Richelsdorfer Gespräche - AHG Allgemeine Hospitalgesellschaft

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Richelsdorfer Gespräche - AHG Allgemeine Hospitalgesellschaft
3.
Richelsdorfer
Gespräche
mit Hr. Priv. Doz. Dr. Reinhardt Kreische zum Thema
„Paarbehandlung“
1
Beiträge und Referate der
FACHKLINIK RICHELSDORF
Klinik für soziopsychosomatische Krankheiten
Am Kirchrain 2a • 36208 Wildeck-Richelsdorf
Tel.: (06626) 92 22-0 • Fax: (06626) 92 22-129
e-mail: Fachklinik-Richelsdorf@T-Online.de
web: www.kte-ag.de/richelsdorf.htm
IK-Nr. 51 066 13 51
Träger:
KTE Gesellschaft für Krankenhaus + Therapieeinrichtungen mbH
& Co. Fachklinik Richelsdorf KG
Indikationen:
Behandlung von Alkohol- und/oder Medikamentenabhängigkeit
Individuelle Therapieangebote:
Auffang-/Rückfallbehandlungen, Paarbehandlungen,
Intervalltherapien, Behandlung von suchtkranken schwangeren
Frauen und jungen Müttern mit Kindern (Säuglinge, Klein- und
Schulkindern), Arbeitstrainings- und Integrationsphase für arbeitslose Suchtmittelabhängige
Kosten- und Leistungsträger:
Renten- und Krankenkassenversicherungsträger, Sonstige
Voraussetzungen für die Aufnahme:
Freiwilligkeitserklärung, abgeschlossene Entgiftungsbehandlung,
Kostenzusage des Leistungsträgers
Therapieansatz:
Psychoanalytisch-interaktionelle Psychotherapie mit den
Schwerpunkten:
• Fokussierung auf die bisherige Beziehungsdynamik
• die Bedeutung des Suchtmittelgebrauchs in diesem
Zusammenhang
• lösungsorientierte Entwicklungsförderung
Behandlungsdauer:
8-12 Wochen (bei Verlängerung bis 16 Wochen)
Therapieziele:
• Abstinenz
• familiäre, soziale und berufliche Wiedereingliederung
• Verbesserung der Bewältigungsstrategien in Konfliktsituationen
Behandlungsplätze: 72
Therapeutisches Team:
Ärzte, Psychologen, Pädagogen, Sozialarbeiter, Sporttherapeuten,
Gestaltungstherapeuten, Werktherapeuten, Krankenschwestern
und -pfleger
Besonderheiten:
Die Fachklinik Richelsdorf ist ein kleines, überschaubares Haus,
das durch begleitender Einzeltherapie und eine flexible
Therapiedauer (8-16) Wochen ein hohes Maß an individueller
Behandlung bietet.
Aufnahmeleitung:
Telefon: (0 66 26) 92 22-222, Telefax (0 66 26) 92 22-129
Richelsdorfer Gespräche
Inhaltsverzeichnis
Seite
Vorwort............................................................................................................................3
Einführung in die
Paartherapie .................................................................................................................7
Priv. Doz. Dr. Reinhard Kreische
-2-
Beiträge und Referate der
Vorwort
Einleitung
Die Paarbehandlung in der Fachklinik Richelsdorf
Nicht nur Beziehungsaufnahmen in der stationären Behandlung
(das sogenannte "Pairing"), sondern auch das gemeinsame
Leben von zwei alkoholabhängigen Partnern in der Abstinenz
wurde in der Vergangenheit als eher schädlich empfunden.
Noch heute wird in der Selbsthilfebewegung die Meinung vertreten, dass zwei alkoholabhängige Partner sich nicht unterstützen,
sondern dass sie sich gegenseitig in ihrer Abstinenz gefährden.
Durch neue Erfahrungen in der Fachklinik Richelsdorf (v.a. dem
veränderten Umgang mit dem "Pairing", also der
Beziehungsaufnahme zweier gegengeschlechtlicher
PatientInnen) wurde die Vorgehensweise bei alkoholabhängigen Paaren reflektiert. Das bisherige Verfahren, die Partner
entweder nacheinander oder, wenn gleichzeitig, dann in zwei
verschiedenen Kliniken zu behandeln, führte häufig zur
Trennung und anderweitigen Beziehungsaufnahmen, ohne
dass die Beziehungsgestaltung konstruktiver geworden wäre.
Insgesamt war ein eher schlechtes Therapieergebnis bei dieser
Vorgehensweise zu beobachten.
Es wurde daher im Jahre 1998 erstmalig der Versuch einer
gemeinsamen stationären Behandlung von zwei alkoholabhängigen Partnern gemacht. Schon die ersten Versuche zeigten
überraschend gute Ergebnisse, so dass dieses Konzept fortgeführt wurde.
Das spezielle Paarkonzept der Fachklinik Richelsdorf basiert auf
den Erfahrungen und dem Konzept aus der ambulanten tiefenpsychologisch fundierten Paartherapie, die R. Kreische seit den
80er Jahren in der Abteilung für Familientherapie der Universität
Göttingen durchführt. Es wurde entsprechend den
Möglichkeiten des stationären Settings und den besonderen
Bedürfnissen unserer suchtkranken PatientInnen modifiziert.
Gemeinsame und getrennte Anteile werden parallel bzw. verschachtelt angeboten:
Getrennt
-
Gemeinsam Wahlweise
-
Zimmer, Gruppe und Psychotherapeut, CoTherapie
Paargespräche, Angehörigenseminar,
Heimfahrt
Freizeit, Freizeittraining, Indikative
Gruppen
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Richelsdorfer Gespräche
Durch die hohe Therapeutendichte des stationären Settings ist es
möglich, daß jeder der beiden Partner nicht nur in einer eigenen
Therapiegruppe, sondern auch mit einem eigenen Therapeuten
die individuelle Lebensgeschichte aufarbeitet und ein dritter
Therapeut die Paargespräche leitet.
Mit ihren Therapeuten und ihrer Therapiegruppe besprechen die
PatientInnen die Schwierigkeiten, die sie mit sich und anderen
Menschen, aber auch mit ihrem Partner haben, erkennen mit Hilfe
ihrer Gruppe, wie diese Partnerprobleme mit ihrer
Beziehungsgeschichte zusammenhängen und suchen Wege für
eine andere Form der Beziehungsgestaltung. Diese neuen
Formen können sie im Klinikalltag erproben, die Erfahrung aus
dem Paargespräch in ihrer Gruppe reflektieren.
Dabei wird darauf geachtet, dass der Paartherapeut mehr
Moderator als Therapeut ist, der dabei hilft, dass
Auseinandersetzungen gelingen, dass möglichst angst- und
schamfrei auch über problematische Aspekte der Beziehung
gesprochen werden kann. Die Paargespräche beginnen 2 - 4
Wochen nach Behandlungsbeginn.
Eine Paargruppe war vor allen Dingen für eines unserer Paare
hilfreich, das Schwierigkeiten in der Paarbeziehung sehr lange
abwehren musste. Im Einzelpaargespräch hielten die beiden
Partner die Illusion der konfliktfreien Partnerschaft aufrecht. Nur
sehr selten wurden auch aggressive Aspekte deutlich. Erst über
die Auseinandersetzung, die sie in der Paargruppe bei anderen
erleben konnten, konnten sie die scheinbare Konfliktfreiheit als
Mangel erfahren und vorsichtig beginnen, Schwierigkeiten
anzusprechen, ohne, wie befürchtet, die Beziehung in Gefahr zu
bringen. Das dürfte dazu beigetragen haben, die Gefahr zu
vermindern, zur Erhaltung der Paarhomöostase letztendlich doch
wieder zum Alkohol zu greifen, der über viele Jahre und
Jahrzehnte die beiden Partner zusammengehalten hatte. Neue
Erlebnis-, Kontakt- und Beziehungsmöglichkeiten zu Anderen
wurden eingeübt.
