Am Anfang stand die Raubkopie
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Am Anfang stand die Raubkopie
ct.0107.084-089 19.12.2006 10:06 Uhr Seite 84 Report | Demo-Szene Stefan Göhler Am Anfang stand die Raubkopie Computer-Demos: von der Cracker-Visitenkarte zur Kunstform Los ging es mit bunten Logos in Spiele-Cracks für den Commodore 64. Beim Ausloten der Grenzen der ersten Heim-Computer verließen die Hobby-Programmierer jedoch bald das Ghetto der Software-Piraterie. Mittlerweile feiert die „Demo-Szene“ ihre Parties in überfüllten Sporthallen, ihre Werke inspirieren die Spiele-Industrie und die Szene-Stars von gestern sind heute solide Unternehmer. S o stellt man sich den Untergrund eigentlich nicht vor: Zu getragener Musik kreist die Kamera langsam um eine filigrane Außerirdische mit aufgespannten Flügeln. Mitten in der Kameradrehung glimmt plötzlich ein Drahtgitter an den Armen der Figur auf. Das Schimmern kriecht über den ganzen Körper und verglüht wieder. Toller Effekt, zumal es sich nicht um ein vorgerendertes Video handelt – der PC berechnet alles live während der Wiedergabe. Vergleiche mit Spielen und Videos drängen sich zwar auf, doch sind Computer-Demos weder Ersteres noch Letzteres: Spiele sind interaktiv, und Videos werden vorher gerendert oder aufgenommen. Demos entstehen zwar in Echtzeit; ihre Interaktionsmöglichkeiten beschränken sich jedoch auf ein Minimum. Computer-Demos sind digitale Pfauenräder: „Seht her, welche faszinierenden Effekte wir aus dieser Maschine herausholen können!“ Zu ihrer Hochphase zeigten die besten Demos flüssigere Echtzeitgrafik als die im selben Zeitraum erschienenen Spiele. Spiele mussten ihre prachtvolle 3D-Grafiken von einer CD in den Speicher schaufeln; Demos kamen mit ein, zwei Disketten aus und errechneten über Städte hinwegfliegende Raumschiffe live. Heute finden sich mehrmals im Jahr tausende von „Szenern“ in riesigen Hallen zu Demo-Partys zusammen; zu den bekanntesten in Europa gehören The Assembly (Finnland), Breakpoint (Deutschland) und The Gathering (Norwegen). Die aus Programmierern („Codern“), Musikern und Grafikern zusammengesetzten Demo-Gruppen arbeiten auf die dort stattfindenden „Compos“ hin, Szene-Slang für Wettbewerbe. Oft feilen die aus allen Himmelsrichtungen angereisten Mitglieder noch auf der Party an Details oder schreiben ganze Teile um. Und doch: „Der Moment, in dem dein Teil dann auf der Leinwand läuft, entschädigt für alles,“ seufzt ein Mitglied der deutschen Gruppe Farbrausch. Compos sind in Kategorien aufgeteilt, etwa nach Plattform oder Dateigröße. Hier spielen selbst Rechner-Oldtimer wie C64 und Amiga noch eine Rolle. Auch Grafik-Präsentationen (Slideshows), Musik (Musicdisks) und sogar Spiele werden bewertet – Hauptsache, sie sind noch bei keinem anderen Wettbewerb angetreten. Die von der PartyCrew getroffene Auswahl wird dann allen Anwesenden auf einer riesigen Leinwand präsentiert, und das Publikum übernimmt die Bewertung. Cracks für Brotkästen Die Geburtsstunde der Demo-Szene liegt dicht hinter der Veröffentlichung des C64. Der wegen seiner Form und Farbe „Brotkasten“ genannte Rechner war durch seine Zusatz-Chips für Grafik (VIC II) und Ton (SID) vor allem für Spielernaturen interessant und machte erstmals moderne Methoden der elektronischen Bewegtgrafik- und Klangerzeugung einem Massenpublikum zugänglich. c’t 2007, Heft 1 © Copyright by Heise Zeitschriften Verlag GmbH & Co. KG. Veröffentlichung und Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Heise Zeitschriften Verlags. ct.0107.084-089 19.12.2006 10:06 Uhr Seite 85 Report | Demo-Szene Selbst für ein vorberechnetes Render-Bild wäre dies kein schlechtes Ergebnis, aber die glühende Alien-Skulptur wird mit hoher Auflösung in Echtzeit animiert auf den Schirm gebracht. Die guten Verkäufe führten zu einem großen Software-Angebot – und illegalen Kopien. Beim Start zeigten die modifizierten Programme zunächst einen Textbildschirm mit dem Pseudonym oder „Handle“ des Crackers und den Namen einer Gruppe an, zu der er gehörte. Die vor das Spiel geschalteten Bildschirme hießen zunächst Intros, später „Cracktros“ – eine Verschmelzung aus Crack und Intro. Schnell entwickelte sich eine Szene Gleichgesinnter. In Europa wurden SwapperPartys veranstaltet, auf denen Cracker und Interessenten ihre Schätze auf Kassetten oder Disketten tauschten („swappten“). In den USA kommunzierten Cracker primär per Telefonleitung. Zentrale „Bulletin Board Systems“ (BBS) stellten Dateien zur Verfügung und boten Diskussionsplattformen. Zwischenzeitlich mauserten sich die CrackInfotexte zu Gruppen-Logos und bunten Lauftexten, die neue Mitglieder begrüßten oder einfach nur die eigene Gruppe priesen. Intros mit Musikuntermalung hatten die Töne meist aus einem Spiel entlehnt. Um 1985 fingen die Gruppen an, gegenseitig aufzutrumpfen und nutzten Hardware-Tricks, etwa um mehr als die vom C64 vorgesehenen 16 Farben auf den Schirm zu bringen. Im selben Jahr kam die nächste HeimComputer-Generation auf den Markt: Com- Eine typische Cracktro auf dem C64, hier von Red Sector Inc. c’t 2007, Heft 1 © modore veröffentlichte den Amiga, Atari den ST. Der Amiga war zunächst wie der C64 als Basis für eine Spielekonsole gedacht. Den Kern der neuen Maschine bildete der 32-BitProzessor Motorola 68000. Diesem stand der Audio-Chip „Paula“ zur Seite, der aus vier Audiokanälen satten Stereoton zusammenmischte. Die neuen Grafik-Prozessoren „Denise“ und „Agnus“ konnten ganze Flächen mit Farben füllen und Bildinhalte rotieren. Ein spezieller Standbildmodus zeigte sogar 4096 Farben gleichzeitig; Animationen mussten mit 32 Farben auskommen. Der Atari ST tat sich zwar mit angenehmeren, weil höheren Bildwiederholfrequenzen leichter, blieb grafisch aber weit hinter dem Amiga zurück. Die Benutzeroberfläche GEM war auf 16 Farben beschränkt, Grafikbeschleunigung suchte man vergeblich. Freundin 500 Erst mit dem 1987 vorgestellten Amiga 500 fing die Demo-Szene an, sich für den endlich erschwinglich gewordenen Brotkastennachfolger zu erwärmen. Ein weiterer Impuls für den Umstieg war der „Ultimate Soundtracker“ von Karsten Obarski. Das Programm visualisierte Musikstücke als vierspaltige Tabellen, in denen der Anwender Instrumente und deren Tonhöhe definierte. Die Instrumente wurden als Samples importiert, die das Programm je nach gewünschter Tonhöhe mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten wiedergab. Viele Sequencer folgen bis heute der damals vorgegebenen Form. Intros der späten 80er entstanden nicht mehr nur in Cracking-Gruppen. Aus der Warez-Szene löste sich allmählich eine Demo-Szene heraus, die ein neues Format einführte: die Megademo, die über ein Megabyte Speicher belegte und deshalb über mehrere Disketten verteilt war. Doch die Glanzzeit der Demo-Szene kam erst in den 90er Jahren. Dank des zusätzlichen Bedienkomforts des Amiga musste ein „Scener“ 