Der Kommunikative Ansatz und seine Bedeutung für die Theorie
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Der Kommunikative Ansatz und seine Bedeutung für die Theorie
JÜRGEN KURTZ * Der Kommunikative Ansatz und seine Bedeutung für die Theorie und Praxis des Fremdsprachenunterrichts zu Beginn des 21. Jahrhunderts Abstract. The communicative approach to foreign language learning and teaching has been criticized for unduly emphasizing meaning (i.e. language as a social tool) over form (i.e. language as a system), and for largely disregarding socio-cultural diversity and transcultural difference. Despite these perceived problems, I argue that its basic tenets are still valid and valuable today. 1. Einleitung und Problemaufriss Ungefähr vier Jahrzehnte nach der sogenannten kommunikativen Wende in der fremdsprachendidaktischen Theoriediskussion in Europa und in Nordamerika (vgl. hierzu aus historischem Blickwinkel HoWATT 1984: 273–293; HΟLLEN 2005: 140–15; KUIARAVADI~ELU 2006: 114–133) sowie – zeitlich mehr oder minder versetzt – dann auch in den verschiedenen Praxisfeldern fremd- und zweitsprachlichen Lehrens und Lernens diesseits und jenseits des Atlantiks (vgl. LEGUTKE/THOMAS 41999: 1–12; LEGUTKE 1993; WHITLEY 1993; RoLLIAN 1994), befasst sich der vorliegende Beitrag mit der gegenwärtigen und, soweit überschaubar, der künftigen Bedeutung des Kommunikativen Ansatzes für eine Weiterentwicklung der Theorie und Praxis des Fremdsprachenunterrichts in Deutschland.1 Anlass hierzu ergibt sich einerseits aus der über einige Jahrzehnte hinweg bereits geführten Diskussion über das vielschichtige Konstrukt der Kommunikation (vgl.: PIEPHo 1974, 1979; WIDDowSoN 1978; CANDLIN 1978, 2003; BκτηMΜIΊ/JoHNSOK ~ Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Jürgen KURTZ, Justus-Liebig-Universität Gießen, Institut für Anglistik, Didaktik der englischen Sprache, Otto-Behaghel-Straße 10 B, 35394 GIιßεΝ. E-Mail: juergen.kurtz@anglistik.uni-giessen.de Arbeitsbereiche: Mündliche Interaktion im Englischunterricht (Forschungsschwerpunkt: Improvisation in strukturierten Lernumgebungen), Empirische Lehrwerkforschung, Englischunterricht an Ganztagsschulen, Énglischlehrerbildung. 1 Ich verwende den Begriff der ,kommunikativen Wende‘ hier keineswegs im trivialen Sinne. Vielmehr möchte ich mich der folgenden Auffassung von WIDDowSorl (1990: 124–125) anschließen: „[...] the pedagogic movement of the seventies and eighties that goes under the banner of communicative language teaching can be characterized not by a novel concern for communication but by a different conception of the nature of communication from that which prevailed in the preceding era.” Den Begriff ,fremdsprachendidaktisch` gebrauche ich demgegenüber vereinfachend als einen umbrella term für all jene Wissenschaften, die sich mit dem Lehren und Lernen fremder Sprachen befassen. © 2013 Narr Francke Attempto Verlag FLΑHL 42 (2013) · Heft 1 Der Kommunikative Ansatz und seine Bedeutung für die Theorie und Praxis 81 7 1991; CANALE/SWAIN 1980; LITTLEWOOD 1981, 2011; CANALE 1983; SAVIGNON 1983, 2002, 2007; RICHARDS/RODGERS 22001; RICHARDS 2005; LEGUTKE 1988, 2008, 2010; LEGUTKE/SCHOCKER-V. DITFURTH 2003; SCHMENK 2005; SPADA 2007 und CELCE-MURCIA 2008), das bis heute weniger als Globalziel denn als Weg fremdsprachlichen Lehrens und Lernens national und international kritisch gesehen wird (vgl. hierzu SWAN 1985a, 1985b, THOMPSON 1996 sowie in jüngerer Zeit auch ADAMSON 2006 und MÜLLER 2007, 2010; als Stellungnahme dazu EDELHOFF 2010). Von Interesse sind in diesem Zusammenhang auch die Arbeiten KUMARAVADI~ELUs (1994, 2003, 2006) zur makrostrategischen Konzeptualisierung fremdsprachlichen Lehrens und Lernens und die interdisziplinäre Diskussion über einen an Leitprinzipien orientierten, post- oder neokommunikativen Fremdsprachenunterricht, wie sie seit einiger Zeit bereits in Deutschland geführt wird (vgl. hierzu exemplarisch das von MEIßNER (2005) koordinierte, vor einiger Zeit bereits erschienene Themenheft