- Landtag Baden Württemberg

Transcription

- Landtag Baden Württemberg
Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 / 2152
15. Wahlperiode
23. 07. 2012
Antrag
der Abg. Thomas Reusch-Frey u. a. SPD
und
Stellungnahme
des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz
Vorkommen und Schutz des Weißstorchs
in Baden-Württemberg
Antrag
Der Landtag wolle beschließen,
die Landesregierung zu ersuchen
zu berichten,
1. welche Anzahl an Brutpaaren des Weißstorchs es im Land gibt, wie bzw. durch
wen diese alljährlich ermittelt wird und durch welche staatlichen und nichtstaatlichen Stellen die Weißstörche im Land erfasst und beobachtet werden
(wie z. B. durch die Storchenbeauftragte im Regierungsbezirk Tübingen);
2. wie sich die Gesamtzahl an Weißstörchen in den vergangenen 20 Jahren entwickelt hat, welche regionale Verteilung die im Land lebenden Weißstörche
aufweisen und welche Prognosen es für die Weiterentwicklung des Bestandes
gibt;
3. welche Programme der Sicherung des Tierbestandes dienen und wie Hindernisse für eine Wiederausbreitung abgebaut bzw. vermindert werden sollen;
4. inwieweit sie flankierende Maßnahmen, wie das Aufstellen eines Storchennestes als Nistplatzangebot oder die Anzucht von Störchen zur Wiederansiedlung des Weißstorches, unterstützt;
5. welche andere Tierarten davon profitieren, wenn Lebens- und Nahrungsräume
für Störche erhalten bzw. geschaffen werden;
6. wie sie das Gefahrenpotenzial für die Störche beurteilt im Blick auf die Brutgebiete in Baden-Württemberg, die Zugrouten von und zu den Überwinterungsgebieten sowie die Überwinterungsgebiete;
1
Eingegangen: 23. 07. 2012 / Ausgegeben: 21. 08. 2012
Drucksachen und Plenarprotokolle sind im Internet
abrufbar unter: www.landtag-bw.de/Dokumente
Der Landtag druckt auf Recyclingpapier, ausgezeichnet mit dem Umweltzeichen „Der Blaue Engel“.
Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 / 2152
7. welche Risiken für die Störche insbesondere im Zusammenhang mit dem Ausbau der Windenergienutzung im Land gesehen werden und wie diesen entgegengewirkt wird.
23. 07. 2012
Reusch-Frey, Winkler, Kopp, Käppeler, Storz SPD
Begründung
In den letzten Jahren steigt die Zahl der Weißstörche im Land erfreulicherweise
wieder an. Es stellen sich daher Fragen nach Möglichkeiten, dieses Ansteigen zu
fördern und zu flankieren, aber auch nach Risiken für diese Großvögel durch
technische Einrichtungen wie Freileitungen und insbesondere auch Windenergieanlagen, die nun auch in Baden-Württemberg verstärkt errichtet werden.
Stellungnahme
Mit Schreiben vom 13. August 2012 Nr. Z-0141.5/135F nimmt das Ministerium
für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz im Einvernehmen mit dem Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft zu dem Antrag wie folgt Stellung:
Der Landtag wolle beschließen,
die Landesregierung zu ersuchen
zu berichten,
1. welche Anzahl an Brutpaaren des Weißstorchs es im Land gibt, wie bzw. durch
wen diese alljährlich ermittelt wird und durch welche staatlichen und nichtstaatlichen Stellen die Weißstörche im Land erfasst und beobachtet werden
(wie z. B. durch die Storchenbeauftragte im Regierungsbezirk Tübingen);
Zu 1.:
Im Jahr 2011 brüteten in Baden-Württemberg 518 Weißstorchpaare. Die Zahlen
für 2012 liegen noch nicht vollständig vor. Ermittelt werden die Brutpaare durch
19 Horstbetreuer (16 in Baden, 3 in Württemberg). Diese übernehmen in der Regel auch die Beringung der Jungstörche. Die meisten Daten werden ehrenamtlich
erhoben. Die Horste am Affenberg in Salem und in seiner Umgebung werden von
Angestellten des Affenbergs betreut. Die Datenerfassung im übrigen Südwürttemberg (Oberschwaben, Donautal) erfolgt durch die Weißstorchbeauftragte des Regierungspräsidiums Tübingen. Die Landesanstalt für Umwelt, Messungen und
Naturschutz Baden-Württemberg (LUBW) hat nach dem Ruhestand des langjährigen Weißstorchbeauftragten beim Regierungspräsidium Karlsruhe im Jahr
2011 die landesweite Koordination des Weißstorchschutzes in Baden-Württemberg mit der erforderlichen Datenerhebung ebenfalls an die Weißstorchbeauftragte des Regierungspräsidiums Tübingen übertragen, die zudem auch die Weißstörche im Regierungsbezirk Stuttgart betreut.
