Emden-Wuerstchen
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Emden-Wuerstchen
Seite 1 Ferienjournal Nr. 287/7, von Oktober 1990 Das einstige „Würstchen“ der Brissago-Inseln feiert seinen 80. Geburtstag Dr. Erika Sauer Für Leser, die es noch nicht wissen sollten: „Würstchen“ kommt in diesem Fall von „Hanswurst“. Doch der Reihe nach: Frau Sigrid Renata Loup, besser gesagt, Madame Loup, sitzt mir gegenüber und nimmt meine Glückwünsche zu ihrem kommenden 80. Geburtstag mit einem lachenden und einem weinenden Auge entgegen. Lachend weil sie sich noch einer guten körperlichen und geistigen Verfassung erfreut, einen kleinen, aber ausgewählten Freundeskreis besitzt, und immer noch verschiedene Tätigkeiten ausübt. Weinend: Weil der plötzliche Tod von Monsieur Loup vor vier Jahren nach 40-jähriger glücklicher Ehe noch nicht ganz überwunden ist. Auf meine Bitte, mir von ihrem bisherigen Leben eine kurze Schilderung zu geben, geht Madame Loup gerne ein. Manche Begebenheiten werden ausführlicher und mit viel Humor erzählt. Sigrid Renata Jacobi stammt aus einer angesehenen Grosskaufmannsfamilie in Hamburg. Sie wächst dort auf, der Vater ist brasilianischer Konsul. – „Das war ein Glück für mich“, meint mein Gegenüber, „denn dadurch hatte ich auch einen brasilianischen Pass und wurde mit 18 Jahren volljährig.“ Die Brasilianerin nimmt nunmehr ihr Leben selbst in die Hände. Sie kommt auf die Brissagoinseln und verlebt dort mit dem neuen Inselherrn dreizehn paradiesische Jahre. Dr. Max Emden hatte das junge, schlanke, hübsche Mädchen in Lugano kennen gelernt. Altersmässig hätte er dessen Vater sein können. Das ist kein Hindernis. Die beiden lieben sich und lieben das Leben. Der Inselherr schätzt den Schalk, die Schlagfertigkeit und überhaupt das heitere Wesen von Sigrid Renata. Sie verhilft ihm damit, manch niedergedrückte Stimmung zu überwinden. Er nennt sie daher „Würstchen“ (ein kleiner Hanswurst als Psychotherapeut). Das Leben auf der Insel ist wie ein wunderschöner Traum. Viele interessante Leute kommt auf Besuch, z.B. Aga Khan mit der Begum, Baron Thyssen mit Frau, Baron Eduard von der Heydt, Erich Maria Remarque, Edwin Fischer u.v.a. Nach kurzer Krankheit stirbt Dr. Emden im Jahre 1940. „Würstchen“ verlässt die Insel und zieht vorerst nach Ascona. In den folgenden Jahren bewährt sie sich in vielen Situationen, sie betreibt zwei Pensionen, ein Reformgeschäft, bringt dessen Produkte auf den Wochenmarkt nach Locarno, bekleidet auch sonst leitende Stellen im Verkauf. Ein Sohn Dr. Emdens, aus seiner geschiedenen Ehe vor Würstchens Zeit auf der Insel, erbt die Inseln und verkauft sie später dem Kanton Tessin. Madame Loup kann verstehen, dass die Öffentlichkeit den Botanischen Garten (seit 1950), das Restaurant im Inselpalast und dort auch das Postamt schätzt. Sie selbst betrat die Inseln nie mehr. Mit dem Kennenlernen von Monsieur Loup (er sollte ihr Flugunterricht erteilen) tritt wieder eine grosse Wende in ihrem Leben ein. Mit ihm, einem gut aussehenden Sportstyp, einem Militärflieger und Ingenieur, zieht Madame Loup in die deutsche Schweiz. Sie ist wieder in verschiedenen Berufsbranchen tätig. 1976 macht sie sich selbständig und betreibt vierzehn Jahre lang ein Geschäft für Medizinalbekleidung in der Nähe des Kantonsspitals. Auch Monsieur Loup hilft manchmal im Geschäft mit, ist aber hauptamtlich als Ingenieur bei der Firma Sulzer tätig. An und für sich ist das Geschäft ein Einmann- bzw. in diesem Fall ein Einfraubetrieb, den die Besitzerin Sigrid Renata Loup mit grossem Charme und Engagement leitet. Viel zu früh steht „Würstchen“ (von ihren Asconeser und Zürcher Freunden noch immer so genannt) wieder allein da. Nach dem Tod des immer verständnisvollen Ehemannes braucht die Witwe eine lange Zeit der Trauerarbeit, ja man kann sagen Jahre. Die berufliche Tätigkeit ist eine Ablenkung, ein kleiner Trost. Madame Loup führt das Geschäft erfolgreich weiter bis zum Sommer 1990. Ich kann das Foto gerade noch vor der Geschäftsübergabe in jüngere Hände machen. Wie steht doch auf dem Bootshaus der Brissagoinseln geschrieben? „AUCH LEBEN IST EINE KUNST“. Dr. Max Emdens Wahlspruch kann einerseits das Geniessen der Erdentage und andererseits das Bewältigen schwieriger Lebenssituationen bedeuten. „Würstchen“, die lebende Legende der Brissagoinseln, lebt danach; der Spruch könnte für alle gültig sein! Auf der folgenden Seite der Bericht zu Würstchens Helenchen ... Seite 2 Ferienjournal Nr. 296/8 von Dezember 1991 Dur c h gla nzv olle, aber au c h sc h were Zeiten stets eine treue Gefä hrtin. Geden k blatt für „Helen c hen“ von Dr. Erika Sauer Auch „Helenchen“, wie sie von den ihr Nahestehenden genannt wurde, lebte viele Jahre auf den Brissagoinseln – als persönliche Kammerfrau von „Würstchen“. Insgeamt war „Helenchen“ 49 Jahre in Diensten bei derselben, geschätzten Arbeitsgeberin, dem „Würstchen“ und der späteren Madame Loup. Nach den legendären Insel-Jahren führte „Helenchen“ die Casa Daumier (so genannt, wegen der Lithographien von Honoré Daumier im Hause), die seinerzeit von Martin Buber eingeweiht worden war, und in der viele bekannte Künstler, wie z.B. Paula Wesley, in Ascona abstiegen. Das Haus, ein Eigentum von „Würstchen“, wurde 1950 an den Antiquar Peter Kohler verkauft. Helenchen folgte dem Ehepaar Loup nach Zürich. Erst im 85. Lebensjahr, im Dezember 1986, ging sie altershalber in ihre liechtensteinische Heimat zurück, zuerst zu Verwandten, dann in ein Heim. Kurz vor ihrem 90. Geburtstag, im Sommer 1991, ist „Helenchen“ gestorben. 49 Jahre in „treuen Diensten“ – tempi passati.