dieser Zeitschrift). Anlass, sich (erneut) mit dem Kommunikativen Ansatz zu beschäftigen, ergibt sich andererseits aus der voranschreitenden Globalisierung des fremdsprachendidaktischen Diskurses, wobei die gegenwärtig sehr beachtliche, in Deutschland bislang aber noch kaum berücksichtigte Dynamik in Asien, vor allem im asiatisch-pazifischen Raum, hinsichtlich möglicher Impulse für die weitere Entwicklung des fremdsprachlichen Unterrichts in Deutschland kultur- bzw. kontextkritisch geprüft werden muss. Der Kommunikative Ansatz hat sich in einigen Ländern Asiens erst in den 1990er Jahren, in anderen Ländern erst zur Jahrtausendwende als Grundlage der Lehrplan- und Unterrichtsentwicklung sowie der Fremdsprachenlehrerbildung durchsetzen können. Das diesbezügliche Forschungsinteresse, das seinen Höhepunkt in Europa und in Nordamerika nach KUMARAVADIVELU (vgl. 2006: 61 f) bereits in den 1980er Jahren erreichte, ist dort auf jeden Fall besonders groß (vgl. hierzu BUTLER 2011, LITTLEWOOD 2011 sowie in Bezug auf einzelne asiatische Länder bzw. die Türkei als das einzige eurasische Land BEAUMONT/CHANG 2011 (Schwerpunkt Südkorea); SAvIGNON/WANG 2003 (Schwerpunkt Taiwan); LIAO 2004; HU 2005 (China); MANGUBHAI/MARLAND /DASHWOOD /SON 2004 (Schwerpunkt Australien); HIEP 2007 (Vietnam); HASANOVA/SHADIEVA 2008 (Usbekistan); FERVOK 2008 (Armenien), WOODS/ ÇAκIR 2011 (Türkei). Anlass zur Auseinandersetzung mit dem Kommunikativen Ansatz ergibt sich darüber hinaus aus den gegenwärtigen Bestrebungen um die Etablierung kompetenzorientierter fremdsprachenunterrichtlicher Standards und flächendeckender Lernstanderhebungen (vgl. beispielsweise MAGNAN 2007). Bis heute ist unklar, welche Bedeutung dem Begriff der kommunikativen Kompetenz im ursprünglichen oder in einem weiter entwickelten Sinne in diesem Zusammenhang zukommen könnte (vgl. dazu auch HALLET 2011: 34 ff).2 2 Ergänzend sei hier angemerkt, dass der Kommunikative Ansatz in einer Zeit entwickelt wurde, die geprägt war durch das intensive Nachdenken über sozialutopische Modelle und alternative Lebensweisen. Der Begriff der Kommunikation war seinerzeit en vogue; er passte zur Protesthaltung vieler Menschen. Die heutige Zeit ist mit der damaligen Situation nur bedingt zu vergleichen. Bildungspolitische und wirtschaftliche Interessen und daraus erwachsene Steuerungsversuche haben im Zeitalter der Globalisierung und knapΙP]ΙΑL. 42 (2013) · Heft 1 82 Jürgen Kurtz Der wohl wichtigste Anlass, den Kommunikativen Ansatz hinsichtlich seiner Bedeutung für die Theorie und Praxis des schulischen Fremdsprachenunterrichts zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu hinterfragen, ergibt sich jedoch daraus, dass bis heute weltweit lediglich ein Minimalkonsens über das, was einen kommunikativen Fremdsprachenunterricht auszeichnet bzw. ausmachen sollte, zu bestehen scheint. Dies verdeutlichen die folgenden, hier exemplarisch ausgewählten Aussagen: „The problem with communicative language teaching (CLT) is that the term has always meant a multitude of different things to different people. [„.] I do not believe that CLT is a describable phenomenon anymore (except in the very vaguest ways – e.g. we want students to communicate)” (HARMER 2003: 289). „Communicative language teaching (CLT) has become as familiar to discussions about the practice and theory of second and foreign language teaching as the Big Mac is to fast food. The appeal is worldwide. And while particular characteristics may vary from one context to another, the identifiable features remain the same. Or do they?” (SAVIGNON 2005: 635). „What is communicative language teaching? The answer to this question seems to depend on whom you ask” (SPADA 2007: 272). „A recurrent comment about communicative language teaching is that nobody knows what it is” (LITTLEWOOD 2011: 541). Äußerungen wie diese lassen den Kommunikativen Ansatz als eine nach Jahrzehnten intensiver Forschungsbemühungen immer noch unscharfe, im heutigen Ζeitalter der übergreifenden Kompetenz-, Standard- und Outcome-Orientierung womöglich nicht mehr passgenaue Denkfigur einer auslaufenden fremdsprachendidaktischen Epoche erscheinen. 