Authorship (new)
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Authorship (new)
Titus Andronicus T he Lamentable Tragedy of Titus Andronicus ist der vollständige Dramentitel, so wie er im First Folio von 1623 erschien. Die Entstehungszeit dieser kruden und blutigen Rachetragödie ist nur schwer einzugrenzen, so dass ein Zeitraum zwischen 1588 und 1593 angenommen wird. Belegt ist auf jeden Fall durch Henslowes Tagebucheintrag ein Aufführungsdatum am 24. Januar 1594 und im gleichen Jahr erscheint ein QuartoDruck mit dem Titel The Most Lamentable Romaine Tragedie of Titus Andronicus (siehe vorstehendes Titelblatt).1 Später sollte Ben Jonson in seiner Komödie Bartholomew Fair (1614) über die Beliebtheit von so altmodischen Stücken wie Titus Andronicus und The Spanish Tragedy spotten, so dass aus seinen Zeithin- 1 Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/52/ Shakespeare_ Titus_Andronicus_Q1_1594.jpg weisen auch ein Entstehungsdatum um oder vor 1590 möglich ist (Shakespeare Handbuch, S. 492). Während von Koppenfels bereits Kompositionsprinzipien ausmachen kann, die für den späteren Shakespeare charakteristisch sind (S. 493), ist die Autorenschaftsfrage nicht eindeutig auf Shakespeare festgelegt. Stilometrische Untersuchungen, die Thomas Merriam an Titus Andronicus und den drei Henry VI Dramen durchgeführt hatte, und zwar mit ausgewählten Funktionswörtern und Buchstabenhäufigkeitsvorkommen, unterschieden zwischen Marlowe- und Shakespearetextteilen. Auch MacDonald Jacksons Argument, dass George Peele den ersten Akt zu Titus Andronicus beisteuerte,2 ist bereits angeführt worden. Beide Positionen sind zu hinterfragen. Mit Hilfe der Rolling-Delta-Prozedur des Statistikpakets R gewinnen wir eine differenzierte Aufschlüsselung. Folgende Referenztexte wurden nach mehreren Testreihen mit anschließendem Ausschluss der ungeeigneten Texte für die Analyse herangezogen: row_whenysee1603.txt; mun_downfall1598.txt; peele_edwardi1593.txt; kyd_soliman1592.txt; greene_Jamesiv1591.txt; kyd_spanishtrag1592.txt; shak_richiii1592.txt; shak_shrew1590.txt; mar_massacre1593.txt; mar_1tamburlaine1585.txt Im nächsten Schritt wurden verschiedene Fenstergrößen ausgetestet, und es ergaben sich zwei wesentliche Aspekte. Die Fenster- 2 Merriam, Thomas. “Heterogeneous Authorship in Early Shakespeare and the Problem of Henry V,” Literary and Linguistic Computing, Vol. 13, No. 1,1998, S. 15-28 größe von 1000 Worten mit einem Überlappungsschritt von 200 Worten und dem Cullingwert 0, der alle Werte einbezieht, brachte in Verbindung mit Buchstaben-Trigrammen (MF3C) die besten Ergebnisse. Die stark verallgemeinernde Tendenz größerer Fenster wich einer verfeinerten Differenzierung, ohne der Gefahr zu unterliegen, Ergebnisse auf einer statistisch zu geringen Datenmenge aufzubauen. Der andere Aspekt betrifft die Identität der Ergebnisse unabhängig davon, ob Akte oder Gesamttexte ausgewertet werden. Ab einer Fenstergröße von 2000 Worten aufwärts und einem Überlappungsschritt von 1000 Worten waren hingegen regelmäß Diskrepanzen zwischen Gesamttext- und Aktaufnahmen zu verzeichnen. Für die praktische Durchführung der Analysen bot sich somit die Aufteilung der Texte in ihre einzelnen Akte an, und Gesamttexte wurden nur dann analysiert, wo eine Gesamtübersicht sinnvoll erschien. Bevor die Beschreibung der Grafiken beginnt, kommen die 5 Akte von Titus Andronicus nacheinander zur Darstellung. Dabei liegt der erste Messpunkt bei 500 Worten