Richelsdorfer Gespräche - AHG Allgemeine Hospitalgesellschaft
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Richelsdorfer Gespräche - AHG Allgemeine Hospitalgesellschaft
3. Richelsdorfer Gespräche mit Hr. Priv. Doz. Dr. Reinhardt Kreische zum Thema „Paarbehandlung“ 1 Beiträge und Referate der FACHKLINIK RICHELSDORF Klinik für soziopsychosomatische Krankheiten Am Kirchrain 2a • 36208 Wildeck-Richelsdorf Tel.: (06626) 92 22-0 • Fax: (06626) 92 22-129 e-mail: Fachklinik-Richelsdorf@T-Online.de web: www.kte-ag.de/richelsdorf.htm IK-Nr. 51 066 13 51 Träger: KTE Gesellschaft für Krankenhaus + Therapieeinrichtungen mbH & Co. Fachklinik Richelsdorf KG Indikationen: Behandlung von Alkohol- und/oder Medikamentenabhängigkeit Individuelle Therapieangebote: Auffang-/Rückfallbehandlungen, Paarbehandlungen, Intervalltherapien, Behandlung von suchtkranken schwangeren Frauen und jungen Müttern mit Kindern (Säuglinge, Klein- und Schulkindern), Arbeitstrainings- und Integrationsphase für arbeitslose Suchtmittelabhängige Kosten- und Leistungsträger: Renten- und Krankenkassenversicherungsträger, Sonstige Voraussetzungen für die Aufnahme: Freiwilligkeitserklärung, abgeschlossene Entgiftungsbehandlung, Kostenzusage des Leistungsträgers Therapieansatz: Psychoanalytisch-interaktionelle Psychotherapie mit den Schwerpunkten: • Fokussierung auf die bisherige Beziehungsdynamik • die Bedeutung des Suchtmittelgebrauchs in diesem Zusammenhang • lösungsorientierte Entwicklungsförderung Behandlungsdauer: 8-12 Wochen (bei Verlängerung bis 16 Wochen) Therapieziele: • Abstinenz • familiäre, soziale und berufliche Wiedereingliederung • Verbesserung der Bewältigungsstrategien in Konfliktsituationen Behandlungsplätze: 72 Therapeutisches Team: Ärzte, Psychologen, Pädagogen, Sozialarbeiter, Sporttherapeuten, Gestaltungstherapeuten, Werktherapeuten, Krankenschwestern und -pfleger Besonderheiten: Die Fachklinik Richelsdorf ist ein kleines, überschaubares Haus, das durch begleitender Einzeltherapie und eine flexible Therapiedauer (8-16) Wochen ein hohes Maß an individueller Behandlung bietet. Aufnahmeleitung: Telefon: (0 66 26) 92 22-222, Telefax (0 66 26) 92 22-129 Richelsdorfer Gespräche Inhaltsverzeichnis Seite Vorwort............................................................................................................................3 Einführung in die Paartherapie .................................................................................................................7 Priv. Doz. Dr. Reinhard Kreische -2- Beiträge und Referate der Vorwort Einleitung Die Paarbehandlung in der Fachklinik Richelsdorf Nicht nur Beziehungsaufnahmen in der stationären Behandlung (das sogenannte "Pairing"), sondern auch das gemeinsame Leben von zwei alkoholabhängigen Partnern in der Abstinenz wurde in der Vergangenheit als eher schädlich empfunden. Noch heute wird in der Selbsthilfebewegung die Meinung vertreten, dass zwei alkoholabhängige Partner sich nicht unterstützen, sondern dass sie sich gegenseitig in ihrer Abstinenz gefährden. Durch neue Erfahrungen in der Fachklinik Richelsdorf (v.a. dem veränderten Umgang mit dem "Pairing", also der Beziehungsaufnahme zweier gegengeschlechtlicher PatientInnen) wurde die Vorgehensweise bei alkoholabhängigen Paaren reflektiert. Das bisherige Verfahren, die Partner entweder nacheinander oder, wenn gleichzeitig, dann in zwei verschiedenen Kliniken zu behandeln, führte häufig zur Trennung und anderweitigen Beziehungsaufnahmen, ohne dass die Beziehungsgestaltung konstruktiver geworden wäre. Insgesamt war ein eher schlechtes Therapieergebnis bei dieser Vorgehensweise zu beobachten. Es wurde daher im Jahre 1998 erstmalig der Versuch einer gemeinsamen stationären Behandlung von zwei alkoholabhängigen Partnern gemacht. Schon die ersten Versuche zeigten überraschend gute Ergebnisse, so dass dieses Konzept fortgeführt wurde. Das spezielle Paarkonzept der Fachklinik Richelsdorf basiert auf den Erfahrungen und dem Konzept aus der ambulanten tiefenpsychologisch fundierten Paartherapie, die R. Kreische seit den 80er Jahren in der Abteilung für Familientherapie der Universität Göttingen durchführt. Es wurde entsprechend den Möglichkeiten des stationären Settings und den besonderen Bedürfnissen unserer suchtkranken PatientInnen modifiziert. Gemeinsame und getrennte Anteile werden parallel bzw. verschachtelt angeboten: Getrennt - Gemeinsam Wahlweise - Zimmer, Gruppe und Psychotherapeut, CoTherapie Paargespräche, Angehörigenseminar, Heimfahrt Freizeit, Freizeittraining, Indikative Gruppen -3- Richelsdorfer Gespräche Durch die hohe Therapeutendichte des stationären Settings ist es möglich, daß jeder der beiden Partner nicht nur in einer eigenen Therapiegruppe, sondern auch mit einem eigenen Therapeuten die individuelle Lebensgeschichte aufarbeitet und ein dritter Therapeut die Paargespräche leitet. Mit ihren Therapeuten und ihrer Therapiegruppe besprechen die PatientInnen die Schwierigkeiten, die sie mit sich und anderen Menschen, aber auch mit ihrem Partner haben, erkennen mit Hilfe ihrer Gruppe, wie diese Partnerprobleme mit ihrer Beziehungsgeschichte zusammenhängen und suchen Wege für eine andere Form der Beziehungsgestaltung. Diese neuen Formen können sie im Klinikalltag erproben, die Erfahrung aus dem Paargespräch in ihrer Gruppe reflektieren. Dabei wird darauf geachtet, dass der Paartherapeut mehr Moderator als Therapeut ist, der dabei hilft, dass Auseinandersetzungen gelingen, dass möglichst angst- und schamfrei auch über problematische Aspekte der Beziehung gesprochen werden kann. Die Paargespräche beginnen 2 - 4 Wochen nach Behandlungsbeginn. Eine Paargruppe war vor allen Dingen für eines unserer Paare hilfreich, das Schwierigkeiten in der Paarbeziehung sehr lange abwehren musste. Im Einzelpaargespräch hielten die beiden Partner die Illusion der konfliktfreien Partnerschaft aufrecht. Nur sehr selten wurden auch aggressive Aspekte deutlich. Erst über die Auseinandersetzung, die sie in der Paargruppe bei anderen erleben konnten, konnten sie die scheinbare Konfliktfreiheit als Mangel erfahren und vorsichtig beginnen, Schwierigkeiten anzusprechen, ohne, wie befürchtet, die Beziehung in Gefahr zu bringen. Das dürfte dazu beigetragen haben, die Gefahr zu vermindern, zur Erhaltung der Paarhomöostase letztendlich doch wieder zum Alkohol zu greifen, der über viele Jahre und Jahrzehnte die beiden Partner zusammengehalten hatte. Neue Erlebnis-, Kontakt- und Beziehungsmöglichkeiten zu Anderen wurden eingeübt. Nur bei einem Paar, das sich angemeldet hatte zu einer Therapie gemeinsam mit den Kindern (Anlass, die Entwöhnungsbehandlung zu beantragen