Herrinnen der Plantage - ZAG Antirassistische Zeitschrift

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Herrinnen der Plantage - ZAG Antirassistische Zeitschrift
ZAG 45 – antirassistische Zeitschrift / Berlin 2004
S. 22 - 26
Herrinnen der Plantage
Zum Rassismus in der feministischen Kopftuchdebatte
Seit gut einem Jahr profiliert sich die „taz“ gegen muslimische Bürgerinnen, die sich
erdreisten, ein Kopftuch zu tragen1. Würden sich diese vom fremden Mann angeblich
so gebeutelten Schwestern wie gehabt in ihren natürlichen Schranken bewegen, also
wie ihre Mütter lautlos deutsche Klos und Hörsäle putzen, wäre ihnen feministisches
Mitleid weiter ungebrochen gewiss. Doch viele junge Musliminnen mit und ohne
deutschen Pass wollen heute mehr. Sie studieren, werden Geschäftsfrauen,
Ärztinnen, wollen Lehrerinnen und Anwältinnen sein. Manche von ihnen wollen das
alles mit Kopftuch tun, bleiben stur gegen alle Belehrungen und Verbote. Sie
behaupten, das Tuch einzig aus religiösen Gründen und dabei freiwillig und selbst
bestimmt zu tragen, geben im Übrigen die unterschiedlichsten Gründe an. Letzteres
bestätigen sogar alle wissenschaftlichen Untersuchungen über Kopftuchträgerinnen
in der Bundesrepublik2. Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht zur Kenntnis
nehmen müssen, als es im September 2003 den Fall der Lehrerin Ferestha Ludin
verhandelt hat.3
Diese Studien, Gerichte oder gar Betroffenen bedienen sich eines traditionell
gewachsenen Stereotyps des wilden Manns, der selten „edel“, dafür seit der Antike
häufiger lüstern und verschlagen auftritt.
Außerdem: Seit wann maßt sich die unterdrückte Fremde an, der weißen Feministin
die Deutungshoheit beispielsweise über ihre Sexualität strittig zu machen. In der „taz“
klärte uns neulich, im Sommer 2004 Gerdlin Friedrich auf: „Das Kopftuch ist das
einzige religiöse Symbol mit sexuellem Hintergrund.“ Und weiter:
„Bei dem muslimischen Kopftuch aber geht es um Sexualität. Die Frau bringt zum
Ausdruck: Meine Sexualität ist nicht öffentlich - und macht damit gegenüber jedem
einzelnen Mann öffentlich: Ich bin nicht zuständig für deine Sexualität“. Diese
symbolische Erklärung sagt Fundamentales aus über die Beziehung von Frauen und
Männern, die Zuordnung der Frau, das Verständnis von Sexualität. Kurz gesagt: Sie
ist dem Blick des Mannes unterworfen und benötigt deshalb das Kopftuch als
ständigen Schutz.“4 Noch dreister hat Frigga Haug dieses Mantra des
Orientalismus intoniert, aus der Perspektive der Allwissenheit: “Zwar weiß jede(r),
dass das »Kopftuch« nicht einfach eine lustige Kopfbedeckung gegen Wind und
Wetter ist, sondern ein politisch-religiöses Zeichen von Herrschaft über Frauen. Es ist
sichtbares Überbleibsel einer Ordnung, in der Frauen das Eigentum des Mannes
sind und daher vor dem Zugriff Fremder - die etwa durch die Sichtbarkeit der Haare
Sehr viel differenzierter, mit Beiträgen von in der Regel fachlich ausgewiesenen Männern und Frauen wurde
die Debatte beispielsweise in der Frankfurter Rundschau geführt.