2
Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 / 2152
2. wie sich die Gesamtzahl an Weißstörchen in den vergangenen 20 Jahren entwickelt hat, welche regionale Verteilung die im Land lebenden Weißstörche
aufweisen und welche Prognosen es für die Weiterentwicklung des Bestandes
gibt;
Zu 2.:
Im Jahr 1991 gab es in Baden-Württemberg 85 Weißstorch-Brutpaare. Die Anzahl hat sich somit in den letzten 20 Jahren versechsfacht. Ein besonders starker
Anstieg ist seit dem Jahr 2004 zu verzeichnen. Sehr viele Störche brüten im
Rheintal. Traditionell besetzte Brutregionen sind außerdem Oberschwaben, das
Donautal, die Baar und das badische Bodenseegebiet. Die württembergische Bodenseeregion um Salem ist kein traditionelles Brutgebiet; diese Störche wurden
durch die Storchenkolonie am Affenberg in die Region gelockt. Weiterhin gibt es
in Nordwürttemberg neben Vorkommen in Anbindung an Zoos und Freizeitparks
vereinzelte Horste im Jagsttal und an der Brenz. Im Jahr 2011 wurden die meisten
Horste im Landkreis Karlsruhe in Nordbaden und im Ortenaukreis in Südbaden
belegt.
Ungefähr ein Drittel der freifliegenden Brutpaare nistet in Anbindung an Vogel-,
Tier- und Freizeitparks sowie an alten Auswilderungs- und Pflegestationen, wo
sie entweder gefüttert werden oder sich an Futterstellen parkeigener Tiere bedienen. Teilweise wird auch von Privatpersonen zugefüttert. Der Bruterfolg dieser
Störche liegt in der Regel über dem Durchschnitt des Bruterfolgs nicht zugefütterter Paare. Wird die Zufütterung beendet, wird der Gesamtbestand zurückgehen,
sofern nicht die notwendigen Nahrungsgebiete geschaffen werden können. Wegen des derzeitig weiter ansteigenden Energiepflanzenanbaus wird die Schaffung
von neuen und die Sicherung bestehender Nahrungsgebiete zunehmend schwieriger. Der Grünlandanteil hat in manchen Regionen bereits beträchtlich abgenommen. Trotz der Möglichkeit einer zahlenmäßigen Bestandsabnahme – derzeit wird
in der Regel ein schlechter Bruterfolg durch Zuwanderung aus angrenzenden Gebieten, vor allem dem Elsass, ausgeglichen – soll in Baden-Württemberg die Zufütterung aus naturschutzfachlichen Gründen beendet werden. Denn nicht allein
die Gesamtanzahl der Weißstörche ist für die Erhaltung einer natürlichen Population entscheidend, sondern auch die Qualität des Bestands an Wildstörchen.
Daher ist ein naturschutzfachliches Ziel in Baden-Württemberg die Entwicklung
einer tragfähigen stabilen Wildpopulation. Der Weißstorch soll auch zukünftig
Zugvogel bleiben und sich in einer für seine Lebensansprüche geeigneten Kulturund Naturlandschaftsvielfalt selbstständig ernähren können.
3. welche Programme der Sicherung des Tierbestandes dienen und wie Hindernisse für eine Wiederausbreitung abgebaut bzw. vermindert werden sollen;
Zu 3.:
Der Sicherung des Weißstorchbestands dienen das Artenschutzprogramm der
LUBW und Agrarumweltprogramme. Im Rahmen der Landschaftspflegerichtlinie
und des MEKA können Bewirtschaftungsverträge zur Verbesserung des Nahrungsangebots abgeschlossen werden. Wichtige Maßnahmen sind dabei die Umstellung der Bewirtschaftung von Ackerland auf Grünland, die Extensivierung
von Grünland und die Wiederherstellung und Erhaltung von Feuchtbiotopen.
In einigen Regionen Nordwürttembergs findet eine verstärkte Beratung von Gemeinden und Verbänden im Hinblick auf eine Vergrößerung und Verbesserung
von Nahrungsgebieten in den Fällen statt, in denen entweder eine natürliche Ansiedlung des Weißstorchs erwünscht und sinnvoll ist oder in denen bestehende
große Verbreitungslücken in ehemals besiedelten Gebieten geschlossen werden
sollen.