war die durch das Jugendamt veranlasste Unterbringung der Kinder in einer Pflegefamilie), das im Vorgespräch, als beide noch alkoholisiert waren, die Partnerschaft als harmonisch und unproblematisch beschrieb, war eine Trennung die Folge der gemeinsamen Behandlung. Da wir Schwierigkeiten vermuteten, nahmen wir das Paar zunächst ohne die Kinder auf, mit der Möglichkeit, die Kinder nachzuholen, wenn ein Arbeitsbündnis entstanden war. Schon in den ersten Behandlungswochen zeigte sich, dass eine Paartherapie wohl nicht erfolgreich sein würde. Beide Partner -4- Beiträge und Referate der bezichtigten sich gegenseitig, ohne dass dies reflektierbar wurde, der Schuld an den individuellen Schwierigkeiten. Gemeinsamkeiten waren weder in der Freizeit möglich noch in der Paargruppe, in die das Paar aufgenommen wurde, nachdem im Einzelpaargespräch kein Erfolg erzielt werden konnte. Schließlich trennten sie sich während ihres stationären Aufenthaltes und blieben auch nachher getrennt. Der Mann trank sehr bald wieder, die Frau ist abstinent und lebt in einer Einrichtung. Die Kinder blieben zunächst in der Pflegefamilie. Katamnese Wir haben Paare aus unterschiedlichen sozialen Schichten und Altersgruppen behandelt. Drei Paare waren mehr als 25 Jahre verheiratet (ein Paar beging seine "Perlhochzeit" während des Aufenthaltes), die anderen waren 4 - 5 Jahre zusammen. 6 Paare hatten sich alkoholkrank zusammengefunden. Über eine Telefonbefragung wurden nach einer Katamnesezeit von 5 - 17 Monaten eigen- und fremdanamnestische Angaben zur Abstinenz der ersten 16 PatientInnen, die an der Paartherapie in Richelsdorf teilgenommen hatten, erhoben. Wir sprachen mit Beratern und Betreuern, die die Abstinenzentwicklung realitätsgerecht und professionell einschätzen konnten. 14 der 16 PatientInnen, darunter alle Frauen, waren abstinent geblieben. 2 Männer waren rückfällig, der eine noch mit seiner (abstinenten) Lebensgefährtin zusammenlebend und nach Angaben der betreuenden Beratungsstelle zumindest "gebessert", insofern als er bis zum Befragungszeitpunkt Alkoholexzesse vermeiden konnte. Der zweite Patient lebte von der Partnerin nach der Therapie getrennt und trank wieder exzessiv. Diejenigen, die vor der Behandlung im Arbeitsprozess standen, hatten ihren Arbeitsplatz behalten. Ein Mann nahm mit Erfolg seit über einem Jahr an einer Umschulungsmaßnahme des Arbeitsamtes teil, seine behinderte Lebensgefährtin hatte einen Arbeitsplatz in Aussicht. Eine weitere vor der Therapie arbeitslose Patientin hatte eine feste Arbeitsstelle gefunden. Kontakt zur vorbereitenden Beratungsstelle hatten noch 10 PatientInnen, 2 im Rahmen einer ambulanten Therapie (2 weitere hatten die ambulante Nachsorgerehabilitation bereits abgeschlossen) die anderen eher locker und unregelmäßig. Der jetzt allein stehenden Frau war es gelungen, in einer Nachsorgeeinrichtung für Frauen unterzukommen, ein Paar kehrte nach der Behandlung in eine nicht abstinente Wohngemeinschaft zurück. Bei einem Besuch der Klinik erzählte ein Ehepaar von einer -5- Richelsdorfer Gespräche Situation mit manifester Rückfallgefährdung bei einer dreitägigen Feier mit extremem Alkoholkonsum der anderen Gäste. Durch ein Gespräch über den "Suchtdruck" konnten sie diesem erfolgreich widerstehen. Die Partner nutzten die gemeinsame Therapieerfahrung zur Stabilisierung der Abstinenz. Dabei wurde das in der Klinik gelernte angstfreie Ansprechen auch konflikthafter oder belastender Gedanken und Impulse als hilfreich und entlastend erlebt. Auch von drei weiteren Paaren berichteten Beratungsstellen von einer deutlich verbesserten Fähigkeit zur Auseinandersetzung und Kompromissbildung und damit von einer anhaltenden Verbesserung der Beziehungsfähigkeit und -gestaltung. Zusammenfassung Das stationäre Paarbehandlungskonzept zweier alkoholabhängiger Partner, das sowohl getrennte als auch gemeinsame Therapieanteile verbindet, erweist sich nach den bisherigen Beobachtungen im Gegensatz zu den ursprünglichen Erwartungen als eine erfolgreiche Behandlungsstrategie mit einer hohen Abstinenzquote. Literatur: ! ! ! ! ! Anhalt, R.: Das System Familie und der therapeutische Umgang damit in der konkreten Arbeit in Angehörigenseminaren und -gesprächen. In: Beiträge und Referate der ersten Richelsdorfer Gespräche, Wildeck 1998. Hinz, H.: Der Begriff des "Pairing" - eine differenzierte Betrachtung und individuelles Vorgehen. In: Suchtbehandlung, Entscheidung und Notwendigkeiten, Schriftenreihe des Fachverbandes Sucht, Geesthacht 1999. Kreische R.: Die Behandlung von neurotischen Paarkonflikten mit paralleler analytischer Gruppentherapie für beide Partner. In: Zeitschrift für Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik, Band 21, Heft 4, Seite 237, Göttingen und Zürich 1986. Kreische, R.: Paartherapie in zwei Systemen. Zur Kombination von Paartherapie und paralleler Gruppentherapie für beide Partner. In: Zeitschrift für Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik Band 26, Heft 3, Seite 245, Göttingen und Zürich 1990. Schmidt, G.: Sucht-"Krankheit" und/oder Such(t)-Kompetenzen. Sonderdruck in: Beiträge und Referate der ersten Richelsdorfer Gespräche, Wildeck 1998. -6- Beiträge und Referate der Der Referent Herr Priv. Doz. Dr. Kreische Facharzt für Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalyse, Leiter des psychoanalytischen Institutes in Göttingen Einführung in die Paartherapie In dem Krimi "Die Akte Harrison" lässt Dorothy Sayers, die auch Freud gerne gelesen hat, einen Psychiater sagen: "Die Hälfte meiner Patienten kommt zu mir, weil sie nicht verheiratet sind. Die andere Hälfte, weil sie es sind." So ähnlich verhält es sich auch in einer modernen psychoanalytisch-psychotherapeutischen Praxis. Viele psychische Erkrankungen, vor allem die so genannten Persönlichkeitsstörungen, gehen mit Störungen der zwischenmenschlichen Beziehungen einher. Und dies wirkt sich in den engsten zwischenmenschlichen Beziehungen, die wir kennen, in den Paarbeziehungen und Familien, besonders stark aus. Diese Tatsache macht es bereits wahrscheinlich, dass die Arbeit im paartherapeutischen Setting, häufig indiziert ist, so dass es gut ist, wenn wir Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker etwas davon verstehen. Paartherapie ist die psychotherapeutische Behandlung von Patientinnen und Patienten mit psychischen, psychosomatischen und somatopsychischen Erkrankungen im paartherapeutischen Setting. Sie unterscheidet sich von der Ehe- und Partnerberatung, die vor allem der Verbesserung von Paarbeziehungen dient. Ich werde über die Paartherapie aus psychoanalytischer Sicht sprechen, aber nicht nur. Die Psychoanalyse tat