2
Vgl. Yasemin Karakasoglu (2003): Stellungnahme zu den Motiven von jungen Musliminnen in Deutschland für
das Anlegen des Kopftuches. Essen. Einen guten systematischen Überblick über vorliegende Untersuchungen
gibt auch Heide Österreich (2004): Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam, Frankfurt
a.M. Das profunde Wissen und die ausgezeichnete Analyse der taz-Redakteurin Österreich gehört in der tazBerichterstattung leider zu den Ausnahmen. Vgl. auch die wissenschaftliche Hausarbeit von Sulamith Hamra
„Individuelle Perspektiven und Reaktionen kopftuchtragender Frauen auf ihre Fremdwahrnehmung in
Deutschland, WS 2003/2004, keine Ortsangabe, im Web abrufbar.
3
BVerfG-Urteil vom 24.9.2003, Aktenzeichen 2 BvR 1436/02: Randnr. 52, www.BVerfG.de
4
Gerdlin Friedrich: Zeichen der Ohnmacht, in taz 23.07.2004.
1
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erregt werden und Lust auf den Besitz haben könnten - abgesichert werden
müssen.“5, stellt Haug fest.
„Can the subaltern speak?“, fragt Gayatri Chakravorty Spivak in ihrem berühmten
Aufsatz6. Nein, das können Subalterne natürlich nicht: „white men are saving brown
women from brown men“. Und weiße Frauen helfen. Für Spivak verbirgt sich in
diesem Satz eine kollektive Phantasie, die symptomatisch für kollektives
Vagabundieren sadomasochistischer Repression eines kollektiven imperialistischen
Unternehmens sei. 7 Auch „Race“ matters. Die subalternen Frauen, eine einzige
Masse, leben ahistorisch überall unter der gleichen Knute. Haug hat die Bedeutung
des Kopftuchs studiert und findet unter anderen folgende Analogie: „Das ist so, als
würde man die eingeschnürten Füße der Chinesinnen verteidigen und sagen: Im
Grunde wollen die solche winzigen Schritte machen und ans Haus gefesselt
bleiben.“8
Sex-Bomben
Um wie viel besser leben wir Frauen doch im christlichen Abendland. Zumindest
dürfen wir die fetzigeren Klamotten tragen, zum Beispiel den „Bikini“. Wie so vieles,
was sich heute im Westen einfach aus den historischen Zusammenhängen stiehlt,
wie aus denen des Kolonialismus und seinen Folgen, so scheint auch die
Bedeutungsgeschichte des „Bikini“ völlig ausgelöscht. Ein einzigartiger Werbefeldzug
verdrängte die Verbrechen aus dem westlichen Bewusstsein. Auf dem Bikini-Atoll hat
die US-Regierung von 1946 bis 1958 mit insgesamt 56 Atomwaffenversuchen alles
Leben verseucht. Findige Patriarchen entdeckten nämlich später „Sexbomben“, die
sie für den Strand in Zweiteiler steckten, die sie „Bikini“ tauften. Atomare Gewalt symbolisiert in einem Kleidungsstück für Frauen. Den vertikalen Fluss der Lüste im
weiblichen Körper zu unterbinden, das war damals auch höchste Zeit.
Denn noch immer spukten die letzten selbstbewussten Filmheldinnen der dreißiger
und vierziger Jahre oder gar reale Zeitgenossinnen nicht nur mit ihren unverhohlenen
androgynen Lüsten sondern auch mit ihren intellektuellen Begehrlichkeiten in
patriarchalen Angstphantasmen umher. Und schon drohte die Frauenbewegung
langsam aus dem Dornröschenschlaf aufzuwachen. Besonders toll klappte der Coup
in der Bundesrepublik. Da entdeckte nämlich die Spießerfraktion der
Achtundsechziger die „Sexbomben“ im „Bikini“ für ihre klebrigen Blättchen. Das
„Frauenficken“ erklärten sie zur sexuellen Befreiung, wofür die armen Schwestern
dann die „Anti-Babypille“ schlucken mussten.