Nur bei einem Paar, das sich angemeldet hatte zu einer Therapie
gemeinsam mit den Kindern (Anlass, die Entwöhnungsbehandlung zu beantragen war die durch das Jugendamt veranlasste Unterbringung der Kinder in einer Pflegefamilie), das im
Vorgespräch, als beide noch alkoholisiert waren, die
Partnerschaft als harmonisch und unproblematisch beschrieb,
war eine Trennung die Folge der gemeinsamen Behandlung.
Da wir Schwierigkeiten vermuteten, nahmen wir das Paar
zunächst ohne die Kinder auf, mit der Möglichkeit, die Kinder
nachzuholen, wenn ein Arbeitsbündnis entstanden war. Schon in
den ersten Behandlungswochen zeigte sich, dass eine
Paartherapie wohl nicht erfolgreich sein würde. Beide Partner
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Beiträge und Referate der
bezichtigten sich gegenseitig, ohne dass dies reflektierbar
wurde, der Schuld an den individuellen Schwierigkeiten.
Gemeinsamkeiten waren weder in der Freizeit möglich noch in
der Paargruppe, in die das Paar aufgenommen wurde, nachdem
im Einzelpaargespräch kein Erfolg erzielt werden konnte.
Schließlich trennten sie sich während ihres stationären Aufenthaltes und blieben auch nachher getrennt. Der Mann
trank sehr bald wieder, die Frau ist abstinent und lebt in einer
Einrichtung. Die Kinder blieben zunächst in der Pflegefamilie.
Katamnese
Wir haben Paare aus unterschiedlichen sozialen Schichten und
Altersgruppen behandelt. Drei Paare waren mehr als 25 Jahre
verheiratet (ein Paar beging seine "Perlhochzeit" während des
Aufenthaltes), die anderen waren 4 - 5 Jahre zusammen. 6 Paare
hatten sich alkoholkrank zusammengefunden.
Über eine Telefonbefragung wurden nach einer Katamnesezeit
von 5 - 17 Monaten eigen- und fremdanamnestische Angaben zur
Abstinenz der ersten 16 PatientInnen, die an der Paartherapie in
Richelsdorf teilgenommen hatten, erhoben. Wir sprachen mit
Beratern und Betreuern, die die Abstinenzentwicklung realitätsgerecht und professionell einschätzen konnten.
14 der 16 PatientInnen, darunter alle Frauen, waren abstinent
geblieben. 2 Männer waren rückfällig, der eine noch mit seiner
(abstinenten) Lebensgefährtin zusammenlebend und nach
Angaben der betreuenden Beratungsstelle zumindest "gebessert", insofern als er bis zum
Befragungszeitpunkt
Alkoholexzesse vermeiden konnte. Der zweite Patient lebte von
der Partnerin nach der Therapie getrennt und trank wieder exzessiv.
Diejenigen, die vor der Behandlung im Arbeitsprozess standen,
hatten ihren Arbeitsplatz behalten. Ein Mann nahm mit Erfolg seit
über einem Jahr an einer Umschulungsmaßnahme des
Arbeitsamtes teil, seine behinderte Lebensgefährtin hatte einen
Arbeitsplatz in Aussicht. Eine weitere vor der Therapie arbeitslose Patientin hatte eine feste Arbeitsstelle gefunden.
Kontakt zur vorbereitenden Beratungsstelle hatten noch 10
PatientInnen, 2 im Rahmen einer ambulanten Therapie (2 weitere hatten die ambulante Nachsorgerehabilitation bereits abgeschlossen) die anderen eher locker und unregelmäßig. Der jetzt
allein stehenden Frau war es gelungen, in einer
Nachsorgeeinrichtung für Frauen unterzukommen, ein Paar
kehrte nach der Behandlung in eine nicht abstinente
Wohngemeinschaft zurück.
Bei einem Besuch der Klinik erzählte ein Ehepaar von einer
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Richelsdorfer Gespräche
Situation mit manifester Rückfallgefährdung bei einer dreitägigen Feier mit extremem Alkoholkonsum der anderen Gäste.
Durch ein Gespräch über den "Suchtdruck" konnten sie diesem
erfolgreich widerstehen. Die Partner nutzten die gemeinsame
Therapieerfahrung zur Stabilisierung der Abstinenz. Dabei
wurde das in der Klinik gelernte angstfreie Ansprechen auch
konflikthafter oder belastender Gedanken und Impulse als
hilfreich und entlastend erlebt.
Auch von drei weiteren Paaren berichteten Beratungsstellen von
einer deutlich verbesserten Fähigkeit zur Auseinandersetzung
und Kompromissbildung und damit von einer anhaltenden
Verbesserung der Beziehungsfähigkeit und -gestaltung.
Zusammenfassung
Das stationäre Paarbehandlungskonzept zweier alkoholabhängiger Partner, das sowohl getrennte als auch gemeinsame
Therapieanteile verbindet, erweist sich nach den bisherigen
Beobachtungen im Gegensatz zu den ursprünglichen
Erwartungen als eine erfolgreiche Behandlungsstrategie mit einer
hohen Abstinenzquote.
Literatur:
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Anhalt, R.: Das System Familie und der therapeutische Umgang damit in der
konkreten Arbeit in Angehörigenseminaren und -gesprächen. In: Beiträge und
Referate der ersten Richelsdorfer Gespräche, Wildeck 1998.
Hinz, H.: Der Begriff des "Pairing" - eine differenzierte Betrachtung und individuelles
Vorgehen. In: Suchtbehandlung, Entscheidung und Notwendigkeiten, Schriftenreihe
des Fachverbandes Sucht, Geesthacht 1999.
Kreische R.: Die Behandlung von neurotischen Paarkonflikten mit paralleler
analytischer Gruppentherapie für beide Partner. In: Zeitschrift für Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik, Band 21, Heft 4, Seite 237, Göttingen und
Zürich 1986.
Kreische, R.: Paartherapie in zwei Systemen. Zur Kombination von Paartherapie und
paralleler Gruppentherapie für beide Partner. In: Zeitschrift für
Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik Band 26, Heft 3, Seite 245, Göttingen
und Zürich 1990.
Schmidt, G.: Sucht-"Krankheit" und/oder Such(t)-Kompetenzen. Sonderdruck in:
Beiträge und Referate der ersten Richelsdorfer Gespräche, Wildeck 1998.
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Beiträge und Referate der
Der
Referent
Herr Priv. Doz. Dr. Kreische
Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalyse,
Leiter des psychoanalytischen Institutes in Göttingen
Einführung in die Paartherapie
In dem Krimi "Die Akte Harrison" lässt Dorothy Sayers, die auch Freud gerne gelesen
hat, einen Psychiater sagen: "Die Hälfte meiner Patienten kommt zu mir, weil sie nicht
verheiratet sind. Die andere Hälfte, weil sie es sind." So ähnlich verhält es sich auch in
einer modernen psychoanalytisch-psychotherapeutischen Praxis. Viele psychische
Erkrankungen, vor allem die so genannten Persönlichkeitsstörungen, gehen mit
Störungen der zwischenmenschlichen Beziehungen einher. Und dies wirkt sich in den
engsten zwischenmenschlichen Beziehungen, die wir kennen, in den Paarbeziehungen
und Familien, besonders stark aus. Diese Tatsache macht es bereits wahrscheinlich,
dass die Arbeit im paartherapeutischen Setting, häufig indiziert ist, so dass es gut ist,
wenn wir Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker etwas davon verstehen.
Paartherapie ist die psychotherapeutische Behandlung von Patientinnen und Patienten
mit psychischen, psychosomatischen und somatopsychischen Erkrankungen im paartherapeutischen Setting. Sie unterscheidet sich von der Ehe- und Partnerberatung, die
vor allem der Verbesserung von Paarbeziehungen dient.