sich ja eher schwer auf dem mühsamen Weg von FREUDs skeptischen Äußerungen von 1912, in denen er seine "völlige Ratlosigkeit", "was die Behandlung der Angehörigen betrifft" eingesteht und "auf deren individuelle Behandlung überhaupt wenig Zutrauen" setzt, bis zur Gegenwart, in der zum Beispiel FÜRSTENAU (1985) "die Wahl des veränderungsoptimalen Systembezugs" als eine "entscheidende strategische Operation des Psychoanalytikers" postuliert. Für die psychoanalytische Beschäftigung mit Paarbeziehungen stellten die objektbeziehungstheoretischen Untersuchungen der ehelichen Beziehung von DICKS (1967) eine wichtige Grundlagenarbeit dar. In der psychoanalytischen Objektbeziehungstheorie wird der Einfluss realer Beziehungen des Menschen zu wichtigen Beziehungspersonen ("Beziehungsobjekten") auf die intrapsychisch repräsentierten, im Gedächtnis abgespeicherten Erinnerungsspuren von diesen Beziehungen (die intrapsychischen Repräsentanzen des Individuums) erforscht und umgekehrt der Einfluss dieser intrapsychischen Repräsentanzen auf die Wahrnehmungs-, Affekt- und Verhaltensdispositionen im Umgang mit anderen Menschen. Von DICKS stammt der Begriff der "Kollusion" (lat. colludere = zusammenspielen). Kollusion ist eine Form ehelicher Beziehungen, bei der die Neurosen der Partner zueinander passen wie Schlüssel und Schloss. Im deutschsprachigen Raum wurde das Kollusionskonzept in Zürich von WILLI (1975, 1978) aufgegriffen und unter stärkerer Berücksichtigung triebdynamischer Gesichtspunkte erweitert. Psychogene Erkrankungen gehen mit Erlebens- und Verhaltensstörungen einher, die oft zu Beziehungsstörungen führen. Sie sind durch sich wiederholende dysfunktionale Verhaltensweisen und Interaktionen gekennzeichnet. Solche Beziehungsstörungen -7- Richelsdorfer Gespräche wirken sich in den Gegenwarts- und Herkunftfamilien der Patienten, in denen meist die engsten und intensivsten sozialen Kontakte gelebt werden, besonders stark aus. Belastungen in der Paarbeziehung und der Familie wirken wiederum auf die psychischen Erkrankungen zurück und können diese verstärken oder stabilisieren. Wahrscheinlich aus diesem Grunde leiden Paare mit neurotischen Partnerproblemen meist unter mittelgradigen bis starken psychischen oder psychosomatischen Symptomen (KREISCHE 1992). SENF (1987) fand heraus, dass Partnerkonflikte die Prognose von Patienten mit psychischen Erkrankungen verschlechtern. Außerdem können neurotische Partnerkonflikte und die mit ihnen zusammenhängenden chronischen Spannungen in Familien zu Neuerkrankungen weiterer Mitglieder des familiären Systems, vor allem auch von bisher nicht erkrankten Kindern, führen. Persönlichkeitsstörungen (sog. Charakterneurosen) führen nicht direkt zu psychischen oder psychosomatischen Symptomen. Der Weg ist vielmehr ein indirekter. Die charakterneurotischen Veränderungen führen zu Beziehungsstörungen, und die Belastung durch die Beziehungsstörungen führt zu Symptomen (KREISCHE 1992). Schwellensituationen des Lebens (z.B. Schwangerschaft, Geburt, berufliche Veränderungen, Umzüge, Krankheiten und Todesfälle in der familiären Umgebung, die sogenannte "midlife -crisis") können bei allen Menschen zu Identitätskrisen und zu Irritationen in Partnerbeziehungen führen (KREISCHE 1994). Im allgemeinen kommt es in solchen Phasen bei einigen oder bei allen beteiligten Familienmitgliedern zu Regressionen im Dienste des Ichs, durch die adaptive Umstrukturierungsprozesse und die Progression in ein neues Entwicklungsstadium ermöglicht werden: sowohl bei den Individuen als auch in der Paarbeziehung und der Familie. Wenn beträchtliche Störungen in der bisherigen Persönlichkeitsentwicklung bereits vorliegen oder wenn aufgrund des Ausmaßes der aktuellen Belastung ein neuer Entwicklungsschritt nicht bewältigt werden kann, kommt es zu pathologischen Regressionen. In diesen Fällen sind adaptive Umstrukturierungen erschwert oder unmöglich. Statt dessen entwickeln die beteiligten Partner typische stereotype, dysfunktionale Erlebens- und Interaktionsmuster, die unbehandelt oft chronifizieren. Mit solchen Störungen von Krankheitswert setzen wir uns in der Paartherapie auseinander. Bei den Persönlichkeitsstörungen werden die dysfunktionalen stereotypen Erlebensund Verhaltensmuster vom Individuum durch den Einsatz von individuellen Abwehrmechanismen stabil gehalten. In partnerschaftlichen und anderen zwischenmenschlichen Beziehungen kommt es darüber hinaus zu den Abwehrformen der psychosozialen Kompromissbildungen. Hierbei führen mehrere Personen durch einen wechselseitigen Austausch von verbalen und nonverbalen Zeichen und Signalen eine Form des Umgangs miteinander herbei, die der Abwehr unlustvoller Zustände der einzelnen Mitglieder des familiären oder gruppalen Systems dient und die gleichzeitig den Zusammenhalt des Systems gewährleistet (HEIGL-EVERS 1967, BROCHER 1967, MENTZOS 1976). Kollusionen in Paarbeziehungen sind besonders stabile psychosoziale Kompromissbildungen, weil die Interaktionspartner sie oft in einem jahrelangen Prozess miteinander entwickelt haben. WILLI (1975) beschreibt narzisstische, depressive, zwanghafte und hysterische Kollusionen. Hierbei befinden sich beide Partner auf einem ähnlichen Triebfixierungsniveau ("direkte Kollusionen"). Die Schlüssel-Schloss-Relation findet sich in diesen Kollusionen aufgrund der Übernahme einer "progressiven" Position durch -8- Beiträge und Referate der den einen und einer "regressiven" Position durch den anderen Partner. Bei den häufigen "gekreuzten Kollusionen”(KÖNIG und KREISCHE 1985a, 1985b, 1994) ist das Triebfixierungsniveau verschieden, wie z. B. bei der Kollusion zwischen einer hysterischen Frau mit einer zwanghaften Latenz und einem zwanghaften Mann mit einer hysterischen Latenz. Hier sind Wünsche und Impulse, die für einen Partner so ängstigend sind, dass sie abgewehrt und unbewusst gehalten werden müssen, beim anderen Partner bewusst und somit an der psychischen Oberfläche, so dass sie von ihm gelebt werden können. Beim anderen Partner ist es umgekehrt. Auf diese Weise kann jeder im anderen das Abgewehrte gleichzeitig bekämpfen und partizipierend genießen. Auch systemische Therapeuten, die sich darum bemühen, in einer Paarbeziehung die systemimmanenten Regeln zu verändern, um das Symptom, das durch diese Regeln stabilisiert wird, zum Verschwinden zu bringen, arbeiten an solchen psychosozialen Kompromissbildungen. Das Konzept der psychosozialen Kompromissbildungen geht insofern über die systemische Sicht hinaus, als es intrapsychische Repräsentanzen bei der Wahrnehmung und Beschreibung der untersuchten interpersonellen Phänomene berücksichtigt. Systemische Therapeuten