3 Letztendlich verweisen die oben zitierten, im Grundtenor vergleichbaren Einschätzungen von HARMER, LITTLEWOOD, SAVIGNοN und SPADA jedoch auf ein Kernproblem fremdsprachendidaktischer Erkenntnisgewinnung und Theoriebildung, i.e. die unterschiedliche Auslegbarkeit und Dehnbarkeit fremdsprachendidaktischer Konstrukte und Modelle im Spannungsfeld theoretischer und unterrichtspraktischer, kontextunspezifischer und kontextspezifischer Erwägungen und Abwägungen. Die Bedeutung des Kommunikativen Ansatzes für die Weiterentwicklung der Theorie und Praxis des Fremdsprachenunterrichts soll hiervon ausgehend weitergehend diskutiert werden. per werdender Finanzmittel mittlerweile voll gegriffen, und in der internationalen fremdsprachendidaktischen Diskussion ist zudem seit einigen Jahren bereits von einer weiteren, i.e. der sozio-kulturellen Wende in der Fremdsprachendidaktik, die Rede (vgl. hierzu beispielsweise BLOCK 2003). 3 Die seit einiger Ζeit bereits geführte Diskussion über das aufgabenorientierte bzw. aufgabengestützte Lernen und Lehren fremder Sprachen (vgl. hierzu zum Beispiel BAUSCH ΧWITΖ-MΕLΖΕR/KσNIGS/ KRuMM 2006) und die damit verbundene, derzeit stark forcierte Entwicklung entsprechender Lern- und Testformate lassen sich durchaus auch aus diesem Blickwinkel betrachten. lElLma]E 42 (2013) • Heft 1 Der Kommunikative Ansatz und seine Bedeutung für die Theorie und Praxis 83 2. Der Kommunikative Ansatz als ein hypothetisches Konstrukt Zum Kommunikativen Ansatz werden im Folgenden nicht nur die aus den klassischen Bezugswissenschaften der Fremdsprachendidaktik extrapolierten Kernannahmen gezählt, die RICHARDS/RODGERS (22001: 21–24) in ihrem einflussreichen Methodenmodell bekanntlich in sprachtheoretische (underlying theory of the nature of language) und lerntheoretische (underlying theory of the nature of learning) aufgegliedert haben. Da es nach KUMARAVADIVELU (vgl. 2006: 84 ff) kaum möglich ist, eine klare Trennlinie zwischen den von RICHARDS(RODGERS (22001: 20 ff) postulierten drei Abstraktionsebenen approach, design und procedure zu ziehen, werden im Folgenden auch die Kernprinzipien eines kommunikativ angelegten Fremdsprachenunterrichts, die als handlungsleitende Gestaltungsmaximen über die Lehrperson, den Lehrplan und das Lehrwerk bis auf die Mikroebene unterrichtlicher Lehr-/Lernprozesse herunterwirken sollen bzw. können, mit in die Überlegungen einbezogen. Der Kommunikative Ansatz wird hier zudem als ein idealtypisches Referenzmodell fir das fremdsprachliche Lehren und Lernen betrachtet, im Sinne von LAKOFF (1987, 2007) als ein Idealizied Cognitive Model (ICM), das einerseits einen theoretischen Bezugspunkt fir die Entwicklung künftiger Instruktionsmodelle bietet, das andererseits aber auch als Orientierungsmarke fir die Praxisgestaltung des schulischen Fremdsprachenunterrichts von Bedeutung ist. Idealtypische Referenzmodelle sind als abstrakte, lediglich grob umrissene Entwurfsmuster zu verstehen, die unterschiedlich gedeutet und mitunter auch fehlinterpretiert werden (können). Die Praxis des Fremdsprachenunterrichts weist von daher, je nach individueller, immer auch kontext- und kulturabhängiger Deutung, eine mehr oder weniger große Nähe oder Distanz zum idealtypischen Kern des Kommunikativen Ansatzes auf. An anderer Stelle habe ich hierzu bereits weitergehend ausgefihrt (vgl. KURTz 2008, ohne Seitenangabe): „Implementations of Communicative Language Teaching (CLT) in secondary schools usually vary in their subjectively perceived or intersubjectively agreed upon degree of typicality or similarity to its theoretical core assumptions and the set of general learning and teaching principles derived from it. Some instructional designs, procedures, and forms of classroom interaction appear to bear close resemblance to the theoretical core of the overall CLT framework. It seems to be reasonable to see