Den Göttinnen des Universums sei hier ausdrücklich für die Gnade der späten
Geburt gedankt. Denn jüngere Mädchen und Frauen konnten solchen Zurichtungen
in den frühen siebziger Jahren entkommen, ihre Lüste mit androgynen jungen
Männern und Frauen frei genießen. Allerdings nur kurz, viel zu kurz währte dieser
Rausch. Viele junge Männer fanden in den Bibelstunden der K-Gruppen im
Vulgärmarxismus ihren Fetisch, warfen den Mädels den „Nebenwiderspruch“ als
Brocken hin, an dem manche devot bis heute pusseln. Achtundsechziger
Schmierfinken machten uns nun massiv für den Zerfall deutscher Ehen
Frigga Haug (2004) im Debattenbeitrag „Ohne Frauenrechte keine Demokratie“ für die Zeitschrift IZW,
nachzulesen in: iz3w-276.htm.
6
Dieser Aufsatz von Spivak ist eingearbeitet in: Gayatri Chakravorty (1999): A Critique of Post-Colonial
Reason, Harvard, S. 281-308
7
Vgl. Spivak, a.a.O., S. 284.
8
Frigga Haug „ Das Kopftuch verdeckt die wahren Probleme“, in taz 17.01.2004.
5
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verantwortlich9 , straften die Jungs als „Softies“ ab, lockten diese schließlich mit der
Nestwärme des Patriachats.
Junge Frauen verfielen in tiefe Betäubung. Tapfer gingen wir nun mit den älteren
Schwestern für die Abschaffung des $218 auf die Straße. Manch eine fragte sich
natürlich, warum nicht mindest ebenso prominent die dafür ursächliche sexuelle
Einfalt bzw. Gewalt der Männer an den Pranger kamen.
Dafür aber hätten wir uns generell und auch theoretisch mit dem Konzept des
Heterosexismus auseinandersetzen müssen. Stattdessen übernahmen wir - ähnlich
wie weiße Frauen in den USA - die Anwältinnenschaft für sozial schwache Frauen.
Von weiter Ferne erreichte zwar auch uns die harsche Kritik von Angela Davis10
gegenüber der §218 Bewegung, an der schwarze Frauen zu unserem Erstaunen
kaum teilnahmen. Doch um das begreifen zu können, hätten wir uns mit
Kolonialismus und Genozid auseinandersetzen müssen.
Mit dem eigenen hegemonialen Missbrauch von Deutung gegenüber nicht-weißen
Frauen hat sich die feministische Bewegung der BRD – anders als in Teilen der
amerikanischen, der postkolonial geprägten beispielsweise – nie wirklich11
auseinander gesetzt. Zwangsläufig wäre es zu schmerzhaften Einsichten gekommen
über das Verstrickt sein in eigene Rassismen sowie darüber, wie antisemitische
Introjekte aus der NS-Zeit nicht nur von den Vätern sondern auch von den Müttern
übertragen worden sind und im Unterbewusstsein fortwirken. Nicht zuletzt hat
Edward Said kurz vor seinem Tod noch einmal eindringlich auf die gemeinsamen
Wurzeln von Orientalismus und Antisemitismus hingewiesen.12
Der Siegeszug des „Bikini“ geht derweil immer weiter. Allabendlich räkeln sich darin
Frauen im deutschen Privatfernsehen und bitten die Herren: „Hose auf, ruf an“. Wer
aber mehr auf Natur steht, der kann das Arbeitsutensil schon tagsüber an
zahlreichen Bar- und Bordellstangen bewundern. Und in „Apartmentwohnungen“
bieten überwiegend „fremde“ Frauen darin ihre ausgemergelten Körper feil. Nach
Schätzungen der UNO stammen in westeuropäischen Ländern 80-90 Prozent dieser
sexuell versklavten Frauen aus dem Ausland. Dies sieht auch die Bundesregierung
als ein „wachsendes Problem in Deutschland.“ Und sie macht sich sogar über die
Täter Gedanken: „wobei es die Kunden offenbar wenig interessiert, ob die
Prostituierte wirklich freiwillig arbeitet oder zum Sex gezwungen wird. Schließlich
profitieren auch sie von der Abhängigkeit und Rechtlosigkeit der ausländischen
Frauen, bei denen sie ihre Wünsche leichter und preiswerter meinen durchsetzen
können.“ (Presseerklärung vom 17.02.2004). Dazu schweigen deutsche
Feministinnen ebenfalls, müssten sie sich doch erklären, warum Tag für Tag 1,5
Millionen deutsche Männer aus der Mitte der Gesellschaft heraus, von links bis
rechts, Erektionsfähigkeit aus der Erniedrigung ziehen, ihre sexuelle Notdurft
gewalttätig an wehrlosen Frauen ausüben. Die ganze Jämmerlichkeit christlicher
Sexualmoral samt weiblicher Komplizenschaft müsste dann auf den Tisch.