richten ihre Aufmerksamkeit auf manifeste Interaktionsphänomene. Die Sichtweise systemischer Therapeuten ähnelt damit der phänomenologisch-deskriptiven psychiatrischen Sichtweise. Das psychoanalytische Konzept der psychosozialen Kompromissbildung steht zu dieser Betrachtungsweise nicht im Widerspruch, sondern es erweitert sie um die intrapsychische Dimension. Das will ich Ihnen jetzt anhand meines klinischen Beispiels etwas erläutern. Um Ihnen einen ersten Eindruck von der dort vorliegenden Kollusion zu vermitteln, spiele ich Ihnen jetzt den Anfang eines diagnostischen Paargespräches vor. Das Patientenpaar hat sich freundlicherweise mit der Verwendung der Tonbandaufnahmen in Vorlesungen einverstanden erklärt. Angekündigt wurde mir aber auch gar keine Kollusion, sondern eine Patientin von 38 Jahren. Sie kam mit ihrem Ehemann, der ein Jahr älter ist. Das Paar ist seit 15 Jahren verheiratet und hat zwei Kinder von 13 und 11 Jahren. Die Patientin war in einer psychotherapeutischen Klinik wegen einer seit einem Jahr bestehenden Herzphobie stationär behandelt worden. Die Symptomatik war dort vollständig verschwunden. Das Ergebnis war jedoch noch nicht stabil. Die Behandlung sollte deshalb ambulant fortgesetzt werden. Der Kollege aus der Klinik hatte bereits Auffälligkeiten in der Partnerbeziehung festgestellt. Das erste Gespräch mit diesem Paar begann folgendermaßen: Beispiel 1: Therapeut: ... wie Sie an unsere Adresse gekommen sind. Mann:Durch Dr. A. Therapeut: Ah ja. Mann: Und zwar unser Psychotherapeut in der Klinik, das war Herr Dr. B. und an den hatten wir jetzt noch mal, äh, nachdem wir nicht mehr weiter wussten, zurückgewandt und, äh, er empfahl uns dann Dr. A., ne?, und der sagt selber, -9- Richelsdorfer Gespräche dass er eben überlastet ist, und das ist wohl allgemein so auf diesem Gebiet, ne? Und der empfahl dann eben Ihre Adresse. Therapeut: Und wer war in der Klinik von Ihnen? Mann: Meine Frau. Frau: Ich war ... Mann: Und zwar ging es da … Therapeut: Sie sind jetzt noch da oder? Frau: Nein. Mann: Nein, seit... Frau: Seit dem 31. März bin ich zu Hause. Therapeut: Ja. Mann: Seit dem 1. April praktisch. Therapeut: Hmhm. Mann: Und hingekommen ist sie mit Herzrasen bis zur Todesangst, konnt' sich nicht in engen Räumen aufhalten, verbunden mit ... Frau: Angstzustände, keine Luft... Mann: Ja und das hat er weggekriegt, der Dr. B. Und was zurückgeblieben ist oder neu jetzt rausgekommen ist, das ist eben die Depression und ... Frau: Und Angst... Mann: Ja eben. Frau: Ja ... Mann: Und dann waren wir erst zunächst mal... hatten wir uns angemeldet bei Dr. C., der ist ja nun Psychotherapeut auch und, ja und, da hatten wir dann einen Termin gehabt für in sechs Wochen später oder so. Frau: Ja. Mann: Ich weiß nicht, und der machte dann auch gleich dieses ... Frau: EEG. - 10 - Beiträge und Referate der Mann: Gehirnströme messen. Und da war aber nichts Wesentliches zu bemerken, also gar nichts kann man sagen. Therapeut: Ja. Mann: Das wäre ganz normal. Ja und dann haben wir gewartet, wie das nun weitergeht,... haben wir gesagt, das ist eigentlich Quatsch, dass der noch mal mit anfangen... und so weiter, ne? Da hatten wir das jedenfalls wieder abgeblasen bei dem. Therapeut: Ja. Mann: So, und flankierend waren wir dann beim Hausarzt gewesen, der hat dann so, wie soll man sagen, dämpfende oder, was weiß ich, stabilisierende Mittelchen gegeben und das war wohl nicht das richtige, dann fing er auch an mit der ImapSpritze. Frau: Ja. Mann: Ne?, praktisch, die sollte jetzt irgendwie beruhigend wirken, was weiß ich, was die bewirken sollte. .......... Mann: ... und jetzt sind wir bei Dr. D. in... Frau: Das ist ein Homöopath, ist das. Mann: … Behandlung, der ist in X-Dorf, das ist ein Homöopath, ja, und der versucht da jetzt irgendwie so echt nervenstärkende Mittel zu geben, ne? Therapeut: Hmhm. Mann: Und das ist eigentlich der Stand der Dinge. Frau: Vitamin-B-Spritzen auch. Mann: Und weil wir gute Erfahrungen nun gemacht haben, hier mit dieser Besprechungstherapie... Therapeut: Ja. Mann: Das ist ja weggegangen, dieses Herzrasen, und da hat sie ja nun höchstens noch mal Bedenken oder Angst davor, dass das mal wiederkommt. Frau: Dass es wiederkommt. Aber Angst habe ich trotzdem noch. Kann nur mit meinem Mann unterwegs sein. Mann: Äh, ja und was. - 11 - Richelsdorfer Gespräche Frau: Allein kann ich irgendwo gar nicht... Mann: Was übriggeblieben ist ja eben, sie kann jetzt nicht alleine in die Stadt gehen, gar nicht groß, ne? und äh... Frau: Gar nichts. Mann: Jetzt habe ich auch... Frau: … Urlaub genommen. Mann: Wie lange bin ich jetzt zu Hause, praktisch schon so über 14 Tage bin ich jetzt zu Hause. Was fällt hier auf? Die Patientin kommt fast nicht zum Zuge. Der Mann wirkt dominant und zieht das Gespräch an sich. Was Sie nicht hören können, was ich jedoch im therapeutischen Gespräch sehen konnte, ist, dass immer dann, wenn ich eine Frage direkt an die Patientin richtete, sie einen kurzen, hilfesuchenden Blick zu ihrem Mann hinüberschickte, der dieses Signal sofort aufnahm und die Frage dann für die Patientin beantwortete. Offensichtlich ist es also nicht nur so, dass der Mann seine Frau nicht zum Zuge kommen lässt, sondern dass die Frau den Mann auch dazu veranlasst. Der Mann hat hierzu offensichtlich eine große Bereitschaft, und an manchen Stellen fällt er seiner Frau sogar dann ins Wort, wenn sie selbst einmal die Initiative ergreift und etwas sagen will. So etwas ist, wie Sie wissen, typisch für phobische Erkrankungen. Die Phobiker tun weniger als sie eigentlich könnten. Sie wählen oft Partner, die gerne die Fäden in der Hand haben und die damit eine große Bereitschaft mitbringen, dem phobischen Patienten viel abzunehmen. In welcher Familienatmosphäre ein Mensch zu einem ängstlichen Menschen werden kann, der sich selbst weniger zutraut als er eigentlich kann, der übermäßig besorgt und auch ein wenig hypochondrisch ist, hören wir, wenn wir jetzt noch etwas weiter in die Therapiesitzung hineinhorchen. Beispiel 2 : Frau: Ja... Mann:... und weil sonst die Mutter, ihre Mutter, ne?, die läuft dann wie so ein aufgescheuchtes Huhn rum und fühlt sie sich auch beobachtet und so weiter, ne. Das ist auch nicht das Wahre. Therapeut: Sie wohnen in der Nähe Ihrer Mutter? Frau: Ja, an sich in Grone, aber die kommt dann aber. - 12 - Beiträge und Referate der Mann:Nein, die wohnt in Grone, kommt mit dem Bus. Frau: Und denn ist ihr die Kinder zu viel. Und denn sagt sie, du hast ja selbst schuld. Mann:Die Kinder sind 13 und 11. Frau: Hast immer so viel Medikamente genommen und... Mann:Der Junge 13, die Tochter 11. Frau: Und wenn irgend etwas ist, ach Gott, ach Gott, 