them as prototypical examples, as highly representative cases or ‘good members’ of the ‘CLT family’ (see SPADA 2007). Other ways of instruction appear to share relatively little with the idealized core theory – their family resemblance is considered to be comparatively low. They may therefore be viewed as more or less ‘peripheral family members’ or ‘distant relatives’ only. Yet, excluding these supposedly less representative members from the CLT family entirely is problematic, because they often share a few of the central properties of the abstract prototype, or seem to be motivated by it at least in certain ways. Judgments as to whether a certain instructional design or practice is or is not to be accepted as a member of the CLT family are notoriously difficult, because they call for ‘reference point reasoning’ (see RoSCH 1975), i.e. for categorization of teaching practices relative to a culture, context- and person-independent theoretical prototype. This highly complex process is influenced by a large number of individual and contextual factors such as teacher biography and education, teaching experience and know-how, the specific cultural, institutional and situa- FLuL 42 (2013) · Heft 1 84 Jürgen Kurtz tional context of teaching English as a foreign language, non-native English teachers’ subjective theories and beliefs of how the target language is taught and learned best, the curriculum and the textbook, to name just a few. Judgments concerning the typicality of a specific classroom practice are all the more difficult when the underlying theoretical core assumptions and the basic set of principles of learning and teaching on which this practice is supposedly based are themselves vague. One of the central problems of CLT seems to be that in contrast to some basic everyday cognitive models such as ‘bird’, where many people would say that ‘robin’ is a typical member of the bird family and ‘penguin’ is a less typical member, because birds usually fly, agreement on what is or is not CLT is far more difficult to achieve. The main reason is the elasticity of the overall CLT framework which is relatively fuzzy with regard to the significance and the optimal balance of language form and language use in the learning and teaching process (strong vs. weak version). Furthermore, there are so many different theoretical manifestations of CLT nowadays, for instance TBI (task based instruction) and CBI (content based instruction), that it is difficult for EFL practitioners – and especially for teaching novices – to recognize whether their teaching is in line with the core CLT theoretical framework.” Die Betrachtung des Kommunikativen Ansatzes als idealtypisches Referenzmodell, das in den Köpfen einzelner Menschen unterschiedlich, bestenfalls prototypisch im Sinne der Theorie verankert und in seiner Deutung und seinen möglichen unterrichtlichen Handlungskonsequenzen unterschiedlich bzw. nur bedingt vorhersehbar ist, begreift die Lehrenden letztendlich als die zentral verantwortliche Steuerungs- und Inszenierungsinstanz im schulischen Fremdsprachenunterricht, ohne dabei von der unabdingbaren Lern- und Lernerorientierung des fremdsprachlichen Unterrichts abzurücken. Sie geht allerdings von kognitionswissenschaftlichen Zusatzannahmen aus, deren Relevanz sich für die Fremdsprachendidaktik und den Fremdsprachenunterricht erst noch erweisen muss. Als Arbeitshypothese erscheint es zumindest vertretbar bzw. potenziell fruchtbar zu sein, in diese Richtung zu denken, unter anderem vor dem Hintergrund der bekannten HowATTschen Unterscheidung starker und schwacher Versionen des Kommunikativen Ansatzes (vgl. 1984: 279 ff) sowie der Kritik von Btx (2003) an der (vermeintlich) mangelnden Kultur- und Kontextsensitivität dieses hoch komplexen Konstrukts. 