85 Copyright by Heise Zeitschriften Verlag GmbH & Co. KG. Veröffentlichung und Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Heise Zeitschriften Verlags. ct.0107.084-089 19.12.2006 10:06 Uhr Seite 86 Report | Demo-Szene „The Party 91“ war mit über 1250 Teilnehmern eines der größten Demo-Treffen seiner Zeit. Die Gruppe „The Silents“ führte mit „Global Trash II“ einen auf Workstations von Silicon Graphics gerenderten Kurzfilm vor, der Videoschnipsel und Filmausschnitte einband. Da es sich dabei nicht um eine klassische Echtzeit-Demo handelte, lief Global Trash II außer Konkurrenz und begründete eine neue Kategorie, die „Wild Demo“. Das Publikumsecho war derart groß, dass der Fernsehsender MTV Europe die Demo mehrfach ausstrahlte. Erst der „Ultimate Soundtracker“ ermöglichte die typische Amiga-Musik. nicht mehr zwingend Coder sein. Mit Malprogrammen wie Deluxe Paint und diversen Tracker-Programmen konnten auch NichtProgrammierer Grafiken und Musik erstellen. Im März 1990 begründete die Gruppe Scoopex mit „Mental Hangover“ ein weiteres neues Format: die „Trackloading Demo“, kurz Trackmo. Dabei liefen die grafischen Effekte der Mitwirkenden ohne Unterbrechnung zu einem durchgehenden Musikstück. Scoopex ließ das Amiga-Dateisystem links liegen und speicherte die Daten in einer bekannten Reihenfolge auf der Diskette, sodass die Trackmo die neuen Programmabschnitte während der Wiedergabe direkt in den Speicher nachladen konnte. Auf der CeBIT 1990 mischte die DemoSzene den Commodore-Stand auf: Innerhalb weniger Minuten war der Messestand mit Aufklebern diverser Demo- und CrackerGruppen besprenkelt. Die Aktion blieb nicht ohne Folgen: Fortan sponserte der Computer-Hersteller Szene-Veranstaltungen. Stand der Technik Damalige Amiga-Demos bestanden vor allem aus Vektor-Grafik: rotierende Würfel, einfache Raumschiffe vor einem bewegten Sternenhimmel und sogar komplette Landschaften aus Polygonen. Wie die längst verpönten Lauftexte gaben auch die Vektororgien ein wenig aufsehenerregendes Einheitsbild ab. Ganz anders bei „State of the Art“ von der Gruppe Spaceballs: Hier bekamen die staunenden Zuschauer bunte, tanzende Silhouetten zu sehen, mit Effekten wie Morphing, Bewegungsunschärfe und künstlichem Rauschen verfremdet. Die Techno-Untermalung brachte die Demo in die Nähe echter MusikVideos. „State of the Art“ belegte auf „The Party 1992“ den ersten Platz. Die vorab „real“ eingefangenen Tanzschritte in „State of the Art“ entfachten eine Diskussion darüber, was eigentlich den Kern einer Demo ausmacht: Reicht es, wenn sie mitreißend ist, oder muss sie zwingend eine technische Neuheit darstellen? Der Spaceballs-Programmierer Paul Endresen hatte eine Tänzerin gefilmt und ihre Sil- Demo-Partys wie die Breakpoint 2005 sind Dreh- und Angelpunkt für die Szene. 86 Nicht nur auf Heim-Computern gab es Cracktros – hier ein Exemplar für das PCSpiel „Blues Brothers“ von 1991. houette Bild für Bild als Vektorform abgezeichnet. Aufstieg des PC Frühe PC-Demos litten unter den kargen Ressourcen der damaligen Hardware, insbesondere was Audio und Video anging. Ohne Spezial-Chips, wie sie der Konkurrenz zur Verfügung standen, war der PC ein echter Rückschritt. Doch die Erweiterbarkeit der PCArchitektur bedeutete, dass der Fall dieser Beschränkungen nur eine Frage der Zeit war. Es genügte, eine Soundkarte in den Rechner zu stecken: Plötzlich gab die graue Büromaschine auch Samples von sich. Im Vergleich