'nen Arzt rufen und die macht ... Therapeut: Die ist sehr beunruhigt dann. Frau: Die macht mich dann so unruhig, ja und das überträgt sich dann auf mich und dann kriege ich wieder Angst und... Therapeut: Ah ja, hmhm. Frau: Und zum Kochen kommt sie ja, weil ich im Moment, ich kann gar nicht richtig. Bei einer solchen Phobikermutter, die jeden Schritt in die Selbständigkeit des Kindes mit ängstlichen bis panischen Blicken verfolgt, gewinnt ein Kind den Eindruck , dass alle expansiven Aktivitäten, die es gerade unternehmen will, etwas sehr Gefährliches sind. Solche Kinder unterlassen nach einiger Zeit dann vieles an expansivem, neugierigem und aggressiven Verhalten, was sie altersentsprechend eigentlich schon könnten. Sie trauen sich schließlich weniger zu, als ihren Fähigkeiten entspricht. Und sie erlangen wenig Übung im Umgang mit expansiven Impulsen. Eine zweite Gruppe von Müttern ist eher distanziert. Sie haben wenig Geduld, wenn sie ihren Kindern etwas beibringen und entmutigen ein Kind beim Erwerb verschiedenster sozialer Kompetenzen. Auch dieses Verhalten kann in einem Kind den Eindruck entstehen lassen, dass es weniger kann als es in Wirklichkeit könnte. In beiden Fällen entsteht das Ergebnis "phobische Persönlichkeitsstruktur", natürlich nicht durch ein einmaliges Verhalten solcher Mütter in besonderen Situationen, sondern nur dann, wenn ein solches Verhalten chronisch auf das Kind einwirkt. Die Mutter aus unserem Fallbeispiel gehört offensichtlich in die erstgenannte Gruppe. Unsere Patientin und ihr Ehemann berichten nun noch von weiteren Arztbesuchen bei Hausärzten, Psychiatern, Psychotherapeuten, Internisten. Die Schilderung wurde immer dramatischer. Das Paar wirkte dabei gleichzeitig immer verzweifelter und hilfloser. In mir entstand ein zunehmender Handlungsdruck, ein Impuls, schnell helfend eingreifen zu wollen, was man vielleicht so umschreiben könnte: "Hier muss schnell etwas geschehen, egal was!" Dieses Gefühl ist eine bekannte Reaktion von Psychotherapeuten, aber auch von organmedizinischen Ärzten und natürlich von - 13 - Richelsdorfer Gespräche Angehörigen und Freunden, wenn sie mit Phobikern zu tun haben, ein Gefühl, das ausgelöst wird durch die Hilflosigkeit, die die Patienten einem vermitteln, durch die hilfesuchenden Blicke und durch die oft kindlich anmutende Haltung, mit der sie sich einem anvertrauen, um nicht zu sagen, ausliefern. Ein erfahrener Psychotherapeut, der seinem phobischen Patienten zu der Erfahrung verhelfen will, dass er mehr kann als er sich selbst zutraut, muss in all diesen Fällen leider etwas unhöflich sein und diesem Impuls widerstehen. Wenn der Patient einen Satz nicht zu Ende spricht, sagt er zum Beispiel: "Sie haben Ihren Satz nicht beendet", wobei er eventuell noch ergänzt: "Sie tun dies in einer Art und Weise, als meinten Sie, ich müsste Ihnen jetzt helfen. Ich glaube aber, wenn Sie es probieren, werden Sie merken, dass Sie es auch selbst können." Mit der folgenden Intervention versuche ich zunächst, die in mir spontan entstehenden Impulse, der Patientin und ihrem Partner schnell zu helfen und viel abzunehmen, entgegenzuwirken und das Paar gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass wir zunächst in Ruhe diagnostizieren und anschließend erst handeln wollen. Beispiel 3 : Therapeut: Nun müssten wir mal gucken, ob das, was wir hier in unserer Abteilung anbieten können, für Sie in Frage kommt. Dazu dient ja dieses Gespräch. Als ich jetzt darauf zu sprechen komme, dass das Paar ja zusammen gekommen ist und ob es wohl irgend etwas gibt, was in ihrer Ehe problematisch ist, erfahre ich zunächst, dass - wie der Ehemann sagt - die Welt bei ihnen zu Hause eigentlich in Ordnung ist. Danach allerdings erfahre ich von der Ehefrau etwas über die auslösende Situation ihrer herzneurotischen Erkrankung: Beispiel 4 : Frau: Und jetzt kommt noch dazu, mein Mann soll am offenen Herz operiert werden und seitdem ich das weiß... Mann: Das war wohl mehr der Auslöser. Frau: Ist mir gar noch ein Auslöser so zusätzlich, weiß ich seit letzten Mai, ne? Therapeut: Ja. Mann: Ja. Therapeut: Was ist denn da bei Ihnen? Mann: Und zwar der Ausgang vom Herzen, das wär' verengt, also Muskulatur zu viel, haben die gesagt. - 14 - Beiträge und Referate der Therapeut: Ja. Mann: Und dadurch eben ein Druckgefälle im Herzen, also das drückt gegen die Wand praktisch, Düsenwirkung praktisch, und weil das nun außen in dem Bereich von so 'ner Klappe ist, da können sie dann aber nur mit offenem Herzen entscheiden, ob da eine neue Herzklappe eingebaut wird oder nicht und dann soll die Welt eigentlich in Ordnung sein, bin auch der Ansicht, das müsste ganz gut gehen im Klinikum, ne?, das ist ja bekannt in Göttingen, dass die das gut machen. Therapeut: Ja. Mann: Und da steht jetzt noch ein Untersuchungstermin aus, wo sie jetzt also, ich hatte schon ein Herzkatheter gehabt, wo man eben so festgestellt hat, ne?, also von der Leiste und von der Armvene und... Therapeut: Auch hier in Göttingen? Mann: Ja. Therapeut: Beim Internisten wahrscheinlich oder? Mann: Ja, in der Universitätsklinik und da wollten sie da jetzt noch ein Herzkatheter machen, bei dem sie jetzt hier die Muskelströme da messen wollen und sehen, was sie wegschneiden können, also weil man das ja nicht gleichmäßig aktiv ist. Therapeut: Ja. Mann: Und diese Untersuchung steht noch aus und dann der Termin, was noch gemacht werden soll. Das ist das. Therapeut: Das beunruhigt Sie mehr als Ihren Mann oder? Frau: Ja, habe ich Angst vor, ob ich das durchstehe, ja. Jetzt haben wir auf einmal zwei Patienten. Der Mann hat eine organische Herzerkrankung. Sie haben gehört, wie er selbst darüber spricht: wie ein Techniker über ein defektes Auto. Typische Gefühle, wie man sie erwarten könnte, wenn man die Diagnose einer potentiell lebensbedrohlichen Erkrankung mitgeteilt bekommt, nämlich Angst oder eine gewisse Depressivität, finden sich bei ihm nicht. Die lebensgefährliche körperliche Erkrankung des Mannes wird bagatellisiert, die ebenfalls schwere psychische Erkrankung der Frau wird dramatisch noch weiter aufgeblasen, und zwar von beiden Partnern. Hier muss ich einen kurzen Exkurs machen und ein paar Worte sagen zu dem, was wir Psychotherapeuten kontraphobisches Verhalten nennen. Es gibt Menschen mit phobischen Persönlichkeitsanteilen, deren Selbstwertgefühl es nicht zulässt, Angst zu empfinden oder angstmachende Situationen zu vermeiden. Wenn sie Angst hätten, würden sie sich schwach und lebensunfähig fühlen. Sie haben zusätzlich - 15 - Richelsdorfer Gespräche zu der phobischen noch eine narzisstische Problematik. Manchmal führt das dazu, dass sie angstauslösende