2.1 Konzeptualisierungen des Kommunikativen Ansatzes im wissenschaftlichen Diskurs Wie ließe sich der theoretische Kern des Kommunikativen Ansatzes, hier verstanden als ein idealtypisches Referenzmodell bzw. Entwurfsmuster, in Grundzügen umreißen? Da hierzu noch kaum konsensfahige Erkenntnisse vorliegen, sei an dieser Stelle auf die von RICHARDS (2005: 20) zusammengestellten ten core assumptions of current communicative language teaching verwiesen: 1. Second language learning is facilitated when learners are engaged in interaction and meaningful communication. 2. Effective classroom learning tasks and exercises provide opportunities for students to negotiate meaning, expand their language resources, notice how language is used, and take part in meaningful intrapersonal exchange. ΕLυL 42 (2013) • Heft 1 Der Kommunikative Ansatz und seine Bedeutung für die Theorie und Praxis 85 3. Meaningful communication results from students processing content that is relevant, purposeful, interesting and engaging. 4. Communication is a holistic process that often calls upon the use of several language skills or modalities. 5. Language learning is facilitated both by activities that involve inductive or discovery learning of underlying rules of language use and organization, as well as by those involving language analysis and reflection. 6. Language learning is a gradual process that involves creative use of language and trial and error. Although errors are a normal product of learning the ultimate goal of learning is to be able to use the new language both accurately and fluently. 7. Learners develop their own routes to language learning, progress at different rates, and have different needs and motivations for language learning. 8. Successful language learning involves the use of effective learning and communication strategies. 9. The role of the teacher in the language classroom is that of a facilitator, who creates a classroom climate conducive to language learning and provides opportunities for students to use and practice the language and to reflect on language use and language learning. 10. The classroom is a community where learners learn through collaboration and sharing. Diesem theoretischen Kern, der in Anbetracht vorliegender Forschungsergebnisse von ,dogmatischen Verabsolutierungen` im Sinne von MÜLLER (vgl. hier insbesondere 2007: 38 ff) weitgehend ,freigesprochen` werden kann, auch wenn er in Bezug auf die von RICHARDS zuletzt genannten zwei Aspekte transkulturell durchaus diskussionswürdig ist, stehen nun allerdings theoretische Modellierungen von kommunikativer Kompetenz gegenüber, die sich in einigen Aspekten voneinander unterschieden. Dies ist den beiden folgenden Abbildungen zu entnehmen ( S. 86) SAVIGNON (2002: 8) erläutert zu Abb. 1: „Although the relative importance of the various components depends on the overall level of communicative competence, each is essential. Moreover, all the components are interrelated. They cannot be developed or measured in isolation, and one cannot go from one component to the other as when stringing beads on a necklace. Rather, when an increase occurs in one area, that component interacts with other components to produce a corresponding increase in overall communicative competence.” ΠΙΙΑΕ. 42 (2013) · Heft 1 86 Jürgen Kurtz Abb. 1 : The Inverted Pyramid Model of Communicative Competence (SAVIGNON 2002: 8) Abb. 2: Dimensionen kommunikativer Kompetenz nach CELCE-MTRcIA (2008: 45) 1E]LmHlL 42 (2013) • Heft 1 Der Kommunikative Ansatz und seine Bedeutung für die Theorie und Praxis 87 Auch bei CELCE-MURCIA (2008) werden die einzelnen Dimensionen kommunikativer Kompetenz als interdependent betrachtet, wie die Pfeile im Diagramm verdeutlichen. Gleichwohl finden sich in diesem Modell weitere bzw. noch weiter ausdifferenzierte Komponenten kommunikativer Kompetenz, und die fremdsprachliche Diskursfähigkeit wird zudem, wie im Übrigen auch in einigen jüngeren deutschsprachigen Publikationen (vgl. hierzu beispielsweise LEGUTKE 2010), in das Zentrum der Überlegungen gestellt. Es könnte sich hier ein internationaler Trend anbahnen, der dem diskursiven Charakter des Fremdsprachenlehrens und -lernens auf der unterrichtlichen Mikroebene