Ich werde über die Paartherapie aus psychoanalytischer Sicht sprechen, aber nicht nur.
Die Psychoanalyse tat sich ja eher schwer auf dem mühsamen Weg von FREUDs
skeptischen Äußerungen von 1912, in denen er seine "völlige Ratlosigkeit", "was die
Behandlung der Angehörigen betrifft" eingesteht und "auf deren individuelle
Behandlung überhaupt wenig Zutrauen" setzt, bis zur Gegenwart, in der zum Beispiel
FÜRSTENAU (1985) "die Wahl des veränderungsoptimalen Systembezugs" als eine
"entscheidende strategische Operation des Psychoanalytikers" postuliert.
Für die psychoanalytische Beschäftigung mit Paarbeziehungen stellten die objektbeziehungstheoretischen Untersuchungen der ehelichen Beziehung von DICKS (1967) eine
wichtige Grundlagenarbeit dar. In der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie
wird der Einfluss realer Beziehungen des Menschen zu wichtigen Beziehungspersonen
("Beziehungsobjekten") auf die intrapsychisch repräsentierten, im Gedächtnis abgespeicherten Erinnerungsspuren von diesen Beziehungen (die intrapsychischen
Repräsentanzen des Individuums) erforscht und umgekehrt der Einfluss dieser intrapsychischen Repräsentanzen auf die Wahrnehmungs-, Affekt- und
Verhaltensdispositionen im Umgang mit anderen Menschen. Von DICKS stammt der
Begriff der "Kollusion" (lat. colludere = zusammenspielen). Kollusion ist eine Form
ehelicher Beziehungen, bei der die Neurosen der Partner zueinander passen wie
Schlüssel und Schloss. Im deutschsprachigen Raum wurde das Kollusionskonzept in
Zürich von WILLI (1975, 1978) aufgegriffen und unter stärkerer Berücksichtigung
triebdynamischer Gesichtspunkte erweitert.
Psychogene Erkrankungen gehen mit Erlebens- und Verhaltensstörungen einher, die
oft zu Beziehungsstörungen führen. Sie sind durch sich wiederholende dysfunktionale
Verhaltensweisen und Interaktionen gekennzeichnet. Solche Beziehungsstörungen
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Richelsdorfer Gespräche
wirken sich in den Gegenwarts- und Herkunftfamilien der Patienten, in denen meist die
engsten und intensivsten sozialen Kontakte gelebt werden, besonders stark aus.
Belastungen in der Paarbeziehung und der Familie wirken wiederum auf die psychischen Erkrankungen zurück und können diese verstärken oder stabilisieren.
Wahrscheinlich aus diesem Grunde leiden Paare mit neurotischen Partnerproblemen
meist unter mittelgradigen bis starken psychischen oder psychosomatischen
Symptomen (KREISCHE 1992). SENF (1987) fand heraus, dass Partnerkonflikte die
Prognose von Patienten mit psychischen Erkrankungen verschlechtern. Außerdem
können neurotische Partnerkonflikte und die mit ihnen zusammenhängenden chronischen Spannungen in Familien zu Neuerkrankungen weiterer Mitglieder des familiären
Systems, vor allem auch von bisher nicht erkrankten Kindern, führen.
Persönlichkeitsstörungen (sog. Charakterneurosen) führen nicht direkt zu psychischen
oder psychosomatischen Symptomen. Der Weg ist vielmehr ein indirekter. Die
charakterneurotischen Veränderungen führen zu Beziehungsstörungen, und die
Belastung durch die Beziehungsstörungen führt zu Symptomen (KREISCHE 1992).
Schwellensituationen des Lebens (z.B. Schwangerschaft, Geburt, berufliche
Veränderungen, Umzüge, Krankheiten und Todesfälle in der familiären Umgebung, die
sogenannte "midlife -crisis") können bei allen Menschen zu Identitätskrisen und zu
Irritationen in Partnerbeziehungen führen (KREISCHE 1994). Im allgemeinen kommt es
in solchen Phasen bei einigen oder bei allen beteiligten Familienmitgliedern zu
Regressionen im Dienste des Ichs, durch die adaptive Umstrukturierungsprozesse und
die Progression in ein neues Entwicklungsstadium ermöglicht werden: sowohl bei den
Individuen als auch in der Paarbeziehung und der Familie.
Wenn beträchtliche Störungen in der bisherigen Persönlichkeitsentwicklung bereits
vorliegen oder wenn aufgrund des Ausmaßes der aktuellen Belastung ein neuer
Entwicklungsschritt nicht bewältigt werden kann, kommt es zu pathologischen
Regressionen. In diesen Fällen sind adaptive Umstrukturierungen erschwert oder
unmöglich. Statt dessen entwickeln die beteiligten Partner typische stereotype,
dysfunktionale Erlebens- und Interaktionsmuster, die unbehandelt oft chronifizieren. Mit
solchen Störungen von Krankheitswert setzen wir uns in der Paartherapie auseinander.
Bei den Persönlichkeitsstörungen werden die dysfunktionalen stereotypen Erlebensund Verhaltensmuster vom Individuum durch den Einsatz von individuellen
Abwehrmechanismen stabil gehalten. In partnerschaftlichen und anderen
zwischenmenschlichen Beziehungen kommt es darüber hinaus zu den Abwehrformen
der psychosozialen Kompromissbildungen. Hierbei führen mehrere Personen durch
einen wechselseitigen Austausch von verbalen und nonverbalen Zeichen und Signalen
eine Form des Umgangs miteinander herbei, die der Abwehr unlustvoller Zustände der
einzelnen Mitglieder des familiären oder gruppalen Systems dient und die gleichzeitig
den Zusammenhalt des Systems gewährleistet (HEIGL-EVERS 1967, BROCHER
1967, MENTZOS 1976). Kollusionen in Paarbeziehungen sind besonders stabile
psychosoziale Kompromissbildungen, weil die Interaktionspartner sie oft in einem
jahrelangen Prozess miteinander entwickelt haben.
WILLI (1975) beschreibt narzisstische, depressive, zwanghafte und hysterische
Kollusionen. Hierbei befinden sich beide Partner auf einem ähnlichen
Triebfixierungsniveau ("direkte Kollusionen"). Die Schlüssel-Schloss-Relation findet
sich in diesen Kollusionen aufgrund der Übernahme einer "progressiven" Position durch
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Beiträge und Referate der
den einen und einer "regressiven" Position durch den anderen Partner. Bei den häufigen
"gekreuzten Kollusionen”(KÖNIG und KREISCHE 1985a, 1985b, 1994) ist das
Triebfixierungsniveau verschieden, wie z. B. bei der Kollusion zwischen einer hysterischen Frau mit einer zwanghaften Latenz und einem zwanghaften Mann mit einer
hysterischen Latenz. Hier sind Wünsche und Impulse, die für einen Partner so ängstigend sind, dass sie abgewehrt und unbewusst gehalten werden müssen, beim anderen
Partner bewusst und somit an der psychischen Oberfläche, so dass sie von ihm gelebt
werden können. Beim anderen Partner ist es umgekehrt. Auf diese Weise kann jeder im
anderen das Abgewehrte gleichzeitig bekämpfen und partizipierend genießen.
Auch systemische Therapeuten, die sich darum bemühen, in einer Paarbeziehung die
systemimmanenten Regeln zu verändern, um das Symptom, das durch diese Regeln
stabilisiert wird, zum Verschwinden zu bringen, arbeiten an solchen psychosozialen
Kompromissbildungen. Das Konzept der psychosozialen Kompromissbildungen geht
insofern über die systemische Sicht hinaus, als es intrapsychische Repräsentanzen bei
der Wahrnehmung und Beschreibung der untersuchten interpersonellen Phänomene
berücksichtigt. Systemische Therapeuten richten ihre Aufmerksamkeit auf manifeste
Interaktionsphänomene. Die Sichtweise systemischer Therapeuten ähnelt damit der
phänomenologisch-deskriptiven psychiatrischen Sichtweise. Das psychoanalytische
Konzept der psychosozialen Kompromissbildung steht zu dieser Betrachtungsweise
nicht im Widerspruch, sondern es erweitert sie um die intrapsychische Dimension.