Situationen geradezu aufsuchen, um sich immer wieder zu beweisen, dass sie ihnen keine Angst machen. So gibt es Bergsteiger und Fallschirmspringer mit einer Höhenphobie und in einer Klinik habe ich einmal einen Nachtwächter mit Dunkelangst kennen gelernt. So ausgeprägt ist das bei dem Patienten, den ich Ihnen hier vorstelle, nicht. Sein Umgang mit der angstmachenden Erkrankung hat jedoch deutlich kontraphobische Züge. - Die Frau dagegen hat Angst. Und beim Gespräch über die Erkrankung des Mannes gebraucht sie eine eigenartige Formulierung, die Sie bereits gehört haben und die ich Ihnen jetzt noch einmal vorspiele. Beispiel 5 : Frau: Ja, hab' ich Angst vor, ob ich das durchstehe, ja. Die Frau hat nicht in erster Linie Angst, ob der Mann die Operation übersteht, sondern ob sie das durchsteht. Hier verschwimmen in eigenartiger Weise die Grenzen zwischen Ich und Du. Ein ähnliches Phänomen findet sich auch beim Ehemann, wenn er davon spricht, dass "wir die Imap-Spritze bekommen haben", dass "wir zum Arzt gehen müssen". Die Beziehung weist hier einen symbioseähnlichen Charakter auf. Wenn man sich vergegenwärtigt, wie abhängig eine Frau mit einer schweren Phobie sich von ihrem Partner fühlt und dass sie den Eindruck hat, ohne ihn nicht lebensfähig zu sein, dann macht dieser eigenartige Satz allerdings einen Sinn: Ich habe Angst davor, ob ich das durchstehe. Hören wir jetzt noch einmal den Mann mit seiner kontraphobischen Art der Problembewältigung und lassen uns dann von ihm die auslösende Situation genau beschreiben. Beispiel 6: Mann: Na ja, nun, das lässt sich eben nicht vermeiden. Gemacht werden muss es ja praktisch, weil später, wenn man das verschlampt, ne? dann würde das zu Spätfolgen führen, sagt man, das würde auslatschen wie ein Schuh. Wenn man am Herzen was mal hätte, sagen wir Herzinfarkt, wenn das Ding mal stehen bleibt, dann kriegt man das nicht mehr in Gang, weil eben dieses Druckgefälle im Herzen ist, und das wäre dann absolut tödlich, ne? Therapeut: Ist das per Zufall entdeckt worden oder haben Sie irgendwelche Beschwerden? Mann: Kann man sagen, kann man sagen. Also es ist so, meine Frau hat, wie eben, wir haben gesagt, turnusmäßig also jetzt gehen wir mal wieder zum Arzt, ne?, Blutsenkung und so weiter und so fort und waren wir bei Dr. E. gelandet, ne?, - 16 - Beiträge und Referate der der ist Internist und tja, ich hatte früher schon mal ein EKG machen lassen beim anderen Hausarzt und sagt er, ja, die Kurve und dann hat er bedenklich den Kopf gewackelt, dann hat er gesagt, das ist nicht so schlimm oder so, hat mir dann irgendwelche Pillen gegeben, na, man hat das dann bald wieder vergessen, ich sollte die wohl dauernd nehmen. Ja, und er sagte also diese Kurve, diese Kurve, ne? Da wusste er auch nicht so richtig, was er davon halten sollte und also an und für sich, sagen wir mal, nach der Kurve wie so ein 60-jähriger, der kaum die Treppe hochkommt, ne? Trotzdem hat er mich dann aufs Rad gespannt und leistungsmäßig hat das wohl hingehauen, er wusste jedenfalls nicht so richtig, hat's Herz geröntgt, ne? und der Muskel wäre wohl wesentlich zu groß, ja, er wollte mit Dr. F. von der Universitätsklinik sprechen. Therapeut: Ja. Mann: Und so ist das auch dann verblieben, und nach einem Jahr war die Frau wieder bei ihm, irgendwie waren wir zusammen in Behandlung und ich fragte, was da nun geworden ist, er wollte doch mit Prof. F. gesprochen haben, na und dann dauerte es nicht lange, dann kam ein Anruf, ne?, also er hätte nun einen Termin klargemacht für mich in der Universitätsklinik und den sollte ich auf jeden Fall wahrnehmen, sagte er zu meiner Frau, ich könnte jeden Moment tot umfallen, ne?, praktisch und das war wohl der Auslöser mit. Eine solche Aussage: "Ihr Mann kann jeden Augenblick tot umfallen" würde wohl jeden von uns erschrecken. Aber nicht jeder von uns würde dann eine Herzphobie entwickeln. Wenn ich Ihnen nun die psychodynamischen Hypothesen erläutere, die dem Verständnis der Herzphobie zugrunde liegen, so kann ich Ihnen dies nicht mehr aus unserem Fallbeispiel alleine zufriedenstellend ableiten. Hierzu bedarf es Hunderter von Untersuchungen solcher Patienten und zahlreicher psychoanalytischer Behandlungen, in denen das unbewusste Material bewusst gemacht wird. Solche Untersuchungen wurden durchgeführt, zum Beispiel von Richter und Beckmann, von Hoffmann, Mentzos, Greenson und hier in Göttingen von König. Neben vielen anderen Befunden, die zum Teil auch kontrovers diskutiert werden, darf inzwischen wohl als gesichert gelten, dass die phobischen Patienten sowohl ihren primären Beziehungspersonen gegenüber, aber auch späteren Beziehungspersonen, zum Beispiel dem Ehepartner gegenüber, hochambivalent eingestellt sind. Einerseits fühlen sie sich von ihnen abhängig und glauben, ohne sie nicht leben zu können, so dass diese Beziehungspartner für sie, für das eigene Überleben so wichtig werden wie das eigene Herz. Andererseits empfinden sie diese Abhängigkeit aber zunehmend als einengend, sie fühlen sich immer unfreier, so dass sie von diesem einengenden Objekt loszukommen wünschen, dass sie ihm gegenüber Aggressionen entwickeln bis hin zu Tötungswünschen, die dann aber gleichzeitig wieder gefährlich sind, weil die eigene Unselbständigkeit so groß ist. Vielleicht besitzt es eine gewisse Plausibilität für Sie, wenn ich Ihnen aus diesen Untersuchungen und aus der eigenen klinischen Praxis sage, dass der Hinweis der - 17 - Richelsdorfer Gespräche Sprechstundenhilfe: "Ihr Mann kann jeden Augenblick tot umfallen" bei unserer Patientin gleichzeitig zwei entgegengesetzte Reaktionen ausgelöst hat: Auf der einen Seite die schon geschilderte Angst: "Ich glaube nicht, dass ich das überstehen werde." Diese Angst ist der Patientin bewusst. Daneben entstand aber gleichzeitig der Impuls: "Na endlich, dann bin ich ihn los; dann bin ich endlich frei." Dieser Impuls ist unbewusst und wird erst im Laufe einer psychoanalytischen Behandlung bewusstseinsfähig. Diese spannungsgeladenen entgegengesetzten Impulse projiziert der herzphobische Patient auf sein lebenserhaltendes Organ, das Herz, und dies löst die Angst aus, das Herz könnte stehen bleiben. Dass Projektionen nicht nur auf andere Menschen, sondern auch auf Gegenstände und Organe möglich sind, hängt mit der Fähigkeit des Menschen zu symbolischem Denken zusammen. In unserem Fall erhält sowohl der Partner als auch das Herz die symbolische Bedeutung eines lebensnotwendigen Objekts. Ist der Konflikt bearbeitet und hat außerdem die eigene Selbständigkeit zugenommen, dann verliert der Partner die Bedeutung, für das eigene Überleben notwendig zu sein. Dadurch haben Aggressionen in der