besser Rechnung zu tragen sucht. Letztendlich bleiben beide Theoriemodelle in Bezug auf die optimale Gewichtung der einzelnen Komponenten kommunikativer Kompetenz im Fremdsprachenunterricht aber unverbindlich, und dies ist von Kritikern des Kommunikativen Ansatzes wiederholt als ein Problem betrachtet worden. Beiden Theoriemodellen kann jedoch nicht unterstellt werden, sie würden der Entwicklung sprachformbezogener Teilkompetenzen bzw. der systematischen Arbeit an der Zielsprache zu wenig Bedeutung beimessen (dies ist die wesentliche Stoßrichtung der Kritik in der ,westlichen Welt`; vgl. dazu SPADA 2007: 275 ff). Auch lässt sich aus diesen Modellen keineswegs ableiten, sie würden von nicht verallgemeinerbaren kontext- und kulturspezifischen Voraussetzungen ausgehen (die wesentliche Stoßrichtung der Kritik in der ,östlichen` Welt; vgl. dazu BUTLER 2011:41 ff). Zunehmend ausgeblendet wird in der jüngeren internationalen Diskussion allerdings die (insbesondere im damaligen Westdeutschland akzentuierte) sozialphilosophischemanzipatorische Verwurzelung des Kommunikativen Ansatzes (vgl. hierzu ScH~~iiK 2005). Dies ist vor dem Hintergrund divergierender schulischer Bildungstraditionen, insbesondere im asiatischen bzw. im asiatisch-pazifischen Raum, durchaus verständlich. Im Hinblick auf die künftige Entwicklung des Fremdsprachenlernens und -lehrens an Schulen im heutigen Deutschland darf jedoch nicht aus dem Blick geraten, dass es gerade die emanzipatorisch-demokratischen Prämissen des Kommunikativen Ansatzes waren, die den Fremdsprachenunterricht an den übergreifenden, allgemeinen Bildungsund Erziehungsauftrag von Schule, der sich grob vereinfachend als ,Befähigung zur Selbstverwirklichung in sozialer Verantwortung` umreißen lässt, anschlussfähig gemacht haben. Ein Fremdsprachenunterricht, der ein höheres Maß an sprachlicher Korrektheit sowie kommunikativer Verfügbarkeit sprachlicher Mittel einfordert (vgl. hierzu MΟLLER 2007, 2010), ist als Zielperspektive zweifelsohne erstrebens- und wünschenswert, jedoch muss er zudem auch nachweisen können, welchen Beitrag er zu diesem übergreifenden Auftrag, im Verbund mit allen anderen Unterrichtsfächern und außerunterrichtlichen Bildungsangeboten, zu leisten im Stande ist (vgl. hierzu weiterführend LEGUTKE 2010). 2.2 Der Kommunikative Ansatz aus der Subjektperspektive Das, was Lehrerinnen und Lehrer als Mittler zwischen Theorie und Praxis tatsächlich über den Kommunikativen Ansatz im Allgemeinen und im Speziellen wissen, welche FLuL 42 (2013) · Heft 1 88 Jürgen Kurtz Unterrichtsprinzipien sie in ihrem jeweiligen Arbeitskontext als bedeutsam für einen kommunikativen Fremdsprachenunterricht erachten und auf welche Art und Weise sie die von ihnen als wichtig erachteten Prinzipien konkret umzusetzen versuchen, ist in der Forschung in Deutschland bislang nur unzureichend untersucht worden (vgl. hierzu demgegenüber im asiatischen Raum: FERYOK 2008, BUTLER 2011, BEAUMONT/CHANG 2011, WοοDS/ÇAκI~ 2011). Dies ist sehr ungünstig, da die lehrerseitige, durch verschiedenste Einflussfaktoren geprägte Subjektperspektive als das zentrale Bindeglied zwischen der kontextunspezifischen Theorie und der kontextspezifischen Praxis des kommunikativen Fremdsprachenunterrichts anzusehen ist (vgl. hierzu weiterführend KURTZ 2011). Sinnvollerweise unterscheidet SPADA (vgl. 2007: 271 f) in diesem Zusammenhang bereits zwischen theoretischen Manifestationen des Kommunikativen Ansatzes (d.h. substanziellen Weiterentwicklungen, derzeit insbesondere auf der design- und procedure-Ebene; beispielsweise das task-based language learning and teaching) und konkreten unterrichtspraktischen Implementationen, ohne dabei jedoch die zu Grunde liegenden, subjektiv gefärbten, kultur- und kontextbedingten Deutungsmuster und Handlungspräferenzen einzelner Lehrpersonen zu berücksichtigen. Nach SPADA (2007: 275) ist der Kommunikative Ansatz in den vergangenen Jahren als idealtypisches Referenzmodell für das Lehren und Lernen fremder Sprachen häufig