Vgl. zum Sexismus der Medien: Brigitta Huhnke (1996): Macht Medien Geschlecht, Opladen; (2003): Dies.
(2003): Geschlecht und Politik im Spiegel der Medien, in: Wiedemann, Dieter, Lauffer, Jürgen (Hrsg): Die
medialisierte Gesellschaft. Beiträge zur Rolle der Medien in der Demokratie, Bundeszentrale für Politische
Bildung, 242-265.
10
Vgl. Angela Davis (1981): Women Race and Class.
11
Zu den wenigen Ausnahmen gehört Birgit Rommelspacher, z.B. (2002): Anerkennung und Ausgrenzung,
Frankfurt a. M
12
Vgl. Said im Vorwort von 2003 für die neue Ausgabe von Orientalsim, S. XViii.
9
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Ein Kick, der in der Bundesrepublik noch aussteht: die Entschleierung der fremden
Frau in unserer Mitte. Das Ausmaß der Affekte gegen Musliminnen nimmt mittlerweile
beängstigende Dimensionen an. In den letzten Jahren veranstalten Frauen und
Männer aus CDU, FDP und SPD, sowie vereinzelt auch Kirchenmänner regelrechte
Hetzjagden in den Medien. Lautstark assistiert dabei Alice Schwarzer, die ihren
Entschleierungsgelüsten seit Anfang der neunziger Jahre in ihrem Zentralorgan
„Emma“ ebenso freien Lauf lässt wie auch bisweilen in der Herrenillustrierte „Der
Spiegel“. In diesem Klima warnte die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung,
Marie Luise Beck, unterstützt von 70 prominenten Bundesbürgerinnen, im Herbst
2003 in einem Aufruf eindringlich vor Ausgrenzung und warb für Toleranz :
„Emanzipation und Kopftuch sind für viele Musliminnen eben kein Widerspruch.“13
Schirin Ebadi schaute sich besorgt in Europa um, als sie 2003 den Nobelpreis
verliehen bekam: dass „bestimmte Länder nun Musliminnen verbieten wollen, mit
Kopftuch in der Schule zu unterreichten, widerspricht der Idee von Freiheit“
(Süddeutsche Zeitung 10.12.2003). Ebadi, die für sich das Kopftuch ablehnt, lässt
sich nicht ausspielen.
Johannes Rau befand noch als Bundespräsident mit scharfen Worten „Der Staat hat
nicht die Aufgabe festzustellen, welche Religion die bessere ist“. Für ihn ist ein
Kopftuchverbot „mit Religionsfreiheit nicht vereinbar“(FR 23.01.2003).
Verfassungsstaatliche Tugenden in Toleranz, Verschiedenheit der Kulturen und
Religionen zu pflegen, mahnt Jutta Limbach an. Die prominenteste deutsche
Rechtsgelehrte und Feministin mischte sich mehrfach in den letzten Jahren zu
diesem Thema ein14. In einem Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen sagte sie
beispielsweise unmissverständlich: „ Aber viele junge Frauen nehmen sich die
Freiheit heraus, aus vielen anderen Gründen ein Kopftuch zu tragen. Wir laufen
gegenwärtig Gefahr, dieses Kleidungsstück zum Fetisch zu machen. Da werden
Ängste vor Ideologien hochgespielt, mit denen wir uns besser in der Sache
auseinandersetzen, anstatt sie an solchen Symbolen fest und zum Tatbestand eines
Berufsverbots zu machen.“ (Jüdische Allgemeine 11.12.2003).