Das will ich Ihnen jetzt anhand meines klinischen Beispiels etwas erläutern.
Um Ihnen einen ersten Eindruck von der dort vorliegenden Kollusion zu vermitteln,
spiele ich Ihnen jetzt den Anfang eines diagnostischen Paargespräches vor. Das
Patientenpaar hat sich freundlicherweise mit der Verwendung der Tonbandaufnahmen
in Vorlesungen einverstanden erklärt.
Angekündigt wurde mir aber auch gar keine Kollusion, sondern eine Patientin von 38
Jahren. Sie kam mit ihrem Ehemann, der ein Jahr älter ist. Das Paar ist seit 15 Jahren
verheiratet und hat zwei Kinder von 13 und 11 Jahren. Die Patientin war in einer psychotherapeutischen Klinik wegen einer seit einem Jahr bestehenden Herzphobie stationär
behandelt worden. Die Symptomatik war dort vollständig verschwunden. Das Ergebnis
war jedoch noch nicht stabil. Die Behandlung sollte deshalb ambulant fortgesetzt werden. Der Kollege aus der Klinik hatte bereits Auffälligkeiten in der Partnerbeziehung
festgestellt. Das erste Gespräch mit diesem Paar begann folgendermaßen:
Beispiel 1:
Therapeut: ... wie Sie an unsere Adresse gekommen sind.
Mann:Durch Dr. A.
Therapeut: Ah ja.
Mann: Und zwar unser Psychotherapeut in der Klinik, das war Herr Dr. B. und an den
hatten wir jetzt noch mal, äh, nachdem wir nicht mehr weiter wussten,
zurückgewandt und, äh, er empfahl uns dann Dr. A., ne?, und der sagt selber,
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Richelsdorfer Gespräche
dass er eben überlastet ist, und das ist wohl allgemein so auf diesem Gebiet,
ne? Und der empfahl dann eben Ihre Adresse.
Therapeut: Und wer war in der Klinik von Ihnen?
Mann: Meine Frau.
Frau: Ich war ...
Mann: Und zwar ging es da …
Therapeut: Sie sind jetzt noch da oder?
Frau: Nein.
Mann: Nein, seit...
Frau: Seit dem 31. März bin ich zu Hause.
Therapeut: Ja.
Mann: Seit dem 1. April praktisch.
Therapeut: Hmhm.
Mann: Und hingekommen ist sie mit Herzrasen bis zur Todesangst, konnt' sich nicht in
engen Räumen aufhalten, verbunden mit ...
Frau: Angstzustände, keine Luft...
Mann: Ja und das hat er weggekriegt, der Dr. B. Und was zurückgeblieben ist oder neu
jetzt rausgekommen ist, das ist eben die Depression und ...
Frau: Und Angst...
Mann: Ja eben.
Frau: Ja ...
Mann: Und dann waren wir erst zunächst mal... hatten wir uns angemeldet bei Dr. C.,
der
ist ja nun Psychotherapeut auch und, ja und, da hatten wir dann einen Termin
gehabt für in sechs Wochen später oder so.
Frau: Ja.
Mann: Ich weiß nicht, und der machte dann auch gleich dieses ...
Frau: EEG.
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Beiträge und Referate der
Mann: Gehirnströme messen. Und da war aber nichts Wesentliches zu bemerken, also
gar nichts kann man sagen.
Therapeut: Ja.
Mann: Das wäre ganz normal. Ja und dann haben wir gewartet, wie das nun weitergeht,... haben wir gesagt, das ist eigentlich Quatsch, dass der noch mal mit
anfangen... und so weiter, ne? Da hatten wir das jedenfalls wieder abgeblasen
bei dem.
Therapeut: Ja.
Mann: So, und flankierend waren wir dann beim Hausarzt gewesen, der hat dann so,
wie soll man sagen, dämpfende oder, was weiß ich, stabilisierende Mittelchen
gegeben und das war wohl nicht das richtige, dann fing er auch an mit der ImapSpritze.
Frau: Ja.
Mann: Ne?, praktisch, die sollte jetzt irgendwie beruhigend wirken, was weiß ich, was
die bewirken sollte.
..........
Mann: ... und jetzt sind wir bei Dr. D. in...
Frau: Das ist ein Homöopath, ist das.
Mann: … Behandlung, der ist in X-Dorf, das ist ein Homöopath, ja, und der versucht da
jetzt irgendwie so echt nervenstärkende Mittel zu geben, ne?
Therapeut: Hmhm.
Mann: Und das ist eigentlich der Stand der Dinge.
Frau: Vitamin-B-Spritzen auch.
Mann: Und weil wir gute Erfahrungen nun gemacht haben, hier mit dieser
Besprechungstherapie...
Therapeut: Ja.
Mann: Das ist ja weggegangen, dieses Herzrasen, und da hat sie ja nun höchstens
noch mal Bedenken oder Angst davor, dass das mal wiederkommt.
Frau: Dass es wiederkommt. Aber Angst habe ich trotzdem noch. Kann nur mit
meinem Mann unterwegs sein.
Mann: Äh, ja und was.
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Richelsdorfer Gespräche
Frau: Allein kann ich irgendwo gar nicht...
Mann: Was übriggeblieben ist ja eben, sie kann jetzt nicht alleine in die Stadt gehen, gar
nicht groß, ne? und äh...
Frau: Gar nichts.
Mann: Jetzt habe ich auch...
Frau: … Urlaub genommen.
Mann: Wie lange bin ich jetzt zu Hause, praktisch schon so über 14 Tage bin ich jetzt
zu Hause.
Was fällt hier auf?
Die Patientin kommt fast nicht zum Zuge. Der Mann wirkt dominant und zieht das
Gespräch an sich. Was Sie nicht hören können, was ich jedoch im therapeutischen
Gespräch sehen konnte, ist, dass immer dann, wenn ich eine Frage direkt an die
Patientin richtete, sie einen kurzen, hilfesuchenden Blick zu ihrem Mann hinüberschickte, der dieses Signal sofort aufnahm und die Frage dann für die Patientin beantwortete.
Offensichtlich ist es also nicht nur so, dass der Mann seine Frau nicht zum Zuge kommen lässt, sondern dass die Frau den Mann auch dazu veranlasst. Der Mann hat hierzu
offensichtlich eine große Bereitschaft, und an manchen Stellen fällt er seiner Frau sogar
dann ins Wort, wenn sie selbst einmal die Initiative ergreift und etwas sagen will.
So etwas ist, wie Sie wissen, typisch für phobische Erkrankungen. Die Phobiker tun
weniger als sie eigentlich könnten. Sie wählen oft Partner, die gerne die Fäden in der
Hand haben und die damit eine große Bereitschaft mitbringen, dem phobischen
Patienten viel abzunehmen. In welcher Familienatmosphäre ein Mensch zu einem
ängstlichen Menschen werden kann, der sich selbst weniger zutraut als er eigentlich
kann, der übermäßig besorgt und auch ein wenig hypochondrisch ist, hören wir, wenn
wir jetzt noch etwas weiter in die Therapiesitzung hineinhorchen.
Beispiel 2 :
Frau: Ja...
Mann:... und weil sonst die Mutter, ihre Mutter, ne?, die läuft dann wie so ein
aufgescheuchtes Huhn rum und fühlt sie sich auch beobachtet und so weiter, ne.
Das ist auch nicht das Wahre.
Therapeut: Sie wohnen in der Nähe Ihrer Mutter?
Frau: Ja, an sich in Grone, aber die kommt dann aber.
