynamischen Verfahrens mit Hinweisen für die praktische Anwendung und ersten Versuchsergebnissen sind z. B. in [9] und [20] gegeben. 3.3 Berechnung der Verbindungen Eine historische Holzkonstruktion, die in der Regel aus stabförmigen, aus dem Baumstamm gewonnenen Elementen besteht, ist nur dann leistungsfähig, wenn die Einzelbauteile sinnvoll zu einem Ganzen zusammengefügt werden. Die Aufgabe der Übertragung der durch äußere Lasteinwirkung entstehenden inneren Kräfte von Element zu Element übernehmen die Verbindungen. Zwei oder mehr Einzelelemente werden in den Knotenpunkten der Konstruktion zusammengeführt. Um die Zuverlässigkeit einer alten Holzkonstruktion nachzuweisen, die bereits Jahrzehnte oder Jahrhunderte überlebt hat, ist es nicht allein ausreichend, das alte Holz hinsichtlich seiner mechanischen Eigenschaften zu beurteilen. Es ist gleichermaßen wichtig, die Wirkungsweise der Knotenpunkte bzw. der Verbindungen, das bedeutet ihr Trag- und Verformungsverhalten, zu kennen. Die einschlägigen technischen Baubestimmungen, die auf moderne Ingenieurbauwerke ausgerichtet sind, erfassen die Vielzahl der historischen zimmermannsmäßigen Holzverbindungen nicht. Der Kraftfluss in solchen Verbindungen ist kompliziert und rechnerisch nach den Methoden der Baustatik kaum erfassbar. Somit wurde das Trag- und Verformungsverhalten von zimmermannsmäßigen Holzverbindungen durch Versuche ermittelt. Daraus wurden Empfehlungen für die Bemessung solcher Verbindungen erarbeitet und veröffentlicht [14]. Es handelt sich hierbei um folgende Holzverbindungen: - Versätze mit verschiedenen Einschnittformen, Zapfenverbindungen zur Übertragung von Querkräften in Decken,- Wand und Dachkonstruktionen, Blattlängsverbindungen wie Hakenblatt mit und ohne Verstärkung, gerades Blatt mit Nägeln und Dübeln als Verstärkung, Schwalbenschwanzverbindungen. Diese Empfehlungen zur Bemessung zimmermannsmäßiger Holzverbindungen stellen eine wertvolle Hilfe bei der Berechnung historischer Holzkonstruktionen dar. Es ist jedoch zu beachten, dass die Empfehlungen, die in Anlehnung an die Bestimmungen der DIN 1052 entstanden sind, nicht die Möglichkeit bieten, die Bemessung von Holzverbindungen in Abhängigkeit von Holzeigenschaften und Ausführungsqualitäten durchzuführen. Die Holzeigenschaften und Ausführungsqualitäten können insitu für jeden Knoten im Einzelfall durch geeignete Untersuchungsmethoden festgestellt werden. Man muss sich nicht wie bei der Errichtung neuer Konstruktionen am ungünstigen Fall orientieren. Dies ist für die wirklichkeitsnahe Beurteilung der Zuverlässigkeit einer alten Holzkonstruktion von Bedeutung. Daher werden weitere Lösungsmöglichkeiten zur Beurteilung von häufig vorkommenden zimmermannsmäßigen Holzverbindungen, die beim Nachweis der Standsicherheit einer Konstruktion immer wieder Probleme bereiten, aufgezeigt. Diese Lösungen setzen eine äußerst sorgfältige Untersuchung der Anschlüsse im Einzelfall voraus und sind dann sinnvoll anzuwenden, wenn mit den einschlägigen bauaufsichtlich eingeführten Bestimmungen bzw. Empfehlungen kein für die alte Holzkonstruktion befriedigendes Ergebnis erzielt werden kann. I - 15 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Ermittlung der Beanspruchbarkeit Versätze Einen auch im modernen Ingenieurholzbau häufig verwendeten Anschluss eines Druckstabes, der unter einem spitzen Winkel auf einen zweiten Stab trifft, stellt der Versatz dar. Die Ermittlung der zulässigen Beanspruchung eines Versatzes kann nach bauaufsichtlich anerkannten Regeln erfolgen. Bei der Überprüfung der rechnerischen Tragfähigkeit von Versatzverbindungen in historischen Holzkonstruktionen wird jedoch oft festgestellt, dass diese Versätze "rechnerisch" nicht ausreichend tragfähig sind. Dies erstaunt umso mehr, da in vielen Fällen die Versätze mehrere hundert Jahre überlebt haben, ohne Schäden durch Überlastung zu zeigen. Aufgrund systematischer Untersuchungen von Versatzanschlüssen mit Variationen verschiedener Einflussparameter wurde ein Vorschlag für die Beurteilung von Versätzen in bestehenden alten Holzkonstruktionen erarbeitet. Unter der Voraussetzung einer sorgfältigen visuellen Untersuchung des Holzes im Anschlussbereich (Risse, Ästigkeit und bei Bedarf Rohdichte) ist es dabei im Einzelfall möglich, die Zuverlässigkeit von Versatzanschlüssen nachzuweisen, die bei Anwendung der Forderungen nach DIN 1052 scheinbar nicht ausreichend dimensioniert sind. Eine ausführliche Beschreibung dieser Vorgehensweise ist in [7] gegeben. Blattverbindungen (als Schwalbenschwanz und mit Haken) Aufgrund umfangreicher Versuche und mit Hilfe theoretischer Betrachtungen wurde eine Bemessungsformel zur Ermittlung der zulässigen Zugbeanspruchung von Blattverbindungen vorgeschlagen [8]. Da dieser Bemessungsvorschlag die wichtigsten Einflussgrößen erfasst, kann er auf einen Großteil der in historischen Holzbauwerken verwendeten Blattverbindungen übertragen werden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass bei Blattverbindungen in Form von Schwalbenschwänzen mit relativ großen Verformungen zu rechnen ist, die von der Konstruktion ohne Schaden aufgenommen werden müssen. Weiterhin wird empfohlen, diese Verbindungen planmäßig nur kurzzeitig zu belasten, da sich Feuchteänderungen unter Dauerbeanspruchung ungünstig auswirken können. Blattverbindungen mit unterschiedlich ausgebildeten Haken weisen ein deutlich günstigeres Tragverhalten auf. Ihr Verschiebungsmodul lässt sich mit dem von Verbindungen des modernen Ingenieurholzbaus vergleichen. Es bestehen keine Bedenken, solche Blattverbindungen auch durch ständige Lasten zu beanspruchen. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung I - 16 Kapitel I: Sind historische Dachwerke berechenbar? 4 [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14] [15] [16] [17] I - 17 Literatur BENNINGHOVEN, H. (1985): Trägerrostberechnung als Beitrag zur Fachwerkhausstatik. In: bauen mit holz 87 (1985), S. 842-846 EHLBECK, J.; GÖRLACHER, R. (1988): Erste Ergebnisse von Festigkeitsuntersuchungen an altem Konstruktionsholz. In: Wenzel, F. (Hrsg.): Erhalten historisch bedeutsamer Bauwerke, Jahrbuch 1987. Berlin: Ernst und Sohn, 1988, S. 235-247 EHLBECK, J.; HÄTTICH, R. (1989): Tragfähigkeit und Verformungsverhalten von ein- und zweischnittig beanspruchten Holznägeln. In: Wenzel, F. (Hrsg.): Erhalten historisch bedeutsamer Bauwerke - Jahrbuch 1988, S. 281 - 298, Ernst und Sohn, Berlin GLOS, P. (1989): Festigkeit von Fichten-Bauholz mit Insekten- und Pilzbefall (Biegefestigkeit). In: Holz als Roh- und Werkstoff 47 (1989) S. 329-335 GÖRLACHER, R. (1987): Zerstörungsfreie Prüfung von Holz: Ein "in situ" - Verfahren zur Bestimmung der Rohdichte. In: Holz als Roh- und Werkstoff 45(1987), S. 273-278 GÖRLACHER, R.; HÄTTICH, R. (1990): Untersuchung von altem Konstruktionsholz: Die Bohrwider-standsmessung. In: bauen mit holz 92 (1990), S. 455-459 GÖRLACHER, R.; KROMER, M. (1991): Tragfähigkeit von Versatzanschlüssen in historischen Holz-konstruktionen. In: bauen mit holz 93(1991), S.164-169 GÖRLACHER, R.; HÄTTICH, R.; KROMER, M.; EHLBECK, J. (1991): Tragfähigkeit und Verformungs-verhalten von zugbeanspruchten Blattverbindungen in historischen Holzkonstruktionen. - In: Wenzel, F. (Hrsg.): Erhalten historisch bedeutsamer Bauwerke, Jahrbuch 1990, Ernst und Sohn, Berlin GÖRLACHER, R. (1991): Untersuchung von altem Konstruktionsholz: Die Bestimmung des Elastizitäts-moduls. - In: bauen mit holz 93 (1991), S. 582-587 GÖRLACHER, R.; KROMER, M. (1992): Untersuchung alter Holzkonstruktionen: Ermittlung von Spannungen in einem Bauteil. - In: bauen mit holz 94 (1992), S. 912-919 GÖRLACHER, R., KROMER, M., EHLBECK, J. (1994) Das Dachtragwerk der Klosterkirche in Kirchheim/ Ries. In: Erhalten historisch bedeutsamer Bauwerke, Jahrbuch 1992, Ernst und Sohn, Berlin GÖRLACHER, R. (1999) Historische Holztragwerke: Untersuchen, Berechnen und Instandsetzen. Sonderforschungsbereich 315, Universität Karlsruhe. ISBN 3-934540-01-5 HALLER, J., PÖRTNER, R. (1987): Bau- und Schadensaufnahmen von alten Bauten nach den Erfor-dernissen des Bauingenieurs. In: Arbeitshefte des Sonderforschungsbereiches 315, Erhalten histo-risch bedeutsamer Bauwerke. Heft 7 (1987), Bauaufnahme. HEIMESHOFF, B. (1988): Zimmermannsmäßige Holzverbindungen. In: Informationsdienst Holz. Entwick-lungsgemeinschaft Holzbau (EGH) in der Deutschen Gesellschaft für Holzforschung e. V. (DGfH), München (Hrsg.); Centrale Marketinggesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft mbH (CMA), Bonn (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit Bund Deutscher Zimmermeister im ZDB, Bonn, und Arbeitsge-meinschaft Holz e. V., Düsseldorf, 1988 HOFMANN, F. (1980): Statik von Fachwerkbauten. In: Deutsche Bauzeitschrift (1980), S. 413416 HOFMANN, F. (1989): Historische Holzkonstruktionen – Gefüge und Statik von Fachwerkhäusern. VDI-Seminar "Sicherung und Sanierung Historischer Baukonstruktionen", Pulheim-Brauweiler, Nov. 1989 KESSEL, M. H. (1987): Untersuchungen der Tragfähigkeit von Holznagelverbindungen (Vorversuche). Labor für Holztechnik, Fachhochschule Hildesheim/Holzminden, 1987. Bericht 2/87 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 4 Literatur [18] [19] [20] KESSEL M. H.(1990): Festigkeitsuntersuchungen von Eichenbalken. In: bauen mit holz 92(1990), S. 174-180 SCHEER, J.; PASTERNAK, H.; HOFMEISTER, M. (1994): Gebrauchstauglichkeit - (k)ein Problem?. In: Bauingenieur 69(1994) 99-106 TICHELMANN, K.; GIMMINGER, U. (1993): Zerstörungsfreie Ermittlung der mechanischen Eigenschaften von Konstruktionsholz durch Ultraschall-Laufzeitmessung. In: Bautechnik 70(1993) 218-224 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung I - 18 J Modellbildung historischer Dachtragwerke H. Koch, W. Seim Dr.-Ing. Heiko Koch 2010 Promotion an der Universität Kassel seit 2010 Tragwerksplaner bei der HAZ Beratende Ingenieure für das Bauwesen GmbH in Kassel Prof. Dr.-Ing. Werner Seim J-1 1994 Promotion an der Universität Karlsruhe seit 1999 Universitätsprofessor für Holzbau und Bauwerkserhaltung an der Universität Kassel 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 1 Einleitung Zusammenfassung Historische Holzkonstruktionen sind noch heute in großer Zahl und Formenvielfalt vorhanden. Bei Schäden oder Umnutzungen wird ein rechnerischer Nachweis der Standsicherheit benötigt, der als Grundlage ein Modell des Tragwerkes voraussetzt. Es werden grundlegende Vorgehensweisen zur Bildung solcher Modelle – Gliederung des Tragwerkes, Modellierung der Stäbe und Knoten – dargestellt. Weiterhin wird über experimentelle und theoretische Untersuchungen an Verbindungen mit abgestirnten Zapfen berichtet. Abschließend werden Beispiele aus der Praxis der Sanierung historischer Dachtragwerke vorgestellt. 1 Einleitung Historische Holzkonstruktionen finden sich noch heute in großer Zahl und Formenvielfalt. Im Zuge nachhaltigen Denkmalschutzes müssen Schäden an diesen Bauwerken repariert werden, durch Änderungen der Nutzungen werden neue Anforderungen an die Bauwerke gestellt. In diesen Fällen wird ein rechnerischer Nachweis der Standsicherheit erforderlich. Zur Erstellung dieser Nachweise sind Kenntnisse über die Konstruktionsweisen und zum Trag- und Verfomungsverhalten historischer Holzkonstruktionen erforderlich. Dies betrifft sowohl die Bauteile als auch die Verbindungen der Bauteile untereinander. Die Konstruktionsweisen sind in zahlreichen Untersuchungen behandelt und gut dokumentiert (z. B. [1] bis [5]). Die Praxis zeigt, dass jedes Bauwerk mehr oder minder große Abweichungen von einem Konstruktionstyp aufweist und stets als Einzelfall betrachtet werden muss. Die Abbildung bestehender Tragwerke durch mit baustatischen Methoden auswertbare Modelle kann als Stand der Technik bezeichnet werden, was die Modellierung der Bauteile betrifft. Die Methoden unterscheiden sich nur wenig von denen die bei Neubauten Anwendung finden. Das LastVerformungsverhalten der zum Fügen der Bauteile verwendeten historischen Holzverbindungen ist weniger gut untersucht. Einzelne Verbindungstechniken wie Versätze, Holznägel, Schwalbenschwanzverbindungen waren bereits Gegenstand der Forschung und es liegen Regelungen zur Modellierung und zum rechnerischen Nachweis vor ([6] bis [15]). Andere Verbindungsformen, zum Beispiel der abgestirnte Zapfen als Verbindung druckbeanspruchter Bauteile (Abb. 3.1), ist bisher nur in begrenztem Umfang untersucht worden. Was einigermaßen erstaunt, wenn man weiß, dass Verbindungen mit abgestirnten Zapfen häufig zum Fügen druckbeanspruchter Bauteile wie Sparren, Streben, Kopfbändern und anderen verwendet wurden. Zunächst werden die grundlegende Methoden zur Modellbildung von historischen Holztragwerken dargestellt. Ausgehend von den Möglichkeiten zur Gliederung der Tragwerke werden Methoden zur Abbildung der Bauteile (Stäbe) und der Verbindungen (Knoten) dargestellt. Über Verbindungen mit abgestirnten Zapfen wird in einem Abschnitt ausführlicher berichtet. Abschließend werden einige Beispiele aus der Praxis exemplarisch vorgestellt. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung J-2 Kapitel J: Modellbildung historischer Dachtragwerke 2 Modellbildung 2.1 Allgemeines Holztragwerke bestehen aufgrund der natürlichen Wuchsform der Bäume in der Regel aus stabförmigen Bauteilen (Kanthölzer, Balken), die durch Anschlüsse (z. B. traditionelle Holzverbindungen) gekoppelt werden. Der Übergang des Holztragwerkes zu lastabtragenden Bauteilen (massive Wände, Fundamente) erfolgt an besonderen Verbindungsspunkten (Auflager). Zur Untersuchung eines realen Tragwerkes muss dieses durch ein Modell abgebildet werden, das mit den Methoden der Baustatik ausgewertet werden kann. In diesen Modellen werden Bauteile (Balken), deren Kopplungen untereinander (Holzverbindungen) sowie die Kopplungen zu lastabtragenden Bauteilen (Auflager) abgebildet. Die Balken werden als Stäbe abgebildet, die Kopplung der Stäbe erfolgt an den Knoten, die Übergänge zu lastabtragenden Bauteilen werden durch Auflager repräsentiert. Das so gegliederte Modell wird im Folgenden als Strukturmodell bezeichnet. Die einzelnen Elemente des Strukturmodells (Stäbe, Knoten, Auflager) enthalten Informationen über die geometrischen Eigenschaften, die Beziehungen einzelner Bauteile untereinander und mit ihrer Umgebung sowie materialspezifische Informationen zu Bauteilen, Verbindungselementen und Auflagern. Zur Auswertung dieser Strukturmodelle sind leistungsfähige Computer-Programme (Stabwerkprogramme) vorhanden. 