zu einer Gravis Ultrasound (GUS) mit 32 Tonkanälen und 16-Bit-Sound klang der Amiga geradezu anämisch. Schnell fingen Demo-Programmierer an, die neuen Möglichkeiten auszukosten. In „Crystal Dream II“ von der schwedischen Gruppe Triton beleuchtete eine wandernde Lichtquelle ein Schachbrett – die atmosphärische Dichte bescherte der Demo den ersten Platz auf der Computer Crossroad 93. Im selben Jahr legte die Future Crew einen Meilenstein vor: „Second Reality“ beeindruckte nicht durch die neuesten Rechentricks, sondern durch seinen Aufbau. Mitreißende Elektronik-Musik der Gruppenmitglieder Purple Motion und Skaven untermalte die stimmungsvollen Bilder. Die Bestandteile der Demo wurden erst kurz vor der Assembly 93 zusammengesetzt. An den Stress kann sich der Finne Mika Tuomi (Szene-Name „Trug“) noch gut erinnern: „Ich blieb fünf ganze Tage auf und es war wundervoll.“ Mehrere Jahre lang galt Second Reality in der Szene als Vorzeige-Demo; die News-Website Slashdot wählte die Demo im Jahr 1999 sogar zu einem ihrer „Top Ten Hacks of all Time“. Der nächste Meilenstein des Jahres 1993 war der 3D-Shooter Doom für DOS-PCs. Erstmals bot ein Spiel mehr grafische Pracht als die Demos der Zeit. Noch im selben Jahr präsentierte die deutsche Gruppe Dust die PC-Demo „Untitled“. Das darin gezeigte Labyrinth sah Doom zum Verwechseln ähnlich. Hier wird der Betrachter zuerst von einer riesigen Kugel gejagt, die in einer c’t 2007, Heft 1 © Copyright by Heise Zeitschriften Verlag GmbH & Co. KG. Veröffentlichung und Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Heise Zeitschriften Verlags. ct.0107.084-089 19.12.2006 10:06 Uhr Seite 87 Report | Demo-Szene Die tanzende Silhouette von „State of the Art“ brachte Bewegung in die Amiga-Szene. Rinne landet. Am Ende der Demo verkleinert sich das Labyrinth zu einem Schriftzug: „Dust“. Umwälzung der Plattformen Demos auf den Commodore-Rechnern C64 und Amiga bestanden vor allem aus Assembler-Code. Nur die direkte Programmierung in der Maschinensprache eines Prozessors konnte die maximale Geschwindigkeit bei der Ausführung garantieren. PC-Demos entstanden dagegen meist in Hochsprachen wie Pascal und C. Assembler kam nur zum Einsatz, wenn jede Millisekunde zählte. 1995 ging Commodore das Geld aus; zu diesem Zeitpunkt waren bereits viele SzeneMitglieder zum PC übergelaufen. Der Amiga spielt in der Szene jedoch immer noch eine Rolle. 1996 gewann auf der Party „The Gathering“ die Demo „Tint“ von der schwedischen Gruppe „The Black Lotus“ den ersten Preis. Sie zeigte auf einem Amiga 1200 mit 14 MHz glattes Phong-Shading sowie BumpMapping zur Simulation von Oberflächenstrukturen – das schaffte bis dahin bestenfalls ein schneller 486-Prozessor. Selbst die C64-Szene lebte weiter. Oft schauten die Entwickler Effekte von PCDemos ab, um sie dann auf dem Brotkasten umzusetzen. So portierte die deutsche Gruppe „Smash Designs“ die PC-Demo Second Reality wagemutig auf den C64 – mit MonoTon und einem Bruchteil der Farben, aber durchaus wiederzuerkennen. Windows blieb in der Demo-Szene lange Zeit unbeachtet: Die Engines liefen weiterhin unter dem guten alten DOS, mit einer grafischen Benutzeroberfläche wusste man nichts anzufangen. Die 3D-Engine aus „The Fulcrum“ (1998) von Matrix zeigte aufwendige Effekte wie Bump-Mapping, Schattenwürfe und Partikelsysteme – alles ohne Beschleuniger-Hardware in Echtzeit berechnet. Manche Scener wollten sich nicht mit einer Plattform begnügen. Die „Megademo IV 2“ von Artwork entstand 1998 in ANSI-C und erschien daher auf fast allen verfügbaren Plattformen. Allgemein aber beschränkten sich die Entwickler der Performance wegen auf ein System. Erst als erschwing- Das 3D-animierte Schachbrett von Crystal Dream II setzte 1993 neue Maßstäbe. c’t 2007, Heft 1 © liche 3D-Beschleunigerkarten auf den Markt kamen, migrierten die Demos allmählich zu Windows. 