Der Sicherung eines stabilen Wildstorch-Bestands soll außerdem ein Handlungsleitfaden für den Weißstorch dienen, der im Frühjahr 2012 im Naturschutz-Info
der Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg
veröffentlicht und den Horstbetreuern zur Verfügung gestellt wurde.
Weiterhin gibt es direkte Kontakte zwischen Weißstorchbetreuern, anderen Ornithologen oder der Naturschutzverwaltung und Energieversorgungsunternehmen
3
Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 / 2152
bzw. den Freileitungsbetreibern, wenn an Stromleitungen trotz erfolgter Sicherungsmaßnahmen insbesondere Weißstörche oder andere seltene oder geschützte
Vogelarten durch Stromschlag verunglücken. Solche Masten oder andere gefährdende Teile des Leitungsnetzes werden dann von den jeweiligen Leitungsbetreibern in der Regel unmittelbar mit weitergehenden Schutzmaßnahmen nachgerüstet.
Für den Neubau und die Nachrüstung von Leitungen liegt seit August 2011 eine
verbindliche Anwendungsregel des Verbands der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e. V. (VDE) als Norm vor, die an den aktuellen Stand der Technik
angepasste Vorgaben für Vogelschutzmaßnahmen an Freileitungen enthält. Die
EnBW Regional AG als Betreiberin der Hochspannungsleitungen (110 kV) und
die TransnetBW GmbH als Betreiberin der Höchstspannungsleitungen (220 bzw.
380 kV) haben eine Gefährdungsanalyse ihrer Leitungsnetze zur Vermeidung von
Vogelschlag durch Leitungsanflug an Hoch- und Höchstspannungsleitungen
durchgeführt. Durch das Ausbringen spezieller Markierungseinrichtungen an Leitungen in Bereichen, die als gefährlich für Großvögel identifiziert wurden, kann
das Risiko des Leitungsanfluges deutlich verringert werden. Diese Maßnahmen
kommen insbesondere dem Weißstorch zu Gute und werden in den nächsten Jahren landesweit umgesetzt.
4. inwieweit sie flankierende Maßnahmen, wie das Aufstellen eines Storchennestes als Nistplatzangebot oder die Anzucht von Störchen zur Wiederansiedlung
des Weißstorches, unterstützt;
Zu 4.:
Das Aufstellen eines Storchennestes kann bei gewünschter Ansiedlung von Störchen in bisher storchenleeren oder vom Storch nur gering besiedelten Räumen
hilfreich sein und wird in der Regel durch Beratung und gelegentlich auch durch
finanzielle Zuschüsse unterstützt. Voraussetzung ist allerdings das Vorhandensein
oder die Schaffung geeigneter Nahrungsgebiete. In vom Weißstorch dicht besiedelten Gebieten ist das Angebot eines Nestes nicht notwendig oder förderlich, da
Störche von Natur aus sehr gut in der Lage sind, sich selbst auf schwierigsten Unterlagen ein Nest zu bauen und dies seit einigen Jahren auch verstärkt tun. Ein zu
dichtes Aufstellen von Nestern oder Nistunterlagen kann sogar negative Auswirkungen haben, da bereits nistende Störche in solchen Fällen häufig versuchen, das
Nachbarnest von Konkurrenten freizuhalten und dabei ihre Brut vernachlässigen.
Angesichts der stark angestiegenen Population des Weißstorchs und der negativen
Begleiterscheinungen von Zuchten, wie beispielsweise Fütterungsabhängigkeit,
Verlust des Zugverhaltens und Verhaltensstörungen, wird eine weitere Anzucht
von Weißstörchen als nicht zielführend angesehen und nicht weiterverfolgt.
5. welche andere Tierarten davon profitieren, wenn Lebens- und Nahrungsräume
für Störche erhalten bzw. geschaffen werden;
Zu 5.:
Es profitieren zum einen alle Tier- und Vogelarten, die ein ähnliches Beutespektrum wie der Weißstorch aufweisen, zum anderen auch die Beutetiere selbst. Zu
den von Vernässung, Extensivierung und gestaffeltem Mahdregime profitierenden Beutetieren zählen z. B. Amphibien, Reptilien und Gliedertiere wie Insekten,
Spinnen oder Würmer.