Partnerbeziehung nicht mehr diese vital bedrohliche Bedeutung, und die Symptomatik verschwindet. Nachdem diese Dynamik in der Paarbeziehung deutlich geworden war, entschloss ich mich zu einer paartherapeutischen Krisenintervention. Ich wies die Frau erneut in eine psychotherapeutische Klinik ein. Damit nahm ich ihm den Grund, die Operation aufzuschieben, die dringend indiziert war. Ich konnte jetzt auf seine Angst einwirken und erreichen, dass er sich operieren ließ. Außerdem informierte ich die chirurgischen Kollegen über die abgewehrten, aber dennoch vorhandenen erheblichen Ängste des Mannes vor der Operation. Ich machte mit dem Paar aus, dass sie sich nach der Operation des Mannes und dem stationären Aufenthalt der Frau erneut an mich wenden könnten, wenn sie dies möchten. Das Paar kam jedoch nicht mehr, weil die Symptomatik der Ehefrau nach der Operation des Mannes völlig verschwand. Ob es in der stationären Therapie der Frau gelungen war, die zugrunde liegende Konfliktdynamik ausreichend zu bearbeiten, so dass damit die Ursache der Phobie bereits beseitigt war, oder ob die phobische Kollusion weiterbestand, nun aber wieder in kompensierter Form, muss wohl offen bleiben. Paartherapie wird bei direkten Kollusionen am häufigsten in Form der gleichzeitigen Behandlung des Paares durch einen Therapeuten oder eine Therapeutin durchgeführt. Die Behandlung durch ein Therapeutenpaar findet sich überwiegend in Institutionen. In manchen Fällen ist es auch möglich, dass ein Therapeut oder ein Therapeutenpaar mit einer Gruppe von 4 oder 5 Paaren gruppentherapeutisch zusammenarbeitet. Bei gekreuzten Kollusionen empfiehlt sich die sukzessive Therapie des Paares zunächst im paartherapeutischen Setting mit einer anschließenden Behandlung beider Partner in zwei parallelen analytischen oder psychoanalytisch orientierten Gruppen (KREISCHE 1986a, 1990). Hier wirkt sich schon die Indikationsstellung therapeutisch förderlich aus, die es den beiden Partnern erlaubt, dass jeder etwas für sich tut, was die - 18 - Beiträge und Referate der Kollusion destabilisiert. Außerdem lassen sich die projektiven Identifizierungen und die psychosozialen Kompromissbildungen in den Gruppen in der Beziehung zu Fremden in statu nascendi bearbeiten, wodurch jeder Partner besser als im paartherapeutischen Setting erkennen kann, was er selbst dazu beiträgt, dass dysfunktionale Beziehungsmuster entstehen. Im Konzept der projektiven Identifikation wird die Bedeutung unbewusster innerseelischer Prozesse für die Paar- und Familiendynamik besonders deutlich. Projektive Identifikation ist nach M. KLEIN (1946) ein Abwehrmechanismus, mit dessen Hilfe das Subjekt in seiner Phantasie sein Selbst in das Innere des Beziehungsobjekts einführt, um ihm zu schaden, es zu besitzen oder zu kontrollieren. In der Weiterverarbeitung dieses Konzeptes durch OGDEN (1979), SANDLER (1976) und K.KÖNIG (1982a, 1982b, o.J.) wird ein interaktioneller Anteil der projektiven Identifikation herausgestellt. Das Objekt wird mithilfe "unbewusster Manipulation" (K.KÖNIG 1984) dazu gebracht, den übertragenen Selbst-Anteilen des Subjekts wirklich ähnlich zu werden. Projektive Identifikation ist durch den Wunsch nach Konfliktentlastung motiviert. Im Gegensatz dazu ist es bei der Übertragung so, dass wir aus einem Bedürfnis nach "Familiarität" (K.KÖNIG 1982a) heraus die Menschen, mit denen wir umgehen, unbewusst so beeinflussen, dass sie vertrauten Beziehungspersonen aus unserer Primärsozialisation ähnlich werden. In dieser primären Sozialisation haben wir bestimmte Affekt- und Verhaltensdispositionen entwickelt, mit denen wir uns auskennen, die jedoch begrenzt sind und am besten in Interaktionen mit Personen passen, die den frühkindlichen Sozialisationsobjekten ähnlich sind. Da dies aber nicht auf alle Personen, mit denen wir es später zu tun bekommen, zutrifft, beeinflussen wir diese, und zwar überwiegend unbewusst, in einer Art und Weise, die diese Ähnlichkeit vergrößert. Übertragung ist durch den Wunsch nach Familiarität motiviert (K.KÖNIG o.J.). In den psychoanalytischen Konzepten von der projektiven Identifikation und der Übertragung wird davon ausgegangen, dass besonders bei neurotischen Entwicklungen die Fähigkeit zur Anpassung an veränderte Umwelteinflüsse beeinträchtigt ist, so dass der Abwehrmechanismus der projektiven Identifikation dazu verhelfen kann, die Umwelt für dieses eingeschränkte Verhaltensrepertoire passend zu machen. Dies dient der inneren Ökonomie des Individuums, führt jedoch zur Störung von Beziehungen (K. KÖNIG, mdl. Mitteilung). Sowohl die projektive Identifikation als auch die Übertragung enthalten einen "interaktionellen Anteil", ein beobachtbares Verhalten, das im Interaktionspartner die gewünschten Reaktionen hervorzurufen vermag. Dieser interaktionelle Anteil ist bei Patienten mit entwicklungsbedingt struktureller Ich-Störung ausgeprägter als bei solchen mit reiferen Neurosen. Der interaktionelle Anteil der Übertragung kommt in den engsten Beziehungen, die wir kennen, in Paar- und Familienbeziehungen, besonders ausgeprägt vor. Und ein Gutteil der therapeutischen Arbeit analytischer Paar- und Familientherapeuten besteht im Diagnostizieren und Bearbeiten dieses Phänomens. Hierbei bedient sich der Therapeut sowohl der Analyse von Übertragung und Gegenübertragung, also auch von eigenen Gefühlsantworten auf die einzelnen Familienmitglieder, mit denen er arbeitet, und mehr noch der Klarifikation und Konfrontation mit Hinweisen auf die beobachteten - 19 - Richelsdorfer Gespräche interaktionellen Phänomene und des Deutens der erschlossenen Zusammenhänge. Haben wir es mit einem Paar zu tun, dann lösen wir als Therapeuten in dem Paar spezifische Übertragungen aus, nicht selten die Übertragung von Eltern oder eines Elternteils. Die Elternübertragung ist am häufigsten, wenn die Patienten einem Therapeutenpaar gegenübersitzen. Diese Therapieform wird jedoch, wie Umfragen von Familientherapeuten ergeben haben, gar nicht sehr häufig angeboten, zum Teil weil sie aufwendig ist, zum Teil weil sie besonders anstrengend ist. Besonders anstrengend wird sie meist dann, wenn die Patienten abgewehrte Selbstanteile auf die Therapeuten übertragen, also Seiten, die sie an sich selbst nicht mögen. Sie induzieren dann nicht selten beim Behandlerpaar heftige Konflikte, die sie bei sich selbst abwehren müssen. Wenn die Behandler es schaffen, solche Phänomene zu erkennen, können sie sie diagnostisch auswerten und die Ergebnisse in der Beratung des Paares verwerten. Wenn sie dies nicht schaffen, werden sie sich gegenseitig nach einer solchen Beratung nicht mehr besonders mögen. Dass ein Behandlerpaar