und gibt die Häufigkeit aus dem Bereich zwischen 0 und 1000 Worten an. Der zweite Messpunkt ist dann um 200 Worte nach rechts verschoben, liegt also bei 700 für den Bereich von 200 bis 1200 Worten. Abbildung 1 Akt I - Titus Andronicus - MF3C (1000) Abbildung 2 Akt II - Titus Andronicus - MF3C (1000 Abbildung 3 Akt III - Titus Andronicus - MF3C (1000 Abbildung 4 Akt IV - Titus Andronicus - MF3C (1000 Abbildung 5 Akt V - Titus Andronicus - MF3C (1000) Annähernd die erste Hälfte des ersten Akts in Abbildung 1 liegt Marlowes Tamburlaine 1 stilistisch am nächsten, weist aber auch Ähnlichkeiten zu Shakespeares Richard III und Kyds Spanish Tragedy auf, die zusammen die zweite Hälfte des ersten Akts bestimmen, wobei Kyds Stil mehr Dominanz aufweist. Im zweiten Akt (Abbildung 2) weist der niedrigste Deltawert Thomas Kyd als wahrscheinlichen Autor der ersten Szene aus, während II,2 mit Shakespeare verbunden ist. Allerdings liegt Greenes Referenztext James IV wie auch zu Beginn von II,3 in unmittelbarer Nähe. Der weitaus überwiegende Teil von II,3 enthält jedoch die Stilistik Shakespeares mit Richard III als relevantem Referenztext. Für II,4 ist wie schon am Anfang Kyds Rachetragödie The Spanish Tragedy mit jeweils niedrigen Deltawerten zu notieren, gefolgt von Richard III, wie auch schon umgekehrt im letzten Teil von II,3 The Spanish Tragedy Richard III folgte. Der dritte Akt (Abbildung 3) verzeichnet eine deutliche Kyd/Shakespeare-Kombination, wobei letzterer in III,1 mehr hervortritt und III,2 an Kyd geht. Wie die Kollaboration (oder Textübernahme) konkret aussieht, bleibt jedoch offen, nicht zuletzt auch deshalb, weil eine mögliche Beteiligung Kyds an Richard III noch abzuklären ist. Im vierten Akt (Abbildung 4) gehört Kyd IV,1 und sein stilistischer Einfluß wird in IV,2 von Richard III abgelöst. In IV,3 zeigen sich Affinitäten zu The Taming of the Shrew, aber Samuel Rowleys You Know Me When You See Me macht sich dominant bemerkbar, wohingegen dessen Einfluß in IV,4 wiederum von Kyd abgelöst wird. Das urplötzliche Auftauchen eines ansonsten nicht in Erscheinung getretenen Autors wirft die Frage nach den Gründen für dessen Prominenz auf. Anstelle einer realen Kollaboration wäre eine Übernahme textlicher Versatzstücke aus dessen Repertoire jederzeit denkbar. Auch die zeitlichen Umstände der Entstehung könnten eine Rolle spielen, und der Vorverweis auf Rowleys maßgebliche Autorenschaft im Zusammenhang mit Thomas of Woodstock sei schon einmal angedeutet. Der fünfte Akt (Abbildung 5) zeigt nur wenige stilistische Bevorzugungen eines bestimmten Referenztextes. V,1 ist auf eine un- differenzierte Kombinatorik von Kyd und Shakespeare festgelegt, die sich in V,2 fortsetzt und erst in V,3 Auflösungen zugunsten von Richard III erfährt, so dass der dramatische Abschluß eher auf Shakespeare zurückzuführen ist. Wie unschwer zu erkennen ist, widerspricht die dargelegte Kyd/Shakespeare Symptomatik völlig den bisherigen stilometrischen Ergebnissen und Forschungen, die in den letzten siebzig Jahren betrieben worden sind. John Dover Wilson etwa favorisierte wie viele andere die Theorie, dass Shakespeare und Peele zusammenarbeiteten, [Dover Wilson (1948: xxxvi–xxxvii)] und Hills Analyse der rhetorischen Mittel führte 1957 zu der Zuordnung von Akt I, Akt II,1 und IV,1 zu Peele [Hill (1957: 60–68)]. Macdonald Jackson analysierte seltene Worte und kam zu gleichen Ergebnissen wie Parrott, Timberlake und Hill