2.2 Gliederung der Tragwerke Komplexe Tragwerke können als Ganzes oder in Teilsysteme gegliedert betrachtet und durch einzelne (Teil-) Strukturmodelle abgebildet werden. Bei der Gliederung von Tragwerken ist besonderes Augenmerk auf die Schnittstellen zwischen den einzelnen Teilsystemen zu legen. Betrachtung einzelner Tragelemente Einzelne Tragelemente (ein oder wenige Stäbe) können aus dem Gesamtsystem herausgeschnitten und isoliert betrachtet werden. Ein Beispiel hierfür ist die Aufteilung eines Pfettendaches in die Bauteile Sparren, Pfetten und Pfosten. Die Schnittstellen zwischen den Einzelbauteilen werden an den jeweils betrachteten Bauteilen durch (starre) Auflager abgebildet. Die dort auftretenden Auflagerkräfte werden an den nachfolgenden Bauteilen als Einwirkungen aufgebracht. Durch diese Vorgehensweise entstehen einfache Strukturmodelle, die der Handrechnung zugänglich sein können. Das Zusammenwirken der unterschiedlichen Bauteile wird über das Gleichgewicht der Kräfte berücksichtigt. Geometrische Verträglichkeitsbedingungen können verletzt werden. Das Ergebnis der Untersuchung ist als Grenzlast zu sehen, die oft auf der sicheren Seite liegt. Dieses Verfahren findet beispielsweise bei einfachen Neubauten Anwendung, die Verwendung bei der Untersuchung historischer Holztragwerke dürfte von untergeordneter Bedeutung sein Aufteilung in ebene Teilsysteme Zur Untersuchung eines komplexen räumlichen Tragwerkes kann dies in ebene Teilsysteme aufgeteilt werden, die dann getrennt voneinander betrachtet werden. Ein Beispiel hierfür ist die Aufteilung eines historischen Dachtragwerkes in Leer- und Bindergespärren, die über Pfetten und Rähme miteinander gekoppelt sind. Leer- und Bindergespärre sowie Rähme und Pfetten werden aus dem räumlichen Gesamtsystem herausgeschnitten und getrennt voneinander als ebene Systeme betrachtet. Besondere J-3 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 2 Modellbildung Aufmerksamkeit ist den Kopplungspunkten der Teilsysteme zu widmen. In den Strukturmodellen der Teilsysteme stellen diese Kopplungspunkte Auflager (Leergespärre) beziehungsweise Lasteinleitungspunkte (Bindergespärre) dar. Modelliert man die Auflager unverschieblich oder verschieblich, so erhält man Grenzwerte des Tragverhaltens für die Teilsysteme, die häufig das Tragverhalten des Gesamtsystems nicht realitätsnah wiedergeben. Bessere Ergebnisse werden erreicht, wenn das Last-Verformungsverhalten an den Kopplungspunkten in den Strukturmodellen der Teilsysteme erfasst wird. Dies kann durch die Verwendung von Federelementen zur Modellierung der Auflager erfolgen (Abb. 2.1). Die Eigenschaften dieser Federelemente (Federsteifigkeit) erhält man aus der Forderung, dass benachbarte Bereiche des Tragwerkes Verformungen ähnlicher Größe aufweisen sollen (Erfüllung der Verträglichkeitsbedingung). Ausgehend von einem Startwert werden die Federsteifigkeiten der Federelemente im Strukturmodell des Teilsystems (z. B. Leergespärre) in einer iterativen Rechnung solange verändert, bis diese Forderung erfüllt ist, vergleiche auch Abbildung 2.2. Dieses Vorgehen wird im Fachschrifttum (z. B. [6]) als Verfahren mit iterativer Verformungsangleichung bezeichnet. Abb. 2.1: Ebenes Teilsystem eines Leergespärres mit Auflagerfedern an den Kopplungsstellen, aus [6]. Nach Görlacher [6] liefert die Untersuchung von Teilsystemen mit iterativ verbesserten Federelementen bei deutlich reduziertem Bearbeitungsaufwand ähnliche Ergebnisse wie eine Untersuchung des räumlichen Strukturmodells des Gesamttragwerkes. Die Ergebnisse hängen stark von den Eigenschaften der Federelemente der Teilsysteme ab. Räumliche Stabwerksmodelle Bei dieser Art der Modellierung werden sämtliche Stäbe des räumlichen Tragwerkes in einem Strukturmodell abgebildet (Abb. 2.3). Dadurch werden die gegenseitigen Beeinflussungen der Bauteile sowie der Auflagerung berücksichtigt. Die Untersuchung liefert nach Görlacher [6] bei sorgfältiger Modellierung realitätsnahe Ergebnisse, ist für Handrechnungen aber nicht mehr zugänglich, auch der Eingabeaufwand für eine computergestützte Berechnung ist enorm. Die Darstellung der umfangreichen Ergebnisse kann schwierig und zeitaufwendig sein. Ob mit einer vollständigen räumlichen Berechnung plausible Ergebnisse erzielt werden, hängt vor allem von der Modellierung der Kopplungspunkte ab. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung J-4 Kapitel J: Modellbildung historischer Dachtragwerke Abb. 2.2: Verformungsfiguren der Leer- und Bindergespärre eines Dachtragwerkes im Lastfall Seitenwind. (1), (2) rechnerische Verformungen der Leer- und Bindergespärre bei voneinander unabhängiger Betrachtung, (3), (4) rechnerische Verformungen der Leer- und Bindergespärre bei Beachtung der Interaktionsbeziehungen zwischen Leer- und Bindergespärren, aus [8]. Abb. 2.3: Räumliches Strukturmodell eines historischen Dachtragwerkes, aus [6]. J-5 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Der abgestirnte Zapfen 2.3 Modellierung der Stäbe Die Modellierung der Stäbe erfolgt fast wie bei Neubauten: Bei historischen Dachtragwerken betrachtet man vorhandene Bauteile deren Abmessungen aufzunehmen sind und deren Holzgüte zu bestimmen ist (z. B. Zuordnung zu einer Sortierklasse). Schwächungen der Bauteile (z. B. Zapfenlöcher) ist besonderes Augenmerk zu schenken, durch die Verbindungen auftretende Exzentrizitäten sind zu berücksichtigen. 2.4 Modellierung der Knoten Die Verbindung der Bauteile (Knoten) historischer Dachtragwerke erfolgt mit traditionellen Holzverbindungen. Bei der Modellierung dieser Knoten in einem Modell ist das LastVerformungsverhalten (Nachgiebigkeiten, Schlupf) zu berücksichtigen, ggf. ist ein unterschiedliches Verhalten bei einer Beanspruchung durch Druck- oder Zugkräfte zu beachten. Einflüsse aus Reibung können bedeutsam sein, wobei der Umgang mit Reibungskräften in bautechnischen Nachweisen schwierig ist. Die Bemessungsaufgaben bei traditionellen Holzverbindungen werden sich im Wesentlichen auf zwei Arten beschränken: Einerseits sind vorhandene Verbindungen hinsichtlich ihrer Tragfähigkeit zu beurteilen. In diesem Fall ist die Geometrie der vorhandenen Verbindungen aufzunehmen, die Holzgüte im Verbindungsbereich ist zu bestimmen, gegebenenfalls sind tragfähigkeitsmindernde Einflüsse wie Risse, Äste oder Klaffungen zu berücksichtigen. Andererseits werden neu herzustellende Verbindungen zu betrachten sein, beispielsweise bei Reparaturmaßnahmen als Ersatz für geschädigte Bauteile. Hier wird eine sorgfältige Auswahl der Hölzer empfohlen, die Wahl der Abmessungen der Verbindungen sollte mit Rücksicht auf die Regelungen zum Nachweis der jeweiligen Verbindungen erfolgen. Die Tragfähigkeiten von Versätzen, Holznägeln und Zapfenverbindungen können nach DIN 1052 ermittelt werden. Bei vielen Holzverbindungen erfolgt die Kraftübertragung durch die Spannungen in den Kontaktflächen, so dass die Tragfähigkeit über einen Spannungsnachweis ermittelt werden kann. Weitere Angaben über traditionelle Holzverbindungen enthalten z. B. Görlacher [6] oder Heimeshoff et al. [7]. Angaben zu Ermittlung der Nachgiebigkeit traditioneller Holzverbindungen können z. B. Görlacher [6] und Huber und Reim [11] entnommen werden. Oft verwendet zum Fügen druckbeanspruchter Bauteile, die in einem schrägen Winkel aufeinander treffen, wurden Verbindungen mit abgestirnten Zapfen. Da zum Last-Verformungsverhalten nur eine begrenzte Anzahl von Untersuchungen vorliegt wurden experimentelle und theoretische Untersuchungen durchgeführt, die im folgenden Abschnitt beschrieben werden. 3 Der abgestirnte Zapfen Um eine bessere Kenntnis über das Last-Verformungsverhalten von Verbindungen mit abgestirnten Zapfen zu erhalten wurden experimentelle Untersuchungen an Verbindungen mit abgestirnten Zapfen durchgeführt. Ausgehend von den Ergebnissen der experimentellen Untersuchungen wurde ein Modell zur Beschreibung des Tragverhaltens von solchen Verbindungen entwickelt. Eine vollständige Darstellung findet sich bei Koch [1]. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung J-6 Kapitel J: Modellbildung historischer Dachtragwerke 3.1 Experimentelle Untersuchungen Die experimentellen Untersuchungen an Holzverbindungen mit abgestirnten Zapfen sollten Aufschluss über die Bruchmechanismen und das grundlegende Last-Verformungsverhalten dieser Verbindungen geben. Abbildung 3.1 zeigt die Bezeichnungen und die Abmessungen der Prüfkörper, in Abbildung 3.2 ist ein im Versuchsrahmen eingebauter Prüfkörper dargestellt. Außerdem sollte der Einfluss der Reibung in den Kontaktflächen der Verbindungen untersucht werden. Dazu wurden mit Teflonplatten besetzte Bleche in die Kontaktflächen eingelegt, wodurch Reibungskräfte in den betreffenden Kontaktflächen nahezu ausgeschlossen werden konnten. Die Anordnung der mit Teflonplatten besetzten Bleche erfolgte in den Versuchsserien 2 bis 4 jeweils in der Stirn- und/oder Grundfläche der Verbindungen. Um den Einfluss des Anschlusswinkels zu erfassen wurden Prüfkörper mit variierten Anschlusswinkeln = (45°; 30°; 60°) untersucht (Serien 1, 5 und 6). Je Serie wurden drei bis vier Einzelversuche durchgeführt. Tabelle 3.1 enthält eine Übersicht über das Versuchsprogramm und die Versuchsergebnisse. Abb. 3.1: Prüfkörper – Abmessungen und Bezeichnungen. Tab. 3.1: Experimentelle Untersuchungen an abgestirnten Zapfen – Übersicht. 1) 2) Serie n Stirnfläche Grundfläche Fk,DIN1052,C24 FII,exp [kN] Bruchmechanismus1) 1 2 3 4 5 6 4 3 3 3 3 3 45° 45° 45° 45° 30° 60° Reibung Teflon Teflon Reibung Reibung Reibung Reibung Teflon Reibung Teflon Reibung Reibung 26,7 26,7 26,7 26,7 27,4 33,0 90-138 53-59 66-102 52-63 73-95 74-105 LAM2) LAM2) LAM2) LAM2) SF GF [kN] LAM: Abscheren der Lamellen, SF: Stirnfläche, GF: Grundfläche Teilweise auch Schädigungen der Stirn- und/oder Grundfläche J-7 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Der abgestirnte Zapfen Abb. 3.2: Im Versuchsrahmen eingebauter Prüfkörper. Last-Verformungsverhalten Das typische Last-Verformungsverhalten jeder Serie ist beispielhaft an je einem Prüfkörper jeder Serie in Abbildung 3.3 dargestellt. Das Last-Verformungsverhalten der untersuchten Verbindungen lässt sich anhand der LastVerformungsdiagramme in drei bis vier Phasen einteilen (Abb. 3.4). Zunächst verhalten sich die Prüfkörper in der Phase I linear-elastisch, danach folgt Phase II in der die Kurven abflachen (Proportionalitätsgrenze). Bei den Untersuchungen der Serien 1 bis 4 ( = 45°) wurde die Höchstlast (bis etwa 140 kN) in dieser Phase erreicht und es folgte ein Lastabfall. Die horizontalen Verformungen nahmen bei Erreichen der Höchstlast Werte von etwa 3 mm bis 5 mm an, die vertikale Verformungen erreichten Werte von etwa 1 mm bis 4 mm. In der Phase III nehmen die horizontalen Verformungen weiter bis etwa 30 mm zu, die Strebenkräfte bleiben annähernd konstant. Bei den Untersuchungen der Serien 5 und 6 stiegen die Lasten teilweise noch leicht an, die Höchstlasten wurden in dieser dritten Phase erreicht (bis etwa 170 kN). Bei den Untersuchungen der Serien 1 bis 5 änderten sich die (im Vergleich zu den horizontalen Verformungen) geringen vertikalen Verformungen im Verlauf der Phase III nur wenig, bei den Prüfkörpern der Serie 6 verhielten sich die horizontalen und vertikalen Verformungen annähernd gleich, wobei die vertikalen Verformungen (bis etwa 18 mm) deutlich größer als die horizontalen (bis etwa 5 mm) waren. Das Verhalten der Prüfkörper der Serien 5 und 6 wies nur die Phasen I bis III auf. Bei den Untersuchungen der Serien 1 bis 4 wurde Phase III von einem weiteren Lastabfall beendet und es folgte Phase IV mit annähernd konstanten Lasten bei weiter zunehmenden Verformungen. Die Verschiebungen infolge von Passungenauigkeiten (Schlupf) konnten bis etwa 2,5 mm in horizontaler wie in vertikaler Richtung bestimmt werden. Die Steifigkeiten Cv,h,elast der Verbindungen in horizontaler und vertikaler Richtung lagen im Mittel bei etwa 100 kN/mm. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung J-8 Kapitel J: Modellbildung historischer Dachtragwerke Abb. 3.3: Beispiele typischer Last-Verformungsdiagrammme – Strebenkräfte über den horizontalen Verformungen (Serien 1 bis 6). Abb. 3.4: Einteilung des Last-Verformungsverhaltens der Prüfkörper in Phasen am Beispiel des Prüfkörpers 1.2 – Strebenkraft FStrebe über den horizontalen Verschiebungen h. J-9 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Der abgestirnte Zapfen Bruchmechanismen Es ließen sich drei wesentliche Versagensmechanismen beobachten. Bei den Prüfkörpern mit Anschlusswinkeln = 45° (Serien 1 bis 4) scherten während der Versuchsdurchführung sukzessive zwei Teilquerschnitte von der Strebe ab, so dass drei Teilquerschnitte (Lamellen) entstanden (Abb. 3.5 a). Das Versagen scheint hier durch eine Überschreitung der Festigkeiten (Rollschub) in den Bruchflächen der Streben erfolgt zu sein. Die Größe der Bruchlasten hing offensichtlich stark von den auftretenden Reibungsverhältnissen in den Kontaktflächen ab. Die Kontaktflächen wiesen bei diesen Prüfkörpern teilweise noch weitere Schädigungen (Eindrückungen) in geringem Maße auf. Die Prüfkörper mit Anschlusswinkeln = 30° (Serie 5) versagten offensichtlich durch eine Überschreitung der Holzfestigkeiten (Druck im Winkel zur Faser) in der Stirnfläche (Abb. 3.5 b), die Gurte weisen keine sichtbaren Schäden auf. Die Prüfkörper mit Anschlusswinkeln = 60° (Serie 6) versagten durch eine Überschreitung der Holzfestigkeit (Druck senkrecht zur Faser) der Gurte im Bereich der Grundflächen (Abb. 3.5 c), hier weisen die Streben keine sichtbaren Schäden auf. (a) (b) Abb. 3.5: (c) Typische Bruchbilder an Verbindungen mit abgestirnten Zapfen: (a) Abgescherte Lamellen (Anschlusswinkel = 45°), (b) Geschädigte Stirnfläche (Anschlusswinkel = 30°), (c) Eingedrückte Grundfläche (Anschlusswinkel = 60°) 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung J - 10 Kapitel J: Modellbildung historischer Dachtragwerke 3.2 Entwicklung eines Modells Ausgehend von den Ergebnissen der experimentellen Untersuchungen konnte ein Modell zur Beschreibung des Tragverhaltens von Verbindungen mit abgestirnten Zapfen entwickelt werden. Mit dem Modell können Tragfähigkeiten von Verbindungen mit abgestirnten Zapfen in Abhängigkeit der drei Bruchmechanimen ermittelt werden: Für den Bruchmechanismus Abscheren der Lamellen werden in mitwirkenden Scherflächen im Bereich des Zapfen Schub- und Rollschubspannungen ermittelt, die Festigkeiten gegenübergestellt werden können (Abb. 3.6). Das Versagen an der Stirn- und Grundfläche wird durch eine Betrachtung der Spannungen in diesen Flächen berücksichtigt. Weiterhin konnten mithilfe des Modells Reibungsbeiwerte in der Stirn- und Grundfläche hergeleitet werden. Eine vollständige Darstellung findet sich bei Koch [1]. Abb. 3.6: J - 11 Modell zur Beschreibung des Tragverhaltens von Verbindungen mit abgestirnten Zapfen für den Bruchmechanismus ‚Abscheren der Lamellen‘. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 4 Beispiele aus der Praxis 4 Beispiele aus der Praxis Im Folgenden wird über zwei Beispiele aus der täglichen Büropraxis berichtet. Dieser Abschnitt entstand unter der freundlichen Mitwirkung von Peter Hegewaldt und Dr. Ulrich Huster (beide Büro HAZ, Kassel). Ausführliche Darstellungen finden sich bei Hegewaldt [16] (Schloss Horst) und Huster et al. [17] (Kirche St. Marien). 4.1 Schloss Horst Das Dachtragwerk des aus dem 16. Jahrhundert stammenden Schlosses Horst in Gelsenkirchen wies einige Schädigungen auf: Schäden an den Fußpunkten der Hölzer, Brüche einiger Bauteile, große Verformungen der Dachflächen in Verbindung mit wiederkehrenden Undichtigkeiten des mit Schiefer gedeckten Daches. Das Tragsystem besteht aus Bindergespärren mit drei liegenden Stühlen im Abstand von etwa 3,50 m. Diese Gespärre sind über Pfetten in Höhe der Spannriegel miteinander gekoppelt (Abb. 4.1). Die Sparren sind lose gegen diese Pfetten gelehnt, so dass nur Kräfte senkrecht zur Dachfläche aus den Sparren in die Pfetten eingetragen werden können. Lasten die in Ebene der Dachfläche wirken werden durch die Sparren direkt in die Mauerkrone eingeleitet. Verbindungen von Sparren und Pfetten mit Eisennägeln waren nur sehr vereinzelt vorhanden. Aufgrund der geringen Biegesteifigkeit der Sparren und dem mäßigen Kraftschluss zwischen Pfetten und Sparren tragen die Sparren Lasten nur für ihren Lasteinzugsbereich in die Mauerkronen und die Pfetten ein, beteiligen sich sonst nicht am Lastabtrag des Gesamtsystems. Die Berechnung konnte somit an einem ebenen Modell des Bindergespärres mit anteiligen Lasten aus den Sparren erfolgen. Abb. 4.1: Schloss Horst – Übersicht, aus [16]/Büro HAZ. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung J - 12 Kapitel J: Modellbildung historischer Dachtragwerke Es war insbesondere die Ertüchtigung der liegenden Stühle an den Eckpunkten zwischen Spannriegel und Stuhlsäule erforderlich. Die Ertüchtigung erfolgte durch eine Wiederherstellung des Kraftschlusses der Holzteile sowie der Ergänzung von Stahlbolzen zur Aufnahme der Zugkräfte (Abb. 4.2). Beispiele weiterer Reparaturen und Ertüchtigungsmaßnahmen zeigen die Abbildungen 4.3 und 4.4. (a) Abb. 4.2: (a) Abb. 4.3: J - 13 (b) Schloss Horst – Ertüchtigung der Eckpunkte Spannriegel/Stuhlsäule (a) vorher mit klaffenden Fugen, (b) Ertüchtigung mit Stahlstangen und durch Herstellung des Kraftschlusses in den Kontaktflächen, aus [16]/Büro HAZ. (b) Schloss Horst – Reparatur eines Riegels (a) gebrochener Riegel, (b) Reparatur mit eingelassenen Laschen, aus [16]/Büro HAZ. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 4 Beispiele aus der Praxis (a) (b) Abb. 4.4: 4.2 Schloss Horst – Ertüchtigung der Verbindung Sparren/Pfette mit einer Kette, aus [16]/Büro HAZ. Kirche St. Marien Die Stadtkirche St. Marien in Homberg/Efze wurde in der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts erbaut. Das etwa 20 m breite und 14 m hohe Dachtragwerk mit drei Kehlbalkenlagen und liegenden und stehenden Stühlen in den Bindergespärren (Abb. 4.5 a) wies, neben den üblichen Schädigungen durch Feuchteeinwirkungen, eine mangelnde Queraussteifung auf. Es waren Verformungen infolge einer seitlichen Windeinwirkung von bis zu etwa 30 cm aufgetreten. Zur Ertüchtigung wurden kreuzweise gespannte Bänder aus kohlefaserverstärktem Kunststoff (CFK) verwendet, die an den Fußpunkten des Daches und dem Verbindungspunkt von 2. Kehlbalkenlage und Sparren befestigt wurden (Abb. 4.5 b). Diese CFK-Bänder bestehen aus einer CFK-Lamelle (Breite x Dicke = 12 mm x 0,13 mm) die mehrfach lose um zwei Metallbolzen gewickelt wurde, lediglich das Ende der äußeren Wicklung wurde durch Aufschmelzen mit der darunterliegenden Wicklung verbunden (Abb. 4.6). Gegenüber Stahlzugbändern vergleichbarer Abmessungen weisen die CFKBänder folgende Vorteile auf: Die Dehnsteifigkeit ist deutlich geringer was zu einer besseren Verträglichkeit mit der historischen Holzkonstruktion führt. Durch die geringen Längenänderungen infolge von Temperaturänderungen wird die Beanspruchung der Konstruktion vermindert. Durch die kleinen Abmessungen wird der optische Eindruck des Dachraumes (Abb. 4.7) nur geringfügig beeinflusst, durch das geringe Gewicht und die Biegsamkeit der Bänder wird der Einbau erleichtert. Nach dem Einbau der Bänder wurden Sensoren zur Messung der Längenänderung der Bänder, der Windgeschwindigkeit und der Temperatur installiert und die Messwerte über einen Zeitraum von zwei Jahren aufgezeichnet. Durch die Ergebnisse dieser Messungen kann eine gute Wirksamkeit der Verstärkungen sowie ein geringer Einfluss von Temperaturänderungen nachgewiesen werden. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung J - 14 Kapitel J: Modellbildung historischer Dachtragwerke (b) (a) Abb. 4.5: Kirche St. Marien (a) Ansicht, (b) Querschnitt mit CFK-Bändern, aus [17]/Büro HAZ. Abb. 4.6: CFK-Band (schematisch), aus [17]. (a) Abb. 4.7: J - 15 (b) Kirche St. Marien (a) Innenansicht, (b) Detail Fußpunkt mit CFK-Bändern, aus [17]/Büro HAZ. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 5 Zusammenfassung 5 Zusammenfassung Es wurden grundlegende Vorgehensweisen zur Modellbildung historischer Dachtragwerke dargestellt und erläutert: Die Möglichkeiten zur Gliederung des Tragwerkes, die Modellierung der Stäbe und Knoten wurden behandelt und Hinweise zum rechnerischen Nachweis gegeben. Es wurde über experimentelle Untersuchungen an traditionellen Holzverbindungen mit abgestirnten Zapfen berichtet. Das Last-Verformungsverhalten dieser Verbindungen ist deutlich nichtlinear, sie zeigen drei mögliche Versagensarten – Abscheren der Lamellen, Versagen der Stirnfläche und Versagen der Grundfläche, die in Abhängigkeit vom Anschlusswinkel auftreten. Für Verbindungen mit Anschlusswinkeln im Bereich um 45° wird das Versagen durch Abscheren der Lamellen zum maßgeblichen Bruchmechanismus. Eine Berücksichtigung dieses Bruchmechanismus wurde bisher bei Tragfähigkeitsnachweisen nach DIN 1052 nicht explizit gefordert. Ein Modell zur Beschreibung des Tragverhaltens von Verbindungen mit abgestirnten Zapfen wurde von Koch [1] entwickelt. Abschließend wurden einige Beispiele aus der Praxis der Sanierung historischer Dachtragwerke vorgestellt. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung J - 16 Kapitel J: Modellbildung historischer Dachtragwerke 6 [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14] [15] [16] [17] J - 17 Literatur KOCH, H.: Untersuchungen zum Last-Verformungsverhalten historischer Holztragwerke – Der abgestirnte Zapfen. Schriftenreihe Bauwerkserhaltung und Holzbau, Heft 5, Universität Kassel, Veröffentlichung in Vorbereitung. BINDING, G.: Das Dachwerk. München, Deutscher Kunstverlag, 1991. HOLZER, S. M., KÖCK, B.: Meisterwerke barocker Bautechnik – Kuppeln, Gewölbe und Kirchendachwerke in Südbayern. Regensburg, Verlag Schnell und Steiner, 2008. LIßNER, K., RUG, W.: Holzbausanierung. Berlin, Springer-Verlag, 2000. GERNER, M.: Entwicklung der Holzverbindungen. Stuttgart, Fraunhofer IRB Verlag, 2000. GÖRLACHER, R.: Historische Holztragwerke – Untersuchen, Berechnen und Instandsetzen. In: Wenzel, F.; Kleinmanns, J. (Herausgeber): Sonderforschungsbereich315 – Erhalten historisch bedeutsamer Bauwerke, Empfehlungen für die Praxis. Universität Karlsruhe, 1999. HEIMESHOFF, B., SCHELLING, W., REYER, E.: EGH Bericht – Zimmermannsmäßige Holzverbindungen. München, Entwicklungsgemeinschaft Holzbau (EGH) in der Deutschen Gesellschaft für Holzforschung, 1988. HAUER, M., SEIM, W., WENZEL, F.: Wirklichkeitsnahe Simulation des Tragverhaltens alter Dachstühle. In: Wenzel, F. (Hrsg.): Sonderforschungsbereich 315 – Erhalten historisch bedeutsamer Bauwerke – Jahrbuch 1993. Berlin, Ernst & Sohn, 1996. HOLZER, S. M., KÖCK, B.: Investigations into the Structural Behavior of German Baroque Timber Roofs. International Journal of Architectural Heritage 3:4 (2009), S. 316-338. STAUDACHER, E.: Der Baustoff Holz – Beiträge zur Kenntnis der Materialeigenschaften und der Konstruktionselemente. Dissertation. Zürich, Gebr. Lehmann & Sohn, 1936. HUBER, G., REIM, A.: Spannungen und Verformungen bei Lasteintragung schräg zur Faserrichtung. bauen mit holz, Heft 9 (1982), S. 556-563. SCHELLING, W., HINKES, F. J.: Tragverhalten von Zapfenverbindungen. Stuttgart, Fraunhofer IRB Verlag, 1985. DE OLIVEIRA FEIO, A. J.: Inspection and Diagnosis of Historical Timber Structures: NDT Correlations and Structural Behaviour. Dissertation. University of Minho, Portugal, 2005. MILLER, J. F., SCHMIDT, R. J.: Capacity of pegged mortise and tenon joinery. University of Wyoming, Department of Civil and Architectural Engineering, 2004. SCHMIDT, R. J., DANIELS, C. E.: Design Considerations for Mortise and Tenon Connections. University of Wyoming, Department of Civil and Architectural Engineering, 1999. HEGEWALDT, P.: Historischer Dachstuhl Schloss Horst, Gelsenkirchen. Unterlagen zum Seminar: Tragwerksplaner in der Denkmalpflege. Propstei Johannisberg, Fulda, unveröffentlicht. HUSTER, U., BROENNIMANN, R., WINISTÖRFER A.: Strengthening of a historical roof structure with CFRP-straps. Fourth International Conference on FRP Composites in Civil Engineering (CICE 2008), Zürich, 2008. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 6 Literatur 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung J - 18 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele K Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele A. Meisel DDI Andreas Meisel 2009 Diplome | Bauingenieurwesen – Konstruktiver Ingenieurbau und Wirtschaftsingenieurwesen - Bauingenieurwissenschaften Institut für Holzbau und Holztechnologie | TU Graz seit 2009 Wissenschaftlicher Projektmitarbeiter am Institut für Holzbau an der TU Graz Die hier vorgestellten Fallbeispiele (siehe Abschnitt 6) werden auf der Tagung von den ausführenden Zimmermeistern selbst vorgestellt. Landesinnungsmeister DI Oskar Beer 1992 Abschluss des Studiums an der TU Graz - Geschäftsführer Holzbau Hirschböck (www.hhh.at) - Landesinnungsmeister Holzbau Steiermark - Sachverständiger (www.beer-sv.at) Zimmermeister Ing. Josef König 1987 Abschluss der Zimmermeisterprüfung seit 1988 selbständig, König & Gruber Zimmermeister K-1 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 1 Einführung und Motivation Zusammenfassung Dieser Beitrag behandelt die Instandsetzung historischer Dachtragwerke. Hierzu werden Voraussetzungen und Anforderungen an eine Instandsetzung erläutert, auf unterschiedliche Instandsetzungskonzepte und die Möglichkeiten der statischen Berechnung eingegangen. Eine Reihe von nicht fachgerechten Instandsetzungslösungen – inklusive Verbesserungsvorschlägen – werden zur Sensibilisierung vorgestellt. Zuletzt werden einzelne Musterdetaillösungen und deren Vor- und Nachteile anhand konkreter Beispiele dargestellt und in die Praxis umgesetzte Lösungen gezeigt. 1 Einführung und Motivation Im Rahmen des Forschungsprojektes D(N)achhaltigkeit Graz wurden 35 Objekte mit rund 60 unterschiedlichen Dachwerken begangen und daraus 10 Objekte für die detaillierte Erfassung und Zuverlässigkeitsbeurteilung ausgewählt. Wie der Beitrag „Bestandserfassungen und Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz“ zeigt, sind die Ergebnisse ernüchternd. Da sich dies bereits früh abzeichnete, wurden sechs „Runde Tische“ mit interessierten Zimmermeistern an der TU Graz abgehalten. Im Rahmen dieser Gesprächsrunden wurden Schäden diskutiert sowie Instandsetzungskonzepte und Musterdetails ausgearbeitet. Diese werden im folgenden Beitrag erörtert. Erfreulicherweise wurden zwei der hier vorgestellten Details bereits erfolgreich realisiert (siehe Abschnitt 6). Bedauerlicherweise bedarf es in der Praxis in der Regel eines konkreten Anlasses – z. B. Risse in der Decke und im Mauerwerk, Wasserflecken, abstürzende Gesimse etc. – damit eine erste Bestands- und Schadenserfassung sowie Zuverlässigkeitsbeurteilung durchgeführt wird. Wurde die Dachdeckung und das Tragwerk zuvor jahrzehntelang vernachlässigt, stellt sich der Zustand oft wie in Abb. 1.1 dar. Der Instandsetzungbedarf und damit auch die Kosten sind in diesen Fällen groß und überfordern zum Teil die finanzielle Leistungsfähigkeit der Eigentümer. Durch regelmäßige Inspektionen und Wartungsmaßnahmen können Schäden in solchem Umfang zuverlässig vermieden werden. Grundvoraussetzung hierzu sind zugängliche, saubere Bauhölzer und eine erste Zuverlässigkeitsbeurteilung. Sobald alle allfälligen Schäden behoben sind und durch regelmäßige Inspektion und Wartung garantiert wird, dass keine erhöhten Holzfeuchten auftreten können, ist der Bestand des Dachwerks gesichert. Zahlreiche, bis zu rund 850 Jahre alte, tragfähige Dachwerke belegen die große Dauerhaftigkeit von Holz als tragender Baustoff für Dächer. Abb. 1.1: Links: stark verformte Dachfläche, Rechts: zerstörter Stuhlsäulenfußpunkt. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K-2 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele 2 Voraussetzungen und Anforderungen In diesem Abschnitt wird auf die im Rahmen des Projektablaufes zu erfüllenden Voraussetzungen für die Instandsetzung eingegangen. Anschließend werden Anforderungen und Empfehlungen für die Konzeption erläutert. 2.1 Projektablauf Nachdem die wesentlichen Ziele des Bauherrn bekannt sind, erfolgt eine erste Begehung des Dachwerks. Im Rahmen dieser wird beurteilt, ob Gefahr im Verzug vorliegt, eine Reinigung erforderlich ist, oder ob gleich mit der ersten Bestands- und Schadenserfassung sowie Zuverlässigkeitsbeurteilung begonnen werden kann. Für letzteres siehe „Erste, semi-visuelle Zuverlässigkeitsbeurteilung historischer Dachtragwerke aus Holz“ [39]. Auf die unbedingt erforderliche Zugänglichkeit und Reinigung der tragenden Konstruktionsglieder soll Abb. 2.1 nochmals hinweisen. Erst nach dem Herstellen der Zugänglichkeit kann der Bestand mit großer Zuverlässigkeit beurteilt werden. Abb. 2.1: K-3 Oben: vor der Entfernung der Beschüttung und Reinigung, Unten: danach (Palais Herberstein). 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 2 Voraussetzungen und Anforderungen 2.2 typische Schäden und Schwachpunkte Die meisten Schäden an historischen Dachtragwerken können in zwei Gruppen zusammengefasst werden: Substanzverlust - dauerhaft zu hohe Holzfeuchtigkeit, die zu Pilzbefall führt - Insektenbefall - mechanische und/oder chemische Beschädigungen/Abnutzung im Betrieb konstruktive Mängel - nicht fachgerechte Instandsetzungen und/oder Tragwerksveränderungen - mangelhafte bis fehlende Aussteifungsverbände - Überbeanspruchung von Verbindungen und/oder Stäben - fehlende konstruktive Lagesicherung - Folgeschäden, beispielsweise aus ungleichmäßigen Fundamentsetzungen Näheres siehe [10], [26], [29], [42]. Anhand von Abb. 2.2 kann der typische Schwachpunkt eines historischen Dachwerks anschaulich erläutert werden. Es handelt sich um einen Stuhlsäulenfußpunkt, analoges gilt auch für Sparrenfußpunkte. Diese liegen einerseits im besonders schadenssensiblen und -anfälligen Traufbereich, andererseits ist die Durchlüftung infolge von Verschmutzung und Bauschutt meist erheblich eingeschränkt. Eintretende Feuchtigkeit wird hier meist erst spät erkannt. Zudem kann Feuchtigkeit aus dem Mauerwerk in die Mauerbank gelangen. Im vorliegenden Beispiel ist das Vollgespärre zusätzlich dreiseitig ins Mauerwerk eingebunden. Weiters wurde für eine inzwischen abgebrochene Kamindurchführung die Schwelle und die Strebe der Stuhlwand ersatzlos gekappt. Die Anschlussverblechungen von Kamindurchführungen sind typische Eintrittsmöglichkeiten für Feuchtigkeit. Die überwiegende Zahl der Schäden liegt in jenen Bereichen vor, in denen die Erfassung als auch Instandsetzung geometriebedingt erschwert ist. n ule re B un d hls ä ar Sp Stu tram Bu m tra nd -W h ec l se Abb. 2.2: Stuhlsäulenfußpunkt im Bereich einer Giebelmauer und eines abgebrochenen Kamins. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K-4 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele 2.3 - - Allgemeingültige Anforderungen (in Anlehnung an EN 1991-1) Tragsicherheit (ULS) Gebrauchstauglichkeit (SLS): Im Falle von historischen, nicht ausgebauten Dachtragwerken meist nur im Bereich von Dachdurchdringungen/Anschlüssen ans Mauerwerk (Dauerhaftigkeit von Verblechungen) von Belang. Dauerhaftigkeit: Hier gilt es sowohl die Belüftung aller Konstruktionsglieder zu gewährleisten als auch Kondensat z. B. infolge von großflächigen Stahlteilen zu vermeiden. weitere Funktionen: Unter diesem Punkt sind die Anforderungen, die aus der jeweiligen Nutzung entstehen (z. B. Bauphysik) zusammengefasst. 2.4 - - - Spezifische Anforderungen Reinigung: Alle Holzteile von Verschmutzungen, Verkleidungen etc. befreien. einfache Konstruktionslösungen bevorzugen Fügung zwischen „alt“ und „neu“: Die Querschnitte historischer Holzbauteile sind meist unregelmäßig und auch im Verbindungsbereich nicht gleich breit. Instandsetzungslösungen sollten so konstruiert werden, dass aufwendige Anpassarbeiten vor Ort soweit wie möglich vermieden werden. Stabergänzungen sind mit an den Bestand angepassten, querschnittsgleichen Holzteilen auszuführen. Vermeiden von Querschnittsschwächungen: Die vorhandenen Hölzer sind durch neu einzubauende Holzteile und Verbindungen bzw. Verbindungsmittel möglichst wenig zu schwächen. Vermeiden von Exzentrizitäten: Alle Verbindungen sind so zu konstruieren, dass zusätzliche Exzentrizitäten weitestmöglich vermieden werden. Auf die Passgenauigkeit aller kräfteübertragender Verbindungsflächen ist zu achten. große Verformungen: Soweit möglich sind die bestehenden Hölzer in ihrer verformten Lage zu belassen und zu sichern. Einbaufeuchte: Neue Holzteile sind mit der dem Bestand entsprechenden Gleichgewichtsfeuchte einzubauen. Holzschädigungen: Durch Pilzbefall geschädigtes Holz ist „gesundzuschneiden“ und je nach Erfordernis zu ersetzen. Aktiver Insektenbefall ist zu bekämpfen. 