64K müssen reichen Aber die Freak-Szene ist nicht totzukriegen: Schon zu Amiga-Zeiten legten viele DemoWettbewerbe künstliche Einschränkungen fest. Eine aktuelle Herausforderung besteht darin, in nur 64 KByte möglichst viel Prunk unterzubringen. Was man erreichen kann, bewies die deutsche Gruppe „Farbrausch“ zum Jahrtausendwechsel mit ihrer Intro „.the.product“. Diese bestach weniger durch die dargebotenen Bilder als durch den guten Soundtrack und einen nicht enden wollenden Lauftext. Damit die 16 Minuten lange Intro in 64 KByte passt, verwendete die Gruppe einen eigenen Ansatz. Farbrausch-Mitglied giZMo erklärt: „Wir quetschen die Daten nicht wirklich klein – wir sorgen dafür, dass gar nicht erst große Daten entstehen.“ Anstatt vorhandene Daten zu komprimieren und abzuspecken, wurden die Szenen und Texturen erst beim Aufruf der Demo errechnet. Dazu zeichnen die Entwickler die zur Erzeugung der Elemente benutzten Befehlsfolgen auf und lassen sie 87 Copyright by Heise Zeitschriften Verlag GmbH & Co. KG. Veröffentlichung und Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Heise Zeitschriften Verlags. ct.0107.084-089 19.12.2006 10:06 Uhr Seite 88 Report | Demo-Szene In nur 64 KByte brachte die Intro „Poem to a Horse“ von Farbrausch etliche komplexe Formen und Effekte unter. vor dem Start der Demo wiederholen; der Sound entsteht dagegen erst zur Laufzeit. Um den Ansatz zu verdeutlichen: Eine 512 x 512 Pixel große Echtfarben-Bitmap nimmt unkomprimiert 768 KByte in Anspruch, die zur Errechnung dieser Textur verwendeten Befehle dagegen mitunter nur wenige Byte. Das Spiel „.kkrieger“ der gleichen Gruppe nimmt auf der Festplatte nur 96 KByte Platz in Anspruch, generiert nach dem Start aber erstmal 300 MByte Bilddaten. Die Gruppe Exceed nutzte für ihre 64KIntro „Heaven Seven“ im selben Jahr einen ähnlichen Ansatz: Der Code generierte zuerst Weiterführende Quellen Alle im Artikel genannten Demos und Intros stehen unter anderem auf den Websites www.pouet.net und www.scene.org zum Download bereit. Eine stattliche Sammlung an Cracktros für DOS und Windows findet sich auf www.defacto2.net. Weitere Informationen und einen Überblick über aktuelle Gruppen und DemoSites bietet das Szene-Portal www. demoscene.info. Dank zahlreicher Emulatoren erreichen die Demos für den C64, Amiga oder DOSSysteme auch das Windows-Pubklikum. Für den C64 hat sich VICE bewährt (www.viceteam.org); den Amiga emuliert WinUAE (www.winuae.net). Zahlreiche DOS-Demos starten ohne Probleme in der DOSbox (http://dosbox.sourceforge.net bzw. http://ykhwong.x-y.net für aktuelle CVS-Builds). Für Nicht-Windows-Anwender gibt es auf Pouet.net zu einigen Demos auch Video-Captures. Die zwei MindCandy-Zusammenstellungen sammeln Höhepunkte der Demo-Szene auf Video-DVD (www.mindcandydvd.com). Der beste Weg, sich die Szene etwas genauer anzusehen, besteht immer noch im Besuch einer Demo-Party. Unter www. digitalekultur.org/de/ findet sich ein deutschsprachiger Veranstaltungskalender. 