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Beiträge und Referate der
Mann:Nein, die wohnt in Grone, kommt mit dem Bus.
Frau: Und denn ist ihr die Kinder zu viel. Und denn sagt sie, du hast ja selbst schuld.
Mann:Die Kinder sind 13 und 11.
Frau: Hast immer so viel Medikamente genommen und...
Mann:Der Junge 13, die Tochter 11.
Frau: Und wenn irgend etwas ist, ach Gott, ach Gott, 'nen Arzt rufen und die macht ...
Therapeut: Die ist sehr beunruhigt dann.
Frau: Die macht mich dann so unruhig, ja und das überträgt sich dann auf mich und
dann kriege ich wieder Angst und...
Therapeut: Ah ja, hmhm.
Frau: Und zum Kochen kommt sie ja, weil ich im Moment, ich kann gar nicht richtig.
Bei einer solchen Phobikermutter, die jeden Schritt in die Selbständigkeit des Kindes mit
ängstlichen bis panischen Blicken verfolgt, gewinnt ein Kind den Eindruck , dass alle
expansiven Aktivitäten, die es gerade unternehmen will, etwas sehr Gefährliches sind.
Solche Kinder unterlassen nach einiger Zeit dann vieles an expansivem, neugierigem
und aggressiven Verhalten, was sie altersentsprechend eigentlich schon könnten. Sie
trauen sich schließlich weniger zu, als ihren Fähigkeiten entspricht. Und sie erlangen
wenig Übung im Umgang mit expansiven Impulsen.
Eine zweite Gruppe von Müttern ist eher distanziert. Sie haben wenig Geduld, wenn sie
ihren Kindern etwas beibringen und entmutigen ein Kind beim Erwerb verschiedenster
sozialer Kompetenzen. Auch dieses Verhalten kann in einem Kind den Eindruck entstehen lassen, dass es weniger kann als es in Wirklichkeit könnte.
In beiden Fällen entsteht das Ergebnis "phobische Persönlichkeitsstruktur", natürlich
nicht durch ein einmaliges Verhalten solcher Mütter in besonderen Situationen, sondern
nur dann, wenn ein solches Verhalten chronisch auf das Kind einwirkt. Die Mutter aus
unserem Fallbeispiel gehört offensichtlich in die erstgenannte Gruppe.
Unsere Patientin und ihr Ehemann berichten nun noch von weiteren Arztbesuchen bei
Hausärzten, Psychiatern, Psychotherapeuten, Internisten. Die Schilderung wurde
immer dramatischer. Das Paar wirkte dabei gleichzeitig immer verzweifelter und hilfloser. In mir entstand ein zunehmender Handlungsdruck, ein Impuls, schnell helfend
eingreifen zu wollen, was man vielleicht so umschreiben könnte: "Hier muss schnell
etwas geschehen, egal was!" Dieses Gefühl ist eine bekannte Reaktion von
Psychotherapeuten, aber auch von organmedizinischen Ärzten und natürlich von
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Richelsdorfer Gespräche
Angehörigen und Freunden, wenn sie mit Phobikern zu tun haben, ein Gefühl, das
ausgelöst wird durch die Hilflosigkeit, die die Patienten einem vermitteln, durch die
hilfesuchenden Blicke und durch die oft kindlich anmutende Haltung, mit der sie sich
einem anvertrauen, um nicht zu sagen, ausliefern.
Ein erfahrener Psychotherapeut, der seinem phobischen Patienten zu der Erfahrung
verhelfen will, dass er mehr kann als er sich selbst zutraut, muss in all diesen Fällen
leider etwas unhöflich sein und diesem Impuls widerstehen. Wenn der Patient einen
Satz nicht zu Ende spricht, sagt er zum Beispiel: "Sie haben Ihren Satz nicht beendet",
wobei er eventuell noch ergänzt: "Sie tun dies in einer Art und Weise, als meinten Sie, ich
müsste Ihnen jetzt helfen. Ich glaube aber, wenn Sie es probieren, werden Sie merken,
dass Sie es auch selbst können."
Mit der folgenden Intervention versuche ich zunächst, die in mir spontan entstehenden
Impulse, der Patientin und ihrem Partner schnell zu helfen und viel abzunehmen, entgegenzuwirken und das Paar gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass wir zunächst in Ruhe
diagnostizieren und anschließend erst handeln wollen.
Beispiel 3 :
Therapeut: Nun müssten wir mal gucken, ob das, was wir hier in unserer Abteilung
anbieten können, für Sie in Frage kommt. Dazu dient ja dieses Gespräch.
Als ich jetzt darauf zu sprechen komme, dass das Paar ja zusammen gekommen ist und
ob es wohl irgend etwas gibt, was in ihrer Ehe problematisch ist, erfahre ich zunächst,
dass - wie der Ehemann sagt - die Welt bei ihnen zu Hause eigentlich in Ordnung ist.
Danach allerdings erfahre ich von der Ehefrau etwas über die auslösende Situation ihrer
herzneurotischen Erkrankung:
Beispiel 4 :
Frau: Und jetzt kommt noch dazu, mein Mann soll am offenen Herz operiert werden
und seitdem ich das weiß...
Mann: Das war wohl mehr der Auslöser.
Frau: Ist mir gar noch ein Auslöser so zusätzlich, weiß ich seit letzten Mai, ne?
Therapeut: Ja.
Mann: Ja.
Therapeut: Was ist denn da bei Ihnen?
Mann: Und zwar der Ausgang vom Herzen, das wär' verengt, also Muskulatur zu viel,
haben die gesagt.
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Beiträge und Referate der
Therapeut: Ja.
Mann: Und dadurch eben ein Druckgefälle im Herzen, also das drückt gegen die Wand
praktisch, Düsenwirkung praktisch, und weil das nun außen in dem Bereich von
so 'ner Klappe ist, da können sie dann aber nur mit offenem Herzen entscheiden,
ob da eine neue Herzklappe eingebaut wird oder nicht und dann soll die Welt
eigentlich in Ordnung sein, bin auch der Ansicht, das müsste ganz gut gehen im
Klinikum, ne?, das ist ja bekannt in Göttingen, dass die das gut machen.
Therapeut: Ja.
Mann: Und da steht jetzt noch ein Untersuchungstermin aus, wo sie jetzt also, ich hatte
schon ein Herzkatheter gehabt, wo man eben so festgestellt hat, ne?, also von
der Leiste und von der Armvene und...
Therapeut: Auch hier in Göttingen?
Mann: Ja.
Therapeut: Beim Internisten wahrscheinlich oder?
Mann: Ja, in der Universitätsklinik und da wollten sie da jetzt noch ein Herzkatheter
machen, bei dem sie jetzt hier die Muskelströme da messen wollen und sehen,
was sie wegschneiden können, also weil man das ja nicht gleichmäßig aktiv ist.
Therapeut: Ja.
Mann: Und diese Untersuchung steht noch aus und dann der Termin, was noch
gemacht werden soll. Das ist das.
Therapeut: Das beunruhigt Sie mehr als Ihren Mann oder?
Frau: Ja, habe ich Angst vor, ob ich das durchstehe, ja.