2.5 - Empfehlungen alle Instandsetzungsbauteile sollten reversibel sein bestandsschonend vorgehen: nur unbedingt erforderliche Eingriffe in die vorhandene Bausubstanz durchführen so konstruieren, dass die Möglichkeit des Vorspannens der Verbindungen besteht Holznägel nachschlagen oder bei Bedarf ersetzen vorgefundene „Flickwerke“ entfernen Stabdübel und Schraubenbolzen zum Brand- und Korrosionsschutz abdecken Anschlüsse von Kopfbändern oder Streben zugfest ausbilden gleiche Holzarten mit gleicher Oberflächenbeschaffenheit wie die bestehenden Hölzer einbauen Für weitere empfohlene Kriterien bei der Entwicklung und Ausführung von Instandsetzungskonzepten wird auf vertiefende Literatur verwiesen (vgl. [10], [16], [21], [42]). K-5 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Instandsetzungskonzepte 3 Instandsetzungskonzepte 3.1 Gliederung Bei der Instandsetzung historischer Holzbauten können zwei grundlegende Vorgehensweisen unterschieden werden: die „Reparatur“ und die „statische Sicherung“ (siehe Abb. 3.1). Bei ersterem wird das statische System beibehalten, bei der zweiten Variante verändert. Die „Reparatur“ kann weiter untergliedert werden in die Instandsetzung bzw. Verstärkung von Verbindungen und Querschnitten, sowie den Austausch von Konstruktionsgliedern. Bei der „statischen Sicherung“ können additive und substitutive Instandsetzungslösungen unterschieden werden. Vorgehensweise ... „Reparatur“ „statische Sicherung“ Das statische System wird I. beibehalten I.a Verbindungen instandsetzen und/oder verstärken I.b Querschnitte instandsetzen und/oder verstärken II. verändert II.a Addition neue Konstruktionsglieder hinzufügen II.b Substitution neue Tragwerke hinzufügen (Stellvertreter-Konstruktion) I.c Austausch neue Konstruktionsglieder anstelle der Alten Mischlösungen Abb. 3.1: Gliederung von möglichen Instandsetzungsmassnahmen (symbolhafte Skizzen). 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K-6 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele 3.2 Gegenüberstellung der Varianten aus Sicht des Denkmalschutzes Aus der Sicht des Denkmalschutzes können bei der Reparatur der Ersatz von Teilen (siehe Abb. 3.2 links oben) und die Hinzufügung einzelner Teile (z. B. Laschen, Knaggen, etc., siehe Abb. 3.2 links unten) unterschieden werden. Bei der reinen Reparatur (Ersatz der zerstörten Substanz) bleibt das Erscheinungsbild weitgehend erhalten. Allerdings geht das Geschichtszeugnis und damit der bauhistorische Wert bei der Reparatur weitgehend verloren. (vgl. [21] S. 107ff) Ganz anders bei der statischen Sicherung. Hier bleibt das Geschichtszeugnis weitgehend erhalten, Störungen des Erscheinungsbildes können durch geschickte Konstruktion und Materialwahl gering gehalten werden. Manchmal können im Zuge solcher Lösungen auch Kosten gespart werden, allerdings ist der Planungs- und Berechnungsaufwand vorab höher. „Reparatur“ Abb. 3.2: „statische Sicherung“ Beispiele: links oben [54], links unten [55], rechts [7]. Wichtig bei der Konzeption von statischen Sicherungen ist die Vermeidung von Biegebeanspruchungen (Biegeträger, Rahmen usw.), da sie große Querschnitte erfordern. Diese stören das Erscheinungsbild und sind zudem nur mit großem Aufwand in das Tragwerk einzubringen und somit teuer. Wesentlich effizienter ist die weitgehende Verwendung von normalkraftbeanspruchten Bauteilen, insbesondere von Stahlzuggliedern. In der Praxis oftmals angedacht wird der Einbau neuer Pfettenstränge in Kehlbalkendächer. Es hat sich gezeigt, dass diese meist nur mit großem Aufwand einzubringen und zum Teil statisch kaum wirksam sind. (vgl. [17]) K-7 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Instandsetzungskonzepte 3.3 Beispiele aus der Literatur Exemplarisch werden hier einzelne Beispiele aus der Literatur gezeigt und somit der Stand der Technik dokumentiert. Für die Instandsetzung von Sparrenfußpunkten sind zimmermannsmäßige Anstückelungen, Holz– Holz–Prothesen (BETA-Verfahren) und eher selten ein Ersatz durch Polymerbeton üblich (siehe Abb. 3.3). Abb. 3.3: Links: Anstückelung mit stehendem Blatt und Passbolzen, Mitte: „Holzprothese“ (Anschluss mittels BETA-Verfahren), Rechts: Ersatz durch Polymerbeton (vgl. [10]). Abb. 3.4 links zeigt ein Musterdetail für die Reparatur eines Sparrenfußpunktes, mittig und rechts sind aufwendige Reparaturarbeiten an einem japanischen Tempel dargestellt. Abb. 3.4: Links: Reparatur eines Sparrenfußpunktes ([21] S. 34), Mitte und Rechts: Reparaturen in japanischen Tempeln ([22] S. 29 und S. 91). 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K-8 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele Beim Dachwerk der St. Nikolai-Kirche in Berlin-Spandau handelt es sich um ein 1369 errichtetes aufgeständertes Kehlbalkendach. Das bedeutet, dass auf den Mittelarkaden ein zweifach stehender Stuhl errichtet und darauf ein Kehlbalkendach mit Zusatzstäben aufgesetzt wurde (siehe Abb. 3.5). Bei starken Stürmen kam es infolge der großen Nachgiebigkeit des Gesamtsystems regelmäßig zu Abdeckungen. Zudem wiesen einige Sparrenfußpunkte Substanzverlust auf. Das additive Instandsetzungskonzept sah vor, dass jedes vierte Gespärre mit Stahlzuggliedern ausgesteift wird. Um die Horizontallasten aus den nicht versteiften Gespärren einzuleiten, wurden die Gespärre auf der Höhe der Rähme mit horizontalen Trägern verbunden. Nur wenige Sparrenfußpunkte mussten geringfügig verstärkt werden. Das Ziel von Bauforschern und Denkmalpflegern „..., dass die materielle Geschichtsquelle höhere Bedeutung hat als die zimmermannsmäßig perfekte Reparatur, die nur alles wieder ganz schön macht, ...“ ([21] S. 108) konnte damit – neben der Herstellung eines statisch einwandfreien Zustandes – genüge getan werden. (vgl. [21] S. 107ff) Grundriss Verstärkung Sparrenfußpunkt vor der Instandsetzung Abb. 3.5: K-9 nach der Instandsetzung Additive Instandsetzung in der St. Nikolai-Kirche in Berlin-Spandau. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 4 Berechnung 4 Berechnung 4.1 Motivation Solange sich ein Tragwerk in einem schadfreien Zustand befindet und keine Nutzungsänderungen vorgesehen sind, gilt Bestandsschutz. Eine Anpassung an die derzeitigen baurechtlichen Vorschriften ist nur im Falle von Umnutzungen oder bei Gefahr im Verzug erforderlich. (vgl. [10], [28]) In der Praxis wird die Instandsetzung oder Sanierung oft vollständig einem erfahrenen Zimmermeister übertragen. Die in diesen Fällen erreichte Sicherheitsmarge kann in der Regel nicht quantifiziert werden. Daher wird sich der Auftragnehmer im Schadensfall im größeren Ausmaß Gewährleistungsund Schadensersatzansprüchen ausgesetzt sehen. Wenn hingegen ein Ingenieur mit der Planung der Instandsetzung beauftragt wird, kann es infolge von Modellvereinfachungen zu einer groben Unter- oder Überschätzung des Tragvermögens des Bestandes kommen. Die daraus abgeleiteten Baumaßnahmen widersprechen nicht selten den Kriterien einer ökonomischen und bestandsschonenden Instandsetzung. Im Falle von einzelnen Schäden wird daher die Vorgehensweise nach Abschnitt 4.3 empfohlen. 4.2 Statische Analyse eines Dachwerks Für eine vollständige statische Analyse wird auf umfangreiche Literatur (vgl. insbesondere [16], aber auch [3], [5], [15], [19], [24], [27], [27], [31], [36], [37], [38], [40]) verwiesen. Für die realitätsnahe Modellbildung sind in der Regel räumliche Modelle unter Berücksichtigung der nichtlinearen Auflagerbedingungen und des mechanischen Verhaltens der Verbindungen erforderlich. 4.3 Analysen und Nachweis am Knoten Wenn ein Tragwerk alle aufgetretenen Einwirkungen über einen langen Zeitraum ohne Schäden abgetragen hat, und kein aktiver Pilz- und/oder Insektenbefall vorliegt, kann davon ausgegangen werden, dass die Tragsicherheit auch in Zukunft „aus Erfahrung“ gewährleistet ist. Die DIN 1052 - 4. (siehe Bautechnische Unterlagen (3)) schreibt hierzu: „Für Bauteile und Verbindungen die offensichtlich ausreichend bemessen sind, darf auf einen rechnerischen Nachweis verzichtet werden. (...)“ Liegen nur einzelne, aufgrund von Pilz- und/oder Insektenbefall geschädigte Verbindungen oder Stäbe vor, kann die Instandsetzung so erfolgen, dass die „ursprüngliche“ Tragfähigkeit wiederhergestellt wird. Unter „urspünglicher“ Tragfähigkeit wird hier jene – angenommene – Tragfähigkeit verstanden, welche die Verbindung bzw. der Stab nach dem heutigen Normenkonzept im neuen Zustand übertragen könnte. Das bedeutet, dass zuerst die ursprünglich übertragbaren Kräfte errechnet werden, und in einem zweiten Schritt mit diesen Kräften die Instandsetzung selbst bemessen wird. Eine vollständige statische Analyse des Tragwerks ist hierzu nicht erforderlich. Die Voraussetzungen für die Anwendung dieses Konzepts sind zusammengefasst: - vergleichsweise geringfügige Schäden an einzelnen Knotenpunkten - keine Hinweise auf Schäden infolge von Überbeanspruchung - keine Hinweise auf das Vorliegen einer Fehlkonstruktion (z. B. stark asymmetrische Stühle) 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K - 10 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele - die Tragfähigkeit UND Steifigkeit der Verbindung bzw. der Stäbe muss bestmöglich wiederhergestellt werden die neuen Stäbe sind so einzubauen, dass keine neuerlichen Systemverformungen eintreten - Anhand eines typischen Sparrenfußpunktes wird die Vorgehensweise bei Analyse und Nachweis gezeigt. Bei historischen Kehlbalkendächern sind die Sparren in der Regel mit den Bundträmen oder Stichbalken mit oder ohne Vorholz verzapft (siehe Abb. 4.1). Im Folgenden wird die Bemessungstragfähigkeit eines exemplarischen Sparrenfußpunktes mit Stirnversatzzapfen und Vorholz ermittelt (siehe Abb. 4.2). Abb. 4.1: Links: intakter Sparrenfußpunkt, Rechts: zerstörter Sparrenfußpunkt, an den Holzresten ist ein Zapfen zu erkennen. 4.3.1 Ermittlung der Bemessungstragfähigkeit im Knotenbereich NR,d Lv =15 Fv,R,d Sparren 18/14 cm = 45° (3) 7 cm (1) (2) Fh,R,d 16 15 Abb. 4.2: K - 11 (4) Zapfen, b = 5 cm Bundtram 24/20 cm Mauerbank Beispiel Sparrenfußpunkt, Links: Angaben zur Geometrie des Knotens (Aufschiebling fehlt), Rechts: Beispiel eines Stuhlsäulenfußpunktes. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 4 Berechnung Annahmen: Auf der sicheren Seite liegend wird angenommen, dass lokal der Ansatz einer Festigkeitsklasse von C30 gerechtfertigt ist. Um die übertragbaren Kräfte nicht zu unterschätzen, wird auch die Reibung berücksichtigt. Die hier anzusetzenden Reibbeiwerte schwanken in der Literatur um etwa 0,35 (vgl. [2]). Hier wird ein Reibbeiwert von 0,35 berücksichtigt. Für kmod wird 0,9 angesetzt. - Bemessungs–Materialkenngrößen f m d = 2 08 kN cm - 2 f v d = 0 19 kN cm 2 f c 0 d = 1 59 kN cm f c 90 d = 0 19 kN cm 2 Tragfähigkeit NR, d (Druck): N R d F v R d Querdruck 1 88 23 F v R d 2 F h R d Kontaktdruck 2 16 80 = 1 35 m in = 1 35 2 m in = 1 35 2 m in F h R d 2 F h R d Schub Vorholz 3 37 91 20 67 F h R d Schub Zapfen 4 1 35 ... Erhöhung aufgrund der Reibung N R d = 1 35 2 16 80 = 32 07 kN - 2 Fv,R,d, Querdruck (1): A ef = 18 – 6 14 2 + 2 3 = 309 59 cm F V R d Querdruck = A ef k c 90 f c 90 d = 88 23 kN 2 mit k c 90 = 1 5 k c 90 ... Annahme in Analogie zu 6.1.5 von EC 5 - Fh,R,d, Kontaktdruck (2): A ef = 5 7 = 35 00 cm f c d = 0 48 kN cm 2 2 mit = 45und k c 90 = 1 5 F H d Kontaktdruck = A ef f c d = 16 80 kN - Fh,R,d, Schub Vorholz (3): A V = 15 7 + 5 + 7 = 285 0 cm F H d Schub - k c 90 ... Annahme in Analogie zu 6.1.5 von EC 5 Vorholz 2 = 0 7 f v d A V = 37 91 kN 0 7 ... Analog Abscheren lt. EC 5 Fh,R,d, Schub Zapfen (4): L z = 16 0 cm b ef = k cr b = 0 67 5 = 3 4 cm F H d Schub Zapfen f v d b ef L z - = 20 67 kN = k s ---------------------------1 0 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung k cr = 0 67 ... Rissfaktor lt. EC 5 k s 2 ... Erhöhung Schub und Querdruck lt. SIA 265 K - 12 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele 4.3.2 angenommener Zustand bzw. Schadensumfang Es wird angenommen, dass Befall durch Moderfäule vorliegt und eine Entfernung des geschädigten Holzes über den sichtbaren Befall hinaus ausreicht. Die geschädigten Bereiche sind in Abb. 4.3 eingezeichnet. Sparren 18/14 cm zerstörter Bereich Zapfen, b = 5 cm Bundtram 24/20 cm Mauerbank Abb. 4.3: Links: Annahme der Schädigung, Rechts: praktisches Beispiel. 4.3.3 Instandsetzung Mit Hilfe der in Abschnitt 4.3.1 ermittelten übertragbaren Normalkraft NR,d wird nun die Instandsetzung bemessen. Hier wird gezeigt, wie der vorgestellte, geschädigte Knoten durch eine zimmermannsmäßige Reparatur instandgesetzt werden kann (siehe Abb. 4.4). Auf die Berechnung selbst wird nicht eingegangen. Sparren 18/14 cm Passbolzen DN 14 mm Lagesicherung: Teilgewindeschrauben 2 Stk stehendes Blatt = 45° 4 cm Fersenversatz Passbolzen DN 14 mm stehendes Blatt Bundtram 24/20 cm Mauerbank Abb. 4.4: K - 13 Vorschlag für die Instandsetzung des Sparrenfußpunktes. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 4 Berechnung Annahmen: Es wird angenommen, dass die Sortierklasse des eingebauten Bauholzes S10, die Festigkeitsklasse somit C24 entspricht. Die Reibung wird für die Übertragung von Kräften vernachlässigt. Der Vorschlag (siehe Abb. 4.4) sieht folgendes vor. - - - Der zerstörte Mauerbanksbereich wird durch eine neue, eventuell auch zweiteilige Mauerbank ersetzt, welche großzügig mit dem Bestand überblattet und mehrfach verbolzt wird. Die Stirnversatzzapfenverbindung zwischen Sparren und Bundtram kann durch einen leichter herzustellenden Fersenversatz ersetzt werden. Letzterer ermöglicht im Unterschied zu einem Stirnversatz die Einhaltung der normgemäßen Mindestvorholzlänge von 20 cm (vgl. [47]). Die konstruktive Lagesicherung erfolgt mit zwei selbstbohrenden Schrauben. Der neue Bundtramkopf wird mit einem stehenden Blatt und Passbolzen an den Bestand angeschlossen. Die hier bemessungsrelevante Zugkraft entspricht der Horizontalkomponente von NR,d. Zusätzlich wird die Verbindung auf geringe Momentenbeanspruchungen ausgelegt, da diese z. B. aufgrund von exzentrischen Krafteinleitungen nicht ausgeschlossen werden können. Der neue Sparrenfuß wird mit einem stehenden Blatt und Passbolzen an den Bestand angeschlossen. Die Drucknormalkräfte werden über Kontaktdruck an den Stirnholzflächen übertragen. Um die hier immer auftretenden Biegemomente aufnehmen zu können, ist eine ausreichende Blattlänge zu wählen. Die Berechnung des zu übertragenden Biegemomentes kann auf der sichern Seite liegend an einem statisch bestimmten, schräg liegenden Einfeldträger erfolgen. Für diese Berechnung ist vorab eine Lastaufstellung (Eigengewicht, Schnee, Wind) erforderlich. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K - 14 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele 5 Nicht fachgerechte Instandsetzungen Im Rahmen dieses Abschnittes werden nicht fachgerechte Instandsetzungen aus der Altstadt von Graz (mind. 2/3 aller gezeigten Beispiele) und aus Schloss Hainfeld zwecks Sensibilisierung gezeigt. Auf die konkreten Mängel wird jeweils eingegangen. 5.1 Definition Eine nicht fachgerechte Instandsetzung liegt vor, wenn mind. eines der folgenden Kriterien erfüllt ist: - neue Bauteile oder Verbindungen/Verbindungsmittel sind offensichtlich unterdimensioniert - bestimmte existierende Beanspruchungen können von der Instandsetzung nicht aufgenommen werden - statisch wesentliche Bauteile wurden ohne adäquaten Ersatz entfernt 5.2 Exkurs: Tragverhalten von Kehlbalkendächern Kehlbalkendächer mit Stühlen werden seit mindestens 100 Jahren nur noch ein Einzelfällen errichtet (siehe [40]). In der Ausbildung angehender Zimmermeister spielen diese Tragwerke daher praktisch keine Rolle mehr. Allerdings sind diese Tragwerke in Kombination mit Hängesäulen die vorherrschenden Dachwerke im Barock. Mindestens 2/3 aller Dachtragwerke in der Altstadt von Graz gehören zu dieser Gruppe. Daher wird hier kurz auf das prinzipielle Tragverhalten von Kehlbalkendächern mit Stühlen eingegangen. Näheres siehe [41]. Vo ll ge spä rr e Ab etwa 1300 wurde damit begonnen, die Montage von Kehlbalkendächern durch Arbeitsplattformen auf Kehlbalkenhöhe, sogenannten Stühlen zu erleichtern. Diese wurden entwicklungsgeschichtlich zu einem Bestandteil des Dachwerks (siehe Abb. 5.1). Allerdings basiert auch die Tragwirkung eines Kehlbalkendaches mit liegendem Stuhl und ausgewechselter Bundtramlage auf dem Prinzip des unverschieblichen Dreiecks in jedem Gespärre. Somit werden im Unterschied zu einem Pfettendach an jedem Sparrenfußpunkt auch horizontale Kräfte in die Stichbalken oder Bundträme übertragen. (vgl. [41]) Existieren in den Leergespärren keine Bundträme, werden die Horizontalkräfte über die Biegetragwirkung der Mauerbänke und Wechselbalken in die Bundträme der Vollgespärre übertragen. Dieses, sich von der Tragwirkung eines Pfettendaches grundlegend unterscheidende Verhalten muss bei der Konzeption von Instandsetzungen unbedingt berücksichtigt werden. Kehlbalkendach liegender Stuhl Stuhlwand Bundtram Bundtramwechsel Leergespärre Abb. 5.1: K - 15 Links: schematische Darstellung eines Kehlbalkendaches mit stehendem Stuhl, Rechts: realitätsnahe Darstellung eines KD mit liegendem Stuhl. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 5 Nicht fachgerechte Instandsetzungen 5.3 Zugänglichkeit und Reinigung Voraussetzung für die Schadenserfassung und alle Instandsetzungsarbeiten ist ein von Bauschutt und Verkleidungen etc. befreiter Dachraum und besenreine Konstruktionsglieder. SO NICHT! Abb. 5.2: Links: verschmutzte Bauhölzer, Rechts: verschmutzte Dippelbaumdecke. Um die Belüftung und Zugänglichkeit für Inspektionen im besonders schadensgefährdeten Fußpunktsbereich sicherzustellen, wird unbedingt empfohlen, auf schräge Verbretterungen wie in Abb. 5.3 zu verzichten. NICHT EMPFOHLEN! Abb. 5.3: Instandsetzung mit schrägen Verbretterungen und Hängestäben. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K - 16 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele 5.4 Bundträme Die Bundträme von Kehlbalkendächern wirken unter anderem als ein die Gespärre schließendes Zugband und dürfen daher nicht ersatzlos gekappt werden (siehe Abb. 5.4). Die Biegetragwirkung des Bundtrams sollte insbesondere im Falle von Dachvorständen unbedingt erhalten werden (siehe Abb. 5.5). Damit die Horizonalkräfte an den Sparrenfußpunkten ohne neuerliche Verformungen aufgenommen werden können, sind spannbare Verbindungen empfehlenswert. SO NICHT! Abb. 5.4: Ersatzlos gekappte Bundträme in einem Kehlbalkendach. SO NICHT! Abb. 5.5: K - 17 Instandsetzung der Bundträme mit an Stahllaschen angeschlossenen, neuen Konstruktionsgliedern. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 5 Nicht fachgerechte Instandsetzungen 5.5 Sparren- (und Stuhlsäulen)fußpunkte An den Sparrenfußpunkten von Kehlbalkendächern werden – im Gegensatz zu Pfettendächern – auch Horizontalkräfte übertragen. Fehlen die entsprechenden Konstruktionsglieder und/oder Verbindungen für deren Aufnahme, werden die Horizontalkräfte über Reibung vom Mauerwerk aufgenommen, oder es treten Verschiebungen auf, bis das Tragwerk durch Lastumlagerungen einen neuen Gleichgewichtszustand erreicht hat. Beide Effekte können zu Schäden im Mauerwerk (Risse) und zu Folgeschäden im Dachwerk führen. SO NICHT! SO NICHT! Abb. 5.6: 5.6 Nicht fachgerechte Sparrenfußpunkte (rechts vgl. [10] S. 202). Mauerbänke und Wechselbalken Mauerbänke und Wechselbalken von Kehlbalkendächern erhalten aus dem Horizontalschub der Sparren auch bedeutsame horizontale transversale Querkräfte und Biegemomente. Das Biegetragvermögen dieser Stäbe ist daher im Rahmen einer Instandsetzung wiederherzustellen. SO NICHT! Abb. 5.7: Der Wechselbalken wurde ersatzlos entfernt und die Mauerbank mehrfach gestückelt. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K - 18 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele 5.7 Querschnittsverstärkungen Zumindest der ursprüngliche tragende Querschnitt sollte wiederhergestellt werden. SO NICHT! SO NICHT! Abb. 5.8: 5.8 Nicht fachgerechte Querschnittsverstärkungen mit seitlichen Laschen, Links: ohne Kommentar, Mitte: Laschen in Feldmitte stumpf gestoßen, Rechts: Sparren gebrochen und mit (viel zu) dünnen Laschen verstärkt. Exzentrizitäten Zusätzliche Exzentrizitäten können zu Zusatzbeanspruchungen und Verdrehungen von Konstruktionsgliedern führen. Beides kann Folgeschäden wie mechanische Brüche oder sich lösende Verbindungen („Herausdrehen“) zur Folge haben. SO NICHT! Abb. 5.9: K - 19 Links: Sparrenfußpunkt an den Aufschiebling „hochgehängt“, Rechts: Sparren einseitig angelascht. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 5 Nicht fachgerechte Instandsetzungen 5.9 Passgenauigkeit von Verbindungen Um eine einwandfreie Kraftübertragung zu gewährleisten, sind sämtliche, kräfteübertragende Kontaktflächen passgenau auszuführen. SO NICHT! Abb. 5.10: Nicht ausreichend passgenaue Verbindungen (rechts vgl. [10] S. 153). 5.10 Verbindungsmittel Beim Einsatz mechanischer Verbindungsmittel sind die norm- und zulassungsgemäßen Randabstände, Eindrehwinkel, Abmessungen und Verankerungslängen zu berücksichtigen. Vollgewindeschrauben sind Teilgewindeschrauben vorzuziehen. SO NICHT! SO NICHT! Abb. 5.11: Links und Mitte: statisch unwirksame Teilgewindeschrauben (Eindrehrichtung falsch und Verankerungslänge unzureichend), Links: zu geringer Unterlagsscheibendurchmesser. 5.11 pilzgeschädigte Bauhölzer Infolge von Pilzbefall (Braunfäule, Weißfäule, Moderfäule) geschädigte Bauhölzer sind über den sichtbaren Befall hinaus gesund zu schneiden. Erfolgt dies nicht, besteht die Gefahr, dass es bei einer neuerlichen Durchfeuchtung zu einer umso schnelleren Zerstörung der Bauhölzer (auch der neu eingebauten) kommt. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K - 20 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele SO NICHT! Abb. 5.12: Links: im Bestand verbliebener, pilzgeschädigter Bundtram, Rechts: im Bestand verbliebene pilzgeschädigte Hölzer im Knotenbereich, fehlende Wiederherstellung der Kraftübertragung. 5.12 biegesteife Verbindungen Wenn auf Biegung beanspruchte Konstruktionsglieder – z. B. Sparren und Stuhlsäulen – mehr als nur im unmittelbaren Knotenbereich Substanzverlust aufweisen, sind biegesteife Stöße anzuordnen. In der Regel sind liegende Blätter aufgrund ihrer Querschnittsschwächung und der Gefahr des Aufspaltens der Hölzer infolge Querzug zu vermeiden. SO NICHT! Abb. 5.13: Links: liegendes Blatt an einem Sparren, Rechts: liegendes Blatt an einer Stuhlsäule. K - 21 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 5 Nicht fachgerechte Instandsetzungen 5.13 Schwächungen Instandsetzungsmaßnahmen sollten nicht dazu führen, dass Stäbe oder Verbindungen unzulässig stark geschwächt werden. SO NICHT! Abb. 5.14: Links: Ausklinlung des Bundtrams (Gefährdung durch Querzugversagen), Rechts: Vorholz des Zapfens zwischen Sparren und Bundtram gekappt. 5.14 Belastung der Decken Die Belastung der obersten Geschoßdecke durch Abstützungen des Dachwerks ist zu vermeiden. SO NICHT! Abb. 5.15: Nachträgliche Abstützung des Dachwerks auf die Dippelbaumdecke. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K - 22 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele 5.15 „Flickwerk“ Aufgrund von Schäden und nicht fachgerechten Instandsetzungen in der Vergangenheit kommt es in manchen Fällen zu „Flickwerk“ (Abb. 5.16). Wenn die Instandsetzungsversuche das in Abb. 5.16 gezeigte Ausmaß erreichen, wird anstatt der Instandsetzung die Neuerrichtung der betroffenen Bereiche empfohlen. SO NICHT! Abb. 5.16: „Flickwerk“ in einem Ichsen-Turm-Anschlussbereich. 5.16 Neudeckung ohne Instandsetzung In der Praxis kommen immer wieder Neudeckungen vor, ohne dass offensichtliche Schäden und Mängel behoben werden. Die ausführenden Handwerker sollten jedoch – um sich selbst abzusichern – unbedingt von der normgemäßen Prüf- und Warnpflicht schriftlich gebrauch machen. SO NICHT! Abb. 5.17: Neue Lattung und Deckung, ohne dass Schäden oder Mängel des Tragwerks behoben wurden. K - 23 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 5 Nicht fachgerechte Instandsetzungen 5.17 Dachbodenausbauten Wenn der Ausbau eines Dachraumes die weitgehende Zerstörung des Bestands erfordert, stellt sich die Frage, ob die verbleibenden „Tragwerksfragmente“ nicht gänzlich entfernt werden sollten (siehe Abb. 5.18 und Abb. 5.19). SO NICHT! Abb. 5.18: Tragwerksveränderungen im Zuge eines Dachbodenausbaues, Links: Stuhlsäule und Rähm entfernt, Sparren gekappt, Rechts: Rähm, Brustriegel und Streben entfernt, Sparren gekappt. SO NICHT! Abb. 5.19: Tragwerksveränderungen im Zuge eines Dachbodenausbaues, Links: Stuhlwand entfernt, Rechts: Kopfbänder entfernt. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K - 24 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele 6 Musterdetails und Fallbeispiele 6.1 Motivation und Einschränkungen Ziel der sechs „Runden Tische“ der Zimmermeister an der TU Graz war die Diskussion von Instandsetzungslösungen aus der Literatur (siehe Abschnitt 3) und der Praxis (siehe Abschnitt 6.2) sowie die Entwicklung neuer Musterdetails. Letztere werden hier exemplarisch vorgestellt. Die vorgestellte Details sollen helfen, die Qualität von Instandsetzungslösungen zu verbessern. Es wird jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass jedes der hier vorgestellten Details nur an den Bestand angepasst angewandt werden kann. Die Geometrie des Bestands und der Schadensumfang sind immer unterschiedlich, sodass eine Instandsetzung nur auf Grundlage eines konkreten Objektes geplant werden kann. Daher wird den folgenden Details jeweils die konkrete Aufgabenstellung vorangestellt. In Ergänzung zu den in Abschnitt 2 angegebenen Empfehlungen wird hier anhand eines Beispiels nochmals auf die Konzeption von Instandsetzungslösungen eingegangen. Als Beispiel wird die Aufhängung eines Bundtrams an eine Hängesäule gewählt. Für diese Verbindungen wurden bereits sehr früh (etwa ab dem 15. Jh.) schmiedeeiserne Bänder verwendet, welche aus heutiger statischer Sicht oftmals deutlich unterdimensioniert sind. Abb. 6.1 Links zeigt die Lösung mit Blechformteilen und Schraubbolzen. Wesentlich bestandsschonender ist die in Abb. 6.1 Mitte und Rechts gezeigte Lösung mit Einpressdübeln, angeschweißten Gewindestangen und Gegenplatte. Letzteres Detail vermeidet elegant Fügungsprobleme mit dem Bestand. Da nicht zu erwarten ist, dass alle Bundträme und Hängesäulen gleich breit sind, sind bei der Blechformteillösung entweder Einzelanfertigungen notwendig oder unterschiedliche Klaffungen zwischen Blech und Holz zu erwarten. Zudem kann der Bundtram nicht durch Spannen der Gewindestangen an die Hängesäule gezogen werden. Die Lösung von Abb. 6.1 Mitte und Rechts sollte daher unbedingt bevorzugt werden. Sind auf der Unterkante der Bundträme Decken aufgehängt ist die Zugänglichkeit der Bundtramunterseite nicht gegeben. In diesen Fällen kann das in Abb. 6.1 Mitte und Rechts gezeigte Detail so modifiziert werden, dass anstatt der Gewindestangen und der Gegenplatte selbstbohrende Teilgewindeschrauben zur Anwendung kommen. Abb. 6.1: K - 25 Aufhängung des Bundtrams, Links: mit Blechformteil ([10] S. 56), Mitte und Rechts: mit Einpressdübel, Gewindestangen und Gegenplatte [54]. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 6 Musterdetails und Fallbeispiele 6.2 schräge Verbretterungen In der Praxis sind in Graz häufig schräge Verbretterungen für die Instandsetzung von Sparren- und Stuhlsäulenfußpunkten anzutreffen (siehe Abb. 6.2). Diese werden ausdrücklich aufgrund folgender Gründe nicht empfohlen: - Die Inspektion und Wartung der Fußpunkte wird erheblich erschwert bis unmöglich gemacht. - Die Belüftung der tragenden Konstruktionsglieder wird verschlechtert. - Normalkräfte in den schrägen Verbretterungen führen zu zusätzlichen Biegebeanspruchungen in den Sparren bzw. Stuhlsäulen. - Die Verbindung ist deutlich nachgiebiger als der ursprüngliche Zustand. - Die Abtragung vertikaler Kräfte muss entweder von den ursprünglichen Bauteilen oder von zusätzlichen Sattelhölzern gewährleistet werden. - Im Falle von nicht gleich breiten Hölzern (häufig ist z. B. der Bundtram deutlich breiter als die Sparren) sind zusätzliche Futterhölzer anzuordnen, welche die Nachgiebigkeit der Gesamtverbindung weiter erhöhen. - An Stuhlsäulenfußpunkten kann es zur räumlichen Kollision von Verbretterung und Stabanschlüssen der Stuhlwand kommen. NICHT EMPFOHLEN! Abb. 6.2: 6.3 Instandsetzungen mit seitlich aufgebrachten, schrägen Verbretterungen. Musterdetails für Sparren- und Stuhlsäulenfußpunkte 6.3.1 Verstärkung im Nordtrakt von Schloss Eggenberg In den Dachwerken (Kehlbalkendächer mit liegenden und stehenden Stühlen) von Schloss Eggenberg werden seit dem Hofburgbrand in Wien regelmäßig Inspektionen und Wartungsmaßnahmen durchgeführt. Brandabschnitte wurden eingefügt und mit der systematischen Reinigung und Instandsetzung der Tragwerke wurde begonnen (Dachraum siehe Abb. 6.3). Im Rahmen des Forschungsprojekts D(N)achhaltigkeit Graz wurde im Nordtrakt des Objekts erstmals eine gründliche Bestands- und Schadenserfassung durchgeführt. Es zeigte sich, dass bereits zahlreiche Fußpunkte in der Vergangenheit instandgesetzt wurden (siehe Abb. 6.3). Deren Tragsicherheit wird aufgrund von zum Teil erheblichen Klaffungen angezweifelt. Daher wurde ein Vorschlag für die Verstärkung der betroffenen Knoten ausgearbeitet (siehe Abb. 6.4). 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K - 26 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele Abb. 6.3: Links: Ansicht aus dem Dachraum, Rechts: in der Vergangenheit instandgesetzter Stuhlsäulenfußpunkt. Aufschiebling Sparren Stuhlsäule 50° Klammern (schematisch) Mauerbank Vollgewindeschrauben 3-4 Stk. nebeneinader Stahlwinkel Schraubbolzen Knagge Bundtram 3 Stk. Einlassdübel Mauerwerk Abb. 6.4: Instandsetzungsvorschlag Schloss Eggenberg. Der Vorschlag (siehe Abb. 6.4) sieht vor, auf den Bundträmen Knaggen mit Stahlwinkeln schubsteif mittels z. B. Einlassdübeln anzubringen. Von diesen, aus dicken Stahlblechen gekanteten, Winkeln werden selbstbohrende Schrauben in den Stuhlsäulen- und Sparrenfußpunkt eingedreht. Diese sind statisch so ausgelegt, dass bei Erreichen der Traglast zuerst der Stahlwinkel ins Fließen gerät und erst danach die Schrauben versagen. Durch die Biegung der Stahlwinkel kann abgeschätzt werden, ob die Verstärkung hoch belastet wird. K - 27 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 6 Musterdetails und Fallbeispiele 6.3.2 (Additive) Instandsetzung der Fußpunkte im Zeughaus Auch beim Dachtragwerk des Zeughauses handelt es sich um ein Kehlbalkendach mit liegendem Stuhl (siehe Abb. 6.5). Die Bundträme wurden im Unterschied zu Schloss Eggenberg in die Dippelbaumdecke integriert. Sämtliche nordseitigen Sparren- und Stuhlsäulenfußpunkte wurden in der Vergangenheit instand gesetzt. In jedem Vollgespärre unterscheiden sich die Ausbildungen (siehe Abb. 6.6). In einem Stuhl existiert keine horizontalkräfte–übertragende Verbindung mit der Decke, sodass Horizontalverschiebungen auftraten infolge dessen sich das Rähm um rund 20 cm absenkte. Abb. 6.5: Ansichten aus dem Dachraum. Abb. 6.6: In der Vergangenheit instandgesetzter Stuhlsäulenfußpunkt. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K - 28 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele Aufschiebling Sparren Stuhlsäule Vollgewindeschrauben Distanzholz (konstruktiv) U-Profil Zugstange Mauerbank Sattelholz Bundtram/Dippelbaumdecke Mauerwerk Abb. 6.7: Instandsetzungsvorschlag Zeughaus. Eine zimmermannsmäßige „Reparatur“ der Knoten ist zwar möglich, aber aufgrund der in die Dippelbaumdecke integrierten Bundträme besonders aufwendig. Daher wird hier eine „statische Sicherung“ vorgeschlagen. An die Stuhlsäulenfußpunkte werden dickwandige Stahl-U-Profile mit selbstbohrenden Vollgewindeschrauben angeschlossen (siehe Abb. 6.7). An diese mit Steifen ausgesteiften U-Profile wird jeweils eine Langmutter angeschweißt, in welche die Stahlzugglieder eingedreht werden. Die Stahlzugglieder werden mit einem vorspannbaren Koppelungsstück in Feldmitte gestoßen. Da der Dachraum nicht genutzt wird, stellen die in etwa 20 cm über dem Boden verlaufenden Stahlzugglieder keine Behinderung dar. Sollte eine Nutzung vorgesehen sein, ist eine Verhängung der Stuhlsäulenfußpunkte in die Dippelbaumdecke vorzusehen. K - 29 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 6 Musterdetails und Fallbeispiele 6.4 Musterdetails additiver Instandsetzungen 6.4.1 Stift Zwettl – Bibliothek Kehlbalkendächer mit asymmetrischen liegenden Stühlen sind keine Seltenheit. Solche Tragwerke wurden immer dann errichtet, wenn z. B. asymmetrische Mittelmauern zur Lastabtragung genutzt werden sollten, einseitige Dachvorstände und/oder Dachneigungen oder Walmdachflächen ausgebildet werden sollten. In allen Fällen entspricht der Stuhl keiner Stützlinie für symmetrische Belastungen. Verbunden mit der großen Nachgiebigkeit und dem geringen Zugtragvermögen der meisten Verbindungen kam es daher in zahlreichen dieser Tragwerke zu großen Verformungen. Als Beispiel hierfür kann beispielsweise der Bibliothekstrakt von Stift Zwettl genannt werden (siehe Fig. 6.8). Analoge Phenomäne treten allerdings auch in Schloss Hainfeld und Schloss Eggenberg auf. Sparren Rähm Abb. 6.8: Sp verformte Figur Stahlz ugglie der Stuh lsäu le Rähm Kehlbalken n re r a Vollgespärre Kehlbalkendach mit asymmetrischem liegendem Stuhl. Für die Instandsetzung wird hier vorgeschlagen, vorspannbare Stahlzugglieder (ein Paar je Vollgespärre) zwischen dem rechten Stuhlsäulenfußpunkt und dem linken Stuhlsäulenkopf anzuordnen. Diese Stahlzugglieder können links mittels einer mittigen Bohrung durch das Rähm und Gegendruckplatte angeschlossen werden, rechts können die Zugglieder mit einseitigen Einlassdübeln und Passbolzen angeschlossen werden. Ziel der Stahlzugglieder ist es, den bestehenden, verformten Zustand zu sichern und weitere Verformungen zu vermeiden. Die Zugstangen werden daher nur soweit gespannt, sodass der gesamte Anfangschlupf der Verbindungen abgebaut ist und sie nennenswert Kräfte übertragen. Die vollständige Rücknahme der Verformungen wäre nur dann denkbar, wenn die gesamte Dachdeckung entfernt wird. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K - 30 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele 6.4.2 Franziskanerkirche – Langhaus Im Beitrag „Bestandserfassungen und Zustandsbericht von Dachwerken im UNESCO-WKE Graz“ wird auf die Geschichte, Bestandsaufnahme und einzelne Schäden des Dachwerks der Franziskanerkirche eingegangen. Im Rahmen der von 1515–1519 dauernden Umbauarbeiten wurden sämtliche Hängesäulen auf die Gewölbe abgestellt. Inzwischen liegen zahlreiche Schäden an den Sparrenfußpunkten vor. Im Zuge derer Instandsetzung sind bedeutende Lastumlagerungen – auch eine deutliche Erhöhung der Hängesäulenlasten auf die Gewölbe – nicht auszuschließen. Um Folgeschäden vorab zu vermeiden, das Tragwerk „berechenbar“ zu machen und horizontal zu versteifen, wird das in Abb. 6.9 dargestellte additive Instandsetzungskonzept (blau) vorgeschlagen. GespärreAchsabstand: 88 cm (Mittelwert) Sparren 18/24–16/19 cm Hahnenbalken 11/17 (3. Kehlbalken) Hängesäule 19/22–18/15 2. Kehlbalken 12/18 Stuhlsäule 17/22 Rähm 15/17 1. Kehl= balken 12/18 14,1 m Strebe 18/22–13/18 Hängestrebe13/17 Rähm 15/17 Hängewand Stuhlwand Rähm 11/15 Rähm 13/16 Bundtram 20/29 16,7 m Abb. 6.9: Mauerbank 26/16 Kehlbalkendach mit Hängesäule und Hängestreben. Das Konzept sieht vor, in jedem Vollgespärre (= jedes zweite Gespärre) zwei neue Stützen auf die Mittelauflager aufzustellen und diese mit Schraubbolzen mit dem Bestand zu verbinden. Die beiden Stützen werden mit horizontalen Druckriegeln verbunden. Fachwerksartig angeordnete Stahlzugglieder führen einerseits zu einer deutlichen Versteifung des Tragwerks für asymmetrische Belastungen, andererseits können damit die Hängesäulen entlastet werden. Ein vollständige Entlastung der Gewölbe wäre möglich, wird jedoch nicht empfohlen da mit Rissbildung im Gewölbe zu rechnen ist. Nach dem Einbau des erläuterten Fachwerksystems werden sämliche Schäden an den Sparrenfußpunkten repariert. Der gesamte Instandsetzungsvorschlag kann daher als Mischform aus Reparatur und statischer Sicherung bezeichnet werden. K - 31 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 6 Musterdetails und Fallbeispiele 6.5 Fallbeispiel Palais Herberstein 6.5.1 Einführung Das Bauwerk wird im Jahre 1602 durch Zusammenlegung zweier Bürgerhäuser aus dem 16. Jahrhundert als Stadtpalais der Fürsten von Eggenberg erbaut. Nachdem die männliche Linie der Eggenberger erloschen ist, kommt es 1742 in den Besitz der Grafen von Herberstein. Zwischen den Jahren 1754 und 1761 findet ein Umbau und eine Innengestaltung nach Plänen von Joseph Hueber statt. Dabei werden die Zimmer im zweiten Obergeschoss erhöht. Als Folge dieser Maßnahmen kann man im Dachboden einen deutlichen Niveauunterschied und verbliebene, niedrigere Sparren an den beiden Giebelseiten erkennen. Seit 1939 ist das Palais im Besitz des Landes Steiermark, welches 1941 die Nobeletage im 2. Obergeschoss zur Neuen Galerie des Landesmuseums Joanneum umgestaltet. In den Jahren 1977/1978 findet eine Außenrestaurierung des gesamten Bauwerks statt. (vgl. [53]) Im letzten Jahr wurde das gesamte im Eigentum der Stadtgemeinde Graz befindliche Objekt umfangreichen Sanierungs- und Restaurierungsarbeiten unterzogen. Ein Großteil der Räumlichkeiten ist der „Neuen Galerie“ gewidmet. Bei diesem Bauobjekt handelt es sich um eine dreigeschossige, dreiflügelige Anlage mit zwei Innenhöfen (siehe Abb. 6.10). Das Dachwerk des Haupttraktes ist ein Kehlbalkendach mit zweistöckigem, liegendem und zweifach stehendem Stuhl und Hahnenbalken. Der nördliche Dachwerkabschnitt ist weitgehend mit Zapfenverbindungen ausgeführt, der südliche überwiegend mit Hakenblättern. Die Dachtragwerke der Nebentrakte können als Kehlbalkendächer mit asymmetrisch liegenden Stühlen und ein - oder zweiseitigen Dachvorständen bezeichnet werden. Im hier in weiterer Folge behandelten Südtrakt wurden die Bundträme in die Dippelbaumdecke integriert (siehe Abb. 6.10). 17. Jh. HAUPTTRAKT Mittelmauer 5,1 m Kehlbalken Bundträme in die Dippelbaumdecke integriert 9m Nachbarhaus (angedeutet) SÜDEN SÜDTRAKT NORDTRAKT MITTELTRAKT Abb. 6.10: Links: Dachwerk des Südtraktes, Rechts: Übersicht der Trakte. 6.5.2 Schadensbild (im Südtrakt) Bereits bei der Erfassung der Geometrie des Tragwerks fiel auf, dass das gesamte Tragwerk auf einer Länge von über 10 m deutlich nach Süden verkippt ist. Der Abstand zwischen Kehlbalken und Dippelbaumdecke beträgt südseitig um rund 10 cm weniger, als nordseitig. Die Sparren- und Stuhlsäulenfußpunkte waren aufgrund der Integration der Bundträme in die Dippelbaumdecke 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K - 32 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele durchwegs nicht sichtbar. Im Rahmen der Schadenserfassung wurde ein Sparrenfußpunkt nach dem anderen geöffnet und zum Großteil ein kompletter Verlust der Holzsubstanz festgestellt. Die im Sparrenfußpunktsbereich nachträglich eingebauten (nicht fachgerechten) Sparrenknechte sind typische Indizien für Schäden in diesem Bereich. Im konkreten Fall waren auch die Auflager der Dippelbaumdecke massiv geschädigt (siehe Abb. 6.12 rechts) und zum Teil bereits in der Vergangenheit instand gesetzt worden. Der Einsturz der Decke wurde nur durch die ursprünglich nichttragende Mittelmauer verhindert, auf welche sich die Decke absenkte. Da das Kehlbalkendreieck mangels Zugband auf großer Länge nicht mehr kraftschlüssig geschlossen war, ergab die erste Beurteilung der Zuverlässigkeit „Gefahr im Verzug“. In einem Bereich von rund 10 m Länge sind acht von neun Sparrenfußpunkte infolge von Pilzbefall zerstört (siehe Abb. 6.11). Die eingebauten Sparrenknechte sind nicht fachgerecht, da sie keine Horizontalkräfte in die ebenfalls schwer geschädigten Bundträme übertragen können. Die auftretenden Horizonalkräfte am Fußpunkt müssen von Mauerwerk und Dachwerk des Nachbarhauses abgeleitet werden. Abb. 6.11: Links: Dachraum, Sparrenfußpunkte geöffnet, Rechts: schwer geschädigter Stuhlsäulenfußpunkt. 6.5.3 Instandsetzungsvorschlag Die Instandsetzung sieht eine getrennte Instandsetzung von Decke und Dachwerk vor (siehe Abb. 6.12). Die Dippelbaumdecke wird mittels eines auf den tragenden Quermauern aufgelagerten Überzugs „hochgehängt“. Als Verbindungsmittel eignen sich hierzu Vollgewindeschrauben oder Schraubbolzen mit großen Unterlagsscheiben. Die Instandsetzung des Dachwerks sieht vor, die komplett zerstörte, eingemauerte Mauerbank zu entfernen und den verbleibenden Hohlraum auszumauern. Auf einem neuen Mörtelglattstrich werden Brettsperrholzblöcke in rund 1 m Abstand aufgelegt. Dazwischen kann Wärmedämmung eingebracht werden. Dies vermindert bauphysikalische Probleme im Zug der nachträglichen thermischen Sanierung der Geschoßdecke. Auf den BSP-Blöcken wird ein Kantholz aufgelegt, auf welchem die Sparren abgestellt werden. Je nach Schädigung der Sparren können zusätzliche Anlaschungen derselben erforderlich sein. Die am Sparrenfußpunkt auftretenden Horizontalkräfte werden mittels Stahlzugglieder mit der gegenüberliegenden Dachseite verschlossen. Damit kann auf einfache und effiziente Weise die Tragwirkung des unverschieblichen Kehlbalkendreiecks wiederhergestellt werden. K - 33 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 6 Musterdetails und Fallbeispiele Aufschiebling Sparren beidseitige Laschen Zugstangen U-Profil Passbolzen geschädigter Dippelbaumkopf BSH-Träger BSP-Sockel Überzug Schraubbolzen Bundtram / Dippelbaumdecke Mörtelglattstrich Mauerbank Mittelmauer Abb. 6.12: Instandsetzungsvorschlag und geschädigter Dippelbaumkopf, Palais Herberstein. 6.5.4 Umsetzung Die Umsetzung der im Rahmen der „Runden Tische“ der Zimmermeister an der TU Graz erarbeiteten Instandsetzungslösung erfolgte durch Landsinnungsmeister DI Oskar Beer. Dieser wird das Projekt und die Instandsetzungsarbeiten im Rahmen seines Vortrages auf der Tagung vorstellen. 6.6 Fallbeispiel Alte Universität 6.6.1 Einführung Das Gebäude der Alten Universität in Graz wurde 1607-1609 von den Jesuiten als Priesterseminar errichtet. Dieser Orden prägte bis zu seiner Auflösung 1773 das geistige, religiöse und kulturelle Leben in Graz. Die Grundsteinlegung für das Gebäude erfolgte durch den Landesfürsten Erzherzog Ferdinand II. Die Grundzüge des Universitätsgebäudes blieben bis heute erhalten. Nach dem Umzug der Universität dienten die Räume von 1905 – 2000 schließlich als Landesarchiv. Seit 2005 erstrahlt die Alte Universität in neuem Glanz und dient Repräsentationszwecken. (vgl. [1], siehe Abb. 6.13) Beim Dachwerk handelt es sich um ein Kehlbalkendach mit zweistöckigem, liegendem Stuhl, Hängesäule und Hahnenbalken (siehe Abb. 6.13). Die liegenden Stuhlwände bestehen aus Fußschwelle, Brustriegel, Streben und Rähm. Die Verbindungen an den Streben, Kopfbändern und Kehlbalken sind ausnahmslos gezapft. Das Tragwerk wurde zwischen 1607 und 1609 errichtet (vgl. [53]) und überspannt rund 19 m. Im Rahmen eines späteren Umbaus wurden die Hängesäulen unterkeilt, sodass sie sich jetzt auf der mittigen Pfeilerwand des Gebäudes abstützen. Wie klaffende Streben-Hängesäulenverbindungen zeigen, hat dies die globale Lastabtragung deutlich verändert. Positive Auswirkungen hatte diese 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K - 34 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele Veränderung auf den Grad der statischen Unbestimmtheit und damit auf die Fähigkeit der Tragwerks, Kräfte umzulagern. In Folge von wiederholtem Feuchteeintritt an der Traufe und damit verbundener Holzzerstörung versagte ein Stuhlsäulenfußpunkt (siehe Bild 15). Dank der Unterkeilung der Hängesäule wirkte diese als Druckstütze und die Kräfte konnten über die Biegetragwirkung der Hahnenbalken, Kehlbalken und Spannriegel sowie über die Tragwirkung der Stuhlwände (pfettendachartige Lastabtragung) umgelagert werden. GespärreAchsabstand: 106 cm (Mittelwert) Sparren 22/18–17/14 Hahnenbalken 13/16 cm 2. Kehlbalken 17/15 SÜDEN Strebe 16/18 Hängesäule 2* 17/16 2. Spannriegel 18/23 2. Kopfband13/19 19/27–30 26/18 1. Spannriegel 19/30 1. Rähm 15/24 1. Kopfband 15/20 (max. Abmessungen) 1. Stuhlsäule 20/29–34 1. Schwelle 31/23 Bundtram 23/27 15/21 Gewölbeanker Mauerbank 24/18 10,3 m 2. Brustriegel 15/15 1. Kehlbalken 19/16 16/15 19,2 m Abb. 6.13: Dachwerk des Haupttraktes (vgl. [40]), Rechts: Ansicht der stirnseitigen Fassade. 6.6.2 Schadensbild Im Nahbereich an einem Kamin trat aufgrund einer undichten Anschlussverblechung wiederholt Feuchte ein. Der direkt an den Kamin grenzende Stuhlsäulenfußpunkt (siehe roter Kreis in Abb. 6.13) des Kehlbalkendaches mit zweigeschoßigem, zweifach liegendem Stuhl wurde in weiterer Folge von Braunfäule weitgehend zerstört (siehe Abb. 6.14). Abb. 6.14: Links: Stuhlsäulenfußpunkt nahe dem Kamin, Rechts: zerstörter Knotenpunkt. K - 35 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 6 Musterdetails und Fallbeispiele 6.6.3 Instandsetzungsvorschlag Abb. 6.15 zeigt den ausgearbeiteten Instandsetzungsvorschlag, der nun erläutert wird. Stuhlsäule b/h = 20/29 cm stehendes Blatt Kamin Sparren b/h = 22/18 Vollgewindeschraube je zwei Schraubbolzen Aufschiebling schräges Blatt stehendes Blatt Bolzen =ca 45° Schwelle Passbolzen stehendes Blatt Bundtram b/h = 25/23 cm zweiteilige, neue Mauerbank (18/18 cm) (mit dem Bestand überlappt und verbolzt) Mauerwerk Abb. 6.15: Instandsetzungsvorschlag Alte Universität. Der Instandsetzungsvorschlag beruht auf der möglichst zimmermannsmäßigen Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes. Hierzu müssen die ursprüngliche Tragfähigkeit und möglichst auch Steifigkeit aller Stäbe und Verbindungen wiederhergestellt werden. Die Biegetragfähigkeit der Mauerbank wird durch die Anordnung von zwei neuen Mauerbänken ersetzt. Diese Übergreifen mit der bestehenden Mauerbank und werden mehrfach miteinander verbolzt. Auf die neue Mauerbank wird der neue Bundtramkopf aufgekämmt. Der Anschluss an den bestehenden Bundtram erfolgt mit einem stehenden Blatt und Passbolzen. Die Länge des stehenden Blattes und der Passbolzenabstände wird so gewählt, dass zumindest auch geringe Biegemomente übertragen werden können. Die neue Schwelle wird mit stehenden Blättern und Bolzen mit dem Bestand verbunden. Darauf wird ein neuer Stuhlsäulenfuß aufgesetzt, welcher mit einem schrägen, liegenden Blatt und Schraubbolzen mit dem Bestand verbunden wird. Um mindestens die ursprüngliche Tragfähigkeit und Steifigkeit der Stuhlsäule zu erzielen, wird der neue Sparren zusätzlich mit der Stuhlsäule verschraubt. Zuletzt wird der neue Sparren mit einem stehenden Blatt an den Bestand angeschlossen und ein neuer Aufschiebling angebracht. 6.6.4 Umsetzung Die Umsetzung der im Rahmen der runden Tische der Zimmermeister an der TU Graz erarbeiteten Instandsetzungslösung erfolgte durch Zimmermeister Josef König. Dieser wird das Projekt und die Instandsetzungsarbeiten im Rahmen seines Vortrages auf der Tagung vorstellen. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K - 36 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele Die grobe Abfolge der Arbeiten zeigt Abb. 6.16. Für die Instandsetzungsarbeiten musste ein Teil der Dachdeckung entfernt werden. Mit Hilfe eines Notdaches wurde sichergestellt, dass während der Arbeiten kein Niederschlag ins Gebäude gelangen konnte. Besonderes Augenmerk wurde auf die Unterstellung der Stuhlsäule gelegt. Um die Gewölbe nicht zu belasten, wurden die Hilfsabstützungen auf Konsolen, die mit Klebeankern im Mauerwerk verankert wurden, abgestützt. Alle Arbeiten wurden mit einer Zeitrafferkamera aufgenommen. Der – aufs Wesentliche verkürzte – Film wird im Rahmen der Tagung gezeigt. 