in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts.3 Die gleichen Zuordnungen wurden noch einmal 1987 bestätigt durch Analysen der Betonungen in den iambischen Pentameterzeilen (Marina Tarlinskaja)4 und 1996 durch Macdonald Jackson mit einer Analyse der Funktionswörter "and" und "with". Abgesehen von Herausgebern, die auch die alleinige Autorenschaft Shakespeares behaupteten (Eugene M. Waith, Alan Hughes und Jonathan Bate), zielte auch die zuletzt erschienene und möglicherweise vollständigste Untersuchung von Brian Vickers in seinem Buch5 Shakespeare, Co-Author auf Peele als Autor von Akt I, II,1 und IV,1 [Vickers (2002: 219–239)]. Zitiert nach Macdonals P. Jackson. Studies in Attribution: Middleton and Shakespeare (Salzburg: Salzburg University Press, 1979), 147–153 4 Marina Tarlinskaja. Shakespeare's Verse: Iambic Pentameter and the Poet's Idiosyncrasies (New York: P. Lang, 1987), 121–124 5 Brian Vickers. Shakespeare, Co-Author: A Historical Study of Five Collaborative Plays (Oxford: Oxford University Press, 2002) 3 Tatsächlich lässt sich dieses Ergebnis auch mit der RollingDelta-Prozedur simulieren, und zwar durch die Beschränkung in der Auswahl der Autoren-Referenztexte auf Shakespeare und Peele und durch die Reduzierung des Untersuchungsansatzes auf die relativen Worthäufigkeiten. Abbildung 6 Titus Andronicus Akt I – MF1W (15) Abbildung 7 Titus Andronicus Akt II – MF1W (15) Abbildung 8 Titus Andronicus Akt III – MF1W (15) Abbildung 9 Titus Andronicus Akt IV – MF1W (15) Abbildung 10 Titus Andronicus Akt V – MF1W (15) Für Shakespeares The Taming of the Shrew und Peeles Edward I gibt es insgesamt nur 15 Funktionsworte, die in beiden Dramen vorkommen. Es ist unmittelbar einleuchtend, dass eine Grundgesamtheit von Daten in dieser Größenordnung nicht ausreicht, um verlässliche Ergebnisse zu erbringen. Autoren für noch kleinere Texteinheiten zu benennen, ist ein zusätzliches Wagnis, das selbst die Rolling-Delta-Prozedur bei kurzen Szenen von wenigen hundert Worten nur unvollkommen ausgleichen kann. Als Ergebnis für Titus Andronicus bleibt also die überraschende Autorenkombination Shakespeare/Kyd, die für den Zeitrahmen der Entstehung der beiden Rachetragödien The Spanish Tragedy und Titus Andronicus von Relevanz sein könnte. In diesem Zusammenhang sei an Eric Sams Analyse des Verhältnisses der zeitgenössischen Autoren zueinander erinnert.6 Insbesondere aus den Schriften Greenes und seines Zöglings Nashe entnimmt er zahlreiche Invektiven gegen zwei Autoren, die nicht den University Wits angehörten, und deren Erfolg in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre den Widerspruch Greenes und Nashes nährten. (S. 65 ff.) Sie hießen William Shakespeare und Thomas Kyd. Maschinenlern-Algorithmen sind eine weitere Möglichkeit der Autorenbestimmung, indem sie aus einem Trainingssatz an Texten Klassifikatoren entwickeln, die auf den oder die Texte im Zielordner Anwendung finden und Übereinstimmung angeben oder die Fehlklassifikation benennen. Hier gibt es nun mit dem DeltaVerfahren ein überraschendes Ergebnis. Mit den beiden Kyd- 6 Eric Sams. The Real Shakespeare – Retrieving the Early Years, 1564 – 1594, New Haven & London: Yale Univ. Press, 1995 Texten im Trainingsordner wurden folgende Fehlklassifikationen ausgegeben: shak_1titus1592 --> kyd (delta score: 9.3232 ) shak_2titus1592 --> kyd (delta score: 7.6429 ) shak_3titus1592 --> kyd (delta score: 14.6567 ) shak_4titus1592 --> kyd (delta score: 8.4443 ) shak_5titus1592 --> kyd (delta score: 9.3011 ) shak_titus1592 --> kyd (delta score: 6.5467 ) 300 MFW , culled @ 0%, 0 of 0 (NaN%) General attributive success: 0 of 0 (NaN%) Die beiden Shakespearetexte im Trainingsordner verzeichneten hingegen folgenden Zuordnungserfolg: 300 MFW , culled @ 0%, 6 of 6 (100%) General attributive success: 18 of 18 (100%) Damit verschieben sich die Gewichtungen vorerst auf Shakespeare als Autor, aber der immense Einfluss von Thomas Kyd ist unverkennbar. Da die Spanish Tragedy in ihrer Entstehung zwischen 1582 und 1592 angesiedelt ist, wäre auch für Titus Andronicus ein sehr frühes Entstehungsdatum vorstellbar. Jonsons Hinweis auf das Alter der Spanish Tragedy wie auch von Titus Andronicus ergäbe einen Zeitraum zwischen 1584–89. Da Hinweise auf die Niederlage der Armada 1588 fehlen, wird 1587 als wahrscheinliches Jahr der Fertigstellung angesehen. Aber das ist nur eine Meinung unter vielen. Hughes legt Entstehung und Aufführung in das Jahr 1588, Maxwell 1589, Berthoud hält 1591 für das Entstehungsjahr, Waith und Taylor plädieren für 1592 und Jonathan Bate legt Gründe für 1593 dar.7 Ein wichtiges Indiz ist auch Henslowes Anmerkung 7 Dover Wilson und Gary Taylor, "The Canon and Chronology of Shakespeare's Plays", in Stanley Wells, Gary Taylor, John Jowett und William Mont- „ne“, die er 1594 in seinem Tagebuch machte. Die beiden Herausgeber des Diary Foakes und Rickert verstehen darunter auch ein “neu” zensiertes Schauspiel. Das würde ein neues Licht werfen auf die Titelblattangaben von Q1, die auf die Schauspieltruppen des Earl of Derby, des Earl of Pembroke und des Earl of Sussex verweisen. Waith hatte argumentiert, dass die Pembroke’s Men das Stück nach ihrer katastrophalen Tour durch die Grafschaften während der Pestzeit an die Sussex’s Men hatten verkaufen müssen, nachdem sie es zuvor von der Derby-Truppe übernommen hatten. Foakes und Rickert beziehen “ne” jedoch auf eine neue Überarbeitung, die von Shakespeare 1593 vorgenommen worden wäre. Auch Wilson und Taylor hatten Anzeichen für Editionsmerkmale in Q1 entdeckt. Um die Komplexität der Zuordnungen noch zu erweitern, sei auch noch auf Frazers Einlassung verwiesen, der “ne” für eine Abkürzung für das Theatergebäude Newington Butts hält.8 Zusammenfassend lässt sich aus dem Kontext der kritischen Ein- und Zuordnungen und den eigenen stilometrischen Ergebnissen die Hypothese formulieren, dass (1) Titus Andronicus der direkten Zusammenarbeit von Kyd und Shakespeare entsprang, oder (2) die Tragödie des Titus Andronicus von Thomas Kyd etwa im gleichen Zeitraum wie The Spanish Tragedy geschrieben wurde und wahrscheinlich 1592 für die Aufführungen durch die Lord Strange’s Men im Januar eine Überarbeitung durch Shakespeare erfuhr. Schließlich verweist Sams auf eine bisher kaum beachtete Besonderheit vieler Texte, nämlich ständige Überarbeitungen, so dass die gomery (eds.), William Shakespeare: A Textual Companion (Oxford: Oxford University Press, 1987), 69–144 8 Winifred Frazer, "Henslowe's "ne"", Notes and Queries, 38:1 (Spring, 1991), 34–35 erste Folioausgabe die neu hinzugefügte Szene III.ii. aufweist (S. 169). Eine solche Konstellation ist zumindest auf Grund der stilometrischen Ergebnisse dieses Kapitels möglich, wenn auch nicht endgültig beweisbar. Auch der auf MF1W gegründete Bootstrap-Konsensbaum verortet Titus Andronicus zusammen mit Shakespeares Richard III und Kyds The Spanish Tragedy, wie der nachfolgende Ausschnitt belegt. Abbildung 11