Jetzt haben wir auf einmal zwei Patienten. Der Mann hat eine organische
Herzerkrankung. Sie haben gehört, wie er selbst darüber spricht: wie ein Techniker über
ein defektes Auto. Typische Gefühle, wie man sie erwarten könnte, wenn man die
Diagnose einer potentiell lebensbedrohlichen Erkrankung mitgeteilt bekommt, nämlich
Angst oder eine gewisse Depressivität, finden sich bei ihm nicht. Die lebensgefährliche
körperliche Erkrankung des Mannes wird bagatellisiert, die ebenfalls schwere
psychische Erkrankung der Frau wird dramatisch noch weiter aufgeblasen, und zwar
von beiden Partnern. Hier muss ich einen kurzen Exkurs machen und ein paar Worte
sagen zu dem, was wir Psychotherapeuten kontraphobisches Verhalten nennen. Es gibt
Menschen mit phobischen Persönlichkeitsanteilen, deren Selbstwertgefühl es nicht
zulässt, Angst zu empfinden oder angstmachende Situationen zu vermeiden. Wenn sie
Angst hätten, würden sie sich schwach und lebensunfähig fühlen. Sie haben zusätzlich
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Richelsdorfer Gespräche
zu der phobischen noch eine narzisstische Problematik. Manchmal führt das dazu,
dass sie angstauslösende Situationen geradezu aufsuchen, um sich immer wieder zu
beweisen, dass sie ihnen keine Angst machen. So gibt es Bergsteiger und
Fallschirmspringer mit einer Höhenphobie und in einer Klinik habe ich einmal einen
Nachtwächter mit Dunkelangst kennen gelernt. So ausgeprägt ist das bei dem
Patienten, den ich Ihnen hier vorstelle, nicht. Sein Umgang mit der angstmachenden
Erkrankung hat jedoch deutlich kontraphobische Züge. - Die Frau dagegen hat Angst.
Und beim Gespräch über die Erkrankung des Mannes gebraucht sie eine eigenartige
Formulierung, die Sie bereits gehört haben und die ich Ihnen jetzt noch einmal
vorspiele.
Beispiel 5 :
Frau: Ja, hab' ich Angst vor, ob ich das durchstehe, ja.
Die Frau hat nicht in erster Linie Angst, ob der Mann die Operation übersteht, sondern
ob sie das durchsteht. Hier verschwimmen in eigenartiger Weise die Grenzen zwischen
Ich und Du. Ein ähnliches Phänomen findet sich auch beim Ehemann, wenn er davon
spricht, dass "wir die Imap-Spritze bekommen haben", dass "wir zum Arzt gehen müssen". Die Beziehung weist hier einen symbioseähnlichen Charakter auf.
Wenn man sich vergegenwärtigt, wie abhängig eine Frau mit einer schweren Phobie
sich von ihrem Partner fühlt und dass sie den Eindruck hat, ohne ihn nicht lebensfähig
zu sein, dann macht dieser eigenartige Satz allerdings einen Sinn: Ich habe Angst
davor, ob ich das durchstehe.
Hören wir jetzt noch einmal den Mann mit seiner kontraphobischen Art der
Problembewältigung und lassen uns dann von ihm die auslösende Situation genau
beschreiben.
Beispiel 6:
Mann: Na ja, nun, das lässt sich eben nicht vermeiden. Gemacht werden muss es ja
praktisch, weil später, wenn man das verschlampt, ne? dann würde das zu
Spätfolgen führen, sagt man, das würde auslatschen wie ein Schuh. Wenn man
am Herzen was mal hätte, sagen wir Herzinfarkt, wenn das Ding mal stehen
bleibt, dann kriegt man das nicht mehr in Gang, weil eben dieses Druckgefälle
im Herzen ist, und das wäre dann absolut tödlich, ne?
Therapeut: Ist das per Zufall entdeckt worden oder haben Sie irgendwelche
Beschwerden?
Mann: Kann man sagen, kann man sagen. Also es ist so, meine Frau hat, wie eben, wir
haben gesagt, turnusmäßig also jetzt gehen wir mal wieder zum Arzt, ne?,
Blutsenkung und so weiter und so fort und waren wir bei Dr. E. gelandet, ne?,
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Beiträge und Referate der
der ist Internist und tja, ich hatte früher schon mal ein EKG machen lassen beim
anderen Hausarzt und sagt er, ja, die Kurve und dann hat er bedenklich den Kopf
gewackelt, dann hat er gesagt, das ist nicht so schlimm oder so, hat mir dann
irgendwelche Pillen gegeben, na, man hat das dann bald wieder vergessen, ich
sollte die wohl dauernd nehmen. Ja, und er sagte also diese Kurve, diese Kurve,
ne? Da wusste er auch nicht so richtig, was er davon halten sollte und also an
und für sich, sagen wir mal, nach der Kurve wie so ein 60-jähriger, der kaum die
Treppe hochkommt, ne? Trotzdem hat er mich dann aufs Rad gespannt und
leistungsmäßig hat das wohl hingehauen, er wusste jedenfalls nicht so richtig,
hat's Herz geröntgt, ne? und der Muskel wäre wohl wesentlich zu groß, ja, er
wollte mit Dr. F. von der Universitätsklinik sprechen.
Therapeut: Ja.
Mann: Und so ist das auch dann verblieben, und nach einem Jahr war die Frau wieder
bei ihm, irgendwie waren wir zusammen in Behandlung und ich fragte, was da
nun geworden ist, er wollte doch mit Prof. F. gesprochen haben, na und dann
dauerte es nicht lange, dann kam ein Anruf, ne?, also er hätte nun einen Termin
klargemacht für mich in der Universitätsklinik und den sollte ich auf jeden Fall
wahrnehmen, sagte er zu meiner Frau, ich könnte jeden Moment tot umfallen,
ne?, praktisch und das war wohl der Auslöser mit.
Eine solche Aussage: "Ihr Mann kann jeden Augenblick tot umfallen" würde wohl jeden
von uns erschrecken. Aber nicht jeder von uns würde dann eine Herzphobie entwickeln.
Wenn ich Ihnen nun die psychodynamischen Hypothesen erläutere, die dem
Verständnis der Herzphobie zugrunde liegen, so kann ich Ihnen dies nicht mehr aus
unserem Fallbeispiel alleine zufriedenstellend ableiten. Hierzu bedarf es Hunderter von
Untersuchungen solcher Patienten und zahlreicher psychoanalytischer Behandlungen,
in denen das unbewusste Material bewusst gemacht wird. Solche Untersuchungen
wurden durchgeführt, zum Beispiel von Richter und Beckmann, von Hoffmann,
Mentzos, Greenson und hier in Göttingen von König.
Neben vielen anderen Befunden, die zum Teil auch kontrovers diskutiert werden, darf
inzwischen wohl als gesichert gelten, dass die phobischen Patienten sowohl ihren
primären Beziehungspersonen gegenüber, aber auch späteren Beziehungspersonen,
zum Beispiel dem Ehepartner gegenüber, hochambivalent eingestellt sind. Einerseits
fühlen sie sich von ihnen abhängig und glauben, ohne sie nicht leben zu können, so
dass diese Beziehungspartner für sie, für das eigene Überleben so wichtig werden wie
das eigene Herz. Andererseits empfinden sie diese Abhängigkeit aber zunehmend als
einengend, sie fühlen sich immer unfreier, so dass sie von diesem einengenden Objekt
loszukommen wünschen, dass sie ihm gegenüber Aggressionen entwickeln bis hin zu
Tötungswünschen, die dann aber gleichzeitig wieder gefährlich sind, weil die eigene
Unselbständigkeit so groß ist.
Vielleicht besitzt es eine gewisse Plausibilität für Sie, wenn ich Ihnen aus diesen
Untersuchungen und aus der eigenen klinischen Praxis sage, dass der Hinweis der
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Richelsdorfer Gespräche
Sprechstundenhilfe: "Ihr Mann kann jeden Augenblick tot umfallen" bei unserer
Patientin gleichzeitig zwei entgegengesetzte Reaktionen ausgelöst hat: Auf der einen
Seite die schon geschilderte Angst: "Ich glaube nicht, dass ich das überstehen werde."
Diese Angst ist der Patientin bewusst. Daneben entstand aber gleichzeitig der Impuls:
"Na endlich, dann bin ich ihn los; dann bin ich endlich frei." Dieser Impuls ist unbewusst
und wird erst im Laufe einer psychoanalytischen Behandlung bewusstseinsfähig.