88 „Heaven Seven“ zeigte Echtzeit-Raytracing, indem sie nur 18 Prozent der Pixel tatsächlich berechnete und den Rest interpolierte. Texturen, die dann von einem Echtzeit-Raytracer verarbeitet wurden. Exceed hatten ihren Assembler-Code an allen erdenklichen Stellen optimiert. So berechnete der Raytracer beispielsweise nur rund 18 Prozent der Pixel, der Rest wurde interpoliert – nur dadurch läuft die Intro bei 800 x 600 Pixel Auflösung auf einer 2-GHz-CPU absolut flüssig. Kolor folgte diesem Vorbild mit seiner 64KIntro „Fresnel“. Hier waren die Texturen allerdings Wavelet-komprimiert; für die Interpolation zweckentfremdeten sie eine 2D-Funktion der OpenGL-Schnittstelle. Es geht aber noch kleiner: In der gerade mal 4 KByte große Intro „Gracchus“ steckten die Gruppen Freestyle und Kolor einen Sound-Synthesizer und einen Radiosity-Renderer. Das rechenintensive Radiosity-Verfahren erzeugt sehr natürlich wirkende weiche Schattierungen. Auf langsameren Rechnern sieht man deutlich, wie die Schatten nach und nach entstehen. Demos als Sprungbrett Auf Partys treten nicht nur Demos gegeneinander an – einige Treffen veranstalten auch Spieleentwicklungs-Compos. Auf der Breakpoint 2004 zeigte Farbrausch den bereits erwähnten 3D-Shooter „.kkrieger“. Der Code war zwar noch unvollständig und enthielt einige Fehler, aber das komplette Spiel kam tatsächlich mit 96 KByte aus. Kein Vergleich zu kommerziellen Action-Spielen, die bei der Installation Gigabyte-weise Daten auf die Festplatte spülen. Trotz des unfertigen Zustands gewann Farbrausch den Wettbewerb; bis heute ist von .kkrieger jedoch nur eine Betaversion im Umlauf. In Spielen finden sich immer wieder in der Demo-Szene entwickelte Techniken wieder. So steckt im Skilaufspiel „Winter Gold“ für die SNES-Konsole ein Video-VektorisierungsAlgorithmus, den die Gruppe Spaceballs für ihre Demo „9 Fingers“ entwickelt hatte. Hier zwängt die von Spaceballs entwickelte Kompressionsmethode statt vektorisierter Tänzerinnensilhouetten vorberechnete 3D-Pisten in die Konsolen-Cartridge. Gelegentlich übernahmen Firmen sogar Szene-Produktionen komplett. Die Bochumer Phenomedia AG suchte zum Beispiel nach einer kreativen Form der Computer-Werbung für eine Spirituose. Fündig wurde man bei der niederländischen Demo-Gruppe Witan. Deren Spiel „Kippen Schieten“ erlangte auf der Party „Bizarre 98“ nur den dritten Platz. Doch unter dem Titel „Moorhuhnjagd“ wurde das Spiel in Deutschland zum Riesenhit, der zahlreiche Fortsetzungen und Imitate nach sich zog. Mitunter verwischen die Grenzen zwischen Demo- und Spieleszene: Einige Mitglieder der Demo-Gruppe The Black Lotus arbeiten beim britischen Spiele-Hersteller Eidos („Tomb Raider“). Farbrausch gründeten das Entwicklerstudio „.theprodukkt GmbH“ und führen auf den Visitenkarten stolz ihre Szene-Handles. Aus der Future Crew entwickelten sich gleich drei erfolgreiche Firmen: Futuremark stellt den bekannten 3D-Leistungstest 3DMark her. Schon Second Reality wurde nicht selten als Performance-Messer benutzt: Lief die Demo flüssig, steckte eine ausreichend starke CPU unter der Haube; stürzte der Rechner ab, war er nicht sauber konfiguriert. Remedy konnte mit zwei MaxPayne-Spielen Erfolge feiern; Bitboys entwickeln 3D-Chipsätze für mobile Geräte. Mitglieder der Demo-Gruppe Triton gründeten die Spieleschmiede Starbreeze Studios und feierten jüngst mit dem 3D-Shoo- Das Spiel „Kippen Schieten“ – auf der Party Bizarre 98 nur Platz 3, unter dem Namen „Moorhuhnjagd“ in Deutschland der Produktivitätskiller schlechthin c’t 2007, Heft 1 © Copyright by Heise Zeitschriften Verlag GmbH & Co. KG. Veröffentlichung und Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Heise Zeitschriften Verlags. ct.0107.084-089 19.12.2006 10:06 Uhr Seite 89 Report | Demo-Szene „Final Audition“ von Plastic: Die gallerteartigen Kugeln schweben schwerelos im Raum – selbstredend in Echtzeit berechnet. ter „The Chronicles Of Riddick“ einen recht ansehnlichen Erfolg. Demos heute Vergleicht man heutige Demos mit denen von vor zehn Jahren, fällt vor allem auf, welchen hohen Stellenwert mittlerweile ästhetische Gesichtspunkte genießen. Wo die Hardware nicht mehr als Vergleichsmaß herhalten kann, muss eben etwas anderes her. Die Folge: Grafiker sind heute gefragter denn je, oft frisst die Aufmachung mehr Zeit als der eigentliche Code. Als Reaktion darauf werden immer wieder Stimmen laut, Demos seien einfach nicht mehr das, was sie einst waren: Viele Exemplare entstünden aus Code-Sammlungen, echtes Kräftemessen sei out. Paul Endresen von Spaceballs verteidigt den Trend: „Im Endeffekt kommt es auf das Resultat an, das Aussehen der Demo – und nicht, wie sie umgesetzt wurde.“ Nicht nur die Bilderwahl, auch die Musik hat sich im Laufe der Jahre verändert. Vordergründige Techno-Beats sind ambient-artigen Klangteppichen gewichen. Das liegt nicht zuletzt an den neuen Möglichkeiten: Aktuelle Tracker binden auch virtuelle Instrumente über die VST-Schnittstelle ein (Virtual Studio Technology). Nicht selten kommen mittlerweile echte MIDI-Sequencer zum Einsatz – dann kommt die Musik aus einer MP3- oder OGG-Datei, statt live berechnet zu werden. Ein anderer Trend geht hin zu „Mobile Demos“, die auf mobilen Geräten wie PDAs oder Handys laufen. „Wild Demos“ zielen auf immer neue Plattformen, darunter Digitalkameras und sogar Nintendos Pokémon Mini. Nach wie vor heißt die Devise: Grenzen überschreiten. PC-Demos nehmen immer komplexere Züge an, wobei Windows wohl noch einige Zeit die Nase vorn haben wird. Bei Linux fehlt nach wie vor ein etablierter Binär-Standard. Auf der Party „Mekka & Symposium 2002“ lief beispielsweise keine der vier Linux-Demos, wie ryg von Farbrausch erzählt – trotz exakt vorgegebener Distribution. In naher Zukunft könnten auch die Pixelund Vertex-Shader aktueller Grafikkarten neue Impulse geben: Nicht jede Demo nutzt diese sehr frei programmierbaren Komponenten, die sich auch für andere Zwecke einsetzen lassen als für polygonbasierte Grafik. Die Gruppe RGBA bedient sich ihrer etwa bei der 4K-Intro „Kinderpainter“ zur Echtzeitberechnung von Raytracing-Bildern. Die Partys zeigen sich dagegen weiterhin stark traditionsgebunden. kb von Farbrausch: „Sehr viele der Demo-Szene-Traditionen von heute sind immer noch 1 zu 1 von der Cracking-Szene und den Cracktros übernommen.“ Auch sonst ist die Verwandtschaft nicht zu verleugnen. Viele Software-Cracks schmücken sich noch heute mit bescheidenen Grafiken im Look der 90er, begleitet von C64-ähnlichen Piepsern. Gelegentlich liegt ein kleines Intro dabei – die letzten Hinweise auf den gemeinsamen Hintergrund der beiden Szenen. (ghi) Seinerzeit eine Offenbarung: „Second Reality“ kombinierte Bilder, Effekte und Musik zu einem stimmungsvollen Ganzen. c c’t 2007, Heft 1 89 © Copyright by Heise Zeitschriften Verlag GmbH & Co. KG. Veröffentlichung und Vervielfältigung nur mit Genehmigung des Heise Zeitschriften Verlags.