01 Schadensbild 02 lokales Entfernen der Dachdeckung 04 neue Mauerbank und Bundtramkopf 03 Hilfsunterstellung einbauen, pilzgeschädigte Hölzer gesundschneiden 05 neue Schwelle mit stehendem Blatt 06 die fertige Instandsetzung Abb. 6.16: Ablauf der Instandsetzungsarbeiten. K - 37 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 7 Resümee 7 Resümee Im vorliegenden Beitrag wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass umfassende, bestandsschonende und ökonomische Instandsetzungen umfangreiche Vorarbeiten benötigen. So ist die Zugänglichkeit zu allen Traggliedern herzustellen und alle Hölzer sind zu reinigen. Sodann hat die Bestands- und Schadenserfassung sowie eine erste Zuverlässigkeitsbeurteilung zu erfolgen. Erst danach sollten Instandsetzungsmaßnahmen konstruiert und berechnet werden. Für die Berechnung von Instandsetzungsmaßnahmen wurde ein auf der Wiederherstellung der Tragfähigkeit beruhende Vorgehensweise vorgestellt: Hierzu wird die Bemessungstragfähigkeit des geschädigten Knotens ermittelt und mit diesen Kräften die neuen Bauteile und Verbindungen bemessen. Eine komplette statische Analyse des Tragwerks, welche im Falle von historischen Dachwerken mit großen Unsicherheit verbunden wäre, ist hierzu nicht erforderlich. Weiters wurde eine große Zahl nicht fachgerechter Instandsetzungen in Dachwerken aus der Altstadt von Graz und aus Schloss Hainfeld gezeigt. Bedauerlicherweise überwiegen in Graz derzeit diese Lösungen. Einzelne vorbildliche Lösungen konnten im Rahmen der „Runden Tische“ der Zimmermeister an der TU Graz entwickelt und in die Praxis umgesetzt werden. Diese wurden in Abschnitt 6 vorgestellt. Letztlich zeigt der Beitrag, dass in der Aus- und Weiterbildung von Zimmermeistern, Denkmalpflegern und Ingenieuren vermehrt Wissen und Kenntnisse im Umgang mit historischen Dachwerken gelehrt werden sollten, um schwerwiegende Fehler zu vermeiden und die Dachlandschaft von Graz dauerhaft zu erhalten. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K - 38 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele 8 [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] [14] [15] [16] [17] [18] K - 39 Literatur Alte Universität Graz: URL http://www.alte-universitaet.at/, Aktualisierungsdatum: 28.07.2010 BARGMANN Horst: Historische Bautabellen : Normen und Konstruktionshinweise 1870 bis 1960. 1. Aufl. Düsseldorf : Werner-Verlag GmbH, 1993. - ISBN 3-8041-4220-6 BLASS Hans Joachim ; FALK Volker Claus ; GÖRLACHER Rainer: Statische Modellierung hölzerner Dachtragsysteme am Beispiel des Dachwerks der katholischen Kirche in Kirchdorf/ Brigachtal. In: SFB 315 – Jahrbuch 1995, S. 303–325. Berlin : Verlag Ernst & Sohn. BLASS Hans Joachim ; FALK Volker Claus ; GÖRLACHER Rainer: Historische Holzkonstruktionen - Statische Modellierung der Nachgiebigkeiten historischer Holzverbindungen. In: SFB 315 – Jahrbuch 1996, S. 219–249. Berlin : Verlag Ernst & Sohn. BUCHHÄUSL Bertram: Bestandserfassung, Modellbildung und Tragverhalten historischer Dachstühle am Beispiel des Stiftes Zwettl. Graz, TU Graz, Fakultät für Bauingenieurwissenschaften, Dipl.-Arb., 2010. – Institut für Holzbau und Holztechnologie DEINHARD Martin: Spannungen und Sicherheitsgrade historischer Holzkonstruktionen. TH Darmstadt, Diss., 1962 EGGERSMANN Clemens: Standsicherheit herstellen : Sanierung einer historischen Dachkonstruktion. In: bauen mit holz, Fachzeitschrift für konstruktiven Holzbau und Ausbau, Bruderverlag 2000, Nr. 12, S. 8–13 EHLBECK Jürgen ; HÄTTICH Ronnie: Tragfähigkeit und Verformungsverhalten von ein- und zweischnittig beanspruchten Holznägeln. In: SFB 315 – Jahrbuch 1988, S. 281-298. Berlin : Verlag Ernst & Sohn. EHLBECK Jürgen ; GÖRLACHER Rainer: Zur Problematik bei der Beurteilung der Tragfähigkeit von altem Konstruktionsholz. In: bauen mit holz, Bruderverlag 1990, Nr. 2, S. 117–121 ERLER Klaus: Alte HolzBauWerke : Beurteilen und Sanieren. 3. Aufl. Neufassung. Berlin : Huss-Medien GmbH Verlag Bauwesen, 2004. - ISBN 3-345-00864-5 ERLER Klaus: Was trägt ein Holznagel? In: Fachwerkinstandsetzung nach WTA : Band 2 : Aktuelle Berichte. Stuttgart : Fraunhofer IRB Verlag 2002. - S. 234–245 GÖRLACHER Rainer ; et al: Tragfähigkeit und Verformnungsverhalten von zugbeanspruchten Blattverbindungen in historischen Holzkonstruktionen. In: SFB 315 – Jahrbuch 1990, S. 273– 291. Berlin : Verlag Ernst & Sohn. GÖRLACHER Rainer ; KROMER Martin : Tragfähigkeit von Versatzanschlüssen in historischen Holzkonstruktionen. In: bauen mit holz, Bruderverlag 1991, S.164–169. GÖRLACHER Rainer ; KROMER Martin ; EHLBECK Jürgen: Historische Holzkonstruktionen - Untersuchung alter Holzkonstruktionen: Ermittlung von Spannungen in einem Bauteil. In: SFB 315 – Jahrbuch 1995, S. 193–199. Berlin : Verlag Ernst & Sohn. GÖRLACHER Rainer ; KROMER Martin ; EHLBECK Jürgen: Das Dachtragwerk der Klosterkirche in Kirchheim/Ries. In: SFB 315 – Jahrbuch 1995, S. 97–105. Berlin : Verlag Ernst & Sohn. GÖRLACHER Rainer ; et al: Hölzerne Tragwerke : Untersuchen, Berechnen und Instandsetzen. Reihe B. Karlsruhe : Universität Karlsruhe, 1999. - Sonderforschungsbereich 315 GÖTZ Jürgen: Außergewöhnliches, gotisches Kehlriegeldach. In: bauen mit holz, Bruderverlag 2007, Nr. 10, S. 16–20 GROSS R., THIERSCH K.: Kloster, Schloss und Domäne Heydau, Landesamt für 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 8 Literatur [19] [20] [21] [22] [23] [24] [25] [26] [27] [28] [29] [30] [31] [32] [33] [34] [35] [36] Denkmalpflege Hessen: Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart, 2002. ISBN 3-8062-1629-0 HAUER Markus ; SEIM Werner ; WENZEL Fritz: Wirklichkeitsnahe Simulation des Tragverhaltens alter Dachstühle. In: SFB 315 – Jahrbuch 1993, S. 195–203. Berlin : Verlag Ernst & Sohn. HEIMESHOFF Bodo ; KÖHLER N. ; Deutsche Gesellschaft für Holzforschung (Hrsg.): Untersuchung über das Tragverhalten von zimmermannsmäßigen Holzverbindungen : T 2189. München : IRB Verlag, 1989. - Forschungsbericht HENRICHSEN Christoph: Reparaturen und statische Sicherungen an historischen Holzkonstruktionen. Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Wiesbaden 2003. Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2003. - ISBN 3-8062-1830-7 HENRICHSEN Christoph: Historische Holzarchitektur in Japan : Statische Ertüchtigung und Reparatur. Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart 2003. - ISBN 3-8062-1815-3 HINKES Franz-Josef: Experimentelle und rechnerische Untersuchung zur Ermittlung der Tragfähigkeit von Zapfenverbindungen. Universität Hannover, Diss., 1987 HOLZER Stefan M.; KÖCK Bernd: Barocke Dachwerke: Konstruktion und Analyse des Tragverhaltens. In: Bautechnik, Berlin: Verlag Ernst & Sohn 2009, Nr. 1, S. 36–47 HUSER C., TOGNOLA C.: Schloss Hallwyl - Bauliche Sanierung und Restaurierung 19982004. Verlag für Kultur und Geschichte, Baden, 2005. ISBN 3-906419-99-1 HUCKFELDT Tobias ; SCHMIDT Olaf: Hausfäule- und Bauholzpilze : Diagnose und Sanierung. 1. Auflage. Verlagsgesellschaft Müller, 2006. - ISBN-10: 3481021429 HÜBNER Ulrich: Abschätzung der Zuverlässigkeit des Dachtragwerks des Wasserschlosses Ollendorf unter Berücksichtigung streuender Einflüsse von Einwirkungen und Materialkennwerten und Erarbeitung von Vorschlägen zum Sanierungskonzept hinsichtlich baustatischer Erwägungen. Weimar, Bauhaus-Universität Weimar, Fakultät Bauingenieurwesen, Professur Holz- und Massivbau, Dipl.-Arb., 2000 IBOLD Stefan: Sanieren im Dach- und Holzbau : Grundlagen - Anforderungen - Beispiele. Köln : Verlagsgesellschaft Rudolf Müller GmbH & Co. KG, 2010. ISBN 978-3-481-02680-6 KEMPE Klaus: Dokumentation Holzschädlinge. 2. Auflage : Fraunhofer Irb Verlag, 2004. ISBN-10: 3345007754 KESSEL Martin ; AUGUSTIN Ralf: Untersuchung der Tragfähigkeit von Holzverbindungen mit Holznägeln für Sanierung und Rekonstruktion alter Bausubstanz. In: bauen mit holz, Bruderverlag 1994, Nr. 6, S. 484–487 KIRCHLER Markus: Modellierung eines historischen Dachstuhls – Vergleich von Stab- und FE-Berechnungen. Graz, TU Graz, Fakultät für Bauingenieurwissenschaften, Dipl.-Arb., 2009. – Institut für Holzbau und Holztechnologie KOCH Heiko ; SEIM Werner: Load bearing Capacity of traditional roof structures – Modelling of joints. Conference Proceedings of the 9th WCTE, Portland, USA, 2006 KOCH Heiko ; SCHÄFERS Martin ; SEIM Werner: Traditional timber joints – experimental investigation on tapered tenons. Conference Proceedings of the 9th WCTE, Portland, USA, 2006 KÖCK Bernd ; HOLZER Stefan M.: Zum Tragverhalten von Überblattungen in historischen Holztragwerken. In: Bauingenieur, Düsseldorf: Springer-VDI-Verlag 2011, Ausgabe 3, S. 106–115 KRAFT Udo ; PRIBBERNOW Doreen: Handbuch der Holzprüfung : Anleitungen und Beispiele. 1. Auflage : Vbt Verlag Bau u. Technik, 2006. - ISBN-10: 3764004592 KRAFT Susanne: Zur Konstruktion und zum Tragverhalten gezimmerter Kehlbalkendächer mit fachwerkartigem Längstragwerk : Untersuchungen an Dachwerken des 16. bis. 18. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K - 40 Kapitel K: Musterdetails und Instandsetzungsbeispiele [37] [38] [39] [40] [41] [42] [43] [44] [45] [46] [47] [48] [49] [50] [51] [52] [53] [54] [55] K - 41 Jahrhunderts in Pirna. Universität Karlsruhe, Diss., 1998 MEISEL Andreas: Historische Dachstühle: Tragsysteme, Bestandserfassung, statische Analyse und Sanierung mit flächenhaften Holzwerkstoffen, TU Graz, Fakultät für Bauingenieurwissenschaften, Dipl.-Arb., 2009. – Institut für Holzbau und Holztechnologie MEISEL Andreas ; MOOSBRUGGER Thomas ; SCHICKHOFER Gerhard: Der Anteil des Tragvermögens der Dachlattung an der globlen Lastabtragung von Dachtragwerken. In: Bautechnik, Berlin: Verlag Ernst & Sohn 2010, Nr. 6, S. 331–338 MEISEL Andreas ; SILLY Gregor ; SCHICKHOFER Gerhard: D(N)achhaltigkeit Graz, Forschungsbericht 2011 (unveröffentlicht) MEISEL Andreas et al: Historische Dachtragwerke aus Holz : Klassifizierung und Entwicklung aus statischer Sicht, TEIL 1. Zeitschriftenbeitrag, Veröffentlichung 2011 geplant MEISEL Andreas et al: Historische Dachtragwerke aus Holz : Statische Analyse und Tragwirkung, TEIL 1. Zeitschriftenbeitrag, Veröffentlichung 2011 geplant MÖNCK Willi: Schäden an Holzkonstruktionen. 3. Aufl. Berlin : Huss-Medien GmbH Verlag Bauwesen, 1999. - ISBN 3-345-00668-5 NIER Joachim: Experimentelle Festigkeitsuntersuchungen an alten Bauhölzern und daraus abgeleitete Erkenntnisse zur Tragfähigkeitsbeurteilung. Technische Hochschule Leipzig, Diss., 1994 NORM SIA 265 Holzbau, März 2003 NORM Önorm EN 1990 Eurocode 0: Grundlagen der Tragwerksplanung, 01. März 2003 NORM Önorm EN 1995-1-1 Eurocode 5: Bemessung und Konstruktion von Holzbauten: Teil 1-1: Allgemeines - Allgemeine Regeln und Regeln für den Hochbau, 01. Juli 2009 NORM Önorm EN 1995-1-1 Eurocode 5: Bemessung und Konstruktion von Holzbauten: Teil 1-1: Allgemeines - Allgemeine Regeln und Regeln für den Hochbau, Nationale Festlegungen, 15. August 2010 NORM Önorm EN 338: Bauholz für tragende Zwecke: Festigkeitsklassen, 01. Juli 2003 NORM Önorm DIN 4074-1 Sortierung von Holz nach der Tragfähigkeit: Teil 1: Nadelschnittholz, 15.06.2009 NORM Önorm DIN 4074-5 Sortierung von Holz nach der Tragfähigkeit: Teil 5: Laubschnittholz, 15.06.2009 RUG Wolfgang ; SEEMANN Axel: Festigkeit von Altholz. In: bauen mit holz, Bruderverlag (1989), Nr. 10, S. 696–699 SCHULZE Horst: Hausdächer in Holzbauart : Konstruktion, Statik, Bauphysik. Werner Verlag, 1999 SCHWEIGERT Horst: Dehio Handbuch Graz. Wien : Verlag Anton Schroll &Co, 1979. ISBN 3-7031-0475-9 SOMMER Anke: Ästhetische Restaurierung mit gerechneten Holznägeln. In: bauen mit holz, Fachzeitschrift für konstruktiven Holzbau und Ausbau, Bruderverlag 2004, Nr. 10, S. 14–19 THINIUS-HÜSER Klaus: Historische Holzkonstruktionen. Karlsruhe : Bruderverlag, 1998. ISBN-10: 3871040991 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 8 Literatur 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung K - 42 L Instandsetzung der Johanniskirche in Göttingen J. Götz DI Jürgen Götz L-1 1972 Abschluß des Bauingenieurstudiums an der TU Dresden seit 1990 Selbstständig mit dem Ingenieurbüro Dipl.-Ing. Götz & Ilsemann 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 1 Geschichte Zusammenfassung Die doppeltürmige Johanniskirche ist in ihrer Mächtigkeit stadtbestimmend für Göttingen. Beide Türme zeigten im Jahr 2000 gravierende Standsicherheitsschäden an den hölzernen Turmhelmen und dem oktogonalen Natursteinmauerwerk. Nach abgeschlossener Sanierung 2005 zerstörte eine Brandstiftung den Nordturm. Im selben Jahr erfolgte die Rekonstruktion mit 250 Jahre altem Eichenholz. Das Kirchenschiffdach, eine fünfgeschossige Kehlriegelkonstruktion aus Eichenholz aus dem 14. Jhd., ist zum großen Teil erhalten, jedoch durch Kriegseinwirkungen 1945 geschädigt. Vor der Wiedereindeckung in den 1950-er Jahren wurde die Urkonstruktion verändert. Mangelhafte Längsaussteifung sorgte für permanente Schäden an der Ziegeleindeckung. In Vorbereitung der Instandsetzung, 2006, erfolgte ein verformungsgerechtes Aufmaß. Der Dachstuhl wurde als eine Kehlriegelkonstruktion mit 26 Gebinden, jeweils in Bundbalkenachse, B/H = 18 m/ 15 m, DN = 60 Grad, zurückgeführt. Für die Windbelastung wurde das Prinzip der Nachbarschaftshilfe mit betrachtet. Denkmalpflegerisch war der weitgehende Bestand der ca. 650 Jahre alten Konstruktionsglieder vorrangig. Abgängige Konstruktionsglieder wurden mittels Stoßausbildung an die historische Substanz angeschlossen. Gesunde Kehlriegel erhielten, teilweise gekoppelt, neue Balken. Die Dachschalung bildet den größten Längsstabilitätsanteil. Der Abbund erfolgte auf einer Arbeitsebene in Traufhöhe vor der Kirche und auf der Bundbalkenebene. Aufmaß, Technisch-Konstruktive,- und Ausführungsplanung, Ausschreibung, sowie Bauleitung und Abrechnung lagen in der Verantwortung vom Hildesheimer Büro Götz & Ilsemann. 1 Geschichte Göttingen, ehemals Gutingi, die Universitätsstadt im Norden Deutschlands, berühmt geworden durch Professoren wie G.C. Lichtenberg, Gauß, Weber und vielen anderen, hat eine bewegende Gesellschafts- und Baugeschichte (Abb. 1.1 links). Mitten in der alten Marktsiedlung und frühen Stadt sind drei Kirchen prägend: St. Johannis, St. Jakobi mit dem höchsten Turm und St. Nikolai (Abb. 1.1 rechts) [1]. St. Johannis hat mindestens zwei Vorgängerbauten. Von der romanischen Grundsubstanz ist noch das Rundbogenportal aus 1245 erhalten. Als Baumaterial diente Muschelkalkstein (Wellenkalk vom nahe gelegenen Hainberg) und Buntsandstein aus Eddigehausen, Reinhausen sowie Gartetal. Der heutige Baukörper begann 1290 im Westen mit der doppeltürmigen Anlage und endete 1400 mit dem Einzug der Stadtwächter im städtischen Nordturm. Beide Türme waren mit einer Brücke verbunden, die verfiel. Im 18. Jhd. erfolgte deren Abriss (Abb. 1.1 rechts). Mitte des 14. Jhd. konnte das Mittelschiff eingewölbt werden [3]. Das ist der technisch-optische Beleg [2] neben dem dedrochronologischen Nachweis für das Alter des nachfolgend zu beschreibenden fünfgeschossigen Kehlriegeldachstuhls. Auf spätere Änderungen, u.a. im ausgehenden 18. und die im 19. Jhd. durch C. W. Hase, wird hier nicht weiter eingegangen. Im Zweiten Weltkrieg deckten Luftminen die Dachflächen des Mittelschiffes weitgehend ab (siehe Abb. 1.2). Ca. acht Jahre schützte eine vorgenommene Noteindeckung nur unzureichend gegen das Wetter. In den 1950er Jahren sicherte man die Dachkonstruktion durch konstruktive Änderung zum Pfettendach ohne hinreichende Längsaussteifung. Die Ziegeleindeckung nahm jährlichen Schaden. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung L-2 Kapitel L: Instandsetzung der Johanniskirche in Göttingen Abb. 1.1: Links: Stadtplan der mittelalterlichen Stadt Göttingen [Schütte, Jahre, 1984, S.22]. Rechts: Süd- und Nordturm des Westwerkes im Jahr 2000. Abb. 1.2: St. Johanniskirche Süddach; Kriegseinwirkungen mit Brandschäden [Stadtarchiv Göttingen]. 2 Türme und Westwerk Beide Turmhelme sind in den 1970-er Jahren instandgesetzt worden. Beton hielt man nach wie vor für ein überall anzuwendendes, geeignetes Material zur Sicherung der Turmköpfe. Sparrenfüße nebst Aufschieblingen und Schwellen verschwanden in Beton (siehe Abb. 2.1). L-3 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 2 Türme und Westwerk Abb. 2.1: Einbetonierte Schwellen und Sparrenfüße des barocken Turmhelms. Im Jahr 2000 begann die ca. 10 Mio € umfassende Sanierung der St.Johanniskirche (Abb. 2.2). Abb. 2.2: v. l. n. r.: Muschelkalk im Westwerk, Buntsandstein für die Oktogonaltürme [7]; die eingerüsteten Türme – der Südturm mit Dunkelstrahlheizung als Winterbaumaßnahme [8]; der Nordturm mit schadhafter Schiefereindeckung; Südturmlaterne mit schadhafter Schieferdeckung. 