Diese spannungsgeladenen entgegengesetzten Impulse projiziert der herzphobische
Patient auf sein lebenserhaltendes Organ, das Herz, und dies löst die Angst aus, das
Herz könnte stehen bleiben. Dass Projektionen nicht nur auf andere Menschen,
sondern auch auf Gegenstände und Organe möglich sind, hängt mit der Fähigkeit des
Menschen zu symbolischem Denken zusammen. In unserem Fall erhält sowohl der
Partner als auch das Herz die symbolische Bedeutung eines lebensnotwendigen
Objekts.
Ist der Konflikt bearbeitet und hat außerdem die eigene Selbständigkeit zugenommen,
dann verliert der Partner die Bedeutung, für das eigene Überleben notwendig zu sein.
Dadurch haben Aggressionen in der Partnerbeziehung nicht mehr diese vital
bedrohliche Bedeutung, und die Symptomatik verschwindet.
Nachdem diese Dynamik in der Paarbeziehung deutlich geworden war, entschloss ich
mich zu einer paartherapeutischen Krisenintervention. Ich wies die Frau erneut in eine
psychotherapeutische Klinik ein. Damit nahm ich ihm den Grund, die Operation
aufzuschieben, die dringend indiziert war. Ich konnte jetzt auf seine Angst einwirken und
erreichen, dass er sich operieren ließ. Außerdem informierte ich die chirurgischen
Kollegen über die abgewehrten, aber dennoch vorhandenen erheblichen Ängste des
Mannes vor der Operation. Ich machte mit dem Paar aus, dass sie sich nach der
Operation des Mannes und dem stationären Aufenthalt der Frau erneut an mich wenden
könnten, wenn sie dies möchten. Das Paar kam jedoch nicht mehr, weil die
Symptomatik der Ehefrau nach der Operation des Mannes völlig verschwand. Ob es in
der stationären Therapie der Frau
gelungen war, die zugrunde liegende
Konfliktdynamik ausreichend zu bearbeiten, so dass damit die Ursache der Phobie
bereits beseitigt war, oder ob die phobische Kollusion weiterbestand, nun aber wieder in
kompensierter Form, muss wohl offen bleiben.
Paartherapie wird bei direkten Kollusionen am häufigsten in Form der gleichzeitigen
Behandlung des Paares durch einen Therapeuten oder eine Therapeutin durchgeführt.
Die Behandlung durch ein Therapeutenpaar findet sich überwiegend in Institutionen. In
manchen Fällen ist es auch möglich, dass ein Therapeut oder ein Therapeutenpaar mit
einer Gruppe von 4 oder 5 Paaren gruppentherapeutisch zusammenarbeitet.
Bei gekreuzten Kollusionen empfiehlt sich die sukzessive Therapie des Paares
zunächst im paartherapeutischen Setting mit einer anschließenden Behandlung beider
Partner in zwei parallelen analytischen oder psychoanalytisch orientierten Gruppen
(KREISCHE 1986a, 1990). Hier wirkt sich schon die Indikationsstellung therapeutisch
förderlich aus, die es den beiden Partnern erlaubt, dass jeder etwas für sich tut, was die
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Beiträge und Referate der
Kollusion destabilisiert. Außerdem lassen sich die projektiven Identifizierungen und die
psychosozialen Kompromissbildungen in den Gruppen in der Beziehung zu Fremden in
statu nascendi bearbeiten, wodurch jeder Partner besser als im paartherapeutischen
Setting erkennen kann, was er selbst dazu beiträgt, dass dysfunktionale
Beziehungsmuster entstehen.
Im Konzept der projektiven Identifikation wird die Bedeutung unbewusster innerseelischer Prozesse für die Paar- und Familiendynamik besonders deutlich. Projektive
Identifikation ist nach M. KLEIN (1946) ein Abwehrmechanismus, mit dessen Hilfe das
Subjekt in seiner Phantasie sein Selbst in das Innere des Beziehungsobjekts einführt,
um ihm zu schaden, es zu besitzen oder zu kontrollieren. In der Weiterverarbeitung
dieses Konzeptes durch OGDEN (1979), SANDLER (1976) und K.KÖNIG (1982a,
1982b, o.J.) wird ein interaktioneller Anteil der projektiven Identifikation herausgestellt.
Das Objekt wird mithilfe "unbewusster Manipulation" (K.KÖNIG 1984) dazu gebracht,
den übertragenen Selbst-Anteilen des Subjekts wirklich ähnlich zu werden. Projektive
Identifikation ist durch den Wunsch nach Konfliktentlastung motiviert.
Im Gegensatz dazu ist es bei der Übertragung so, dass wir aus einem Bedürfnis nach
"Familiarität" (K.KÖNIG 1982a) heraus die Menschen, mit denen wir umgehen,
unbewusst so beeinflussen, dass sie vertrauten Beziehungspersonen aus unserer
Primärsozialisation ähnlich werden. In dieser primären Sozialisation haben wir
bestimmte Affekt- und Verhaltensdispositionen entwickelt, mit denen wir uns
auskennen, die jedoch begrenzt sind und am besten in Interaktionen mit Personen
passen, die den frühkindlichen Sozialisationsobjekten ähnlich sind. Da dies aber nicht
auf alle Personen, mit denen wir es später zu tun bekommen, zutrifft, beeinflussen wir
diese, und zwar überwiegend unbewusst, in einer Art und Weise, die diese Ähnlichkeit
vergrößert. Übertragung ist durch den Wunsch nach Familiarität motiviert (K.KÖNIG
o.J.).
In den psychoanalytischen Konzepten von der projektiven Identifikation und der
Übertragung wird davon ausgegangen, dass besonders bei neurotischen
Entwicklungen die Fähigkeit zur Anpassung an veränderte Umwelteinflüsse
beeinträchtigt ist, so dass der Abwehrmechanismus der projektiven Identifikation dazu
verhelfen kann, die Umwelt für dieses eingeschränkte Verhaltensrepertoire passend zu
machen. Dies dient der inneren Ökonomie des Individuums, führt jedoch zur Störung
von Beziehungen (K. KÖNIG, mdl. Mitteilung). Sowohl die projektive Identifikation als
auch die Übertragung enthalten einen "interaktionellen Anteil", ein beobachtbares
Verhalten, das im Interaktionspartner die gewünschten Reaktionen hervorzurufen
vermag. Dieser interaktionelle Anteil ist bei Patienten mit entwicklungsbedingt
struktureller Ich-Störung ausgeprägter als bei solchen mit reiferen Neurosen.
Der interaktionelle Anteil der Übertragung kommt in den engsten Beziehungen, die wir
kennen, in Paar- und Familienbeziehungen, besonders ausgeprägt vor. Und ein Gutteil
der therapeutischen Arbeit analytischer Paar- und Familientherapeuten besteht im
Diagnostizieren und Bearbeiten dieses Phänomens. Hierbei bedient sich der Therapeut
sowohl der Analyse von Übertragung und Gegenübertragung, also auch von eigenen
Gefühlsantworten auf die einzelnen Familienmitglieder, mit denen er arbeitet, und mehr
noch der Klarifikation und Konfrontation mit Hinweisen auf die beobachteten
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Richelsdorfer Gespräche
interaktionellen Phänomene und des Deutens der erschlossenen Zusammenhänge.
Haben wir es mit einem Paar zu tun, dann lösen wir als Therapeuten in dem Paar spezifische Übertragungen aus, nicht selten die Übertragung von Eltern oder eines Elternteils.
Die Elternübertragung ist am häufigsten, wenn die Patienten einem Therapeutenpaar
gegenübersitzen. Diese Therapieform wird jedoch, wie Umfragen von
Familientherapeuten ergeben haben, gar nicht sehr häufig angeboten, zum Teil weil sie
aufwendig ist, zum Teil weil sie besonders anstrengend ist. Besonders anstrengend wird
sie meist dann, wenn die Patienten abgewehrte Selbstanteile auf die Therapeuten
übertragen, also Seiten, die sie an sich selbst nicht mögen. Sie induzieren dann nicht
selten beim Behandlerpaar heftige Konflikte, die sie bei sich selbst abwehren müssen.