Doch Argumente und demokratische Rechtstraditionen scheinen gegen die Macht
der Projektion häufig unterlegen. Direkt auf Limbach Bezug nehmend verunglimpfte
Viola Roggenkamp die heutige Präsidentin des Goethe Instituts in der „taz“ noch
Monate später: „Die Bundesrepublik macht sich zum Mittäter und Mitläufer eines
faschistoiden Islam und erklärt die muslimischen Fanatiker und Fanatikerinnen zu
ihren Lieblingsopfern“(taz 11.2.2004).
„Backlash“ im Orientalismus
Roggenkamp und Frigga Haug gehören zu Mitunterzeichnerinnen eines Pamphlets
gegen die Integrationsbeauftragte Marieluise Beck. Dessen Schriftführerinnen,
Halina Bendkowski, die Filmemacherin Helke Sanders sowie der Lehrer Günter
Langer, alle drei Achtundsechziger, nennen ihr Schreiben im neoliberalen Denglish
„Becklash- Aufruf“, der ohne Kommentar in „junge welt“ abgedruckt sowie für einige
Wochen im partisan.net einsehbar war und auch die „taz“ – Berichterstattung
einschlägig beflügelte. Im herrischen Ton belehren die drei die 70 prominenten
Marieluise Beck et al: „Religiöse Vielfalt statt Zwangsemanzipation!“ Aufruf wider eine Lex Kopftuch:
www.integrationsbeauftragte.de
14
Z.B. Jutta Limbach (2003): Die Demokratie und ihre Bürger. Aufbruch zu einer neuen politischen Kultur,
München.
13
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Frauenrechtlerinnen, Feministinnen, Politikerinnen, Wissenschaftlerinnen und
Künstlerinnen: »Wir erwarten, dass sich (die Bundesministerinnen) mit den
Freiheitsrechten, die den Kern des Grundgesetzes ausmachen, auskennen und sich
für deren Durchsetzung einsetzen. Bei der gegenwärtigen »Kopftuch-Debatte« geht
es nicht nur um eine Kleiderordnung. In Wirklichkeit befinden sich viele in
Deutschland lebende Frauen in einem rechtsfreien Raum. Es gibt eine große Zahl
hier lebender Frauen und Mädchen, für die das GG nicht zu gelten scheint und
denen das GG keine Rechtssicherheit bietet. Was heißt das? Diese Frauen dürfen
nicht aus eigenem Willen das Haus verlassen, sei es, weil es ihnen als Ehefrauen
von ihren Männern verboten wird oder weil sie von Menschenhändlern nach
Deutschland verschleppt, zur Prostitution gezwungen und ansonsten versteckt, weil
illegal gehalten werden. Mädchen dürfen - veranlasst durch deren Eltern und
Verwandte - sich auf der Straße nicht frei bewegen, in den Schulen nicht am
Sportunterricht teilnehmen, nicht am Sexualkundeunterricht, nicht an Klassenfahrten.