14 Tage vor Übergabe der restaurierten Türme, in der Nacht vom 22. zum 23. Januar 2005, setzten zwei Jugendliche den Nordturm in Brand. Ein Schaden von 3 Mio. € war die Folge (Abb. 2.3). Das Mauerwerk, bis 6 m unter dem Turmkopf in seinem Gefüge thermisch gestört, musste abgetragen werden. Einen enormen Aufwand stellten der Abriss- und die Entsorgungskosten des kontaminierten Bauschuttes dar. Der Turmhelm mit Laterne wurde aus zweitverwendetem 250 Jahre altem Eichenholz vom Abriss eines Loireschlosses 2005 wieder neu errichtet. Für die Rekonstruktion mussten die derzeit geltenden Normen angewandt werden. Aus der Zusammenarbeit mit einem sehr diskussionsoffenen Prüfingenieur konnten die historischen Abmessungen, mit neuartigen Verbindungsmitteln, weitgehend erhalten bleiben. Der Brand verursachte für die Kirche eine Bauzeitverlängerung von einem Jahr, bei 3 Mio. € Mehrkosten. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung L-4 Kapitel L: Instandsetzung der Johanniskirche in Göttingen Abb. 2.3: v. l. n. r.: Brand des Nordturms am 23.01.2005 bei -6°C. Der Sturm verursacht Funkenflug zum Kirchenschiff [9]; Der völlig zerstörte Nordturm nach der Brandnacht [10]; Beim Abnehmen der Turmspitze lodert das Feuer erneut auf [11]. 3 Kirchenschiff 3.1 Konstruktionsbeschreibung Die fünfgeschossige Kehlriegelkonstruktion hat die äußeren Abmessungen Höhe zur Breite von 15 m zu 18 m bei einer Dachneigung von = 60 Grad und einem Gespärreabstand von ca. 1,20 m (siehe Abb. 3.1 und Abb. 3.2). 26 Gebinde stehen in Nord-Süd-Richtung. Die Achsen 1 bis 18 sind höhenverschieden von denen der Achsen 19 bis 26. Abb. 3.1: L-5 Verformungsgerechtes Aufmaß der Bundbalkenebene. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Kirchenschiff Abb. 3.2: Verformungsgerechtes Aufmaß von Gespärre 8 und 23. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung L-6 Kapitel L: Instandsetzung der Johanniskirche in Göttingen Die Kurzbeschreibung der Konstruktion ist wie folgt erklärt (Abb. 3.2 unten): Die Bundbalken überspannen das dreischiffige Kirchenschiff als Vierfeldbalken. In der Firstachse bilden Hängesäulen ein mittiges Auflager für die Bundbalken. Schrägstreben leiten die Kräfte auflagernah in die Deckenbalken. Alle Sparren besitzen Aufschieblinge. Die Sparrenstöße ergaben sich aus verfügbaren Holzlängen der nutzbaren Bundbalkenebene für die Richthöhe der Gespärre im 14. Jhd. (Abb. 3.3). Beim Richten sorgte das Eigengewicht für eine bleibende Verformung. Die Bundbalkenebene ließ vom 19. Gespärre an nur noch geringere Sparrenlängen zu. Abb. 3.3: Verformungsgerechtes Aufmaß der Sparrenebene Süd. Durch Fäulnis der Balkenköpfe, Schwellen und Sparrenfüße senkte sich der Traufbereich aller Sparren und damit auch die äußeren Kehlriegelknoten an den Sparren ab (Abb. 3.4). Die Kehlriegelanbindung an der mittigen Hängesäule gab nicht nach, so dass sich die Kehlriegel zum nach oben gewölbten Bogen spannten und die Hängesäulen zu Druckgliedern konvertierten. Gebrochene Sparrennägel, ausgeformte Sassen und dergleichen sind die Folge. 3.2 Aufmass Der Bedeutung des etwa 650 Jahre alten, geschädigten Tragwerks angemessen, sollte ein verformungsgerechtes Aufmaß der Klasse 2 bis 3 gefertigt werden [4]. Planunterlagen waren nicht gegeben, Versuche mit digital gestützten Tachymetergeräten schlugen fehl. Die Sichtschatten erforderten einen zu häufigen Standortwechsel des Gerätes und die schleifenden, sehr spitzen Vertikalwinkel ergaben zu ungenaue Abmessungen für die vielfach gerundeten Querschnitte. Zudem boten die Schwingungen der Bundbalken infolge sich bewegender Personen stark beeinflussende Störungen. So wählten wir die traditionelle Aufmassmethode [5]. L-7 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Kirchenschiff Abb. 3.4: v. l. n. r.: Gespärre 26; Schwalbenschwanz Kehlriegelebene 5; gebrochener Kehlriegel am Hängestiel, der durch Schäden der Sparrenfüße zum Druckstab wurde; Gespärre 26 – Schwalbenschwanz Kehlriegelebene 5 mit Holzfehlstellen. Jedes zweite Feld erhielt in 5 Lagen Rüstebenen, von denen zwei Gespärre sich erfassen ließen. Auf den winklig zueinander stehenden Giebelwänden setzte der Geodäter jeweils 7 Messnägel. Gespannte Schnüre, rechtwinklig zur Westwand und parallel zueinander bis zur Ostwand, ermöglichten die geometrische Erfassung der Achslagen aller Gespärre in den Ebenen. Rechtwinklige Schnüre zu ersteren zwischen den Gebinden in allen Ebenen erfassten alle 50 cm die Querschnitte und ihre Lage in drei Achsen. Die Höhenordinaten ergaben sich aus Loten. Eine ungeheure Menge an Daten, tabellarisch aufgenommen, gestatteten die Anfertigung verformungsgerechter Konstruktionspläne [5]. Zu bemerken ist, dass die Temperatur im Dachraum die Arbeit sehr erschwerte. Drei Fotos von jedem Knotenpunkt, das 1. von Ost, das 2. von West und ein Perspektivbild mit einstiftigem, in drei Längen einsetzbarem Abstandsstativ digital aufgenommen, konnten im Büro über einen Rasterbildschirm maßlich exakt genutzt werden (Abb. 3.5). Das Ergebnis mit dieser traditionellen Methode ergab die Genauigkeitsklasse 3 bis 4 (Abb. 3.6) [4]. Abb. 3.5: Links: Gespärre 8 Bundbalken – aufgekämmter Bundbalken auf eingemauerter Schwelle. Rechts: Wandkopf mit Schwelle, Bundbalken und Sparren. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung L-8 Kapitel L: Instandsetzung der Johanniskirche in Göttingen Abb. 3.6: 3.3 Verformungsgerechtes Aufmaß von Gespärre 4 mit Knotendokumentation. Schadensaufnahme und -kartierung Mit den gefertigten Plänen jeder Achse, sowie den Grundrissebenen erfolgte die Schadensaufnahme mittels Bohrwiderstandsmessung und Sichtkontrolle (Abb. 3.7). Abb. 3.7: L-9 Schadenskartierung von Gespärre 25. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Kirchenschiff Moderfäule, tierischer Befall, einmal Echter Hausschwamm und Holzfehlstellen in Lage und Ausdehnung erfasst, farblich kartiert, ergaben zweifelsfreie Unterlagen für die Ausschreibung (siehe Abb. 3.8). Abb. 3.8: Links: Tierischer Befall an Schwelle und Bundbalkenkopf. Rechts: Wandkopf mit eingemauerten geschädigten Schwellen. Diese Pläne dienten den Zimmerleuten in ihrem späteren Vorgehen. Mit den nachfolgend noch zu erläuternden statischen Konstruktionsplänen als Einheit war eine Kostenunsicherheit von weniger als 5 % gegeben. 3.4 Statisch-konstruktive Belange 3.4.1 Wind Die Windbelastung wurde nach alter Deutscher DIN 1055 und der neuen, weitgehend auf zukünftiger EU-Norm aufgebauten 1055-4 betrachtet. Dabei stellte sich heraus, dass die neue Norm geringere Größen lieferte. Das Prinzip der Nachbarschaftshilfe (Windböen auf drei Gespärren werden fünf Achsen zugeordnet analog der Vorgehensweise an der gotischen Salemer Zisterzienser-Klosterkirche) [6] fand für die Winddruck- und -soglasten Anwendung. Die in Rechnung gestellten Werte sind nachfolgend dargestellt. Tab. 3.1: *) Windbelastung nach alter und neuer Windnorm. α 60 °, ν = 0 ° wD/wS alt wD/wS neu h < 20 m h > 20 m h < 20 m h > 20 m 0,6*) 0,31 0,36 -0,22 -0,26 [kN/m²] wD wD wS wS 0,64 x = 0,38 0,88 x 0,6*) = 0,53 0,40 x 0,6*) = -0,24 0,55 x 0,6*) = -0,33 [kN/m²] 60 % nach dem Prinzip der Nachbarschaftshilfe. Das Dach mit trockener Ziegeleindeckung ist ein impermeabler Körper. Beidseitige Trauf- und obere Firstöffnungen sorgen für einen Druckausgleich und wirken günstig auf die Gesamtkonstruktion (Tab. 3.1). 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung L - 10 Kapitel L: Instandsetzung der Johanniskirche in Göttingen 3.4.2 Tragwerksplanung und konstruktive Ausbildungen Sieben Gedankenmodule zur Konstruktion zeigten bei Änderung der Lagerungen/Knotensteifigkeit wesentliche Schnittkraftumlagerungen: Tab. 3.2: Tabellenüberschrift Auslastung System (alle Anschlüsse biegesteif) Biegesteifes System Fachwerk, nur First- und Fußgelenke Fachwerk 1, Gelenke in Sparren Fachwerk 2, Gelenke in Sparren mit Feder Sparren Bundbalken sonstige Stäbe < 30 % 1,01 % 162 % 101 % (M = -3,3 kNm) Kehlriegel als Balken (alles Angelenke an den Sparren) < 34 % 55 % < 15 % 34 % < 10 % 76 % 15 % Hauptstreben als Balken < 55 % 17 % Kehlriegel und Hauptstreben biegesteif (mit Vollgelenk in Sparren) < 38 % 16 % 4.KRL 152 % restl. KR < 55 % übrige Stäbe < 16 % Hauptstreben 56 % übrige Stäbe < 10 % 1. + 2. KRL < 25 % 3. + 4. KRL < 58 % Hauptstreben < 52 % übrige Stäbe < 10 % Die 4. Kehlriegellage ist die am hochbelasteten. Für die konstruktive Ausbildung musste in der Lage die größte Sorgfalt aufgebracht werden. Nach Ausbau der Pfetten stellte sich das mittig abgestrebte fünfgeschossige Kehlriegeldach in seiner Urfassung dar. Für die äußeren Bundbalkenauflager mussten die innere und äußere Schwelle mit b/h = 14 cm/14 cm ersetzt werden. Teilweise waren die Bundbalken in den Sandsteingewölben eingemauert und belasteten diese. Die Anschlüsse von Streben, Hängesäulen und Knechten auf den Bundbalken fast aller Gebinde waren abgängig. Das veranlasste zu folgendem Vorgehen: Der mittlere Teil der Bundbalken wurde um h 36 cm mit Pressen über der Mittelschiffpfeilerwand (das Eigengewicht des Gebindes beträgt G 40 kN) zur Entlastung der Gewölbe angehoben. Alle vertikalen Anschlüsse konnten so aus gesundem Holz neu gestaltet werden. Über den Seitenschiffen bis teilweise über den Mittelschiffwänden wurde der biegesteife Bundbalkenstoß angeordnet (Abb. 3.9 links). Jeweils drei Gespärre wurden zugleich angehoben und auf die punktförmig gelagerten, allseitig luftumspülten Schwellen abgesetzt (Abb. 3.10 links). Die zugfeste Verbindung der Schwellen in jedem zweiten Feld sichert ein liegendes Hakenblatt (Abb. 3.10 rechts). Nach der Schnittkraftermittlung und den sich ergebenden Knotenkräften wurde eine Systematisierung der Anschlüsse vorgenommen (Abb. 3.11). Daraus ergaben sich fünf wiederkehrende Verbindungsdetails zum Vorteil des vorzunehmenden Abbundes und Minderung der Fehlerquelle beim Einbau: - L - 11 Einfache Blattung Schwalbenschwanz / Hakenblatt Zapfenverbindungen Sparrenstoß Bundbalkenstoß 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Kirchenschiff Abb. 3.9: Links: Sanierter Bundbalken mit biegesteifem Stoß über der Mittelschiffwand. Rechts: Sanierter Bundbalken mit biegesteifem Stoß über dem Seitenschiffgewölbe. [Hermann Bade GmbH & CO KG, Bad Bevensen] Abb. 3.10: Links: Traufdetail mit Hinterlüftung. Rechts: Hakenblätter der Schwellen [Hermann Bade GmbH & Co KG, Bad Bevensen]. Abb. 3.11: v. l. n. r.: Momentenlinie für Eigenlast, Sog und Druck am Gesamtsystem; Normalkraftlinie am Gesamtsystem; Querkraftlinie am Gesamtsystem. Die gegebenen Verformungen innerhalb der Gespärre und zueinander erforderten besonders in den Dachflächenebenen einen Ausgleich von bis zu 28 cm (Abb. 3.12). Mittels verklotzter Obersparren wurden maximale Differenzmaße für die Dachflächen in der Horizontalen von h 2,5 cm/Feld und in der Falllinie h 2,5 cm/3 m festgelegt. Das Kriterium sichert die Funktionsfähigkeit der Ziegeleindeckung (Falzziegel mit Gratschnitt) bei gleichzeitig gewollter bewegter Oberfläche. 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung L - 12 Kapitel L: Instandsetzung der Johanniskirche in Göttingen Abb. 3.12: v. l. n. r.: Verformtes Dach durch Kriegsschäden, überhöhte Darstellung der Firstverformung; Horizontale Firstverformung; Horizontalverformung nach Norden. Die rechnerischen Verformungen ergeben ein max. D 34mm (Wind-Druck) und S 16 mm (WindSog) (Abb. 3.13). Abb. 3.13: Rechnerische Verformungslinien, Wind von links. Zur Längsaussteifung dient vorrangig die paarweise über jeweils ein Feld versetzte, d = 40 mm, über drei Felder reichende Lärchenschalung (Abb. 3.14). In den Dachtragebenen sind konstruktive Längsstreben eingezogen. L - 13 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 3 Kirchenschiff Abb. 3.14: Schalung mit paarweise versetzten Stößen (jeweils über 3 Felder) sowie Aufbringen der Schalung. 3.5 Ausführung und Bauleitung Die innerstädtische Situation erlaubte nur geringe Stellflächen für die Baustelleneinrichtung (Abb. 3.15 links). Für die Turmsanierung wurde auf H = 54 m eine Arbeitsfläche für alle Gewerke mit Zuwegung über einen Lastenaufzug (L/B = 1,85/3,50 m und P = 3.500 kg) errichtet (Abb. 3.15 rechts). Bauunterkunft und Toilette auf dieser Ebene ersparten viel Zeit für Auf- und Abstiege (Abb. 3.16). Eine Dunkelstrahlheizung ermöglichte den Winterbau für Steinmetze. Die Rüstung wurde mit Wärmedämmplatten versehen. Abb. 3.15: Links: Baustelleneinrichtung für die Dachsanierung. Rechts: Zimmerleute und Steinmetze zur morgendlichen Auffahrt. Für das Kirchenschiff wurde analog verfahren. Die Arbeitsebenen in Höhe der Traufe und auf den Bundbalken sind wirtschaftliche und handwerkliche Zweckmäßigkeiten. Ein H = 1,00 m über der Dachfläche abgeplantes Schutzdach ließ keine Ausfallzeiten der Handwerker auftreten (Abb. 3.17 rechts). Die Zimmerleute arbeiteten in zwei Gruppen zu je 3 Leuten im Süden und Norden, zwei Hilfskräfte erledigten den Transport. Im quasi Taktverfahren wurde von West nach Ost gearbeitet. Im März 2006 begonnen, konnte das Dach im September 2007 fertiggestellt werden. Die veranschlagten Kosten von 1,6 Mio. € für das Dach wurden um weniger als 5 % überschritten. Ein Beweis, dass durch intensive, gründliche Vorbereitung auch beim Bauen im Bestand Kostensicherheit möglich ist. Nach Fertigstellung der Bundbalkenebene in drei Achsen erfolgte die Sanierung bzw. Erneuerung der aufgehenden Konstruktion (Abb. 3.18). 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung L - 14 Kapitel L: Instandsetzung der Johanniskirche in Göttingen Abb. 3.16: Links: Die obere Arbeitsebene nördlich vor der Johanniskirche. Rechts: Steinmetzte bei der Arbeit auf der oberen Arbeitsebene. Abb. 3.17: Links: Arbeitsebene in Traufebene für Zimmerleute und Steinmetze. Rechts: Errichten des Schutzdaches. Abb. 3.18: Deutlich zeigt sich die Abweichung der Dachfläche von einer vollkommenen Ebene. L - 15 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung 4 Literatur 4 [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] Literatur Dietrich Denecke, Helga-Maria Kühn, Karl-Heinz Manegold, Ulrich Popplow, Rudolf von Thadden, Rudolf Vierhaus; Göttingen, Geschichte einer Universitätsstadt (Band 1) Vandenhoeck & Rupprecht, Göttingen 1987 Die Kirche vor der Reformation, Seite 465 ff. David Macaulay ; Cathedral: The Story of Its Construction. 1973. Deutsch: Sie bauten eine Kathedrale. Übersetzung Monika Schoeller. dtv, München 1985. Dietrich Denecke, Helga-Maria Kühn, Karl-Heinz Manegold, Ulrich Popplow, Rudolf von Thadden, Rudolf Vierhaus ; Göttingen, Geschichte einer Universitätsstadt (Band 1) Vandenhoeck & Rupprecht, Göttingen 1987 Architektur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Seite 530 ff Günter Eckstein, Landesdenkmalamt Baden-Württemberg (Hrsg.) Empfehlungen für Baudokumentationen. Arbeitsheft 7. Stuttgart 1999. Zitiert in: BLDAM (Hrsg.): Anforderungen an eine Bestandsdokumentation in der Baudenkmalpflege. Petersberg 2002, S. 14 f Unveröffentlichte Unterlagen des Büros Götz & Ilsemann, Hildesheim (2005) Günter Eckstein, Andreas Stiene, Landesdenkmalamt Baden-Württemberg (Hrsg.) Das Salemer Münster, Befunddokumentation und Bestandssicherung an Fassaden und Dachwerk, Arbeitsheft 11, Seite 225/226 Konrad Theiss Verlag, Stuttgart http://www.omm.de/veranstaltungen/festspiele2001/bilder/GOE-st-johanni.jpg http://www.geruestbau-goettingen.de/upload/kirchengerueste_neu/bearbeitet_0009.jpg http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/29/St_johannis_fire_goettingen.jpg http://www.goest.de/bilder05/johanniskirche01.JPG http://www.feuerwehr.goettingen.de/allgemein/einsaetze/foto2005/johannis7.Jpg 2. Grazer Holzbau-Sonderfachtagung L - 16 ISBN 978-3-85125-155-5 lignum study research engineering test center 9 7838 51 25155 5