6. wie sie das Gefahrenpotenzial für die Störche beurteilt im Blick auf die Brutgebiete in Baden-Württemberg, die Zugrouten von und zu den Überwinterungsgebieten sowie die Überwinterungsgebiete;
Zu 6.:
Es gibt sowohl auf dem Zugweg, in den Überwinterungsgebieten als auch in den
Brutgebieten immer noch erhebliche Verluste beim Weißstorch durch Stromtod
und Kollision mit Leitungen. Betroffen sind dabei vor allem die Jungstörche. Die
4
Landtag von Baden-Württemberg
Drucksache 15 / 2152
Verluste im Brutgebiet können bei ihnen fünf Prozent oder mehr betragen. Auch
Altstörche verunglücken jedes Jahr an Freileitungen. Als besonders gefährlich haben sich Mittelspannungsmaste insbesondere mit Stütz- und Abspannisolatoren
erwiesen. Abhilfe soll die unter Ziffer 3 erwähnte VDE-Anwendungsregel zum
Vogelschutz an Freileitungen schaffen. In Baden-Württemberg ist die durch § 41
Bundesnaturschutzgesetz vorgeschriebene Sicherung von Mittelspannungsleitungen bereits Ende des Jahres 2002 auf Basis der damals gültigen Vorgaben erfolgt.
Entsprechend dieser Vorgaben gesicherte Maste (z. B. mit inzwischen als unwirksam erkannten Büschelabweisern) müssen dann nachgerüstet werden, wenn dort
nachweislich ein Storch oder eine andere gefährdete Vogelart getötet wurde oder
die vorhandenen Sicherungseinrichtungen unwirksam wurden.
Ein weiterer nicht unerheblicher Gefährdungsfaktor im Brutgebiet ist der Straßenverkehr. Schließlich müssen der zunehmende Müll in der Landschaft oder mangelhaft abgedeckte Mülldeponien in der Nähe von Storchenhorsten genannt werden. Ins Nest eingetragene Gummiringe, verrottende Säcke und Ballenschnüre
führen immer wieder zum Tod der Jungen im Nest.
Auf dem Zugweg und in den Überwinterungsgebieten gehören Freileitungen
ebenfalls zu den Hauptgefahren, obwohl auch in Frankreich und Spanien vermehrt Anstrengungen zur Sicherung von Masten unternommen wurden. Im Überwinterungsgebiet Spanien – viele der in Baden-Württemberg lebenden Störche
überwintern dort auf den Müllkippen – sind die Vögel nach Aussage eines spanischen Experten außerdem durch Aufnahme von Schwermetallen sowie durch
Gummibänder und Bierdosen, in denen sie sich mit den Füßen verheddern, bedroht.
Windenergieanlagen (WEA) sind in Spanien ebenfalls für den Tod von Störchen
verantwortlich, bisher sind dort 41 Opfer bekannt. In Baden-Württemberg spielen
WEA bisher nur eine untergeordnete Rolle als Gefährdungsfaktor. Auf Ziffer 7
wird verwiesen
7. welche Risiken für die Störche insbesondere im Zusammenhang mit dem Ausbau der Windenergienutzung im Land gesehen werden und wie diesen entgegengewirkt wird.
Zu 7.:
Aus Deutschland sind bisher 22 Verluste von Weißstörchen an WEA bekannt, die
meisten Opfer gab es in Brandenburg. Ein toter Weißstorch wurde im Jahr 2004
unter einer WEA bei Karlsruhe gefunden. Bei einer Erhöhung der WEA-Dichte
ist mit einer steigenden Anzahl von Verlusten bei Brutpaaren und deren Nachkommen zu rechnen, sofern nicht entsprechende Abstände zu den Horsten und
den Flugkorridoren zu den Hauptnahrungsgebieten eingehalten werden. Hinzu
kommt ein Gefährdungsrisiko beim Zug. Der Windenergieerlass Baden-Württemberg (Gemeinsame Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Umwelt, Klima
und Energiewirtschaft, des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz, des Ministeriums für Verkehr und Infrastruktur und des Ministeriums für
Finanzen und Wirtschaft vom 9. Mai 2012 – Az.: 64-4583/404) enthält Hinweise
zur Berücksichtigung des Weißstorchs und anderer windkraftempfindlicher Arten
bei der Planung und der immissionschutzrechtlichen Zulassung von WEA. Diese
werden durch die von der LUBW veröffentlichten „Hinweise für den Untersuchungsumfang zur Erfassung von Vogelarten bei Bauleitplanung und Genehmigung für Windenergieanlagen“ vom 21. Mai 2012 ergänzt.
Bonde
Minister für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz
5