Wenn die Behandler es schaffen, solche Phänomene zu erkennen, können sie sie
diagnostisch auswerten und die Ergebnisse in der Beratung des Paares verwerten.
Wenn sie dies nicht schaffen, werden sie sich gegenseitig nach einer solchen Beratung
nicht mehr besonders mögen.
Dass ein Behandlerpaar von den Patienten wie ein Elternpaar erlebt werden kann, ist
den meisten Paartherapeuten bekannt. Weniger bekannt ist jedoch das umgekehrte
Phänomen. Der Therapeut oder die Therapeutin oder auch das Therapeutenpaar sitzen
ja auch selbst einem Paar gegenüber. Und da ja nicht nur die Patienten innere Bilder auf
Therapeuten übertragen, sondern die Therapeuten auch auf die Patienten, besteht eine
gar nicht so unwahrscheinliche Möglichkeit, dass die Therapeuten ihre Patienten wie
Eltern erleben. Hier wirken sich die Geschlechtsrollen des Patientenpaares als
Übertragungsauslöser für die Therapeuten aus. Vor allem bei jüngeren Therapeuten ist
dies häufig der Fall.
Kinder, die eine solche Problemlöserrolle in ihrer Herkunftsfamilie hatten, nehmen diese
Rolle oft mit ins Erwachsenenleben hinüber und lösen auch als Erwachsene gern die
Probleme anderer Leute. Sie strömen in die Helferberufe und werden Eheberaterinnen
oder Eheberater, Psychotherapeuten, Ärzte oder Pastoren. Sie sind auch zum Lösen
der Probleme anderer Leute meistens besonders begabt. Sie haben sehr sensible
Antennen entwickelt für die Probleme ihrer Eltern, was ihnen in ihrem späteren
Berufsleben zugute kommt. Sie haben jedoch nicht selten auch eine besondere
Tendenz, sich als Berater wieder in die Rolle des parentifizierten Kindes zu begeben,
und dies besonders oft und besonders stark, wenn sie es mit Paaren zu tun haben, die
sich trennen wollen. Sie laufen dann Gefahr, zu hilflosen Helfern zu werden.
Wenn Sie in einer Paartherapie bei sich selbst ein starkes Überforderungsgefühl bemerken und den Eindruck haben, die Arbeit mit einem bestimmten Paar sei unglaublich
mühsam, dann sollten Sie bei sich überprüfen, ob Sie vielleicht in die Rolle des parentifizierten Kindes geraten sind, dessen Aufgabe darin besteht, die Ehe der zerstrittenen
Eltern zu kitten. Parentifizierte Kinder können nämlich nicht unbefangen das Problem
ihrer Eltern ansehen und abwägen, ob es besser wäre für die Eltern, zusammenzubleiben oder sich zu trennen. Parentifizierte Kinder fürchten die Trennung der Eltern und
unternehmen stärkste Anstrengung unter Aufbietung aller ihnen zur Verfügung stehenden Kräfte, die Eltern, die sie beide behalten wollen, zusammenzuhalten.
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Beiträge und Referate der
Ein entsprechendes Verhalten können Patientenpaare auch in Ihnen induzieren oder
Sie selbst können, wenn Sie eine entsprechende Disposition hierfür haben, in der
Paarberatung in diese Rolle hineingeraten. Wenn das Paar, mit dem Sie es zu tun
haben, eigene Kinder hat, die parentifizierte Kinder sind, so werden diese Kinder schnell
entlastet, wenn der Therapeut ihrer Eltern jetzt in eben diese Position gerät.
Parentifizierte Kinder haben ja manchmal eigene psychogene oder psychosomatische
Symptome, die dann häufig schlagartig verschwinden. Das ist zwar schön für die
Kinder, ist aber kein stabiler Erfolg, weil nämlich der Therapeut ihrer Eltern aus dieser
Rolle heraus nicht richtig wirksam werden kann. Denn in der Rolle des parentifzierten
Kindes kann er nicht mehr souverän und gelassen genug mit den Problemen seiner
Patienten umgehen, was schließlich zum Misslingen der Paartherapie führen kann, und
dann geht es den Kindern des Paares schneller wieder schlechter.
Wenn Sie eine eigene Bereitschaft zur Übernahme dieser Rolle haben, werden Sie
besonders leicht bei der Arbeit mit Paaren, die sich trennen wollen, in diese Rolle hineingeraten und mit viel Kraftaufwand versuchen, die Ehe zu kitten. Wenn es Ihnen dann
gelingt, sich das Problem bewusst zu machen, so können Sie schrittweise aus dieser
Rolle wieder heraustreten, was daran zu bemerken ist, dass Sie sich als Therapeut oder
Therapeutin entlasteter fühlen, und Sie können wieder unbefangener mit dem Paar
diskutieren, was wirklich für das Paar gut ist.
Wenn es um Trennung oder Zusammenbleiben bei einem Paar geht, spielt übrigens
häufig der eigene, subjektive Lösungsweg des Paartherapeuten eine wichtige Rolle.
Therapeuten, die selbst geschieden sind, tendieren deutlich stärker dazu, zerstrittenen
Paaren zur Trennung zu raten, als Therapeuten, die schon heftige Ehekrisen hinter sich
haben, die aber zusammengeblieben sind mit ihrem Partner. Der Einfluss des eigenen
Lösungsweges bei Ehekonflikten auf Scheidung oder Zusammenbleiben des behandelnden Paares ist außerordentlich stark, und dies natürlich desto mehr, je weniger den
Therapeuten dies bewusst ist.
Zum Schluss noch ein paar Worte zur Indikationsstellung:
Paartherapie ist in den Fällen indiziert, in denen ausgeprägte psychosoziale
Abwehrmechanismen in Form der oben beschriebenen Kollusionen die Einzeltherapie
eines Partners wenig erfolgreich erscheinen lassen. Ein diagnostisches Paargespräch
im Rahmen der Anamnese kann hier Klarheit verschaffen. Paartherapie ist aber auch in
manchen Fällen indiziert, in denen der Index-Patient ein Kind ist, nämlich dann, wenn
dem Paar deutlich wird, dass ein elterlicher Konflikt maßgeblich an der Erkrankung des
Kindes beteiligt ist. Ich verfüge über zahlreiche Beispiele, in denen die ausschließliche
Behandlung des Elternpaares, das "symptomfrei" war, zur Gesundung des
Symptomträgers Kind geführt hat.
Entsprechend groß ist die prophylaktische Bedeutung von Paartherapie, weil sie
verhindern kann, dass die Gesundung eines Familienmitglieds im Rahmen einer
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Richelsdorfer Gespräche
Einzeltherapie zur Neuerkrankung anderer Familienmitglieder führen kann.
Nicht indiziert, weil weniger wirksam, ist Paartherapie bei internalisierten pathologischen Lösungen. Hier kann eine Verringerung des sekundären Krankheitsgewinns
durch Paartherapie zwar zur vorübergehenden Symptombesserung führen. Diese ist
aber meist nicht ausreichend stabil.
Kontraindiziert ist Paartherapie, wenn befürchtet werden muss, dass ein Partner oder
ein weiteres Familienmitglied durch Veränderung geschädigt werden kann, zum
Beispiel wenn das soziale Umfeld realistischerweise nicht ausreichend verändert
werden kann, so dass die Struktur der Paarbeziehung und der Familie unter
Berücksichtigung des sozialen Kontextes bereits den relativ günstigsten Kompromiss
darstellt. Hier ist es besser, den Symptomträger zu stabilisieren und ihm dabei behilflich
zu sein, in einer belastenden Umgebung besser leben zu können, als vielleicht noch
mehr Familienmitglieder zur Dekompensation zu bringen.
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