verzerrt oder missverstanden worden. Sie verweist auf die folgenden fünf Bereiche: 1.CLT means an exclusive focus on meaning 2. CLT means no explicit feedback on learner error 3. CLT means learner-centered teaching 4. CLT means listening and speaking practice 5. CLT means avoidance of the learners’ L1 Wie den zuvor zitierten Leitideen von RICHARDS (2005) und den theoretischen Modellierungen kommunikativer Kompetenz bei SAVIGNοN (2002) und CELCE-MURCIA (2008) zu entnehmen ist, lassen sich diese (zum Teil gravierenden) Missverständnisse allerdings nicht auf den Kommunikativen Ansatz selbst, sondern vielmehr auf seine individuelle Auslegung aus der Subjektperspektive zurückführen. Ähnlich verhält es sich mit den folgenden keyword associations zum kommunikativen Englischunterricht, um die ich vor einiger Zeit bereits mehrere Gruppen von Studierenden bat (vgl. Abb. 3 [ S. 89]): FLuL 42 (2013) • Heft 1 Der Kommunikative Ansatz und seine Bedeutung für die Theorie und Praxis 89 Abb. 3: Studentische Assoziationsgeflechte zum Kommunikativen Ansatz Deutungen in Bezug auf das, was einen kommunikativen Fremdsprachenunterricht ausmacht oder ausmachen sollte, können sich letztlich sehr deutlich voneinander unterscheiden. Entsprechend heterogen (und bisweilen fragwürdig) stellt sich die Unterrichtspraxis dar. 3. Abschließende Bemerkungen Nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung lässt sich der Kommunikative Ansatz als ein ,Meilenstein` in der fremdsprachendidaktischen Forschung begreifen, weil er eben nicht den Anspruch erhebt, eine in sich geschlossene Unterrichtsmethode im klassischen Sinne zu sein, aus der sich bestimmte Unterrichtsschritte weitgehend kontextunabhängig ableiten lassen. Als idealtypisches Konstrukt kann und muss der Kommunikative Ansatz vielmehr an die jeweils vorgefundenen unterrichtlichen Kontextbedingungen angepasst bzw. von den Lehrpersonen als den hierfür zentral Verantwortlichen entsprechend aufbereitet werden. In diesem Prozess können einzelne Dimensionen kommunikativer Kompetenz vorübergehend in den Hintergrund treten. Dies spricht nun aber keineswegs gegen den Kommunikativen Ansatz an sich. FLuL 42 (2013) · Heft 1 90 Jürgen Kurtz Problematisch wäre es, wenn die sozialphilosophisch-emanzipatorische Fundierung des Kommunikativen Ansatzes infolge der gegenwärtig propagierten, anders motivierten und in weiten Teilen ,von außen` an den schulischen Fremdsprachenunterricht herangetragenen Kompetenz-, Standard- und Ergebnisorientierung gänzlich aus dem Blick geraten und der kommunikative Fremdsprachenunterricht lediglich oder vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der Entwicklung (messbarer) funktional-kommunikativer, soziokultureller und methodischer Kompetenzen betrachtet werden würde. Als idealtypisches Referenzmodell ist der Kommunikative Ansatz geeignet, den Fremdsprachenunterricht aus dem Klammergriff vorrangig sprachformbezogenen Lehrens und Lernens (im Sinne von Darbieten, Üben und Anwenden) zu lösen. Sollte es künftig gelingen, dies stärker im Bewusstsein der Unterrichtenden zu verankern, könnte sich der Kommunikative Ansatz durchaus noch als ein ,Stolperstein` für die heutige, stark utilitaristisch geprägte und vornehmlich auf messbare Lernergebnisse fokussierende empirische Bildungsforschung erweisen. Literatur ADAMSON, Bob (2006): „Fashions in Language Teaching Methodology”. In: DAVIES, Alan / ELDER, Catherine (Hrsg.): The Handbook of Applied Linguistics. Oxford: Blackwell, 604–622. BAUSCH, Karl-Richard / BURWITZ-MELZER, Eva / KÖNIGS, Frank G. / KRUMM, Hans-Jürgen (Hrsg.) (2006): Aufgabenorientierung als Aufgabe. Arbeitspapiere der 26. Frühjahrskonferenz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr. BA', Stephen (2003): „The end of CLT: a context approach to language teaching”. In: ELT Journal 57.3, 278–287. BEAUMONT, Mike / CHANG, Kyung-Suk (2011): „Challenging the traditional/communicative dichotomy”. In: ELT Journal 65.3, 291–299. 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