von den Patienten wie ein Elternpaar erlebt werden kann, ist den meisten Paartherapeuten bekannt. Weniger bekannt ist jedoch das umgekehrte Phänomen. Der Therapeut oder die Therapeutin oder auch das Therapeutenpaar sitzen ja auch selbst einem Paar gegenüber. Und da ja nicht nur die Patienten innere Bilder auf Therapeuten übertragen, sondern die Therapeuten auch auf die Patienten, besteht eine gar nicht so unwahrscheinliche Möglichkeit, dass die Therapeuten ihre Patienten wie Eltern erleben. Hier wirken sich die Geschlechtsrollen des Patientenpaares als Übertragungsauslöser für die Therapeuten aus. Vor allem bei jüngeren Therapeuten ist dies häufig der Fall. Kinder, die eine solche Problemlöserrolle in ihrer Herkunftsfamilie hatten, nehmen diese Rolle oft mit ins Erwachsenenleben hinüber und lösen auch als Erwachsene gern die Probleme anderer Leute. Sie strömen in die Helferberufe und werden Eheberaterinnen oder Eheberater, Psychotherapeuten, Ärzte oder Pastoren. Sie sind auch zum Lösen der Probleme anderer Leute meistens besonders begabt. Sie haben sehr sensible Antennen entwickelt für die Probleme ihrer Eltern, was ihnen in ihrem späteren Berufsleben zugute kommt. Sie haben jedoch nicht selten auch eine besondere Tendenz, sich als Berater wieder in die Rolle des parentifizierten Kindes zu begeben, und dies besonders oft und besonders stark, wenn sie es mit Paaren zu tun haben, die sich trennen wollen. Sie laufen dann Gefahr, zu hilflosen Helfern zu werden. Wenn Sie in einer Paartherapie bei sich selbst ein starkes Überforderungsgefühl bemerken und den Eindruck haben, die Arbeit mit einem bestimmten Paar sei unglaublich mühsam, dann sollten Sie bei sich überprüfen, ob Sie vielleicht in die Rolle des parentifizierten Kindes geraten sind, dessen Aufgabe darin besteht, die Ehe der zerstrittenen Eltern zu kitten. Parentifizierte Kinder können nämlich nicht unbefangen das Problem ihrer Eltern ansehen und abwägen, ob es besser wäre für die Eltern, zusammenzubleiben oder sich zu trennen. Parentifizierte Kinder fürchten die Trennung der Eltern und unternehmen stärkste Anstrengung unter Aufbietung aller ihnen zur Verfügung stehenden Kräfte, die Eltern, die sie beide behalten wollen, zusammenzuhalten. - 20 - Beiträge und Referate der Ein entsprechendes Verhalten können Patientenpaare auch in Ihnen induzieren oder Sie selbst können, wenn Sie eine entsprechende Disposition hierfür haben, in der Paarberatung in diese Rolle hineingeraten. Wenn das Paar, mit dem Sie es zu tun haben, eigene Kinder hat, die parentifizierte Kinder sind, so werden diese Kinder schnell entlastet, wenn der Therapeut ihrer Eltern jetzt in eben diese Position gerät. Parentifizierte Kinder haben ja manchmal eigene psychogene oder psychosomatische Symptome, die dann häufig schlagartig verschwinden. Das ist zwar schön für die Kinder, ist aber kein stabiler Erfolg, weil nämlich der Therapeut ihrer Eltern aus dieser Rolle heraus nicht richtig wirksam werden kann. Denn in der Rolle des parentifzierten Kindes kann er nicht mehr souverän und gelassen genug mit den Problemen seiner Patienten umgehen, was schließlich zum Misslingen der Paartherapie führen kann, und dann geht es den Kindern des Paares schneller wieder schlechter. Wenn Sie eine eigene Bereitschaft zur Übernahme dieser Rolle haben, werden Sie besonders leicht bei der Arbeit mit Paaren, die sich trennen wollen, in diese Rolle hineingeraten und mit viel Kraftaufwand versuchen, die Ehe zu kitten. Wenn es Ihnen dann gelingt, sich das Problem bewusst zu machen, so können Sie schrittweise aus dieser Rolle wieder heraustreten, was daran zu bemerken ist, dass Sie sich als Therapeut oder Therapeutin entlasteter fühlen, und Sie können wieder unbefangener mit dem Paar diskutieren, was wirklich für das Paar gut ist. Wenn es um Trennung oder Zusammenbleiben bei einem Paar geht, spielt übrigens häufig der eigene, subjektive Lösungsweg des Paartherapeuten eine wichtige Rolle. Therapeuten, die selbst geschieden sind, tendieren deutlich stärker dazu, zerstrittenen Paaren zur Trennung zu raten, als Therapeuten, die schon heftige Ehekrisen hinter sich haben, die aber zusammengeblieben sind mit ihrem Partner. Der Einfluss des eigenen Lösungsweges bei Ehekonflikten auf Scheidung oder Zusammenbleiben des behandelnden Paares ist außerordentlich stark, und dies natürlich desto mehr, je weniger den Therapeuten dies bewusst ist. Zum Schluss noch ein paar Worte zur Indikationsstellung: Paartherapie ist in den Fällen indiziert, in denen ausgeprägte psychosoziale Abwehrmechanismen in Form der oben beschriebenen Kollusionen die Einzeltherapie eines Partners wenig erfolgreich erscheinen lassen. Ein diagnostisches Paargespräch im Rahmen der Anamnese kann hier Klarheit verschaffen. Paartherapie ist aber auch in manchen Fällen indiziert, in denen der Index-Patient ein Kind ist, nämlich dann, wenn dem Paar deutlich wird, dass ein elterlicher Konflikt maßgeblich an der Erkrankung des Kindes beteiligt ist. Ich verfüge über zahlreiche Beispiele, in denen die ausschließliche Behandlung des Elternpaares, das "symptomfrei" war, zur Gesundung des Symptomträgers Kind geführt hat. Entsprechend groß ist die prophylaktische Bedeutung von Paartherapie, weil sie verhindern kann, dass die Gesundung eines Familienmitglieds im Rahmen einer - 21 - Richelsdorfer Gespräche Einzeltherapie zur Neuerkrankung anderer Familienmitglieder führen kann. Nicht indiziert, weil weniger wirksam, ist Paartherapie bei internalisierten pathologischen Lösungen. Hier kann eine Verringerung des sekundären Krankheitsgewinns durch Paartherapie zwar zur vorübergehenden Symptombesserung führen. Diese ist aber meist nicht ausreichend stabil. Kontraindiziert ist Paartherapie, wenn befürchtet werden muss, dass ein Partner oder ein weiteres Familienmitglied durch Veränderung geschädigt werden kann, zum Beispiel wenn das soziale Umfeld realistischerweise nicht ausreichend verändert werden kann, so dass die Struktur der Paarbeziehung und der Familie unter Berücksichtigung des sozialen Kontextes bereits den relativ günstigsten Kompromiss darstellt. Hier ist es besser, den Symptomträger zu stabilisieren und ihm dabei behilflich zu sein, in einer belastenden Umgebung besser leben zu können, als vielleicht noch mehr Familienmitglieder zur Dekompensation zu bringen. Literaturverzeichnis &Brocher T. (1967): Gruppendynamik und Erwachsenenbildung. Braunschweig (Westermann). &Dicks, H.V. (1967): Marital tensions. London (Routledge & Kegan Paul). &Freud, S(1912): Ratschläge für den Arzt bei der psychoanalytischen Behandlung. Gesammelte Werke. Bd. 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