Sie dürfen keine Freizeitangebote wahrnehmen oder als Erwachsene nicht die zur
Verfügung gestellten Integrationsangebote annehmen, z.B. Sprachkurse belegen. Zu
Hunderten werden sie allein in Berlin jährlich entführt und zwangsverheiratet. Das
Beschneidungsverbot wird übertreten und praktisch nicht verfolgt.“
Nichts von diesen Behauptungen wird auch mit nur einer einzigen Zahl oder Studie
untermauert bzw. erklärt, welcher Zusammenhang zum Kopftuch besteht, z.B. im
Falle der Prostitution. Stattdessen unterstellen sie Beck und anderen, die sich gegen
die Diskriminierung von Frauen mit Kopftuch aussprechen, nichts weniger als:
„Solange die RegierungsvertreterInnen trotz des Gleichheitsgebots im GG Art.3
Absatz 2 nichts gegen diese Missstände und Verbrechen unternehmen, tolerieren sie
die Verbrechen und erfüllen nicht ihren Gesetzesauftrag.“
Empirische Belege sind nicht nötig. Denn der „Fremde“ ist nun einmal so: „er ist die
Verkörperung zügelloser Sexualität und doch unschuldig wie ein Kind; er ist
mystisch, primitiv und einfältig und doch der gewandteste und meisterhafteste
Lügner und Manipulator sozialer Kräfte“15. So beschreibt Homi Bhabha die
Grundüberzeugung rassistischer Ein-Sichten über „den Fremden“.
Dieses „Grundwissen“ erlaubt aus dem Stand heraus eine Vielzahl möglicher
Konstruktionen, basierend auf dem Spiel von Assoziationen, Behauptungen,
ahistorischen Analogiebildungen und Alliterationen. Wie das geht, zeigt Lehrer
Langer, der sich seit 35 Jahren als „Haschrebell“ inszeniert, in der Berliner GEWZeitung: Die „islamistische“ Verschwörung stellt er innerhalb nur weniger Zeilen her:
„Fereshta Ludin ist in Afghanistan geboren, in Saudi-Arabien aufgewachsen und
inzwischen deutsche Staatsangehörige. Sozialisiert wurde sie also in einem Umfeld,
in dem Osama bin Ladin zu Reichtum, Macht und traurigem Ruhm gelangt ist. Ludin
und Ladin bekennen sich beide zu einer orthodoxen Auslegung des Korans, beide
treten für die Verhüllung der Frauen ein.“16
Als Vorlage für diesen paranoiden Master Gestus mag ihm der Spiegel-Titel „Das
Prinzip Kopftuch. Muslime in Deutschland“ (29.09.2003) gedient haben, von dem
Fereshta Ludin mit diabolischem Blick herunterschaut. Auch das deutsche
Herrenmagazin Nr. 1, das schon seit dreißig Jahren gegen Fremde zu Felde zieht,
ist sich im Titel-Beitrag „Das Kreuz mit dem Koran“ für kein rassistisches Klischee zu
15
16
Bhabha, Homi (2000): Die Verortung der Kultur, Tübingen, S. 112.
Günter Langer (2003): Osama ante portas? Karlsruhe und die Sünde Evas. Die Säkularität der Bildung ist
herzustellen, Freiheit und Emanzipation sind zu gewährleisten, in GEW Berlin 11/2003.
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schade, inklusive zwielichtiger „Experten“, praller Bilder, wilder Metaphern bzw.
Katachresen. Helke Sanders verstieg sich im Partisan.net im Frühjahr 2004 – kurz
bevor Lehrer Langer diese Seite, ein Diskussionsforum für viele Gruppen,
eigenmächtig löschte – in den Vergleich, das Kopftuch sei so gefährlich wie das
Hakenkreuz. In der „taz“ tauchte die Gleichsetzung mit dem „gelben Stern“ (taz
24.01.2004) auf. Alles ist möglich.
Doch im „Becklash“ Pamphlet bleibt es nicht bei „dämonischer Wiederholung“
(Bhabha) der Klischees. Es werden knallharte Konsequenzen polizeistaatlicher Art
gefordert: „Deswegen machen wir jetzt folgenden [...] Vorschlag: Alle Frauen und
Männer, die aus Ländern kommen, in denen Männer gegenüber den Frauen rechtlich
privilegiert sind und die ein Aufenthaltsrecht in Deutschland beantragen,
unterschreiben ab sofort, dass sie Art.3 Abs.2 GG anerkennen. Damit anerkennen
sie gleichzeitig, dass sie bei Verstößen ihr Aufenthaltsrecht verwirken.“
Spinnen wir für einen Moment vor uns hin: Soll es bei der rassistischen
Sonderbehandlung bleiben oder die Vertreibung für alle gewalttätigen Männer auf
dem Territorium der Bundesrepublik gelten? Wenn ja, wäre unser Land im Nu
entleert.
Die Sozialwissenschaftlerin Birgit Rommelspacher kommentierte diese „billige
Lösung“ folgendermaßen: “Die Pose der Hausherrin, die den Anderen den Zutritt
verwehrt, wenn sie nicht ihren Vorstellungen entsprechen, ist verführerisch, weil sie
auf so einfache Weise Probleme zu lösen scheint, die sonst im Alltag unendlich
mühsam anzugehen sind.“17
Etienne Balibar sieht die Entwicklung in Frankreich ähnlich, er „bestreitet den
Ansprüchen ‚minoritärer’ Frauen jedwedes Recht, ja bringt gegen sie den Appell an
gesetzgeberische Maßnahmen und Eingriffe staatlicher Gewalt in Anschlag“. 18Die
Betroffenen deutscher Sondergesetze, die in vielen Bundesländern entstehen, sind
Frauen. In vielen deutschen Städten werden sie seit der konzertierten Aktion von
rechten Feministinnen und Christdemokratinnen zunehmend gedemütigt, unter Druck
gesetzt, in der Uni und auf der Straße belästigt, bei der Arbeitssuche abgewiesen.
Viele finden nicht einmal im Putzgewerbe einen Job. Elisa Klapheck, die sich im
Berliner trialogischen Projekt "Sarah-Hagar. Religion, Politik, Gender", engagiert, ist
„als bewusste deutsche Jüdin“ besorgt, weil sie die Kopftuchdebatte an die Situation
von Juden im 19. und 20. Jahrhundert erinnere, die „jeglicher äußerer Zeichen ihres
Judentums entsagen (sollten) - wobei die Mehrheitsgesellschaft natürlich weiterhin
unhinterfragt ihre christliche Werte- und Kulturdominanz ausüben darf.“
Halt, rief einige Wochen nach „Becklash“ eine Herrin vom Hügel. Das war alles nicht
so gemeint. In der „taz“ und im Web war es durchaus zu einigen kritischen
Einwendungen19 gekommen. In der „taz“ tat Frigga Haug deshalb kund: „Dieser
Aufruf ist eine Provokation und ist nicht 1:1 zu lesen.“ (taz 17.01.2004) Haug an
anderer Stelle: „Es geht also im Kopftuchstreit nicht darum, sich zum Statthalter für
die Interessen anderer zu machen, sondern darum, den Diskussionsraum zu
erweitern. So wie es den Zapatisten darum geht, den »Vorraum eines
demokratischen Mexiko« zu eröffnen, geht es uns darum, den »Vorraum des
Rommelspacher (2004): „Eine `billige` Lösung“, vgl. Angabe unter Fußnote 8.; auch dieselbe „Verschleierte
Unterschiede“ in taz 08.03.2004).
18
Balibar in EUROZINE 16.06.2004.
19
Besonders hervorzuheben sind die Beiträge von Rommelspacher.
17
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Politischen« zu öffnen, in dem die verschiedenen Frauen überhaupt um ihre Rechte
kämpfen können und ihre Beteiligung an der Gesellschaft mit offenen Augen
sehen.“20 Glaubt Haug wirklich, Subcommandante Marcos würde Frauen Schleier
oder das Kopftuch vom Kopf reißen? Und welche deutsche Feministin ist
auserkoren, ihm im Vorraum die Verhüllung abzunehmen? Alles nur Provokation? In
jedem Fall erinnert dies uns an das, was Homi Bhabha das „polymorph-perverse
Zusammenspiel zwischen Rassismus und Sexismus“21 nennt.
Wider universalistische Projektionen
Lange ist es noch nicht her als die Häuser in Mölln, Lübeck und anderswo brannten
und in den Flammen mehrheitlich muslimische Frauen ihr Leben verloren. Die
Funken glühen noch, gerade jetzt im aufgeheizten Kampf gegen „Terror“ und
„Islamismus“ suchen sich „Feministinnen“ ausgerechnet die „fremde“ Frau als
Projektionsfläche für ihre Paranoia. Sie beteiligen sich aktiv an dem, was Giorgio
Agamben die fortwährende Herstellung eines Denkens und Agierens im
Ausnahmezustand nennt.22
Die „anderen“ Frauen, die sich selbstbewusst in westlichen Gesellschaften dem
Zwang des Zurschaustellens entzogen haben und somit die deutlichste Kritik an
westlich-kapitalistischer Warenästhetik am Frauenkörper üben, scheinen gerade
Feministinnen zu beunruhigen. Die aufmüpfigen Kopftuchträgerinnen sind jung.
Keinesfalls unsinnlich entwickeln sie ihre eigenen feministischen Ideen und mischen
sogar, wie wir immer häufiger hören, auch muslimische Gemeinden auf, die, wie in
allen monotheistischen Religionsgemeinschaften üblich, natürlich ebenfalls
patriarchale Männer dominieren. Diese jungen Frauen bitten jedoch die weiße Herrin
nicht länger um das Weisen des richtigen Weges im Namen eines gebieterischen
Universalismus.
Natürlich tragen auch Musliminnen in der Bundesrepublik ihr Kopftuch nicht immer
freiwillig und viele lehnen es rigoros ab. Musliminnen streiten zudem heftig
untereinander um Islam, Laizität, die Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern, um
eigenständiges Leben. Je nach Herkunftsland, Ethnie, Sprachgemeinschaft, Klasse
und nach jeweiliger Situation im Einwanderungsland sind die Debatten
unterschiedlich ausgeprägt. Doch genau die Vielfalt dieser Ebenen und
Differenzierungen sollten christlich geprägte Feministinnen studieren und lernen
auszuhalten, bevor sie sich vorschnell aus dem Orientalismus bedienen.
Weitgehendes feministisches Schweigen herrscht gegenüber dem christlichen
Patriarchat. Noch immer lassen sich viele Christinnen demütigen, durch den Papst,
Bischöfe, die eigenen Männer, durch heterosexistische Sexualpraktiken, die
Pornographisierung des Alltags, wollen Zwangsprostitution nicht wahrhaben. Die
Entwürdigungen und Verletzungen sind scheinbar weitgehend unsichtbar. In
beängstigender Weise haben in den letzten Jahren in der Bundesrepublik
evangelikale Zirkel wieder regen Zulauf. „Mach dir das Weib untertan“ und „Wer
seine Kinder liebt, züchtigt sie“, das sind evangelikale Leitlinien, für die Evangelikale
ebenso weltweit missionieren wie gegen den „Anti-Christen“, die „Achse des Bösen“,
beispielsweise in Nigeria oder im Irak, wo sie tatkräftig den terroristischen Krieg
unterstützen.
Vgl. unter Fußnote 8.
Bhabha, Homi (2000): Die Verortung der Kultur, Tübingen, S. 101.
22
Vgl. Giorgio Agamben (2004): Ausnahmezustand. Frankfurt a.M.
20
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Die weißen Herrinnen müssen endlich runter von den Hügeln der Plantagen,
zugunsten einer friedlichen Landnahme von Frauen aller Weltanschauungen, aller
Religionen und Ethnien, inmitten hybrider (Gegen-) Kulturen, die sich dem Postulat
„globaler Gerechtigkeit“ verpflichten. Weiße Schwestern sollten derweil dem eigenen
Patriarchat die Leviten lesen, von dem noch immer weltweit die zerstörerischste
Gewalt ausgeht.
Brigitta Huhnke